Dresden 1945–1948
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Dresden 1945–1948
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Thomas Widera<br />
<strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Politik und Gesellschaft unter<br />
sowjetischer Besatzungsherrschaft<br />
Vandenhoeck & Ruprecht
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Schriften des Hannah-Arendt-Instituts<br />
für Totalitarismusforschung<br />
Herausgegeben von Gerhard Besier<br />
Band 25<br />
Vandenhoeck & Ruprecht<br />
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Thomas Widera<br />
<strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Politik und Gesellschaft unter sowjetischer<br />
Besatzungsherrschaft<br />
Vandenhoeck & Ruprecht<br />
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind<br />
im Internet über abrufbar.<br />
ISBN 3-525-36901-8<br />
Umschlagabbildung:<br />
Pflanzaktion auf den Grünflächen am Zwingerteich 1946<br />
Fotograf: Erich Höhne (Deutsche Fotothek <strong>Dresden</strong>)<br />
© 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / www.v-r.de<br />
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen<br />
schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch<br />
seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich<br />
zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für<br />
Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.<br />
Satz: Hannah-Arendt-Institut, <strong>Dresden</strong><br />
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen<br />
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.<br />
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Vorwort<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden im Gebiet der sowjetischen<br />
Besatzungszone Deutschlands diktatorische Herrschaftsstrukturen. Dieser in<br />
der historischen Forschung weitgehend unbestrittenen Feststellung steht die<br />
kontrovers diskutierte Frage nach den Ursachen einer solchen Entwicklung gegenüber,<br />
die mit ihren tiefgreifenden gesellschaftlichen, politischen und weltanschaulich-normativen<br />
Umbrüchen die Bedeutung einer revolutionären Zäsur<br />
hatte und nicht allein mit den internationalen politischen Rahmenbedingungen<br />
erklärt werden kann. Eine Untersuchung der Verantwortlichkeiten für den politischen<br />
Transformationsprozess wird sich immer auf die Intentionen und das<br />
Handeln der maßgeblichen Akteure konzentrieren: auf die sowjetische Besatzungsmacht<br />
und auf die von ihr unterstützten deutschen Kommunisten. Gewiss<br />
wäre die politische Entwicklung ohne die unbedingte Absicht kommunistischer<br />
Funktionäre zur Besetzung der Machtpositionen und die rücksichtlose Durchsetzung<br />
ihres Herrschaftsanspruches anders verlaufen. Doch hätte dieser<br />
Wunsch allein ausgereicht, gehörte die Unterstützung sowjetischer Besatzungsoffiziere<br />
nicht zu den entscheidenden Stabilisierungsbedingungen der Herrschaftssicherung<br />
und der Festigung des Machtapparates? Jedenfalls ermöglichten<br />
sie die Ausschaltung der anderen Optionen des Neuanfangs, die von den<br />
Vertretern einer demokratischen Politik ausgingen. Zudem ist ohne die Erfahrungsdimension<br />
derer, die das Objekt der Herrschaft gewesen sind, die Analyse<br />
des politischen Systems unvollständig; ihre Reaktionen spiegeln dessen Reichweite<br />
und Grenzen wider.<br />
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke regte mich zur Erforschung dieses Themenkomplexes<br />
an, er unterstützte meine Bemühungen um die Bereitstellung der materiellen<br />
Ressourcen und betreute mit seiner nicht nachlassenden kritischen<br />
Geduld die Dissertation. Für die intensiven Gesprächsrunden sowie die Möglichkeit<br />
zum Meinungsaustausch über sämtliche Fragen und Probleme des Untersuchungsgegenstandes<br />
danke ich ihm ebenso wie dem Zweitgutachter der Arbeit,<br />
PD Dr. Winfrid Halder, der mich immer wieder zu deren Fortsetzung<br />
ermutigte. Die konstruktive Kritik beider ist ebenso wie die des Außengutachters<br />
meiner Dissertation, Prof. Dr. Hermann-Josef Rupieper, der Druckfassung<br />
zugute gekommen. Zur Durchführung des Forschungsvorhabens fand ich außerordentlich<br />
günstige Arbeitsbedingungen am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung<br />
e. V. (HAIT) an der TU <strong>Dresden</strong>. Dem Institut und der<br />
Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die zur Finanzierung des Projektes<br />
eine Qualifizierungsstelle bewilligte, verdanke ich großzügige Unterstützung,<br />
ohne die ich die Arbeit nicht hätte schreiben können.<br />
Besonders wichtig war die kreative Diskussionsatmosphäre am HAIT: Dr.<br />
Clemens Vollnhals und Dr. Mike Schmeitzner fanden immer wieder die Zeit,<br />
Teile des Manuskripts zu lesen und mit mir zu diskutieren, sie steuerten zahlreiche<br />
Ratschläge und wertvolle Hinweise bei. Auch die anderen Kolleginnen und<br />
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6<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Vorwort Kollegen, insbesondere Silke Schumann, Dr. Rainer Behring, Dr. Jörg Osterloh,<br />
Dr. Michael Schneider und Dr. Peter Skyba bereicherten mit sachkundigen Anregungen<br />
meine Überlegungen und begleiteten die Suche nach Antworten. Großen<br />
Anteil an der Realisierung des Forschungsprojektes haben außerdem die<br />
vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive mit ihrer ausgezeichneten<br />
Betreuung; sie erleichterten mit Sachkenntnis und Ausdauer die oftmals schwierige<br />
Quellenrecherche. Nicole Kühn und Pirmin Hauck erstellten das Register.<br />
Christine Lehmann und Walter Heidenreich verwandelten durch Satz und Layout<br />
das Manuskript in ein Buch, dessen Druck durch die Aufnahme in die Reihe<br />
„Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung“ ermöglicht<br />
wurde. Bei ihnen allen und bei den vielen nicht ausdrücklich Genannten<br />
möchte ich mich bedanken.<br />
Mein ganz persönlicher Dank gilt meiner Frau und meinen Kindern, die die<br />
zeitraubende Arbeit an dem Projekt geduldig ertragen und mit Zuspruch gefördert<br />
haben. Ihnen widme ich dieses Buch.<br />
<strong>Dresden</strong>, im September 2004 Thomas Widera<br />
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Inhalt<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
I. Einleitung 9<br />
Der Untersuchungsgegenstand 12<br />
Fragestellung und Aufbau der Studie 15<br />
Forschungsstand 17<br />
Quellenlage 20<br />
II. Der Weg aus dem Krieg 25<br />
1. Die Endphase 26<br />
2. Die Zerstörung 34<br />
3. Nach der Katastrophe 39<br />
4. Kriegsende 51<br />
III. Neubeginn nach dem 8. Mai 1945 65<br />
1. Die Bildung der „Antifa-Ausschüsse“ und ihre Beseitigung 68<br />
2. Neuanfang in der Dresdner Stadtverwaltung 86<br />
3. Die Reorganisation der kommunistischen Partei 99<br />
4. Die Wiedergründung der Sozialdemokratie 109<br />
5. Die bürgerlichen Parteien 119<br />
IV. Der Beginn der politischen Säuberung 135<br />
1. Entnazifizierungsvorstellungen deutscher Gegner des<br />
Nationalsozialismus 137<br />
2. Die politische Praxis in der ersten Phase der Entnazifizierung 150<br />
3. Personalpolitik und Entnazifizierung in der Stadtverwaltung 162<br />
4. Die personalpolitische Bilanz in der Stadtverwaltung Ende 1945 171<br />
V. „Sicherheit“: Eine politische Polizei für <strong>Dresden</strong> 183<br />
1. Die Anfänge der deutschen Polizei 184<br />
2. Struktur und Ziele der Dresdner Ordnungspolizei 191<br />
3. Institutionen politischer Sicherheit 198<br />
4. Die Praxis der Herrschaftssicherung 205<br />
5. Vorläuferstrukturen einer politischen Geheimpolizei 211<br />
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8<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Inhalt 6. Die Kommandohaftlager im Kontext des Repressionssystems 222<br />
