Ritter 200 Bände KSG
Ritter 200 Bände KSG
Ritter 200 Bände KSG
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
6<br />
6<br />
Gerhard R. <strong>Ritter</strong><br />
westlichen Auslandes, vor allem der Vereinigten Staaten, Frankreichs<br />
und Großbritanniens.<br />
Wenn eine neue Reihe begründet wird, so fragt man zunächst<br />
nach dem Programm. Es gibt kein programmatisches Vorwort im<br />
ersten Band der neuen Reihe. Es ist aber nach intensiver Suche<br />
in den Akten des Verlages gelungen, das erste von Jürgen Kocka<br />
entworfene, mit den anderen Herausgebern abgesprochene, programmatische<br />
Prospekt der Reihe 2 , gewissermaßen die Regierungserklärung,<br />
wieder aufzufinden. Dabei handelte es sich um<br />
einen ausgesprochen politischen Text mit scharfer Abgrenzung<br />
von den damals dominierenden Traditionen der deutschen Geschichtswissenschaft.<br />
Zur Begründung des im Titel einer Buchreihe<br />
doch ungewöhnlichen Begriffs »Kritik« wurde zwar zunächst<br />
auf die seit Ranke und Niebuhr durchgesetzte Methode<br />
der Quellenkritik, die Einsicht in die Veränderbarkeit von Verhältnissen<br />
und die Relativität von Perspektiven verwiesen. Daneben<br />
wurde aber mit Nachdruck, die Aufgabe der Geschichte,<br />
durch kritische Durchleuchtung der Vergangenheit Voraussetzungen<br />
und Anstöße zur Verbesserung der Gegenwart zu schaffen,<br />
betont. Statt einer eher affirmativen und stabilisierenden<br />
Funktion für bestehende Herrschafts- und Gesellschaftssysteme<br />
sollte die Geschichtswissenschaft eine aufklärerische und emanzipatorische<br />
Aufgabe erfüllen. Man wollte also bewusst Lehren<br />
aus der Geschichte ziehen. Dazu müsse sie sich in großen Teilen<br />
von ihrer eigenen Tradition distanzieren: von der lange dominierenden<br />
ideologischen Staatsfrömmigkeit; von der einseitigen<br />
Konzentration auf die Geschichte des Staates und die politische<br />
Geschichte; von einer isolierten, ohne Bezug zu Sozialgeschichte<br />
und kollektive Mentalitäten und Ideologien betriebenen Ideengeschichte.<br />
Auch sollte der historisch geprägte Verstehensbegriff,<br />
der sich auf individuelle Haltungen und Handlungen konzentriert,<br />
durch die Analysen überindividueller gesellschaftlicher<br />
Strukturen und Prozesse ergänzt werden; es gehe um die Verknüpfung<br />
hermeneutischer und strukturgeschichtlicher Methoden.<br />
—————<br />
2 Prospekt »Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft«. Ordner Kritische<br />
Studien des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht.