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Zuflucht gesucht - den Tod gefunden

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<strong>Zuflucht</strong> <strong>gesucht</strong>– <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> gefun<strong>den</strong> –Cemal Kemal Altun1960 – 1983


<strong>Zuflucht</strong> <strong>gesucht</strong>– <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> gefun<strong>den</strong> –Ge<strong>den</strong>kstein für Cemal Kemal Altun(Har<strong>den</strong>bergstraße, Berlin-Charlottenburg)


Akte auf Akte,Paragraph auf Paragraph,die Verantwortungist in unendlich winzige Teile zerteilt,und zum Schluss ist es keiner gewesen.(Kurt Tucholsky)


Wolfgang Wieland warRechtsanwalt von CemalKemal Altun und ist Mitgliedim Berliner Abgeordnetenhausfür die FraktionBündnis 90 /Die Grünen.Zum GeleitAusgeliefertZum Schluss sprang der 23jährige anerkannte Asylberechtigte Cemal Altun ausdem 6. Stock des Berliner verwaltungsgerichtes. Für Verantwortlich erklärte sichniemand. Einen „ausgesprochenen Nichtmörder“ nannte daraufhin der SchriftstellerErich Fried <strong>den</strong> damaligen Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann.Was vor 20 Jahren für die vielen Engagierten, Helfen<strong>den</strong>, Empörten unfassbarwar, kann auch heute kaum erklärt wer<strong>den</strong>. Der junge Stu<strong>den</strong>t flieht vor der türkischenMilitärdiktatur nach Berlin und offenbart sich hier schutzsuchend <strong>den</strong> Behör<strong>den</strong>.Man werfe ihm zu Unrecht in der Presse eine Beteiligung an dem Attentatauf <strong>den</strong> zweiten Mann der „Grauen Wölfe“ und früheren Zollminister Gün Sazakvor. Statt sein Asylbegehren zu bearbeiten, leitet man diese Angaben über Interpolnach Ankara weiter, gleich verbun<strong>den</strong> mit der Frage, ob „entsprechende Anträge“gestellt wer<strong>den</strong>. Die Türkei lässt sich nicht lange lumpen und fordert promptdie Auslieferung. „Die haben ihn verpfiffen“, sagte später der BundesaußenministerGenscher dazu.Cemal Altun kommt für insgesamt 13 Monate ins UntersuchungsgefängnisMoabit in Auslieferungshaft. Ein Strafsenat des Kammergerichtes erklärt die Auslieferungfür zulässig, ohne <strong>den</strong> Häftling mündlich anzuhören und ohne auf dievorgetragene politische Verfolgung einzugehen. Die Bundesregierung bewilligtdie Auslieferung. Cemal Altun wird mit <strong>den</strong> Worten: “Es geht nach Frankfurt“ ausder Zelle geholt und in Richtung Flughafen gebracht. Buchstäblich in letzterMinute stoppt im März 1983 eine europaweite Protestbewegung, in concreto einTelefonat zwischen dem Präsi<strong>den</strong>ten des Europäischen Parlamentes und AußenministerGenscher, diesen Flug in <strong>den</strong> Folter-Staat. Die Auslieferung wurde großzügigbis zum nächsten Tag 15h00 ausgesetzt. Der Anwalt sollte Gelegenheit haben,das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Dies tat er dann gleich zweimal.Ohne Ergebnis, weil das Gericht in einer „Berliner Sache“ wegen des damaligenalliierten Status nicht entschei<strong>den</strong> wollte.Anders die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg. Sie nahmeine Beschwerde an, verhandelte und ließ sich dann leider durch sogenannteGarantien einwickeln. Sie verlängerte nämlich nicht ihre Forderung nach Aussetzungder Maßnahme.6


Auf Bitten der Bundesregierung hatte die Türkei zugesichert, der inzwischen alsAsylberechtigt anerkannte Altun könne nach Abbüßung seiner Haft zurück in dieBundesrepublik kommen, die deutsche Botschaft werde ihn in der Haft besuchendürfen und so wirksam vor der allgegenwärtigen Folter schützen.Mit anderen Worten, der Staat Bundesrepublik erklärte: Du wirst in der Türkei politischverfolgt und erhältst deswegen Schutz bei uns. Dies gilt allerdings erst, nachdemwir Dich Deinen Verfolgern wieder zwangsweise zugeführt haben.Gegen <strong>den</strong> Anerkennungsbescheid des Bundesamtes klagte im übrigen der Bundesbeauftragtefür das Asylverfahren, also die rechte Hand des Staates gegen dielinke Hand. So kam Altun als sogenannter Beigela<strong>den</strong>er , um <strong>den</strong> es ja irgendwieging, vor das Berliner Verwaltungsgericht. Er kam vor Richter, die ihm endlich einmalGerechtigkeit angedeihen lassen wollten. Sie kannten die Verhältnisse in derTürkei nur zu genau. Aber jede Aufforderung des Vorsitzen<strong>den</strong> Richters Dr. Ortloffan die Bundesregierung, wenigstens einen Verbleib von Altun bis zur mündlichenVerhandlung Ende August 2003 zuzusichern, wurde schriftlich aus Bonn abgelehnt.Das Auslieferungsverfahren sei doch bekanntlich vom Asylverfahren völligunabhängig. Eine Rechtslage, die trotz aller Proteste und Vorschläge bis heutenicht geändert ist. Allerdings wurde die schändliche Praxis geändert - nach CemalAltuns <strong>Tod</strong>.Tausende von Menschen hatten demonstriert, gehungert, sich angekettet, Einflussgenommen, bei Entscheidungsträgern interveniert.Dies hatte durchaus Wirkung und die Auslieferung immer wieder hinausgeschoben.In Bonn unternahmen Petra Kelly, Gerd Bastian, Wolf Biermann und viele andereeine spektakuläre „Käfig-Aktion“. Daraufhin gestand der damalige Justizstaatssekretärund spätere Außenminister Klaus Kinkel dem Anwalt zu, dieserdürfe in der Türkei recherchieren und die Unschuld seines Mandanten beweisen.Solange werde nicht ausgeliefert. Dies sei nicht offiziell, ein Agreement, aberschließlich sei er ein „Gerechtigkeitsfanatiker“.Diese Reise in Umkehrung der Unschuldsvermutung fand nicht mehr statt. DenMenschenrechtsorganisationen blieb nur noch die verzweifelt-trotzige Traueranzeige:Die Ignoranz der Justiz und der Opportunismus derBundesrepublik Deutschland waren stärker als seinDurchhaltevermögen und unser Engagement.Nach politischer Verfolgung in der Türkei in unsere Stadtgeflüchtet, über ein Jahr in Moabit in Einzelhaft gehalten,trotz Anerkennung als Asylberechtigter vom Kammergerichtund von der Bundesregierung zur Auslieferung an dietürkische Militärdiktatur verurteilt, bis vor die Türen desGerichtssaales im Verwaltungsgericht wie einSchwerverbrecher gefesselt, sah dieser junge Menschkeinen anderen Ausweg.Kämpft weiter für die Menschenrechte!7


übernahme durch das türkische Militär schließlich mit Unterstützung desbereits in 28 Fällen die Auslieferung an Bezirksamts Charlottenburg, der SPDdieTürkei vollzogen. Warum sollte es Bezirksbürgermeisterin MonikaAltun also anders ergehen?Wissel und einer Vielzahl vonSpendern reali-siert wer<strong>den</strong> konnte.Die Internationale Liga für Menschen- Seit Juni 1996 er-innert diesesrechte hatte angesichts dieser Gefahr Denkmal aus Granitstein an dieschon frühzeitig auf das Schicksal Tragödie. Gestaltet hat es der KünstlerCemal Altuns aufmerksam gemacht. Akbar Behkalam. Seine Skulptur zeigtZusammen mit anderen politischen einen kopfüber herabstürzen<strong>den</strong>Kräften im In- und Ausland, zusam- Menschen mit ausgestreckten Armen -men auch mit Altuns Anwalt Wolfgang ein Symbol für alle Asylsuchen<strong>den</strong>, dieWieland hat sie mit Beschwer<strong>den</strong>, mit hierzulande Scha-<strong>den</strong> an Leib undEingaben an die verantwortlichen Re- Leben befürchten oder erlei<strong>den</strong>gierungen sowie mit Demonstrationen müssen.vor dem Abschiebeknast CemalAltuns Freilassung gefordert und ge- Cemal Altuns <strong>Tod</strong> hat zweifelsohne eingen die drohende Auslieferung protes- Fanal gesetzt - doch hat dieses Fanaltiert. Zwar konnte die Auslieferung auch zu einem Um<strong>den</strong>ken in der Asylnochverhindert wer<strong>den</strong>; doch für politik geführt oder gar eine Humani-Cemal Altun änderte sich nichts an der sierung bewirkt? Nein - so lautet diemenschenrechtswidrigen Lage in Aus- klare und bedrückende Antwort. Auchlieferungshaft, nichts an der manifes- die Schicksale vieler anderer MigrantenAuslieferungsdrohung, nichts an ten blieben folgenlos. Allein seit 1993seiner Angst und Verzweiflung. Sein haben sich weit über hundert Men-<strong>Tod</strong>essturz markierte nicht nur das schen aus Angst vor drohender AbgrausameEnde eines mehr als ein- schiebung getötet oder sind bei demjährigen Dramas, sondern gleichzeitig Versuch gestorben, sich der Abschieauch<strong>den</strong> Schlussstrich unter alle Soli- bung zu entziehen. Jahr für Jahr verdaritätsbemühungenum seine Frei- lieren Menschen an <strong>den</strong> Grenzen, inheit und sein Leben. So stark diese Be- Abschiebehaft oder bei der gewaltsamühungenauch waren, sie scheiter- men Abschiebung ihr Leben.ten letztlich an einer bürokratischen,einer gna<strong>den</strong>losen Realpolitik. Folge- Die „Maschen im Grenzzaun“ um Eurichtigmachte die Liga die Bundesre- ropa und die Bundesrepublik sind mittgierungund die zuständigen Berliner lerweile enger geflochten wor<strong>den</strong>. DieBehör<strong>den</strong> mitverantwortlich für Altuns Abschiebegründe wur<strong>den</strong> erweitert.<strong>Tod</strong>.Die Situation im Abschiebegewahrsamhat sich nicht verbessert. Migran-Konsequenterweise setzte sich die ten gehören schon lange zu der amLiga dann dafür ein, dass Cemal Altun intensivsten überwachten Bevölkeundsein Schicksal nicht vergessen rungsgruppe. Seit 2002 wer<strong>den</strong> sie mitwer<strong>den</strong>. Besonders die frühere Liga- <strong>den</strong> neuen „Anti-Terror“-Gesetzen un-Präsi<strong>den</strong>tin, Alisa Fuss, machte sich ter Generalverdacht gestellt und eijahrelangfür ein Mahnmal stark, das nem noch rigideren Überwachungs-9


