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Verbands-, Tarif- und Gerichtspluralismus - Institut für Deutsches ...

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Hanau: <strong>Verbands</strong>-, <strong>Tarif</strong>- <strong>und</strong> <strong>Gerichtspluralismus</strong> NZA 2003 Heft 3 128<br />

<strong>Verbands</strong>-, <strong>Tarif</strong>- <strong>und</strong> <strong>Gerichtspluralismus</strong><br />

Von Professor Dr. Dres. h.c. Peter Hanau, Köln<br />

Unter anderem das ungelöste Problem von <strong>Tarif</strong>konkurrenz <strong>und</strong> -pluralität, insbesondere eingedenk der<br />

zu ver.di-verschmolzenen Gewerkschaften, nimmt der Verfasser zum Anlass, sich vielen damit<br />

einhergehenden Fragen gr<strong>und</strong>sätzlich zu widmen.<br />

I. Vielheit oder Einheit des <strong>Verbands</strong>wesens<br />

Art. 9 III GG spricht „jedermann“ das Recht zu, zur Wahrung <strong>und</strong> Förderung der Arbeits- <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, vor allem also Gewerkschaften <strong>und</strong> Arbeitgeberverbände.<br />

Vielleicht muss man heutzutage klarstellen, dass „jedermann“ auch jedefrau einschließt, wie es der neue<br />

Ministerpräsident des Landes NRW bei der Eidesleistung ausdrücklich hinzugefügt hat. Dies lässt das Problem,<br />

um das es hier geht, noch schärfer hervortreten. Wenn jedermann <strong>und</strong> jedefrau das Recht hat, zusammen mit<br />

irgendwelchen anderen jedermanns <strong>und</strong> -frauen Gewerkschaften <strong>und</strong> Arbeitgeberverbände zu bilden, kann die<br />

<strong>Verbands</strong>- <strong>und</strong> ihr folgend die <strong>Tarif</strong>landschaft in ein unübersichtliches Durcheinander geraten; statt klarer<br />

Ordnung ein verwirrendes Gewimmel. Am meisten hat das die Rechtsprechung des BAG erschreckt, der an<br />

überschaubarer <strong>und</strong> klarer Rechtslage gelegen ist. Sie hat deswegen auf allen Stationen Hindernisse aufgestellt:<br />

<strong>für</strong> die Anerkennung als Gewerkschaft, <strong>für</strong> den Abschluss von <strong>Tarif</strong>verträgen <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Geltung von<br />

<strong>Tarif</strong>verträgen in den Betrieben. Das Ideal ist die <strong>Tarif</strong>einheit im Betrieb 1. Das die Rechtsprechung des BAG<br />

wie üblich aufmerksam bis argwöhnisch beobachtende rechtswissenschaftliche Schrifttum hat auf allen<br />

Stationen vielfältigen, meist verfassungsrechtlich begründeten Widerspruch erhoben. Selten war <strong>und</strong> ist es so<br />

schwer, Praxis <strong>und</strong> Theorie zur Deckung zu bringen oder erst einmal anzunähern. Günter Schaub stand <strong>und</strong><br />

steht in dieser Kontroverse, wenn ich es recht sehe, gr<strong>und</strong>sätzlich auf der Seite der Praxis, die er als<br />

Vorsitzender des <strong>Tarif</strong>senats des BAG mitgestaltet hat. Als Wissenschaftler, der er auch ist, hat er aber auch die<br />

Gegenposition im Blick <strong>und</strong> so finden wir zu dem Problem der <strong>Tarif</strong>einheit im Betrieb in seinem berühmten<br />

Handbuch sorgfältig differenzierende Ausführungen <strong>und</strong> Abwägungen, die zwischen den Postulaten der<br />

Praktikabilität <strong>und</strong> der rechtsdogmatischen Folgerichtigkeit vermitteln 2.<br />

II. Hindernisse <strong>für</strong> die Anerkennung von Gewerkschaften<br />

Will man eine unübersichtliche Vielfalt von Verbänden <strong>und</strong> <strong>Tarif</strong>verträgen verhindern, setzt man am besten<br />

schon bei der <strong>Tarif</strong>fähigkeit an, also bei der Anerkennung von Verbänden als <strong>Tarif</strong>parteien <strong>und</strong> damit auch als<br />

Akteuren in Betriebsverfassung <strong>und</strong> Mitbestimmung. Die Rechtsprechung hat das beherzigt <strong>und</strong> mit den<br />

Kriterien der sozialen Mächtigkeit <strong>und</strong> der Überbetrieblichkeit zwei nicht leicht zu überwindende Hürden vor<br />

der Anerkennung als Gewerkschaft aufgerichtet. Die Arbeitgeberseite soll dies aber<br />

Hanau: <strong>Verbands</strong>-, <strong>Tarif</strong>- <strong>und</strong> <strong>Gerichtspluralismus</strong> NZA 2003 Heft 3 129<br />

nicht betreffen, da jeder einzelne Arbeitgeber tariffähig ist, so dass man auch von den Verbänden der<br />

Arbeitgeber weder soziale Mächtigkeit noch eine ausgedehnte Überbetrieblichkeit verlangen könne 3. Der<br />

Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialunion zwischen der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland <strong>und</strong> der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. 5. 1990 (Zustimmungsgesetz des<br />

Deutschen B<strong>und</strong>estages vom 25. 6. 1990) hat allerdings ausdrücklich bestimmt, dass Gewerkschaften <strong>und</strong><br />

