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Was ist guter Unterricht - Josef Leisen

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<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>guter</strong> <strong>Unterricht</strong>? <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong> Einführung Die <strong>Unterricht</strong>sforschung hat viele Merkmale guten <strong>Unterricht</strong>s valide festgestellt und herausgearbeitet. Es sind deren sehr viele und man neigt zu hoffen, ja zu glauben, dass die Berücksichtigung dieser Merkmale zu gutem <strong>Unterricht</strong> führe. Der Hoffnung folgt die Enttäuschung, dass dies nicht der Fall <strong>ist</strong>. Es gibt also jenseits der Forschungsergebnisse, jenseits der Merkmale guten <strong>Unterricht</strong>s ein Wirkungsgeheimnis guten <strong>Unterricht</strong>s, das sich entgegen der Regeln und trotz der Widrigkeiten spontan und unerwartet entfaltet oder trotz bester Absichten, Bedingungen und Bemühungen außen vorbleibt. Wer sich in der Schullandschaft umschaut kennt ... keinen Lehrer, der willentlich schlechten <strong>Unterricht</strong> macht, ... viele Lehrer, die guten <strong>Unterricht</strong> machen wollen, denen es aber nicht gelingt, ... viele Lehrer, die guten <strong>Unterricht</strong> machen, ... viele Lehrer, die meinen, sie würden guten <strong>Unterricht</strong> machen, ... viele Personen, die anderen sagen, wie man guten <strong>Unterricht</strong> macht, es selbst aber nicht können. Kleinlaut muss die <strong>Unterricht</strong>sforschung konstatieren: • „Innovativer <strong>Unterricht</strong>“ <strong>ist</strong> nicht gleich „<strong>guter</strong> <strong>Unterricht</strong>“. • Guter <strong>Unterricht</strong> <strong>ist</strong> gut gemachter <strong>Unterricht</strong>. • Gut gemachter herkömmlicher <strong>Unterricht</strong> <strong>ist</strong> <strong>guter</strong> <strong>Unterricht</strong>. • Gut gemachter schülerzentrierter <strong>Unterricht</strong> <strong>ist</strong> <strong>guter</strong> <strong>Unterricht</strong>. • Gut gemachter kompetenzorientierter <strong>Unterricht</strong> <strong>ist</strong> <strong>guter</strong> <strong>Unterricht</strong>. • Es gibt nicht „den“ guten <strong>Unterricht</strong>. • „Es gibt viele Wege zu gutem <strong>Unterricht</strong>, aber nicht jeder Weg führt zum guten <strong>Unterricht</strong>.“ (Weinert) • „Im Überblick betrachtet könnte der Eindruck entstehen, im <strong>Unterricht</strong> wäre alles und jedes irgendwie wichtig und zugleich auch wieder unwichtig.“ (Helmke & Weinert 1997, 125) Die Pädagogik im Allgemeinen und die Didaktik im Speziellen sind anfällig für immer neue Paradigma mit neuen Heilsversprechen. • Vor vierzig Jahren war das der lernzielorientierte <strong>Unterricht</strong>, • vor dreißig Jahren der handlungsorientierte <strong>Unterricht</strong> und der Projektunterricht, • vor zwanzig Jahren die Wochenplanarbeit, die Freiarbeit und der fächerübergreifende <strong>Unterricht</strong>, • vor zehn Jahren der kompetenzorientierte <strong>Unterricht</strong> • und heute der individualisierte <strong>Unterricht</strong> • und morgen ... Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 1