Migranten sind die eigentlichen Ver- Lassen Sie uns zusammen mit derlierer des staatlichen „Anti-Terror- Internationalen Liga für Menschen-Kampfes“. Die neuen Sicherheitsre- rechte, zusammen mit „Pro Asyl“ undgelungen schaffen allerdings kaum dem Flüchtlingsrat Berlin an die ÖfmehrSicherheit, sondern sind dazu fentlichkeit und die politischen Entgeeignet,Migranten zu stigmatisieren, scheidungsträger appellieren: Wirihren Aufenthalt in Deutschland noch müssen <strong>den</strong> staatlichen Umgang mitweiter zu erschweren und frem<strong>den</strong>- traumatisierten und gefährdeten MenfeindlicheRessentiments zu schüren. schen gründlich über<strong>den</strong>ken und ver-Ohne <strong>den</strong> geringsten Nachweis, dass ändern. Abschiebungen in Folterstaavonihnen etwa mehr Terror ausgehe ten und Kriegsgebiete darf es nichtals von Deutschen, wer<strong>den</strong> sie zu ei- länger geben. Übermäßig lange Abnemgesteigerten Sicherheitsrisiko er- schiebehaft, unzumutbare Haftbeklärtund einer entwürdigen<strong>den</strong> Son- dingungen, die Inhaftierung von bederbehandlungunterzogen, die für sonders schutzbedürftigen Personenviele existentielle Folgen haben kann wie Minderjährigen und die gewaltsa-- bis hin zu politischer Verfolgung, me Trennung von Familien sind einFolter und Mord durch die Herkunfts- Skandal; die praktizierte Abschiebeländer,aus <strong>den</strong>en sie zuvor geflohen haft ist prinzipiell ein Verstoß gegenwaren.Menschenrechte und gehört abgeschafft.Das Asylrecht ist ein Men-Dieses Mahnmal ist auch <strong>den</strong> Opfern schenrecht - wir müssen es immer wiedieserPolitik gewidmet. Es wurde er- der von neuem erkämpfen.richtet nahe dem ehemaligen Verwaltungsgerichtan der Har<strong>den</strong>bergstra- Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt,ße, das über das Schicksal von Asyl- Publizist und parlamentarischer Bebewerbernzu entschei<strong>den</strong> hatte und rater. Seit März 2003 Präsi<strong>den</strong>t der „IndasCemal Altun posthum als Asyl- ternationalen Liga für Menschenberechtigtenanerkannte. Solche rechte“; außerdem MitherausgeberMahnmale müssten längst an ganz der Zweiwochenschrift „Ossietzky“ soanderenOrten angebracht wer<strong>den</strong>, wie Mitglied der Jury zur Verleihungdort nämlich, wo die Leitlinien der Aus- des Negativpreises „BigBrotherAländer-und Asylpolitik entschie<strong>den</strong> ward“ an Institutionen, die in besondewur<strong>den</strong>und wer<strong>den</strong>: so etwa in Bonn rem Maße gegen <strong>den</strong> Datenschutzam ehemaligen Bundestag, wo 1993, verstoßen. Autor zahlreicher Sachalsovor zehn Jahren, von einer gro- bücher zum Themenspektrum BürgerßenKoalition aus CDU-FDP und SPD rechte, „Innere Sicherheit“ und DemodieDemontage des Asylgrundrechts kratie.beschlossen wurde; an Innenministerien,Ausländerämtern und Abschie- Im Oktober 2003 erschien im Knaurbeknästen,wo die restriktive Auslän- Taschenbuchverlag, München, seineder- und Asylpolitik umgesetzt, wo neueste Publikation: „Geheime Infornichteben selten die Menschenwürde manten: V-Leute des VerfassungsderBetroffenen eklatant verletzt wird. schutzes - Kriminelle im Dienst desStaates“.10


Dr. Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte),Siegfried Pöppel (Flüchtlingsrat Berlin) und Heiko Kauffmann (PRO ASYL)am Ge<strong>den</strong>kstein für Cemal Kemal Altun11


Nichtmörder ZimmermannIm Zusammenhang mit dem <strong>Tod</strong> Cemal Altuns und derbundesdeutschen Politik der Auslieferungen und derZusammenarbeit mit <strong>den</strong> türkischen Behör<strong>den</strong> wirdBundesinnenminister Zimmermann von vielen Menscheninnerhalb und außerhalb der Bundesrepublikmit Bezeichnungen belegt, die Gerichtsfolgen habenkönnten.Ich möchte daher in Kenntnis des gelten<strong>den</strong> deutschenRechts vorschlagen, Herrn Zimmermann, wasimmer man von ihm <strong>den</strong>kt, jetzt und in der Zukunft alsausgesprochenen Nichtmörder zu bezeichnen. SeineTätigkeit und seine Absichten wären demnach ausgesprochennichtmörderisch zu nennen. Übrigens habeich in England auch die Äußerung gehört, dass eineBezeichnung Zimmermanns als Mörder nicht nureinen Rechtsbruch ihm gegenüber darstellen würde,son-dern auch ein schweres Unrecht gegen mancheMör-der, deren Gesamttätigkeit trotz ihrer Straftat weitwe-niger negative Folgen haben, als die seine.Gleichzeitig möchte ich mich all <strong>den</strong>en anschließen,die <strong>den</strong> Rücktritt des Nichtmörders Zimmermann vonseinem Amt und ein Ende der Auslieferung an dieTürkei und ähnliche Staaten fordern.Erich Fried, London(Tageszeitung vom 02.09.1983)12


Unter der Überschrift “<strong>Zuflucht</strong> ge-sucht <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> gefun<strong>den</strong>” wollen wirheute allerdings nicht nur an AltunsSchicksal in Deutschland vor 20 Jahrenerinnern, sondern auch Fragen an20 Jahre deutsche Asylpolitik stellenund damit daran erinnern, dass seithereine Vielzahl von Flüchtlingen, die inDeutschland Schutz vor Verfolgung<strong>gesucht</strong> haben, hier oder bei der Abschiebungbzw. durch die Abschiebungihr Leben verloren haben.Am 31. August 2003 fand in der Kirchezum Heiligen Kreuz eine Ge<strong>den</strong>kveranstaltung“<strong>Zuflucht</strong> <strong>gesucht</strong> - <strong>den</strong> <strong>Tod</strong>gefun<strong>den</strong> - Fragen an die deutscheFlüchtlingspolitik zum 20. <strong>Tod</strong>estagvon Cemal K. Altun” statt. Im folgen<strong>den</strong>dokumentieren wir die uns vorliegen<strong>den</strong>Redebeiträge von PfarrerJürgen Quandt (Asyl in der Kirche),Traudl Vorbrodt (Flüchtlingsrat Berlin),Rechtsanwältin Veronika Arendt-Rojahn sowie von Heiko Kauffmann(PRO ASYL).Pfarrer Jürgen Quandt(Asyl in der Kirche)Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Freundinnen und Freunde!Im Namen der Veranstalter des heutigenAbends, als Vertreter von Asyl inder Kirche und als Pfarrer der hiesigenGemeinde begrüße ich Sie herzlich.Altun ist am 30. August 1983 durch ei-nen Sprung aus einem Fenster im 6.Stock des Berliner Verwaltungsgerichtsums Leben gekommen. Er warein politischer Flüchtling aus derTürkei und wurde das Opfer der Zu-sammenarbeit zweier Geheimdienste,der Unfähigkeit damaliger Politikerund eines Rechtssystems, das bisheute die Auslieferung von politischenFlüchtlingen an ihren Verfolgerstaatzulässt.Ihre Namen sind kaum mehr öffentlichwahrgenommen wor<strong>den</strong>. Ihr Schicksalist in Vergessenheit geraten.Für viele Menschen in dieser Stadt istjedoch der <strong>Tod</strong> von Altun zum Wendepunktin der Wahrnehmung von Flüchtlingsproblemenin unserem Land gewor<strong>den</strong>.Wir haben zu der heutigen Veranstal-tung eingela<strong>den</strong>, um an <strong>den</strong> 20. <strong>Tod</strong>estagvon Cemal Altun zu erinnern.Dies gilt je<strong>den</strong>falls für die kirchlicheFlüchtlingsarbeit in Berlin. In dieserGemeinde fand im Frühjahr 1983 einHungerstreik für die FreilassungAltuns aus der Auslieferungshaft statt.Nach seinem tragischen <strong>Tod</strong> wurde erauf dem Friedhof der Gemeinde inMariendorf beigesetzt. Ein Trauerzugvon mehreren tausend Menschen bewegtesich damals von Kreuzberg bisdorthin.Wenige Wochen nach dem <strong>Tod</strong> Altunskam es infolge dieses Geschehenszum ersten Kirchenasyl in Berlin undbundesweit hier in Heilig-Kreuz. Dieswar der Anfang für die Entstehung deskirchlichen FlüchtlingshilfenetzwerksAsyl in der Kirche und damit der Kir-chenasylbewegung in Deutschland.13


Ich gestatte mir als Christ und Pfarrerhier und heute diese Ereignisse damalsauch theologisch zu deuten. AlsChristen glauben wir an die Auferstehungder Toten. Das bedeutet für uns<strong>den</strong> Glauben daran, dass das Lebenimmer wieder stärker als der <strong>Tod</strong> istund dass der <strong>Tod</strong> dadurch überwun<strong>den</strong>wer<strong>den</strong> kann, dass aus ihm, ausdem Leid, dem Schmerz, <strong>den</strong> er bereitet,eine neue Qualität des Lebens hervorgehenkann. Dies ist damals wohlgeschehen. Altuns <strong>Tod</strong> hat Menschenin Bewegung gebracht, die sich zumTeil bis heute für <strong>den</strong> Schutz vonFlüchtlingen einsetzen und <strong>den</strong>en esimmer wieder auch gelungen ist,Menschen vor Scha<strong>den</strong> und womöglichvor dem <strong>Tod</strong> zu bewahren.Auch wenn die Bilanz von 20 Jahrendeutscher Asylpolitik wohl eher negativausfällt, so soll auch das nicht inVergessenheit geraten, dass es indiesen 20 Jahren viele Beispiele vonmit menschlicher Anteilnahme und Hilfein Notsituationen gegeben hat, dienicht selten gegen die öffentlicheMeinung, gegen politische Verunglimpfungund auch Kriminalisierungsversuchedurchgehalten wer<strong>den</strong> mussten.dabei der Zustimmung der Mehrheitder Deutschen jeweils sicher seinkonnten.Auch wenn wir heute nur noch ein klei-ner Rest einer ehemals breiten Pro-testbewegung sind, so wer<strong>den</strong> wirnicht verstummen, wenn es darumgeht, menschenwürdige soziale undrechtliche Standards in der Asylpolitikeinzufordern.Ich danke <strong>den</strong>en, die in der heutigenVeranstaltung mitwirken: WolfgangWieland, ehemals Rechtsanwalt vonC. Altun, Veronika Arendt-Rojahn, diezur Rechtsproblematik von Auslieferungs-und Asylrecht sprechen wird,Klaus Uwe Benneter, Mitglied desdeutschen Bundestages, der ebenfallszu diesem Thema Stellung nehmenwird. Heiko Kauffmann, der für PROASYL Forderungen an die deutscheAsylpolitik formulieren wird. Für diemusikalische Begleitung sorgenHasan Kuzu, Sac und ReinhardHoffmann, Klavier.Für <strong>den</strong> Flüchtlingsrat Berlin begrüßtSie nun Traudl Vorbrodt.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.Es gibt heute nichts zu feiern. Der Blickgeht eher mit Beschämung und aucheiner gewissen Portion Zorn zurückauf politische Realitäten, die unterwechseln<strong>den</strong> Regierungskonstellationenstets nur zu einer Verschlechterungder Lebensbedingungen und derrechtlichen Absicherung von Flüchtlingenin Deutschland geführt haben.Es ist kein Ruhmesblatt deutscher Befindlichkeit,wenn sich Politiker/Politikerinnenaller politischen Parteien14


Traudl Vorbrodt(Flüchtlingsrat Berlin)Für <strong>den</strong> Flüchtlingsrat Berlin, der derälteste in Deutschland ist, danke ichIhnen allen, dass Sie heute zum Ge<strong>den</strong>kenan Cemal Altun gekommensind.<strong>Zuflucht</strong> <strong>gesucht</strong> - <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> gefun<strong>den</strong>steht über dem heutigen AbendMüsste es nicht (auch) heißen: weilihm der Schutz verweigert wurde, entschieder sich für <strong>den</strong> <strong>Tod</strong>?Cemals <strong>Tod</strong> war kein Unfall und auchkeine Kurzschlusstat. Er wusste, wasihm nach der Abschiebung in <strong>den</strong> Verfolgerstaatdroht und deshalb ent-schied er sich für <strong>den</strong> Freitod.Er wollte nicht mehr ausgeliefert sein.Er hatte das Vertrauen an uns, diedeutschen Gerichte und an die der Hu-manität und dem Gewissen verpflich-teten Politikern verloren.Er fand <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> nicht, nachdem er ihn<strong>gesucht</strong> hatte. Er entschied sich für<strong>den</strong> <strong>Tod</strong>.Schutzgewährung und Humanität lassensich weder durch finanzielle Zwänge,noch durch ausländerrechtlicheVorgaben oder durch parteipolitischenOpportunismus verbieten.Nicht Unmenschlichkeit sondern groß-herziger Schutz ist immer im Interesseder Bundesrepublik Deutschland.Dafür beharrlich einzutreten ist Würdigungder Entscheidung von CemalAltun aber auch Mahnung und Herausforderungan uns, nicht zu resignieren.All <strong>den</strong>en unter Ihnen, die glaubenAsyl- und Menschenrechtsarbeitbringt ja doch nichts, sage ich zumSchluss meiner Begrüßung:Sooft man etwas ändert, verliert manetwas. Man verliert Bequemlichkeit,bei <strong>den</strong>en man sich wohlfühlte, manverliert Vertrautes.Es ist aber ein großartiges und unvergesslichesErlebnis wenn man sich indas Unvertraute begibt.Und eben deshalb ist Cemal jetzt derStachel im Fleisch all derer, die sichraushalten oder der Meinung sind,dass die Gesetze eben so sind und einEinzelner oder auch Gruppen nichtsmachen können.Jeder und jede von uns kann sichfür <strong>den</strong> aktiven Widerspruch entschei<strong>den</strong>.Für die Mitglieder des Flüchtlingsratsund natürlich auch für mich, die ich zudessen Urgestein zähle, war ist undwird sein.16


