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Hörgerichtete Frühförderung hoch- gradig hörgeschädigter ... - Sonos

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Forschungsprojekt:<br />

<strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong> <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong><br />

<strong>hörgeschädigter</strong> Kinder<br />

Prof. Dr. Gottfried Diller<br />

Dipl.-Päd. Peter Graser<br />

Dipl.-Päd. Cornelia Schmalbrock<br />

Projektbericht (Kurzfassung)<br />

1. Voraussetzungen<br />

2. Stand der Forschung<br />

3. Ziele und Fragestellungen<br />

4. Planung und Ablauf<br />

5. Fachliteratur und Informationsdienste<br />

6. Kooperationen<br />

7. Veröffentlichungen<br />

8. Ergebnisse<br />

9. Diskussion<br />

10. Fazit<br />

1. Voraussetzungen<br />

Daß Kinder mit einem mittleren Hörverlust von 90 dB und mehr bereits ab dem frühesten Kleinkindalter<br />

mit apparativen Hörhilfen versorgt werden und zur Entwicklung ihrer Hör- und Sprachfähigkeiten<br />

eine regelmäßige, professionelle <strong>Frühförderung</strong> im Elternhaus erhalten, wurde erst seit<br />

den 60er Jahren allmählich zu einem festen Bestandteil in der Erziehung prälingual <strong>hörgeschädigter</strong><br />

Kinder.<br />

Im Laufe ihrer langen Geschichte entwickelte die Hörgeschädigtenpädagogik zwar durchaus verschiedene<br />

Konzepte und Angebote zur Hörerziehung. Doch all diese Ansätze zur Hörerziehung<br />

bezogen bis in unsere Zeit hinein zum einen nur Kinder frühestens ab Schulalter ein und waren<br />

zum anderen eindeutig rehabilitativ ausgerichtet. Das heißt, sie waren darauf bedacht, bereits eingetretene<br />

gravierende Konsequenzen von medizinisch weder diagnostizierten noch behandelten<br />

Hörschädigungen beseitigen und die Defizite wieder abbauen zu wollen, die sich in allen Bereichen<br />

der kindlichen Entwicklung zwangsläufig ergeben hatten.<br />

Dies änderte sich erst ab den 50er Jahren dieses Jahrhunderts. Im deutschsprachigen Raum führte<br />

Löwe 1958 erste Ansätze zu einer frühen Hör-Spracherziehung im Elternhaus ein und gründete<br />

1959 in Heidelberg die erste Pädoaudiologische Beratungsstelle für Eltern <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder,<br />

die in der Folge zum Vorbild für viele weitere Einrichtungen dieser Art im In- und Ausland<br />

wurde.<br />

Was sich mit dem Aufbau solcher Beratungsstellen durchsetzte, war im Grunde nichts anderes als<br />

die Einsicht, daß eine präventive pädagogische Intervention sogar <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten<br />

Kindern bislang unerreichbare Chancen zur Hör- und Sprachentwicklung zu bieten versprach. Diese<br />

Neuorientierung der Hörgeschädigtenpädagogik resultierte in der Hauptsache aus den stetigen<br />

Verbesserungen in der Hörgerätetechnik und kulminierte schließlich 1970 in der Formel von der<br />

„Früherfassung, Früherkennung und Früherziehung“ als den konstitutiven Elementen einer modernen<br />

Praxis im Umgang mit dem hörgeschädigten Kind.<br />

Heute ist das damals konzipierte Versorgungs- und Fördermodell einer frühen Hör- und Spracherziehung<br />

im Elternhaus flächendeckend in der gesamten Bundesrepublik Deutschland etabliert. Die<br />

Grundstruktur der <strong>Frühförderung</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder, die mit mehr oder minder kleinen Abweichungen<br />

je nach Bundesland aufgebaut wurde, weist im wesentlichen folgende Elemente auf:<br />

1


� Bis auf den heutigen Tag nicht institutionalisiert ist eine quasi automatische Untersuchung<br />

der Neugeborenen auf das Vorliegen von Hörschädigungen. Vielmehr ist das Interventionssystem<br />

nach wie vor in den allermeisten Fällen darauf angewiesen, daß Eltern, Ärzte etc. einen<br />

Erstverdacht äußern.<br />

� Wird diesem Verdacht nachgegangen, kommt es im nächsten Schritt zu einer Erstdiagnose<br />

durch eine Klinik oder einen Facharzt.<br />

� Bestätigt sich der Verdacht, werden in den meisten Fällen zunächst Hörgeräte verordnet und<br />

entweder durch die Klinik/den Facharzt selber oder durch einen Akustiker erstmals angepaßt.<br />

Zugleich wird die betroffene Familie weitervermittelt zur jeweils örtlich zuständigen<br />

Förderstelle für hörgeschädigte Kinder.<br />

� Diese Stelle, die häufig einer der staatlichen Schulen für Hörgeschädigte angeschlossen ist,<br />

lädt die Familie in der Regel bald zu einem ersten Beratungsgespräch ein und bietet die<br />

Durchführung von ambulanter Hausfrühförderung sowie anderer Förder- und Beratungsgelegenheiten<br />

an. Eine schematische Darstellung dieser Grundstruktur bietet die folgende Abbildung.<br />

2<br />

Interventionsstrukturen im Bereich der <strong>Frühförderung</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder in der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

Erstverdacht durch Eltern, Ärzte oder andere<br />

(In Ausnahmefällen: Neugeborenen-Screening)<br />

Erstdiagnose in Kliniken oder bei Fachärzten<br />

(Meist mittels Verfahren der BERA)<br />

Erstversorgung mit Hörgeräten durch Kliniken oder Akustiker<br />

(CI-Versorgung)<br />

<strong>Frühförderung</strong> meist durch spezialisierte Abteilungen der Schulen für Hörgeschädigte<br />

mit den Aufgabenfeldern<br />

Pädaudiologische<br />

Beratung<br />

Ambulante<br />

Therapie<br />

Wechselgruppe <br />

Hausfrühförderung<br />

Stationäre<br />

Wechsel-<br />

gruppe<br />

Integrative<br />

Betreuung


2. Stand der Forschung<br />

Die Hörgeschädigtenpädagogik hat in den vergangenen 40 Jahren verschiedene Ansätze entwickelt,<br />

um die Kommunikationsfähigkeit <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder zu verbessern.<br />

Eine neuere Konzeptionen ist der hörgerichtete Ansatz. Er geht von der Überzeugung aus, daß „...<br />

heutzutage für die meisten prä- oder perinatal hörgeschädigten Kinder die Möglichkeit (besteht),<br />

bei einer intensiven Nutzung der vorhandenen Rehabilitationstechniken auf der Basis natürlicher<br />

Lernprozesse die Entwicklung der auditiven Zentren ... in Gang zu bringen und eine natürliche Hör-<br />

, Sprech- und Sprachkompetenz zu entwickeln“ (Frerichs 1995, 8). Der hörgerichtete Ansatz wendet<br />

sich damit programmatisch ab von allen bisher in der Hörgeschädigtenpädagogik zusätzlich<br />

benutzten manualen Methoden, die durch das Anbieten von visuellen Sprach-, Sprech- oder<br />

Schriftzeichensystemen die Kommunikationsfähigkeit Gehörloser herstellen wollen. Ebenso von<br />

Konzepten, die unter den Schlagwörtern Bilingualismus oder Total Communication eine Einbeziehung<br />

von Gebärden in die Hör- und Sprachförderung <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder befürworten.<br />