VI. Transformationspolitik „entsprechend den Instruktionen“ 231<br />
1. Die Einbindung der Parteien in die Blockpolitik 233<br />
2. Taktisches Vorgehen der KPD 239<br />
3. Repressionspolitik in der Ernährungskrise 246<br />
4. Die Entfernung des Oberbürgermeisters 253<br />
5. Der erzwungene Weg zur Einheitspartei 260<br />
6. Das Ende der SPD: „uns als Organisation zu zerschlagen“ 270<br />
VII. Die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung 283<br />
1. Die gescheiterte Reorganisation der Lebensmittelversorgung 286<br />
2. Ökonomische Rekonstruktion 293<br />
3. Sowjetische Beute- und Reparationspolitik 301<br />
4. Vorbereitungen zur wirtschaftspolitischen Transformation 314<br />
5. Der Volksentscheid zur entschädigungslosen „Enteignung der<br />
Kriegs- und Naziverbrecher“ am 30. Juni 1946 324<br />
VIII. Festigung der Macht 339<br />
1. Wahlkampf und Parteienkonkurrenz 342<br />
2. Nach der Wahlniederlage der SED 353<br />
3. „Klassenkampf“ in kommunaler Perspektive 365<br />
4. Praktizierter „Anti-Faschismus“ 379<br />
5. Entnazifizierung nach Kontrollratsdirektive Nr. 24 386<br />
6. Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201? 396<br />
7. Ergebnisse der Entnazifizierung 405<br />
IX. Zusammenfassung 415<br />
X. Anhang 429<br />
1. Unveröffentlichte Quellen 429<br />
2. Gedruckte Quellen und Erinnerungen 433<br />
3. Literatur 439<br />
4. Abkürzungen 464<br />
5. Personenregister 467<br />
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I. Einleitung<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
In der folgenden Darstellung wird erstmalig für <strong>Dresden</strong> und darüber hinaus<br />
gleichfalls erstmalig für die gesamte Sowjetische Besatzungszone (SBZ) der Versuch<br />
unternommen, am Beispiel einer deutschen Großstadt die Ereignisse unmittelbar<br />
im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg zu schildern, die auf der<br />
Mikroebene der Gesellschaft stattfanden, und das Geschehen unter der Verfügungsgewalt<br />
der sowjetischen Besatzungsmacht zu analysieren. Das hat nicht<br />
seine Ursache darin, dass dies nicht zuvor schon versucht worden wäre, im Gegenteil:<br />
Zeit ihres gesamten Bestehens diente der Partei- und Staatsführung der<br />
DDR die historische Aufarbeitung als Mittel zur Legitimation der Parteiherrschaft.<br />
So verspürten auch zwanzig Jahre nach den Begebenheiten Funktionäre<br />
der SED in <strong>Dresden</strong> das Bedürfnis, mit Hilfe der Geschichtswissenschaft am<br />
Gründungsmythos weiterzubauen in der Absicht, „aus der Erzählung über die<br />
Vergangenheit [...] Vertrauen in die eigene Fähigkeit zur Bewältigung der Zukunft“<br />
zu bestärken. 1<br />
Im Jahr 1968 schlug der Beirat des Museums für Geschichte der Stadt <strong>Dresden</strong><br />
die Durchführung einer wissenschaftlichen „Tagung zu Fragen der Geschichtsforschung<br />
und Geschichtspropaganda über die Zeit von 1945 bis 1949“<br />
vor. Der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) erschien jedoch das<br />
Thema zu wichtig, um es den Wissenschaftlern zu überlassen, und die Bezirksleitung<br />
der Partei in <strong>Dresden</strong> wollte zuvor eine parteipolitische Konferenz veranstalten.<br />
Infolgedessen wurde die Tagung der Wissenschaftler auf einen späteren<br />
Termin verlegt, da „man einer solchen Beratung der Bezirksleitung nicht<br />
vorgreifen sollte“, wie der pensionierte ehemalige Dresdner Oberbürgermeister<br />
Walter Weidauer 2 bemerkte. 3<br />
Es ging bei diesen Fragen um die Verortung der SED in der Geschichte. Das<br />
erfordere die „richtige“ Darstellung der Vergangenheit, so der Altkommunist<br />
Otto Schön, 4 ehemaliger Kreisvorsitzender der SED in <strong>Dresden</strong> und langjähri-<br />
1 Münkler, Antifaschismus, S. 29.<br />
2 Walter Weidauer 1899–1986, Zimmermann, USPD, seit 1922 KPD, verschiedene politische<br />
Funktionen. 1924–1928 Stadtverordneter in Zwickau, 1932/33 Mitglied des<br />
Reichstages. 1933–1935 mehrmals verhaftet, anschließende Emigration in Prag und Dänemark,<br />
dort 1941 verhaftet und an Deutschland ausgeliefert. 1945 KPD, 1. Bürgermeister<br />
in <strong>Dresden</strong>, 1946–1958 Oberbürgermeister, 1958–1961 Vorsitzender des Rates<br />
des Bezirkes <strong>Dresden</strong>. 1946–1952 Mitglied des Landtages Sachsen. [Nur diejenigen<br />
Personen, auf deren Handeln sich die Studie im Wesentlichen konzentriert, werden, soweit<br />
sich biographische Angaben ermitteln ließen, in einer Kurzbiographie vorgestellt.]<br />
Vgl. Hermann, Oberbürgermeister Walter Weidauer.<br />
3 Weidauer an Schön vom 11.3.1968 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong> V/2.052.152,<br />
nicht paginiert).<br />
4 Otto Schön 1905–1968, Angestellter, Schweißer, seit 1925 KPD, Funktionär bis 1933,<br />
inhaftiert 1933–1937, 1942/43 Kriegsdienst, Verwundung. Nach Kriegsende Sekretär<br />
KPD-KL Leipzig, bis 1947 Vorsitzender SED-Kreisvorstand <strong>Dresden</strong>. 1946–1950 Stadt-<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
10 Einleitung<br />
ger Büroleiter im Politbüro des Zentralkomitees der SED. Er hatte der „Kommission<br />
zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung“ einen<br />
„unverzeihlichen geschichtlichen Fehler“ vorgehalten. Die Historiker hatten bisher<br />
nicht den Nachweis erbracht, „wie die wenigen deutschen Kräfte nach dem<br />
Zusammenbruch des Faschismus mit Hilfe und Unterstützung der sowjetischen<br />
Genossen den Weg für ein neues Deutschland frei gemacht haben“. Er forderte<br />
seinen früheren Dresdner Mitstreiter Weidauer auf, die „verantwortlichen<br />
Genossen“ der Wissenschaft im Sinne der Partei zu instruieren. 5<br />
Auch der hochrangige kommunistische Funktionär Fritz Selbmann, 6 gleichfalls<br />
einer der Dresdner Akteure, wollte eine „anständige Parteigeschichte mitschreiben<br />
helfen“, damit das vergangene Geschehen „in seiner Entwicklung<br />
richtig“ dargestellt werde. 7 Die Ansätze dieser Funktionäre, jeder auf seinem<br />
Betätigungsfeld der Stadt und ihrer Geschichte verbunden, unterschied nichts<br />
in ihrem Bemühen um die Interpretation der Vergangenheit und den Entwurf<br />
eines passenden Geschichtsbildes.<br />
Otto Schön kritisierte die „Genossen der Pädagogischen Hochschule“ am<br />
Ort und trug den Studenten des Faches Geschichte auf, sich mit „den ersten<br />
Schritten zur Neugestaltung des Lebens in der DDR und in diesem Falle in<br />
<strong>Dresden</strong>“ auseinander zu setzen. 8 Als Bürochef im Politbüro, dessen Autorität<br />
durch seine Dresdner Zeitgenossenschaft noch gewann, erteilte er eindeutige<br />
Hinweise, damit die Studenten, die Historiker und die Adressaten des zu entwerfenden<br />
Geschichtsbildes die „ganze Größe der Aufgaben, die damals vor<br />
uns standen“, auch wirklich begriffen. Die bloße Schilderung der „prächtigen<br />
deutschen Genossen und deutschen Menschen“ und der Arbeit der „sowjetischen<br />
Organe“ genüge nicht, da es in jenen Jahren darum gegangen sei, „ein<br />
völliges Umdenken der Menschen zu erreichen“ und ihnen „das richtige Verhältnis<br />
zur Demokratie klar zu machen“. Auch der damalige Chef der Informa-<br />
verordneter <strong>Dresden</strong>, 1947–1950 Landesleitung SED Sachsen. 1950–1968 Mitglied des<br />
ZK der SED und Leiter des Büros des Politbüros des ZK der SED, 1958–1968 Abgeordneter<br />
der Volkskammer.<br />
5 Schön an Weidauer vom 4.12.1967 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong> V/2.052.062,<br />
nicht paginiert).<br />
6 Fritz Selbmann 1899–1975, Bergmann, USPD, seit 1922 KPD, verschiedene politische<br />
Funktionen, 1928/29 Besuch der Lenin-Schule in Moskau. 1930–1932 Abgeordneter<br />
des Preußischen Landtags, 1932/33 Mitglied des Reichstages, 1933 Verhaftung und<br />
langjährige Zuchthausstrafe, 1940–1945 Konzentrationslager. 1945 KPD-Kreisleitung<br />
