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Gleichnis der Harmonie. Gesetz und Gestaltung der bildenden Künste

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4<br />

Inhalt<br />

7 Einleitung, Dank<br />

Frühe Malerei <strong>und</strong> Grafik<br />

12 Weltbefragung nach dem Krieg. Der ekstatische Expressionismus in <strong>der</strong> Druckgrafik von<br />

Max Burchartz // Gerda Breuer<br />

32 Die frühe Malerei von Max Burchartz 1907–1922 // Gerda Breuer<br />

48 Verschollene Bil<strong>der</strong><br />

Von <strong>der</strong> elementaren Typografie zur Werbung<br />

52 Max Burchartz in Weimar. Im Dunstkreis von Bauhaus <strong>und</strong> De Stijl // Gerda Breuer<br />

84 Vom Maler zum Werbefachmann. Max Burchartz <strong>und</strong> die Typografie seiner Zeit // Gerda Breuer<br />

138 Das Farb leit system im Gelsenkirchener Hans-Sachs-Haus. Konstruktivistische Raumgestaltung // Jennifer von Massow<br />

156 Gestalten für eine Beschlägefirma. Max Burchartz <strong>und</strong> die Wehag // Gerda Breuer<br />

Burchartz in den 30er Jahren<br />

168 Max Burchartz im Nationalsozialismus // Gerda Breuer<br />

174 ›Matrosen, Soldaten, Kameraden‹, 1933<br />

175 ›Soldaten. Ein Bildbuch vom neuen Heer‹, 1935<br />

176 ›Das Buch vom Spannen‹, 1939 / Neuauflage 1960<br />

Fotografie<br />

182 Untersuchungen zum fotografischen Werk des Gestalters Max Burchartz // Gerhard Glüher<br />

200 Lottes Auge als Foto-Ikone<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong><br />

206 Max Burchartz <strong>und</strong> die Folkwangschule für <strong>Gestaltung</strong>. Vom Gebot <strong>der</strong> Ökonomie zum<br />

<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong> // Joachim Driller<br />

218 ›gr<strong>und</strong>gesetze einer zweckmäßigen drucksatzgestaltung‹, 1931<br />

220 ›<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong>. <strong>Gesetz</strong> <strong>und</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong>‹, 1949<br />

222 ›<strong>Gestaltung</strong>slehre‹, 1953<br />

224 ›Schwarze, rote <strong>und</strong> Menschen wie wir‹, 1956<br />

226 ›Schule des Schauens‹,1962 – Burchartz’ Synthese <strong>der</strong> Kunsttheorie<br />

Künstlerisches Spätwerk<br />

230 <strong>Gleichnis</strong>se <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong>. Die Siebdrucke von Max Burchartz // Sabine Bartelsheim<br />

242 Raumorte <strong>der</strong> Fläche – Linien <strong>der</strong> Zeit – Kraft fel<strong>der</strong> von Farbe <strong>und</strong> Material. Das künst lerische Spätwerk<br />

von Max Burchartz // Stefanie Lieb<br />

258 Schriften von Max Burchartz<br />

Anhang<br />

300 Max Burchartz. Biografie // Gerda Breuer<br />

306 Literaturverzeichnis<br />

312 Personenregister<br />

316 Abbildungsnachweis<br />

320 Impressum


Einleitung, Dank<br />

Wie so viele Künstler <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne war Max Burchartz vom<br />

Anspruch einer ganzheitlichen <strong>Gestaltung</strong> seiner Lebenswelt<br />

beseelt, kaum jemand hat ihn aber so radikal eingelöst wie er.<br />

Wenngleich er zunächst Künstler werden wollte, ließ er sich<br />

doch spätestens in Weimar ab 1922 auf die Intention des<br />

Bauhauses, dann aber auch auf seine großen Vorbil<strong>der</strong>, die<br />

De Stijl-Künstler Piet Mondrian <strong>und</strong> Theo van Doesburg, <strong>und</strong><br />

auch auf die Konstruktivisten ein, neue <strong>Gestaltung</strong>sprinzipien<br />

im Lebensalltag anzuwenden: Typografie, Werbung, angewandte<br />

Fotografie <strong>und</strong> Industriedesign standen ab 1924 im<br />

Zentrum seiner Tätigkeit. Neben seiner Malerei sind daher<br />

auch außergewöhnliche Arbeiten erhalten, die heute unter<br />

den Oberbegriff »Design« fallen: Werbung unter Anwendung<br />

<strong>der</strong> Neuen Typografie, eines <strong>der</strong> markantesten frühen Farbleitsysteme<br />

im Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen, außergewöhnliche<br />

Beispiele <strong>der</strong> angewandten Fotografie, des Industriedesigns<br />

<strong>und</strong> vieles an<strong>der</strong>e mehr. Burchartz hat aber auch<br />

einen beeindruckenden Berufsweg als Pädagoge <strong>und</strong> als<br />

Kunsttheoretiker zu verzeichnen: Seine <strong>Gestaltung</strong>slehre, die<br />

seine Professur an <strong>der</strong> Folkwangschule Essen spiegelt, <strong>und</strong><br />

seine kunsttheoretischen Veröffentlichungen wurden zu Standardwerken<br />

seiner Zeit.<br />

Burchartz lebte in einer Zeit, die von zwei Weltkriegen bestimmt<br />

wurde, in die er jeweils aktiv als Soldat einbezogen<br />

war. Diese unfreiwillige Zeitstrukturierung ließ ein geschlossenes<br />

Werk nicht zu – unabhängig vom jeweiligen Wechsel,<br />

den er selbst vollzog. Und so kommt aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

Lebensphasen, aber auch infolge <strong>der</strong> rezeptionsgeschichtlichen<br />

Gepflogenheiten, die Arbeitsbereiche in geson<strong>der</strong>te<br />

Fachfamilien zu relegieren, hinzu, dass das Augenmerk<br />

6 7<br />

Max <strong>und</strong> Lotte Burchartz, Ausschnitt aus einer Fotografie des Kongresses <strong>der</strong> Konstruktivisten <strong>und</strong> Dadaisten, Weimar 1922. Vintage Print; Nachlass Max Burchartz, Folkwang Hochschule, Essen<br />

Gerda Breuer<br />

heute auf jeweils unterschiedliche Bereiche gelegt wird. Für<br />

die einen steht sein expressionistisches künstlerisches Werk<br />

im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, für die an<strong>der</strong>en das ungegenständlich-konstruktivistische.<br />

An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um kennen nur seine Fotografie,<br />

vor allem die inzwischen als Ikone gehandelte Aufnahme<br />

Lotte (Auge). Ganz vergessen sind seine kunsttheoretischen<br />

<strong>und</strong> -pädagogischen Arbeiten, die in den 1950er <strong>und</strong> 1960er<br />

Jahren großen Einfluss hatten. Es wurden kurz hintereinan<strong>der</strong><br />

drei wichtige Lehrbücher herausgegeben: <strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong><br />

(1949), <strong>Gestaltung</strong>slehre (1953) <strong>und</strong>, posthum, Schule<br />

des Schau ens (1962). Und erst in den letzten Jahren fand sein<br />

typo- <strong>und</strong> werbegrafisches Werk wie<strong>der</strong> größere Beachtung.<br />

Erstmals wird nun <strong>der</strong> Versuch unternommen, das Werk von<br />

Max Burchartz als Ganzes vorzustellen. Dabei kann die vorliegende<br />

Publikation zwar nicht den Anspruch erheben, das<br />

Œuvre von Burchartz vollständig erfasst zu haben. Dazu ist<br />

es zu umfang- <strong>und</strong> facettenreich, dazu hat es zu viele Lücken<br />

– beispielsweise sind eine Reihe von Firmenarchiven o<strong>der</strong><br />

die Fotowerkstatt <strong>der</strong> Folkwangschule als auch viele Kunstwerke<br />

im Krieg zerstört worden, vieles ist verschollen, wie<strong>der</strong>um<br />

sind an<strong>der</strong>e erhaltene Werkkonvolute, wie das Spätwerk,<br />

so umfangreich, dass sie, würde man sie vollständig erfassen<br />

wollen, vom Gesamtwerk keinen ausgewogenen Überblick<br />

vermitteln würden. Es kann aber das Interesse für sein<br />

außerordentliches Werk erneut geweckt werden <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Weg zu einer angemesseneren Würdigung seines Lebenswerkes<br />

geebnet werden.<br />

Denn noch immer ist <strong>der</strong> Künstler, Designer, Fotograf <strong>und</strong><br />

Kunstschriftsteller Burchartz eine Entdeckung. Beson<strong>der</strong>s die<br />

Zeitspanne zwischen den beiden Weltkriegen, in denen er sich


Seite aus dem Gästebuch von Walter Dexel, Eintrag vom 24. September 1922: Tristan Tzara, László Moholy­Nagy, Kurt Schwitters, Lucia Moholy­Nagy,<br />

Hans Arp, Theo van Doesburg, Pètro van Doesburg, Max Burchartz, Cornelis van Eesteren, Werner Graeff<br />

Paar mit Fisch, o. J. Im Krieg, 1917. Fe<strong>der</strong>zeichnung<br />

te. Gleichzeitig widmete sich Burchartz dem Porträt. Seine<br />

Selbstbildnisse von 1921 o<strong>der</strong> das Porträt <strong>der</strong> Schriftstellerin<br />

Maria Benemann nehmen nachimpressionistische Züge an <strong>und</strong><br />

die <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit.<br />

Doch auch dieses kurze Intermezzo än<strong>der</strong>te sich bald gr<strong>und</strong>legend,<br />

als Burchartz nach Weimar zog, um in <strong>der</strong> Nähe des<br />

Bauhauses zu arbeiten, dort dem nie<strong>der</strong>ländischen Künstler<br />

Theo van Doesburg begegnete <strong>und</strong> ganz in den Sog <strong>der</strong> konstruktivistischen<br />

Phase des Künstlers <strong>und</strong> seiner berühmten Anhänger<br />

geriet.<br />

Von <strong>der</strong> thüringischen Kleinstadt aus hielt er auch weiterhin<br />

Kontakt mit Hannover. Am 24. September1922 schrieb Schwitters,<br />

zusammen mit Burchartz, Hans Arp, Pètro <strong>und</strong> Theo van<br />

Doesburg, Tristan Tzara, Moholy-Nagy, Walter Dexel, Peter<br />

Röhl <strong>und</strong> Werner Graeff einen handschriftlichen Brief an Herbert<br />

von Garvens von Jena aus, vom gastlichen Haus von Walter<br />

Dexel. Dort heißt es unter an<strong>der</strong>em: »Am Freitag den 29.<br />

wollen wir in Hannover einen Abend DADA REVON geben.«<br />

Zu den schon Genannten kamen nun noch Raoul Hausmann<br />

<strong>und</strong> El Lissitzky hinzu. »Hannover wird solch reichen Dadaabend<br />

nicht wie<strong>der</strong> erleben.« REVON war die Bezeichnung<br />

von Schwitters für das revolutionierende Hannover, das Wort<br />

greift die Schluss-Silben von Hannover auf, allerdings rückwärts<br />

gelesen. Garvens ging zwar auf den konkreten Vorschlag,<br />

einen Saal im Rathaus anzumieten, nicht ein, gab aber<br />

ein Fest in seiner Galerie.<br />

In Hannover selbst geriet sein Werk noch einmal in eine unfreiwillige<br />

Reibung zwischen avantgardistischen <strong>und</strong> konservativen<br />

Zügen <strong>der</strong> Kunst seiner Zeit: 1937 wurde sein Gemälde<br />

Stilleben. Zwei Kannen von 1920 in <strong>der</strong> Landesgalerie Hanno-<br />

ver, neben 240 an<strong>der</strong>en, im Zuge <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Säuberungsaktionen beschlagnahmt.<br />