Veronika Arendt-Rojahn(Rechtsanwältin)Aus <strong>den</strong> Worten meines KollegenWieland haben Sie entnehmen können- und vielen, die die Tragödie damalsmiterlebt haben, ist sie noch heu-te so in Erinnerung, als wäre es ges-tern gewesen - dass es nicht nur diedeutsche, sondern auch die internationaleÖffentlichkeit außeror<strong>den</strong>tlich beschäftigthat, wie das alles möglichsein konnte in einer Demokratie, in derRecht und Gesetz herrscht und in derdas Recht auf politisches Asyl sogarmit Verfassungsrang ausgestattet war.Der Fall Altun, seine außeror<strong>den</strong>tli-chen Begleitumstände und insbeson-dere das Nebeneinander von AsylundAuslieferungsverfahren habenseinerzeit außer der breiten Öffentlichkeitauch <strong>den</strong> Deutschen Bundestagund die in ihm vertretenen Parteien be-wegt, namentlich die Grünen und dieSPD, die damaligen Oppositionsparteien.Wenn dieser <strong>Tod</strong> einen Sinn gehabthaben sollte, dann <strong>den</strong>, so die allgemeineMeinung einer sensibilisiertenÖffentlichkeit, dass umgehend gesetzgeberischeMaßnahmen zum Schutzdes Asylrechts im Auslieferungsverfahrengetroffen wer<strong>den</strong> müssten.Warum?Zum damaligen Zeitpunkt galt Art. 3des Europäischen Auslieferungsübereinkommensvon 1957 (EAÜ), seitdem 1. Juli 1983 ersetzt durch das Gesetzüber die internationale Rechtshilfein Strafsachen (IRG). Dieses enthältin § 6 Abs. 2 eine konkrete Asylklausel,die sicherstellen soll, dass einpolitisch Verfolgter nicht ausgeliefertwer<strong>den</strong> darf. Wörtlich heißt es:“Die Auslieferung ist nicht zulässig,wenn ernstliche Gründe für die Annah-me bestehen, dass der Verfolgte imFall seiner Auslieferung wegen seinerRasse, seiner Religion, seiner Staats-angehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zueiner bestimmten sozialen Gruppeoder seiner politischen Anschauungverfolgt oder bestraft oder dass seineLage aus einem dieser Gründe er-schwert wer<strong>den</strong> würde”- eine im wesentlichen wörtliche Wiedergabeder Asyldefinition aus Art. 1 Ader Genfer Flüchtlingskonvention -Man sollte meinen, dass damit demSchutz des politisch Verfolgten hinreichendRechnung getragen war, zumalArt. 14 EAÜ bzw. § 11 des Gesetzesüber die internationale Rechtshilfe inStrafsachen einen sog. Spezialitäts-grundsatz festlegt, wonach der Ausgeliefertenur wegen der Tat verfolgt wer-<strong>den</strong> darf, deretwegen die Auslieferungbewilligt wurde.In der Tat hatte sich ja herausgestellt,dass die im Auslieferungsrecht an sichverankerten Schutzmechanismen, politischVerfolgte vor der Auslieferungan <strong>den</strong> Verfolgerstaat zu bewahren,versagt hatten.Indes: Die Prüfung, ob tatsächlicheine politische Verfolgung droht, ob-liegt nach der Systematik des Ausliefe-rungsgesetzes allein dem mit demAuslieferungsverfahren befasstenOberlandesgericht, also einem Strafgericht,welches schon von seiner Auf-17


gabenstellung her nicht unbedingt Mittäter eine Übersetzung anfertigenüber Erfahrungen bei der Beurteilung zu lassen, um sich wenigstens anhandpolitischer Verfolgungstatbestände im dessen ein eignes Bild von der Straf-Ausland verfügen, auch nicht über die verfolgungspraxis in der Türkei zu ma-Verlässlichkeit der Zusagen des die chen. Vielmehr genügte dem Kammer-Auslieferung begehren<strong>den</strong> Staaten gericht allein die Tatsache, dass diebei der Beachtung des Spezialitäts- türkischen Behör<strong>den</strong> die Einhaltunggrundsatzes.des Spezialitätsgrundsatzes, d.h. dieVerfolgung nur der Taten, für die dieDie Behörde, die an sich dazu berufen Auslieferung bewilligt wor<strong>den</strong> war, zuist,zu prüfen, ob eine politische Ver- gesichert hatten.folgung vorliegt und die über die entsprechen<strong>den</strong>Kompetenzen und Infor- Diese Entscheidung ist zu Recht auchmationen verfügt, diese schwierige von juristischer Seite heftig kritisiertFrage auch tatsächlich beurteilen zu wor<strong>den</strong>, zumal sie zu einer Zeit erging,können, das Bundesamt für die Aner- als das Bundesverfassungsgericht mitkennung ausländischer Flüchtlinge, Auslieferungsfällen betreffend diebleibt bei der Entscheidung im Auslie- Türkei bereits wiederholt befasst worferungsverfahrenaußen vor.<strong>den</strong> war und entschie<strong>den</strong> hatte, dass“nach <strong>den</strong> jüngsten Erfahrungen dieAusdrücklich formulierte sowohl das allgemeine Zusicherung der Spezialidamalige,als auch das heutige Asyl- tät allein nicht genüge, um derzeit imverfahrensrecht - heute § 4 AsylVerfG - Auslieferungsverkehr mit der Türkeidass das Auslieferungsverfahren von die Gefahr politischer Verfolgung hinderBindungswirkung der Entschei- reichend auszuschließen.”dungen des Bundesamtes für die Anerkennungausländischer Flüchtlinge Also eine bedauerliche - tragische -ausgenommen ist. Im Klartext: Selbst Einzelfallentscheidung inkompetentereine bestandskräftige positive Ent- Richter, die nicht geeignet ist, diescheidung bindet die Gerichte im Aus- grundsätzliche Systematik in Frage zulieferungsverfahren nicht.stellen? Wohl kaum. Sicher, die Bundesregierunghatte die letzte Entschei-Das Kammergericht hat das geradezu dung. In Anbetracht der von allen Seiwörtlichgenommen, weder bei dem ten, auch aus dem Ausland her vor-Bundesamt nachgefragt, noch sich gebrachten Be<strong>den</strong>ken hätte sie ohnevon der positiven Anerkennungsent- weiteres die Auslieferung verweigernscheidung beeinflussen lassen. Eine können.eigne ausreichende Prüfung nachasylrechtlichen Maßstäben oder gar Unter Berufung auf die Entscheiduneineeigne Sachverhaltsaufklärung gen des Kammergerichts und in Ablässtsich <strong>den</strong> Beschlüssen des Kam- sprache mit der Türkei hatte sie sichmergerichts nicht entnehmen. Ja es gleichwohl zur Auslieferung entschlossahsich noch nicht einmal dazu ver- sen. Die Gefahr, dass durch eineanlasst, von dem Strafurteil aus der Nichtbewilligung der Auslieferung dasTürkei betreffend einen vermeintlichen deutschtürkische Verhältnis belastet18


wer<strong>den</strong> könnte, wog schwerer als ein Der Bedarf für ein Handeln des Ge-Menschenleben.setzgebers besteht fort.Über das Spannungsverhältnis zwischenAsyl- und Auslieferungsrecht ist Zwar läßt sich erfreulicher Weise festdeshalbfolgerichtig zum damaligen stellen, dass die Sensibilität der für dasZeitpunkt eine große Kontroverse ent- Auslieferungsverfahren zuständigenbrannt. Vom Bundesjustizministerium Gerichte - zumindest was die Türkeiwurde unmittelbar nach dem <strong>Tod</strong> von anbelangt - durch <strong>den</strong> “Fall Altun” ge-Altun eine interministerielle Arbeits- schärft wor<strong>den</strong> ist. Der Auslieferungsgruppe“Auslieferung” eingesetzt. Die- verkehr mit der Türkei ist seither untersebrachte keine sachliche Änderung. brochen. Zuletzt hat das OLG Düssel-Die Gesetzentwürfe der SPD und der dorf mit Beschluß vom 27.05.2003 mitGrünen mit dem Ziel, die Verbindlich- bemerkenswerter Deutlichkeit diekeit der Asylentscheidung auch für das Auslieferung des als “Khalif von Köln”Auslieferungsverfahren herbeizufüh- bekannt gewor<strong>den</strong>en Führers des soren,verschwan<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Schubla<strong>den</strong> genannten “Khalifstaates” an dieder Gesetzgebungsausschüsse. Türkei untersagt. Das OLG stützt seineEntscheidung darauf, dass damitIch zitiere der Einfachheit halber nur zu rechnen sei, dass in der Türkeiaus dem Gesetzentwurf der Grünen, Aussagen von im Herbst 1998 festgedervorschlägt, dem § 6 Abs. 2 IRG fol- nommenen vermeintlichen Angehörigen<strong>den</strong>Absatz 3 anzufügen:gen des “Khalifstaates”, die durch Foltererpresst wor<strong>den</strong> sind, verwendet“Die Auslieferung ist nicht zulässig, wür<strong>den</strong>. Außerdem trage die Strafverwennder Verfolgte als Asylberechtig- folgung des Betroffenen durch dieter anerkannt ist. Bis zum rechtskräfti- Türkei <strong>den</strong> Charakter politischer VergenAbschluss des Asylverfahren ist folgung.die Entscheidung über die Auslieferungauszusetzen.”Es bleibt zu erinnern, welchen Aufschreibereits diese Entscheidung inDiese Formulierung entsprach übri- der Öffentlichkeit in <strong>den</strong> Augen vielergens, worauf die Grünen in der Be- Politiker, auch der SPD hervorgerufengründung auch hinweisen, der Anre- hat, erst recht dann die nach der Abgungdes damaligen Vertreters des erkennung des Asylrechts durch dasHohen Flüchtlingskommissars in Bundesamt die Entscheidung des Ver-Deutschland während der Beratungen waltungsgerichts Köln, mit der demdes Asylverfahrensgesetzes, welches Betroffenen Abschiebungshindernisse1982 in Kraft trat. gem. § 53 Abs. 4 AuslG zugebilligtDie genannten Parteien, die heute an wor<strong>den</strong> sind, weil ihm in der Türkei einder Macht sind, müssen sich die Frage menschenrechtswidriges Strafverfahgefallenlassen: Warum wurde die Ge- ren droht.setzesinitiative nicht umgesetzt, auchdann nicht, als die Mehrheitsverhältnissedie Verabschiedung ermöglichthätten?19


Die verstärkte Sensibilität der Strafgerichteim Umgang mit der Türkei bedeutetnicht, dass im Auslieferungsverfahreninsgesamt eine erhöhteSensibilität zu verzeichnen ist.Jüngste Beispiele:Der Fall des wegen des Verdachts deral-Quaida-Unterstützung gegenwärtigin Frankfurt/Main in Auslieferungshaftsitzen<strong>den</strong> jemenitischen ScheichsMoayad und seines Sekretärs, derenAuslieferung an die USA das OLGFrankfurt/Main zugestimmt hat, ohne<strong>den</strong> Gehalt der gegen sie erhobenenVorwürfe zu prüfen, allein auf die Zusicherungder USA hin, die bei<strong>den</strong>Jemeniten nicht vor ein Sonder- oderMilitärgericht zu stellen.Die Gefahr einer menschenrechtswidrigenBehandlung in <strong>den</strong> USA - sieheGuantanamo - wurde, soweit bisherbekannt, noch nicht einmal thematisiert.Man sieht:In einer Zeit, wo das Hauptaugenmerkder Bekämpfung des Terrorismus unddes islamischen Fundamentalismusgilt, gerät die Forderung nach Bewahrungdes Asylrechts und Einhaltungder Menschenrechte auch für politischeStraftäter und für <strong>den</strong> vom Vor-wurf der Unterstützung des Terroris-mus betroffenen Personenkreis mehrund mehr in <strong>den</strong> Hintergrund.In solchen die Demokratie verunsichern<strong>den</strong>Zeiten muß deshalb erstrecht gelten:Das Asylrecht muss Vorrang habenvor der Auslieferung. Soweit diesrechtlich bisher nicht vorgesehen ist,ist der Gesetzgeber gefragt, dies klar-zustellen.Der Fall des mutmaßlichen Mitgliedsder baskischen SeparatistenorganisationETA, Paulo Elkoro, 29 Jahre alt,dessen Auslieferung nach Spaniendas Oberlandesgericht Nürnberg unlängstbeschlossen hat mit der Begründung,dass es nach Unterlagender Vereinten Nationen zwar “in vereinzeltenFällen” oder “in mehr als vereinzeltenFällen” zu Folter und Misshandlungengekommen sei, in seinemFall aber keine konkreten Anhaltspunktefür die Gefahr der Folter durchdie spanischen Behör<strong>den</strong> bestün<strong>den</strong>.Elkoro sieht sich als politisch Verfolgtenund hat Asylantrag gestellt, über<strong>den</strong> noch nicht entschie<strong>den</strong> ist.20