Leipzig, seit September 1945 Vizepräsident der Landesverwaltung Sachsen für Wirtschaft,<br />
1946–1948 Minister für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung, 1946–1948 Mitglied<br />
des Landtages Sachsen. 1948/49 stellvertretender Vorsitzender der DWK, hohe<br />
Regierungs- und Parteiämter in der DDR bis 1958, Verlust seiner Funktionen in Verbindung<br />
mit der sogenannten „Schirdewan-Wollweber-Fraktion“.<br />
7 Erinnerungen von Fritz Selbmann, o. D. [wahrscheinlich während eines Gesprächs in<br />
den sechziger Jahren angefertigte Aufzeichnungen] (SAPMO-BArch, SgY 30 1098/2,<br />
Bl. 348).<br />
8 Schön an Weidauer vom 14.5.1968 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong> V/2.052.062,<br />
nicht paginiert).<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Einleitung 11<br />
tionsabteilung der sowjetischen Stadtkommandantur in <strong>Dresden</strong>, Hauptmann<br />
Anatoli B. Waks, gebeten, über seine Erinnerungen an die ersten Nachkriegsjahre<br />
zu berichten, wurde von Schön gerügt, weil er den „Kampf für Frieden, Demokratie<br />
und Sozialismus“ zu wenig berücksichtigt habe. 9 Damit machte Schön<br />
gegenüber der Sowjetunion den Gestaltungsanspruch seiner eigenen Partei geltend.<br />
Kurz darauf entschuldigte sich Waks für seinen „nicht gründlich genug geschriebenen<br />
Artikel“. 10 Ein Manuskript des früheren Stadtkommandanten<br />
Oberst Ilja Spiridonow 11 hielt man ebenfalls wegen unerwünschter Äußerungen<br />
zurück. 12<br />
Schön sprach bei seinen Belehrungen die ideologischen Widrigkeiten an, mit<br />
denen sich die SED im Umgang mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sah:<br />
„Mussten wir nicht selbst auch in der Partei um das richtige Verhältnis zur Sowjetunion<br />
und um die Notwendigkeit der Anerkennung der DSF kämpfen? Die<br />
ganze Diskussion, die wir führen mussten über die Oder-Neiße-Grenze, über<br />
das abgegebene Ostpreußen, über die Bekämpfung der Schwierigkeiten beim<br />
Aufbau des neuen Lebens, waren das nicht Probleme, mit denen wir uns tagtäglich“<br />
hatten abgeben müssen? 13 Der in Königsberg geborene Funktionär, der<br />
seine verlorene Heimatstadt mit viel Sympathie schilderte, 14 sprach damit auch<br />
die schmerzlichen Verluste an, die er gleich anderen Funktionären der SED mit<br />
vielen Menschen in der DDR teilte. Er ersetzte Selbmanns Forderung durch eine<br />
für Differenzierungen offenere Fragestellung. Doch auch er formulierte unumwunden<br />
den Anspruch seiner Partei, die Erinnerung an die Vergangenheit<br />
durch parteiische Geschichtsschreibung zu determinieren.<br />
9 Schön an Weidauer vom 4.1.1968 (ebd., nicht paginiert).<br />
10 Waks an Schön vom 2.3.1968 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong> V/2.052.152, nicht paginiert).<br />
11 Ilja Spiridonow, geb. 1894, Realschulabschluss, Studium am Technologischen Institut<br />
Petrograd, 1916 Offiziersschule, seit 1917 Funktionen in der Roten Armee, Teilnahme<br />
am Bürgerkrieg. Zwischen 1924 und 1941 Ökonom im Staatsdienst, zuletzt Leiter für<br />
Investitionsvorhaben im Staatlichen Plankomitee beim Rat der Volkskommissare der Usbekischen<br />
SSR. Während des Zweiten Weltkrieges zuletzt Leiter eines Divisionsstabes,<br />
im August 1945 Versetzung zur SMAD, Kommandant des Militärbezirkes <strong>Dresden</strong>, November<br />
1945 bis November 1946 Stadtkommandant in <strong>Dresden</strong>, anschließend in Chemnitz<br />
bis 1949. Mai 1950 Rückkehr in die Sowjetunion, 1956 Pensionierung.<br />
12 Weidauer an Borominskaja vom 3.11.1968 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong> V/<br />
2.052.065, nicht paginiert); vgl. Spiridonow, Erinnerungen.<br />
13 Schön an Weidauer vom 4.1.1968 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong> V/2.052.062, nicht<br />
paginiert); DSF-Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.<br />
14 Vgl. Erinnerungen von Otto Schön, o. D. [1967] (SAPMO-BArch, NY 4077, Band 36,<br />
Bl. 4–76).<br />
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12 Einleitung<br />
Der Untersuchungsgegenstand<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
An der Deutungshoheit der SED-Führung ließen selbst temporär für Differenzierungen<br />
geöffnete Darstellungen keinen Zweifel. Die Geschichte des Neuanfangs<br />
in <strong>Dresden</strong> nach 1945 wurde, noch während sie sich entfaltete, mit<br />
parteiischen Deutungen besetzt. Die Quellen weisen zahllose Beispiele interessengeleiteter<br />
Interventionen und politischer Vorgaben auf. Den Mitwirkenden<br />
war die ideologische Dimension ihrer Art der Geschichtsschreibung sehr bewusst.<br />
15 Sie beteiligten sich an einer speziellen Auswahl und Darstellung der Ereignisse,<br />
an gezielten Eingriffen, an bewusster Desinformation und an Fälschungen.<br />
16 Als Angehörige von Organisationen und Institutionen waren sie nicht<br />
allein in die Vorgänge involviert, sondern auch in deren Tradierung eingeschlossen.<br />
Sie verhielten sich parteiisch, apologetisch, und ihre Erinnerung an die Ereigniszusammenhänge<br />
folgte den von der SED dominierten kollektiven und individuellen<br />
Deutungsstrategien. 17 Eine „anständige“ Parteigeschichte schloss<br />
rivalisierende Interpretationen aus. Zahlreiche Funktionäre verfassten Erinnerungsberichte<br />
und Memoiren nicht zuletzt in der Absicht, eigenes Handeln zu<br />
rechtfertigen und ihre Person in ein günstiges Licht zu stellen. 18 Über die traditionellen<br />
quellenkritischen Methoden der Forschung 19 hinaus eröffneten Resultate<br />
der jüngsten neurologischen Forschung für die Historiker neue Zugänge<br />
zum Problem der Reflexivität dieser Quellengattung. 20<br />
Die Untersuchung befasst sich mit den Wirkungsmechanismen der Diktaturtransformation<br />
vom nationalsozialistischen zum kommunistischen Regime und<br />
ihren Deutungsmustern. Wir sind heute gut informiert über die Ebenen, auf der<br />
die Weichenstellungen politischer Entscheidungen fielen. Wir wissen über die<br />
Kommunikation zwischen den kommunistischen Parteiführern und Stalin eben-<br />
15 Vgl. Betrachtung über die politische Information vom 15.10.1945 (StadtAD, Dezernat<br />
Oberbürgermeister 978, nicht paginiert).<br />
16 Vgl. Protokoll der Sitzung der Polizeileiter vom 12.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister<br />
57, Bl. 38).<br />
17 Vgl. Owzar, gewerblich-industrieller Mittelstand, S. 31 ff.; wenn Doernberg heute von<br />
einer lediglich einseitigen Überbetonung der Rolle der Sowjetunion durch die DDR-Geschichtsschreibung<br />
spricht, ist auch dieses die eigenen Arbeiten einbeziehende Eingeständnis<br />
ein die Realität verzerrender Euphemismus, Aufarbeitung und Versöhnung,<br />
S. 175.<br />
18 Für den nach einem Gehirnschlag pensionierten Walter Weidauer war es bitter, 1961<br />
jeglicher Macht entsagen zu müssen, und er interpretierte in den folgenden Jahren besonders<br />
eigenwillig die Vergangenheit in Lebenserinnerungen (SächsHStAD, SED-BL<br />
<strong>Dresden</strong> V/2.052.054 bis V/2.052.059) und Darstellungen, vgl. Weidauer, Inferno<br />
<strong>Dresden</strong>. Er erfand auch die These von dem beabsichtigten Abwurf einer Atombombe<br />
auf <strong>Dresden</strong> durch die amerikanische Luftwaffe, siehe Schreiben von Zatonskij an<br />
Weidauer, 27.1.1968 (SächsHStAD, SED-BL <strong>Dresden</strong>, V/2.052.065, nicht paginiert).<br />
19 Vgl. die exzellente Analyse von Rusinek, Gesellschaft, S. 50–74.<br />
20 Vgl. Fried, Erinnerung und Vergessen; Geulen/Tschuggnall, Lesarten; Markowitsch, Autobiographisches<br />
Gedächtnis; Markowitsch, Formen des Erinnerns; Markowitsch, Erinnerung<br />
von Zeitzeugen; Neumann, psychologische Erinnerungsarbeit; Platt, Gedächtnis;<br />
Welzer, das autobiographische Gedächtnis; Welzer, Interview.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Untersuchungsgegenstand 13<br />