1 Paul Erich Küppers: Max Burchartz, in: Das Kunstblatt, 3. Jg. 1919, S. 242 f.,<br />

hier: S. 242.<br />

2 Manuskript im Nachlass des Künstlers, Folkwang Hochschule Essen.<br />

3 Chronik im Nachlass des Künstlers, Folkwang Hochschule Essen.<br />

4 Katalogvorwort von Wilhelm Plünnecke, zit. nach: Die zwanziger Jahre in Hannover,<br />

Katalog Kunstverein Hannover, August bis September 1962, S. 40.<br />

5 Erklärung zum Vorwort zur 3. Ausstellung <strong>der</strong> Sezession von Bernhard Dörries,<br />

zit. nach: Die zwanziger Jahre in Hannover, a. a. O., S. 43.<br />

6 Paul Erich Küppers: Für das Neue, in: Die zwanziger Jahre in Hannover, a. a. O.,<br />

S. 25.<br />

7 Vgl. die Rezension von R. H. Kaemmerer, in: Der Cicerone 1919, 11. Jg., S. 496 f.<br />

8 Vgl. die Rezension in: Der Cicerone 1920, 12. Jg., S. 167.<br />

9 Walter Passarge: Eine Ausstellung von Arbeiter-Kunst in Berlin, in: Der Cicerone<br />

1920, 12. Jg., S. 166 f.<br />

10 Ferdinand Stuttmann über Otto Gleichmann <strong>und</strong> seinen Fre<strong>und</strong>eskreis, in: Die<br />

zwan ziger Jahre in Hannover, a. a. O., S. 44–45.<br />

11 Kurt Schwitters: Hannover <strong>und</strong> <strong>der</strong> abstrakte Raum von Lissitzky, in: Das neue<br />

Frankfurt, die neue stadt. 4/1929, A. 83.<br />

12 Von den Nationalsozialisten wurde dieser Raum zerstört.<br />

13 Zusätzlich erschienen noch zwei Son<strong>der</strong>ausgaben: als unnummerierte Normalausgabe<br />

<strong>und</strong> als 50 nummerierte Exemplare, vom Künstler signiert, auf handgeschöpftem<br />

Büttenpapier.<br />

14 Zit. nach: Die Schaffenden. Eine Auswahl <strong>der</strong> Jahrgänge I bis II <strong>und</strong> Katalog<br />

des Mappenwerkes, Leipzig u. Weimar 1984, S. 19.<br />

15 Brief von Burchartz an Otto Gleichmann, Nachlass Otto Gleichmann.<br />

16 Der Name ist verbreiteter in <strong>der</strong> Schreibweise »Raskolnikov«.<br />

17 Der Cicerone 1919, 11. Jg. S. 671.<br />

20 21


Seiten aus Burchartz’ frühen Notizbüchern; Nachlass Max Burchartz,<br />

Folkwang Hochschule, Essen<br />

Kunst an« 3 , schrieb er 1922, als er bereits in Weimar lebte <strong>und</strong><br />

sich <strong>der</strong> ungegenständlichen Kunst des Konstruktivismus zuwandte.<br />

Sein Bedürfnis, zu den europäischen Kunstzentren zu reisen<br />

<strong>und</strong> sich vor Ort mit alter <strong>und</strong> neuer Kunst auseinan<strong>der</strong>zusetzen,<br />

entsprach folglich nicht einfach einem akademischen<br />

Bildungsinteresse, wenngleich nur wenige Künstler sich so<br />

sehr von ihrem Bedürfnis nach geistigem Zugewinn haben leiten<br />

lassen <strong>und</strong> sich mit kunsttheoretischer Lektüre so intensiv<br />

auseinan<strong>der</strong>gesetzt haben wie er. Auch dürfte sein Interesse<br />

für außereuropäische bildliche Ausdrucksformen dem Zeitgeist<br />

geschuldet sein, wie man das von seiner dreimonatigen Reise<br />

nach Algier annehmen könnte, die von <strong>der</strong> kunsttheoretischen<br />

Lektüre des Expressionismus <strong>und</strong> ihrer Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit afrikanischer Kunst motiviert gewesen sein kann. Vielmehr<br />

blieben die vielen Eindrücke in seinem Gedächtnis wach <strong>und</strong><br />

flossen in eigenständige theoretische Reflexionen über die<br />

Gr<strong>und</strong>gesetze <strong>der</strong> Kunst ein. Seine das Panorama <strong>der</strong> Kunstgeschichte<br />

umspannenden Abhandlungen, die er in den 1930er<br />

Jahren zu schreiben begann – vor allem <strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong>,<br />

1949 veröffentlicht, wie später auch die posthum erschienene<br />

Schrift Schule des Schauens –, zeugen von seinem universellen<br />

Wissen <strong>und</strong> einem Bedürfnis nach Durchdringung<br />

künstlerischer Gr<strong>und</strong>fragen.<br />

Betrachtet man aber auch die Phasen genauer, in denen er<br />

sich auf eine Kunstrichtung konzentrierte, dann erkennt man<br />

bald die Freiheit in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Mittel, die er sich erlaubt. In<br />

seiner Weimarer Zeit löst er sich, so sehr er zunächst davon<br />

an geregt wird, von den Vorgaben des dogmatischen Lehrers<br />

links Der Bru<strong>der</strong> Reinhold, 1904. Bleistift, 24,3 × 18,7 cm rechts Aktstudie, 1913. Bleistift, 30,8 × 26,4 cm<br />

Theo van Doesburg, folgt ihm keineswegs sklavisch, son<strong>der</strong>n<br />

spielt schon bald mit weiteren Koordinaten wie Zeitlichkeit, Dynamik,<br />

Räumlichkeit <strong>und</strong> Anwendung in seinen Kompositionen<br />

<strong>und</strong> greift Anregungen an<strong>der</strong>er Künstler, wie die Prounenbil<strong>der</strong><br />

von El Lissitzky, auf.<br />

lung« 1912 in Düsseldorf o<strong>der</strong> die »Große Kunstausstellung«<br />

1922 dortselbst mit den Abspaltungen, aus denen die berühmte<br />

Konstruktivistische Internationale hervorgegangen ist, fanden<br />

erst später statt.<br />

Burchartz unterwarf sich, trotz Unzufriedenheit, <strong>der</strong> akademischen<br />

Lehre. Er betrachtete seine Lehrer an <strong>der</strong> Akademie,<br />

Ludwig Keller, Willi Spatz, Eduard von Gebhardt, als konservativ.<br />

Rückblickend hat er seine Ausbildungsstätte anschaulich<br />

beschrieben: »Wenn sich ein junger Mann […] auf <strong>der</strong> Akademie<br />

immatrikulieren ließ, so mußte er sich entscheiden, ob er<br />

Tiermaler, Landschafter, Porträtist o<strong>der</strong> Historienmaler werden<br />

wollte. Das Studium war nach materiellen Stoffgebieten aufgeglie<strong>der</strong>t.<br />

Der Direktor <strong>der</strong> Düssel dorfer Akademie damals war<br />

selbst Historienmaler <strong>und</strong> malte als solcher viele Fresken für<br />

Rat häuser im Bergischen, die meist Kampf- <strong>und</strong> Streitszenen,<br />

etwa zwischen den Truppen <strong>der</strong> Herzöge von Berg <strong>und</strong> dem<br />

Erzbischof von Köln, darstellten.« 4 Es ist an keiner Stelle erkennbar,<br />

dass seine Lehrer ihn motivisch wie stilistisch beeinflusst<br />

haben, gleichwohl wird in seinem späteren Werk deutlich,<br />

dass Burchartz ein akademisch geschultes Handwerk er -<br />

lernte. Sein Malen nach <strong>der</strong> Natur, Aktzeichnungen, die Breite<br />

<strong>der</strong> grafischen Techniken – sie lassen erkennen, dass er sich<br />

professionell hat ausbilden lassen.<br />

Von seinen eigenen Malereien vor <strong>und</strong> während <strong>der</strong> Akademiezeit<br />

ist belegt, dass er sich zu den Mo<strong>der</strong>nen, den Freilichtmalereien<br />

des Impressionismus, zu van Gogh <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en hingezogen<br />

fühlte. Er war in seinem Umfeld nicht abgeschnitten<br />

von <strong>der</strong> internationalen Kunstentwicklung, son<strong>der</strong>n die großen<br />

umliegenden Städte Düsseldorf <strong>und</strong> Köln, dann auch die klei-<br />

34 35<br />

Studienzeit<br />

In <strong>der</strong> Vorkriegszeit sind seine künstlerischen Arbeiten ausschließlich<br />

von einer Orientierungssuche in <strong>der</strong> Ausbildung <strong>und</strong><br />

auf Reisen geprägt.<br />

Am 28. Juli 1887 in Elberfeld, heute Stadtteil von Wuppertal,<br />

geboren, schrieb er sich 1907, nachdem er verschiedene<br />

Ausbildungen in <strong>der</strong> Möbelstoffweberei seines Vaters, einer<br />

Textilfachschule <strong>und</strong> einer Kunstgewerbeschule durchlaufen<br />

<strong>und</strong> außerdem eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, an<br />

<strong>der</strong> nahen Kunstakademie in Düsseldorf ein <strong>und</strong> studierte dort<br />

bis 1910. Die Akademie in <strong>der</strong> Rheinmetropole hatte zur damaligen<br />

Zeit noch nicht das internationale Renommee, das ihr<br />

heute zugesprochen wird, betrachtete man doch das Industriegebiet<br />

zwischen Rhein <strong>und</strong> Ruhr eher als Werkstatt <strong>der</strong> Nation<br />

denn als kulturträchtige Region. Bedeutende Zentren <strong>der</strong> Klassischen<br />

Mo<strong>der</strong>ne, wie die aus <strong>der</strong> Privatsammlung des Hagener<br />

Millionärssohn Karl Ernst Osthaus <strong>und</strong> des Wuppertaler<br />

Bankiers Eduard von <strong>der</strong> Heydt entstandenen Museumsinstitutionen,<br />

hatten noch nicht die Auswirkungen auf die umliegenden<br />

Ausbildungsstätten <strong>und</strong> bahnbrechende Ausstellungen<br />

<strong>der</strong> internationalen Avantgarde wie die »Son<strong>der</strong>b<strong>und</strong>ausstel


Fahrt zur Stadt, 1920. Öl auf Leinwand, 80 × 55 cm; Privatbesitz<br />

Kleine Tänzerin, 1920. Öl auf Leinwand, 95 × 60 cm; Privatbesitz<br />

42 43


links Zwei Mädchenköpfe, 1922. Lithografie, 32,1 × 25,4 cm rechts Plakatentwurf zur Ausstellung Mo<strong>der</strong>ne Kunst, Kunstverein Jena, 1924. Abge­<br />

bildet in: Deutscher Buch­ <strong>und</strong> Steindrucker, 30. Jg. Heft 6, März 1924, S. 402<br />

zelausstellung <strong>und</strong> zeigte seine Lithografie-Mappen Raskolnikoff<br />

<strong>und</strong> Die Dämonen, seine Hauptwerke im Malduktus eines<br />

gesteigerten Expressionismus. 1920 entstanden außerdem frühe<br />

Hauptwerke mit neusachlicher Tendenz, wie das Öl ge mälde<br />

Fahrt zur Stadt, das noch 1922 auf <strong>der</strong> »I. Inter nationalen<br />