Arbeitgeberverbände auf überbetrieblicher Gr<strong>und</strong>lage organisiert <strong>und</strong> in der Lage sein müssen, durch Ausüben<br />

von Druck auf den <strong>Tarif</strong>partner zu einem <strong>Tarif</strong>abschluss zu kommen. Dies hat aber mehr Unklarheit als<br />

Klarheit geschaffen, so dass sich Schaub in seinem Arbeitsrechts-Handbuch auf die Wiedergabe der<br />

Bestimmung beschränkt, ohne bei der Aufzählung der einzelnen Merkmale der Koalitionen auf die Fähigkeit<br />

zur Druckausübung, die so genannte soziale Mächtigkeit, zurückzukommen 4. In der schon erwähnten<br />

Entscheidung des BAG vom 20. 11. 1990, in der auf das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit <strong>für</strong><br />

Arbeitgeberverbände verzichtet wurde, ging das Gericht, soweit ersichtlich, mit keinem Wort auf die<br />

gegenteilige Aussage des Staatsvertrages ein, der damals ja schon in der Welt war. Umgekehrt hat ein<br />

Beschluss des BAG vom 6. 6. 2000 5 die Rechtskraft einer früheren Entscheidung über die <strong>Tarif</strong>fähigkeit der<br />

Christlichen Gewerkschaft Metall mit der Begründung <strong>für</strong> beendet erklärt, die Aufnahme des von der<br />

Rechtsprechung entwickelten Kriteriums der sozialen Mächtigkeit in den Staatsvertrag habe eine neue<br />

Rechtslage geschaffen, obwohl sie die Rechtsprechung nur kodifiziert habe 6. Das ist ein Beispiel da<strong>für</strong>, wie<br />

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sehr sich die Rechtsprechung bemüht, die in Art. 9 III GG angelegte Vielfalt der Gewerkschaften aus Gründen<br />

der Praktikabilität möglichst zurückzudrängen. Ich meine nicht, dass das BAG damit dem DGB einen Gefallen<br />

tun wollte, weil er sich als Einheitsgewerkschaft versteht, geschweige denn, dass der FDGB als Vorbild gedient<br />

hätte. Es handelt sich vielmehr um den punktuellen Ausdruck eines ganz durchgehenden Bestrebens der<br />

Arbeitsgerichtsbarkeit, Ordnung durch Beschränkung der Vielfalt zu schaffen. Und m.E. ist es auch richtig, die<br />

Teilnahme am <strong>Tarif</strong>wesen von einer gewissen sozialen Mächtigkeit abhängig zu machen, damit es hier nicht zu<br />

einer strukturellen Ungleichheit kommt, die durch die <strong>Tarif</strong>verträge gerade ausgeschlossen werden soll 7. Dies<br />

muss dann aber entgegen dem BAG entsprechend <strong>für</strong> die Arbeitgeberseite gelten, wie es der Staatsvertrag ja<br />

auch feststellte (so auch Oetker). Dass der einzelne Arbeitgeber ohne Rücksicht auf sein Stärke tariffähig ist,<br />

ist nur ein Notbehelf, der nicht auf die Arbeitgeberverbände übertragen werden kann, dem vielmehr durch<br />

besondere Regeln über die Kontrolle ungleicher Firmentarifverträge <strong>und</strong> Arbeitskämpfe Rechnung zu tragen<br />

ist.<br />

Dass das BAG in diesem Zusammenhang nicht darauf aus ist, dem DGB einen Gefallen zu tun, zeigt sich auch<br />

an einem Urteil vom 17. 2. 1998, nach dem ein von der Führung des DGB ganz unerwünschter, bis zum BAG<br />

bekämpfter Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten selbst Gewerkschaft sein kann 8. Dieser Verband<br />

organisierte nach seiner Satzung die Beschäftigten aller Gewerkschaften, doch bestand seine Mitgliedschaft nur<br />

aus Beschäftigten des DGB <strong>und</strong> seiner Einzelgewerkschaften. Auf das Erfordernis der Überbetrieblichkeit<br />

einer Gewerkschaft ist das BAG in dieser Entscheidung nicht eingegangen. In der Tat besagt dieses Erfordernis<br />

an sich nur, dass sich eine Gewerkschaft nicht auf ein Unternehmen beschränken darf, <strong>und</strong> der DGB <strong>und</strong> seine<br />

Mitglieder sind in diesem Sinne sicherlich als selbständige Unternehmen anzusehen, heute insgesamt 9. Aber<br />

angesichts der engen Verflochtenheit dieser Unternehmen hätte es doch nahe gelegen, das Ergebnis durch eine<br />

Auseinandersetzung mit dem Kriterium der Überbetrieblichkeit abzusichern. Sollen nun die Arbeitnehmer<br />

eines jeden kleinen Unternehmensverb<strong>und</strong>es eine Gewerkschaft bilden können? Oder handelt es sich hier um<br />

eine Besonderheit der Gewerkschaften als Arbeitgeber, die nicht zugleich Vertreter ihrer Mitglieder gegenüber<br />

sich selbst sein können? Dieterich sieht die Lösung in einer Herabstufung der Überbetrieblichkeit zum bloßen<br />

Indiz <strong>für</strong> Gegnerunabhängigkeit (ErfK/Dieterich, Art. 9 Rdnr. 25). Angesichts der gleichrangigen Stellung des<br />

Kriteriums in dem erwähnten Staatsvertrag geht das zu weit, doch ist eine enge Auslegung im Hinblick auf die<br />

Jedermanns-Garantie in Art. 9 III in der Tat geboten.<br />

III. Kein Verhandlungsanspruch von Gewerkschaften<br />

Auch wenn ein Verband gr<strong>und</strong>sätzlich als Gewerkschaft anerkannt ist, hat er noch nicht automatisch einen<br />