Es läuft immer nach demselben Muster: Das Paradigma bringt nicht die angekündigten, versprochenen Erfolge und die Enttäuschung folgt auf dem Fuße und schon tun sich neue Heilsversprechen auf. Es sind immer Versprechen auf die Zukunft, auf vorgestellte Erwartungen mit großen Effekten. Aus alledem und aus der Erfahrung kann man nur folgendes schlussfolgern. Nicht ideologische Konzepte (Paradigma) und nicht die Merkmall<strong>ist</strong>en guten <strong>Unterricht</strong>s machen guten <strong>Unterricht</strong>, sondern die alltägliche harte professionelle Arbeit am Lerner und mit dem Lerner an der Sache in einer Lerngruppe in der mit Anstrengung und Konsequenz eine Lernkultur aufgebaut wurde. Merkmall<strong>ist</strong>en guten <strong>Unterricht</strong>s sind genauso wichtig wie Richtungsweiser für eine Wanderung. Lehrkräfte müssen dadurch wissen, dass sie in die richtige Richtung gehen, aber das <strong>ist</strong> keine Garantie, dass sie auch am Ziel ankommen. Am Ziel kommt nur derjenige an, der den Weg auch geht, auch dann noch wenn er steinig wird, wenn nicht Vorhergesehenes passiert, wenn die Beine müde werden, usw. Die Vision auf einen einzigartigen Gipfel mag bei einem ehrgeizigen Gipfelstürmer ungeahnte Reserven zu mobilisieren, taugt aber nicht für den alltäglichen immer wiederkehrenden Anstieg eines unspektakulären alltäglichen Weges. Man misstraue Visionären genauso wie Ideologen und Heilsversprechern. Man vertraue nur Personen, die selbst unter Beweis gestellt haben dass es geht und wie es geht. Lehrkräfte, die im Alltagsgeschäft stehen brauchen 1. Wissen über Merkmale guten <strong>Unterricht</strong>s, damit die Richtung stimmt, 2. ein Modell guten <strong>Unterricht</strong>ens, als Anleitung zur Steuerung der Lernprozesse und 3. handwerkliches professionelles Können, um die Wirkung auch zu entfalten. 1. Wissen über Merkmale guten <strong>Unterricht</strong>s Im Folgenden werden Studien aufgeführt, die Merkmale guten <strong>Unterricht</strong>s untersuchen, belegen, erklären und erläutern. Merkmale guten <strong>Unterricht</strong>s nach Klieme (Drei-­‐Faktoren-­‐Modell) • <strong>Unterricht</strong>s-­‐ und Klassenführung – Regelklarheit und Umgang mit Störungen – Struktur und Klarheit des <strong>Unterricht</strong>s • Schülerorientierung und Unterstützung – Eingehen auf individuelle Potenziale und Bedürfnisse – Unterstützendes Klassenklima (motivationaler Aspekt) • Kognitive Aktivierung – Angebote für selbständiges, eigenverantwortliches Lernen – Anregung zu vertieftem Nachdenken Merkmale Klarheit und Strukturierung nach Lipowsky (Lipowsky, 2006) • Erkennbarer Roter Faden • Strukturierung des <strong>Unterricht</strong>s in klar erkennbare Phasen • Klare Aufgabenstellungen/ Sicherung des Verständnisses • Verständliche, prägnante Sprache Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 2


Viele Studien belegen die Bedeutung der kognitiven Aktivierung für die zwei Punkte wichtig sind: 1. Die „Passung“, nämlich der herausfordernde Charakter in Abhängigkeit von den Lernenden, ein angemessenes Anspruchsniveau, (n+1)-­‐Niveau 2. Umfangreiche Phasen ‚subjektiver‘ Aneignung im <strong>Unterricht</strong>, sowie Sprech-­‐ und Schreibgelegenheiten (nach dem Sandwich-­‐Prinzip) a. Anderen etwas erklären, aktives Zuhören (Slavin 1983) b. Wechselseitiges Lehren und Lernen (Wahl 2005) durch Schüler-­‐Schüler-­‐Interaktion, z.B. reciprocal teaching, Gruppenpuzzle … c. Symmetrisches <strong>Unterricht</strong>sgespräch (Diskurs) d. Sich selbst etwas laut oder leise erklären (Selbsterklärungen) (Chi et al. 1988) Die genannten Studien versuchen auf der „Sichtstruktur“ des <strong>Unterricht</strong>s Merkmale ausfindig zu machen, die den Unterschied von Schülerle<strong>ist</strong>ungen erklären. Im Fach Mathematik ergab eine vergleichende Videoanalyse mit sieben Ländern, dass Unterschiede in den Schülerle<strong>ist</strong>ungen nicht mit direkt beobachtbaren Merkmalen der „Sichtstruktur“ wie <strong>Unterricht</strong>sstilen, Sozialformen usw. erklärt werden konnten (Pauli & Reusser, 2003). Es <strong>ist</strong> zu vermuten, dass zum Verständnis von <strong>Unterricht</strong>squalität die unterhalb der Durchführungsebene wirkenden Denk-­‐ und Lernprozesse -­‐ die „Tiefenstruktur“ des <strong>Unterricht</strong>s -­‐ und deren Wechselwirkungen zusammen mit der Sichtstruktur berücksichtigt werden müssen (Klieme u. a., 2006). Wenn wir über guten <strong>Unterricht</strong> sprechen, so müssen wir über die „Sichtstruktur“ und die „Tiefenstruktur“ sprechen. Im Eisbergmodell stellt sich das folgendermaßen dar. Auf der „Sichtstruktur“ des Lerners sehen wir die Kompetenzen des Lerners, die im Handeln sichtbar werden. Die Lehrkraft zeigt ihre beruflichen Kompetenzen im unterrichtlichen Handeln. Im Eisbergmodell liegt die Sichtstruktur über der <strong>Was</strong>seroberfläche. Der größte und einflussreichste Teil liegt unter <strong>Was</strong>ser, gewissermaßen unsichtbar. Es sind die Einstellungen, das Interesse, die Arbeitshaltung, das Könnensbewusstsein, die Motivation, der Arbeitswille, der Ehrgeiz, der Lernwille, die Empathie, das Verantwortungsbewusstsein, der pädagogische Takt, der Respekt, usw. die das Lernerhandeln wie das Lehrerhandeln maßgeblich beeinflussen und die Wirkung auf der Sichtebene prägen. Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 4