Grabstein von Cemal Kemal AltunKirchhof der Dreifaltigkeitsgemeinde in Berlin-Mariendorf21


Heiko Kauffmann(PRO ASYL)“Die Würde des Menschen ist unantastbar.Sie zu achten und zu schützenist Verpflichtung aller staatlichen Ge-walt.” (Art. 1 (1) GG)“Jeder hat das Recht auf Leben undkörperliche Unversehrtheit. Die Frei-heit der Person ist unverletzlich.”(Art. 2 (2) GG)“Alle Menschen sind vor dem Gesetzgleich ... Niemand darf wegen seinesGeschlechts, seiner Abstammung,seiner Rasse, seiner Sprache, seinerHeimat und Herkunft, seines Glaubens,seiner religiösen oder politischenAnschauungen benachteiligtoder bevorzugt wer<strong>den</strong>.”(Art. 3 (1), (3) GG)Im Umgang mit Flüchtlingen und Min-derheiten in Deutschland wurde undwird unschwer erkennbar, dass imGrundgesetz festgeschriebeneGrundrechte und einige wesentliche,von der Bundesrepublik anerkannteund ratifizierte Menschen- und Völkerrechtsstandardsin vielen Fällen nichtgewährleistet bzw. nicht umgesetztwer<strong>den</strong>. Die Würde von Flüchtlingenist antastbar, ihre Freiheit verletzlichund ihre Gleichheit anfechtbar gewor-<strong>den</strong>. Cemal Kemal Altun wurde vor 20Jahren Opfer dieser Diskrepanz zwi-schen <strong>den</strong> von der Verfassung verheißenenRechten und der Realität ihrerInanspruchnahme, Opfer der zunehmen<strong>den</strong>Kluft zwischen Recht und Humanität.Trifft nicht auch heute im Fall vieler‚Abschiebehäftlinge', deren Angst vorAbschiebung i<strong>den</strong>tisch ist mit ihrerAngst vor Verfolgung, Folter und <strong>Tod</strong>,zu, was Peter Doebel am <strong>Tod</strong>estagvon Cemal Altun im ‚heute-Journal' inseinem Kommentar fragte: … Mussteer bei uns an dieser Angst sterben?Steht nicht im Grundgesetz: PolitischVerfolgte genießen Asyl? Steht danicht auch, dass hier jeder Mensch dieGerichte zu Hilfe rufen darf? Es stehtda. Aber wir müssen darüber nach<strong>den</strong>ken,warum Cemal Altun diesenGarantien unserer Verfassung nichtgetraut hat ... Nach<strong>den</strong>ken müssenGesetzgeber, Gerichte, Behör<strong>den</strong>. Siealle haben dazu beigetragen, dassklare menschliche Grundsätze un-seres Staates unter einer Fülle vonWenns und Abers, von Gesetzen undVerordnungen und undurchschauba-ren Urteilen bis zur Unkenntlichkeitverschüttet wer<strong>den</strong>.”Bis heute bleiben Fragen an die deutschePolitik:Was bleibt von der menschlichen Würde,wenn man Flüchtlinge wie CemalAltun, die ein Grundrecht in Anspruchnehmen, wie Schwerverbrecher gefesseltin Handschellen zur Verhand-lung im Widerspruchsverfahren führtoder wenn “Ausländer”, bis heute, vonPolitikern ungestraft und absichtsvollpauschal als “kriminell” und “illegal”herabgesetzt oder instrumentalisiertwer<strong>den</strong> können in jene, “die uns nützen”,und jene, “die uns ausnützen”(Beckstein)?Was bleibt von der unverletzlichenFreiheit, wenn man Flüchtlinge wieCemal Altun in über 13 Monaten Auslieferungshaftzermürbt oder wenn bisheute Flüchtlinge, die keine Straftatbegangen haben, bis zu 1 ½ Jahren inAbschiebegefängnissen - <strong>den</strong> dunkel-22


sten Orten unserer Demokratie - inVerzweiflung gestürzt wer<strong>den</strong>?die <strong>Tod</strong>esstrafe drohen, verletzt dieMenschenrechte.Was bleibt von <strong>den</strong> Verfassungsnor- Das galt vor 20 Jahren und das giltmen des Gleichheitsgrundsatzes, ei- auch noch heute. Seitdem hat sich fürnes fairen Verfahrens und des Diskri- Flüchtlinge nichts zum Besseren, aberminierungsverbots, wenn man - wie im vieles zum noch Schlechteren entwi-Fall von Cemal Altun - Militärdiktaturen ckelt. Dazu stichwortartig ein kurzerAkteneinsicht und Amtshilfe gewährt Rückblick:oder wenn man bis heute Flüchtlingein Zwangsvorführungen Botschafts- 1980 brannten die ersten Flüchtlingsangehörigenoder Vertretern von Un- heime in Deutschland; die Sinusstudierechtsregimen zum Verhör in quasi belegte 1981 bei 13 Prozent der wahl-“rechtsfreien Räumen” überlässt? berechtigten Bundesbürger ein “ideologischgeschlossenes rechtsextre-Was bleibt vom Bestreben unserer mistisches Weltbild”, über 6 ProzentVerfassungsväter und -mütter, mit der Wahlbevölkerung befürwortetendem Artikel 16, Recht auf Asyl - des al- rechtsextremistische Gewalttaten.ten, unversehrten Art. 16 - neue Maß- 1981/82 verbreitete sich das vonstäbe internationaler Humanität und rechtskonservativen Hochschulleheinermenschenrechtsorientierten rern verfasste “Heidelberger Manifest”Flüchtlingspolitik zu setzen - ange- in dem - in der Form eines wissensichtsder Maxime deutscher Flücht- schaftlich verkleideten Rassismus -lingspolitik, von Zimmermann über auf demagogische Weise Ausländer-Kanther bis hin zu Schily, Flüchtlinge feindlichkeit geschürt und eine Poabzuschrecken,ihnen <strong>den</strong> Zugang zu gromstimmung gegen Migrant/Innenverwehren oder sie so schnell wie und Flüchtlinge erzeugt wurde.möglich wieder los zu wer<strong>den</strong>, egal Gleichzeitig wuchs die Zahl vonwohin mit allen Mitteln um fast je<strong>den</strong> Anfeindungen, tätlichen Angriffen undPreis.einer systematischen Stimmungsmachegegen Migrant/Innen und Flücht-Wenn ein Staat, der in seiner Verfas- linge weiter an.sung ein kategorisches Nein zu Folter,<strong>Tod</strong>esstrafe und unmenschlicher Be- Verfassungsschutz und Politik warenhandlung sagt, bereit ist, wehrlose also durch diese Daten und Entwick-Menschen in seiner Obhut an Staaten lungen hinreichend vor der Gefahrauszuliefern, in <strong>den</strong>en ihre Unver- eines gewalttätigen Rechtsextremissehrtheitnicht gewährleistet ist, macht mus in Deutschland gewarnt. Dasser sich mitschuldig . Nicht nur der dies als wesentliche HerausforderungStaat, der foltert, verletzt die Men- der Politik (der sozial-liberalen Regieschenrechte.Auch der Staat, der be- rung) erkannt wurde, bewies der dareitist, wehrlose Menschen in Staaten malige Innenminister Gerhard Baumabzuschieben, in <strong>den</strong>en ihnen Haft, noch kurz vor dem Regierungswech-Folter, Verfolgung, unmenschliche sel am 19. August 1982, als er der Öfodererniedrigende Behandlung oder fentlichkeit eine umfassende Darstel-23


lung über <strong>den</strong> Zusammenhang zwischenRechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeitvorlegte und dazuerklärte: “Gerade in der Bundesrepublikist der Rechtsextremismus, dersich auf Ausländerfeindlichkeit konzentriert,mit höchster Sensibilität undAufmerksamkeit zu verfolgen. Schoneinmal in der jüngsten deutschen Geschichteist der Rassismus zum‚Staatsprinzip' erhoben wor<strong>den</strong>. AlleAnfänge eines neuen Rassismus müssenvon allen Demokraten mit Nachdruckbekämpft wer<strong>den</strong>.”Diese eindringliche Mahnung hinderteweder <strong>den</strong> neuen Bundeskanzler kurznach der Übernahme der Regierungsverantwortungim Oktober 1982, voneiner “zu großen Zahl von Türken” inDeutschland zu sprechen, die halbiertwer<strong>den</strong> müsste, noch seinen InnenministerFriedrich Zimmermann, dieStimmung weiter anzuheizen und diegenannten Gefahren und Tätlichkeitenzu verharmlosen und “herunterzure<strong>den</strong>”:“Wer leichtfertig von Ausländerfeindlichkeitspricht, redet Ausländerfeindlichkeitherbei” erklärte Zimmermannin Zirndorf.(DIE Welt, 14.12.1982)In seinem am 1. März 1983 vorgelegtenAusländerbericht ist <strong>den</strong>n auchmehr von illegal eingereisten, kriminellen,das soziale Netz missbrauchen<strong>den</strong>Ausländern die Rede als etwavom Ziel der Integration. Die amtlicheAusländerpolitik, Re<strong>den</strong> und Handelnder Regierungspolitiker, näherten sichvielmehr Forderungen aus dem ‚HeidelbergerManifest' immer mehr an,während die öffentliche Hetze, ausländerfeindlicheStraftaten und rassistischeAnschläge unvermindert anhal-ten; in gleichem Maße nahmen Angst,Verunsicherung und Verzweiflung beiMigrant/Innen und Flüchtlingen zu.Vor diesem Hintergrund sah sich diedamalige Beauftragte der Bundes-regierung, Liselotte Funcke, genötigt,am 2. Mai 1983 - also zu einem Zeit-punkt, als die Bundesregierung dieAuslieferung Cemal Altuns bereits bewilligthatte (21. Februar 1983) und amselben Tag, an dem die EuropäischeKommission für Menscherechte inStraßburg die gegen die Auslieferungerhobene Beschwerde zuließ - einenpolitischen ‚Brandbrief' an Bundes-kanzler Kohl zu richten, in dem eshieß:“Die Ausländerpolitik ist zu einembrennen<strong>den</strong> außen- und innenpoliti-schen Thema gewor<strong>den</strong>. In der deut-schen Bevölkerung wird die Erwartunggenährt, dass die Zahl der Ausländerfühlbar gesenkt wer<strong>den</strong> würde oderkönnte, im Ausland erzeugt die Dis-kussion um restriktive MaßnahmenBefürchtungen, Abwehr, Feindselig-keit und <strong>den</strong> Verdacht neuer nazisti-scher oder rassistischer Strömungen.In hohem Maße verunsichert aber sinddie hier leben<strong>den</strong> Ausländer durchausländerfeindliche Parolen und Ak-tionen einerseits, aber auch nichtweniger durch täglich neue Vorschlä-ge von Politikern, die eine Zurück-drängung, Begrenzung oder Abschie-bung zum Ziele haben. Es ist zu befürchtenund auch zu beobachten,dass extremistische Gruppen vonDeutschen und Ausländern versu-chen, diese Ängste und Unsicher-heiten politisch in ihrem Sinne zunutzen.”24


