Herbstgewitter über Dächern - Mieterverein
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Mobilität<br />
Am 1.November wurde in Teilen des<br />
Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR)<br />
ein Ticket für Menschen mit geringem<br />
Einkommen eingeführt. Die Monatskarte<br />
kostet 29.90 Euro und firmiert als<br />
Sozialticket. Diesen Namen verdient<br />
dieses Angebot allerdings nicht, findet<br />
Michael Hermund, Vorsitzender der<br />
Region Ruhr-Mark des Deutschen<br />
Gewerkschaftsbundes, in seinem<br />
Gastbetrag für MieterForum.<br />
Unsozialticket<br />
20<br />
Ein Sozialticket, das aus Sicht des DGB<br />
diesen Namen verdient, dürfte höchstens<br />
15 Euro kosten. Dies entspricht<br />
auch etwa dem Anteil für Nahverkehr<br />
im Regelsatz von Hartz IV. Wenn wir<br />
jetzt eine sozialpolitisch, ökologisch<br />
und ökonomisch unsinnige Entscheidung<br />
vorfinden, dann kann man das<br />
nur verstehen, wenn man die unterschiedlichen<br />
partei-, macht- und unternehmenspolitischen<br />
Ränkespielchen<br />
kennt, die sich in den letzten Jahren<br />
abgespielt haben.<br />
Bis 2009 war alles klar. CDU und FDP<br />
hatten in den VRR-Gremien die Mehrheit.<br />
Sie waren gegen ein Sozialticket.<br />
SPD und Grüne votierten dafür und<br />
demonstrierten in Dortmund, welch<br />
großen Bedarf es für ein Sozialticket<br />
gibt.<br />
Bei der Kommunalwahl 2009 verloren<br />
CDU und FDP ihre Mehrheit im VRR.<br />
Überraschend einigten sich CDU und<br />
Grüne auf eine Koalition im VRR. Viele<br />
sahen hierin ein Signal für die bevorstehende<br />
Landtagswahl. Die CDU ließ<br />
sich diesen Machterhalt im VRR und<br />
die Perspektive auf einen Machterhalt<br />
in Düsseldorf etwas kosten: Sie unterschrieb<br />
im VRR-Koalitionsvertrag, dass<br />
ein Sozialticket eingeführt wird, das<br />
in seiner günstigsten Variante 15 Euro<br />
kosten sollte.<br />
Doch die CDU merkte bald, dass ihre<br />
Parteibasis das Sozialticket nicht mitträgt.<br />
Die Einführung des Sozialtickets<br />
wurde vertagt und eine „Marktforschungs-Studie“<br />
in Auftrag gegeben.<br />
Aus schwarz-grün in NRW wurde nichts.<br />
Gleichzeitig starteten die Verkehrsunternehmen<br />
– allen voran der Vorstand<br />
der BOGESTRA – eine in diesem Umfang<br />
bisher nie dagewesene Kampagne gegen<br />
das Sozialticket.<br />
Die BOGESTRA entwickelte Schreckensszenarien.<br />
Dabei wurde so getan, als<br />
wenn der Nahverkehr wirtschaftlich<br />
arbeitet und durch das Sozialticket<br />
ins Defizit gerate. Fakt ist, dass der<br />
öffentliche Nahverkehr als öffentliche<br />
Daseinsvorsorge nur zu rd. 50 % aus<br />
eigenen Einnahmen finanziert wird.<br />
Die andere Hälfte wird von öffentlichen<br />
Zuschüssen gedeckt. Der Ballungsraum<br />
Ruhrgebiet wäre schon lange einem<br />
Mobilitätskollaps erlegen, würde nicht<br />
der öffentliche Nahverkehr die Straßen<br />
entlasten.<br />
Im VRR Bereich gibt es 1,2 Millionen<br />
Menschen, die Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />
II, Sozialgeld oder Wohngeld<br />
haben. Sie werden von der öffentlichen<br />
Daseinsvorsorge Nahverkehr ausgeschlossen.<br />
Sie sind nicht in der Lage eine<br />
Monatskarte zu kaufen, ohne Abstriche<br />
z. B. beim Essen oder anderen existenziellen<br />
Dingen zu machen. Nur eine<br />
kleine Minderheit von ihnen ist Abo-<br />
Kunde der Nahverkehrsunternehmen.<br />
Das „Sozial“-Ticket für 30 Euro wird<br />
jetzt z. B. von Aufstockern genutzt.<br />
Sie erhalten einen so niedrigen Lohn,<br />
dass sie zusätzlich Hartz IV zum Leben<br />
brauchen. Sie müssen bisher die teuren<br />
Monatskarten für die Fahrt zur Arbeit<br />
nutzen und freuen sich, dass sie jetzt<br />
Michael Hermund hat seit Jahren die Kampagne<br />
für ein echtes Sozialticket mit getragen. Hier 2008<br />
auf dem Husemannplatz. Bild: Stefan Nölle<br />
20 Euro weniger im Monat zahlen müssen,<br />
dafür allerdings weniger Leistung<br />
in Kauf nehmen. Als Gewerkschafter<br />
begrüße ich diese Einkommensverbesserung.<br />
In Dortmund haben in der Versuchsphase<br />
2009 <strong>über</strong> 24.000 Menschen das Sozialticket<br />
zum Preis von 15 € abonniert.<br />
CDU und SPD haben inzwischen den<br />
Preis auf 31 Euro erhöht. Nur 7.700<br />
Nutzer sind übrig geblieben.<br />
Aus Marketinggesichtspunkten muss<br />
das Sozialticket also so attraktiv sein,<br />
dass viele neue Kunden gewonnen werden.<br />
Nur so können die Verluste durch<br />
Bestandskunden, die auf das billigere<br />
Ticket wechseln, ausgeglichen werden.<br />
Gerade das wird mit einem Preis von<br />
29.90 € in keiner Weise erreicht. Die<br />
ersten vorliegenden Zahlen bestätigen<br />
unsere Prognose: Mit dem 30-Euro-<br />
Ticket werden kaum neue Kunden gewonnen.<br />
Das ganze erweist sich als der<br />
von uns vorhergesagte Flop. Weniger<br />
als 3 Prozent der Berechtigten haben im<br />
November in Bochum und Hattingen<br />
das Ticket gekauft. Alles andere wäre<br />
nach den Erfahrungen in Dortmund<br />
auch eine Sensation gewesen.<br />
Am Ende der Versuchsphase in 12<br />
Monaten wird sich die Frage neu stellen:<br />
Gibt es endlich eine Lösung die<br />
ökonomisch gut für die Verkehrsunternehmen,<br />
ökologisch notwendig für<br />
das Ruhrgebiet und noch leistbar für die<br />
Betroffenen ist. Dann wären wir wieder<br />
bei einem verbundweiten Variante von<br />
15 €.