Wir wissen, dass es die Wirkungszusammenhänge gibt, aber über die Korrelationen wissen wir noch wenig. Der Grund <strong>ist</strong> einfach: <strong>Was</strong> unter der <strong>Was</strong>seroberfläche liegt, das sehen wir nicht. Wir wissen nicht, wie der Eisberg unter <strong>Was</strong>ser verteilt <strong>ist</strong>, wo seine Ecken und Kanten liegen, usw. Die personale Disposition, die Lernerpersönlichkeit wird geprägt und beeinflusst durch die personale Kompetenz, die Lehrerpersönlichkeit. Aber auch der umgekehrte Einfluss gilt. Wir vermuten Einflüsse auf die Sichtebene, nämlich die schulischen Kompetenzen des Lerners. Gut erforscht <strong>ist</strong> die Wirkung der beruflichen Kompetenzen der Lehrkraft auf die schulischen Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 5


Kompetenzen der Lerner, also von Sichtstruktur lehrerseits auf die Sichtstruktur lernerseits. Mit anderen Worten, gut erforscht <strong>ist</strong> der <strong>Unterricht</strong>, weniger erforscht sind die latenten Wirkungen in der Tiefenstruktur, also die Erziehung. Vermutungen, Behauptungen, Vorstellungen, Zuschreibungen gibt es viele, aber diese sind nicht belastbar. Belastbare Studien fehlen. Den Einfluss des <strong>Unterricht</strong>s und der beruflichen Kompetenz des Lehrers -­‐ das was über der <strong>Was</strong>seroberfläche liegt -­‐ auf die Schulle<strong>ist</strong>ung (Metaanalysen u.a. Hattie 2003) zeigt folgende Tabelle: • IQ und Vorwissen 45% • <strong>Unterricht</strong> und Lehrer 30% • Sonstiges 25% Für den Lernerfolg entscheidend sind der IQ und das Vorwissen der Lerner -­‐ das was unter der <strong>Was</strong>seroberfläche liegt, die Tiefenstruktur. Dann kommt der <strong>Unterricht</strong> und der Lehrer und den geringsten Anteil hat Sonstiges (Rahmenbedingungen, Klassengröße, Ausstattung, ...) Die Wirkung der direkten Instruktion (Hattie, 2019, 2013) Und dann kommt Hattie noch mit der direkten Instruktion. Direkte Instruktion nach Wellenreuther <strong>ist</strong> ein „Oberbegriff für alle <strong>Unterricht</strong>sformen ..., in denen der Lehrer 1. direkt das <strong>Unterricht</strong>sgeschehen lenkt und kontrolliert, und 2. in denen er die Übermittlung von Informationen weitgehend selbst übernimmt.“ (Wellenreuther, 2008) Merkmale der direkten Instruktion sind: • Zur direkten Instruktion gehören Phasen aktiv-­‐problemlösenden Lernens auch in Partner-­‐ und Gruppenarbeit zur Übung des Gelernten und werden von der Lehrperson kontrolliert. Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 6