Was hier vor 20 Jahren kritisiert wurde, hinausgedrängt und ihnen die Anergiltim Prinzip auch heute: Das ganze kennung versagt.Elend und Unheil der deutschen ‚Ausländer-und Flüchtlingspolitik bestand Der von <strong>den</strong> Kirchen, von Menschenundbesteht darin, dass die Politik im- rechtsorganisationen und wiederholtmer wieder einschnei<strong>den</strong>de Maß- auch von internationalen Gremien -wienahmen gegen Rechtsradikalismus dem UN-Ausschuss zur Beseitigungund Gewalt ankündigt, diese ‚ein- der Rassendiskriminierung und derschnei<strong>den</strong><strong>den</strong> Maßnahmen' aber nicht Europäischen Kommission gegengegen die Täter und die Verursacher Rassismus und Intoleranz (ECRI) -von Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und Rassis- heftig kritisierte Umgang mit Flüchtmusrichtet, sondern Maßnahmen ge- lingen in Deutschland ist ein SpiegelgenMigrant/Innen und Flüchtlinge er- bild des politisch und gesellschaftlichgreift.transportierten und akzeptierten Rassismus.Die Politik hat es über zwei Jahrzehnteversäumt, ernsthaft die Ursachen von Strukturelle und institutionelle Un-Rassismus, Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und gleichheiten verletzen nicht nur dieGewalt zu bekämpfen. Der sog. Asyl- Menschenrechte der Flüchtlinge. Siekompromiss - die Grundgesetz-Än- sind auch der Nährbo<strong>den</strong> für Rassisderungvor 10 Jahren sollte vornehm- mus, Frem<strong>den</strong>feindlichkeit und rechtslichder “Eindämmung” rechter Gewalt extreme Gewalt. Wissenschaftlichedienen. Er bewirkte jedoch eine wei- Studien, aber auch gerade die historitere“Eindämmung” der Rechte von schen Erfahrungen aus dem dunkels-Flüchtlingen und eine Aushöhlung des ten Kapitel deutscher Geschichte - be-Flüchtlingsschutzes. Statt sich mit <strong>den</strong> legen <strong>den</strong> Zusammenhang zwischenUrsachen des Rassismus zu befassen staatlichem, institutionellem Rassisundsich offensiv mit ihm auseinander mus und dem alltäglichen Rassismuszu setzen, wur<strong>den</strong> weitere Maßnah- des Einzelnen.men gegen Flüchtlinge und Minderheitenergriffen, die gleichzeitig einen Nelson Mandela erklärte in seiner Ver-‚Wettlauf der Schäbigkeiten' auf euro- teidigungsrede vor Gericht, 1962:päischer Ebene eröffneten.“Im eigentlichen Wortsinn bedeutetGleichheit vor dem Gesetz das RechtDurch die 1993 in Kraft getretenen auf Beteiligung an der Erstellung derVerschärfungen im Asyl- und Lei- Gesetze, <strong>den</strong>en man unterworfen ist,stungsrecht, durch eine immer engere bedeutet eine Verfassung, die allenDefinition von politischer Verfolgung Gruppen der Bevölkerung demokratiundrestriktivere Auslegung von Ver- sche Rechte garantiert.”folgungstatbestän<strong>den</strong>, durch immer Cemal Kemal Altun hätte nicht sterbenhöhere inhaltliche und formale Hür<strong>den</strong> müssen, wenn diese Garantie demobezüglichder Asylerheblichkeit, durch kratischer Rechte Maßstab deutscherwirklichkeitsfremde Bewertungsmaß- Politik gewesen wäre.stäbe wur<strong>den</strong> immer mehr Flüchtlingeaus dem Schutzbereich des Asyls25


Die Garantie demokratischer Rechte, Diese Toten im Abschiebe-GewahrdieVerwirklichung humaner Lebens- sam oder aus Angst vor ihrer Abschiebedingungenfür alle Menschen als bung sind nicht nur Folge verschärfterMaßstab jeder Politik bedeutet kon- Asylgesetze durch die Vorgängerrekret:das Recht jedes Menschen, über- gierung; sie werfen vielmehr auch einhaupt Rechte zu haben und sie in An- grelles Licht auf die Kontinuität einerspruch nehmen zu können; das Recht Politik der Abwehr, Ausgrenzung undjedes Menschen, menschenwürdig le- Kriminalisierung von Flüchtlingen unbenzu können; das Recht zu arbeiten ter Rot-Grün. Die über 35 Toten seitwie ein Mensch; lernen zu können wie dem Regierungswechsel im Herbstein Mensch; zu wohnen wie ein Men- 1998 sind auch eine “Anklage” gegensch; sich frei bewegen zu können wie die rot-grünen Nachfolger, die sichein Mensch; wie jeder - hier oder dort - wider besseres Wissen und gegengeboren - Schwarz oder Weiß, Christ ihre eigenen Versprechungen, u.a. imoder Moslem, am gesellschaftlichen Koalitionsvertrag von 1998 - bisher zuLeben teilhaben zu können!keiner Korrektur an diesem zermürben<strong>den</strong>und tödlichen System der Ab-Der <strong>Tod</strong> von Cemal K. Altun wurde schiebungshaft und der Abschiebe-1983 von <strong>den</strong> verantwortlichen christ- praxis durchringen konnten.demokratischen Regierungspolitikern,von Kohl bis Zimmermann, als “bedau- Der <strong>Tod</strong> Cemal K. Altuns markierteerlicher Einzelfall” bezeichnet, aber er eine tiefe Besorgnis auslösende Entwarnur der erste von inzwischen weit wicklung des demokratischen Rechtsüber100 Flüchtlingen, die sich aus staats Bundesrepublik Deutschland.Angst und Verzweiflung vor ihrer Ab- Dies zeigt am Beispiel der Entwicklungschiebung in das gefürchtete Verfol- der Asylpolitik. Das rechtsstaatlichegerland selbst töteten. Sie alle hätten Bewusstsein, die I<strong>den</strong>tität der damalsnicht sterben dürfen und müssen, engagierten Anwälte, Menschenrechtwennrechtsstaatliche und menschen- ler und kirchlichen Aktivisten gründeterechtliche Grundsätze und Mensch- auf der Überzeugung, dass das Asyllichkeit<strong>den</strong> Umgang Deutschlands und Verfassungsrecht weitere restriktiundseiner Behör<strong>den</strong> gegenüber ve Einschnitte kaum mehr zulassenFlüchtlingen bestimmen wür<strong>den</strong> und würde. Sie forderten eine schnellenicht eine rechtlich abgesicherte, ‚de- Änderung der das Grundrecht auf Asylmokratisch' legitimierte Erniedrigung einschränken<strong>den</strong> bzw. behindern<strong>den</strong>von Menschen.Gesetze und eine Veränderung derBehandlung von Asylsuchen<strong>den</strong>Freiheitsentzug ohne Straftatbestand, durch die Behör<strong>den</strong>. Dass die gefordasgesamte gegenwärtige System derte Änderung des Grundrechts aufder Abschiebungshaft ist für einen sich Asyl sich in eine ganz andere Richtungals rechtsstaatliche Demokratie defi- - bis zu seiner völligen Demontage -nieren<strong>den</strong> Staat in jedem Fall wohl das entwickeln und die “Behandlung dereklatanteste und empörendste Bei- Flüchtlinge” zu ihrem weitgehen<strong>den</strong>spiel eines institutionellen staatlichen Ausschluss aus der GesellschaftRassismus in Deutschland.führen könnte, erschien 1983 selbst26


Christdemokraten noch unvorstellbar.Gleichzeitig skizziert diese Entwicklung- in der Folge zunehmender weltpolitischerund wirtschaftlicher Umbrüchein <strong>den</strong> 80er / Anfang der 90erJahre - das erfolgreiche Bemühen unddie Beharrlichkeit der restaurativenpolitischen Kräfte, mit ihrem Abschottungskonzepteiner “geistig-moralischenErneuerung” und der Ideologieder “Homogenisierung des deutschenVolkes” <strong>den</strong> aufgrund dieser neuenHerausforderungen vorgezeichnetenund einzig gangbaren - Weg in eine interkulturelledemokratische und sozialintegrativeGesellschaft mit gleichenChancen, Rechten und Perspektivenfür alle Bürgerinnen und Bürger zu verbauen.Der repressive Umgang mitFlüchtlingen und Asylrecht wurde zunehmendzum Seismographen für dasaufgela<strong>den</strong>e, ressentiment-behafteteKlima im Land.Er ging einher mit einer wachsen<strong>den</strong>Zahl rechtsextremistischer Gruppen,begleitet von immer zahlreicheren undheftigeren Angriffen auf Flüchtlingeund Minderheiten. In Dutzen<strong>den</strong> vonAsylrechtsänderungen seit Beginn der80er Jahre wurde das materielle Rechtunerbittlich eingeschränkt. Flüchtlingewur<strong>den</strong> “zu Objekten der Überwachungund Fürsorge” (Alfons Söllner).Dies, obwohl sich die Kirchen, Verbände,Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen,Gewerkschaften undJuristenvereinigungen in <strong>den</strong> vielenAnhörungen des Innenausschussesdes Dt. Bundestages, in Expertenrun<strong>den</strong>und öffentlichen Stellungnahmenmehrheitlich immer für <strong>den</strong> Erhaltdes Art. 16 GG, für eine Verbesserungdes Flüchtlingsschutzes und der Behandlungvon Flüchtlingen eingesetzthatten. In der Tat legen die Archive desDt. Bundestages beredtes Zeugnisvon der fachlichen, rechtlichen, politi-schen und moralischen Kompetenzund Überzeugungskraft der Mehrheitdieser Experten ab. Die politischenEntscheidungen folgten indessen inder Regel <strong>den</strong> reaktionärsten Minder-meinungen, was die Zweifel an dieserArt “parlamentarischer Inszenierungen”und an der Legitimität solcherEntscheidungen weiter verstärkte.Viele Vertreter/Innen dieser Gruppenhatten sich in der Folge <strong>den</strong> zivilen Gegenkräftenaußerhalb des Parlamentsin der Flüchtlings- und Menschen-rechtsarbeit angeschlossen. So gehtetwa die Gründung von “Asyl in derKirche” Berlin unmittelbar auf die Zu-sammenarbeit im Unterstützungskomiteefür die Freilassung Cemal Altunszurück. Und auch bundesweit setztennach dem <strong>Tod</strong> von Cemal Altun Bemühungenum weitreichende Vernet-zungen, Koordination und Zusammen-arbeit in der Flüchtlingsarbeit ein: vonad-hoc-Bündnissen wie zum 40. Jahrestagder Befreiung mit Anzeigen“Hände weg vom Asylrecht” (initiiertu.a. von amnesty international, derAWO und terre des hommes und un-terzeichnet von über 100 Persönlichkeiten,darunter der Abgeordnete OttoSchily), über die “Konferenzen derFreien Flüchtlingsstädte”, über regio-nale und landesweite Gründungen vonFlüchtlingsräten, bis zu regelmäßigenTreffen der in der Flüchtlingsarbeit täti-gen Verbände im Umfeld von UNHCRund ZDWF in Bonn.27