� Die Grundidee des hörgerichteten Ansatzes basiert zum einen auf Forschungsergebnissen<br />

aus dem Bereich der Neurophysiologie des Hörens, die zeigen, daß sich auch bei <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong><br />

hörgeschädigten Kindern die physiologischen und funktionellen Reifungsprozesse des<br />

Hörsystems wie bei normalsinnigen Kindern entwickeln können.<br />

� Darüber hinaus belegen die neuesten Erkenntnisse der Spracherwerbstheorie die Vermutung,<br />

daß der Spracherwerb von hörgeschädigten Kindern, wenngleich durch gewisse Startschwierigkeiten<br />

verzögert, grundsätzlich denselben Entwicklungsschritten folgt wie der anderer<br />

Kinder auch.<br />

Was die empirische Überprüfung der seit den 60er Jahren neu entwickelten Konzepte der Hörgeschädigtenpädagogik<br />

angeht, so sind zumindest für den deutschsprachigen Raum lediglich einige<br />

Einzelfallstudien, gezielte Beobachtungen, Begleitforschungen und empirisch gestützten Untersuchungen<br />

an kleineren Populationsgrößen bekannt, die zum Ziel hatten, die Möglichkeiten des<br />

Spracherwerbs <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder wissenschaftlich zu untersuchen, z. B. Willer 1966, Prillwitz<br />

1982, Kratzmeier 1989, Kallinge 1995.<br />

Prillwitz veröffentlichte 1988 Untersuchungsergebnisse eines Modellversuchs, in dem zehn hörgeschädigte<br />

Kinder primär gebärdensprachlich gefördert wurden. Eine vergleichbare Studie, in der<br />

untersucht wurde, wie die Entwicklung von Kindern unter hörgerichteter <strong>Frühförderung</strong> verläuft,<br />

gab es vor der hier besprochenen Studie nicht.<br />

Die Einordnung des Projekts hörgerichtete <strong>Frühförderung</strong> in den gegenwärtigen Forschungskontext<br />

der Hörgeschädigtenpädagogik macht deutlich, daß hier ein bisher im deutschsprachigen<br />

Raum noch kaum bearbeitetes Forschungsfeld betreten wurde. Es ist noch immer zutreffend, daß<br />

es sich bei diesem Projekt um die bislang einmalige, umfänglich angelegte, empirische und systematisch<br />

kontrollierte Untersuchung der Hör- und Sprachentwicklung von <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten<br />

Kindern in der Bundesrepublik Deutschland handelt.<br />

3


3. Ziele und Fragestellungen<br />

Die Ziele und Fragestellungen des Projekts ergaben sich unmittelbar aus dem beschriebenen defizitären<br />

Stand der Forschung innerhalb der Hörgeschädigtenpädagogik.<br />

Untersucht wurde der Verlauf der Hör- und Lautsprachentwicklung von <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten,<br />

prälingual gehörlosen und nicht mehrfach behinderten Kleinkindern, die frühzeitig mit apparativen<br />

Hörhilfen versorgt und nach den Grundsätzen einer hörgerichteten Förderung betreut wurden.<br />

Neben diesen Verlaufseigentümlichkeiten sollten zudem die wichtigsten Bedingungsfaktoren der<br />

erfragten und beobachteten Lernprozesse wissenschaftlich analysiert werden.<br />

Aufgrund des Gegenstandsvorverständnisses und der eigenen praktischen Erfahrungen mit der<br />

<strong>Frühförderung</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder wurde für die Untersuchung davon ausgegangen, daß folgenden<br />

Faktoren die größte Bedeutung zukommt:<br />

� Alter der Kinder zum Zeitpunkt der Erstdiagnose, zum Zeitpunkt der Erstversorgung mit apparativen<br />

Hörhilfen sowie zum Zeitpunkt des Förderbeginns<br />

� kontinuierliche Kontrolle und Optimierung der Hörgeräte- bzw. CI-Anpassung sowie die Akzeptanz<br />

und Nutzung der Geräte durch die Kinder<br />

� Art und Weise der Förderung von Hören und Sprechen durch die Eltern bzw. das familiäre<br />

Umfeld<br />

� Art und Weise sowie Häufigkeit der Betreuung der Kinder durch die Vertreterinnen der professionell<br />

betriebenen <strong>Frühförderung</strong><br />

� individuell kindliche sowie im sozialen Umfeld liegende Bedingungen einer ausgeglichenen<br />

Allgemeinentwicklung des Kindes.<br />

Im Rahmen der Untersuchung dieser Faktoren spielte die Berücksichtigung der Umsetzung von<br />

Ansätzen einer hörgerichteten <strong>Frühförderung</strong> eine besondere Rolle. Es interessieren daher als<br />

grundlegende Elemente der hörgerichteten <strong>Frühförderung</strong> in Praxis und Selbstverständnis der Akteure<br />

die Fragen zu:<br />

� Umfang und Organisation der hörgerichteten <strong>Frühförderung</strong> in der Bundesrepublik Deutschland<br />

� Häufigkeiten und Dauer der Frühfördereinheiten, die von den einzelnen Einrichtungen im<br />

konkreten Fall durchgeführt werden<br />

� Selbstverständnis der professionellen Frühförderinnen in Hinblick auf die Zielvorstellungen,<br />

methodisch-didaktischen Prinzipien und Fördergrundsätze hörgerichteter Ansätze sowie deren<br />

praktische Umsetzung<br />

� Selbstverständnis der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten in Hinblick auf die Zielvorstellungen,<br />

methodisch-didaktischen Prinzipien und Fördergrundsätze hörgerichteter Ansätze sowie<br />

deren praktische Umsetzung<br />

� wechselseitige und externe Beurteilung der tatsächlichen Förderpraxis von Professionellen<br />

und Eltern<br />

� Beurteilung der Interaktions- und Kommunikationsbedingungen, unter denen ambulante<br />

Hausfrühförderung hierzulande stattfindet.<br />

Neben der Beantwortung der genanten Fragen sollte das Forschungsvorhaben als grundlegende<br />

Forschungshypothese überprüfen, ob <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigte Kleinkinder, die prälingual gehörlos<br />

und nicht mehrfach behindert sind, eine gut hörenden Kindern weitgehend analoge Hör- und<br />

Lautsprachentwicklung erreichen können, wenn sie möglichst frühzeitig und durchgängig adäquat<br />

apparativ mit Hörgeräten oder CI versorgt und von Anfang an und umfassend im Sinne einer hörgerichteten<br />

Früherziehung gefördert werden.<br />

Schließlich wurde noch möglichen Zusammenhängen zwischen der Hör- und Sprachentwicklung<br />

auf der einen Seite und der apparativen Versorgung, der <strong>Frühförderung</strong> sowie anderen Faktoren<br />

auf der anderen Seite nachgegangen.<br />

4


4. Planung und Ablauf<br />

Das Gesamtforschungsprojekt untergliederte sich in zwei Untersuchungsstränge:<br />

� Eine Breitenuntersuchung mit quantitativem Schwerpunkt, deren Hauptaufgabe darin bestand,<br />

durch bundesweite Erfassung eine grundlegende Datenbasis zu schaffen hinsichtlich<br />

der frühen Hör- und Lautsprachentwicklung <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder in der<br />