Kunst ausstellung« in Düsseldorf ausgestellt wurde. Burchartz<br />

erntete öffentliche Anerkennung für eine Malweise, von <strong>der</strong> er<br />

sich gleichzeitig schon trennte. Die Gruppierungen, mit denen<br />

er nun in Kontakt kam, waren »ausgesprochene Gegner des<br />

ekstatischen Expressionismus«, <strong>der</strong> allen, wie Werner Graeff<br />

bemerkte, <strong>der</strong> ebenfalls zur kleinen Gruppe um van Does burg<br />

zählte, »herzlich zuwi<strong>der</strong>« 3 war <strong>und</strong> überholt erschien. Noch<br />

krasser formulierte El Lissitzky, <strong>der</strong> auf Burchartz einen großen<br />

Einfluss gehabt haben dürfte, seine Ablehnung 1922 in De Stijl:<br />

»Die expressionistische Verdrehung <strong>der</strong> klaren Welt <strong>der</strong> Dinge<br />

durch die Künstler <strong>der</strong> ›Nach<strong>bildenden</strong> Kunst‹ wird sowohl<br />

das Gemälde als auch seinen Künstler nicht retten, son<strong>der</strong>n<br />

bleibt eine Beschäftigung für Karikaturenschmierer.« 4 Wegen<br />

seiner Abwendung vom Expressionismus wurde vermutlich <strong>der</strong><br />

Vertrag mit seinem Galeristen Alfred Flechtheim gelöst. Burchartz<br />

verzichtete auf die materielle Sicherheit durch den Galeristen,<br />

damit seine künstlerische Entwicklung nicht durch eine<br />

sich zum bloßen »Broterwerb« entwickelnde Kunst behin<strong>der</strong>t<br />

wurde.<br />

Auch in an<strong>der</strong>er Hinsicht än<strong>der</strong>te sich sein Leben. Noch mit<br />

seiner ersten Frau Gertrud war er nach Weimar gezogen <strong>und</strong><br />

wohnte mit ihr in <strong>der</strong> Pension <strong>der</strong> Frau von Stein. Kurze Zeit<br />

später wurden seine Briefe von Blankenhain in <strong>der</strong> Nähe von<br />

Weimar abgesendet, wo seine spätere, siebzehn Jahre jüngere<br />

Frau Lotte Hegeler lebte. Er verlobte sich mit ihr im Februar<br />

1921 <strong>und</strong> am 10. August 1922 heirateten sie. Aus <strong>der</strong> Ehe gingen<br />

die beiden Kin<strong>der</strong> Lotte <strong>und</strong> Pitt hervor. Lotte ist fortan an<br />

seiner Seite auf all den berühmten Fotografien von den Künstleraktionen<br />

<strong>der</strong> Konstruktivisten <strong>und</strong> Dadaisten zu sehen.<br />

Wenig später bezog Burchartz ein eigenes Atelier in <strong>der</strong><br />

Kunstschulstraße 3/III in Weimar, in unmittelbarer Nähe des<br />

Bau hauses. Das Leben gefiel ihm dort offensichtlich sehr gut.<br />

Er war mit Oskar Schlemmer befre<strong>und</strong>et, das Ehepaar Klee<br />

be suchte das Paar zu Musikabenden in dessen Haus. Mit<br />

Moholy-Nagy trat er später in Ausstellungen gemeinsam auf.<br />

Mit Fred Fórbat soll er noch in Weimar eine kleine Werbefirma<br />

gegründet haben. Und Kandinskys kunsttheoretisches Werk<br />

war ihm seit München vertraut. Zu Gropius scheint Burchartz<br />

ein vertrauensvolles Verhältnis entwickelt zu haben, zumindest<br />

sind die Schreiben von Gropius an ihn in einem fre<strong>und</strong>lichkonstruktiven<br />

Ton gehalten. Burchartz war auch an <strong>der</strong> Herausgabe<br />

zweier Bauhausbücher beteiligt: Theo van Doesburg<br />

dankt ihm ausdrücklich in dem Bauhausbuch über seine Schriften<br />

<strong>und</strong> in <strong>der</strong> Mondrian-An thologie ist er Übersetzer eines Aufsatzes,<br />

plan te sogar einen eigenen Autorenbeitrag zum Buch,<br />

wie er van Doesburg mitteilte: »Für die Reihe <strong>der</strong> Bauhaus-<br />

Bücher habe ich auch eine grössere Arbeit geschrieben, in <strong>der</strong><br />

ich eingehend meinen Standpunkt präzisiere <strong>und</strong> mit ausdrücklicher<br />

Bezugnahme auf Mondrians <strong>und</strong> Deine Taten die Perspektiven<br />

kläre, wie ich sie sehe« 5 . Wenn diese Bücher auch<br />

erst nach seinem Weggang veröffentlicht wurden, plante man<br />

sie doch lange Zeit vorher. Offensichtlich bereitete er zusätzlich<br />

eine eigene Publikation für die Reihe <strong>der</strong> Bauhausbücher<br />

mit dem Titel Plastik <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong>en vor, die in vielen Ankündigungen<br />

des Bauhauses erwähnt, aber letztlich nicht veröffentlicht<br />

wurde.<br />

Auch an<strong>der</strong>e Aktivitäten entstanden r<strong>und</strong> um das Bauhaus.<br />

Als Bauhausheft plante beispielsweise Jan (Iwan) Tschichold<br />

eine Ausgabe über die »elementare Typografie«, in die er einen<br />

weitaus größeren Kreis an Künstlern integrieren wollte, denn:<br />

»Die Ideen, für die das Bauhaus in Dessau (früher Weimar)<br />

eintritt, werden außer vom Bauhaus von einer ganzen Reihe<br />

nicht dem Bauhaus angehörenden Künstler, Wissenschaftler,<br />

Techniker auf <strong>der</strong> ganzen Welt, bis jetzt hauptsächlich in Europa<br />

<strong>und</strong> Amerika, verfochten.« 6 Burchartz wird hierin, wie auch<br />

einzelne Bauhaus-Lehrer, aufgenommen mit »zwei ausgezeichneten«<br />

Zeitungsinseraten, <strong>der</strong>en »Organisation des Textes <strong>und</strong><br />

die Schlagkraft des Ganzen« vorbildlich seien. »Daher war es<br />

notwendig, daß sich das geplante Heft nicht auf die schon im<br />

Bauhause geleistete typographische Arbeit beschränkte, son<strong>der</strong>n<br />

die Arbeit in allen Län<strong>der</strong>n, die auf diesem Gebiet Vertreter<br />

aufzuweisen haben, berücksichtigte.« 7 Burchartz scheint all<br />

diesen Reibungen auf dem Weg zur »Neuen Kultur« (Tschichold)<br />

aus dem Weg gegangen zu sein, in seiner geistigen<br />

Souveränität war er nie selbst Akteur <strong>der</strong> Positionskämpfe.<br />

Um das Bauhaus herum bildete sich in den frühen 1920er<br />

Jahren ein eigener Zirkel von Künstlern <strong>und</strong> ein eigenes kulturelles<br />

Leben. Alle vierzehn Tage lud beispielsweise die Gräfin<br />

Dürkheim zum Essen ein, neben Lotte <strong>und</strong> Max Burchartz zählten<br />

zu den Gästen auch van Doesburg <strong>und</strong> Karl Peter Röhl.<br />

Beziehungen zu dem Maler Walter Dexel aus Jena wurden geknüpft<br />

<strong>und</strong> wirkten sich auf die Gruppenbildung <strong>der</strong> Konstruktivisten<br />

um das Bauhaus positiv aus.<br />

Trotz <strong>der</strong> anregenden neuen Lebenssituation war seine ökonomische<br />

Lage nicht ermutigend. 1924 schrieb Burchartz in<br />

einem Brief an Theo van Doesburg: »Zwar geht es mir nicht so<br />

hoffnungslos schlecht wie die letzten zwei Jahre, als ich mit<br />

Zuversicht hoffen kann, daß mir die nächsten Monate bessere<br />

Verhältnisse bringen werden, aber ›glänzend‹ geht es mir keineswegs.<br />

Ich habe mich die letzten Wochen, während Lotte in<br />

Berlin war, mit Peter sehr kümmerlich durchgeschlagen <strong>und</strong><br />

wir haben nicht allzu oft warm gegessen, obschon wir lustig<br />

<strong>und</strong> guter Dinge sind, <strong>und</strong> diesen tropischen Frühling wun<strong>der</strong>bar<br />

zusammen verlebt haben […]« 8<br />

54 55<br />

1922<br />

Das Jahr 1922 markiert einen bedeutenden Umschlagpunkt im<br />

Werk von Burchartz. Denn in diesem Jahr nahm er nicht nur an<br />

<strong>der</strong> »I. Internationalen Kunstausstellung« teil, die eine Gegenausstellung<br />

zur »Großen Kunstausstellung Düsseldorf« war,<br />

son <strong>der</strong>n er unterschrieb auch einen Boykottaufruf <strong>der</strong> Künstlergruppe<br />

»Junges Rheinland«, <strong>der</strong>en Mitglied er war <strong>und</strong> die<br />

die offizielle Ausstellung verhin<strong>der</strong>n wollte. Die eigene Schau<br />

wurde vom »Jungen Rheinland« <strong>und</strong> von den »Vorständen namhafter<br />

fortschrittlicher Künstlergruppen« geplant <strong>und</strong> im Lichthof<br />

des Warenhauses Tietz durchgeführt. Sie hob sich mit<br />

ei ner provozierend-spektakulären Veranstaltung von <strong>der</strong> Haupt-<br />

ausstellung ab.<br />

An dieser Synopse <strong>der</strong> avantgardistischen Kunst nahmen<br />

zwar expressionistische Künstler wie die Sturm-Gruppe teil,<br />

<strong>und</strong> Burchartz wird in den Rezensionen in einem Atemzug mit<br />

Karl Hofer, Emil Nolde, Erich Heckel <strong>und</strong> Ludwig Meidner genannt,<br />

weil auch eines seiner Ölbil<strong>der</strong> noch dem Expressionismus,<br />

ein an<strong>der</strong>es eher <strong>der</strong> neusachlichen Malerei zugeordnet<br />

werden kann. Aber dort waren auch die Futuristen mit Boccioni<br />

vertreten, Einzelkünstler wie Pablo Picasso, Juan Gris, Fern-<br />

and Léger, Henri Matisse, Georges Braque, André Derain, <strong>der</strong><br />

Österreicher Oskar Kokoschka, <strong>der</strong> russische Künstler Marc<br />

Chagall <strong>und</strong> auch Bauhausmeister wie Paul Klee <strong>und</strong> Wassily<br />

Kandinsky – das heißt die internationale Avantgarde dieser Zeit<br />

versammelte sich an einem Ort.<br />

Die stilistische Unausgeglichenheit <strong>der</strong> Künstlerschaft, die<br />

sich ja eigentlich vereinen wollte zu einer »Großen Synthese«,<br />

wie Kandinsky die Bestrebungen im Vorwort des Kataloges be-<br />

links Karl Peter Röhl: Plakat zur Konstruktivistischen Ausstellung in Weimar, 1922. Lithografie; Galerie Gmurzynska, Köln rechts Karl Peter Röhl:<br />

Festsaal zu Ehren von De Stijl. Weimar 1923; Reproduktion in: De Stijl, 7 (1927), Nr. 79–84, S. 104


Kongress <strong>der</strong> Konstruktivisten <strong>und</strong> Dadaisten in Weimar, September 1922; Nachlass Max Burchartz,<br />

