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Der mathematische Lernprozess, seine kognitiven Voraussetzungen ...

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Pädagogische Hochschule Ludwigsburg – Institut für Mathematik und InformatikSonderpädagogische Aspekte des Erstrechnens (Mohr)Wintersemester 2004/05: Mo, 15.45–17.15 Uhr, L 301<strong>Der</strong> <strong>mathematische</strong> <strong>Lernprozess</strong>, <strong>seine</strong> <strong>kognitiven</strong> <strong>Voraussetzungen</strong> und möglichenStörbereiche1. Theorie der Darstellungsebenen (E-I-S-Schema, E-I-S-Prinzip nach Jerome BRUNER)Nach BRUNER lassen sich drei Formen der Repräsentation von Wissen unterscheiden:1. enaktive Repräsentation (Handlungen)2. ikonische Repräsentation (Bilder)3. symbolische Repräsentation (Zeichen, Sprache)Alle drei Repräsentationsformen entwickeln sich normalerweise im Laufe der ersten dreiLebensjahre. Sie stehen Erwachsenen flexibel zur Verfügung.In Abwandlung bzw. Erweiterung dieser Theorie kann man der Sprache eine besondereFunktion zuweisen. Einerseits stellt sie eine vierte Ebene dar, andererseits vermittelt sie in derKommunikation zwischen den Ebenen. <strong>Der</strong> Übergang zwischen den Ebenen (Modi) wirdauch als intermodaler Transfer bezeichnet.2. Konsequenzen für den Mathematikunterricht<strong>Der</strong> Mathematikunterricht folgt in der Regel diesem Schema, indem üblicherweiseverschiedene didaktisch-methodische Phasen durchlaufen werden, die auf H. AEBLIzurückführbar sind („Phasen des Aufbaus und des Verinnerlichungsprozesses“) und dieunterschiedlichen Darstellungs- und Verständnisebenen des E-I-S-Schemas von BRUNERansprechen:1. Phase des Handelns mit konkretem Material (enaktive Ebene)2. Phase der bildhaften Darstellung (ikonische Ebene)3. Phase der symbolischen Darstellung (symbolische Ebene)In der Arithmetik kommt eine vierte Phase hinzu:4. Phase der AutomatisierungDarüber hinaus müssen in jeder Phase die bis dahin verfügbaren intermodalen Transfers geübtwerden bzw. immer dann genutzt werden, wenn Probleme auftauchen („Kannst Du zu dieserAufgabe eine Geschichte erzählen/ein Bild malen?“).Dieser Aufbau gilt grundsätzlich für jede der vier Grundrechenarten, im Anschluss darankönnen Sachaufgaben behandelt werden.Außerdem gilt: Verschiedene Kinder durchlaufen die einzelnen Phasen zu unterschiedlichenZeiten. Wenn ein Kind eine Aufgabe noch enaktiv löst, kann ein anderes womöglich schonbildhaft oder gar symbolisch arbeiten!3. Die einzelnen Phasen3.1 Phase der Handlungen an konkretem Material• Jede Rechenoperation wird so eingeführt, aufbauend auf einer Alltagshandlung mitAlltagsgegenständen oder schulischen Veranschaulichungsmittelno Plättchen werden zusammengelegt: Additiono Steckwürfel werden von einer Steckwürfelstange abgebrochen: Subtraktiono durch wiederholte Handlungen werden Mengen erzeugt: Multiplikation


o Mengen von Muscheln werden auf- oder verteilt: Division• Dabei kommt es nicht nur auf die motorische Ausführung an, sondern ...• Teilschritte müssen vorausgedacht werden (visuelle Antizipation),• auf die vergangene Handlung muss zurückgeblickt werden können, die vollzogenenTeilschritte müssen visuell und sprachlich erinnert werden können,• das Kind muss also die Handlung in die Vorstellung zurückholen können, da am Endenur noch das Ergebnis auf dem Tisch liegt.Ziel dieser Phase:• Kinder müssen von Anfang an erleben, dass die Mathematik in den Quantitäten und inden Handlungen mit den Quantitäten steckt und nicht in den Zeichen auf dem Papierund den algorithmischen Manipulationen mit den geschriebenen Symbolen• Beispiel für falsches Verständnis: die Hälfte von 20 ist 2 und die andere Hälfte ist 0!• Symbole für Zahlen und Rechenoperationen sind Hilfsmittel für Aufzeichnungen, zumProtokollieren der quantitativen Vorstellungen, die das Kind in der Handlung zuvorbereits entwickelt haben muss.• „Rückblickende Klärung“ ist nicht nur Erinnern und Vorstellen der ausgeführtenTätigkeit als bloße Handgriffe, sondern ...o der konkreten Handlung wird die eigentliche <strong>mathematische</strong> Strukturverliehen,o die vom Kind geschaffene <strong>mathematische</strong> Bedeutung der Handlung kann dannin symbolische Darstellung übertragen werden.• „Verinnerlichung“ ist also mehr als die Vorstellung der konkreten Tätigkeit, sonderndas Produkt eines Abstraktionsvorganges.3.2 Phase der bildhaften Darstellung• Im Vergleich zu den Handlungen abstraktere, da zweidimensionale und insbesonderestatische Darstellungen in Schulbüchern, an der Tafel, auf Arbeitsblättern usw.• Die den Operationen zugrunde liegenden Handlungen werden jetzt nicht mehrausgeführt, sondern durch Abbildungen von Mengen und eine entsprechendeAndeutung der jeweils intendierten Operation durch graphische Zeichen (Pfeile,Durchstreichungen usw.) und andere Markierungshilfen ersetzt.• Vom Kind wird verlangt, dass es sich aufgrund der Darstellung die entsprechendeHandlung bzw. die reale, dreidimensionale, lebensnahe Operation vorstellen kann.• Neue kognitive Anforderung: <strong>Der</strong> gemeinte Handlungsablauf (in dem <strong>seine</strong>rseits die<strong>mathematische</strong> Operation enthalten ist) muss in der visuellen Vorstellung erzeugtwerden.• Schwierig insbesondere bei Subtraktion und Division sowie bei fehlenden Ziffern• Oftmals wird versucht, eine Regel zu finden, nach der die bildliche Darstellung in eineZifferngleichung/einen Rechenausdruck übersetzt werden kann.• Warnung: Die erste und die zweite Phase kommen für viele Kinder oft zu kurz, da die<strong>mathematische</strong>n Begriffe noch nicht im Kopf des Kindes konstruiert worden sind. Einzu früher Übergang zur symbolischen Ebene (oder gar zur Automatisierung) stehtmeist dem Aufbau von Verständnis entgegen und versucht, dieses zu ersetzen.LORENZ spricht hier vom anschaulichen Handlungskorrelat, das als Schema verfügbar seinmuss: ein visuelles Vorstellungs- und Denkmuster für sämtlichen strukturgleichenDarstellungen. Es genügt, wenn bei einer gestellten Aufgabe ein isomorphes(gleichgestaltetes) Anschauungsbild erzeugt wird.

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