Bundesrepublik Deutschland, hinsichtlich der Art der Versorgung dieser Kinder mit Hörgeräten<br />

oder Cochlea-Implantat sowie in Hinblick auf die Ziele und Vorgehensweisen der elterlichen<br />

und professionellen Früherziehung bzw. -förderung.<br />

� Eine Intensivuntersuchung mit qualitativem Schwerpunkt, deren Hauptaufgabe darin bestand,<br />

durch die unmittelbare Teilnahme an den Förderprozessen sowie das direkte Gespräch<br />

mit den Eltern und den Frühförderinnen einerseits die Bedürfnisse und Erwartungen<br />

auf der elterlichen Seite und andererseits die Zugangsweisen und das Selbstverständnis der<br />

Professionellen zu erfassen.<br />

Ursprünglich war eine Vorhabensdauer von 3 Jahren vorgesehen. Im Laufe des Forschungsprozesses<br />

selber traten jedoch Umstände auf, die zu verschiedenen Änderungen führten: Der gravierendste<br />

dieser Umstände bestand darin, daß eine der wesentlichen Grundannahmen des Vorhabens<br />

nicht mehr der Praxis entsprach. Es handelte sich dabei um die Annahme, daß die in die Studie<br />

einbezogenen Kinder während des Untersuchungszeitraums im wesentlichen mit Hörgeräten<br />

versorgt sein würden. Es stellt sich heraus, daß die Mehrzahl der Kinder Cochlea-Implantate erhielten.<br />

Um die aus der Veränderung der apparativ-technischen Versorgung resultierenden Konsequenzen<br />

für die Untersuchung in den Griff zu bekommen, ohne das ursprüngliche Vorhabensziel zu gefährden,<br />

wurde zum einen das Gesamtforschungsvorhaben um ein Jahr gegenüber der ursprünglichen<br />

Planung verlängert, zum anderen wurden die wissenschaftlichen Fragestellungen um einen Aspekt<br />

ergänzt, der mit den Änderungen der Rehabilitationspraxis bei cochlea-implantierten Kleinkindern<br />

in Zusammenhang stand.<br />

Die Untersuchung konnte um einen komparativen Aspekt zwischen Hörgeräte tragenden und mit<br />

CI versorgten Kindern ergänzt werden. Außerdem wurde es durch die zeitliche Ausdehnung möglich,<br />

die Aussagen der Studie zur <strong>Frühförderung</strong> <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder den aktuellen<br />

technischen und therapeutischen Entwicklungen im Bereich der <strong>Frühförderung</strong> <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong><br />

<strong>hörgeschädigter</strong> Kinder anzupassen.<br />

Aus den genannten Umständen und Überlegungen resultierten folgende Verlaufs- und Aufgabenpläne<br />

für die einzelnen Untersuchungsstränge:<br />

� Im ersten halben Jahr wurden sowohl im Bereich der Breiten- wie im Bereich der Intensivuntersuchung<br />

die jeweiligen Untersuchungspopulationen erkundet sowie die Untersuchungsinstrumentarien<br />

konstruiert und validiert (Phase I).<br />

� An diesen Vorbereitungszeitraum schloß sich eine Datenerhebungs- bzw. Beobachtungsphase<br />

von zunächst zweijähriger Dauer an (Phase II):<br />

Im Rahmen der Breitenuntersuchung wurden zu Beginn und gegen Ende dieser Phase zwei<br />

Fragebögen bundesweit verschickt und ausgewertet.<br />

Die Intensivuntersuchung beinhaltete in dieser Phase kontinuierliche Beobachtungen von<br />

Fördersituationen sowie zweimalige Interviews von Eltern und Förderpersonal.<br />

� Eine halbjährige Auswertungsphase für beide Untersuchungsstränge schloß sich an (Phase<br />

III), bevor im Verlängerungsjahr erneut Daten erhoben wurden. Das heißt: Der quantitative<br />

Untersuchungsteil wurde mit einem dritten und letzten Fragebogen fortgesetzt, der qualitative<br />

Teil mit einer Wiederaufnahme der Beobachtungen und Interviews (Phase IV).<br />

� Schließlich blieb eine halb- bzw. vierteljährige Frist zur abschließenden Auswertung und Interpretation<br />

der Ergebnisse sowie zur Herstellung der Dokumentation in Form dieses Forschungsberichts<br />

(Phase V).<br />

5


6<br />

Verlaufs- und Aufgabenschema des Projekts hörgerichtete <strong>Frühförderung</strong><br />

Phase Projekt hörgerichtete <strong>Frühförderung</strong><br />

Monat Breitenuntersuchung Intensivuntersuchung<br />

Phase I<br />

1 - 6<br />

Phase II<br />

7 - 30<br />

Phase III<br />

31 - 36<br />

Phase IV<br />

37 - 45<br />

Phase V<br />

46 - 48<br />

Voruntersuchung zur Populationserfassung<br />

Konstruktion des ersten Fragebogens<br />

zur bundesweiten Datenerhebung<br />

Durchführung von Pretests<br />

Durchführung der ersten Datenerhebung<br />

mittels Fragebogen<br />

Statistische Aufbereitung und Auswertung<br />

der erhobenen Daten<br />

Konstruktion des zweiten Fragebogens<br />

zur bundesweiten Datenerhebung<br />

Durchführung von Pretests<br />

Durchführung der zweiten Datenerhebung<br />

mittels Fragebogen<br />

Statistische Aufbereitung und Auswertung<br />

der erhobenen Daten<br />

Erfassung der Population<br />

Erarbeitung der Untersuchungsinstrumentarien<br />

zur Durchführung von Beobachtungen<br />

und ersten Interviews<br />

Validierung dieser Instrumentarien<br />

Kontinuierliche Beobachtung von Fördersituationen<br />

bei der Population in 4-<br />

bis 5-wöchigen Abständen<br />

Durchführung der ersten problemzentrierten<br />

Interviews mit Eltern und Förderinnen<br />

Erarbeitung der Untersuchungsinstrumentarien<br />

zur Durchführung der zweiten<br />

Interviews<br />

Durchführung der zweiten problemzentrierten<br />

Interviews mit Eltern und<br />

Förderinnen<br />

Auswertung der Ergebnisse der monatlichen<br />

Beobachtungen und der Interviews<br />

Zusammenführung der bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Ergebnisse<br />

aus beiden Untersuchungsteilen<br />

Konstruktion und Validierung des Fragebogens in der Verlängerungsphase<br />

Erarbeitung der Leitfäden für die Interviews in der Verlängerungsphase<br />

Durchführung der dritten Datenerhebung<br />

mittels Fragebogen<br />

Statistische Aufbereitung und Auswertung<br />

der gewonnenen Daten<br />

Wiederaufnahme der kontinuierlichen<br />

Beobachtung von Fördersituationen in<br />

4- bis 5-wöchigen Abständen<br />

Durchführung der dritten problemzentrierten<br />

Interviews mit Eltern von CI-<br />

Kindern<br />

Abschließende Datenanalyse in beiden Teilen der Untersuchung<br />

Gesamtinterpretation der Forschungsresultate<br />

Dokumentation der Ergebnisse im Forschungsbericht sowie Abschlußtagung


5. Fachliteratur und Informationsdienste<br />

Im Zuge der allgemeinen Literaturrecherche vor und während der Durchführung des Forschungsvorhabens<br />

wurde eine weitgehend vollständige Zusammenstellung der für das Thema relevanten<br />

deutschsprachigen Fachliteratur erarbeitet. Hierzu wurden benutzt:<br />

(a) bereits vorhandene Literatursammlungen von Löwe bzw. Frerichs<br />

(b) die Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Heidelberg<br />

(c) die Zentralbibliothek für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik in Leipzig<br />