Nach diversen Anläufen in verschiede- über das neue Zuwanderungsgesetznen Richtungen mündeten diese Be- ergeben, könnten erste Schritte aufstrebungen schließlich in der Grün- dem Weg zu einer menschenrechtsdungder Bundesweiten Arbeitsge- orientierten Asyl- und Flüchtlingspolimeinschaftfür Flüchtlinge PRO ASYL tik sein (vgl. PRO ASYL “MindestanimSeptember 1986. Damit war ein forderungen an neues Asylrecht”,breites zivilgesellschaftliches Bündnis 1998).für <strong>den</strong> Erhalt des Art. 16 GG, gegendie beispiellose Instrumentalisierung Dazu gehören: Die Rückkehr zu <strong>den</strong>von Flüchtlingen, gegen <strong>den</strong> Miss- internationalen Standards des Flüchtbrauchsozialer Ängste, das Schüren lingsrechts, die uneingeschränkte GelvonVorurteilen, gegen Frem<strong>den</strong>feind- tung der Genfer Flüchtlingskonventionlichkeit und Rassismus geschmiedet. und der Europäischen Menschenrechtskonvention,die AnerkennungNach der Niederlage im Kampf um <strong>den</strong> nichtstaatlicher und geschlechtsspezi-Erhalt des Asylgrundrechts vom 26. fischer Verfolgungsgründe, die Umset-Mai 1993 intensivierte sich die Arbeit zung bin<strong>den</strong>der VölkerrechtsdokuvonPRO ASYL gegen die weitere Ein- mente - wie z.B. die UN-Kinderrechtsschränkungdes Asylrechts und des konvention und das Internationale Ab-Flüchtlingsschutzes auf nationaler wie kommen zur Beseitigung jeder Formauf europäischer Ebene, wo ein Wett- von Rassendiskriminierung. Weiterelauf zur Verhinderung von Fluchtbewe- Schutzanforderungen sind u.a.: Besgungenund um die Herabsetzung serer Schutz besonders gefährdeterasylrechtlicher Standards begonnen Flüchtlingsgruppen, eine Härtefall-Rehatte:Harmonisierung auf niedrigstem gelung im Ausländergesetz, eine “Alt-Niveau! Eine Asylpolitik, die nicht mehr fall-Regelung”, Mindeststandards imvom Geist der Abwehr, Ausgrenzung Asylverfahrensrecht, ersatzlose StreiundKriminalisierung schutzsuchender chung des sogenannten Flughafen-Menschen mit verheeren<strong>den</strong> Folgen verfahrens, die Abschaffung der gefürdie Entwicklung und die Zukunft genwärtigen Abschiebungspraxis undvon Rechtsstaatlichkeit, Demokratie die ersatzlose Streichung des AsylundMenschenrechten - getragen war, bewerberleistungsgesetzes.schien erst mit dem Regierungswechselzu Rot-Grün in Sicht zu kommen. Ohne in diesem Beitrag ausführlich aufdas neue Zuwanderungsgesetz einzu-Die zentralen Forderungen anlässlich gehen (vgl. dazu: PRO ASYL: “Vieldes Regierungswechsels 1998 von Schatten, wenig Licht”), ist im Ergeb-PRO ASYL, Menschenrechtsorga- nis doch festzuhalten, dass auch Rotnisationen,Kirchen, Gewerkschaften Grün - gewiss neben wichtigen VerundWohlfahrtsverbän<strong>den</strong> an die Bun- besserungen, z.B. bei der Anerkendesregierungund Rot-Grüen bleiben nung nichtstaatlicher und geschlechtsnachdem (vorläufigen) Scheitern des spezifischer Verfolgung oder bei derZuwanderungsgesetzes aktuell. Ihre Einführung einer ‚Härtefallregelung'Umsetzung, ergänzt um weitere For- - keine wirklich essentiellen, nachhaltiderungen,die sich aus der Debatte gen Schritte unternimmt, um dieses im28


esten (Wort-) Sinne “Zuwanderungs- republik Deutschland ihrem verfasbegrenzungsgesetz”vom Ruch eines sungsrechtlichen Gebot nicht mehr invorurteilsbestimmten, interessenge- vollem Umfang gerecht. Seitdem hatleiteten Sondergesetzes für unerwün- sich für Flüchtlinge in Deutschlandschte Personen zu befreien.nichts zum Besseren, aber vieles zumSchlechteren gewendet.Alle politischen Richtungen sprechenzurzeit von dem Ziel der “Integration”. Mit der allmählichen AusgliederungDie Regierungskoalition hat in ihrem von Flüchtlingen aus dem allgemeinenKoalitionsvertrag von 2002 sogar ein Recht, mit Dutzen<strong>den</strong> von Asylrechts-“Jahrzehnt der Integration” ausgeru- änderungen jeweils als “Reform” defen.Wenn dies wirklich ernst gemeint klariert seit Beginn der 80er Jahre, mitist, muss eine glaubwürdige Politik bei der Installierung neuer Sondergesetze<strong>den</strong> Menschen ansetzen, die sich fak- (Asylverfahrensgesetz, Asylbewertischseit vielen Jahren in Deutschland berleistungsgesetz), mit Sonder-Voraufhalten.Wir schlagen vor, dass Re- schriften, Sonder-Erlassen und Songierungund Opposition gemeinsam der-Richtlinien wur<strong>den</strong> und wer<strong>den</strong>die Chance ergreifen, nach dem Flüchtlinge in Deutschland einer “fak-Scheitern des Zuwanderungsgeset- tischen Sonderbehandlung mit räumzesdie Neufassung mit einer Bleibe- licher Abtrennung aus der Gesellrechtsregelungzu versehen oder sie schaft unterworfen” (Sigrid Töpfer inunabhängig davon zu beschließen. Jäger/Kauffmann: “Leben unter Vorbe-Hier besteht dringendster politischer halt”). Sonderbehandlung:Handlungsbedarf für ein menschen- Unterbringung, “Resi<strong>den</strong>z”pflicht, einwürdiges,gleichberechtigtes Leben geschränkte Versorgung, medizinivonHunderttausen<strong>den</strong> Menschen in sche Ausgrenzung, Lager, Kontrolle,Deutschland. Dieses Recht auf Bleibe- Überwachung, Abschiebung. Verrecht,wie es von einem breiten Bünd- stöße führen zur Kriminalisierung undnis aus Kirchen, Gewerkschaften, Illegalisierung von Betroffenen, zuWohlfahrtsverbän<strong>den</strong>, Menschen- Abschiebungshaft, Zwangsvorführechtsorganisationenund Betroffenen rungen bis hin zu Auslieferung oderin einer bundesweiten Kampagne ge- Abschiebung. Längst arbeitet dertragen wird, ist der aktuelle Prüfstein “Rechtsstaat” mit dem Verfolgerstaatfür die deutsche Flüchtlingspolitik zusammen, erkundet Fluchtrouten,2003, endlich Lehren zu ziehen und schließt “Rückübernahme-Abkom<strong>den</strong>politischen Willen zu bekun<strong>den</strong>, men”, führt Flüchtlinge in einemsie wieder auf einen menschenrecht- fortschreiten<strong>den</strong> Prozess der Segrelichund grundgesetzlich geforderten gation in immer extremere Räume derWeg im Sinne von Art. 1,2 und 3 des Gesellschaft bis hin zur ‚externen',Grundgesetzes zu führen (vgl. PRO geographischen Segregation militä-ASYL “Hier geblieben! Recht auf Blei- risch bewachter Flüchtlingslager imberecht.”).Niemandsland zwischen Krieg undFrie<strong>den</strong>.Schon zu Lebzeiten Cemal K. Altunswurde die Asylpraxis in der Bundes-29


“Regionalisierung” des Flüchtlingspro- sismus von der deutschen Politik sysblemsmit militärischen Mitteln, von tematisch ausgeblendet, ja geradezuInnenministern abgestimmte Aktions- tabuisiert wird?pläne zur Verhinderung der Aufnahmevon Flüchtlingen, eine systematisch Nach dem 3. Jahrestag des “AufgegenFluchtbewegungen und Flücht- stands der Anständigen” - vomlinge abgestimmte Militär- und Sicher- Bundeskanzler und von <strong>den</strong> Medienheitspolitik, “heimatnahe” Unterbrin- nach Anschlägen auf jüdische Flüchtgungin Lagern (Blair-Konzept). Militä- linge im Sommer 2000 aufwändig inrischgesicherte exterritoriale Lager szeniert - zieht Frank Jansen dasder Armut, Ausgrenzung, Recht- und bittere Fazit: “Der Aufstand gegen <strong>den</strong>Gesetzlosigkeit einerseits, Festungen Anstand geht weiter mit unverminderdesWohlstands und der “Rechtsstaat- ter Brutalität. Vom Aufstand der Anlichkeit”andererseits: Droht dies zum ständigen hingegen ist fast nichtsNormalfall, zur Realität des Flüchtlings mehr zu spüren. In Medien und Politikim 21. Jahrhundert zu wer<strong>den</strong>?wer<strong>den</strong> rechte Gewalt und rassistischeSchikanen meist nur noch alsPolitische ‚Stigmatisierungen' von Randphänomen behandelt. Seit demMinderheiten haben schon immer <strong>den</strong> 11. September erscheinen sie nochVolkszorn angestachelt. Sie signalisie- kleiner ... Die Bundesrepublik ist offenrendem Normalbürger, insbesondere kundig wieder da, wo sie vor dem<strong>den</strong> Verlierern gesellschaftlicher Dere- Sommer 2000 war in einem Zustandgulierungsprozesse: “Diese Men- des Wegsehens, der Gleichgültigkeitschen sind hier unerwünscht; sie ge- und der Gewöhnung an <strong>den</strong> täglichenhören nicht dazu!” Von diesem Be- Angriff auf Menschenrechte im eigewusstseinbis zur Tätlichkeit ist oft kein nen Land.”weiter Schritt!(Frank Jansen, “Aufstand gegen <strong>den</strong>Anstand”, Leitartikel in: “Der Tages-So wichtig es war und ist, dass die spiegel”vom 6.8.2003)Bundesregierung gegen einen in derÖffentlichkeit militant und gewalttätig Ein vernichtendes Urteil über die Defiauftreten<strong>den</strong>Rassismus mobil macht, zite und das Scheitern der Flüchtlingssomuss nach 5 Jahren Rot-Grün, an- und Menschenrechtspolitik der rotgesichtseiner unverändert hohen Zahl grünen Regierung, die ja gerade in Beinder Öffentlichkeit kaum noch beach- rufung und aus der Betonung einerteter rechtsextremistischer Straftaten größeren Beachtung der Menschenkritischhinterfragt wer<strong>den</strong>, ob das von rechte ihre Legitimation beziehen wollihrins Leben gerufene “Bündnis für te.Demokratie”, ob Projektförderungenund Auszeichnungen mit Feiertagsre- Der notwendige offene gesellschaftli<strong>den</strong>am Verfassungstag, ob Appelle che Diskurs im Zusammenhang mitdes Innenministers zur Wachsamkeit der Einwanderungsdebatte und derund Zivilcourage Einzelner nicht bei allseits geforderte Paradigmenwechweitemzu kurz greifen, weil und inso- sel sind nicht eingetreten.fern der staatliche, institutionelle Ras-30


Sie wur<strong>den</strong> durch die restriktiven Ent- konstruktionen nach dem 11. Sept.würfe Schilys, der dieser Debatte 2001, Vortrag bei der Jahrestagungschnell <strong>den</strong> Deckel überstülpte, aktiv der “Deutschen Vereinigung für politiverhindert.Allenfalls wurde der unheil- sche Bildung”, 7.3.03 Braunschweig,volle deutschnationale Geist Kanthers unveröffentlichtes Manuskript).und dessen Ziel der “Homogenität des Siegfried Jäger zieht das Fazit:dt. Volkes” durch ein ökonomistisch “Rassismus ist zwar im öffentlichenbestimmtes, neoliberales Menschen- Diskurs und im Alltag zurückgedrängtbild ersetzt: “würdig” ist, was “nützlich” wor<strong>den</strong>; dafür hat er sich aber in derist.Mitte der Gesellschaft fortsetzen können.Wir können davon ausgehen,Von einem Innenminister, der glaubt, dass ein institutioneller Rassismus ge-Rassismus und Rechtsextremismus stärkt wor<strong>den</strong> ist und durch das neueallein durch die Zivilcourage der Bür- Einwanderungsgesetz vertieft wird.”ger/Innen eindämmen zu können, ist (ebenda)zumindest selbst soviel an eigenerCourage zu erwarten, dass er - als In- Kaum unverschlüsselt übt <strong>den</strong>n auchnenminister - wenigstens das hält, was das Deutsche Institut für Menschenerals oppositioneller Abgeordneter rechte bei der Vorstellung seiner Endeversprochen hatte: “... Abschiebungs- Juli 2003 veröffentlichten Studie “Dishaftmuss rechtsstaatlichen und hu- kriminierung und Rassismus” deutlimanitärenGrundsetzen genügen. che Kritik an der Politik der Bundesre-Leider entspricht die gängige Abschie- gierung: Es fehle in Deutschland “anbepraxis diesen Anforderungen allzu der Entschlossenheit bei der umfashäufignicht. Das müssen wir ändern. sen<strong>den</strong> Bekämpfung des Übels; esNicht zuletzt mahnen uns die tragi- fehlten korrigierende Eingriffe desschen <strong>Tod</strong>esfälle in der Abschiebehaft, Staates und es fehle an der BereitdieAbschiebepraxis zu überprüfen. schaft des Gesetzgebers, auf diesemDie Menschenrechte sind unteilbar, Gebiet seine Hausaufgaben zu maauchbei uns zuhause.”chen.”(Schily in “Die Woche”, 24.3.95) (FR, 1.8.2003)Schily selbst weiß also um <strong>den</strong> Skandalder von ihm zu verantworten<strong>den</strong>Politik. Zwar ist es ihm gelungen, dasThema ‚Rassismus' aus dem öffentlichenDiskurs und im Alltag mehr undmehr zu verdrängen - allerdings um<strong>den</strong> Preis eines Gesetzes, “das Zuwanderungso sehr begrenzt, wie essich rechtskonservative und rechtsextremeKreise nur wünschen könnten ...Dies geschah jedoch zu Lasten demokratischerEinwanderungspolitik.”(Siegfried Jäger, Mediale Feindbild-Auch die vom Europarat eingesetzteEuropäische Kommission gegen Rassismusund Intoleranz (ECRI) hatteder Bundesregierung schon im Juli2001 - gegen <strong>den</strong> wüten<strong>den</strong> Protestvon Innenminister Schily - bescheinigt,“dass Themen wie Rassismus, Antise-mitismus, Frem<strong>den</strong>hass und Intole-ranz erst als solche erkannt und be-kämpft wer<strong>den</strong> müssen.”31


