14Monatsinterview«Es gibt noch viel Potenzial»Zukunft Georges T. Roos hält das Internet der Dinge für eine zukunftsweisende Entwicklung.Und er geht davon aus, dass wir in den nächsten Jahren ganz wegkommen von Bildschirmund Tastatur. Interview Therese Jäggi / Foto Georg Anderhub<strong>Context</strong>: Welches sind – ganz generell –Merkmale der aktuellen Arbeitswelt?Georges T. Roos: Die Beschäftigungssituationin der <strong>Schweiz</strong> ist erfreulich.Die Erwerbslosenquote bewegt sich auftiefem Niveau. Unsere Bevölkerung ist gutausgebildet und legt bezüglich Bildungsniveauimmer mehr zu. Man kann davonausgehen, dass bis im Jahr 2020 die Hälfteder Erwerbstätigen über einen tertiärenAbschluss verfügen wird. Aus- undWeiterbildung sind – neben der Rechtssicherheit– zentral für den Erfolg der<strong>Schweiz</strong>, und sie werden es auch in einerzunehmend globalisierten Welt weiterhinsein.Wir leben in einer beschleunigten Welt.Stimmt dieser Eindruck?Wir befinden uns in der Phase einesBeschleunigungsschubs. Das hat es aberfrüher auch schon gegeben, beispielsweisewährend der Industrialisierung.Und es gab auch damals schon ähnlicheDiskussionen über die negativen Auswirkungender Beschleunigung. Neben derBeschleunigung beobachten wir eine zunehmendeFlexibilisierung des herkömmlichenArbeitsverhältnisses.Wo zeigt sich das konkret?Wir leben in einer Wissensgesellschaft.Die Leute arbeiten projektbezogenund zielorientiert. Da ist die Erfüllung beziehungsweiseErfassung einer fix vorgegebenenAnzahl von Wochenarbeitsstundenkein taugliches Instrument mehr. DieGrenze zwischen Arbeit und Freizeit löstsich immer mehr auf. Ein relativ neuesPhänomen ist Homeoffice. Laut einerSchätzung der Universität St. Gallen übencontext 6/7 – <strong>2013</strong>
Georges T. Roos (50) ist Gründer und Leiter des ZukunftsinstitutsRoos, Trends & Futures in Luzern. Der studierte Pädagogeverbrachte den Anfang seiner beruflichen Laufbahn im Journalismus,zuletzt als Mitglied der Redaktionsleitung einer mittelgrossenTageszeitung. Ab 1997 war er Mitglied der Geschäftsleitungdes Gottlieb Duttweiler Instituts, bis er sich 2000selbstständig machte.15450 000 Personen eine Tätigkeit aus,welche zumindest teilweise auch von zuHause aus erledigt werden könnte.Wie wirkt sich Homeoffice auf dasVerhältnis zwischen Arbeitgebernund Angestellten aus?Die Kommunikation verändert sich.Der Chef kann nicht mehr einfach nebenanins Büro treten und sagen, was ergerade in den nächsten fünf Minutenbraucht. Es muss besser geplant werden.Homeoffice setzt aber auch und vor allemsehr viel Vertrauen seitens der Arbeitgeberin ihre Mitarbeitenden voraus.Wird Homeoffice zunehmen?Ja, das Potenzial ist noch längst nichtausgeschöpft. Die Vorteile sind ja auch offensichtlich.Es gibt ökologische Gründe,die dafür sprechen. Die Pendlerströmekönnten massiv reduziert werden. Homeofficeträgt aber auch wesentlich zur Arbeitszufriedenheitder Mitarbeitendenbei, und nicht zuletzt wird dadurch dieProduktivität gesteigert. Im Büro wirdman laut Untersuchungen rund alle elfMinuten unterbrochen.Aus unternehmerischer Sicht gibt esanscheinend auch Gründe gegen Homeoffice.So hat die Chefin von Yahookürzlich entschieden, dass Homeofficenicht mehr toleriert wird.Bei Yahoo haben die Leute offenbarpraktisch nur noch zu Hause gearbeitet.Darauf hat Marissa