soviel wie über die Planungen der Kommunistischen Partei Deutschlands<br />
(KPD) in ihrem Moskauer Exil. 21 Doch wir kennen kaum die politische Alltagspraxis,<br />
jene Interdependenz von Herrschenden und Beherrschten, die erst den<br />
anscheinend irreversiblen ostdeutschen Weg in die Geschichte und seine „Trennung<br />
vom Westen“ 22 ermöglichte. „Nur die energisch begrenzte Untersuchung<br />
am konkreten Fall, die minutiöse Verfolgung der Entwicklung im Detail vermag<br />
über die Gemeinplätzigkeit hinauszuführen, die sich allmählich aus einer allzuoft<br />
wiederholten Darlegung ‚großer Entwicklungslinien‘ zu ergeben droht.“ 23<br />
Diese nach wie vor gültige Forderung ist in der modernen Diktaturforschung<br />
aktueller denn je, und die vorliegende Studie unternimmt den Versuch, im spezifischen<br />
Detail das Allgemeine sichtbar zu machen und dabei die Durchsetzung<br />
und die Funktionsmechanismen einer totalitären Diktatur herauszuarbeiten. 24<br />
Der Fokus richtet sich auf die historischen Prozesse der Mikroebene von Politik<br />
und Gesellschaft nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Der<br />
Begriff der „Diktaturdurchsetzung“, der dieser Arbeit zugrunde liegt, impliziert,<br />
dass zur Errichtung einer Diktatur die Bereitschaft der Gesellschaft herbeigeführt<br />
werden musste, nicht legitimierte Herrschaft hinzunehmen. 25 Mit Hilfe<br />
dieses analytischen Instruments werden am Beispiel <strong>Dresden</strong>s Aufbau und Ausbau<br />
der für die Diktaturdurchsetzung notwendigen Herrschaftsstrukturen dargestellt.<br />
Zur „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ 26 bediente sich die<br />
Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) deutscher Gegner<br />
des Nationalsozialismus, unter denen sie die Kommunisten von Anfang an massiv<br />
bevorzugte. Vor der Errichtung zentraler Instanzen begannen politischer<br />
Umbau und Machtsicherung auf der Ebene kommunaler Verwaltungsorgane.<br />
<strong>Dresden</strong> ist als Untersuchungsgegenstand auch deswegen besonders geeignet,<br />
weil von der sächsischen Landeshauptstadt entscheidende politische Impulse<br />
ausgingen. Die Hauptstadt des Landes Sachsen mit seiner zentralen Bedeutung<br />
für die sowjetische Besatzungspolitik als industrielles Kernland der SBZ 27 hatte<br />
Pilotfunktion bei der Herausbildung modellhafter Strukturen. Die Dresdner<br />
Stadtverwaltung war Nukleus und Ausgangsbasis der sächsische Landesverwal-<br />
21 Vgl. Badstübner/Loth, Pieck – Aufzeichnungen; Erler/Laude/Wilke, Nach Hitler; Keiderling,<br />
Gruppe Ulbricht; Wettig, Bereitschaft; Wilke, Anatomie.<br />
22 Vgl. Henke, Trennung vom Westen.<br />
23 Fromme, Ordnung, S. 213.<br />
24 Schneider, Nationalsozialismus und Region, S. 439; Wirsching, Nationalsozialismus in<br />
der Region, S. 27 und 38; das bekannteste Beispiel dafür ist das „Bayern-Projekt“ des<br />
Instituts für Zeitgeschichte Broszat/Fröhlich, Bayern in der NS-Zeit II.<br />
25 Vgl. Behring/Schmeitzner, Einleitung, S. 9–12.<br />
26 So der offizielle Terminus in der DDR, vgl. Doernberg, Geburt, S. 450, der ebenso der<br />
Verschleierung tatsächlicher Gegebenheiten und Machtverhältnisse diente wie die Umschreibungen<br />
„antifaschistisch-demokratisch“ und „antifaschistisch geprägte Gesellschaft“<br />
heute bei Badstübner, Reich, S. 72 und 546; dazu auch Wettig, Kontrastprogramm.<br />
27 Vgl. Halder, Demontagen, S. 176.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
14 Einleitung<br />
tung. Anders als in der Viermächtestadt Berlin 28 wurden in dieser von den westlichen<br />
Alliierten weitgehend unbeeinflussten Stadt Instrumente der Diktaturdurchsetzung<br />
entwickelt und getestet.<br />
Analysiert werden insbesondere der Neuaufbau kommunaler Verwaltungsstrukturen,<br />
die Entstehung und Fortentwicklung der politischen Parteien, die<br />
Entnazifizierung in Verwaltung und Wirtschaft, der Aufbau der Polizei, die<br />
Kommunalwahl 1946 und die Enteignungspolitik. Dabei zeigte sich, dass hier<br />
„Grundlagenforschung“ im Sinne des Begriffes betrieben werden musste, um<br />
die Voraussetzungen für die Errichtung der kommunistischen Herrschaft angemessen<br />
darzulegen. Das verlangte eine Schwerpunktsetzung in diesen Bereichen.<br />
Andere, wie die Endphase der nationalsozialistischen Diktatur und die<br />
Konstruktion einer „anti-faschistischen“ Ideologie konnten nur gestreift, wieder<br />
andere – wie die Bildungs- und Jugendpolitik, Kultur und Kunst oder die Diskussion<br />
um den Wiederaufbau von <strong>Dresden</strong> 29 – gar nicht berücksichtigt werden.<br />
Ebenso finden die justitielle Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen 30<br />
oder die sowjetischen Internierungslager 31 nur am Rande Erwähnung.<br />
Eckdaten der Untersuchung sind das „Epochenjahr“ 1945 und das Jahr<br />
1948, in dem der Konsolidierungsprozess der kommunistischen Parteidiktatur<br />
seinen ersten Abschluss fand. Die mit Kriegsende und militärischer Besetzung<br />
erfolgte Zäsur ist in der Historiographie wegen der daraus folgenden fundamentalen<br />
Veränderung des Ordnungsrahmens unstrittig. Doch auch für das Eckdatum<br />
1948 sprechen gewichtige Einschnitte auf der politischen wie der ökonomischen<br />
Ebene. 32 Zu den bedeutenden Entscheidungen in der SBZ gehören der<br />
offizielle Abschluss der Entnazifizierung, die Zentralisierung der Wirtschaftspolitik<br />
bei der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) und die Bildung des<br />
Deutschen Volksrates, der sich faktisch zum Vorparlament der DDR entwickelte.<br />
Auch die entscheidenden Schritte zur Stalinisierung der SED wurden 1948<br />
vollzogen. 33 Auf der Ebene lokaler Politik bewirkte zudem die Verschiebung der<br />
für 1948 vorgesehenen Neuwahl der Kommunalparlamente einen weiteren Einschnitt,<br />
der den Betroffenen die Alternativlosigkeit zur Herrschaft der SED<br />
deutlich vor Augen führte.<br />
28 Vgl. Hurwitz, Neubeginn konservativer Politik; Hurwitz/Sühl, Demokratiepotential;<br />
Reibe, Kommunalpolitik.<br />
29 Vgl. Lerm, Abschied; Nadler, Denkmalpflege.<br />
30 Vgl. Meyer-Seitz, Verfolgung von NS-Straftaten; Pohl, Justiz; Weinke, Verfolgung; Wentker,<br />
Justiz.<br />
31 Vgl. Erler, Wirkung der sowjetischen Militärtribunale; Haase/Oleschinski, Torgau-Tabu;<br />
Lipinsky, Speziallager; Morré, Speziallager; Mironenko/Niethammer/Plato, Speziallager;<br />
Müller, Terror; Possekel, Lagerpolitik; Reif-Spirek/Ritscher, Speziallager;<br />
Schmidt, Strafjustiz.<br />
32 Vgl. Halder, Deutsche Teilung.<br />
33 Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 422–454.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Fragestellung und Aufbau der Studie<br />
Fragestellung, Aufbau der Studie 15<br />
In der SBZ/DDR wurde ein den Westzonen diametral entgegengesetztes Politikmodell<br />
realisiert. Die empirisch angelegte Untersuchung soll mittels einer<br />
Verknüpfung von Ereignis- und Strukturgeschichte in verschiedenen Längs- und<br />
Querschnitten herausfinden, in welchem Maß Konsens und Loyalität aufgebaut<br />
werden konnten, wie die gesellschaftspolitische Umgestaltung gelang, welche<br />
Voraussetzungen dafür vorlagen und welche Bedingungen erst noch geschaffen<br />
werden mussten. Über die Frage nach der Integrations- und Mobilisierungsfähigkeit<br />
des politischen Systems sowie nach dessen Organisations- und Problemlösungskapazitäten<br />
ist zur Herrschaftswirklichkeit vorzudringen. Dabei wurden<br />
sowohl die Konstituierung der Parteien wie ihre demokratischen Wurzeln und<br />
ihre Verankerung in der Bevölkerung in den Blick genommen, die Vorgaben der<br />
sowjetischen Besatzungspolitik, der Spielraum deutscher Politiker und die<br />
Zwänge, denen sie unterlagen, aber auch ihr eigenes Wollen, ihr Selbstverständnis<br />