(d) die Deutsche Bibliothek in Frankfurt/Main<br />

(e) das Deutsche Institut für internationale pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt/Main<br />

(f) das Infonetz der Stadt- und Universitätsbibliothek und der Senkenbergischen Bibliothek<br />

Frankfurt/Main mit dem Datenbanken "ERIC", "PsycLIT" und "PSYNDEX"<br />

(g) das Fachinformationssystems (FIS) Bildung.<br />

Daneben wurden vor allem durch weitere Recherchen in den o. g. Fachbibliotheken sowie durch<br />

Internetsuche die wichtigste englischsprachige Literatur berücksichtigt.<br />

Die Liste der für den Forschungsbericht direkt verwendeten Fachliteratur besteht aus insgesamt<br />

115 Titeln. Aufgrund des Umfangs verzichten wir an dieser Stelle auf einen Abdruck und verweisen<br />

stattdessen auf die Veröffentlichung: Diller, G., Graser, P., Schmalbrock, C. (2000): <strong>Hörgerichtete</strong><br />

<strong>Frühförderung</strong> <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder, Heidelberg.<br />

7


6. Kooperationen<br />

Das Forschungsvorhaben hätte ohne die Kooperation der überwiegenden Mehrzahl aller Frühfördereinrichtungen<br />

in der Bundesrepublik Deutschland nicht durchgeführt werden können. Diese Einrichtungen<br />

ermöglichten erst den Kontakt zu den Eltern der in die Untersuchung einbezogenen<br />

Kinder und schufen so die Voraussetzungen für die Datenerhebungen. Darüber hinaus beteiligten<br />

sich die Einrichtungen selber aktiv an der Vorbereitung und Ausführung der Forschungsprozesse -<br />

sei es im Rahmen der drei Arbeitstagungen, sei es bei der Weiterleitung der Untersuchungsinstrumentarien<br />

oder als Befragungsteilnehmer selber.<br />

Eine Liste der teilnehmenden Einrichtungen ist ebenfalls in der Veröffentlichung Diller, G., Graser,<br />

P., Schmalbrock, C. (2000): <strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong> <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder,<br />

Heidelberg einzusehen.<br />

Eine besonders enge Kooperation fand im Rahmen der Intensivuntersuchung mit folgenden Einrichtungen<br />

statt:<br />

� Abteilung <strong>Frühförderung</strong> des Pfalzinstituts für Hörsprachbehinderte, Frankenthal<br />

� Pädoaudiologische Frühberatungsstelle für Hörgeschädigte an der Schule am Sommerhoffpark,<br />

Frankfurt<br />

� Pädoaudiologische Frühberatungsstelle für Hörgeschädigte an der Johannes-Vatter-Schule,<br />

Friedberg<br />

In Hinsicht auf Fragen der statistischen Auswertung wurde außerdem kooperiert mit dem Zentrum<br />

zur methodischen Betreuung von Therapiestudien der Abteilung Medizinische Biometrie an der<br />

Universität Heidelberg.<br />

8


7. Veröffentlichungen<br />

In Fachzeitschriften sind veröffentlicht:<br />

� Diller, G., Graser, P., Schmalbrock, C. (1996): Forschungsprojekt <strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong><br />

<strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kleinkinder - Erstes Zwischenergebnis, in: Hörgeschädigtenpädagogik,<br />

50. Jg., Heft 5; Heidelberg.<br />

� Diller, G., Graser, P., Schmalbrock, C. (1997): Projekt hörgerichtete <strong>Frühförderung</strong>: Ausgewählte<br />

Ergebnisse der ersten Fragebogenaktion einer empirischen Untersuchung, in: Hörgeschädigtenpädagogik,<br />

51. Jg., Heft 4, Heidelberg.<br />

� Diller, G., Graser, P., Schmalbrock, C. (1998): Projekt hörgerichtete <strong>Frühförderung</strong>: Ausgewählte<br />

Ergebnisse der ersten Interviews mit Eltern <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder, in:<br />

Hörgeschädigtenpädagogik, 52. Jg., Heft 3, Heidelberg.<br />

Als Buch ist erschienen:<br />

� Diller, G., Graser, P., Schmalbrock, C. (2000): <strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong> <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong><br />

Kleinkinder, Heidelberg.<br />

Des weiteren wurden während und nach der Projektdurchführung den fachlich interessierten Stellen<br />

verschiedene Zwischenergebnisse auf Fachkongressen, Arbeitstagungen und Symposien vorgestellt,<br />

z. B. auf der Jahrestagung 1997 der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Bildungseinrichtungen<br />

für Gehörlose und Schwerhörige in St. Martin.<br />

9


8. Ergebnisse<br />

8.1 Ergebnisse der Breitenuntersuchung<br />

Die erste Datenerhebung fand im Februar 1996 mit 103 Kindern statt, die zweite im Oktober 1997<br />

mit 97 Kindern und die dritte im Oktober 1998 mit 91 Kindern.<br />

� Allgemeine Populationsmerkmale: Die Kinder der Population waren zu den Stichtagen<br />

dieser drei Erhebungen im Durchschnitt 15,2 (Minimum 0/Maximum 23), 37,4 (22/45) und<br />

50,6 (35/58) Monate alt. Im Unterschied dazu betrug ihr durchschnittliches Höralter zu den<br />

Stichtagen lediglich 6,2 (0/18), 28,3 (22/40) und 41,6 (35/53) Monate.<br />

Es waren an den drei Erhebungen 49/47/44 Mädchen und 54/49/47 Jungen beteiligt.<br />

88,0 % der Kinder waren von Geburt an gehörlos, die restlichen 12,0 % postnatal.<br />

Das familiäre Umfeld war bei der Erstbefragung durch folgende Merkmale bestimmt: 81,6 %<br />

der Eltern waren nicht hörgeschädigt, 91,4 % betreuten ihr Kind durchgängig selber, in 81,6<br />

% der Familien wurde die deutsche Lautsprache als primäres Kommunikationsmittel verwendet.<br />

Knapp ein Fünftel der Kinder wies leichte zusätzliche Erschwernisse auf, etwa ein Drittel<br />

leichte Entwicklungsverzögerungen.<br />

� System der frühen Intervention: Bezogen auf die als von Geburt an gehörlos definierten<br />

Kinder ergaben sich folgende Werte für die Einbeziehung in die Frühfördersysteme:<br />

Monate<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

6,6<br />

Reaktionszeiträume des Systems <strong>Frühförderung</strong> (n=88)<br />

18<br />

Bei den Kindern, deren Hörschädigung postnatal eingetreten war, ergaben sich aufgrund der<br />

meist unmittelbar erkennbaren Verursachungsprozesse deutlich kürzere Reaktionszeiten des<br />

Frühinterventionssystems.<br />

20<br />

8,7<br />

0 0 0<br />

Erstdiagnose Erstversorgung Erstförderung<br />

� Apparative Versorgung: Während der Datenerhebungsphasen veränderte sich die Art der<br />

apparativen Versorgung bei den untersuchten Kindern dramatisch. Die Abbildung zeigt die<br />