Platz am <strong>Tarif</strong>verhandlungstisch. Das BAG lehnt es vielmehr ab, aus dem Gr<strong>und</strong>recht der Koalitionsfreiheit<br />

einen Anspruch auf <strong>Tarif</strong>verhandlungen oder Beteiligung daran abzuleiten 9. Die Teilnahme an<br />

<strong>Tarif</strong>verhandlungen kann man sich gegen den Willen der Arbeitgeber nicht erklagen, sondern nur erstreiken.<br />

Damit wird das allgemeine Kriterium der Durchsetzungsfähigkeit aus eigener Kraft auf die einzelnen<br />

<strong>Tarif</strong>verträge ausgedehnt. Im Schrifttum regt sich auch hier Widerspruch, da das Verneinen eines<br />

Verhandlungsanspruchs unnötige Arbeitskämpfe provozieren könne 10. Möglicherweise wird man hier<br />

differenzieren müssen. Auf der Arbeitgeberseite stellt sich häufiger das umgekehrte Problem, nämlich die<br />

Forderung verbandsangehöriger Arbeitgeber, nicht alleine mit der Gewerkschaft verhandeln zu müssen. Nach<br />

einer neuen Entscheidung des BAG 11 ist diese Forderung nur im Rahmen der Friedenspflicht begründet. Wie<br />

schon bei der <strong>Tarif</strong>fähigkeit macht auch hier das Bestreben nach Beschränkung der tariflichen Akteure vor den<br />

einzelnen Arbeitgebern halt.<br />

IV. Einheitliche tarifliche <strong>und</strong> betriebliche Zuständigkeit<br />

Da es trotz alledem zur Bildung <strong>und</strong> Durchsetzung verschiedener Gewerkschaften <strong>und</strong> Arbeitgeberverbände<br />

gekommen ist, musste das Bestreben nach Ordnung <strong>und</strong> Rechtsklarheit im Koalitionswesen dahin gehen, die<br />

Zuständigkeitsbereiche klar <strong>und</strong> möglichst nicht überlappend abzugrenzen. Dem dient das im<br />

<strong>Tarif</strong>vertragsgesetz nicht ausdrücklich enthaltene, aber von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium der<br />

<strong>Tarif</strong>zuständigkeit, das in § 97 ArbGG eine gewisse gesetzliche Anerkennung gef<strong>und</strong>en hat. Es besagt, dass<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> Arbeitgeberverbände ihren Organisationsbereich selbst regeln müssen <strong>und</strong> nur in diesem<br />

Rahmen rechtswirksam nach außen handeln<br />

Hanau: <strong>Verbands</strong>-, <strong>Tarif</strong>- <strong>und</strong> <strong>Gerichtspluralismus</strong> NZA 2003 Heft 3 130<br />

können. Im Gegensatz zum sonstigen Vereinsrecht wird hier also der Ultra-vires-Gr<strong>und</strong>satz strikt durchgeführt,<br />

nach dem eine Vereinigung nicht über ihren Satzungszweck hinaus wirksam handeln kann. Auch dies hat<br />

Widerspruch gef<strong>und</strong>en 12, doch hat sich das Schrifttum überwiegend der Rechtsprechung angeschlossen 13.<br />

Wenig behandelt ist, ob es sich bei der <strong>Tarif</strong>zuständigkeit um einen isolierten Begriff des <strong>Tarif</strong>rechts handelt,<br />

gleichsam um eine beschränkte <strong>Tarif</strong>rechtsfähigkeit, oder ob es sich nur um einen Ausschnitt aus dem<br />

übergreifenden Kriterium der Organisationszuständigkeit handelt, das vor allem auch <strong>für</strong> Betriebsverfassung<br />

<strong>und</strong> Mitbestimmung bedeutsam ist. Nach dem Selbstverständnis der Gewerkschaften, wie es in den Satzungen<br />

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zum Ausdruck kommt, geht es in der Tat nicht nur um <strong>Tarif</strong>zuständigkeit, sondern um die Abgrenzung des<br />

gesamten Zuständigkeitsbereichs, mit der Folge, dass auch eine betriebsverfassungsrechtliche Aktivität nur<br />

innerhalb des Organisationsbereichs zulässig ist. Rieble 14 zieht daraus mit Recht die Folgerung, dass eine nach<br />

interner DGB-Rechtsprechung <strong>für</strong> einen Betrieb unzuständige Gewerkschaft dort keine<br />

betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse mehr hat, weil sie <strong>für</strong> den Betrieb nicht mehr zuständig ist, ja<br />

eigentlich noch nicht einmal im Betrieb vertreten ist. Denn alle ihre ehemaligen Mitglieder sind nunmehr<br />

Gastmitglieder, weil die unterlegene Gewerkschaft sie nicht mehr vertreten kann. Und im<br />

Arbeitsgerichtsverfahren endet dann die Befugnis zur Prozessvertretung, weil die Gewerkschaft nicht mehr<br />

zuständig ist. Dies hat zur Folge, dass Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder verbandsinterner<br />

Schiedsgerichte über die <strong>Tarif</strong>zuständigkeit incidenter über den gesamten Tätigkeitsbereich entscheiden.<br />

Allerdings ist der Ausgangspunkt, dass eine Gewerkschaft nur dann im Sinn der Betriebsverfassung <strong>und</strong><br />

Mitbestimmung im Betrieb vertreten ist, wenn sie <strong>für</strong> ihn tarifzuständig ist, noch streitig. Es gibt aber keinen<br />

Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong>, insofern zwischen <strong>Tarif</strong>wesen <strong>und</strong> Betriebsverfassung zu unterscheiden 15.<br />