Folkwang Hochschule, Essen untere reihe Werner Graeff, Hans Richter, Tristan Tzara, Nini<br />

Smith, Hans Arp dahinter Max Burchartz, Alexa Röhl, Harry Scheibe, Nelly <strong>und</strong> Theo van Doesburg,<br />

Hans Vogel, Karl Peter Röhl dahinter Lotte Burchartz, El Lissitzky, Cornelis van Eesteren,<br />

Bernhard Sturtzkop obere reihe Lucia Moholy-Nagy, Alfréd Kemény, László Moholy-Nagy<br />

58 59


links Seite aus einer Maquette für das Buch ›Prounen‹, ca. 1924. Russisches Staatsarchiv für Literatur <strong>und</strong> Kunst, Moskau rechts El Lissitzky:<br />

Vesc /Gegenstand / Objet, Berlin 1922. Titelbild; Nachlass Max Burchartz, Folkwang Hochschule, Essen<br />

Ebenso wie El Lissitzky seine Arbeit ganz auf die Architektur<br />

ver lagerte, wandten auch van Doesburg <strong>und</strong> die Künstler <strong>der</strong><br />

»K.I.« ihre kunsttheoretischen Experimente an: Gemeinsam mit<br />

Hans Arp <strong>und</strong> seiner Frau Sophie Taeuber-Arp realisierte er<br />

1928 das Café Aubette in Straßburg <strong>und</strong> entwarf hierfür konkrete,<br />

leitsystem-ähnliche typografische Arbeiten, in die er seine<br />

Erkenntnisse <strong>der</strong> Kernphase des Konstruktivismus einfließen<br />

ließ.<br />

Dass alle künstlerische Arbeit letztendlich dem Leben dienen<br />

sollte <strong>und</strong> sich an die aktuellen technischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />

Errungenschaften <strong>der</strong> Menschen anbinden <strong>und</strong> sie<br />

ihnen dienlich machen wollte, das hat Burchartz von Anfang an<br />

ins Blickfeld seiner Arbeiten genommen. Schon 1923 hatte er<br />

geschrieben: »Wenn auch keineswegs jede neue Brücke, alle<br />

Flugzeuge, die Automobile <strong>und</strong> Maschinen künstlerisch gestaltete<br />

Gegenstände sind, so gibt es doch gerade Brücken, Flugzeuge,<br />

Automobile, Maschinen, die von den Ingenieuren intui tiv<br />

als Kunstwerke gestaltet wurden. Unter dem Gesichtspunkte<br />

größter Ökonomie <strong>und</strong> höchster Leistungsfähigkeit wurden<br />

die se Gegenstände gebaut; es wurden aber Kunstwerke, die<br />

dem Geist des heutigen Lebens mehr entsprechen als viele<br />

Werke <strong>der</strong> Künstler.« 34<br />

Wie sehr sich seine malerischen Kompositionsprinzipien auf<br />

die konkrete architekturräumliche <strong>Gestaltung</strong> nie<strong>der</strong>schlugen,<br />

zeigt auch <strong>der</strong> Plan eines Lunaparks, den er, noch in Wei mar,<br />

1924 beschrieb <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Zeitschrift G veröffentlichte:<br />

»Einzelattraktionen möglichst abwechslungsreich unter Aus-<br />

nutzung aller Bewegungsmöglichkeiten! <strong>Gestaltung</strong> also <strong>der</strong><br />

Tempis <strong>und</strong> <strong>der</strong> Richtungsmöglichkeiten,<br />

von Stillstand <strong>und</strong> Bewegung<br />

des Schnell <strong>und</strong> Langsam<br />

des Plötzlich <strong>und</strong> Allmählich<br />

sowie des Horizontal <strong>und</strong> Vertikal<br />

des Ab <strong>und</strong> Auf<br />

des Vor <strong>und</strong> Zurück<br />

des Rotierens <strong>und</strong> Pendelns.<br />

Rhythmische Glie<strong>der</strong>ung in Wechsel <strong>und</strong> Gegensatz wird<br />

ermög licht durch bestimmte, nach Partitur geregelte Bewegungsvorgänge.<br />

[…]<br />

Optische <strong>und</strong> phonetische Wirkungen gemäß ihren elementaren<br />

Möglichkeiten organisieren! […] Immer in Beziehung zu<br />

den besonde ren Bewegungsvorgängen <strong>der</strong> Einzelattraktionen<br />

<strong>und</strong> in Hinsicht auf die Gesamteinheit des ganzen Parks.« 35<br />

Das liest sich wie die Umsetzung eines Tafelbildes in den<br />

dreidimensionalen Raum! Auch hier wie<strong>der</strong>um ahnt man die<br />

Nähe zu El Lissitzky, <strong>der</strong> für das Septemberheft von G 1923<br />

den Aufsatz »Rad – Propeller <strong>und</strong> das Folgende. Unsere <strong>Gestaltung</strong>s-<br />

<strong>und</strong> Bewegungssysteme« geschrieben hatte <strong>und</strong> für<br />

eine »bewegliche Architektur« plädierte.<br />

Den Kontakt zu früheren Künstlerkollegen pflegte er weiterhin.<br />

Und mit van Doesburg, Moholy-Nagy, van Eesteren <strong>und</strong><br />

vielen an<strong>der</strong>en korrespondiert er intensiv. So schickte er El Lissitzky<br />

nach Russland seine neuesten typografischen Entwürfe,<br />

die dieser mit Begeisterung kommentierte. Und dem Typografen<br />

Jan Tschichold schreibt El Lissitzky am 28. Oktober 1925:<br />

»Ich habe von Max Burchartz dieser Tage sehr gute Drucksachen<br />

[…] erhalten. Max ist auf einem guten Wege. Die Bewegung,<br />

die wir angefangen haben, bringt gute Früchte.« 36<br />

Brief von El Lissitzky an Max Burchartz, München, 25. 10. 1925; Nachlass Max Burchartz, Folkwang Hochschule, Essen<br />

68 69


»seit 1922 keine bil<strong>der</strong> mehr«, mit dem knappen Satz in <strong>der</strong> für<br />

avantgardistische Typografie üblichen Kleinschreibung schil<strong>der</strong>t<br />

Max Burchartz lapidar seinen Wandel, <strong>der</strong> sich in dieser<br />

Zeit in <strong>der</strong> Nachbarschaft zum Bauhaus in Weimar <strong>und</strong> unter<br />

dem Einfluss des nie<strong>der</strong>ländischen De Stijl-Künstlers Theo van<br />

Doesburg in seinem Leben vollzog. 1<br />

Verwun<strong>der</strong>n muss dieser Wandel nicht: Kunst letztendlich<br />

zu verlassen <strong>und</strong> sich »praktischen Aufgaben« zuzuwenden<br />

<strong>und</strong> zwar »schon heute« (Graeff) in Angriff zu nehmen <strong>und</strong> sich<br />

deshalb aus dem engen Rahmen <strong>der</strong> freien Kunst zu begeben,<br />

um das Alltagsleben zu gestalten, war eine <strong>der</strong> Schlüssel for<strong>der</strong>ung<br />

en <strong>der</strong> künstlerischen Avantgarde seit Beginn <strong>der</strong> Reformbewe<br />

gungen. Kunst war nun nicht mehr unbedingt an<br />

Staffeleimalerei geb<strong>und</strong>en, vielmehr weitete sich künstlerischexperimentelle<br />

<strong>Gestaltung</strong> auf alle Bereiche aus. So strebte<br />

auch die »Konstruktivistische Internationale schöpferische Arbeitsgemeinschaft«,<br />

<strong>der</strong> sich Max Bur chartz im selben Jahr anschloss,<br />

eine größere Praxisnähe an. 2<br />

Diese Entwicklung ging in Weimar weitgehend von dem<br />

Multitalent Theo van Doesburg aus, <strong>der</strong> sich am Bauhaus um<br />

eine Lehrerstelle bemüht hatte, vom Direktor, Walter Gropius,<br />

jedoch abgelehnt wurde <strong>und</strong> nun für Bauhausschüler <strong>und</strong><br />

Künstler <strong>der</strong> Stadt freie Kurse anbot. Neben Burchartz fanden<br />

sich auch Werner Graeff <strong>und</strong> Karl Peter Röhl zu <strong>der</strong> Gruppe<br />

von begeisterten Anhängern zusammen. Die »Arbeitsgemeinschaft«<br />

hatte sich von dem Konglomerat von Gruppierungen,<br />

die aus Expressionisten <strong>und</strong> Dadaisten, Konstruktivisten <strong>und</strong><br />

De Stijl-Vertretern bestanden hatte, im Mai 1922 auf den Kongress<br />

<strong>der</strong> »Union fortschrittlicher internationaler Künstler« in<br />

Düsseldorf abgespalten.<br />

Kunst müsse ebenso wie Wissenschaft <strong>und</strong> Technik eine<br />

Organisationsmethode des mo<strong>der</strong>nen Lebens werden, war die<br />

Devise. 3 Nur wenig später, kaum hatte er die ersten abstraktgeometrischen<br />

Kompositionen vollendet, kehrte Burchartz <strong>der</strong><br />

Malerei den Rücken <strong>und</strong> gründete vermutlich zusammen mit<br />

Sándor Bortnyk <strong>und</strong> Fred Forbát in Weimar die Firma »Neue<br />

Reklame-<strong>Gestaltung</strong>« 4 .<br />

84 85<br />

Eigenmarke Max Burchartz, 1924<br />

Vom Maler zum Werbefachmann //<br />

Max Burchartz <strong>und</strong> die Typografie seiner Zeit<br />

Gerda Breuer<br />

Vorläufer<br />

So radikal sich die konstruktivistische Bewegung in ihrem<br />

Selbstverständnis inszenierte, so geläufig ist doch die Entscheidung<br />

von Künstlern <strong>der</strong> Reformbewegungen seit Mitte<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts gegen die Staffeleikunst <strong>und</strong> zugunsten<br />

<strong>der</strong> angewandten <strong>Künste</strong>. Mit William Morris in England <strong>und</strong><br />

dem Jugendstil in Deutschland machte auch die Typografie<br />

gr<strong>und</strong> legende Verän<strong>der</strong>ungen durch. Mit dem 1907 gegründeten<br />

Deutschen Werk b<strong>und</strong>, <strong>der</strong> den Schulterschluss mit <strong>der</strong><br />

Wirtschaft suchte, spielte nun auch die Werbegrafik eine prominente<br />

Rolle. Erste Werbeagenturen wie die Steglitzer Werkstatt<br />

in Berlin traten bereits um 1910 mit einer mo<strong>der</strong>nen Werbegrafik<br />

hervor <strong>und</strong> sahen sich als Vorposten einer zukünftigen<br />

Sachkultur. Einzelne Künstler wie Peter Behrens stellten sich<br />

ganz in den Dienst eines einzelnen Unternehmens <strong>und</strong> entwickelten<br />

ein frühes Corporate Design.<br />

In den 1920er Jahren machte sich diese Tendenz auch bei<br />

internationalen Künstlern breit, die eine konstruktivistische Ausrichtung<br />

hatten: 25 Künstler <strong>der</strong> russischen Avantgarde schlossen<br />

sich zur sogenannten »Produktionskunst« zusammen <strong>und</strong>


Informationsblatt <strong>der</strong> Westdeutschen Treuhand­Gesellschaft. Nr. 1, <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> Reklame 1924, 29 × 23 cm; Privatbesitz<br />

Innen­ <strong>und</strong> Rückseite des Informationsblattes Nr. 1, <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> Reklame 1924<br />

