Jugendsprache in Berlin-Neukölln: Wir sagen "Du ... - Theater Strahl
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Spaaaß! Materialien THEATER STRAHL BERLIN<br />
Anlage 2<br />
Hurensohn! Stück Scheiße!<br />
Arschloch!<br />
Süddeutsche Zeitung Magaz<strong>in</strong>, Heft 10/2009<br />
Über Mobb<strong>in</strong>g am Arbeitsplatz wird ständig<br />
diskutiert - aber wie Schüler sich gegenseitig<br />
fertig machen, das ist hundertmal brutaler. Mit<br />
den Folgen kämpfen die Opfer oft noch als<br />
Erwachsene.<br />
Als Julia T.* alles daransetzt, e<strong>in</strong>en Platz für<br />
Lukas an e<strong>in</strong>er sehr beliebten Grundschule <strong>in</strong><br />
München zu bekommen, glaubt sie, das Allerbeste<br />
für ihren Sohn zu tun. Aber e<strong>in</strong> Jahr später<br />
s<strong>in</strong>d Mutter und Sohn durch die Hölle gegangen.<br />
Der Junge, weil er von se<strong>in</strong>er Klasse fix und<br />
fertig gemacht wurde, und die Mutter, weil sie<br />
ihm nicht helfen konnte.<br />
Dabei ist die Schule ke<strong>in</strong>e schlechte Schule. Sie<br />
bef<strong>in</strong>det sich mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em k<strong>in</strong>derreichen<br />
Viertel, das Schulhaus ist alt und ehrwürdig, auf<br />
dem Hof stehen kle<strong>in</strong>e Hütten und Klettergerüste.<br />
Patenklassen empfangen die Erstklässler,<br />
und sogenannte Tröster gehen <strong>in</strong> den Pausen<br />
auf dem Schulhof herum, um sofort zur Stelle zu<br />
se<strong>in</strong>, wenn mal jemand h<strong>in</strong>fällt und sich wehtut.<br />
Für ihre vorbildliche Pädagogik wurde die Schule<br />
sogar ausgezeichnet.<br />
Und doch stand sie dem, was mit Lukas geschah,<br />
machtlos gegenüber: Mobb<strong>in</strong>g kommt<br />
auch an den besten Schulen vor; und das Problem<br />
wird <strong>in</strong> deutschen Lehrerzimmern nach wie<br />
vor dramatisch unterschätzt. Entweder die Fälle<br />
werden gar nicht bemerkt, oder aber sie werden<br />
verdrängt. Dabei s<strong>in</strong>d sie oft ke<strong>in</strong>eswegs<br />
harmlos. »Wenn K<strong>in</strong>der mobben«, sagt<br />
Mechthild Schäfer, Entwicklungspsycholog<strong>in</strong> der<br />
Universität München, »bedienen sie sich teilweise<br />
Methoden, für die man – wenn man<br />
strafmündig ist und angezeigt wird – <strong>in</strong>s Gefängnis<br />
wandern kann.«<br />
Im Sommer 2002 zieht Julia T. mit Lukas von<br />
Hamburg nach München. Lukas ist vorher <strong>in</strong><br />
Norddeutschland und im Rhe<strong>in</strong>land zur Schule<br />
gegangen. Es hat nie Probleme gegeben. Er war<br />
ke<strong>in</strong> brillanter, aber e<strong>in</strong> problemloser Schüler.<br />
Nun kommt Lukas, zehn Jahre alt, <strong>in</strong> die vierte<br />
Klasse der Münchner Grundschule. Die Lehrer<strong>in</strong><br />
fragt ihn: »Wo kommst du her?« Er sagt: »Aus<br />
Hamburg.« Sie sagt, unbedacht: »Ach, dann<br />
kannst du ja sowieso nichts.«<br />
Irgendwie war das der Anfang vom Ende, me<strong>in</strong>t<br />
Lukas heute. Er ist jetzt 17 und sieht aus, wie<br />
17-Jährige heute so aussehen: halblange Haare,<br />
die Jeans sitzt auf den Hüften. An der rechten<br />
Hand trägt er e<strong>in</strong>en breiten silbernen R<strong>in</strong>g, den<br />
er selbst gemacht hat, er überlegt, vielleicht<br />
Goldschmied zu werden. Er wirkt sanft und<br />
spricht bedächtig. Er hat jetzt ke<strong>in</strong>e Angst mehr<br />
vor der Schule, aber es hat Jahre gedauert, bis<br />
er wieder Vertrauen fassen konnte <strong>in</strong> Mitschüler<br />
und Lehrer.<br />
Im vergangenen Jahr hat er den Hauptschulabschluss<br />
gemacht, <strong>in</strong> diesem Jahr steht die mittlere<br />
Reife bevor – es hätte e<strong>in</strong>en leichteren Weg<br />
für ihn geben können, wären se<strong>in</strong>e Noten <strong>in</strong> der<br />
vierten Klasse nicht so schlecht geworden, dass<br />
es nicht e<strong>in</strong>mal mehr für die Realschule reichte.<br />
Nach dem Spruch der Lehrer<strong>in</strong> fangen die coolen<br />
Jungs aus der Klasse an, Lukas zu hänseln.<br />
»<strong>Du</strong> bist neu, du bist doof, du kannst nichts.«<br />
Die Mädchen verhalten sich erst mal neutral.<br />
E<strong>in</strong> Mitschüler ist nett zu Lukas. Doch nach e<strong>in</strong>er<br />
Weile distanziert auch er sich. »Man muss sich<br />
entscheiden, ob man Täter oder Opfer se<strong>in</strong><br />
will«, sagt e<strong>in</strong> Junge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Umfrage des<br />
Deutschlandfunks zum Thema Mobb<strong>in</strong>g. Wenn<br />
man mobbt, geht man wenigstens sicher, nicht<br />
gemobbt zu werden – und ist außerdem nie<br />
alle<strong>in</strong>. Denn es s<strong>in</strong>d nie E<strong>in</strong>zelpersonen, die<br />
mobben, es s<strong>in</strong>d nicht e<strong>in</strong>fach böse oder<br />
schlecht erzogene Jungs oder Mädchen, es ist<br />
immer e<strong>in</strong>e Gruppe, e<strong>in</strong>e Klasse, e<strong>in</strong> System.<br />
Die Jungs nehmen Lukas se<strong>in</strong>en Stift weg, und<br />
wenn er ihn sich wieder holen will, werfen sie<br />
ihn durch die Klasse und lachen sich kaputt. Sie<br />
klauen se<strong>in</strong>e Schuhe und stecken sie <strong>in</strong>s Klo. Sie<br />
nennen ihn »Hurensohn« oder »Idiot«. Lukas<br />
sieht jünger aus, als er ist, er ist unsportlich und<br />
schüchtern – ke<strong>in</strong> Kerl, der mit e<strong>in</strong>em Spruch<br />
kontert, wenn er angegriffen wird, sondern<br />
e<strong>in</strong>er, der verstummt.<br />
»Die Täter zeichnen sich durch großes Geschick<br />
aus, potenzielle Opfer zu erkennen, und sie<br />
beschreiben die Merkmale e<strong>in</strong>es Opfers so: Das<br />
s<strong>in</strong>d die, die sich nicht wehren, nicht sehr stark<br />
s<strong>in</strong>d und sich zu sehr fürchten, Lehrern oder<br />
ihren Eltern davon zu erzählen«, sagt Mechthild<br />
Was ist Mobb<strong>in</strong>g? | 24