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4<br />

DAS THEMA<br />

Schlafmedizin und Psychiatrie: Eine wichtige Liaison<br />

Oberärztin Dr. Christine Norra über den Zusammenhang zwischen Schlaf und Psyche<br />

Die heutige Menschheit bewegt sich auf eine Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft zu. Sie ist jederzeit und auf unterschiedlichsten<br />

Kommunikationswegen erreichbar, Zeitzonen lassen sich mittels modernster Transportmittel schnell überwinden<br />

und Stimulantien wie Kaffee, Cola oder Nikotin tun ihr übriges, wenn die Müdigkeit dann doch überhand zu nehmen<br />

scheint. Stört der Schlaf nicht gar am Ende, lautet eine provokante Frage. Fest steht: Der Mensch benötigt gegenwärtig<br />

etwa sieben Stunden Nachtschlaf, will er nicht langfristig körperlich, z.B. an Herz-Kreislaufstörungen erkranken. Und:<br />

Der Zusammenhang zwischen Schlaf, Schlafstörungen und psychischen Erkrankungen ist nach aktuellen Erkenntnissen<br />

nicht zu unterschätzen.<br />

Die noch recht junge Disziplin der Schlafmedizin und Schlafforschung<br />

gewinnt nicht nur in den Grundlagenwissenschaften,<br />

sondern auch in der klinischen Versorgung und der Gesundheitsökonomie<br />

zunehmend an Bedeutung. Auch das im<br />

Februar 2008 in der LWL-Universitätsklinik Bochum veranstaltete<br />

Symposium zu aktuellen neurowissenschaftlichen und klinischen<br />

Aspekten der Schlafmedizin wies auf den engen<br />

Zusammenhang zwischen Schlaf, Schlafstörungen und psychischen<br />

Zustandsbildern hin.<br />

Heutzutage ist weniger von „gesundem“ oder „gestörtem“<br />

Schlaf die Rede, sondern von „nicht-erholsamem“ Schlaf. Im<br />

Vordergrund steht bei Ein-/Durchschlafstörungen sowie<br />

Tagesschläfrigkeit das subjektive Erleben des Patienten am<br />

Tag, denn Schlaf-Wach-Störungen oder Schlafmangel beeinträchtigen<br />

nicht nur die nächtlichen Erholungs- und<br />

Gedächtnisbildungsfunktionen, sondern gleichzeitig die psychophysische<br />

Leistungsfähigkeit, Stimmung und Lebensqualität<br />

tagsüber.<br />

In einer bundesdeutschen Stichprobe in über 500 Allgemeinarztpraxen<br />

berichteten mehr als 42 Prozent der Patienten über<br />

Schlafstörungen. Bei mindestens einem Drittel aller chronischen<br />

Insomniker kann eine psychiatrische Ursache nachgewiesen<br />

werden. Schlafstörungen treten insbesondere bei<br />

affektiven, schizophrenen und dementiellen Bildern, traumatisch<br />

bedingten und anderen Anpassungsstörungen auf.<br />

Daher muss bei Klagen oder Auftreten von Schlafstörungen<br />

differentialdiagnostisch immer auch an eine psychiatrische<br />

Erkrankung gedacht und gezielt nachgefragt werden.<br />

Umgekehrt klagen 70 Prozent der psychiatrischen Patienten<br />

über Schlafstörungen, so etwa bis zu 90 Prozent der depressiven<br />

Patienten.<br />

Pharmakologisch stehen für die Insomnie-Behandlung mit<br />

den neueren Benzodiazepin-Rezeptoragonisten Substanzen<br />

zur Verfügung, die ein nur relativ geringes Abhängigkeitsrisiko<br />

aufweisen und bei kurzer Wirkdauer meist ohne morgendlichen<br />

Überhang bleiben. Hypnotisch wirksame Antidepressiva<br />

sind insbesondere bei depressiven Störungen Mittel der<br />

ersten Wahl. Phytopharmaka sind allenfalls bei leichten<br />

Insomnien als hilfreich anzusehen. Melatonin oder Rezeptoragonisten<br />

werden bei Rhythmusstörungen, Jetlag, chronischer<br />

Insomnie und zunehmend im Zusammenhang mit<br />

depressiven Störungen als wirksam diskutiert.<br />

Hingegen spielen kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen<br />

trotz einer recht guten Evidenzlage bislang kaum<br />

eine Rolle in der Therapie der chronischen Insomnien. Oft<br />

aber sind schon einfache schlafhygienische Empfehlungen<br />

von hohem Wert für die Verbesserung der individuellen Schlafqualität.<br />

Aber auch die übermäßige Tagesschläfrigkeit (Hypersomnie;<br />

Stichwort: „der müde Patient“) kann zum Problem werden,<br />

wenn etwa kognitive Defizite im Rahmen eines Schlafapnoe-<br />

Syndroms das intellektuelle und handlungspraktische Leistungsvermögen<br />

reduzieren und es dann oft zu einer Intoleranz<br />

gegenüber monotonen Situationen kommt (z.B. häufiges<br />

Einnicken im Straßenverkehr oder vor dem Fernseher).<br />

Die Diagnostik und Therapie schlafbezogener Atemstörungen<br />

macht ein wesentliches Aufgabengebiet der Schlafmedizin<br />

aus, auch im Zusammenhang mit komorbiden medizinischen<br />

und psychiatrischen Störungen. Gleiches gilt für Bewegungsstörungen<br />

im Schlaf wie etwa dem Restless-Legs-Syndrom.<br />

Insgesamt hat sich die Durchschnittsschlafdauer verkürzt: im<br />

letzten Jahrhundert um über zwei Stunden und innerhalb der<br />

letzten zehn Jahre um eine weitere halbe Stunde; sieben<br />

Stunden werden aktuell empfohlen. Auch wenn die Gefahren<br />

einer unausgeschlafenen Gesellschaft sich vielleicht in<br />

Grenzen halten werden, geht es doch bei der Vermeidung von<br />

Übermüdung am Arbeitsplatz auch um die Minimierung sozialer<br />

und ökonomischer Folgekosten. Verkehrsunfälle infolge<br />

Übermüdung (schätzungsweise die Hälfte aller tödlichen<br />

Autounfälle) sowie Unfälle als Übermüdungsfolgen von<br />

Schichtarbeit stellen vermutlich nur die Spitze eines Eisbergs<br />

dar. Welche Rolle hierbei der therapeutische Einsatz von<br />

psychopharmakologischen Stimulantien spielen wird, bleibt<br />

abzuwarten.<br />

In jedem Fall werden klinisch tätige Psychiater sich in Zukunft<br />

mit den vielfältigen Ansatzpunkten auf dem Gebiet der<br />

Schlafmedizin auseinandersetzen müssen.

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