100 101


Skizzen aus dem Untersuchungsbef<strong>und</strong> <strong>der</strong> Originalfarbgestaltung im Hans­Sachs­Haus; Dr. Christoph Hellbrügge, Ascheberg<br />

vergleichbar dem Lärm, den man von <strong>der</strong> Straße mitbrachte<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> sich im Innern des Hauses verlor.« 13<br />

Auch im Foyer behielt Burchartz die Vorliebe für die streng<br />

geometrische <strong>und</strong> abstrahierte Farb- <strong>und</strong> Formensprache bei.<br />

Er gestaltete die Eingangshalle des Hans-Sachs-Hauses zu einem<br />

<strong>der</strong> wenigen tatsächlich umgesetzten Beispiele <strong>der</strong> De<br />

Stijl-Farbgebung. 14 Die Farbfel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Linien sind dabei nicht<br />

bloße Zierde o<strong>der</strong> Selbstzweck: »Bei Verzicht auf jedes eigenwillige<br />

›Dekorieren‹, auf eine Verzierung <strong>der</strong> einzelnen Wände<br />

mit Flächenornamenten, war für den Maler die Einstellung<br />

maß gebend, stets die T I E F E N räumlichkeit zu betonen, die<br />

Beziehung aller sechs (o<strong>der</strong> mehr) Begrenzungsflächen jeden<br />

Innenraumes zueinan<strong>der</strong> in Spannung zu setzen, die architektonischen<br />

Hohlraumkörper fühlbar zu machen«, 15 so ist die<br />

Originalgestaltung in <strong>der</strong> Festschrift zur Eröffnung des Hans-<br />

Sachs-Hauses beschrieben. Indem er die Decken- <strong>und</strong> Wandfläche<br />

über Farbfel<strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> verband, löste er den Übergang<br />

zwischen Wand <strong>und</strong> Boden o<strong>der</strong> Decke optisch auf. So<br />

ging beispielsweise ein Teil <strong>der</strong> schwarzen Fußleiste in ein<br />

schwarzes Rechteck im Marmorfußboden über. An an<strong>der</strong>er<br />

Stelle wurde die Fußleiste zu einer dünnen Linie, die sich durch<br />

eine <strong>der</strong> Türen hindurchzog <strong>und</strong> vor <strong>der</strong> zweiten Türe endete.<br />

Damit erfüllte er – sehr präzise auf den Raum abgestimmt –<br />

eine De Stijl-Vorgabe.<br />

Burchartz wies darüber hinaus fast jedem Farbfeld <strong>und</strong> je<strong>der</strong><br />

Linie eine Funktion zu: Zum Beispiel hob er die Hauptachse,<br />

die <strong>der</strong> Besucher durch die Halle zurücklegen soll, hervor:<br />

Durch die abgehängte Decke wurde <strong>der</strong> Verkehrsweg<br />

zwischen Paternoster <strong>und</strong> Treppenhaus höher als <strong>der</strong> Bereich<br />

zwischen den beiden Flurtüren im hinteren Teil <strong>der</strong> Eingangshalle.<br />

Dadurch wurde <strong>der</strong> Bereich mit <strong>der</strong> höheren Decke in<br />

<strong>der</strong> Hierarchie heraufgesetzt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weg entlang <strong>der</strong> Hauptverkehrsachse<br />

gelenkt. 16<br />

Auch die <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> Türen zeigte, welche Wege eingeschlagen<br />

werden sollten: Durch transparente Türen gelangte<br />

man zu den Fluren. Die Türen einzelner Zimmer, die nicht weiterführten,<br />

waren blickdicht gehalten. 17 Auch sie waren sorgsam<br />

mit in das Gesamtbild integriert: In drei Segmente unter-<br />

teilt, bilden auch die Türblätter größere Farbflächen, zu denen<br />

die schwarz ummalten Rahmen wie Linien einen Kontrast bildeten.<br />

Die Aufteilung <strong>der</strong> Farbfel<strong>der</strong> auf dem Türblatt nahm die<br />

Anordnung <strong>der</strong> Deckenflächen auf. Vor den Paternostern waren<br />

kurze dicke Streifen orthogonal zum Aufzug <strong>und</strong> in <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Farbe des Stockwerks auf den Boden <strong>und</strong> die Decke<br />

gemalt. Sie verdeutlichten die Bewegung in die oberen <strong>und</strong><br />

unteren Stockwerke des vorbeifahrenden Fahrstuhls – wie ein<br />

Trittbrett über das diese zu erreichen waren. Diese Art von<br />

selbsterklären<strong>der</strong> Architektur, <strong>der</strong> »architecture parlante«, wird<br />

durch die Ausgestaltung von Burchartz betont.<br />

Burchartz stimmte schon in frühen Entwurfsphasen gemeinsam<br />

mit dem Architekten Fischer die Farbgebung <strong>der</strong> verwendeten<br />

Holzarten, Steine <strong>und</strong> die Tönung des Marmorbodens<br />

mit den geplanten Farbfel<strong>der</strong>n ab: »Als ein Beispiel wäre etwa<br />

die Behandlung des Marmorbelages im Haupttreppenhaus in<br />

seiner Beziehung zur Bemalung <strong>der</strong> Decke anzuführen.« 18 Diese<br />

Abstimmung kann man auf den Originalfotos gut erkennen.<br />

Beispielsweise bei <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> Decke: Einan<strong>der</strong> entgegengesetzte<br />

schwarze Quadrate sind an lange graue o<strong>der</strong> silberne<br />

Rechtecke gesetzt. Einmal direkt darunter liegend, einmal<br />

genau auf Kante gelegt, liegen auch im Marmorboden zwei<br />

schwarze Quadrate.<br />

Alle Farbfel<strong>der</strong> waren stets dezentral, aber aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt<br />

entsprechend <strong>der</strong> Intensität <strong>der</strong> Farbe, angeordnet:<br />

Intensive kleinere Farbfel<strong>der</strong> setzte er größeren Grautönen gegenüber,<br />

wobei die Farbfel<strong>der</strong> entsprechend <strong>der</strong> Laufrichtung<br />

zum nächsten Stockwerk länger <strong>und</strong> größer wurden. 19 Fel<strong>der</strong><br />

an den Decken hingegen setzte er zu Linien an den Wänden in<br />

Spannung.<br />

Burchartz erzeugte mithilfe des begrenzten Setzkastens <strong>der</strong><br />

Neuen Gestalter, <strong>der</strong> aus Quadraten, Rechtecken <strong>und</strong> Linien in<br />

den je drei Primär- <strong>und</strong> Nichtfarben besteht, eine lebendige<br />

Farbgestaltung. Diese Lebendigkeit führte er auch in den einzelnen<br />

Stockwerken fort. Hier setzte er Schwarz, Weiß, Grau<br />

<strong>und</strong> Silber dazu ein, die Orientierungsfarben Rot, Blau, Grün<br />

<strong>und</strong> Gelb stärker hervorzuheben.<br />

Typisch für seine Faszination von Technik war die Verwendung<br />

<strong>der</strong> Farbe Silber, die er auch als Grafiker in den Entwürfen<br />

einer Werbemappe (S. 111) einsetzte. Die metallische Farbe<br />

weckte Assoziationen an Stahl <strong>und</strong> Maschinen <strong>und</strong> wirkte mo<strong>der</strong>n<br />

20 <strong>und</strong> kühl. Fast zeitgleich strich Kandinsky eine Wand<br />

seines Wohnzimmers im Dessauer Meisterhaus in Gold, einer<br />

warmen Farbe, die Licht angenehm reflektiert.<br />

Die Welt neu gestalten<br />

Das Ziel <strong>der</strong> neuen Gestalter bestand darin, Kunst anwendbar<br />

zu machen <strong>und</strong> auf alles Gestaltete, das den Menschen umgibt,<br />

zu übertragen. Nach <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> Konstruktivisten<br />

musste die Kunst um sich greifen, alle Gegenstände neu formen<br />

<strong>und</strong> die gesamte Umgebung durchdringen. Mondrian äußerte<br />

hierzu 1925: »Die Wirklichkeit wie die Kunst werden sehen,<br />

daß auch das Äußere, in dem wir leben, reduziert <strong>und</strong> so<br />

weit als möglich gr<strong>und</strong>sätzlich gemacht werden muß, um damit<br />

Skizzen aus dem Untersuchungsbef<strong>und</strong> <strong>der</strong> Originalfarbgestaltung im<br />

Hans­Sachs­Haus; Dr. Christoph Hellbrügge, Ascheberg<br />

dem ›Vollmenschentum‹ (das heißt reduzierte Äußerlichkeit<br />

<strong>und</strong> prononcierte Verinnerlichung) zu harmonisieren. So baut<br />

sich ein neuer Schönheitsbegriff auf, eine neue Ästhetik.«<br />

Burchartz setzte diese For<strong>der</strong>ung in Teilen um, als er 1924<br />

ins Ruhrgebiet kam, indem er konstruktivistische Anzeigen für<br />

die Galerie von Garvens in Hannover <strong>und</strong> den von Walter Dex-<br />

142 143


links oben Was wann wie Vergrössern, hg. von Walter Peterhans, 1936<br />

rechts oben Umschlag von ›foto­auge‹, hg. von Franz Roh <strong>und</strong> Jan<br />

Tschichold, 1929 rechts Titel von Manesse Literatur­Kalen<strong>der</strong> 2010,<br />

Zürich 2010 unten links Umschlag des Kataloges ›Museum Folkwang<br />

– Die Fotografische Sammlung‹. Essen 1983 unten mitte Umschlag<br />

von ›Camera – Photographie in Deutschland 1920–1933‹ unten rechts<br />

Umschlag von ›Nonverbal communication‹ New York, 1983<br />

links Herbert Bayer: Profil en face, 1929. Fotomontage rechts Willi Baumeisters Fotocollage auf dem Titel von Heinz <strong>und</strong> Bodo Rasch (Hg.):<br />

Gefesselter Blick – 25 kurze Monografien <strong>und</strong> Beiträge über neue Werbegestaltung, Stuttgart 1930<br />

zählen. In Wortschöpfungen wie »Foto-Auge«, »Kamera-Auge«<br />

o<strong>der</strong> in dem häufig benutzten Begriff »mechanisches Auge« trat<br />

es ebenso häufig auf wie als Sujet <strong>der</strong> bekanntesten Vertreter<br />

<strong>der</strong> Fotoavantgarde.<br />

Burchartz’ Bild erntete im Kunstjournalismus auch Kritik, so<br />

bemängelte man zum Beispiel die Deutlichkeit kleiner »Fehler«<br />

im Gesicht des Mädchens wie die Sommersprossen auf <strong>der</strong><br />

Nase, die bei einer Vergrößerung überdeutlich würden <strong>und</strong><br />

empfahl die technische Möglichkeit <strong>der</strong> Retusche. 1 Aber auch<br />