Offenbar kommt es also nicht auf ein „entweder oder“, sondern auf ein intelligentes, didaktisch begründetes „sowohl als auch“ an.“ (Lipowsky, S. 70) Nicht ideologische Konzepte (Paradigma) und nicht die Merkmall<strong>ist</strong>en guten <strong>Unterricht</strong>s machen guten <strong>Unterricht</strong>, sondern die alltägliche harte professionelle Arbeit am Lerner und mit dem Lerner an der Sache in einer Lerngruppe in der mit Anstrengung und Konsequenz eine Lernkultur aufgebaut wurde. <strong>Was</strong> macht guten <strong>Unterricht</strong>? • Machen Aufgabenstellungen „guten <strong>Unterricht</strong>“? • Machen Lernaufgaben „guten <strong>Unterricht</strong>?“ • Machen individuelle und vielfältige Lernprodukte „guten <strong>Unterricht</strong>“? • Macht Diagnose und Rückmeldung (= Formatives Assessment) „guten <strong>Unterricht</strong>“? • Machen Lerngerüste und gestufte Anforderungen „guten <strong>Unterricht</strong>“? • Macht die Kompetenzorientierung „guten <strong>Unterricht</strong>“? Die Antwort auf die gestellten Fragen <strong>ist</strong> ein klares „Ja“, wenn man es denn professionell gut macht. Aus dem Fazit folgt, dass es Modelle braucht als Anleitung zur professionellen Gestaltung und Steuerung von Lernprozessen. 2. Ein Modell guten <strong>Unterricht</strong>ens, als Anleitung zur Steuerung der Lernprozesse Wenn es offenbar nicht auf ein „entweder oder“ ankommt, sondern auf ein intelligentes, didaktisch begründetes „sowohl als auch“, dann muss das im <strong>Unterricht</strong> konkret seinen Platz finden. <strong>Unterricht</strong> braucht sowohl „Steilphasen“ im Sinne der (direkten) Instruktion und „Plateauphasen“ im Sinne der Konstruktion. Das Bild von Steilphasen und Plateauphasen Lehrkräfte, die durchgängig den lehrerzentrierten Frontalunterricht pflegen, verfolgen die Vorstellung vom gleichförmig dosierten Input über den gesamten Lehrprozess hinweg. Viel passender <strong>ist</strong> das Bild von abwechselnden Steilphasen (der Instruktion) und Plateauphasen (der Konstruktion). Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 9


InputPlateauphasen intensiver eigener Auseinandersetzung und Erstellung von LernproduktenSicherungs-­phasen direkter InstruktionInputphasen direkter InstruktionZeitDie Abfolge von Steil-­‐ und Plateauphasen muss in die Lernlinie passend eingebaut werden. Eine Lernlinie <strong>ist</strong> die komplette abgeschlossene Folge von Lernschritten, die lernpsychologisch und fachdidaktisch abgesichert sein muss. Unverzichtbare Stationen einer Lernlinie sind: Aktivierung von Vorwissen: Lernen findet immer auf der Basis des Vorwissens und Vorkönnens statt. Dazu <strong>ist</strong> im limbischen System Bereitschaft für das Lernen zu schaffen durch vertrauende Einsicht, dass sich das Lernen lohnen wird, dass das aufmerksame Dabei-­‐Sein Könnenserleben verspricht, dass das anstehende Problem Sinnstiftung ausstrahlt. Input neuen Wissens: Kompetenzerwerb findet immer an und mit Inhalten durch geeignete Aufgabenstellungen mit Materialien und Methoden statt. Dazu muss neues Wissen eingespe<strong>ist</strong> werden als Basis zur intensiven eigentätigen Auseinandersetzung. Intensive eigentätige Auseinandersetzung: In der Phase intensiver eigentätiger Auseinandersetzung konstruiert der Lernende auf der Basis des Vorwissens und des neu eingespe<strong>ist</strong>en Wissens mit Materialien und Methoden neues Wissen, erprobt sich im handelnden Umgang mit dem Wissen und stellt dabei durch passende Aufgabenstellungen angeleitet Lernprodukte her. Diese werden oft in kooperativen Sozialformen erstellt und fördern somit die Auseinandersetzung und erhöhen den Intensität-­‐ und Beschäftigungsgrad. Diskurs über Lernprodukte: In den auf einer Plateauphase der Konstruktion erstellten Lernprodukten steckt ein didaktischer Mehrwert, der durch eine diskursive Verhandlung im Plenum lernwirksam verdeutlicht und bewusst gemacht werden muss. Sicherung und Vernetzung des Gelernten: Das neu Gelernte muss unbedingt in zeitlicher Nähe zum Lernvorgang gesichert werden. Das heißt, dass das neu Gelernte bewusst gemacht wird, indem der Lerner selbst seinen Lernzugewinn definiert. Ihm wird bewusst, was er jetzt mehr und besser kann als vorher (Könnenserleben schaffen). Sichern bedeutet auch, dass das neue Wissen mit dem Bekannten vernetzt werden muss, z.B. über Begriffsnetze. Die Dekontextualisierung <strong>ist</strong> ein wichtiges Instrument der Sicherung, indem das neue Wissen in einen sachstruktuellen Zusammenhang gebracht wird. Transfer und Festigung des Gelernten: Gerade neu Gelerntes zu sichern unterscheidet sich vom festeigen und transferieren. Die Sicherung sollte in zeitlicher Nähe zum Lernakt liegen, Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 10