Mayer jetzt reagiert.An dem Punkt sind wir aber noch langenicht. Die Kunst besteht darin, das richtigeVerhältnis zwischen Büropräsenzund Homeoffice zu finden. Das hängt vonder jeweiligen Tätigkeit und der Unternehmenskulturab.Wie sieht der Arbeitsplatzder Zukunft aus?Es gibt interessante Beispiele imDienstleistungsbereich, die zeigen, inwelche Richtung es gehen könnte. Nehmenwir das Beispiel von Google in Zü-rich. Dort arbeiten Digital Natives, alsojunge Leute, die mit der IT aufgewachsensind. Diese erwarten an ihrem Arbeitsplatzmehr als nur einen Schreibtisch undeinen Laptop. Sie haben Ansprüche, dieweitgehend auch in der Freizeit gelten.Dazu gehören Zeitsouveränität, gute Kollegen,Spass. Diese Bedürfnisse bildensich bei Google in der Bürogestaltung ab,welche sich förderlich auf Begegnungenund kreative Prozesse auswirken soll.Wenn die von Ihnen erwähnten Aspekte –Zeit, ein gutes Team, Spass – wichtigerwerden, verlieren dann traditionelleWerte wie Status und Geld tendenziell anBedeutung?Immer mehr junge, gut ausgebildete«Ich hoffe, dass sich unser weitgehend auf den Bildschirmbeschränkter Blick wieder öffnen wird.»Menschen sagen Nein zu einer Karriereim herkömmlichen Sinn. Sie wollen sichnicht bedingungslos in den Dienst einesUnternehmens stellen und sich mit Hautund Haaren auffressen lassen. Das erscheintihnen einfach nicht erstrebenswert.Und damit verlieren gewisse traditionelleStatussymbole wie Luxusautound Einfamilienhäuschen an Bedeutung,was aber nicht heisst, dass Geld keineRolle mehr spielt. Die Höhe des Lohns istnach wie vor wichtig.An welchem Punkt befinden wir uns bezüglichkünstlicher Intelligenz?Im Alltag merken wir davon nochnicht viel. Ich muss froh sein, wenn der PCmir nicht dauernd Wörter vorschlägt, dieich gar nicht schreiben will. In welcheRichtung es gehen könnte, sehen wir amBeispiel von Watson. Das ist ein von IBMentwickeltes Programm, das Fragen beantwortenkann, die in natürlicher Sprachegestellt werden. Das Programmwurde 2011 im Rahmen der QuizsendungJeopardy eingesetzt und gewann gegenzwei menschliche Gegner. Das interessantean Watson ist, dass es sich nicht umein vorprogrammiertes Modell handelt,sondern dass das Programm selber Hypothesenbildet und diese verifiziert.Wie könnte ein solches Programm inder Arbeitswelt eingesetzt werden?Überall dort, wo riesige Datenströmeeingehen und daraus aufgrund der herkömmlichenProgramme gar keine vernünftigenSchlüsse gezogen werden können.Da gibt es auch bereits Versuche in<strong>Banken</strong>, dass Watson die neuen Informationenpermanent auswertet und basierendauf dieser Grundlage beispielsweiseAnlagetipps liefert.Welche anderen Entwicklungensind zukunftsweisend?Spannend finde ich das Internet derDinge. Es geht darum, dass reale Gegenständemit einer virtuellen Repräsentationdirekt mit dem Internet verknüpftwerden.Wie muss ich mir das vorstellen?Der Blumentopf schickt Ihnen einSMS, wenn er Wasser braucht.Werden weitere Gegenstände in unsererUmgebung an Intelligenz zulegen?Im Bereich Gesundheitspräventiongibt es einige interessante Ansätze. Beispielsweiseein Bürostuhl mit eingebautemSensor, der sich meldet, wenn dieKörperhaltung nicht optimal ist, odereine Brille, die ein Signal aussendet, wennderen Träger – beispielsweise ein Chauffeur– kurz vor dem Einnicken ist.context 6/7 – <strong>2013</strong>