Kritiken tragen zur Bekanntheit von Kunstobjekten bei. Burchartz<br />

machte von dem Ratschlag tatsächlich Gebrauch, als er<br />

das Bild benutzte, um es in riesiger Vergrößerung zum Blickfang<br />

am Eingang <strong>der</strong> Ausstellung »das lichtbild« 1931 in Essen<br />

zu präsentieren. Nicht zuletzt ist es das Großfoto an prominenter<br />

Stelle in den Ausstellungen in Basel <strong>und</strong> Essen, die das Bild<br />

ebenfalls bekannt machen.<br />

Lotte (Auge) erscheint fortan in vielen einschlägigen <strong>und</strong><br />

maßgeblichen Fotolektüren <strong>der</strong> 1920er <strong>und</strong> 1930er Jahre: beispielsweise<br />

in Franz Rohs <strong>und</strong> Jan Tschicholds: foto­auge – æil<br />

et photo – photo­eye, Stuttgart 1929, wobei hier auf dem Einband<br />

auch ein Porträt El Lissitzkys auf die Bedeutung des Auges<br />

als Motiv aufmerksam macht. Der Bauhauslehrer Walter<br />

Peterhans benutzte es 1936 auf dem Einband für seine Publikation<br />

Was wann wie vergrößern.<br />

Aus Büchern zur Geschichte <strong>der</strong> Fotografie, Fotosammlungen<br />

<strong>und</strong> Zeitungsartikeln ist es seither nicht mehr wegzudenken.<br />

Das Bild gilt als Ikone <strong>der</strong> Avantgarde. Allerdings ist die<br />

Bekanntheit sicherlich nicht auf die Radikalität des Bildes zu-<br />

rückzuführen: Es hat nicht das experimentelle Flair <strong>der</strong> beinahe<br />

surrealistisch anmutenden Fotomontagen von Bayer o<strong>der</strong> Baumeister,<br />

nicht das Verrätselt-Mo<strong>der</strong>nistische des Porträts von<br />

El Lissitzky, übt sich nicht in den radikalen Perspektiven des<br />

Neuen Sehens, nicht in <strong>der</strong> Wahl eines außergewöhnlichen<br />

Motivs. Eigentlich spricht aus dem Bild die Kenntnis des neuen<br />

»Handwerks« <strong>der</strong> Werbung, mit dem sich Burchartz in dieser<br />

Zeit auseinan<strong>der</strong>setzte: das Wesen <strong>der</strong> visuellen Kommunikation,<br />

in <strong>der</strong> er sich durch den Einsatz <strong>der</strong> neuen Medien <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Reproduktionstechnologie, durch Texten <strong>und</strong> den gezielten<br />

Ein satz <strong>der</strong> Fotografie erprobte. Das Großfoto erregt mit dem<br />

übergroßen Auge in <strong>der</strong> Lichtbild-Ausstellung Aufmerksamkeit<br />

– ein regelrechter »eye-catcher« – <strong>und</strong> schlägt das Hauptthema<br />

<strong>der</strong> Ausstellung ohne kommentierenden Text, rein als Bild an:<br />

das <strong>der</strong> Wahrnehmung, besser: <strong>der</strong> Wechselbeziehung zwischen<br />

dem wahrnehmenden Subjekt <strong>und</strong> dem Objekt. Das<br />

»Schauen« im Gegensatz zum rein physiologischen Sehen wird<br />

eines <strong>der</strong> wich tigsten Themen in Burchartz’ Kunsttheorie während<br />

seiner Zeit an <strong>der</strong> Folkwangschule in Essen.<br />

Selbstverständlich ist das Bild wegen seiner Berühmtheit<br />

<strong>und</strong> Prägnanz auch zum Gegenstand von mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

gelungenen Kopien <strong>und</strong> Plagiaten geworden. Dieses Schicksal<br />

erleiden allerdings alle Ikonen.<br />

1 Dr. P. G., Kameraklub Wien: Zum Thema »Mo<strong>der</strong>ne Sachlichkeit in <strong>der</strong> Photographie«,<br />

in: Photographische R<strong>und</strong>schau <strong>und</strong> Mitteilungen, 67. Jg. 1930,<br />

H. 8, S. 184.<br />

202 203


›<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong>.<br />

<strong>Gesetz</strong> <strong>und</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong>‹, 1949<br />

Umschlaggestaltung von Max Burchartz unter Verwendung einer Fotografie<br />

<strong>der</strong> Statue ›Hera von Samos‹, 1949; Designsammlung <strong>der</strong> Bergischen<br />

Universität Wuppertal<br />

1949, zeitgleich mit seiner Berufung an die Folkwang-Werkkunstschule<br />

in Essen, veröffentlichte Max Burchartz die Publikation<br />

<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong>. <strong>Gesetz</strong> <strong>und</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong>. Verfasst hatte er das Buch in Zeiten unfreiwilliger<br />

Muße während <strong>der</strong> Besatzung vorwiegend in Paris <strong>und</strong><br />

in <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit.<br />

Nach einer Einführung in die physiologischen Voraussetzungen<br />

des Sehens geht es ihm vor allem um das »Schauen« als<br />

Erkenntnisform jenseits von Verstand <strong>und</strong> Vernunft. Werke <strong>der</strong><br />

Kunst verschaffen ihm zufolge eine tiefere Einsicht in die Welt.<br />

Und das erkennende Sehen, das Schauen, verleiht dem Betrachter<br />

<strong>und</strong> dem Produzenten von Kunst erst die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Einsicht: »Wenn auch des Geistes Mitwirken nicht zu entbehren<br />

ist, so ist es doch nicht <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> die Werke <strong>der</strong><br />

Kunst ›empfindend erlebt‹, son<strong>der</strong>n die Seele in ihrem Dasein<br />

zwischen Lust <strong>und</strong> Leid, zwischen Liebe <strong>und</strong> Haß <strong>und</strong> zwischen<br />

allem an<strong>der</strong>en Gegenspiel <strong>der</strong> Erfahrung.« (S. 8) Diese<br />

Erkenntnisweise soll beim Kind noch unverbildet auf einem ursprünglichen<br />

Stadium erhalten sein.<br />

Jedes Kunstwerk ist Burchartz zufolge ein »<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Harmonie</strong>«. Ganz seinem großen Vorbild, dem De Stijl-Künstler<br />

Piet Mondrian, folgend, sollen Kunstwerke durch die gegensätzlichen<br />

Spannungen von Farbe, Form, Licht, Komposition<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>lagen des Gestaltens ein Spiel <strong>der</strong> Kräfte<br />

entfalten, das dann aber wie<strong>der</strong> im Gesamt <strong>der</strong> Fläche o<strong>der</strong><br />

des Raumes als harmonisches Ganzes geb<strong>und</strong>en werden<br />

müssen. Der Wert eines Kunstwerkes besteht aber nicht allein<br />

im reichen Spannungsspiel dieser Kräfte, die dann geordnet<br />

<strong>und</strong> geb<strong>und</strong>en erscheinen müssen, son<strong>der</strong>n Kunstwerke sind<br />

für ihn »in tieferem Gr<strong>und</strong> <strong>Gleichnis</strong>se immer desselben letzten<br />

Geheimnisses, <strong>Gleichnis</strong>se <strong>der</strong> kosmischen <strong>Harmonie</strong>.« (S. 15)<br />

Burchartz befindet sich mit seiner Position im Fadenkreuz<br />

lebhafter Diskussionen <strong>der</strong> Nachkriegszeit, bei <strong>der</strong> es vor allem<br />

um die Anerkennung <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Kunst ging. Hans Sedlmayr<br />

hatte sich mit seiner ein Jahr zuvor veröffentlichten Publikation<br />

Verlust <strong>der</strong> Mitte zwar auch auf die Seite des Ausgleichs<br />

<strong>der</strong> Oppositionen im Bild geschlagen <strong>und</strong> als Vorbil<strong>der</strong> beispielsweise<br />

die mittelalterliche Kathedrale o<strong>der</strong> Kunstwerke<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts herangezogen. Sedlmayr hat aber die<br />

künstlerische Mo<strong>der</strong>ne des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts nicht anerkennen<br />

können <strong>und</strong> ihre Werke als Disharmonie interpretiert. Der Konflikt<br />

steigerte sich im berühmten Disput zwischen Willi Baumeister<br />

<strong>und</strong> Hans Sedlmayr anlässlich <strong>der</strong> Darmstädter Gespräche<br />

1951 mit dem Titel »Das Menschenbild in unserer<br />

Zeit«. Burchartz war, wie Baumeister, ein leidenschaftlicher<br />

Verfechter <strong>der</strong> ungegenständlichen Kunst <strong>und</strong> hat sich auch<br />

nach 1945 am Informel seiner Zeit orientiert.<br />

Er nahm jedoch, auch in seiner zweiten Auflage von 1955,<br />

keine Kenntnis von Diskussionen, wie sie beispielsweise auf<br />

diesen Darmstädter Gesprächen von Theodor W. Adorno vorgebracht<br />

wurden. Der jüdische Philosoph hatte angesichts des<br />

Traumas <strong>der</strong> jungen Vergangenheit für die Dissonanz als zeitgemäßem<br />

Ausdruck plädiert <strong>und</strong> die Zerrissenheit als produktive<br />

Kunstform propagiert. Nach Auschwitz lasse sich kein<br />

Gedicht mehr schreiben, war sein Diktum, in dem er die geschlossene<br />

Form angesichts <strong>der</strong> Erinnerung an die Inhumanität<br />

ablehnte. Dort wo die Welt nicht harmonisch ist, könne ein<br />

Kunstwerk, wolle es Welterkenntnis sein, keine harmonische<br />

Form haben. Auch mit dem neu aufkommenden Verständnis<br />

des »offenen Kunstwerkes«, dem beispielsweise erst <strong>der</strong> Betrachter<br />

zu einem Ganzen verhilft, konnte sich Burchartz nicht<br />

anfre<strong>und</strong>en.<br />

Burchartz war ein leidenschaftlicher Mo<strong>der</strong>ner <strong>und</strong> sah in<br />

Kunstwerken universelle <strong>Gesetz</strong>e walten. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

konnte er Vergleiche zwischen den »Urformen« künstlerischer<br />

Entwicklung in <strong>der</strong> Kunstgeschichte, kindlicher Betätigung <strong>und</strong><br />

den Werken sogenannter Primitiver ziehen. »Dieses Buch versucht<br />

[…] an Gegenüberstellungen von Werken alter <strong>und</strong> neuer<br />

Kunst zu zeigen, dass das Kunsterlebnis ebenso wie das<br />

Weiterleben in Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart in ihrem innersten<br />

Wesen gleichartig sind.« (S. 8) In mo<strong>der</strong>ner Abstraktion<br />

<strong>und</strong> Ungegenständlichkeit sah er einen Gewinn. Hierin konnten<br />

sich die Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>und</strong> metasprachlichen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>der</strong> Malerei <strong>und</strong> des Bildens ohne die Fessel des Abbildens<br />

frei entfalten. Klee <strong>und</strong> Kandinsky, Mondrian <strong>und</strong> van<br />

Doesburg, sie werden deshalb in seinen Ausführung häufig erwähnt,<br />

auf ihre Schriften bezieht sich <strong>der</strong> Autor.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit in <strong>der</strong> Kunsttheorie von Burchartz in <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit ist die Wertschätzung, die er <strong>der</strong> angewandten<br />

Kunst, von <strong>der</strong> Architektur zur Typografie <strong>und</strong> zum Industriedesign,<br />

schenkt. Das hat einerseits mit seiner Anstellung als<br />

Lehrer an einer Ausbildungsstätte für Formgeber zu tun, damit<br />

steht er aber auch in <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong>jenigen Mo<strong>der</strong>ne, die<br />

sich zur angewandten Kunst öffnete, wie das beim Konstruktivismus,<br />

dem Bauhaus <strong>und</strong> De Stijl <strong>der</strong> Fall war.<br />

Burchartz begründet die Motivation zu seinem Buch aus seinem<br />

eigenen Erleben <strong>der</strong> Ausbildungsjahre an <strong>der</strong> Düsseldorfer<br />

