Herbstgewitter über Dächern - Mieterverein
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Immer wieder müssen sich Arbeitslosengeld-II Empfänger gegen<br />
ungerechtfertigte Kürzungen wehren - besonders häufig im<br />
Bereich „Kosten der Unterkunft“. Denn hier gibt es, anders als<br />
beim Regelbedarf, Spielräume. Und die nutzen viele Städte zu<br />
ihren Gunsten, obwohl es, nach nunmehr sieben Jahren Hartz<br />
IV, jede Menge eindeutige Rechtsprechung bis hinauf zum<br />
Bundessozialgericht gibt. Jetzt hat sich das Jobcenter Bochum eine<br />
deutliche Mahnung des zuständigen Sozialgerichts Dortmund<br />
eingefangen.<br />
Sozialgericht an Jobcenter:<br />
„Erhebliche Bedenken an<br />
der Rechtmäßigkeit“<br />
Angela Bischof ist 50 Jahre alt und vor<br />
neun Jahren arbeitslos geworden. Seit<br />
2001 wohnt sie in Bochum. Damals bekam<br />
die Diplom-Ingenieurin eine Stelle<br />
in Castrop-Rauxel, doch nach nur elf<br />
Monaten wurde ihr gekündigt. Seit 2005<br />
bezieht sie Arbeitslosengeld II, seit 2006<br />
jedoch nur noch als „Aufstockerin“.<br />
Denn längst hat sie wieder einen Job,<br />
genaugenommen sogar zwei. Eine<br />
Teilzeitstelle in einer Anwaltskanzlei<br />
in Gerthe und einen Minijob in Langendreer.<br />
Zusammen macht das 30 bis<br />
33 Stunden Arbeitszeit pro Woche, und<br />
wegen der vielen Hin- und Herfahrerei<br />
ist sie so viel unterwegs wie eine<br />
Vollzeit-Beschäftigte. Trotzdem reicht<br />
es nicht zum Leben. Deshalb bezieht<br />
sie ergänzend Alg II, zur Zeit 215 Euro<br />
im Monat.<br />
Seit Anfang des Jahres wohnt sie in<br />
der Breddestraße in Wattenscheid. Der<br />
Umzug war notwendig, da ihr vorheriger<br />
Vermieter eine Kündigung zu<br />
Ende März angekündigt hatte. Sie kam<br />
der Kündigung zuvor, weil sie schnell<br />
eine Ersatzwohnung fand - die an der<br />
Breddestraße. Die Miete lag im Rahmen<br />
dessen, was beim Jobcenter als angemessen<br />
gilt: 233 € kalt. Da stört es nicht,<br />
dass die Wohnung mit 53,47 qm etwas<br />
größer war als für einen Ein-Personen-<br />
Haushalt vorgesehen.<br />
Nach einigem Hin und Her erkannte das<br />
Jobcenter denn auch die Notwendigkeit<br />
des Umzugs an und zahlte sowohl für<br />
den Umzug als auch für die Erstrenovierung.<br />
Das böse Erwachen kam mit<br />
dem Bescheid des Jobcenters vom 20.<br />
Januar 2011: Von den 413 € Gesamtmiete<br />
wurden nur 377 € anerkannt.<br />
Sowohl die Heiz- als auch die kalten<br />
Betriebskosten wurden anteilig gekürzt,<br />
weil die Wohnung größer ist als 45 qm.<br />
„Ich habe auf der Homepage des Jobcenters<br />
Bochum nachgesehen, wie hoch die<br />
Miete sein darf“, sagt Angela Bischof im<br />
Gespräch mit MieterForum. „Da stand<br />
kein Wort von Kürzung der Heiz- und<br />
Nebenkosten, wenn die qm-Zahl nicht<br />
stimmt.“ Kein Wunder, denn diese Praxis<br />
in Bochum ist rechtswidrig.<br />
Rechtswidrige Praxis<br />
Diese Praxis sieht so aus: Die angemessene<br />
Miete, die nach dem 2. Sozialgesetzbuch<br />
<strong>über</strong>nommen werden muss, ist<br />
ein Produkt aus einer abstrakten Wohnungsgröße<br />
(für eine Person 45 qm) und<br />
einer ebenso abstrakten qm-Miete, die<br />
nach dem Mietspiegel ermittelt wird. Ist<br />
die Wohnung größer, aber die qm-Miete<br />
billiger als vorgesehen, kann die Gesamtmiete<br />
durchaus angemessen sein.<br />
Nur: Das Jobcenter kürzt dann die Heiz<br />
und Nebenkosten. Beispiel: Wohnung<br />
50 statt 45 qm -> Kürzung um 10 %.<br />
Das machen nicht alle Städte so, aber<br />
eine ganze Reihe, nicht nur Bochum.<br />
Deshalb gibt es dazu inzwischen auch<br />
etliche Urteile bis hinauf zum Bundessozialgericht.<br />
Und das urteilt immer<br />
wieder: Solche Kürzungen sind nicht<br />
zulässig. Wenn die Kaltmiete angemessen<br />
ist, müssen auch die Betriebs- und<br />
Heizkosten in voller Höhe <strong>über</strong>nommen<br />
werden.<br />
Hartz IV<br />
Angela Bischof wehrt sich<br />
gegen Kürzungen<br />
Angela Bischof legte also Widerspruch<br />
gegen den Bescheid ein, und als der<br />
abgelehnt wurde, klagte sie. Ein Urteil<br />
gibt es noch nicht, aber einen bemerkenswerten<br />
Hinweis: Am 31. Oktober<br />
schrieb das Sozialgericht Dortmund<br />
das Jobcenter Bochum an: „Es wird<br />
darauf hingewiesen, dass ... erhebliche<br />
Bedenken an der Rechtmäßigkeit der<br />
Berechnung der Betriebs- und Heizkosten<br />
bestehen. ... Es wird daher um<br />
Überprüfung des angefochtenen Bescheids<br />
gebeten.“ Das heißt im Nicht-<br />
Juristen-Alltagsdeutsch: Übernehmt die<br />
Kosten freiwillig, oder wir verurteilen<br />
euch dazu.<br />
„Wir erfüllen unsere Aufgaben im Bereich<br />
des SGB II nach den Vorgaben<br />
des kommunalen Kostenträgers“, sagt<br />
Johannes Rohleder, Pressesprecher des<br />
Bochumer Jobcenters, auf die Frage,<br />
warum seine Behörde die einschlägige<br />
Rechtsprechung ignoriert. „Und diese<br />
Vorgaben besagen, dass wir uns bei<br />
den Heiz- und Nebenkosten nach der<br />
angemessenen Wohnungsgröße zu<br />
richten haben.“<br />
Der Schwarze Peter liegt also nicht beim<br />
Jobcenter, sondern bei der Stadt. Da die<br />
die Musik bezahlen muss, bestimmt<br />
sie auch, was gespielt wird. Schlimm<br />
genug. Doch nun ist Besserung in Sicht.<br />
Denn das Jobcenter hat das Schreiben<br />
des Sozialgerichts an die Stadt weitergeleitet.<br />
„Dort“, weiß Johannes Rohleder,<br />
„hat man den Hinweis zum Anlass<br />
genommen, die Regeln kritisch zu <strong>über</strong>prüfen.<br />
Wir stehen dabei in ständigem<br />
Kontakt.“<br />
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