Fluch oder Segen? - Bionachrichten
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bn_1_12.qxp 01.02.2012 13:43 Seite 47<br />
Krankenkosten werden aus Spenden<br />
finanziert<br />
Um Krankenkosten, die ein enormes<br />
Maß erreichen können, zu decken, haben<br />
die Amish eigene Selbsthilfeorganisationen<br />
wie Amisch Aid gegründet.<br />
Alle Kosten werden durch<br />
Spenden getragen. Zuerst versuchen<br />
die Familien, die Behandlungskosten<br />
selbst zu tragen. Wenn sie zu hoch<br />
werden, trägt man sein Anliegen dem<br />
Diakon der Gemeinde vor. Dieser verkündet<br />
die anstehenden Kosten an<br />
einem Sonntag öffentlich und sammelt<br />
in der folgenden Woche die Spenden<br />
ein. Reicht dies nicht, werden eventuell<br />
Nachbargemeinden angesprochen.<br />
Nachbarschaftliche Hilfe wird aber<br />
nicht nur durch Geld, sondern besonders<br />
durch emotionale Unterstützung<br />
geleistet. Bisher hat diese Subsidiarität<br />
gut funktioniert.<br />
Die Sprache klingt wie der Pfälzer<br />
Dialekt<br />
Gründer der Amish People war Jakob<br />
Ammann, ein Mennoniten-Ältester aus<br />
der Schweiz, dessen radikale Forderungen<br />
nach einem Leben in Schlichtheit<br />
und Bescheidenheit Ende des 17.<br />
Jahrhunderts zu einer Spaltung der<br />
mennonitischen Gemeinde führte. Weil<br />
sie verfolgt wurden, wanderten viele<br />
ihrer Mitglieder Anfang des 18. Jahrhunderts<br />
aus der Schweiz, dem Rheinland<br />
und der Pfalz nach Pennsylvania<br />
in Nordamerika aus. Heute leben sie<br />
jedoch weit verstreut in vielen Staaten<br />
der USA und Kanada. An der Sprache,<br />
dem sogenannten Pennsylvania-Dutch,<br />
das an einen den pfälzischen Dialekt<br />
erinnert, lassen sich ihre Wurzeln erkennen.<br />
Gegenseitiges Füße waschen<br />
Jeden zweiten Sonntag wird im Wohnzimmer<br />
eines ausgelosten Gemeindemitglieds<br />
ein Gottesdienst auf Hochdeutsch<br />
abgehalten. Dieser beginnt mit<br />
einem Lied aus dem Ausbund, dem<br />
ältesten täuferischen Gesangbuch.<br />
Nach einer kurzen Ansprache hält der<br />
Prediger die zweistündige Hauptpredigt,<br />
dann folgen Kommentare der<br />
Gemeinde und ein <strong>Segen</strong>sgebet. Anschließend<br />
waschen sich alle gegenseitig<br />
die Füße wie Jesu in Joh. 13, um<br />
damit Demut, Liebe und die Bereitschaft,<br />
einander zu dienen auszudrücken,<br />
bevor sie sich zu einem von der<br />
Gastfamilie bereiteten Essen zusammenfinden.<br />
Man lebt stark nach<br />
Glaubensprinzipien und Traditionen.<br />
Es findet kein privates Bibelstudium<br />
statt, es wird aber jeden Tag aus der<br />
Bibel gelesen, beispielsweise beim<br />
Frühstück.<br />
Haushalte haben keinen Strom<br />
Beim Blick in die Landschaft sieht man<br />
sich weit dahinziehende, hügelige Wiesen<br />
und Felder, aus denen Scheunen,<br />
Windräder, die typischen hohen silberfarbenen<br />
Silos und die dazugehörigen<br />
weiß gestrichenen Farmhäuser herausragen.<br />
Die Inneneinrichtung besteht aus<br />
einfachen, blau, grün <strong>oder</strong> grau gestrichenen<br />