Kunstakademie. Dort habe man sich auf die Vermittlung<br />

anatomischer <strong>und</strong> perspektivischer Kenntnisse beschränkt. Im<br />

Laufe von Jahrzehnten habe er sich die Antworten auf seine<br />

Fragen selbst erarbeitet. Arbeitet man mit <strong>der</strong> erhaltenen Korrespondenz,<br />

seinen Tagebüchern in seinem Nachlass <strong>und</strong> mit<br />

seinen Veröffentlichungen, dann ist diese Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit kunsttheoretischen Schriften beeindruckend. Hinzu kommt<br />

für Burchartz auch die häufig fruchtbare Begegnung mit Künstlern,<br />

zu denen er ein fre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis entwickelte:<br />

zu Otto Gleichmann in Hannover, zu Theo van Doesburg in<br />

Weimar, zu El Lissitzky sowie seine Beziehungen zu den Meistern<br />

des Bauhauses wie Moholy-Nagy, Kandinsky <strong>und</strong> auch<br />

Gropius.<br />

Im weiteren Verlauf <strong>der</strong> Publikation unterscheidet Burchartz<br />

neun Gr<strong>und</strong>wahrnehmungen des sinnlichen Schauens: vier<br />

Wesenszüge des Lichtes <strong>und</strong> fünf Wesenszüge des Raumes.<br />

Diese Ausführungen gründen auch auf seiner Lehre des Gestaltens<br />

an seiner Schule.<br />

Doppelseite aus ›<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong>‹ mit dem Gemälde von Piet Mondrian <strong>und</strong> einem ›volkstümlichen‹ Wandteppich (afrikanisches Raffia­Gewebe)<br />

220 221


Max Burchartz <strong>und</strong> die Folkwangschule<br />

für <strong>Gestaltung</strong> // Vom Gebot <strong>der</strong> Ökonomie<br />

zum <strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong><br />

Joachim Driller<br />

Der Schulleiter zeigte sich tief betroffen – zumindest vor<strong>der</strong>-<br />

gründig. Soeben war Alfred Fischer vom Regierungspräsidenten<br />

in Düsseldorf gerügt worden, er habe in einer Ausstellungsankündigung<br />

Max Burchartz, einen <strong>der</strong> Lehrer seiner Schule,<br />

unrechtmäßig mit dem Professorentitel aufgeführt. Fischer,<br />

Direktor <strong>der</strong> seit Kurzem als »Folkwangschule« firmierenden<br />

Essener Handwerker- <strong>und</strong> Kunstgewerbeschule, 1 schrieb deshalb<br />

Anfang März 1928 einen Brief an den Regierungspräsidenten,<br />

um den Sachverhalt aufzuklären. Er betonte, <strong>der</strong> »bedauerliche<br />

Formfehler« sei beim eiligen Setzen des Prospekts<br />

entstanden <strong>und</strong> habe, weil umgehend »gedruckt <strong>und</strong> in hun<strong>der</strong>ten<br />

von Exemplaren in die Welt gesandt«, nicht mehr rechtzeitig<br />

korrigiert werden können. Zu seiner Verteidigung verwies<br />

Fischer außerdem auf die Vorgeschichte dieser »überaus peinliche[n]<br />

Angelegenheit <strong>der</strong> verfrühten Benennung des Herrn<br />

Burchartz« als Professor. Denn Burchartz war zuvor schon in<br />

offiziellen Schulprogrammen mit demselben Titel vorgestellt<br />

worden, nachdem Fischer die Düsseldorfer Aufsichtsbehörde<br />

entsprechend unterrichtet hatte. Diese habe sich damals, so<br />

Fischer, nicht abschlägig zum Professorentitel für Burchartz<br />

geäußert. Der Direktor fuhr fort:<br />

»Ich nahm [daher] in gutem Glauben an, dass […] keine<br />

Gefahr mehr bestand, seitens <strong>der</strong> Aufsichtsbehörde gerügt zu<br />

werden. Selbst wenn eine [abschlägige] Verfügung ergangen<br />

wäre, hätte ich ergebenst bitten müssen, von <strong>der</strong> Verfügung,<br />

die das Ansehen <strong>der</strong> Schule in ausserordentlichem Masse geschädigt<br />

hätte, Abstand zu nehmen […]. In Anbetracht <strong>der</strong> bis<br />

ins Ausland gewürdigten künstlerischen Leistungen [von] Burchartz,<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schule nicht verloren gehen darf, bitte ich sehr<br />

ergebenst, die bedauerliche Angelegenheit dadurch aus <strong>der</strong><br />

Welt zu schaffen, dass <strong>der</strong> durch Burchartz […] bereits unterzeichnete<br />

Dienstvertrag regierungsseitig baldigst genehmigt<br />

[…] wird. Einen an<strong>der</strong>en Weg sehe ich nicht, um diese starke<br />

Persönlichkeit, die ich nur durch meine grossen Beziehungen<br />

fesseln konnte, für die Schule zu erhalten.« 2<br />

Es bedurfte keiner beson<strong>der</strong>en interpretatorischen Fähigkeiten,<br />

um zwischen diesen Zeilen zu lesen, dass Fischer insgeheim<br />

weit mehr verärgert als betroffen über die Vorhaltungen<br />

des Regierungspräsidenten war. Schließlich war es dessen<br />

Behörde, die seit nunmehr fast neun Monaten die notwendige<br />

Bestätigung des Dienstvertrags verschleppte, den Burchartz<br />

im Juni 1927 mit <strong>der</strong> Stadt Essen abgeschlossen hatte. Vorgesehen<br />

war eine fünfjährige Anstellung, das Privileg des Professorentitels<br />

inklusive. Offenbar hatte es die Düsseldorfer Verwaltungsbürokratie<br />

bisher versäumt, die Zustimmung des zu -<br />

ständigen preußischen Ministers für Handel <strong>und</strong> Gewerbe zu<br />

Burchartz’ entsprechen<strong>der</strong> Ernennung einzuholen. Und solange<br />

die Genehmigung aus Berlin nicht vorlag, blieb Burchartz<br />

einfacher Hilfslehrer – eine Position, die er schon seit dem 15.<br />

Oktober 1926 an <strong>der</strong> Essener Schule innehatte.<br />

Nun ist es müßig zu spekulieren, ob Burchartz tatsächlich<br />

– wie von Fischer suggeriert – die Schule wie<strong>der</strong> verlassen<br />

hätte, wenn am Ende nicht doch die Bestätigung seiner Beför<strong>der</strong>ung<br />

durch die übergeordneten Behörden erfolgt wäre. Immerhin<br />

garantierte selbst das geringe Hilfslehrergehalt vorerst<br />

ein regelmäßiges Einkommen, auf das Burchartz, <strong>der</strong> seinerzeit<br />

finanziell sicherlich nicht gut gestellt war, wohl kaum hätte<br />

verzichten mögen – Professorentitel hin o<strong>der</strong> her. Auch gibt es<br />

keine Hinweise, dass Burchartz damals Angebote besaß, an<strong>der</strong>norts<br />

als Dozent tätig zu werden. Fischer dürfte in seinem<br />

206 207<br />

Max Burchartz an <strong>der</strong> Folkwangschule, 50er Jahre. Besprechung <strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong>slehre entstandenen Arbeiten; Nachlass Max Burchartz, Folkwang Hochschule, Essen


<strong>Gleichnis</strong>se <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong> //<br />

Die Siebdrucke von Max Burchartz<br />

Sabine Bartelsheim<br />

»Jedes Kunstwerk ist ein Geformtes, ein Organismus«, schrieb<br />

Heinrich Wölfflin 1915. 1 Ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

wurde das Kunstwerk zunehmend in Kategorien des »Lebens«<br />

<strong>und</strong> des »Lebendigen« diskutiert. Auch in den Wissenschaften<br />

avancierte »Leben« zur Leitidee neuer Denksysteme<br />

wie <strong>der</strong> Ökologie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lebensphilosphie, die in <strong>der</strong> Kunstwelt<br />

intensiv rezipiert <strong>und</strong> mit eigenen Theoriemodellen verb<strong>und</strong>en<br />

wurden. Vor allem im Umfeld <strong>der</strong> abstrakten Kunst finden<br />

sich zahlreiche Theorien, in denen die Vorstellung vom »lebendigen«<br />

Kunstwerk eine wichtige Rolle spielt. Im Detail zeigen<br />

sich Unterschiede, die nicht zuletzt auf die verschiedenen Auffassungen<br />

von »Leben« zurückzuführen sind.<br />

Max Burchartz führte neben Wölfflins Kunstgeschichtlichen<br />

Gr<strong>und</strong>begriffen die Werke des Lebensphilosophen <strong>und</strong> Psychologen<br />

Ludwig Klages als wichtigste Inspirationsquelle für<br />

sein 1949 erschienenes Buch <strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong> an. 2<br />

Die Jahre später, 1956/57, entstandene Serie von Siebdrucken<br />

bezieht sich explizit auf die in diesem ersten großen Theoriewerk<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit formulierten Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gestaltung</strong>.<br />

Obwohl Burchartz sie als Illustration bezeichnete, sind<br />

diese Grafiken selbstständige Kunstwerke, sie liefern aber anschauliche<br />

Beispiele <strong>der</strong> in <strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong> aufgestellten<br />

Theorie.<br />

Zu den wichtigsten Einflüssen aus dem Bereich <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong><br />

Kunst zählte Burchartz Theo van Doesburg <strong>und</strong> seine »Beziehungen<br />

zu den Meistern des Bauhauses«. 3 An gleicher Stelle<br />

nicht erwähnt wurde Wassily Kandinsky, dessen Schriften<br />

Burchartz jedoch kannte <strong>und</strong> <strong>der</strong> einen <strong>der</strong> wichtigsten Beiträge<br />

zur Theorie des lebenden Kunstwerks lieferte. 4 Für Kandinsky<br />

besitzt das Bild ein vom Künstler losgelöstes »selbstän-<br />

diges Leben«; mehr noch: es wird, einmal aus dem Atelier<br />

entlassen, zu einer »Persönlichkeit«, einem »geistig atmenden<br />

Subjekt, welches auch ein materiell reales Leben führt, welches<br />

ein Wesen ist«. 5 Diese unabhängigen Wesen leben ganz<br />

aus den »Kräften« <strong>der</strong> einzelnen Bildelemente <strong>und</strong> des vom<br />

Künstler geschaffenen Beziehungsganzen. »Es sind Kräfte des<br />

Ausdrucks für diese Wesen <strong>und</strong> Kräfte des Eindrucks für die<br />

menschlichen Wesen.« 6<br />

Auch für Theo van Doesburg ist das Kunstwerk ein Organismus,<br />

aber ein »künstlerisch-lebendiger (gestalteter) Organismus«.<br />

7 Und auch für ihn ist Kunst »Ausdruck«, aber Ausdruck<br />

<strong>der</strong> Realitätserfahrung des Künstlers, nicht Ausdruck eines<br />

kün stlerischen Wesens. 8 Das Ziel aller Kunst besteht für van<br />

Doesburg darin, die »verborgene <strong>Harmonie</strong> in den Dingen« <strong>der</strong><br />

Realität auszudrücken. 9 Das Kunstwerk ist ein »<strong>Gleichnis</strong>« des<br />

lebendigen Kosmos, es ist anschaulich gestaltetes Leben, aber<br />

es verfügt nicht wie bei Kandinsky über ein selbständiges Leben.<br />

10 Bis in die Wortwahl finden sich bei Max Burchartz Parallelen<br />

zu van Doesburg, dessen Auffassung ihm offensichtlich<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich näher steht, in manchen Punkten aber erinnern<br />

seine Ausführungen auch an die Wesenslehre von Kandinsky.<br />

An den Beginn seiner Überlegungen stellt Burchartz in<br />

<strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong> die Ausdrucksbewegungen des Menschen,<br />

die für ihn von dem wahrnehmenden Gegenüber immer<br />

»mitausgeführt, mitempf<strong>und</strong>en« werden. 11 Eine anschauliche<br />

Spur hinterlässt die unmittelbare Ausdrucksbewegung in <strong>der</strong><br />

Handschrift, durch die »seelisches Leben« vermittelt wird,<br />

durch die nach Klages »die Lebenswelle auf jeden Empfänger<br />

des Bildes« hinüberwan<strong>der</strong>t. 12 In Analogie zur menschlichen<br />

Handschrift soll nach Burchartz auch die Kunst Werke schaf-<br />

230 231<br />

Illustration, Blatt V, 1956–57. Siebdruck, 70 × 50 cm; Privatbesitz


Raumorte <strong>der</strong> Fläche<br />

Als »Raumorte <strong>der</strong> Fläche« bezeichnet Max Burchartz in seiner<br />

Schrift <strong>Gleichnis</strong> <strong>der</strong> <strong>Harmonie</strong> (1949) die Darstellungsfel<strong>der</strong><br />

auf einer Bildfläche, die das menschliche Auge nach bestimmten<br />

<strong>Gesetz</strong>mäßigkeiten des räumlichen Sehens wahrnimmt. So<br />

ist beispielsweise <strong>der</strong> Bezirk des Nahen <strong>der</strong> untere <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Bezirk des Fernen <strong>der</strong> obere Teil des menschlichen Blickfeldes:<br />

»Damit ist <strong>der</strong> Unterraum des Blickfeldes die natürliche<br />

Orts lage <strong>der</strong> lichthelleren, <strong>der</strong> warmfarbigen, <strong>der</strong> farbklaren,<br />

<strong>der</strong> bestimmten, <strong>der</strong> großen <strong>und</strong> <strong>der</strong> senkrechten Erscheinungsgegebenheiten,<br />

während <strong>der</strong> Oberraum des Blickfeldes<br />

die na tür liche Ortslage des Dunkleren, des Kälteren, des Trüberen,<br />

des Unbestimmteren, <strong>der</strong> kleinen Gebilde <strong>und</strong> <strong>der</strong> Waagerechten<br />

ist.« 5<br />

Es gibt jedoch laut Burchartz auch den wi<strong>der</strong>räumlichen<br />

Einsatz von Erscheinungskräften, so etwa »ein reines Rot im<br />

oberen o<strong>der</strong> ein trübes Blau im unteren Bildraum« 6 , dieser kann<br />

die Wirkungskraft von Formen <strong>und</strong> Farben noch verstärken.<br />

Weiterhin ist das Kräfteverhältnis von Raumorten in <strong>der</strong> Fläche<br />

vom Richtungsausdruck <strong>der</strong> Gesamtfläche abhängig –, so ist<br />

zum Beispiel beim Quadrat <strong>und</strong> beim Kreis die Mitte <strong>der</strong> wirkungsstärkste<br />

Raumort. 7 Diese Ausführungen Burchartz’ sind<br />

zwar zunächst einmal als theoretisch-pädagogische Anleitung<br />

zur Flächengestaltung zu verstehen, können aber darüber hinaus<br />

auch als Leitfaden zur Interpretation seiner durch Farbflächen<br />

geprägten, eigenen künstlerischen Bil<strong>der</strong> gelesen werden.<br />

Das 1953 entstandene Bild Architektonisch geordnet 8 enthält<br />

Architektonisch geordnet, 1953. Öl auf Leinwand; Privatbesitz<br />

Komposition II, 1954. Öl auf Leinwand, 100 × 80 cm; Privatbesitz<br />

bereits im Titel den Hinweis auf eine Anordnung von Scheinräumen<br />

in <strong>der</strong> Fläche. Der untere Bildraum wird von vier Horizontalschichten<br />

aus den Farben Grau, Gelb, Weiß <strong>und</strong> Ocker<br />

bestimmt. Aus ihren Verzahnungen erwachsen zwei weiße,<br />

senkrecht aufsteigende <strong>und</strong> ebenfalls gezahnte Flächen, die<br />

eine ockerfarbene, geometrisch verlaufende Binnenzeichnung<br />

aufweisen. Während die linke weiße Fläche eine glatte Oberfläche<br />

hat, ist die rechte weiße Fläche durch eine rauputzartige<br />

Struktur geprägt. Als Austarierung dieses Unterschiedes hat<br />

Burchartz den linken Bildrand mit einem lindgrünen Streifen<br />

markiert, <strong>der</strong> rechte Bildrand wird von einem zurückhaltenden<br />

hellgrauen Streifen begrenzt. Auf <strong>der</strong> Bildfläche wird ein Vexierspiel<br />

zwischen linker <strong>und</strong> rechter Bildhälfte durch die<br />

Wechselwirkung <strong>der</strong> verzahnten kantigen Formen <strong>und</strong> die Platzierung<br />

<strong>der</strong> Farbstreifen erzeugt. Eine Beruhigung <strong>und</strong> Harmonisierung,<br />

gleichzeitig aber auch eine kontinuierliche Spannungssituation<br />

erhalten die weißen Flächen durch die untere<br />

Horizontalverankerung <strong>und</strong> die obere horizontale Einfassung<br />

mit einem grünen <strong>und</strong> weißen Streifen.<br />

Eine ähnliche vereinigte Bipolarität, die ebenfalls in <strong>der</strong><br />

Senk rechtachse <strong>der</strong> Bild fläche stattfindet, zeigt das Ölbild<br />

Kom position II von 1954. 9 Auch hier sind es zwei geometri-<br />

sche, sichelförmige, schwarz-weiß konturierte Flächen mit Ver-<br />

zahnung, die senkrecht gegeneinan<strong>der</strong> angeordnet sind. Die<br />

linke blaue Fläche ist von einer hellblauen unkonturierten Fläche<br />

hinterfangen, die rechte Sichelfläche ist violett <strong>und</strong> von einer<br />

etwas kleineren roten Fläche unterlegt. Die Polarisierung in<br />

zwei Bildhälften erfolgt über die kleinen Unterschiede in Größe<br />

<strong>und</strong> Farbe <strong>der</strong> gegeneinan<strong>der</strong> gesetzten Flächenformen, ihre<br />

Harmonisierung <strong>und</strong> spannungsreiche Vereinigung gelingt Bur-<br />

links Komposition VII, 1954. Öl auf Leinwand, 80 × 60 cm; Privatbesitz rechts Wandteppichentwurf für die Göppinger Kaliko­Werke, 1950er<br />

Jahre; Nachlass Max Burchartz, Folkwang Hochschule, Essen<br />

chartz mithilfe seines Wissens um die Wirkung von Raumorten<br />

in <strong>der</strong> Fläche. Dieses »Yin-Yang-Prinzip« <strong>der</strong> optischen Harmonisierung<br />

von Gegensätzen findet sich auch im grafischen<br />

Spät werk Burchartz’, so beispielsweise bei <strong>der</strong> unbetitelten<br />

Gouache von 1956 10 (S. 246), die in <strong>der</strong> Bildmitte eine schwarzweiß<br />

geglie<strong>der</strong>te, ballonartig geschwungene Fläche zeigt. Auffällig<br />

bei all diesen Flächenfeld-Bil<strong>der</strong>n von Burchartz aus den<br />

1950er Jahren ist, dass er die Angabe perspektivischer Dimensionen<br />

<strong>und</strong> die Darstellung jeglichen Tiefenraums bewusst vermeidet.<br />

Hier schließt <strong>der</strong> Künstler an die Gr<strong>und</strong>sätze seiner<br />

großen Vorbil<strong>der</strong> aus den 1920ern, <strong>der</strong> Neoplastizisten Theo<br />

van Doesburg <strong>und</strong> Piet Mondrian an, die jede Illusionswirkung<br />

von Räumen im Bild vermeiden wollten, zugunsten <strong>der</strong> reinen<br />

Wirkung von polaren Erscheinungsgegensätzen (Plus-Minus)<br />

in <strong>der</strong> Fläche:<br />

»Der Reichtum <strong>der</strong> Formmöglichkeiten <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> Kunst<br />

beruht darauf, daß die verschiedensten Bindungsmöglichkeiten<br />

von Plus- gegen Minuspolaritäten <strong>der</strong> Kontrastverhältnisse<br />

entwe<strong>der</strong> im Sinne einer gegenseitigen Aufhebung o<strong>der</strong> im<br />

Sinne einer Steigerung <strong>der</strong> Kontrastkräfte möglich sind. […]<br />

Mich mit diesen Dingen zu befassen, veranlaßten mich vielmehr<br />

die Theorien <strong>der</strong> Neoplastizisten, wie sich die holländischen<br />

Maler Mondrian <strong>und</strong> Doesburg bezeichneten. […] Hier<br />

sei nur erwähnt, daß die Neoplastizisten ganz allgemein den<br />

Ausgleich polarer Erscheinungsgegensätze als das Wesen aller<br />

<strong>Gestaltung</strong> herausstellten.« 11<br />

Burchartz knüpft hier weiterhin an die Vorgaben seiner Zeitgenossen<br />

an, den Malern des Informel <strong>und</strong> des Abstrakten Expressionismus,<br />

die gegen die traditionelle Raumvisualisierung<br />

durch Tiefenperspektive die Darstellung des »entgrenzten Raumes«<br />

auf <strong>der</strong> Bildfläche anstrebten. Dieser ist ein offener Raum,<br />

in dem, wie Barnett Newman es definiert, alle »vier Horizonte«<br />

spürbar werden. 12<br />

Beson<strong>der</strong>s für zwei Bildpaare Burchartz’ aus den 1950ern<br />

ist diese Öffnung des Flächenraumes im Bild sehr ausgeprägt.<br />

Die zwei thematisch zusammenhängenden Bil<strong>der</strong> Schwarz­<br />

Weiß mit Ocker 13 (S. 247) <strong>und</strong> Zwiefaches Blau mit Ocker 14<br />

(S. 247) sind mit ihrem <strong>und</strong>efinierten Raumhintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> den<br />

darauf gemalten, geometrisch <strong>und</strong> organisch anmutenden Flächenelementen<br />

so aufgebaut, dass bei je<strong>der</strong> Drehung <strong>der</strong> Leinwand<br />

die Spannung in <strong>der</strong> Bildfläche gewahrt bleibt. Es gibt<br />

kein räumliches Oben <strong>und</strong> Unten, keine Links- o<strong>der</strong> Rechtsausrichtung.<br />

Ähnlich ist es bei den beiden Bil<strong>der</strong>n Komposition<br />

VII 15 (S. 245) <strong>und</strong> Komposition VIII 16 (S. 257) von 1954,<br />

bei denen Burchartz geometrische Farbfel<strong>der</strong> in Farb- <strong>und</strong><br />

Formkontrasten genau aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt hat.<br />

Diese absolute Gegenstandslosigkeit <strong>und</strong> reine Abstraktion<br />

in <strong>der</strong> Darstellung hielten den Designer Burchartz nicht davon<br />

ab, eine Auswahl gerade jener Farbflächen-Bil<strong>der</strong> als Vorlage<br />

für Wandteppiche <strong>der</strong> Göppinger Kaliko-Werke (Hersteller von<br />

dekorativen Flächenmaterialien aus Kunststoff) (S. 245) einzu-<br />

244 245<br />

setzen. 17

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