12. 13 Junge operMit dem Mischpult in die OperDie DJ und Komponistin Alexandra Holtsch im Gespräch mit Dramaturgin Dorothea HartmannSamples und barocke Schlager, Rap und Arrangements von Benjamin Britten: Die Junge Oper<strong>Hannover</strong> geht mit einem wilden musikalischen Mix an den Start ihrer ersten Spielzeit. Gemeinsammit Sängern der <strong>Staatsoper</strong>, Jugendlichen aus städtischen Jugendzentren und einer Banddes MusikZentrums <strong>Hannover</strong> entwickelt die Komponistin und DJ Alexandra Holtsch eine neueVersion von John Gays The Beggar’s Opera.Dorothea Hartmann Du bist DJ und Komponistin.Was verstehst du unter beiden Berufsbezeichnungen?Alexandra Holtsch Die Berufe liegen fürmich sehr nah beieinander. DJing ist eigentlichauch eine Komponistentätigkeit, weilman verschiedene Musiken zusammenfügtund daraus etwas Neues entsteht. Ähnlicharbeite ich auch beim Komponieren, wennich Samples benutze, um meine Kompositionenmit unterschiedlichen Energien, Farbenund Stimmungen zu ergänzen.Hartmann Wie bereitest du dich auf einenAbend als DJ vor?Holtsch Da ich Vinyl auflege – was heutzutageein bisschen retro ist, denn manschleppt Platten mit sich herum, die eigentlichauch auf eine kleine Festplatte passen–, ist das Aussuchen natürlich ein wichtigerVorgang. Ich wähle die Musik aus für einenbestimmten Ort und den Inhalt der Veranstaltungund versuche, darauf zu reagieren.Hartmann Zum Beispiel?Holtsch Ich habe mal in einem Pariser Clubaufgelegt. Ich wollte auch an die französischeMusik anknüpfen und habe mir französischeD’n’B- und HipHop-Platten gekauft.Das muss erstmal sein, denn ich kann als DJja nicht ignorant und stur meinen persönlichenGeschmack durchziehen. Dabeimerkte ich, dass in Paris – im Gegensatz zuBerlin – ein sehr viel weicherer, kommerziellererund süßlicherer Musikgeschmackherrscht.Hartmann Was heißt das?Holtsch Dass bei den Franzosen die Instru-
Junge opermentierung und das Schlagzeug wenigerhart und bös’ sind.Hartmann Die Berliner sind böser?Holtsch Wesentlich böser. Ich war ja schonin ganz unterschiedlichen Städten unterwegs:Die Berliner gehören in Europa zu denBösesten. Ich sage immer: Härtha-Berlin.Hartmann Und dann kamst du nach Parismit deiner bösen Berliner Sammlung? Hastdu den Anspruch, als DJ auch aufzumischen?Holtsch Klar. Provokation gehört dazu. Manmuss die Leute natürlich auch gewinnen miteiner ihnen vertrauten Musik. Später kannman dann etwas auflegen, das wenigermainstream ist und was vielleicht meinemganz persönlichen Lebensgefühl entspricht.Dazu gehört das Hinterfragen von Themen,der Welt, des Lebens, des Sterbens. Das bedeutetatmosphärisch auch Härte und Düsterheit.Hartmann Was heißt das musikalisch?Holtsch In der Elektronik sind das die tiefenTöne, die Subbässe und der verstärkte Einsatzvon Geräuschen. Es können auch verrückteSounds sein wie Intros mit Anrufbeantworter-Aufnahmenund vermorphtenTexten von Adorno bis Zuckmayer. Oftmische ich das mit Klassik-Samples, vonSchubert bis Wagner oder Strawinsky.Hartmann Du sprachst von einer Düsterheitals einem persönlichen Lebensgefühl. Istdeine Sicht auf die Welt eine pessimistische?Holtsch Düster manchmal schon. Pessimistischnicht. Ich finde nur, dass zu wenig darübernachgedacht wird, dass alles endlichist, dass man nicht immer nur gut drauf seinkann, dass die Welt nicht gut drauf ist, dasses Kriege gibt, Atomkraft, was auch immer.Das klingt so natürlich platt und profan, aberich versuche, solche Gedanken in der Arbeitals DJ ganz konkret mit meiner Musikauswahlauszudrücken und tanzbar zu machen.Das ist natürlich das Wichtigste