Wänden, Jalousien, handgemachten<br />
Patchworkdecken, geknüpften<br />
Teppichen und einem Kohle- Öl- <strong>oder</strong><br />
Gasofen in der Küche, weshalb die<br />
Wärme nicht in alle Zimmer dringen<br />
kann. Da sie Elektrizität ablehnen, verwenden<br />
die Amisch Gaskühlschränke,<br />
Gas-, Benzin- <strong>oder</strong> Dieselmotoren für<br />
Melkmaschinen und Milchkühlanlagen,<br />
Windmühlen, Wasserräder und fußbetriebene<br />
Nähmaschinen, während Petroleumlampen<br />
und Gaslaternen Licht<br />
geben.<br />
Traditionelle Berufe in Handwerk<br />
und Landwirtschaft<br />
Die meisten Berufe der Amish haben<br />
mit der Landwirtschaft zu tun. Die<br />
Feldarbeit wird mit Pferden erledigt,<br />
die Amish haben dafür hocheffiziente<br />
Geräte entwickelt. Besondere Spezia-<br />
lisierungen gibt es auch für Milchproduktion,<br />
Geflügel-, Schweine-, <strong>oder</strong><br />
Rinderhaltung, Kartoffel-, <strong>oder</strong> Tomatenanbau.<br />
Das auf dem 10- 50 ha großen<br />
Feld angebaute Gemüse versorgt<br />
die Märkte in den umliegenden Städten.<br />
Die Amish handeln aber auch mit<br />
Vieh, Stroh, Mais und Heu. Manche<br />
arbeiten in traditionellen Berufen als<br />
Zimmermänner <strong>oder</strong> Maler, in Baufirmen<br />
und der Holzindustrie, <strong>oder</strong> selbständig<br />
als Kutschenbauer, Schmiede,<br />
Drucker, Maurer, Bauunternehmer,<br />
Schreiner, Uhrmacher <strong>oder</strong> Schuster.<br />
Die Zeitung als wichtiges Medium<br />
Die sozialen Kontakte halten die Amish<br />
People aufgrund der großen Entfernungen<br />
und ohne Telefon durch die<br />
örtliche Amische Zeitung aufrecht.<br />
Dort sind viele persönliche Nachrichten<br />
zu lesen, wie z.B. wer welche Operation<br />
hatte, wer wohin verreist, wer<br />
umgezogen, geboren <strong>oder</strong> gestorben ist,<br />
<strong>oder</strong> wer geheiratet hat.<br />
Bis zu 16 Kinder pro Familie<br />
Der Zuwachs der Amish beläuft sich im<br />
Jahr auf etwa 6 Prozent, alle 18 bis 20<br />
Jahre verdoppelt sich ihre Mitgliederzahl.<br />
Einige Amish-Gemeinden<br />
verdoppeln sich schon alle 15 Jahre.<br />
Sie haben 12 bis 16 Kinder pro Familie,<br />
das sind etwa 57 Geburten auf<br />
1.000 Einwohner. Zum Vergleich:<br />
Deutschland hat 9 Geburten auf 1.000<br />
Einwohner.<br />
Die Autorin Kirsten Edinger ist eine<br />
Bekannte von Biokreis-Berater Roland<br />
Weber und lebt mit ihrer Familie seit 1998<br />
in Ontario, Kanada. Sie kauft gerne auf<br />
dem „Farmers Markt“ nördlich von<br />
Kitchener in St. Jacobs ein. Dort bieten viele<br />
Amish People ihre Ware an, von frischem<br />
Gemüse über Ahornsirup bis hin zu selbst<br />
gemachten Kuchen und 'Apple Butter'. Da<br />
die Edingers aus Baden kommen, können<br />
sie sich mit den Amish in ihrem breitesten<br />
Dialekt unterhalten.<br />
Autos gibt es nicht, dafür Kutschen. Kinder auf dem Schulweg.<br />
Verkäufer auf dem Markt.<br />
<strong>Bionachrichten</strong> 1 | Februar/März 2012 47<br />
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