V. Gerichtspluralität<br />

Wie schon angedeutet, obliegt die Entscheidung über die <strong>Tarif</strong>zuständigkeit nicht allein den staatlichen<br />

Gerichten, soweit, wie beim DGB, eine verbandsinterne Schiedsstelle mit entsprechenden Befugnissen betraut<br />

ist. Nach § 16 der DGB-Satzung sind Abgrenzungsstreitigkeit zwischen den DGB-Gewerkschaften, die trotz<br />

Vermittlung des B<strong>und</strong>esvorstandes nicht geschlichtet werden können, durch Schiedsgerichtsverfahren zu<br />

entscheiden; Einzelheiten finden sich in einer Schiedsgerichtsordnung <strong>und</strong> in vom DGB-B<strong>und</strong>esausschuss<br />

beschlossenen Richtlinien <strong>für</strong> die Abgrenzung von Organisationsbereichen. Hauptkriterium der Abgrenzung ist<br />

die Beachtung des Prinzips „ein Betrieb - eine Gewerkschaft“. Dies kommt dem Bestreben der staatlichen<br />

Gerichtsbarkeit entgegen, <strong>für</strong> Übersichtlichkeit <strong>und</strong> Ordnung im <strong>Verbands</strong>wesen zu sorgen. So ist es kein<br />

Zufall, dass mit Herrn Schaub als Vorsitzendem <strong>und</strong> den Herren Dieterich <strong>und</strong> Heither als Beisitzern<br />

ehemalige hohe Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit in das Schiedsgericht berufen <strong>und</strong> eingetreten sind. Hier<br />

können sie nun das Ideal der <strong>Tarif</strong>einheit im Betrieb <strong>für</strong> den DGB-Bereich verwirklichen. Das Schrifttum<br />

versucht sich freilich auch hier querzulegen, indem es die Autonomie der Einzelgewerkschaften gegen die<br />

Kompetenz des B<strong>und</strong>es ausspielt 16. Dies ist freilich nicht überzeugend, da die Autonomie der<br />

Einzelgewerkschaften durch die Mitgliedschaft im DGB beschränkt ist. Welchen Sinn sollte diese<br />

Mitgliedschaft haben, wenn nicht den, die Organisationsbereiche abzugrenzen? Dieser vereinsrechtlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lage entspricht es, dass das Schiedsgericht entgegen seiner missverständlichen Bezeichnung kein<br />

Schiedsgericht im Sinne der ZPO oder des ArbGG, sondern ein Vereinsgericht ist, wie es im allgemeinen<br />

Vereinsrecht anerkannt ist 17.<br />

Fraglich ist, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls wann die Arbeitsgerichte noch zur Entscheidung über die<br />

<strong>Tarif</strong>zuständigkeit von DGB-Gewerkschaften berufen sind. Einen Hinweis gibt ein Beschluss des BAG vom 12.<br />

11. 1996 18. Danach bleibt es zunächst bei der Allzuständigkeit derjenigen Gewerkschaft, die vor Entstehen<br />

einer Konkurrenzsituation als zuständig angesehen worden war, bis das DGB-interne Schiedsverfahren<br />

durchgeführt ist. Der Beschluss ließ dahingestellt, ob dem Arbeitgeber ausnahmsweise ein Wahlrecht zusteht,<br />

wenn ein Unternehmen neu gegründet ist <strong>und</strong> von vornherein mehrere DGB-Gewerkschaften ihre Zuständigkeit<br />

geltend machen. Das wird man bejahen müssen. In keinem Fall darf es dazu kommen, dass zwei<br />

DGB-Gewerkschaften einen Arbeitgeber mit Streik bedrohen, um ihre Anerkennung durchzusetzen; hier geht<br />

das interne Schiedsverfahren vor.<br />

VI. Abgrenzungskriterien<br />

Es ist gut, dass das DGB-Schiedsgericht so hochkarätig besetzt ist. Denn die Organisationsabgrenzung bedarf<br />

einer Auslegung. Das lassen schon die Richtlinien des DGB selbst erkennen, die zwischen fixen, variablen <strong>und</strong><br />

ausgeschlossenen Kriterien unterscheiden. Festes Kriterium ist zunächst die DGB-Satzung, aus der sich aber<br />

nichts weiter ergibt. Dem folgt das Prinzip: ein Betrieb - eine Gewerkschaft, an sich klar, an den Rändern aber<br />

unscharf, weil der Betriebsbegriff hier nicht eindeutig ist; die Gewerkschaftssatzungen stellen nämlich nicht<br />

nur auf Betriebe, sondern auch auf Unternehmen <strong>und</strong> selbständige Betriebsabteilungen ab. Fixe Kriterien sind<br />

ferner die Satzungen der betroffenen Gewerkschaften, die aber im Kollisionsfall nicht weiterhelfen, <strong>und</strong> die<br />

bisherige Organisationspraxis, also weitermachen wie bisher. Als variable Kriterien werden genannt:<br />

Optimierung der Betreuung von Gewerkschaftsmitgliedern, Ursprungsart, Herstellungsverfahren,<br />

Verwendungsart, produktionswirtschaftlicher Zusammenhang, wirtschaftlicher Schwerpunkt von Betrieben,<br />

hilfsweise Unternehmen, Art der Dienstleistung. Ausgeschlossene Kriterien sind Änderungen der<br />

Unternehmensorganisation; Zugehörigkeit zu einem Arbeitgeberverband sowie Entscheidungen<br />

Vereinbarungen von Belegschaften/Betriebsräten über die Organisationszugehörigkeit.<br />