und ihre Bereitschaft zum Neuanfang. Hier ist das begriffliche Raster Diktaturdurchsetzung<br />
wegen seines allgemeineren Charakters dem der Sowjetisierung<br />
34 oder Stalinisierung für die quellennahe Analyse des politischen Systems<br />
vorzuziehen. Mittels seiner größeren Trennschärfe können die exogenen von<br />
den autochthonen Faktoren getrennt und Ausmaß sowie Stellenwert ermittelt<br />
werden, „den die Sowjetisierung innerhalb der deutschen politischen, gesellschaftlichen,<br />
wirtschaftlichen und kulturellen, vielleicht auch mentalen Strukturen<br />
erreicht hat“. 35<br />
Die Komplexität des Untersuchungsgegenstands erlaubt oft nicht die chronologische<br />
Schilderung der Ereignisse, generell wurde dies angestrebt, doch strukturelle<br />
Längsschnitte waren ebenso erforderlich. Die thematischen Schwerpunkte<br />
wurden in den zeitlichen Ablauf eingeordnet. Am Anfang steht eine<br />
Bilanz am Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch wird man in <strong>Dresden</strong> vor allem<br />
nach dem prägenden Einschnitt des Jahres 1945, dem 13./14. Februar, fragen<br />
müssen. Die Vernichtung der bis dahin als „Elbflorenz“ beschriebenen Altstadt<br />
hinterließ in der Bevölkerung, die gehofft hatte, verschont zu bleiben, ein dauerndes<br />
Trauma. Welchen Stellenwert hatten die sozialen und politischen Erfahrungen<br />
vor 1945 in den Monaten des Umbruchs? Diese Frage liegt besonders<br />
dem dritten Kapitel, das den Neuaufbau der städtischen Verwaltungsgremien<br />
und die Gründung der Parteien behandelt, und dem anschließenden vierten Kapitel<br />
zugrunde, das die unterschiedlichen Interessen und Positionen untersucht,<br />
die den Beginn der politischen Säuberung prägten.<br />
Der darauf folgende Abschnitt beschreibt die Anfänge des Sicherheitsapparates.<br />
Die Parteiherrschaft der KPD/SED beruhte neben der Machtbasis in der<br />
Verwaltung in hohem Maß auf repressiven Methoden. Die Ordnungspolizei<br />
wurde zum Handlanger der Besatzungsmacht und zur Ausgangsbasis für die po-<br />
34 Lemke, Einleitung; Lemberg, Sowjetisches Modell.<br />
35 Behring/Schmeitzner, Einleitung, S. 11.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
16 Einleitung<br />
litische Geheimpolizei der KPD/SED. Die Transformation demokratischer Gestaltungsansätze<br />
in eine zentralistische Parteidiktatur fand in der gewaltsamen<br />
Eliminierung alternativer Politikentwürfe ihren Abschluss. Die sowjetische Besatzungsmacht<br />
bediente sich dabei der leitenden Funktionäre aller Parteien und<br />
setzte mit der „Blockpolitik“ ihre politischen Ziele wirkungsvoll um. Im sechsten<br />
Kapitel sind das demokratische Potential der SPD und die Qualität der Demokratisierungsmöglichkeiten<br />
sowie die Funktion der KPD/SED im Prozess<br />
der Neugestaltung in den Blick zu nehmen. Wie erfolgte ihr Umbau in ein<br />
schlagkräftiges Machtinstrument, die Eliminierung der Sozialdemokratie und<br />
die Instrumentalisierung von LDP und CDU? Kam die partizipationsfeindliche<br />
„Stellvertreterpolitik“ der SED mit ihren fertigen gesellschaftspolitischen Mustern<br />
den Bedürfnissen einer verunsicherten Bevölkerung entgegen? Lag der<br />
Diktaturtransformation das Angebot der deutschen Kommunisten an sie zugrunde,<br />
sich gemeinsam mit ihnen auf die Seite der Sieger zu stellen?<br />
Entsprechend der kommunistischen Doktrin war der in Kapitel VII geschilderte<br />
Umbau der Wirtschaftsordnung eine Hauptaufgabe zur Etablierung und<br />
Sicherung politischer Macht. Eine Beschreibung der versorgungs- und wirtschaftspolitischen<br />
Voraussetzungen gehört ebenso dazu wie die Bemühungen<br />
der Sowjetunion um die Eintreibung von Reparationen, wobei auch auf die vielfältigen<br />
Unstimmigkeiten und Differenzen in der sowjetischen Besatzungspolitik<br />
eingegangen werden muss. 36 Von besonderem Interesse war ebenfalls der<br />
nur in Sachsen durchgeführte Volksentscheid, in dem sich frühzeitig die Rigorosität<br />
der von KPD/SED und Besatzungsmacht angestrebten Enteignungen<br />
zeigte. Die Intensität der Gestaltungsabsichten einer totalitären Partei kann an<br />
der Gesamtheit ihrer Strategien zur Herrschaftssicherung, den verschiedenen<br />
Formen der aktiven Unterstützung, der Anpassungsbereitschaft oder Resistenz<br />
sowie den Plänen, Erwartungen und Wünschen der Menschen gezeigt werden.<br />
In Kapitel VIII bilden die Kommunalwahl und die Konkurrenz der Parteien in<br />
der Dresdner Stadtverordnetenversammlung einen Schwerpunkt. Ihre Auseinandersetzungen<br />
drehten sich um die Eckpunkte der als demokratisch apostrophierten<br />
Gesellschaftsordnung, die von der sowjetischen Schutzmacht und ihren<br />
deutschen Helfern gemeinsam errichtet wurde. Wie versuchte die KPD/<br />
SED ihren Machtanspruch zu legitimieren? Wie kompensierte die Besatzungsmacht<br />
die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung, wie die KPD/SED ihre Legitimationsdefizite?<br />
Diese Fragen führen zur Funktionalisierung der Entnazifizierung<br />
bei der Schaffung einer „anti-faschistischen“ Legitimationsideologie.<br />
Denn wenn auch die tabuisierten nationalsozialistischen Symbole zunächst<br />
rasch verschwanden, reichten doch gesellschaftliche und persönliche Prägungen<br />
aus der Vergangenheit weit in die Gegenwart. Gelang es den Kommunisten, eine<br />
skeptische Bevölkerung zur Übernahme ihrer Wertvorstellungen zu bewegen?<br />
36 Vgl. Bonwetsch, Sowjetische Politik, S. XXIX.<br />
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Forschungsstand<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Forschungsstand 17<br />
Wie erwähnt, kann die Dresdner Lokalstudie auf keinen vergleichbaren Arbeiten<br />
aufbauen. Regionalgeschichtliche Untersuchungen wie die von Paul Erker<br />
und Hans Woller 37 existieren für die Nachkriegsgesellschaft in der SBZ/DDR<br />
bislang ebenso wenig wie ein Pendant für die vielen lokalhistorischen Arbeiten<br />
über westdeutsche Großstädte. 38 Helge Matthiesens Analyse der konservativen<br />
Eliten Greifswalds erstreckt sich über einen Zeitrahmen von neunzig Jahren<br />
und widmet sich daher der Nachkriegszeit nur in einem Ausschnitt. 39<br />
Natürlich setzt der auf den engen geografischen Rahmen <strong>Dresden</strong>s umgrenzte<br />
Untersuchungsgegenstand die Berücksichtigung übergreifender Zusammenhänge<br />
voraus. Dafür liegen in Sachsen mit einer Reihe neuer Forschungsergebnisse<br />
günstige Voraussetzungen vor. Zu nennen ist insbesondere die Studie zur<br />
„KPD/SED in Sachsen 1945–1952“, der „Partei der Diktaturdurchsetzung“,<br />
von Stefan Donth und Mike Schmeitzner, die erstmalig im Anschluss an die einschlägigen<br />
Monographien von Harold Hurwitz und Andreas Malycha 40 die Entwicklung<br />
der KPD zur stalinistischen Kaderpartei in einer konzentrierten Fallanalyse<br />
verfolgt. Beide Verfasser sprechen von einer Scharnierfunktion der<br />
KPD zwischen Bevölkerung und Besatzungsmacht, wobei ihnen die kommende<br />
Staatspartei als „maßgebliche Instanz der Diktaturdurchsetzung“ gilt. 41 Breiten<br />
Raum nimmt in dieser Schilderung die Eliminierung sozialdemokratischer Positionen<br />
innerhalb der SED ein sowie deren Umformung zu einer „Partei neuen<br />
Typus“, die auf diese Weise ihre führende Rolle in Staat und Gesellschaft verwirklichte.<br />
Von vergleichbarer Bedeutung ist der gleichnamige Sammelband von<br />
Rainer Behring und Mike Schmeitzner. 42 Er operationalisiert in einer Reihe<br />
quellengesättigter Spezialuntersuchungen das Konzept der Diktaturdurchsetzung<br />
und diskutiert auch in theoretischer Hinsicht dessen Reichweite.<br />
Winfrid Halder betont gleichfalls die Besonderheit der sächsischen Entwicklung<br />
und stellt in den Mittelpunkt seines „Modell für Deutschland“ benannten<br />
Fazits zur sächsischen Wirtschaftspolitik, dass die sowjetisch-sozialistische<br />
Herrschaftsordnung das von SMAD und SED gleichermaßen anvisierte Ziel<br />
war. 43 Während Halder im Detail die von der SED improvisierte Wirtschaftsplanung<br />
analysiert und beim Aufbau der Wirtschaftsverwaltung bis 1948 auf die<br />
Rolle des eigenwilligen sächsischen Wirtschaftsministers Fritz Selbmann eingeht,<br />
rekonstruiert Gerd R. Hackenberg auf empirischer Grundlage den ökono-<br />
37 Erker, Nachkriegsgesellschaft; Woller, Gesellschaft und Politik.<br />
38 Vgl. Barbian/Heid, Kriegsende und Wiederaufbau; Billstein/Illner, Köln 1945; Borgstedt,<br />
Entnazifizierung in Karlsruhe; Irek, Mannheim.<br />
39 Matthiesen, Greifswald, S. 449–532; nach Beendigung der Arbeit an dem Manuskript<br />
erschien die fundierte Lokalstudie von Sperk, Entnazifizierung Köthen/Anhalt.<br />
40 Hurwitz, Stalinisierung; Malycha, SED.<br />
41 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 532.<br />
42 Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung.<br />
43 Halder, Modell, S. 607.<br />
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18 Einleitung<br />
mischen Wiederaufbau in Sachsen. 44 Den Schlüsselressorts der sächsischen<br />
Landesverwaltung wendet sich Andreas Thüsing zu. 45 Er setzt einen besonderen<br />
Akzent auf den Aufbau der Behörde des Ministerpräsidenten, des Ministeriums<br />
des Innern und des Justizministeriums um nachzuweisen, wie die SED-<br />
Herrschaft durch die Besetzung und Umbildung wichtiger Funktionen im Verwaltungsapparat<br />
durchgesetzt wurde, ehe Sequestrierungs- und Enteignungspolitik<br />
sie untermauerten.<br />
Freilich war in dieser Zeit die SMAD unangefochten das bestimmende Element,<br />
wie Jan Foitzik detailliert belegt. 46 Sowjetische Offiziere steuerten uneingeschränkt<br />
das Geschehen auf allen politischen Ebenen und griffen vor Ort direkt<br />
ein. Ohne Verständnis von Struktur und Funktion der sowjetischen<br />
Besatzungsbehörden blieben ihre handlungsleitenden und die Entwicklung determinierenden<br />
Interessen verborgen, zumal der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit<br />
bis Mitte 1947 in den Ländern der SBZ lag. 47 Den ausschlaggebenden Einfluss<br />
sowjetischer Offiziere an einer Vielzahl sächsischer Beispiele haben Stefan<br />
Creuzberger und Alexandr Haritonow 48 herausgearbeitet, dasselbe ist Ralf Thomas<br />
Baus in seiner Studie über die „Christlich-Demokratische Union Deutschlands“<br />
gelungen. Er weist nach, dass – überraschend für die SMAD und die<br />
deutschen Kommunisten – mit der Gründung der CDU die Überwindung der<br />
konfessionellen Spaltung und Integration des bürgerlichen Lagers gelang. Die<br />
Blockpolitik verhinderte allerdings jedwede demokratische Entwicklung. Eine<br />
„Zerstörung der Demokratie“ fand insofern nicht statt, da für ein Entstehen demokratischer<br />
Strukturen und eine „demokratische Vorgeschichte der DDR“ keinerlei<br />
Voraussetzungen bestanden. 49<br />
Die Besatzungsmacht übte vollkommene Kontrolle über alle politischen Parteien<br />
aus. Handlungsspielräume ließ sie nur dort zu, wo ihr dies nützlich erschien.<br />
Von einem Teil der älteren Forschung zwar anhand zahlreicher Indizien<br />
längst vermutet, 50 festigte nicht zuletzt die bahnbrechende Untersuchung Norman<br />
M. Naimarks diese Erkenntnis. 51 Entscheidend dafür wurde der Zugang zu<br />
den sowjetischen Archiven. Trotz der anhaltenden Einschränkungen bei der<br />
Nutzung sowjetischer Akten vollzog sich seit 1990 eine „kopernikanische Wende“<br />
in der Deutschlandforschung. Dabei konnte sie auf den Ergebnissen der älteren<br />
Forschung aufbauen, die, wie etwa die Studie von Michael Richter zur<br />
CDU zwischen 1948 und 1952, 52 nach wie vor grundlegend sind.<br />
44 Hackenberg, Wiederaufbau.<br />
45 Thüsing, Landesverwaltung.<br />
46 Foitzik, SMAD.<br />
47 Vgl. Arlt, Truppen in Deutschland; Doernberg, Sowjetische Militäradministration; Naimark,<br />
Frage des Stalinismus; Raschka, Sowjetisierung; Strunk, Militäradministration.<br />
48 Creuzberger, sowjetische Besatzungsmacht; Haritonow, Hochschulpolitik.<br />
49 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 467 und 469. Vgl. Fischer, Einfluß<br />
der SMAD.<br />
50 Vgl. Fischer, Neubeginn 1945.<br />
51 Naimark, Russen.<br />
52 Richter, Ost-CDU. Vgl. Richter, Transformation des Parteiensystems.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Forschungsstand 19<br />
Die zentrale Bedeutung der Entnazifizierung für strukturelle Veränderungen<br />
und Zugriffsmöglichkeiten sowie für eine konsequent parteiliche Personalpolitik<br />
der KPD/SED bestätigte Damian van Melis am Beispiel der Entnazifizierung<br />
in Mecklenburg-Vorpommern. 53 Obwohl der politische Umsturz nach<br />
Kriegsende auf dem flachen Land nicht mit demselben Tempo wie in Sachsen<br />
vorangetrieben wurde, gab es in der Verwaltung im Norden der SBZ Ende 1945<br />
gleichfalls keine NSDAP-Mitglieder mehr. Zu diesem Befund einer über den umfassenden<br />
Elitenaustausch rasch vollzogenen Neuprägung der Gesellschaft war<br />
bereits Helga A. Welsh für die von ihr untersuchte „Entnazifizierungs- und Personalpolitik<br />
in Thüringen und Sachsen“ gekommen. 54 Sie betonte den Doppelcharakter<br />
der Entnazifizierung, die mit der Ausschaltung von Nationalsozialisten<br />
aus fast allen wichtigen Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft politische,<br />
ökonomische und soziale Veränderungen grundsätzlicher Natur ermöglichte.<br />
Auf weitere Literatur 55 wird jeweils im Anmerkungsapparat verwiesen. Dies<br />
gilt auch für die von der Partei- und Staatsführung der DDR gesteuerten Ergebnisse<br />
der marxistischen Geschichtswissenschaft, deren wissenschaftliche Dienlichkeit<br />
zu diskutieren den Rahmen sprengen würde. Sie stellten das Zusammenwirken<br />
von sowjetischen Besatzungsorganen und deutschen Verwaltungen<br />
zwar völlig undifferenziert dar, verleugneten jedoch nicht die Einflussnahme der<br />
Sieger auf die Umgestaltungsprozesse in der SBZ. 56 Ungeachtet der seit 1990<br />
erfolgten Öffnung der Archive halten einige in der DDR sozialisierte Wissenschaftler<br />
weiterhin an ihren monolithischen Geschichtsbildern fest, denen zufolge<br />
die Entwicklung in der SBZ vornehmlich als Reaktion auf politische Entscheidungen<br />
im Westen anzusehen sei. 57 Die generell erforderliche Skepsis<br />
hinsichtlich ideologiegebundener Forschung gebietet gegenüber ihren Resultaten<br />
eine gewisse Zurückhaltung. 58<br />
Nach wie vor ist das SBZ-Handbuch, der 1990 zusammengefasste Wissensstand<br />
der westdeutschen DDR-Forschung, eine unentbehrliche Arbeitsgrundlage.<br />
59 Einen umfassenden Überblick vermittelt auch das von Wolfgang Benz<br />
53 Melis, Entnazifizierung.<br />
54 Welsh, Wandel.<br />
55 Vgl. auch den Forschungsüberblick bei Braun, Neue Literatur; Braun, Neue Forschungen;<br />
Braun, Spiegel der Forschung; Bouvier, Forschungen; Sattler, Wirtschaftsordnung<br />
S. 24–40; Schroeder, SED-Staat, S. 621–632.<br />
56 Vgl. exemplarisch Meinicke, Entnazifizierung; Gräfe/Wehner, Politik der Sowjetischen<br />
Militäradministration; Gräfe/Wehner, führende Rolle der KPD; Wehner, Unterstützung<br />
der sowjetischen Militärorgane; Wehner, Befreiung <strong>Dresden</strong>s vom Faschismus.<br />
57 „Die Gründung der Bundesrepublik provozierte die ungewollt/gewollte Gründung der<br />
DDR.“, behauptete beispielsweise unlängst der ehemalige Bereichsleiter am Zentralinstitut<br />
für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Badstübner, zum doppelten<br />
Deutschland, S. 14. Vgl. Müller, Zweierlei Geschichtsschreibung.<br />
58 Exemplarisch spiegelt die Aussage des ehemaligen Direktors des Instituts für Zeitgeschichte<br />
[der DDR] Stefan Doernberg eine um Wahrheitsfindung bemühte ideologische<br />