die Festigung und der Transfer hingegen sollten vom Lernakt durch Schlafphasen getrennt sein, um Interferenzen zu vermeiden. Der „Weg in das Gehirn“ (Abspeichern) <strong>ist</strong> gehirnphysiologisch ein anderer als der „Weg aus dem Gehirn“ (Abrufen). Der Transfer auf einen neuen Nachweiskontext des Gelernten <strong>ist</strong> sehr anspruchsvoll. Das Festigen erfordert eine Routinebildung und Übung. Steil-­‐ und Plateauphasen im passenden Wechsel in der Lernlinie Diese unverzichtbaren Stationen einer Lernlinie müssen nun in einen zeitlichen Ablauf in Form eines Lehr-­‐Lern-­‐Prozesses gebracht werden. Das geschieht nachfolgend in Form eines Modells vom Lehr-­‐Lern-­‐Prozess. Das Modell des Lehr-­‐Lern-­‐Prozesses setzt einerseits die Lernvorgänge der Lerner zentral in den <strong>Unterricht</strong> und modelliert die Lehrle<strong>ist</strong>ungen als Teil der Lernumgebung. Lerner treten mit Vorwissen, Vorerfahrungen und mit einem Bestand an Kompetenzen in die Lernumgebung des <strong>Unterricht</strong>s ein und verlassen diese Lernumgebung mit mehr Wissen, mehr Können und ausgeprägteren Kompetenzen. Das Lernen findet in einer Folge von Lernschritten in der Zeit statt. Die Lernschritte können fach-­‐, themen-­‐ und kompetenzspezifisch sein. (Präzisierungen finden sich in den Ausführungen der Fachseminare.) Jedoch findet in jeder Lerneinheit an passender Stelle eine Arbeit an den Lernmaterialien statt, denn Lerner bearbeiten Aufgabenstellungen, werten Informationen aus, setzen sich mit den fachlichen Inhalten auseinander und entwickeln dabei Kompetenzen. Me<strong>ist</strong>ens entsteht dabei ein Lernprodukt materieller Art (z.B. Tabelle, Mindmap, Text, Skizze, Bild, Diagramm, Experiment, …) oder auch immaterieller (ge<strong>ist</strong>iger) Art in Form von Erkenntnissen. Dieser Lernschritt <strong>ist</strong> der zentrale, alle vorgängigen führen hin, alle nachfolgenden bauen darauf auf. Die erstellten Lernprodukte werden oft im Plenum Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 11