Zwei Spannungsverhältnisse sind erkennbar, das zwischen Betrieb <strong>und</strong> Unternehmen <strong>und</strong> das zwischen dem<br />

<strong>Verbands</strong>willen <strong>und</strong> dem Mitgliederwillen. Das Spannungsverhältnis zwischen Betrieb <strong>und</strong> Unternehmen tritt<br />

zutage, wenn ein Betrieb nach seiner Produktionsweise einem Bereich, etwa dem Metallbereich, angehört, er<br />

aber als Nebenbetrieb oder, bei rechtlicher Verselbständigung, Nebenunternehmen auf ein Unternehmen<br />

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ausgerichtet ist, das<br />

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insgesamt einem anderen Wirtschaftsbereich zugehört. In einem Beschluss vom 25. 9. 1996 19 hat das BAG das<br />

Schwergewicht auf die Besonderheit des Betriebes, nicht des Unternehmens gelegt. Anders wiederum in einem<br />

Beschluss vom 14. 12. 1999 20. M.E. legen es die Organisationsgr<strong>und</strong>sätze des DGB in ihrer jetzigen Fassung<br />

nahe, vor allem auf die Tätigkeit in den einzelnen Betrieben abzustellen, weniger auf den wirtschaftlichen<br />

Zusammenhang mit einem Unternehmen. Es heißt ja ausdrücklich, maßgeblich sei der wirtschaftliche<br />

Schwerpunkt der Betriebe <strong>und</strong> nur hilfsweise des Unternehmens.<br />

Die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen <strong>Verbands</strong>- <strong>und</strong> Mitgliederwille durch völlige<br />

Zurückdrängung von Letzterem ist problematisch, da, wie Dieterich 21 herausgestellt hat, die Koalitionen selbst<br />

an Art. 9 III GG geb<strong>und</strong>en sind, der primär ein Individualgr<strong>und</strong>recht ist. Das Schiedsgericht hat dem bereits<br />

Rechnung getragen. So wird in einem Schiedsurteil vom 4. 4. 2002 22 <strong>für</strong> die Abgrenzung zwischen IG Metall<br />

<strong>und</strong> ver.di unter dem Aspekt der Organisationspraxis auf die Vertretung der Arbeitnehmer im Betriebsrat<br />

abgestellt. Auch die Mitgliederzahlen wurden berücksichtigt, diesmal unter dem Aspekt der optimalen<br />

Betreuung der Mitglieder <strong>und</strong> des wirtschaftlichen Schwerpunkts des Betriebes. Man möchte Horaz zitieren:<br />

Naturam expellas furca, tamenusque recurrit. Wenn sich die Organisationsrichtlinien des DGB auch bemühen,<br />

den Mitgliederwillen aus der Abgrenzung auszutreiben, kehrt er doch unter dem Deckmantel anderer Kriterien<br />

wieder. Sicherlich sollte man das Spannungsverhältnis Verband - Mitglieder nicht durch das Gegenteil einer<br />

basisdemokratischen Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche ersetzen, doch sollte der Mitgliederwille<br />

jedenfalls eines unter anderen Kriterien sein.<br />

Über die schon immer umstrittene Zuständigkeit <strong>für</strong> IBM haben die IG Metall <strong>und</strong> ver.di auf Vorschlag des<br />

Schiedsgerichts eine Gr<strong>und</strong>satzvereinbarung geschlossen, nach der beide Gewerkschaften <strong>für</strong> alle Betriebe <strong>und</strong><br />

Unternehmen (mit einer Ausnahme) eine <strong>Tarif</strong>gemeinschaft mit gemeinsamen <strong>Tarif</strong>kommissionen bilden. Dies<br />

hat ver.di nach Presseberichten aber nicht gehindert, einen eigenständigen <strong>Tarif</strong>vertrag mit IBM zu schließen,<br />

gegen den die IG Metall nun gerichtlich vorgeht. Damit stellt sich die Rechtsfrage, welche Außenwirkung eine<br />

solche Vereinbarung hat. Nach einem Beschluss des BAG vom 14. 12. 1999 23 kommt einer Einigung der<br />

beteiligten Gewerkschaften über die <strong>Tarif</strong>zuständigkeit die gleiche Bindungswirkung zu wie einem<br />

Schiedsspruch, so dass sie nicht nur <strong>für</strong> die beteiligten Gewerkschaften, sondern auch <strong>für</strong> den Arbeitgeber<br />

verbindlich ist. Die in Bezug auf IBM geschlossene Gr<strong>und</strong>satzvereinbarung sagt nicht ausdrücklich, welche<br />

Gewerkschaft zuständig ist, geht aber offensichtlich von gemeinsamer Zuständigkeit beider Gewerkschaften<br />

aus, da die gemeinsame <strong>Tarif</strong>kommission sonst nicht möglich wäre. Dies bedeutet, dass ver.di bei ihrem<br />

Alleingang nicht im Rahmen ihrer <strong>Tarif</strong>zuständigkeit gehandelt hat. Vielmehr hat diese Vereinbarung <strong>für</strong> den<br />

Bereich IBM gleichsam zu einer Vereinigung von IG-Metall <strong>und</strong> ver.di geführt, ein wahrer Triumph des<br />

Vereinheitlichungsbestrebens. Eine Einzelgewerkschaft kann <strong>für</strong> ein vielgestaltiges Unternehmen wie IBM<br />

wegen des Vorranges des Betriebes auch nur dann allein zuständig sein, wenn sie nach den maßgeblichen<br />