Befangenheit wider, siehe Aufarbeitung und Versöhnung, S. 171–177; ebenso Doernberg,<br />
Fronteinsatz. Vgl. Halder, Modell, S. 226; Steinbach, Wissenschaftlichkeit und Politik.<br />
59 Broszat/Weber, SBZ-Handbuch.<br />
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20 Einleitung<br />
herausgegebene Handbuch „Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–<br />
1949/55“, 60 ergänzt von einem Kompendium zur SED von Andreas Herbst,<br />
Gerd-Rüdiger Stephan und Jürgen Winkler. 61 Zahlreiche Studien, Einzelaufsätze<br />
und Quellenbände zur Geschichte der Parteien und der Blockpolitik, 62 zum<br />
politischen System und der Gründung der SED 63 vervollständigen und erweitern<br />
das bisher entstandene Bild von der SBZ. Ebenso wie Entnazifizierung, 64<br />
Volksentscheid, 65 Reparationen, 66 die Vertriebenen-, 67 die Sozial- 68 und die<br />
Wirtschaftspolitik 69 oder der Aufbau der Polizei 70 fanden dabei weitere für die<br />
sowjetische Besatzungspolitik 71 bedeutsame Aspekte auf der Basis jetzt zugänglicher<br />
Dokumente Beachtung.<br />
Quellenlage<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Die Grundlage der Untersuchung bilden die Akten des Dresdner Stadtarchivs<br />
(StadtAD). Mit ihrer Hilfe kann die nach außen reibungslos erscheinende<br />
Transformation der ersten deutschen Diktatur in die zweite Diktatur transparent<br />
gemacht werden. Die vorrangig benutzten Bestände Stadtverordnetenversammlung<br />
und Rat der Stadt <strong>Dresden</strong> mit den Sitzungsprotokollen der<br />
Stadtverordnetenversammlung und des Stadtrates; die der Dezernate Oberbürgermeister,<br />
Innere Verwaltung, Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, Volksbildung,<br />
60 Benz, Deutschland.<br />
61 Herbst/Stephan/Winkler, SED; siehe auch Baumgartner/Hebig, Handbuch der SBZ/<br />
DDR.<br />
62 Biefang, Wiedererstehung; Bode, Liberal-Demokraten; Bouvier, Ausgeschaltet!; Fischer/Agethen,<br />
CDU; Großbölting, SED-Diktatur; Müller, Entstehung und Transformation;<br />
Suckut, LDP(D) in der DDR; Walter/Dürr/Schmidtke, SPD; Weber, Entwicklung<br />
des Parteiensystems; Wilde, SBZ-CDU; Zeidler, Entwicklung der Ost-CDU.<br />
63 Faulenbach/Potthoff, Zwangsvereinigung; Klein/Otto/Grieder, Repression und Opposition;<br />
Malycha, Weg zur SED; Müller, Gründung der SED; Weber, Entwicklung des Parteiensystems.<br />
64 Hartisch, Enteignung; Henke, Trennung von Nationalsozialismus; Kappelt, Entnazifizierung;<br />
Niethammer, Schule der Anpassung; Rößler, Entnazifizierungspolitik; Vollnhals,<br />
Entnazifizierung; Welsh, politische Säuberung; Wille, Entnazifizierung.<br />
65 Halder, Prüfstein; Halder, Volksentscheid; Creuzberger, Klassenkampf.<br />
66 Fisch, Reparationen; Karlsch, Allein bezahlt?<br />
67 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge; Schwartz, Umsiedler.<br />
68 Boldorf, Sozialfürsorge; Hoffmann, Sozialpolitische Neuordnung.<br />
69 Hoffmann, Planwirtschaft; Owzwar, gewerblicher Mittelstand; Sattler, Wirtschaftsordnung;<br />
Steiner, Länderpartikularismus.<br />
70 Belling, Entwicklung der polizeilichen Aufgaben; Bessel, Grenzen des Polizeistaates;<br />
Naimark, Suche nach Sicherheit; Spors, Aufbau des Sicherheitsapparates.<br />
71 Altrichter, Ein- oder mehrdeutig?; Fischer/Rissmann, Deutschland als Gegenstand; Foitzik,<br />
Verhältnis zwischen SED und Besatzungsmacht; Haritonow, SED und SMAD; Lemke,<br />
Sowjetisierung der SBZ/DDR; Merker, Landes- und Zentralverwaltungen; Müller;<br />
Stalin und die Demokratie; Naimark, Sowjetische Militäradministration; Scherstjanoi,<br />
Absichten der UdSSR; Scherstjanoi, Sowjetische Besatzungspolitik; Steiniger, Die Alliierten<br />
und Deutschland; Wettig, Stalins Deutschland-Politik.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
Quellenlage 21<br />
des Stadtbauamtes und insbesondere der Bezirksverwaltungen bieten einen umfassenden<br />
Fundus. Darüber hinaus wurde das von der Interessengemeinschaft<br />
13.Februar 1945 e. V. gesammelte und inzwischen dem Stadtarchiv übergebene<br />
Material verwendet. 72 Diese biographischen Aufzeichnungen und Originalhandschriften<br />
kompensieren einige der durch die Vernichtung von Unterlagen<br />
vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstandenen Verluste.<br />
Doch neben den eingangs ausgeführten Einschränkungen hinsichtlich des<br />
Aussagewertes der Akten traten bei ihrer Sichtung Lücken hervor, die nicht nur<br />
aus dem willkürlichen Umgang mit Archivgut in der DDR und einer teilweise<br />
unkontrollierten Kassation von Dokumenten resultierten. 73 Sie sind auch auf<br />
die mündliche Kommunikation der handelnden Akteure zurückzuführen. In der<br />
Regel wurden die politisch relevanten Anweisungen den deutschen Verwaltungen<br />
von der Besatzungsmacht nicht schriftlich mitgeteilt. Sie untersagte die Anfertigung<br />
von Aufzeichnungen, 74 eine Praxis, die auch die an konspirative Methoden<br />
der Parteiarbeit gewohnten kommunistischen Kader beibehielten. Aus<br />
diesem Grund war die Nutzung zentraler Archive geboten.<br />
Von besonderer Bedeutung sind die Bestände im Bundesarchiv Stiftung Archiv<br />
der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO-BArch), wobei<br />
wegen des lokalen Bezugs vorrangig die Nachlässe von Anton Ackermann, Otto<br />
Buchwitz, Kurt Fischer, Richard Gladewitz, Wilhelm Koenen, Hermann Matern,<br />
Otto Schön, Fritz Selbmann, Walter Ulbricht sowie Unterlagen der sächsischen<br />
KPD/SED, der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle und des<br />
Landesverbandes Sachsen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes<br />
(VVN) beziehungsweise der Opfer des Faschismus (OdF) in Betracht kamen.<br />
Einen vergleichbaren Stellenwert wie das ehemalige zentrale Parteiarchiv der<br />
SED haben das Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), das Archiv für Christlich-Demokratische<br />
Politik (ACDP) und das Archiv des Deutschen Liberalismus<br />
(ADL). Das ACDP bewahrt die Bestände des Landesverbandes Sachsen der<br />
Ost-CDU auf, das ADL die des sächsischen LDP-Landesverbandes. Während<br />
auf Seiten der CDU für den Kreisverband <strong>Dresden</strong> im Forschungszeitraum keine<br />
Quellen überliefert sind, befinden sich korrespondierend zum Material des<br />
LDP-Landesverbandes Sachsen im ADL auch Akten des LDP-Kreisverbandes<br />
<strong>Dresden</strong> und solche aus dem Nachlass von Johannes Dieckmann. Die Bestände<br />
der CDU und der LDP lassen sich zudem durch die genannten des Bundesarchivs<br />
ergänzen.<br />
Während diese Archive für die Entstehungsgeschichte von CDU und LDP<br />
wie für den konfrontativen Prozess ihrer Wandlung von Bedeutung sind, ist die<br />
Geschichte der Dresdner SPD nicht in gleicher Weise dokumentiert. Ihre Unterlagen<br />
gelangten weitestgehend in die SED-Archive. Das AdsD verfügt über<br />
72 Vgl. Neutzner, bis die Russen kommen.<br />
73 Vgl. zu Quellenproblemen Foitzik, Fragen der sowjetischen Außenpolitik, S. 329; Potthoff,<br />
Umgang mit den Akten.<br />
74 Foitzik, Inventar, S. 20 f. und 28 f.; Haritonow, Hochschulpolitik, S. 8.<br />
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Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
22 Einleitung<br />
Interviews, die 1974 und 1975 im Zusammenhang mit dem SBZ-Projekt 75<br />
durchgeführt wurden. Die wenigen Berichte zu <strong>Dresden</strong> aus dem Ostbüro der<br />
SPD 76 sind wegen ihres konspirativen Charakters nur eingeschränkt aussagefähig.<br />
Die fast durchgängig ohne Angaben zu Datum oder Verfasser angefertigten<br />
Aufzeichnungen müssen ebenso wie die in einem Abstand von 30 Jahren zu den<br />
Ereignissen entstandenen Interview-Protokolle mit Quellen anderer Provenienz<br />
korreliert werden. Hervorzuheben sind in dem Zusammenhang die Bestände<br />
des Sächsischen Hauptstaatsarchivs (SächsHStAD) in <strong>Dresden</strong>, weil hier die<br />
vorhandenen Dokumente der sächsischen SPD aufbewahrt werden. Allerdings<br />
wurden die Akten in großem Umfang bereinigt, die des SPD-Unterbezirks <strong>Dresden</strong><br />
fehlen vollständig. Die Geschichte der SPD in <strong>Dresden</strong> erschließt sich somit<br />
hauptsächlich aus den Protokollen zentraler Leitungsgremien, aus Rundschreiben<br />
und Erinnerungsberichten.<br />
Verwendung fanden neben Erinnerungen, Nachlässen und Kaderakten in<br />
erster Linie die Bestände Bezirksleitung der KPD, Landesgruppe der SPD, Aktions-<br />
und Arbeitsgemeinschaft KPD/SPD sowie SED-Landesleitung Sachsen.<br />
Das Archivgut enthält Berichte, Statistiken, Personal- und Entnazifizierungsakten.<br />
Die Überlieferung der Landesbehörde der Volkspolizei (LBdVP) im<br />
SächsHStAD erwies sich als eine unerschöpfliche Fundgrube. Trotz einer derzeit<br />
eingeschränkten Nutzbarkeit wegen unvollständiger Findhilfsmittel, 77 eines<br />
restriktiv ausgelegten Schutzes von Persönlichkeitsrechten betroffener Personen<br />
der Zeitgeschichte, einer deutlichen Selektion der Quellen und der unzureichenden<br />
Qualität ihrer Überlieferung auf stellenweise nicht lesbarem Filmmaterial,<br />
sind die Polizeiakten aufgrund der institutionellen Verankerung der Vorläufer<br />
einer politischen Geheimpolizei im Dresdner Polizeipräsidium von großem<br />
Gewicht für die Erforschung oppositionellen und widerständigen Verhaltens.<br />
Im Unterschied dazu waren für den Zeitraum der frühen Jahre <strong>1945–1948</strong> in<br />
der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />
der DDR (BStU) lediglich zentrale Dokumente von eher geringer Aussagekraft<br />
zu finden. Darüber hinaus werden im Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten<br />
des Bundesarchivs große Teile der erhaltenen Entnazifizierungsakten,<br />
der so genannten NS-Datei des Dresdner Einwohnermeldeamtes aufbewahrt.<br />
Für jede Forschungsarbeit zur SBZ stellt sich die Frage, inwiefern ein Rückgriff<br />
auf russische Quellen erforderlich wird. Nach wie vor ist aber der Zugang<br />
zu den Archiven der Russischen Föderation problematisch und die gezielte<br />
Quellenrecherche nur eingeschränkt möglich. 78 Generell sind Einblicke in Motivationen<br />
und Hintergründe zur sowjetischen Politik zu erwarten, zugleich<br />
aber fand das Handeln der Besatzungsmacht einen Spiegel in den zentralen wie<br />
den peripheren deutschen Institutionen. Entscheidend für den Verzicht auf den<br />
75 Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung.<br />
76 Vgl. Buschfort, Ostbüros.<br />
77 Halder, Modell, S. 30.<br />
78 Vgl. Zarusky, Archivsituation.<br />
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Quellenlage 23<br />
Besuch russischer Archive waren Stichproben in Quellenbeständen aus dem<br />
Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF). 79 Aus ihnen ergab sich ein<br />
überwiegend globaler Inhalt generalisierender Aussagen, zu denen sich die sowjetischen<br />
Offiziere gezwungen sahen. Ihre Berichte an vorgesetzte Dienststellen<br />
waren bedingt von den an sie gestellten Erwartungen und den ihnen zur Verfügung<br />
stehenden Informationen. Findmittel für eine systematische Suche nach<br />
Akten in russischen Archiven fehlen. In Anbetracht des zu erwartenden Nutzens<br />
wurde der erforderliche Aufwand für nicht vertretbar gehalten.<br />
Da neben den archivarischen Quellen unterschiedlicher Provenienz auf zahlreiche<br />
gedruckte Dokumente 80 sowie biographische Äußerungen von Zeitgenossen<br />
und andere Zeitzeugnisse zurückgegriffen werden konnte, 81 stand eine<br />
überbordende Fülle verschiedenster Unterlagen zur Verfügung, und die der Studie<br />
zugrunde gelegte Quellenlage kann als sehr gut bezeichnet werden.<br />
79 Für die Einsichtnahme in Akten der sowjetischen Stadtkommandantur in <strong>Dresden</strong> danke<br />
ich Dr. Mike Schmeitzner vom HAIT.<br />
80 Vgl. Befehle des Obersten Chefs; Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen; Bonwetsch/Bordjugow/Naimark,<br />
Dokumente der Propagandaverwaltung; Dokumente und<br />
Materialien; Was wurde bisher getan?<br />
81 Vgl. Buchwitz, Brüder; Feurich, Lebensbericht; Gniffke, Jahre; Wir sind die Kraft; Klemperer,<br />
Tagebücher; Leonhard, Revolution; Mischnick, Von <strong>Dresden</strong> nach Bonn; Wenn<br />
wir brüderlich; Beginn eines neuen Lebens; Tjulpanow, Deutschland; Tjulpanow, Rolle<br />
der SMAD; Weidauer, Kommunalpolitik; Welz, Stadt; Wir erlebten die historische Stunde.<br />
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II. Der Weg aus dem Krieg<br />
Thomas Widera, <strong>Dresden</strong> <strong>1945–1948</strong><br />
„Gerade wir“, schrieb Erich Kästner nach seinem ersten Besuch in der zerstörten<br />
Heimatstadt, „müssten heute wie nie vorher und wie kein anderes Volk die<br />
Wahrheit und die Lüge, den Wert und den Unfug unterscheiden können“. 1 Wer<br />
kurz nach dem 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation, dem Tag des Zusammenbruchs,<br />
dem Tag der Befreiung in eine beliebige deutsche Stadt kam, fand<br />
eine Realität vor, die mittlerweile schwer vorstellbar geworden ist. Unter allen<br />
verwüsteten Städten aber hebt sich <strong>Dresden</strong> wie Hiroshima besonders symbolhaft<br />
von anderen Bildern der Vernichtung ab. 2 Doch war der Tag des Kriegsendes<br />
tatsächlich ein Einschnitt, oder wiesen Kontinuitätslinien aus dem Krieg in<br />
die Nachkriegszeit, begünstigten gar Konstellationen der Diktatur die kommunistische<br />
Machtübernahme in der SBZ? Denn auch aus Mentalitäten, aus<br />
Selbst- und Fremdbildern sowie einschneidenden historischen Erfahrungen<br />
speisen sich die persönlichen Grundhaltungen der Bürger, die wiederum die<br />
Identifikationsprozesse mit dem jeweiligen politischen System prägen und beeinflussen.<br />
3 Zur Klärung dieser Zusammenhänge liegt die Bedeutung historischer<br />
Zäsuren und übergreifender Kontinuitäten auf der Hand. Welche Rolle<br />
spielte das historische Datum des Kriegsendes in <strong>Dresden</strong> oder dominierten<br />
hier andere Ereignisse jene vielerorts apostrophierte „Stunde Null“? Was besagt<br />
die Zuschreibung „unbesiegbare Stadt“ 4 in der Nachkriegs-„Politik mit der<br />
Erinnerung“ 5 ? Diese Fragen erfordern es, eine Untersuchung über die Zeit<br />
nach dem Ende des Krieges in <strong>Dresden</strong> mit einer knappen Bestandsaufnahme<br />
zu eröffnen.<br />
Mit der Niederlage von Stalingrad hatte 1943 die Serie deutscher Kriegserfolge<br />
ihr Ende gefunden. Die Luftherrschaft fiel an die Alliierten, die von SS-<br />
Einsatzgruppen und der Wehrmacht in den überfallenen Staaten entfesselte Gewalt<br />
schlug auf Deutschland zurück. Aber die nationalsozialistische Herrschaft,<br />
auch wenn mit der Verringerung ihres Einflussbereiches ihre wirtschaftlichen<br />
Ressourcen ständig zurückgingen und das Kriegspotential dahinschmolz, brach<br />
nicht von innen her zusammen, sondern musste von außen beseitigt werden.<br />
Die schwachen Kräfte der Opposition im Land entbehrten weitgehend des<br />
Rückhalts in der Bevölkerung, nicht zuletzt wegen der zwischen vielen Deutschen<br />
und ihrer Führung bestehenden „Komplizenschaft“ 6 : Mitglieder der<br />
NSDAP, zahlreiche Angehörige der Wehrmacht und weite Teile der Bevölkerung<br />
hatten von der Politik „profitiert“. 7<br />
1 Kästner, <strong>Dresden</strong>, S. 114.<br />
2 Buruma, Erbschaft der Schuld, S. 117–141.<br />
3 Vgl. Wendt, Deutschland 1933–1945, S. 634.<br />
4 Seydewitz, Stadt.<br />
5 Reichel, Politik mit der Erinnerung. Vgl. Münkler, Gedächtnis der DDR.<br />
6 Herbst, Deutschland 1933–1945, S. 453.<br />
7 Nolzen, Verhältnis NSDAP und Wehrmacht, S. 96.<br />
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