und auchdas Positive: dass alles tanzbar ist.Hartmann Eine düstere Welt wird auch inThe Beggar’s Opera gezeigt. Das Stück wirdseit fast dreihundert Jahren immer wiederganz unterschiedlich musikalisch bearbeitet.Du verwendest eine Band und Elektronik.Warum?Holtsch Der Stoff ist nach wie vor absolutaktuell. Und da versuche ich, auch über dieMusik das Stück noch näher an uns heran zuholen. Ich füge z.B. bestimmte Melodiefolgen,die auf der Gitarre etwa nach demBlues-Schema gespielt werden, in die barockenSchlager ein. Diese alten Melodiensind übrigens sehr viel komplexer als diemeiste Musik, die wir heute so konsumieren.Hartmann Aber es waren doch bekannteLieder, ja regelrecht Schlager der Zeit, diejeder mitsingen konnte.Holtsch Daran kann man merken, wie simpeldie Musik heute geworden ist. Das mussnicht unbedingt gleich schlechter heißen.Aber Johann Strauß halte ich für weitauskomplexer als z.B. Modern Talking.Hartmann Siehst du eine grundsätzlicheEntwicklung, dass musikalische Struktureneinfacher werden?Holtsch Nur teilweise. In der zeitgenössischenE-Musik, in der sogenannten Avantgarde,beobachte ich eine ganz andere Bewegung:Verkopfung und Intellektualisierung.Da werden bei mir durch die Musik wenigEmotionen geweckt.Hartmann Du hast auch Ausflüge in solcheAvantgarde-Zirkel gestartet und im Auftragder Biennale für Neues Musiktheater Münchengearbeitet …Holtsch Das Projekt hat uns allen viel Spaßgemacht, und ich glaube, dem Publikumauch. Die Leitung hielt sich eher bedeckt …Hartmann Wie sah das Projekt aus?Holtsch Aus über 50 musikalischen Schnipselnvon Arvo Pärt, Steve Reich bis HelmutLachenmann habe ich die für mich interessantesteMusik auf Platte pressen lassen unddamit in einigen Sessions zu D’n’B Tracksgescratched. Dann baten wir die Sänger insStudio, um von ihnen selbst ausgewählteArien aufzunehmen. Daraus habe ich dannein Musiktheater zusammengeschnitten. Ichhabe aus verschiedenen Takes unterschiedlicheTemperaturen zusammengestellt, notiertund das neu entstandene Material andie Sänger zurückgegeben.Hartmann Das ist eine völlig andere Arbeitsweiseals die eines »klassischen« Komponisten.Holtsch Genau das interessiert mich. ImSchauspiel gibt es diese Form der Stückentwicklungmit Darstellern ja schon länger.Wenn ich Solisten mit einer ausgeprägtenPersönlichkeit habe, dann kann ich ihnendoch auch zutrauen, dass sie mir ihre eigeneWelt zeigen – musikalisch und gedanklich.Das finde ich spannend: Der Sänger gibt miretwas von sich, und ich überlege, wie ich eseinbaue, mische, neu zusammenstelle. Dannist der Bezug des Sängers zur Musik nochviel größer.Hartmann Ähnlich hast du in The Beggar’sOpera bei einer Nummer auch gearbeitet.Holtsch Es gibt eine rein elektronischeNummer für Jenny, die wir neu eingefügthaben. Dafür kam die Sängerin ins Studiound hat mir ihre Lieblingsarie eingesungen.Wir haben ihre Töne zerschnitten, neu sortiert,umgetextet und dazu eine völlig neueelektronische Begleitung für Band entwickelt.Hartmann Es gibt noch eine dritte musikalischeEbene in The Beggar’s Opera: dreiJugendliche, die rappen. Wie bringst du diestilistisch unter?Holtsch Das ist für mich das eigentliche»crossover« bei diesem Projekt. Denn ichversuche, die drei Rapper in eine andereRichtung zu locken. Das heißt konkret, dasssie sich von ihrer eigenen Struktur wegbewegenund nicht nur im HipHop üblicheSamples reinbasteln wie Sprachsamplesoder Schnipsel aus einem bekannten Lied,sondern Material aus der Oper verwenden.Das bedeutet dann etwa eine Umstellungvon traditionell gerappten 8 Takten auf 6.Denn die Vorlage ist ein barockes Lied mit