Die harsche Kritik des Innenministersund sein (peinlicher) Versuch der Zurückweisungdieses Berichts belegennicht nur, dass hier der wunde Punktder regierungsamtlichen AusländerundFlüchtlingspolitik getroffen wurde.Er unterstreicht die Zweifel und die berechtigteKritik von MenschenrechtsundUN-Organisationen, wenn esetwa heißt: “Der bevorstehende Gesetzesrahmenund die politischenMaßnahmen haben sich als unzureichendbei der wirksamen Bekämpfungdieser Probleme erwiesen. Besondersbesorgniserregend sind die Situationvon und die Einstellung gegenüber <strong>den</strong>en,die als “Ausländer” betrachtetwer<strong>den</strong>, die unzureichen<strong>den</strong> Maßnahmenfür die Integration und die fehlendeAnerkennung, dass die deutscheI<strong>den</strong>tität mit anderen I<strong>den</strong>titätsformenals <strong>den</strong> traditionellen einhergehenkann.”(zit. nach Berichten der SüddeutschenZeitung, FR, TAZ, DIE WELT, FAZ,Rhein. Post vom 9. Juli 2001)fachen und klaren Worten aus, als sie(sinngemäß) sagte: “Wer die Lehreaus dem Holocaust beherzigen will,muss heute Gesetzen und einer Politikmisstrauen, welche Menschen nachEigenschaften, Herkunft oder Religionmit dem Ziel ihrer Herabsetzung, Be-einträchtigung, Kränkung oder Ent-würdigung unterscheidet.” Sie hat sichbis zu ihrem <strong>Tod</strong> für das An<strong>den</strong>ken unddas Vermächtnis Cemal Altuns eingesetzt.Und Hermann Langbein, Auschwitz-Überlebender und Chronist des Wider-standes in <strong>den</strong> Konzentrationslagern,erklärte kurz vor seinem <strong>Tod</strong>: “Ja, niewieder Auschwitz, aber das ist keineSache von salbungsvollen Re<strong>den</strong>. DieRassenideologie ist wieder auf demVormarsch, in Deutschland, in Öster-reich; die Menschen wer<strong>den</strong> wiedereingeteilt. Die Lehre von Auschwitz ist:die Menschen nie mehr einteilen. Und:die Verantwortung für sein eigenesHandeln erhalten.”Deshalb müssen wir heute erkennen,dass auch die Demokratie, der freiheit-lich-demokratische Rechtsstaat brü-chig wird, wenn Schutz und Hilfe su-chende Menschen das, was ihnen inDeutschland nach der Flucht wider-fährt, als unerwartete Fortsetzung erlebterSchikanen und Verletzungen imHerkunftsland erfahren müssen. EineDemokratie wird brüchig, wenn einempolitischen Flüchtling sein <strong>Tod</strong> in diesemfreiheitlich-demokratischenRechtsstaat ihm als letzter und einzigerWeg in die Freiheit erscheint.Lehrt nicht gerade auch die unheilvolleSeite der deutschen Geschichte, dassjeder Terror im Kleinen anfängt? Dass,was heute nur nach Schikane und Benachteiligungaussieht, morgen schongezielte Ausgrenzung und systematischeDiskriminierung sein kann?Dass, wo heute “nur” Vorurteile geschürtund Wählerstimmen mobilisiertwer<strong>den</strong>, morgen schon der “Volkszorn”zuschlagen kann?Alisa Fuss, die verstorbene ehemaligePräsi<strong>den</strong>tin der Internationalen Ligafür Menschenrechte, Berlin, die <strong>den</strong>Holocaust überlebte, weil sie Deutschlandals Kind verlassen konnte, drücktedies einmal in eindringlichen, ein-32


Der <strong>Tod</strong> Cemals war ein “Zeichen ander Wand”, ein letztes verzweifeltesZeichen an die Politik innezuhaltenund umzukehren. Die Verantwortlichenhaben dieses Zeichen nicht verstan<strong>den</strong>und keine Lehren aus seinem<strong>Tod</strong> gezogen. Die verhängnisvolle institutionelleMaßnahmepolitik gegenFlüchtlinge nahm ihren unheilvollenLauf. Die deutsche Asylpolitik ist fürviele Flüchtlinge zum Inbegriff eineramtlich legitimierten Herabsetzungund “Entwürdigung” von Menschengewor<strong>den</strong> - Ausdruck einer demokratischabgesicherten, rechtlich verbrämtenMenschenverachtung.Der Kampf gegen Rassismus, derSchutz der Menschenwürde beginntbei <strong>den</strong> Rahmenbedingungen, bei <strong>den</strong>politischen und rechtlichen Vorgabenfür bzw. gegen Flüchtlinge und Minder-heiten und Migrant/Innen in diesemLand. Erst die Defizite und Mängel indiesem Bereich, das Wegsehen, Verdrängenund Bagatellisieren der Politikermutigen rechtsextremistische Täterund geben ihnen das Gefühl, in Über-einstimmung mit einem Mehrheitskon-sens zu handeln. Um die Schutzlosig-keit und Rechtlosigkeit der Flüchtlingezu überwin<strong>den</strong>, ist die Politik deshalbgefordert, durch gesetzgeberischeMaßnahmen sicherzustellen, dass sieniemals mehr als Menschen zweiterKlasse behandelt wer<strong>den</strong> können.“Die Ignoranz der Justiz und derOpportunismus der BundesrepublikDeutschland waren stärker als seinDurchhaltevermögen und unser Enga-gement” hieß es in der Traueranzeigefür Cemal Kemal Altun. Im Ge<strong>den</strong>kenan Cemal Altun und Hunderte vonFlüchtlingen, welche in DeutschlandFreiheit und <strong>Zuflucht</strong> suchten und <strong>den</strong><strong>Tod</strong> gefun<strong>den</strong> haben, erklären wir: Wirwer<strong>den</strong> mit aller Entschie<strong>den</strong>heit ge-gen <strong>den</strong> rassistischen Bazillus in Poli-tik und Gesellschaft kämpfen und nie-mals mehr zulassen, dass sich dieIgnoranz von Politik und Justiz und derOpportunismus der politisch Verant-wortlichen gegen die Menschenwürdeund die Menschenrechte durchsetzenkönnen!Das ganze gegenwärtige System derAbschiebungshaft und der Abschiebepraxis,Freiheitsentzug ohne Straftatbestand,Strafe ohne Rechtsgrundund ohne Rechtsschutz ist in einer freiheitlich-rechtsstaatlichenDemokratiedas eklatanteste Beispiel eines institutionellenstaatlichen Rassismus.Deshalb ist es an der Zeit, dass dieZivilgesellschaft bewusster, hellhöriger,sensibler, wachsamer und widerständigerwird, wenn mit <strong>den</strong> Mittelndes Rechts oder durch rassistisch geprägteSondergesetze die systematischeAusgrenzung von Menschen betriebenwird.Cemal Altuns <strong>Tod</strong> mahnt uns noch entschie<strong>den</strong>erund offensiver die Strukturenund Mechanismen von Ausgrenzungs-und Diskriminierungsstrategienanzuprangern und zu bekämpfen,auch wenn sie von der Politik verschleiert,geleugnet und mit dem Hinweisauf Mehrheitsentscheidungenauch noch gerechtfertigt wer<strong>den</strong>.33


PressemitteilungAus Anlass des bundesweiten Aktionstagesgegen die Abschiebehaftam 30. August 2003 stellen dieInternationale Liga für Menschen-rechte und der Flüchtlingsrat Berlinfest, dass die im Artikel 1 des Grundgesetzespostulierte Würde des Menschenfür Flüchtlinge in unserem Landkeine Wirkung entfaltet. Die Men-schenwürde von Asylbewerbern,Kriegsflüchtlingen oder illegalisiertenMenschen wird nach wie vor in unseremLand verletzt.Die Abschiebehaft ist oft die letzteStation für Menschen ohne Papiere.Aus Sicht der Internationalen Liga fürMenschenrechte und des Flüchtlings-rates Berlin stellt sie eine unverhält-nismäßige Grundrechtseinschränkungdar. Die Betroffenen sitzen nichtwegen einer Straftat hinter Gittern,sondern lediglich zur ”Sicherstellungder Abschiebung.” Beide Organisa-tionen setzen sich daher langfristig fürdie Abschaffung der Abschiebehaftein.Die Inhaftierten geraten im Abschiebe-gewahrsam in eine psychisch stark belastendeund oft auswegslose Lage.Die Hungerstreiks und die Zahl derSelbstverletzungen bzw. Suizidversu-che im Berliner AbschiebegewahrsamAnfang diesen Jahres sind dafür einerschreckender Beleg. Im Zusammenhangmit der Furcht vor der Abschie-bung in eine ungewisse und als bedrohlichwahrgenommene Situationsind in <strong>den</strong> letzten 10 Jahren in Berlinacht Menschen zu <strong>Tod</strong>e gekommen.Die Internationale Liga für Menschenrechteund der Flüchtlingsrat Berlinerinnern an Cemal K. Altun, einenAsylbewerber aus der Türkei, der vorzwanzig Jahren dem großen psychi-schen Druck im Auslieferungsverfahrennicht mehr Stand halten konnteund sich mit einem Sprung aus demFenster des Verwaltungsgerichtes dasLeben nahm.Sein Name steht für die 111 Menschen,die sich seit 1993 aus Angst vorder drohen<strong>den</strong> Abschiebung tötetenoder bei dem Versuch starben, sich1der Abschiebung zu entziehen.Seit der Grundgesetzänderung vor10 Jahren, dem sogenannten Asylkompromiss,ist keine Wende in derAbschottungspolitik der Bundesregierunggegenüber <strong>den</strong> Menschen zuspüren, die aus unterschiedlichenGrün<strong>den</strong> bei uns <strong>Zuflucht</strong> suchen wol-len. Im Gegenteil, mit <strong>den</strong> in Kraft ge-setzten Anti-Terror-Paketen wur<strong>den</strong>die “Maschen im Grenzzaun” noch engergeflochten.Wer die menschenverachten<strong>den</strong> Prak-tiken von Schleusern bekämpfen will,muss die Fluchtwege nach Europa offenhalten, wer neue Maßstäbe bei derIntegration von Migranten setzen will,darf nicht weiter eine ganze gesellschaftlicheGruppe einer diskriminieren<strong>den</strong>Gesetzgebung aussetzen.Im Ge<strong>den</strong>ken an Cemal K. Altun erklärenwir, dass wir von der Bundesregierungernsthafte Schritte erwarten,die Bausteine eines staatlichen Ras-sismus gegenüber Flüchtlingenund Migranten aus dem Weg zuräumen.34