Kriterien <strong>für</strong> alle Betriebe zuständig ist.<br />

VII. <strong>Tarif</strong>konkurrenz <strong>und</strong> <strong>Tarif</strong>pluralität<br />

Trotz all dieser Bemühungen um Ordnung <strong>und</strong> Abgrenzung im <strong>Tarif</strong>wesen kommt es immer wieder zu<br />

überlappenden <strong>Tarif</strong>regelungen. Bei der <strong>Tarif</strong>konkurrenz liegt es so, dass zwei oder mehr <strong>Tarif</strong>verträge, die die<br />

gleiche Materie regeln, auf die gleichen Arbeitsverhältnisse anwendbar sind, so dass einer zurücktreten muss.<br />

Handelt es sich um zwei <strong>Tarif</strong>verträge derselben Gewerkschaft, wird häufig schon die Auslegung ergeben, dass<br />

überhaupt nur ein <strong>Tarif</strong>vertrag anwendbar ist. So liegt es in der Regel bei den zahlreichen <strong>Tarif</strong>verträgen im<br />

Baugewerbe 24. Ergibt die isolierte Auslegung eines jeden <strong>Tarif</strong>vertrages dagegen, dass an sich beide auf die<br />

jeweiligen Arbeitsverhältnisse anwendbar sind, muss die Auslegung ergeben, welcher den Vorrang hat.<br />

Hilfsweise Auslegungsregel ist nach der Rechtsprechung das Spezialitätsprinzip, also welcher <strong>Tarif</strong>vertrag<br />

räumlich, betrieblich, fachlich <strong>und</strong> persönlich am nächsten steht 25.<br />

Handelt es sich um <strong>Tarif</strong>verträge verschiedener Gewerkschaften, wird derselbe Gr<strong>und</strong>satz angewendet, diesmal<br />

nicht als Auslegungs-, sondern als Normenkollisionsregel. Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass der<br />

Firmentarifvertrag als die speziellere Regelung dem <strong>Verbands</strong>tarifvertrag stets vorgeht 26. Dies gilt nach h.M.<br />

auch im Verhältnis von allgemeinverbindlichen <strong>Verbands</strong>tarifen zu nicht allgemeinverbindlichen<br />

Firmentarifen 27. Dies hat jetzt zu europarechtlichen Schwierigkeiten geführt, da es nach einem Urteil des<br />

EuGH vom 24. 1. 2002 28 eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, wenn<br />

ein inländischer Arbeitgeber den in einem allgemeinverbindlichen <strong>Tarif</strong>vertrag festgesetzten Mindestlohn<br />

durch den Abschluss eines Firmenvertrages unterschreiten kann, während dies einem Arbeitgeber, der in einem<br />

anderen Mitgliedstaat ansässig ist, nicht möglich ist. Diese Entscheidung macht deutlich, dass der Vorrang des<br />

Firmentarifvertrages schlecht zu dem Zweck der Allgemeinverbindlichkeit passt, gleiche<br />

Mindestarbeitsbedingungen festzulegen. Deshalb wird man jedenfalls das Entsendegesetz dahin auslegen<br />

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müssen, dass die in seinem Rahmen geschlossenen allgemeinverbindlichen <strong>Tarif</strong>verträge Mindestbedingungen<br />

festsetzen, die durch andere <strong>Tarif</strong>verträge nicht unterschritten werden können. Da es gerade der Sinn von<br />

Entsenderichtlinie <strong>und</strong> Entsendegesetz ist, die inländischen allgemeinverbindlichen <strong>Tarif</strong>verträge gegen<br />

speziellere ausländische <strong>Tarif</strong>verträge der beteiligten Unternehmen durchzusetzen, wird dies auf die<br />

inländischen <strong>Tarif</strong>verträge ausstrahlen müssen, wie der EuGH richtig gesehen hat.<br />

Bei der <strong>Tarif</strong>pluralität geht es darum, dass verschiedene <strong>Tarif</strong>verträge in verschiedenen Arbeitsverhältnissen<br />

gelten, wenn auch im selben Betrieb. Dazu kann es kommen, wenn eine DGB-Gewerkschaft <strong>und</strong> eine nicht<br />

DGB-Gewerkschaft <strong>Tarif</strong>verträge abschließen, die <strong>für</strong> dieselben Betriebe gelten <strong>und</strong> nicht <strong>für</strong><br />

allgemeinverbindlich erklärt werden. Bekanntlich hat das BAG zunächst auch in diesen Fällen den Gr<strong>und</strong>satz<br />

der <strong>Tarif</strong>einheit anwenden wollen 29, ist aber <strong>für</strong> die Pluralität eines nachwirkenden <strong>und</strong> eines voll wirksamen<br />

<strong>Tarif</strong>vertrages davon wieder abgerückt 30. M.E. ist es Zeit, diese vorgeschobene Position des Strebens nach<br />

Hanau: <strong>Verbands</strong>-, <strong>Tarif</strong>- <strong>und</strong> <strong>Gerichtspluralismus</strong> NZA 2003 Heft 3 132<br />

<strong>Tarif</strong>einheit zurückzunehmen. Es ehrt das BAG, dass es die betrieblichen Abläufe vereinfachen <strong>und</strong> damit<br />

etwas <strong>für</strong> den Standort Deutschland tun wollte, doch fehlt leider die Rechtsgr<strong>und</strong>lage. Auch brauchen die<br />

Arbeitgeber hier keine gerichtliche Hilfe, da sie ja Freiheit in der Auswahl ihrer kollektivvertraglichen Bindung<br />

haben. Durch das Verschwinden der DAG <strong>und</strong> das zunehmende Scheitern anderer Verbände von<br />

Arbeitnehmern an der Schwelle der sozialen Mächtigkeit dürfte das Problem an praktischer Bedeutung verloren<br />

haben, wenn auch nicht an gr<strong>und</strong>sätzlicher.<br />

Wenngleich die DAG verschw<strong>und</strong>en bzw. in ver.di aufgegangen ist, bestehen ihre <strong>Tarif</strong>verträge doch fort,<br />

solange sie nicht aufgehoben werden. Nach § 95 der ver.di-Satzung gelten die von den<br />

Gründungsgewerkschaften abgeschlossenen <strong>Tarif</strong>verträge unverändert fort. Ver.di tritt als <strong>Tarif</strong>vertragspartei<br />

an die Stelle derjenigen Gründungsgewerkschaft, die den <strong>Tarif</strong>vertrag abgeschlossen hat. Die <strong>Tarif</strong>bindung im<br />

persönlichen <strong>und</strong> fachlichen Geltungsbereich bleibt unverändert, bis der bisherige <strong>Tarif</strong>vertrag durch einen<br />

nachfolgenden abgelöst wird. Ein neu eintretendes ver.di-Mitglied hat sich im Fall einer <strong>Tarif</strong>konkurrenz zu<br />

entscheiden, welcher <strong>Tarif</strong>vertrag anwendbar sein soll <strong>und</strong> dies dem Arbeitgeber mitzuteilen 31.<br />

Im Recht der <strong>Tarif</strong>konkurrenz ist es ein Novum, dass die Arbeitnehmer selbst darüber entscheiden, welcher<br />

<strong>Tarif</strong>vertrag <strong>für</strong> sie gilt. Dies erklärt sich nur daraus, dass früher zwischen den ver.di- <strong>und</strong> den<br />

DAG-<strong>Tarif</strong>verträgen <strong>Tarif</strong>pluralität bestand <strong>und</strong> den ehemaligen DAG-Mitgliedern die ver.di-<strong>Tarif</strong>verträge<br />

nicht aufgezwungen werden sollten. Dies bestätigt, dass <strong>Tarif</strong>einheit keineswegs die Folge von <strong>Tarif</strong>pluralität<br />

ist, dürfte sich in der Praxis allerdings bald abschleifen.<br />

Zwischen den <strong>Tarif</strong>verträgen verschiedener DGB-Gewerkschaften kann Pluralität allenfalls in Ausnahmefällen<br />

entstehen, da ja <strong>für</strong> jeden Betrieb gr<strong>und</strong>sätzlich nur eine Gewerkschaft zuständig ist. Gerät der Betrieb durch<br />

Umstrukturierungen in den Bereich einer anderen DGB-Gewerkschaft, wirken allerdings nach allgemeinen<br />

tarifrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen gem. § 4 V TVG die bis dahin geltenden <strong>Tarif</strong>verträge nach, so dass es nun zu<br />

einer <strong>Tarif</strong>pluralität kommen kann, wenn die Arbeitnehmer teils der bisher, teils der nunmehr zuständigen<br />

Gewerkschaft angehören 32. Mit dem Gr<strong>und</strong>prinzip des DGB „Ein Betrieb - eine Gewerkschaft“ ist dies nicht<br />

recht vereinbar. Der Arbeitgeber kann es verhindern, indem er in die Arbeitsverträge eine Bezugnahme auf den<br />

jeweils <strong>für</strong> den Betrieb fachlich/betrieblich geltenden <strong>Tarif</strong>vertrag (so genannte große dynamische<br />

Verweisungsklausel) aufnimmt; die bloße Verweisung auf den bisher maßgeblichen <strong>Tarif</strong>vertrag soll allerdings<br />

nicht reichen 33. Während das BAG die üblichen dynamischen Verweisungen auf bestimmte <strong>Tarif</strong>verträge<br />

großzügig restriktiv im Sinne bloßer Gleichstellungsklauseln auslegt, ist es einer ausdehnender Auslegung<br />

abgeneigt. Insoweit überlässt es das BAG den Arbeitgebern, durch dynamische Bezugnahmeklauseln <strong>für</strong><br />

<strong>Tarif</strong>einheit zu sorgen. Wenngleich dies nicht zu viel verlangt ist hätte es doch näher gelegen, der <strong>Tarif</strong>einheit<br />

insoweit durch Auslegung zum Durchbruch zu verhelfen, als einen ohne Rücksicht auf Bezugnahmeklauseln<br />

geltenden Gr<strong>und</strong>satz der <strong>Tarif</strong>einheit aufzustellen. Insgesamt ergibt sich eine Dialektik von Einheit <strong>und</strong><br />

Vielheit, die das System in einem dynamischen Gleichgewicht hält. Günter Schaub hat diese schwierige<br />

Dialektik souverän bewältigt, da er nie eindimensional denkt. Auch darauf beziehen sich Dank <strong>und</strong><br />

Anerkennung, die dieses Symposium zum Ausdruck bringen.<br />

1 BAG (14. 6. 1989), NZA 1990, 325 = AP Nr. 16 zu § 4 TVG <strong>Tarif</strong>konkurrenz, BAG (20. 3. 1991), NZA 1991, 736 = AP<br />

Nr. 20 zu § 4 TVG <strong>Tarif</strong>konkurrenz.<br />

2 ArbeitsR-Hdb., 10. Aufl. (2002), S. 2102f.<br />

3 BAG (20. 11. 1990), NZA 1991, 428 = AP Nr. 69 zu Art. 9 GG.<br />

4 § 187.<br />

5 NZA 2001, 156 = AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979.<br />

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Hanau: <strong>Verbands</strong>-, <strong>Tarif</strong>- <strong>und</strong> <strong>Gerichtspluralismus</strong> http://beck3-gross.digibib.net/bib/bin/show.asp?vpath=%2Fbibdata%2...<br />

6 Krit. deshalb Oetker, Anm. zu AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2001, 156. Auch Schrader, NZA 2001, 1337 weist<br />

auf den Widerspruch hin.<br />

7 Zu diesem Ergebnis kommt auch die Göttinger Dissertation von Kristin Doerlich, Die <strong>Tarif</strong>fähigkeit der Gewerkschaft,<br />

Schriften zum Arbeitsrecht <strong>und</strong> Wirtschaftsrecht, herausgegeben von Abbo Junker, 2002.<br />

8 NZA 1998, 1414 = AP Nr. 87 Art. 9 GG.<br />

9 BAG (14. 7. 1981), AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; BAG (19-6- 1984), AP Nr. 3 zu § 1 TVG<br />

Verhandlungspflicht; BAG (14. 2. 1989), NZA 1989, 601 = AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; dazu Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506<br />

(509) m.w. Nachw.<br />

10 Zuletzt Hanau/Thüsing, ZTR 2002, 506 (508f.).<br />

11 V. 10. 12. 2002 - 1 AZR 96/02, Pressemitteilung Nr. 91/02.<br />

12 v. Venrooy, ZfA 1983, 49; Kraft, in: Festschr. f. Schnorr von Carolsfeld, 1979, S. 255ff.<br />

13 Gamillscheg, Kollektives ArbeitsR I, 1997, S. 530ff. m.w. Nachw.; Schaub (o. Fußn. 2), S. 2060ff.<br />

14 Anm. zu AP Nr. 14 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit.<br />

15 Richardi, BetrVG, 8. Aufl. (2002), § 2 Rdnr. 68; Feudner, DB 1995, 2114; <strong>für</strong> das MitbestimmungsG der Kommentar<br />

von Hanau/Ulmer, 1981, § 7 Rdnr. 48; a.M. Gamillscheg (o. Fußn. 13), S. 224; Däubler/Kittner/Klebe/Trümmner, BetrVG,<br />

8. Aufl. (2002), § 2 Rdnr. 29; Löwisch/Kaiser, BetrVG, 5. Aufl. (2002), § 2 Rdnr. 18.<br />

16 Rieble, Anm. zu BAG, AP Nr. 14 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit m.w. Nachw. = NZA 2000, 949.<br />

17 Grdl. BAG (25. 9. 1996), NZA 1997, 613 = AP Nr. 10 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit u. Hinw. auf Blank, Die<br />

<strong>Tarif</strong>zuständigkeit der DGB-Gewerkschaften, 1996, S. 129ff; Blank, jetzt Justitiar der IG Metall, gibt eine umfassende<br />

Darstellung der Rechtslage; Reichert/Dannecker, Hdb. des Vereins- <strong>und</strong> <strong>Verbands</strong>R, 5. Aufl. (1993), S. 480ff.<br />

18 NZA 1997, 609 = AP Nr. 11 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit.<br />

19 NZA 1997, 613 = AP Nr. 10 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit.<br />

20 NZA 2000, 949 = AP Nr. 14 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit.<br />

21 ErfK/Dieterich, 3. Aufl. (2002), Art. 9 GG Rdnr. 35.<br />

22 AP Nr. 16 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit.<br />

23 NZA 2000, 949 = AP Nr. 14 zu § 2 TVG <strong>Tarif</strong>zuständigkeit.<br />

24 S. die in der AP zu § 1 TVG <strong>Tarif</strong>verträge: Bau abgedruckten Entscheidungen.<br />

25 S. etwa BAG, NZA 1994, 667 = AP Nr. 21 zu § 4 TVG <strong>Tarif</strong>konkurrenz.<br />

26 BAG, NZA 1991, 736 = AP Nr. 20 § 4 TVG <strong>Tarif</strong>konkurrenz; Wiedemann/Wank, TVG, 6. Aufl. (2002), § 4 Rdnr. 290<br />

m.w. Nachw.<br />

27 BAG (26. 1. 1994), NZA 1994, 1038 (1040) = AP Nr. 22 § 4 <strong>Tarif</strong>konkurrenz; Hromadka/Maschmann/Wallner, Der<br />

<strong>Tarif</strong>wechsel, 1996, Rdnr. 136.<br />

28 NZA 2002, 207; so auch schon Junker/Wichmann, NZA 1996, 505.<br />

29 S. BAG, NZA 1991, 736 = AP Nr. 20 § 4 TVG <strong>Tarif</strong>konkurrenz.<br />

30 Urt. v. 28. 5. 1997, NZA 1998, 40 = AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung <strong>und</strong> die Darstellung der Rechtslage bei Schaub<br />

(o. Fußn. 2); krit. Brühn, <strong>Tarif</strong>einheit im Betrieb als Eingriff in die Koalitionsfreiheit, 1997.<br />

31 S. Melms, NZA 2002, 296.<br />

32 Ver.di wird man in diesem Zusammenhang als Einheit betrachten müssen, so dass der Übergang der Zuständigkeit <strong>für</strong><br />

einen Betrieb in einen anderen Fachbereich von ver.di stets zur Geltung von dessen <strong>Tarif</strong>verträgen führt, s. Melms, NZA<br />

2002, 296.<br />

33 BAG (30. 8. 2000), NZA 2001, 510 = AP Nr. 12 zu § 1 TVG Bezugnahme auf <strong>Tarif</strong>vertrag; in letzterem Punkt gegen<br />

BAG (4. 9. 1996), AP Nr. 5; grdl. zu den verschiedenen Bezugnahmeklauseln Hromadka/Maschmann/Wallner (o. Fußn. 27).<br />

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