Tendenz zum CI und den Bedeutungsverlust der Hörgeräteversorgung bei dieser Gruppe<br />

von hörgeschädigten Kindern.<br />

10<br />

20<br />

9,5


100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

Hörgeräte oder CI<br />

1996 1997 1998<br />

HG 96,1% 65,6% 46,2%<br />

CI 3,9% 34,4% 53,8%<br />

Die Anpassung der Hörgeräte wurde an den Kriterien Ausgangsleistung, Verstärkungsleistung,<br />

Höhenverstärkung und Tiefenabsenkung beurteilt. Die Ergebnisse: 1996 erhielten wir<br />

lediglich in 74 von 99 Fällen hinreichende Auskünfte über die Anpassungsdaten und gelangten<br />

nur in 30 Fällen zum Urteil, daß alle Kriterien erfüllt waren. Das heißt, es konnte nur bei<br />

30,3 % der Kinder eine optimale apparative Versorgung als sicher angenommen werden.<br />

1997 erhielten wir in 32 von nur noch 63 Fällen die entsprechenden Auskünfte und beurteilten<br />

lediglich 16 Fälle (= 25,4 % aller Kinder mit Hörgeräten) als optimal versorgt. In 1998 trugen<br />

noch 42 Kinder Hörgeräte, davon konnten wir 17 beurteilen und kamen in 11 Fällen zu<br />

einem positiven Urteil (= 26,2 %).<br />

Weitere Detailergebnisse zu den speziellen Gründen für die Bewertung von Hörgeräteanpassungen,<br />

über die Tragedauer und -akzeptanz, über die spezielle Art der Probleme beim<br />

Tragen von Hörgeräten, über Umfang und Spezifik weiterer audiologischer Untersuchungen<br />

u.v.a.m. sind in der o. g. Buchveröffentlichung enthalten.<br />

� <strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong>: In der Voruntersuchung wurden alle öffentlichen und privaten<br />

Frühförderstellen Deutschlands nach der Anzahl der von ihnen betreuten Kinder befragt.<br />

Auf Basis der Meldungen von 71 Einrichtungen (= Rücklaufquote von 87,6 %) ergab sich<br />

folgendes Resultat:<br />

Inhalt<br />

In Frühfördereinrichtungen betreute Kinder (unabhän-<br />

Anzahl Prozent<br />

gig von Alter und HV) (n=65)<br />

Davon: Hoch<strong>gradig</strong> hörgeschädigte Kinder (unabhän-<br />

2308<br />

100,0%<br />

gig vom Alter) (n=64)<br />

Davon: Bis zu 24 Monate alte, <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschä-<br />

794<br />

34,4%<br />

digte Kinder (n=70)<br />

Davon: Bis zu 18 Monate alte, <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschä-<br />

186<br />

8,1%<br />

digte Kinder (n=64)<br />

52<br />

2,3%<br />

Bezüglich der Fragen zum Umfang und zur Dauer der Fördertätigkeit wurden zweimal Daten<br />

erhoben. Es stellte sich heraus, daß entgegen der ursprünglichen Angaben, die vorgesehene<br />

Therapieangaben beschrieben, im bundesweiten Durchschnitt tatsächlich nur ca. 1/2 Fördereinheit<br />

pro Woche stattfand, wobei die durchschnittliche Dauer einer ganzen Einheit bei<br />

etwas über 60 Minuten lag.<br />

Die Auswahl der in die Untersuchung einbezogenen Frühförderstellen richtete sich u. a. auch<br />

nach der inhaltlich-pädagogischen Orientierung der Einrichtung. Wir erhielten als Resultat<br />

der Voruntersuchung: 73,2 % der 71 Frühförderstellen in der BRD ordneten sich hinsichtlich<br />

ihrer grundsätzlichen Ausrichtung einer hörgerichteten Förderung zu, 12,7 % orientierten<br />

sich in der Früherziehung an anderen Konzepten, 14,1 % machten keine Angaben zur prinzipiellen<br />

methodischen Orientierung. 48 hörgerichtet arbeitende Frühfördereinrichtungen<br />

konnten schließlich an der Studie teilnehmen.<br />

11


In der Hauptuntersuchung wurden Professionelle aus diesen Förderstellen sowie die Eltern<br />

der untersuchten Kinder nach ihrem praktischen Umgang mit dem Kind in bestimmten Situationen<br />

und Hinsichten befragt. Wir beurteilten dabei nach einem Kriterienkatalog, der die<br />

Grundsätze hörgerichteten Erziehungs- und Förderverhaltens definiert, die Arbeits- bzw. Erziehungsweise<br />

von Professionellen und Eltern. Eine umfassende Umsetzung der Ziele und<br />

Methoden von hörgerichteter Förderung wurde von einer eingeschränkten Umsetzung unterschieden.<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

Arbeitsweisen bei der Förderung getrennt nach<br />

Eltern (n= 100) und Professionellen (n= 101)<br />

46,0%<br />

58,1%<br />

54,0%<br />

41,6%<br />

Umfassend hörgerichtet Eingeschränkt hörgerichtet<br />

Eltern<br />

Professionelle<br />

Im Laufe der kindlichen Entwicklung differenziert sich zunehmend das Angebot an früher<br />

Förderung: Die ausschließliche Hausfrühförderung verliert an Gewicht, die Kinder besuchen<br />

zunehmend Kindergärten (Regel-, integrative- oder Kindergärten in Schulen für Hörgeschädigte)<br />

und nehmen an zusätzlichen Rehabilitationsmaßnahmen teil, sofern sie mit CI versorgt<br />

sind. Vereinzelt werden auch andere zusätzliche Fördermaßnahmen wie z. B. Logopädie,<br />

Motopädie, Ergotherapie etc. wahrgenommen. Dies hauptsächlich von Kindern mit Hörgeräten.<br />

� Hör- und Sprachentwicklung: Die Hör- und die passiven sowie aktiven Sprachfähigkeiten<br />

der Kinder wurden dreimal erfaßt. Das Verfahren bestand aus einem Vergleich mit der Entwicklung<br />

von gut hörenden Kindern anhand der in standardisierten Entwicklungsskalen vorgegebenen<br />

Schritte, wobei die 90-%-Normentabellen zur Verwendung kamen und auf Seiten<br />

der hörgeschädigten Kinder das Höralter zugrunde gelegt wurde.<br />

Normale Hör- und Sprachleistungen bescheinigten wir Kindern, die in diesem Verfahren<br />

nicht vom Entwicklungstempo gut hörender Kinder abwichen, andernfalls sprachen wir von<br />

verzögerter Entwicklung in diesen Bereichen.<br />

12<br />

1998<br />

1997<br />

1996<br />

Hören- und Sprechenlernen<br />

37,5%<br />

38,5%<br />

48,4%<br />

50,5%<br />

Sprechen Normal<br />

Hören Normal<br />

74,5%<br />

72,5%<br />

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%


Wie man sieht, wird das Ergebnis der ersten Erhebung 1996 durch die Resultate der folgenden<br />

Erhebungen stark relativiert. Am Ende der Untersuchung entwickelten sich - wie die beiden<br />

oberen Balken des Diagramms verdeutlichen - etwa die Hälfte der Kinder in einer Weise,<br />

die der gut hörender Kinder auch vom Lernfortschritt und -tempo her vergleichbar ist. Wir<br />

kommen auf diesen Punkt noch einmal zurück.<br />

Für die Darstellung von Detailergebnissen aus diesem Themenbereich steht hier erneut<br />

nicht genügend Raum zur Verfügung, so daß wir nochmals auf die ausführliche Gesamtdokumentation<br />

verweisen müssen.<br />

� Korrelationen: Zur Überprüfung der grundlegenden Forschungshypothese waren verschiedene<br />

statistische Prüfhypothesen gebildet worden, die mögliche Zusammenhänge zwischen<br />

den einzelnen Variablen bzw. Variablengruppen formulierten. Vor allem sollte herausgefunden<br />

werden, ob zwischen der Qualität der Hörgeräteanpassung und der <strong>Frühförderung</strong> auf<br />

der einen Seite sowie der Hör- und Sprachentwicklung andererseits Zusammenhänge bestehen,<br />

des weiteren, ob die Art der apparativen Versorgung für die genannten Entwicklungsprozesse<br />

eine Rolle spielen und ob weitere Faktoren wie individuelle kindliche Besonderheiten<br />

und familiäres Umfeld zu finden sind. Als Resultate geben wir jeweils die Werte<br />

der letzten Signifikanztests an, die berechnet wurden (Chi-Quadrat-Test, Korrelationskoeffizient<br />

nach Spearman). HE = Hörentwicklung, SE = Sprachentwicklung:<br />

Korrelation Chi-Quadrat-Test Koeffizient<br />

Sprachentwicklung * Hörentwicklung p < .001 r = .74<br />

HE/SE * Hörgeräteanpassung p < .001/p = .010 r = .42/r = .30<br />

HE/SE * Förderung p < .001/p = .002 r = .42/r = .32<br />

HE/SE * Gesundheit nicht signifikant<br />

HE/SE * Zusätzliche Erschwernisse nicht signifikant<br />

HE/SE * Entwicklungsverzögerungen nicht signifikant<br />

HE/SE * Familiensprache p < .001/p = .001 r = .27/r = .32<br />

HE/SE * Art der apparativen Versorgung p < .030/p < .008 r = .23/r = .28<br />

Unter "Art der apparativen Versorgung" ist zu verstehen, ob die Kinder mit Hörgeräten oder<br />

CI versorgt sind. Um die gefundenen Abhängigkeiten nochmals zu verdeutlichen, bilden wir<br />

beispielhaft ein Diagramm zum Zusammenhang zwischen normalem bzw. verzögertem<br />

Sprachentwicklungsverlauf und CI- oder Hörgeräteversorgung ab:<br />

Beurteilung der Sprachentwicklung in Abhängigkeit von der Art der apparativen Versorgung (n=91)<br />

Prozent<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

37<br />

63<br />

CI<br />

Apparat. Versorgung<br />

65<br />

35<br />

Hörgeräte<br />

Sprachentwicklung<br />

verzögert<br />

normal<br />

13


8.2 Ergebnisse der Intensivuntersuchung<br />

Die Intensivuntersuchung wurde als qualitative Einzelfallanalyse bei 10 Kindern aus drei Frühförderstellen<br />

durchgeführt. Es fanden u. a. zu mehreren Zeitpunkten Interviews mit Eltern statt. Dabei<br />

ergaben sich folgende Resultate:<br />

� Erstverdacht: Bei den Familien, in denen von der Familiengeschichte her kein besonderer<br />

Anlaß zur Beobachtung des Kindes gegeben war, wurde der erste Verdacht auf einen Hörschaden<br />

zwischen dem zweiten und dem sechsten Lebensmonat geschöpft. Bis die Erstdiagnose<br />

gestellt wurde, vergingen zwischen drei und sechs Monate. Der Grund hierfür lag<br />

sowohl in der Unsicherheit der Eltern hinsichtlich der Reaktionen ihres Kindes als auch in<br />

der elterlichen Neigung, die Möglichkeit einer Behinderung zu verdrängen. Die Verhaltensbeobachtung<br />

der sehr jungen Kinder durch die Eltern ergab oft mehrdeutige Ergebnisse.<br />

� Sprachlicher Umgang: Bis auf eine Familie hatten sich alle Eltern für eine lautsprachliche<br />

Erziehung entschieden und wollten für ihr Kind keine gebärdensprachliche Erziehung. Sie<br />

begründeten diese Entscheidung damit, daß das Kind es später einfacher haben sollte, sich<br />

in die Gesellschaft zu integrieren. Vier Familien verwendeten in der sprachlichen Kommunikation<br />

nach einiger Zeit jedoch eine sehr ausgeprägte Gestik und Privatgebärden.<br />

Beim zweiten Interview zeigte sich, daß nur die Familien, deren Kinder ein Cochlea-<br />

Implantat trugen, den sprachlichen Umgang mit dem Kind als problemlos einschätzten. In<br />

den Familien, deren Kinder zu diesem Zeitpunkt noch Hörgeräte trugen, gab es Verständigungsprobleme.<br />

� Ausländische Familien: In den drei ausländischen Familien bestand hinsichtlich der<br />

sprachlichen Förderung eine besondere Situation. Die <strong>Frühförderung</strong> und auch die institutionelle<br />

Erziehung (Kindergarten u.ä.) fand in Deutsch statt, während im Elternhaus die jeweilige<br />

Muttersprache gesprochen wurde.<br />

� Bedeutung der <strong>Frühförderung</strong> für die Eltern: Zu Beginn der Untersuchung empfanden<br />

alle Eltern - bis auf eine ausländische Mutter - die <strong>Frühförderung</strong> als ausgesprochen positiv<br />

für sich. Die Eltern sahen darin eine Hilfe für sich und ihr Kind. In diesem Sinne war für sie<br />

die Beratung in der <strong>Frühförderung</strong> von großer Bedeutung.<br />

Es wurde deutlich, daß die meisten Eltern sich zwar als die Hauptverantwortlichen für die<br />

Förderung ihres Kindes betrachteten.<br />

Die <strong>Frühförderung</strong> wurde aber als eine Unterstützung gesehen, die Rat, Anleitung und Motivation<br />

beinhaltete. Wichtig war auch die Entlastung, die die Eltern in der Frühfördereinheit<br />

durch den Umgang der Professionellen mit ihrem Kind und deren Beurteilung der kindlichen<br />

Entwicklung erhielten. Der Umgang der Frühförderin mit dem Kind wurde als eine Möglichkeit<br />

des Lernens am Modell begrüßt.<br />

� Kritik an der <strong>Frühförderung</strong>: Auf organisatorisch-administrativer Ebene wurden in den verschiedenen<br />

Interviews von den befragten Eltern jedoch auch Kritikpunkte formuliert:<br />

- Einige Eltern fanden, daß die <strong>Frühförderung</strong> häufiger, regelmäßiger und länger stattfinden<br />

sollte.<br />

- Einige hätten sich auch einen unmittelbaren Beginn der <strong>Frühförderung</strong> im Anschluß<br />

an die Erstdiagnose gewünscht.<br />

- Vermißt wurde auch, daß manche Frühförderstellen keine regelmäßige Wechselgruppe<br />

anbieten. Dadurch fehlt ein intensiver Austausch mit den Professionellen und auch<br />

der Kontakt zu Eltern anderer <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder.<br />

Zur inhaltlichen Arbeit der <strong>Frühförderung</strong> wurde seitens der Eltern kritisch bemerkt:<br />

- Die <strong>Frühförderung</strong> sei häufig eine Übungssituation am Tisch, es finde kaum einmal ein<br />

spielerischer Umgang mit dem Kind statt.<br />

- Das Kind werde durch die ständigen Fragen der Frühförderin unter Druck gesetzt.<br />

- Die <strong>Frühförderung</strong> schlage ie Verwendung von lautsprachbegleitenden Gebärden vor.<br />

- Die <strong>Frühförderung</strong> verfolge kein Förderkonzept mit dem Kind. Sie überlasse die Aktivitäten<br />

mit dem Kind der Mutter und führe nur Elterngespräche.<br />

- Das Kind habe in der Frühfördersituation eine zu passive Rolle. Es könne zu wenig<br />

sprachliche Eigeninitiative entwickeln.<br />

- Es erfolge keine ausreichende Unterstützung bei der Entscheidung für ein CI durch<br />

die <strong>Frühförderung</strong>.<br />

14


- Die Integration des Kindes in den Regelkindergarten werde durch die <strong>Frühförderung</strong><br />

nicht systematisch begleitet.<br />

- Die <strong>Frühförderung</strong> stehe in machen Fällen zusätzlichen CI-<br />

Rehabilitationsmaßnahmen ablehnend gegenüber.<br />

� Cochlea-Implantat: Waren zu Beginn der Untersuchung drei Kinder mit einem Cochlea-<br />

Implantat versorgt, so trugen zum Ende des Forschungsvorhabens 7 Kinder ein CI.<br />

Alle Eltern entwickelten hinsichtlich des Cochlea-Implantats eine große Eigeninitiative und<br />

trafen diesbezügliche Entscheidungen weitgehend unabhängig von der <strong>Frühförderung</strong>, zum<br />

Teil sogar gegen deren Rat.<br />

Die Operationen verliefen bei allen Kindern problemlos. Es gab auch keine Schwierigkeiten<br />

im Zusammenhang mit dem Tragen der Implantate. Die Funktionstüchtigkeit der Systeme<br />

erwies sich jedoch nicht in allen Fällen als vollkommen störungsfrei.<br />

Die Eltern der CI-Kinder berichteten fast durchgängig von deutlichen und unmittelbar einsetzenden<br />

Verbesserungen in der Hör- und Sprachentwicklung ihrer Kinder nach dem<br />

Erstanschluß der Sprachprozessoren.<br />

Daneben zeigten sich bei allen Kindern Verhaltensänderungen in Richtung auf eine Abnahme<br />

der motorischen Unruhe und einen Rückgang von aggressiven Verhaltensmustern. Auch<br />

die Familiensituation entspannte sich merklich und die Eltern fühlten sich weit weniger<br />

gestreßt als zuvor.<br />

Das Angebot zur Teilnahme an zusätzlichen stationären CI-Rehabilitationsmaßnahmen wurde<br />

nicht von allen Familien wahrgenommen.<br />

Neben den Gesprächen und Interviews mit den Eltern wurden verschiedene Aspekte der Thematik<br />

auch aus der Sicht der in der <strong>Frühförderung</strong> Tätigen aufgenommen. Es handelte sich dabei, bedingt<br />

durch personellen Wechsel, um insgesamt 13 Personen, in der überwiegenden Mehrzahl<br />

Frauen.<br />

� Ausbildung: Die Frühförderinnen waren von der Ausbildung her Sozialpädagoginnen, Diplompädagoginnen,<br />

Erzieherinnen und Sonderpädagoginnen für Hörgeschädigte. Keine Frühförderin<br />

war von ihrer Ausbildung her gezielt für eine Tätigkeit in der <strong>Frühförderung</strong> für hörgeschädigte<br />

Kinder ausgebildet. Alle eigneten sich spezielle Kenntnisse für ihre Tätigkeit berufsbegleitend<br />

durch Fortbildungen an.<br />

� Förderkonzepte: Die Interviews zeigten, daß - im Sinne eines ‚ungeschriebenen’ Konzepts -<br />

eine große Übereinstimmung der Frühförderinnen darin bestand, was sie mit ihrer Arbeit erreichen<br />

wollten und welche Probleme sie dabei sahen. Folgende Stichworte beschreiben<br />

diese Kernpunkte der konzeptionellen Vorstellungen:<br />

- Eine ganzheitliche Förderung soll stattfinden (keine Defizitorientierung, kein Funktionstraining).<br />

- Die Frühfördersituation wird als Modell betrachtet.<br />

- Die Frühfördersituation als Modell wird auch problematisiert (Verunsicherung der Eltern).<br />

- Die Eltern sind die eigentlichen Förderer der lautsprachlichen Entwicklung des Kindes.<br />

- Die <strong>Frühförderung</strong> bietet ihnen Unterstützung dabei. Wichtige Faktoren der Elternarbeit<br />

sind: Emotionale Stabilisierung der Eltern, Bewußtmachen der individuellen Stärken<br />

des Kindes, Unterstützung der Eltern im sprachlichen Umgang mit ihrem Kind, Zurückstellen<br />

von persönlichen Wert- und Erziehungsvorstellungen, Trennung von <strong>Frühförderung</strong><br />

und allgemeiner Familienberatung.<br />

� <strong>Hörgerichtete</strong> Orientierung: Die Frühförderinnen begriffen mit einer Ausnahme die Förderung<br />

der Hör- und Sprachentwicklung des hörgeschädigten Kindes als einen zentralen Auftrag<br />

der <strong>Frühförderung</strong>. Sie maßen einer guten lautsprachlichen Kommunikationsfähigkeit<br />

des Kindes eine große Bedeutung zu, da hierdurch dem Kind die Chance für eine Integration<br />

in die hörende Umwelt eröffnet werde. Diese Einstellung erwies sich bei allen konstant.<br />

Dem eigenen Selbstverständnis nach arbeitete jedoch nur ein Teil der Frühförderinnen generell<br />

hörgerichtet. Die anderen identifizierten sich nicht allgemein mit dem hörgerichteten<br />

Ansatz (und zwar unabhängig davon, ob sie ihn unserer Auffassung nach durchaus praktizierten).<br />

Sie betonten in besonderem Maße ihre individuelle Zugangsweise bei jedem Kind.<br />

Sie wiesen darauf hin, daß nicht alle Kinder ihr Gehör und ihre Sprache zu entwickeln lernen<br />

und behielten sich den Einsatz entsprechender visueller Kommunikationsmittel bei diesen<br />

Kindern vor.<br />

15


� Stellung zum CI: Im Laufe der Untersuchung änderte ein Großteil der Förderinnen ihre Einstellung<br />

zum CI dahingehend, daß eine zunächst abwartende und eher zurückhaltende Position<br />

zugunsten einer stärkeren Befürwortung aufgegeben wurde. Dies war ein unmittelbares<br />

Resultat der eigenen positiven Erfahrungen mit dem CI bei Kindern, die mit Hörgeräten wenig<br />

Fortschritte zeigten. Von den betreuten Kindern mit CI schilderten die Frühförderinnen<br />

ausnahmslos positive Entwicklungen nicht nur im Bereich der Hör-Sprachentwicklung, sondern<br />

auch in anderen Entwicklungsbereichen sowie im Verhalten und der familiären Situation.<br />

� Probleme bei der Frühfördertätigkeit: Die Einsparungen von Leistungen im Sozialwesen<br />

machten sich in zunehmendem Umfang auch bei der <strong>Frühförderung</strong> bemerkbar. Diese führen<br />

zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, was auch eine Gefahr für eine qualitativ<br />

gute <strong>Frühförderung</strong> bedeuten kann.<br />

Es fehlen Gelder für Dolmetscher für die Beratung in ausländischen und gehörlosen Familien.<br />

