Standpunkt BildungBildung ist die Orientierung des Menschen im gesellschaftlichenund kulturellen Kontext und seinedadurch mögliche Partizipation und Gestaltungsfähigkeit.Wissen als Kenntnis von Sachverhalten unddie Bildung stehen in Beziehung, sind aber nicht dasselbe.Und so ist die Menge des Wissens noch nichtBildung. Insofern ist sie unterschieden von Ausbildungund Information. Daran zu erinnern ist angesichtsder Rede von einem angeblich sich stetigexponentiell vermehrendem Wissen durchausangebracht. Denn dann geht es bei der„Bildung umso mehr darum, Haupt- undNebensächliches zu unterscheiden. Jemehr man wissen kann, je mehr Informationen– die auch ohne moderneForschungen und Medien prinzipiellunendlich sind – zur Verfügung stehen,umso bedeutsamer wird die Frage nachdem, was sich zu wissen lohnt und was zukennen wichtig ist.Wenn das Ziel der Bildung Identitätsgewinnung ist,dann ist sie eher als ein wechselseitiger Prozess von„Charakter“ und Wissen zu verstehen. MahatmaGhandi sagte einmal, wenn man die Nicht-Gewalterforschen wolle, werde man finden, dass diesesStudium ohne Charakter nutzlos sein werde. Nur aufder Basis einer sozial und charakterlich „gebildeten“Persönlichkeit wird die Informationsverarbeitungfruchtbar, und die neu erworbene Stufe der Kenntniswird zu neuen Fragen im Sinne einer unabgeschlossenenSpirale führen. Schon Augustinus hat das um400 in dem Prozess des Verhältnisses von Glaubenund Wissen verdeutlicht.Die Mengedes Wissensist noch nichtBildung.Wenn Bildung die Orientierung desMenschen in seinem gesellschaftlichenund kulturellen Kontextmeint, dann ist die Rede von „kultureller Bildung“eigentlich tautologisch, zumal der Begriff der „Kultur“bis um 1800 in einem pädagogischen Kontext stand.Er taucht nämlich zuerst bei Cicero in der Wortverbindung„cultura animi“ auf. Dass die Künste, dieGeschichte, die Welt als Ganzes zur Bildung derPerson gehören, versteht sich von selbst, und nureine Verengung des Bildungsbegriffs auf dieAusbildung von – nutzbaren – Fähigkeitenund Fertigkeiten konnte dazu führen, dassdie kulturelle Bildung nicht mehr selbstverständlichesElement von Erziehung,„Schule, Hochschule und Erwachsenenbildungist.In dem unabschließbaren Prozess derBildung stellt die Vermittlung von Wissen nureinen, wenngleich wichtigen Mosaikstein dar. ImSinne der Gewinnung des „eigentlichen“ Bildes desindividuellen Menschen ist Bildung ein Lebensprinzip,das Herzensbildung und Sozialkompetenzebenso umfasst wie die produktive Aneignung vonWissen und Fertigkeiten. So macht sich der sichselbst „Bildende“ sein Bild von der Welt und von sichselbst. Pestalozzis Diktum, wonach das Leben bilde,sollte Bildungspolitik und Bildungspraxis vor der Vorstellungeiner beliebigen „Bildbarkeit“ der Menschenhüten.Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg,Mitglied des Beirats14
Nikolaus Cusanus - ein Abenteurer in seiner ZeitEure Eminenz, Ihr habt es von dem kleinenMoselstädtchen Kues an die Spitze der Kirchegeschafft. Eure Kindheit verbrachtet Ihr alsSohn des Schiffsbesitzers Johann Kryffts in einemKaufmannshaushalt. Man sagt Euch nach,dass Ihr dort den Umgang mit Geld beizeitengelernt und geschätzt habt. Braucht es Geld,um gebildet zu werden?Cusanus: Nun, was heißt schon„gebildet. Ein großes Wort.Mein Vater tat gut daran,Die Schätzemich bereits im Alter von 15dieser Welt<strong>Jahre</strong>n zum Studium nachsollten nicht Heidelberg zu schicken.gegeneinander Philosophie, Physik, Ethik,„Logik und Rhetorik, dieausgespieltSchriften des Aristoteles –werden. es ist nie zu früh, sich damitzu befassen. Meines VatersWohlstand machte dies wohlmöglich. Für wahre Bildung Geld bereit zu stellen,hat nichts Falsches. Ohne Wohlstand war es inmeiner Zeit kaum möglich, in die Welt des Wissenszu gelangen und an ihr festzuhalten. Wissen ist einSchatz und Geld ist ein anderer. Die Schätze dieserWelt sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden,sondern danach trachten, sich gegenseitig zubefruchten.Genau dies ist das Anliegen des <strong>Cusanuswerk</strong>sseit <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n. Junge, katholische Frauen undMänner mit besonderen Begabungen werdenvon uns unterstützt, damit sie sich ihrem Studiumwidmen können. Doch nicht nur das: Siesollen angeregt und ermutigt werden, über dieGrenzen des eigenen Faches hinauszudenken.Cusanus: Das ist aufs Höchste zu loben. Wie gut,dass nicht nur mein Name, sondern auch meinePhilosophie in Eurem Jahrhundert weiter lebt. Ichfühle mich geehrt und bestätigt in meiner Auffassung,dass wahre Bildung erst beginnt, wenndas Denken über die Grenzen der Fakultäten hinausgeht,doch ebenso, wenn das bereits Gedachtein neues Wissen eingebettet wird. Dies istseit der Antike die Aufgabe der geistigen Elite. Siedenkt über das Trennende hinaus, erfasst, waswesentlich ist.15