Der viel beschworene Paradigmen- siert wer<strong>den</strong>. (12.00 - 13.00 Uhr Strawechselin der Einwanderungspolitik ßentheater/Aktionen zwischen Zoobleibt ansonsten unglaubwürdig. Ein und Breitscheidplatz, 13.30 KundersterSchritt wäre die Umsetzung der gebung auf dem Breitscheidplatz,bereits in der ersten Koalitionsverein- 20.30 Uhr Filme gegen Abschiebungbarung der rot-grünen Bundesregie- vor dem Gewahrsam in Berlinrungzugesagten Überprüfung der Grünau).Praxis der Abschiebehaft im Lichte derVerhältnismäßigkeit.Gemeinsam mit Asyl in der KircheBerlin e.V. und PRO ASYL la<strong>den</strong> dieSo sollte bis zur Abschaffung der Ab- Internationale Liga für Menschenschiebehaftauf die Inhaftierung von rechte und der Flüchtlingsrat Berlin zubesonders schutzbedürftigen Perso- einer Veranstaltung am 31. Augustnen - wie Minderjährigen - verzichtet 2003 um 19.00 Uhr in die Heiligwer<strong>den</strong>.In dieser Hinsicht sind die bis- Kreuz-Kirche (Zossener Strasse 65,her auf Berliner Ebene erfolgten Ver- U-Bhf. Hallesches Tor) ein:änderungen als unzureichend zu bezeichnen.“<strong>Zuflucht</strong> <strong>gesucht</strong>– <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> gefun<strong>den</strong> –Fragen an die deutscheAm 30. August um 11 Uhr wer<strong>den</strong> die Flüchtlingspolitik zum 20.Internationale Liga für Menschen- <strong>Tod</strong>estag von Cemal K. Altun”.rechte und der Flüchtlingsrat Berlinvor dem Denkmal in der Har<strong>den</strong>berg-Flüchtlingsrat Berlinstraße an Cemal K. Altun erinnern.Internationale Liga fürEs sprechen:MenschenrechteRA Dr. Rolf Gössner,Präsi<strong>den</strong>t der Internationalen Liga fürMenschenrechteundHeiko Kauffmann,PRO ASYLBerlin, 28. August 2003Die Internationale Liga für Menschenrechteund der Flüchtlingsrat Berlinunterstützen die weiteren am bundesweitenAktionstag gegen die Abschiebehaftstattfin<strong>den</strong><strong>den</strong> Veranstaltun-gen, die in Berlin u.a. von Seiten derAntirassistischen Initiative und derInitiative gegen Abschiebehaft organi-1 Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichenFolgen 1993–2002, Hrsg.: AntirassistischeInitiative e.V., Yorckstrasse 59, 10965 Berlin,Januar 200335


Internationalefür MenschenrechteDie Internationale Liga fürMenschenrechte arbeitet auf derGrundlage der Allgemeinen Erklärungder Menschenrechte von 1948, derEuropäischen Menschenrechtskon-vention von 1950 und <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> UN-Pakten von 1966. Sie betrachtet dieMenschenrechte als universell undunteilbar. Ihr Menschenrechtsbegriffumfasst gleichberechtigt die bürger-lich-politischen, sozialen, wirtschaftli-chen und kulturellen Schutz- und Teilhaberechte- unabhängig von Her-kunft, Geschlecht, Hautfarbe, Religionoder politischer Überzeugung.Als Nicht-Regierungsorganisationhandelt die Internationale Liga fürMenschenrechte unabhängig vonstaatlichen und nichtstaatlichen Insti-tutionen. Ihre vorrangige Aufgabesieht die Liga darin, eine kritische Öf-fentlichkeit herzustellen und Druck aufRegierungen und Entscheidungsträgerzu erzeugen. Sie wendet sich gegendie Rücknahme rechtsstaatlicherErrungenschaften im Straf- und Poli-zeirecht, fordert die Wiederherstellungdes uneingeschränkten Grundrechtsauf Asyl und <strong>den</strong> Erlass eines Antidiskriminierungsgesetzes.Sie betrachtet<strong>den</strong> Kampf gegen Rechtsextremismusnicht allein als Aufgabe von Polizei undJustiz, sondern als eine gesamtgesellschaftliche.Seit 1962 verleiht die InternationaleLiga für Menschenrechte jährlich dieCarl-von-Ossietzky-Medaille an Personenund Gruppen, die sich um dieVerteidigung der Menschenrechte unddes Frie<strong>den</strong>s besonders verdient gemachthaben.„Asyl in der Kirche“ e.V. Berlin ist Teildes bundesweiten Kirchenasylnetzwerkes.Der Verein ist aus der ÖkumenischenFlüchtlingsarbeit, die in Berlin 1983begonnen hat, hervorgegangen.Die Notwendigkeit, Flüchtlinge durchvorübergehende Aufnahme in Kirchengemein<strong>den</strong>zu schützen, falls siedurch drohende Abschiebung an Leibund Leben gefährdet sind, war Anlassder Vereinsgründung.Die Mitglieder des Vereins sind Kirchengemein<strong>den</strong>und andere - meistkirchliche - Organisationen sowie engagierteEinzelpersonen.„Asyl in der Kirche“ e.V. Berlin unterhältin der Heilig-Kreuz-Kirche eineFlüchtlingsberatungsstelle, die hilfesuchendeFlüchtlinge in rechtlichenFragen ihres Aufenthalts und bei sozialenProblemen unentgeltlich berät.Darüber hinaus steht „Asyl in derKirche“ Kirchengemein<strong>den</strong> bei allenFragen der Flüchtlingshilfe und desFlüchtlingsschutzes bis hin zum Kirchenasylzur Verfügung.36


PRO ASYLFörderverein PRO ASYL e.V.Im Flüchtlingsrat Berlin arbeiten seit PRO ASYL besteht seit 1986 als un-1981 Organisationen, Beratungsstel- abhängige Menschenrechtsorgalen,Flüchtlingsselbsthilfegruppen, Ini- nisation, in der Vertreterinnen undtiativen und Einzelpersonen. Sie set- Vertreter aus Kirchen, Gewerkschafzensich für die Verbesserung der Le- ten, landesweiten Flüchtlingsrätenbensbedingungen von Flüchtlingen und Wohlfahrtsorganisationen zusamunddie Wahrung ihrer Menschen- menarbeiten.würde ein. Die Verteidigung des indivi- PRO ASYLduellen Anspruchs auf Asyl, der Abbau - setzt sich in der Öffentlichkeit fürstaatlicher Diskriminierungen und die Flüchtlinge ein;Stärkung antirassistischer Arbeit sind - informiert über Entwicklungen, Hindabeiwesentliche Ziele.tergründe und Auswirkungen derDer Flüchtlingsrat setzt sich mit dem bundesdeutschen und europäischenBerliner Senat, mit Behör<strong>den</strong>, Verbän- Asylpolitik;<strong>den</strong>, Parteien und Politikern auseinan- - unterstützt beispielhafte Prozesseder, um die Rechte von Flüchtlingen zu und Musterklagen, um Flüchtlingenverteidigen. Auch öffentliche Appelle, zu ihrem Recht zu verhelfen;Aktionen und Veranstaltungen zu ak- - initiiert bundesweite Kampagnen, umtuellen flüchtlingspolitischen Entwick- auf Ungerechtigkeiten, Missständelungen dienen diesem Ziel.und politische FehlentwicklungenEr vertritt die Berliner Flüchtlingsarbeit aufmerksam zu machen:nach außen und ist Ansprechpartner - fördert regionale Zusammenfürdie Öffentlichkeit und die Medien. schlüsse von Flüchtlingsräten undSeine Mitglieder arbeiten in vielen arbeitet mit Flüchtlingsinitiativenwichtigen öffentlichen Gremien und zusammen.Organisationen mit. Durch die regelmäßigeVersendung eines Rundbriefs Neben dem bundesweiten Engagewirdein großer Interessentenkreis in ment ist die internationale Dimensionund außerhalb Berlins informiert. von Menschenrechtsfragen und Asyl-Der Flüchtlingsrat Berlin ist Mitglied in politik im Blick des Engagements fürder bundesweiten Arbeitsgemein- Flüchtlinge und Asylsuchende.schaft PRO ASYL. Er arbeitet eng mit PRO ASYL wird durch <strong>den</strong> Vertreteranderen Flüchtlingsräten zusammen des Hohen Flüchtlingskommissariatsund hat gute Kontakte zu Wohlfahrts- der Vereinten Nationen (UNHCR) inorganisationen, Kirchen, Gewerk- der Bundesrepublik Deutschlandschaften und dem UNHCR.beraten und kooperiert mit ECRE, demEuropäischen Flüchtlingsrat.37


Schlussbemerkung– Menschenwürde ist verletzbar –„Der <strong>Tod</strong> eines politischen Flüchtlings als letzter Weg in die Freiheit, die er ganzanders in diesem freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat zu fin<strong>den</strong> hoffte, ermahntuns noch immer. Das Asylrecht ist Menschenrecht, für welches wir kämpfenmüssen“.Diese Mahnung formulierte der Flüchtlingsrat fünf Jahre nach <strong>den</strong> Ereignissendes Jahres 1983, das Jahr in dem Cemal K. Altun aus Angst vor der drohen<strong>den</strong>Auslieferung in <strong>den</strong> Verfolgerstaat Türkei in <strong>den</strong> <strong>Tod</strong> sprang.Im Jahr 1983 waren weitere <strong>Tod</strong>esfälle von Flüchtlingen zu beklagen, die sich angesichtsder drohen<strong>den</strong> Abschiebung das Leben nahmen. So waren schon bisEnde April 1983 vier Suizide von Asylbewerbern aus Ghana bzw. Äthiopien zuverzeichnen. In der Silvesternacht 1983/1984 kam es zu einem weiteren tragischenEreignis: Im Polizeigewahrsam in der Augustastrasse verbrannten sechsAsylbewerber, die rechtswidrig in der Berliner Abschiebehaft festgehaltenwur<strong>den</strong>.Zwanzig Jahre später gedachten am 30. August 2003 Menschenrechts- undFlüchtlingsorganisationen sowie antirassistische Gruppen im Rahmen einesbundesweiten Aktionstages gegen die Abschiebehaft derer, die auf derFlucht in die Bundesrepublik oder beim Versuch, sich der Abschiebung zu entziehen,zu <strong>Tod</strong>e kamen.Allein an einem 30. August starben nach Cemal Altun noch drei weitere Flüchtlinge- Kola Bankole/1994, Rachid Sbaai/1999, Althankou Dagwasoundel/2000.Am 30. August 2003 wurde der kongolesische Flüchtling Raphael Batoba imdritten Versuch (nach 11jährigem Aufenthalt in Deutschland) in das vomBürgerkrieg zerrüttete Herkunftsland abgeschoben. Somit bekam der Aktionstaggegen die Abschiebehaft eine Aktualität, die verdeutlicht, dass in <strong>den</strong> zwanzigJahren nach dem <strong>Tod</strong>e Cemal Altuns das Grundrecht auf Asyl, die Menschenrechtefür Flüchtlinge geschwächt und ausgehöhlt wur<strong>den</strong>.Das Ge<strong>den</strong>ken an Cemal Altun und an die anderen hier benannten und ungenanntenFlüchtlinge wird daher auch künftig mit dem Protest gegen Ausgrenzungund Diskriminierung von Flüchtlingen, gegen die Abschiebehaft als unverhältnismäßigeGrundrechtseinschränkung zu verbin<strong>den</strong> sein. Der Flüchtlingsrat Berlinunterstützt daher die Idee der regelmäßigen Durchführung von bundesweiten Aktionstagengegen die Abschiebehaft.Für <strong>den</strong> Flüchtlingsrat Berlin,Jens-Uwe ThomasBerlin, November 200338


Diese Dokumentation wurde unterstützt vonBündnis 90/Die Grünen, Landesverband Berlinwww.gruene-berlin.de


Wir <strong>den</strong>ken anCemal K. Altungeboren am 13. April 1960 in Samsun/Türkeigestorben am 30. August 1983 in BerlinVor fünf Jahren sprang er aus dem sechstenStockwerk des Verwaltungsgerichtes in <strong>den</strong> <strong>Tod</strong>.Der <strong>Tod</strong> eines politischen Flüchtlings als letzterWeg in die Freiheit, die er ganz anders in diesemfreiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu fin<strong>den</strong>hoffte, ermahnt uns noch immer.Das Asylrecht ist Menschenrecht, für welches wirkämpfen müssen.Internationale Liga für Menschenrechte, Berlin - HumanistischeUnion, Berlin - Asyl e.V. - Pax Christi, Berlin - amnesty international,Berlin - Flüchtlingsrat Berlin - Alternative Liste - FluchtburgBerlin - Ev. Fürbitt-Gemeinde Britz - Ev. Kirchengemeinde ZumHeiligen Kreuz - AG Asyl im Kirchenkreis Steglitz - RepublikanischerAnwältinnen- und Anwälteverein -ÖTV-FachgruppeRichter und Staatsanwälte - Arbeitsgemeinschaft SozialdemokratischerJuristinnen und JuristenV.i.S.d.P.: Internationale Liga für Menschenrechte, Berlin Alisa FUSSAsyl in der Kirche e.V. Berlin – Internationale Liga für MenschenrechteFlüchtlingsrat Berlin – PRO ASYL

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