diskutiert und verhandelt. Ein Lernschritt, in dem vernetzt und transferiert wird, schließt die Lernsequenz häufig ab. Die Lehrerle<strong>ist</strong>ungen bestehen in den Steuerungen der Lernprozesse. Steuerung 1: Aufgabenstellungen Gute Aufgabenstellungen sind der Motor förderlicher Lernumgebungen. Aufgabenstellungen beinhalten Arbeitsaufträge, Lernmaterialien und Methoden. Letztere steuern maßgeblich den Lernvorgang und materialisieren die Lernumgebungen. Steuerung 2: Lernmaterialien und Medien In der Mitte des Lernens bearbeiten die Lernenden Lernmaterialien, stellen Lernprodukte her und diskutieren dieselben. Mit den Lernmaterialien (z.B. Gegenstände, Experimentiermaterialien, Bilder, Zeichnungen, Texte, Hörtexte, Filme, Comics, Sprechblasen, Berichte, …), die von Methoden und Medien (z.B. Lehrervortrag, Experiment, Film, Sachtext, <strong>Unterricht</strong>sgespräch, multimediale Lernumgebung, Internetrecherche, Podcast, Experteninterview, …) begleitet sind, steuert die Lehrkraft die Lernprozesse material. Die Steuerungen 1 und 2 sind me<strong>ist</strong>ens „Schreibtischprodukte“ der Lehrkraft, sind vorbereitet und haben materialen Charakter. Die Steuerungen 3 und 4 sind immer situativ und haben personalen Charakter. Steuerung 3: Moderation Der Lernprozess wird von der Lehrkraft verbal begleitet und personal gesteuert. Ihrem professionellen Geschick obliegt es, die Lernmaterialien moderierend in den Lernprozess einzubinden und im Diskurs zu verhandeln. Die Moderation <strong>ist</strong> immer persönlich geprägt, muss aber unabhängig von der Lehrerpersönlichkeit professionellen Standards genügen. Steuerung 4: Rückmeldung und Reflexion Von der Lehrkraft angeleitete Reflexionen über die Lernvorgänge (Metareflexionen) und individuelle qualifizierte Rückmeldungen durch die Lehrkraft sind im Lernprozess wichtig, um Könnensbewusstsein, Lernerpersönlichkeit und Selbstvertrauen zu entwickeln. Lernprodukte sind das Herzstück des Lernens mit den folgenden Eigenschaften. Sie – Sie entstehen im handelnden Umgang mit Wissen. – Sie werden auf Plateauphasen entwickelt. – Lernprodukte sind individuell bzw. gruppenspezifisch und vielfältig. – Sie sind „diskursfähig“ – und sie zeigen den Kompetenzstand der Lerner. Ein lernwirksamer und verantwortungsvoller Umgang mit dem knappen Gut „Zeit“ im <strong>Unterricht</strong> erfordert einen passenden Wechsel von Steil-­‐ und Plateauphasen, solchen der Instruktion und solchen der Konstruktion, wie die folgende Abbildung skizziert. Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 12


3. Handwerkliches professionelles Können, um die Lernwirkung zu entfalten Wirksame Lerngerüste anbieten Die Hattie-­‐Studie betont die Bedeutung der Unterstützung im Sinne der Diagnose und Rückmeldung. Lehrkräfte müssen den Lernern wirksame Lerngerüste bieten. • Klarheit und Verständlichkeit der Lehrersprache • Aktivierung schon vorhandenen Wissens und Vernetzung mit anderen Wissens-­‐ und Könnensbereichen • Hilfestellungen bei gemachten Fehlern • Zwischenreflexionen zum Lernfortschritt • wiederholtes Üben anstelle bloßer Abschlusstests • regelmäßiges Schüler-­‐Feedback und zügige Konsequenzen aus dem Feedback. Folgende Lerngerüste bieten sich an (PÄDAGOGIK, 1(2014), S. 16): Modeling: Die Lehrkraft gibt Lösungsbeispiele und erläutert diese und den Weg dorthin. Beispiel: L: ln dem Satz: "Ich war schon oft in England, nämlich in London" finden sich ein Satz und eine genauere Bestimmung. Es gibt zwei Möglichkeiten, das herauszufinden: Man kann den Satz durch die Satzgliedfragen nach einem Subjekt und einem Prädikat durchsuchen. Oder man liest den Satz für sich durch und markiert sich die Stelle, an der man eine Pause macht. Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 13


