20Jahre Mauerfall - Katholische Akademie
20Jahre Mauerfall - Katholische Akademie
20Jahre Mauerfall - Katholische Akademie
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
20 Tagungsdokumentation<br />
schaftlichen Umstände zum Besseren. Um dieser Haltung gerecht zu werden, muss<br />
man sich einer Tatsache erinnern, die zwanzig Jahre nach dem revolutionären Herbst<br />
des Jahres 89 weithin verdrängt und vergessen worden ist, vorher aber – im Osten<br />
wie im Westen – als selbstverständlich galt: Dass es nämlich nur die Hoffnung auf<br />
eine Veränderung des bestehenden Sozialismus zum Besseren war, welche damals<br />
realistisch genannt werden konnte, zumindest als Beginn einer Entwicklung in einem<br />
überschaubaren Zeitraum. Jeder Wunsch nach Wandel bewegte sich gleichsam auf<br />
dem Boden des Sozialismus, jeder Ruf nach Reform meinte diesen erneuern oder zu<br />
seinen ideellen Ursprüngen zurückführen zu können. Es ist, insbesondere im westlichen<br />
Urteil über die Entwicklung in der DDR, inzwischen weithin üblich geworden,<br />
solche Hoffnungen mehr oder weniger nachsichtig als Irrtum abzutun, wenn nicht<br />
gar der halben Komplizenschaft mit dem Regime zu verdächtigen. Gewiss gibt es<br />
heute gute Gründe, solche Perspektiven als illusionär zu charakterisieren. Das nimmt<br />
ihnen aber nichts von ihrer realen geschichtlichen Wirkung. Es war der Appell an<br />
die Freiheits- und Gerechtigkeitsträume der ursprünglichen sozialistischen Idee, es<br />
war die angemahnte Verbindung von Sozialismus und Demokratie, welche die Herrschenden<br />
immer wieder delegitimierte, ihre überzeugten Anhänger verstörte, aber<br />
auch nachdenklich machte, das Regime zu immer neuen Rechtfertigungskampagnen<br />
zwang und so, wenn auch als krude Karikatur, so etwas wie eine gesellschaftliche<br />
Debatte in Gang hielt.<br />
Natürlich beunruhigten solche Hoffnungen das herrschende Regime. „Hauptsache –<br />
Ruhe im Karton,“ sagte der SED-Chefideologie Kurt Hager zu Forschungsstudenten<br />
der marxistisch-leninistischen Philosophie an der Humboldt-Universität, als diese ihn<br />
in den achtziger Jahren fragten, wie denn ihre Partei auf die wachsende gesellschaftliche<br />
Unruhe reagieren wolle. Es ist das unbestreitbare geschichtliche Verdienst der<br />
Bürgerrechts- und Umweltgruppen in der DDR, durch ihr mutiges Handeln eben jene<br />
Dynamik hervorgerufen und wachgehalten zu haben, ohne die es keine geschichtliche<br />
Bewegung gibt. Denn nur aus einer solchen Dynamik heraus konnte es zu einem<br />
revolutionären Wandel kommen. Und es ist das unbestreitbare Verdienst der<br />
Evangelischen Kirche, solchen Gruppen einen Ort gegeben, deren Stimmen verstärkt<br />
und deren Forderungen aufgegriffen zu haben. Natürlich geschah dies durchaus auch<br />
zögerlich und mit besorgtem, wenn nicht angstvollem Herzen, denn es gefährdete<br />
ja zugleich den so mühsam bewahrten inneren Freiraum der Kirche, wenn nicht sogar<br />
ihre Existenz. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir Katholiken doch gestehen,<br />
dass wir lange ganz überwiegend darauf konzentriert waren, unsere kleine Herde zusammenzuhalten,<br />
und im Übrigen darauf vertrauten, dass es der Herr der Geschichte<br />
irgendwann und irgendwie schon richten würde. Gleichwohl blieb trotz dieser Unterschiede<br />
in der Zeit der DDR entscheidend: Wo der christliche Glaube lebt, gibt<br />
es Hoffnung. Und in diesem die Menschen verplanenden und auf sie zugreifenden