Coaching: Die Lehrkraft gibt strategische Problemlösungshinweise in Frageform (promting) Beispiel: L: Wenn du den Satz laut vorliest, wann machst du eine Pause? S: Hinter "England". L: Nun beginne bei der Regel "S". Stelle die Satzgliedfrage. Gibt es zwei Subjekte und zwei Prädikate? S: Nein. L: Findest du einen Infinitiv? S: Nein. L: Handelt es sich um eine Aufzählung? ... Scaffolding: Die Lehrkraft gibt ein allgemeines Gerüst (scaffold) zur Vorgehensweise. Beispiel: L: "Ich war schon oft in England, nämlich in London": 1. Musst du beim Vorlesen eine Pause machen? Wenn ja: 2. Untersuche die beiden Teile des Satzes! Sind es zwei Sätze, also mit zwei Subjekten und zwei Prädikaten (Regel S)? Wenn nein: 3. Ist es ein Satz mit einer genauen Bestimmung, also mit Signalwörtern wie „d.h.“ oder „nämlich“? Die bislang genannten Lerngerüste liegen in Lehrerhand, werden von ihm gegeben und gesteuert. Die nachfolgenden liegen stärker in Lernerhand. Lautes Denken: Der Lerner verbalisiert während des Arbeitsprozesses die einzelnen Teilschritte. Beispiel: L: Sprich laut aus, was du denkst, während du die Aufgabe bearbeitest. S: Also, ich lese den Satz zunächst für mich durch und schaue, ob ich irgendwo beim Vorlesen eine Pause machen muss. Selbsterklärungen: Der Lerner verbalisiert nach der Lösung eines Problems seinen Weg zur Problemlösung. Beispiel: L: Beschreibe die Schritte, wie du auf diese Lösung gekommen b<strong>ist</strong>. S: Also, ich habe zunächst den Satz für mich durchgelesen und geschaut, ob ich eine Pause machen muss ... Fading: Die Lerner übernehmen die Lehrer-­‐ und Expertenrolle. Und die Lehrkraft zieht sich aus dem Lernprozess zurück. Beispiele: Lernen durch Lehren: Lernende erstellen Trainingsmaterial, teilen es an ihre Mitschüler aus, beantworten Fragen und moderieren die Besprechung. Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 14


Expertensystem: Lernende sind für einzelne Aufgaben Experten. Sie korrigieren die Aufgaben ihrer Mitschüler und beantworten Fragen. Professionelle Moderation (An anderer Stelle beschrieben.) Literatur Weinert, F. E. (1999). Die fünf Irrtümer der Schulreformer. Welche Lehrer, welchen <strong>Unterricht</strong> braucht das Land? Psychologie Heute, 26(7), 28-­‐34. Lipowsky, Frank: Auf den Lehrer kommt es an. Empirische Evidenzen für Zusammenhänge zwischen Lehrerkompetenzen, Lehrerhandeln und dem Lernen der Schüler. In: Allemann-­‐Ghionda, Cr<strong>ist</strong>ina [Hrsg.]; Terhart, Ewald [Hrsg.]: Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern. Weinheim u.a. : Beltz 2006, S. 47-­‐70. -­‐ (Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft; 51) Baumann, J.; Werner Blum, Michael Neubrand u.a. (Hrsg.): Professionelle Kompetenz von Lehrkräften -­‐ Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Münster: Waxmann 2011 Max Planck Institut für Bildungsforschung: Hauptergebnisse der COACTIV-­‐Studie. https://www.mpib-­‐berlin.mpg.de/coactiv/studie/ergebnisse/index.html Wellenreuther, M. (2008): Lehren und Lernen -­‐ aber wie? Empirisch-­‐experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im <strong>Unterricht</strong>. Baltmannsweiler Wellenreuther, M. (2009): Forschungsbasierte Schulpädagogik Anleitungen zur Nutzung empirischer Forschung für die Schulpraxis. Baltmannsweiler Wellenreuther, Martin: Frontalunterricht, direkte Instruktion oder offener <strong>Unterricht</strong>? Empirische Schulforschung für die Schulpraxis nutzen. In: Schulverwaltung. Nordrhein-­‐Westfalen, 20 (2009) 6, S. 169-­‐172. Im Internet: http://www.ibl.fh-­muenster.de/methodenportal/image s/methodenportal/8/8c/Frontalunterricht.pdf (Stand: 19. 7.2013) Wellenreuther, Martin: Jenseits von Konstruktion und Instruktion. Eine Diskussion auf der Grundlage neuerer experimenteller Forschung. In: In: Giest, H., Heran-­‐Dörr, E. und Archie, C.: Lernen und Lehren im Sachunterricht. Zum Verhältnis von Konstruktion und Instruktion. Klinkhardt, Bad Heilbrunn, S. 51–61. Im Internet: http://www.martin-­wellenreuther.de/content/konstruktion.pdf (Stand 19.7.2013) Köller, Olaf/Möller, Jens (2012): <strong>Was</strong> wirklich wirkt: John Hattie resumiert die Forschungsergebnisse zu schulischem Lernen. In: Schulmanagementonline. de 4/2012, S. 34-­‐37 Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von "Visible Learning" besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Prof. <strong>Josef</strong> <strong>Leisen</strong>, www.josefleisen.de 15

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