Organisatorische Neuerungen, wie sie momentan in der <strong>Frühförderung</strong> diskutiert werden - z.<br />

B. Einbestellung der Eltern in die Frühförderstelle statt des Besuchs der <strong>Frühförderung</strong> zu<br />

Hause - könnten eine Entlastung des einzelnen Frühförderers bedeuten, aber auch eine Erschwernis<br />

für Eltern und Kind.<br />

Spiegeln die Gesprächs- und Interviewergebnisse vor allem das Selbstverständnis und die gegenseitige<br />

Einschätzung der an den Fördersituationen beteiligten erwachsenen Personen wieder, so<br />

reflektieren die folgenden Aussagen die Einschätzungen der Forschungsgruppe bezüglich ihrer<br />

Erfahrungen aus den teilnehmenden Beobachtungen.<br />

� Elternverhalten: Der sprachliche Umgang mit dem Kind konnte bei der Hälfte der Familien<br />

als umfassend hörgerichtet, bei der anderen Hälfte lediglich als eingeschränkt hörgerichtet<br />

qualifiziert werden.<br />

Die Einschränkungen waren durchgängig verbunden mit einem familiären Umfeld, in dem<br />

soziale und persönliche Probleme sowie - bei ausländischen Familien - Probleme der Zweisprachigkeit<br />

dominant waren.<br />

Die Kinder erhielten hier weniger Aufmerksamkeit als in den anderen Familien, die Kommunikation<br />

mit ihnen war stärker eingeschränkt, die Sprache der Eltern war sehr stark vereinfacht<br />

und reduziert, es wurden in sehr ausgeprägter Weise Gestik und Mimik verwendet,<br />

zum Teil bis hin zu privaten Gebärden. Auch auf dem Gebiet der apparativen Versorgung<br />

konnten Unterlassungen und mangelnde Kontrolle festgestellt werden.<br />

� Verhalten der Frühförderinnen: Von den 13 Professionellen arbeiteten 7 umfassend hörgerichtet<br />

und 6 eingeschränkt.<br />

Die Einschränkungen bezogen sich auf alle Bereiche der Fördertätigkeit, also sowohl auf die<br />

Hörförderung, wie auf den sprachlichen Umgang mit dem Kind, wie auf die Kontrolle der<br />

Hörgeräte bzw. des Implantats und auf die Elternberatung.<br />

16<br />

Als wenig förderlich im Bereich der Hörerziehung fiel auf:<br />

Genereller Verzicht auf das Wecken spontaner Höraufmerksamkeit<br />

Nur gelegentlich gezieltes Anbieten von Höreindrücken<br />

Ein übertrieben systematisches Hörtraining<br />

Das Fehlen von musischen Anteilen und Hörangeboten unter erschwerten Bedingungen<br />

Als weniger förderliche sprachliche Umgangsweisen mit dem Kind fielen auf:<br />

Zu häufige Verwendung von Fragen<br />

Substantivisch geprägtes Sprachangebot<br />

Zu starke Vereinfachung der Sprache<br />

Zu elaboriertes Sprachangebot<br />

Formale, stark strukturierte Übungssprache


Eine unregelmäßige oder überhaupt nicht stattfindende Kontrolle der Hörgeräte bzw. Implantate<br />

und eine Elternberatung, in der das Gespräch unabhängig vom effektiven Beratungsbedarf<br />

höchstens 5 bis10 Min betrug, können ebenfalls nicht als Verhaltensweisen charakterisiert<br />

werden, die einer umfassenden Umsetzung der Prinzipien von hörgerichteter Förderung<br />

entsprechen.<br />

� Entwicklung der Kinder: Bezüglich der Hör- und Sprachentwicklung der beobachteten Kinder<br />

muß festgestellt werden, daß nur in 2 Fällen von einem Entwicklungsverlauf gesprochen<br />

werden kann, der dem gut hörender Kinder annähernd entspricht.<br />

4 oder 5 weitere Kinder, die ebenfalls mit CI versorgt sind, befinden sich auf dem Weg, die<br />

große zeitliche Kluft, die ihre Entwicklung von der gut hörender Kinder trennt, zu verringern,<br />

das heißt Entwicklungsschritte aufzuholen.<br />

Bei 3 Kindern ist nicht abzusehen, daß sie noch Hör- und Lautsprachfertigkeiten entwickeln,<br />

die geeignet wären, eine zumindest grundlegende Kommunikationsfähigkeit aufzubauen. Einem<br />

dieser Kinder werden bereits die Mittel zum Aufbau von gebärdensprachlicher Kommunikation<br />

angeboten, einem anderen Kind dürfte aufgrund einer gravierenden zusätzlichen<br />

Behinderung auch dieser Weg verschlossen sein.<br />

17


9. Diskussion<br />

Strukturelle Merkmale:<br />

� Von den ermittelten 71 Einrichtungen, die in der <strong>Frühförderung</strong> der BRD aktiv sind, orientieren<br />

sich 73,2% an den allgemeinen Prinzipien einer hörgerichteten <strong>Frühförderung</strong>. Das<br />

heißt, mehr als 7 von 10 <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigte Kleinkinder in der BRD zumindest von<br />

der grundsätzlichen Intention her hörgerichtet gefördert.<br />

Diese Zahlen zeigen, daß offenbar ein sehr großes Interesse an den Möglichkeiten einer<br />

hörgerichteten <strong>Frühförderung</strong> besteht. Die Ergebnisse sind vor allem insofern bemerkenswert,<br />

als sie der gesellschaftspolitischen Diskussion dieser Tage, die sich einseitig mit der<br />

Gebärdensprache befaßt, diametral entgegenstehen. Es scheint vielmehr der Mehrheit der<br />

beteiligten Eltern und Professionellen in erster Linie um eine Förderung <strong>hörgeschädigter</strong><br />

Kleinkinder zu gehen, in der der Entwicklung der Hörfähigkeit und dem Lautspracherwerb<br />

eine sehr hohe Bedeutung zukommen. Der Anteil derer, die einen anderen Weg gehen bzw.<br />

gehen wollen, ist relativ klein.<br />

� 34,4% aller <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder in der <strong>Frühförderung</strong> der BRD weisen einen mittleren<br />

Hörverlust von 90 dB oder mehr auf. Für diese Kinder muß zunächst angenommen werden,<br />

daß der Lautspracherwerb auf der Basis des Hörens wesentlich erschwert ist. Alle anderen,<br />

also ca. zwei Drittel aller hörgeschädigten Kinder können leichter die Lautsprache erwerben.<br />

Auch dieses Ergebnis ist bemerkenswert, da zur Zeit in der aktuellen bildungspolitischen<br />

Diskussion der Einsatz von Gebärden in der <strong>Frühförderung</strong> ausgiebig erörtert wird. Aufgrund<br />

der gefundenen Daten kann jedoch davon ausgegangen werden, daß die überwiegende<br />

Mehrheit der hörgeschädigten Kinder ihre Hörfähigkeiten für den Lautspracherwerb nutzen<br />

können.<br />

System der frühen Intervention:<br />

Nach Auswertung der Daten zu organisatorischen Fragen von der Früherkennung bis zur <strong>Frühförderung</strong><br />

bleibt festzustellen, daß wichtige Grundvoraussetzungen für eine bestmögliche hörgerichtete<br />

Förderung - bis auf wenige Ausnahmen - nach wie vor bundesweit nicht erfüllt sind:<br />

� Die Früherkennung und die frühe Diagnostik erfolgen noch immer viel zu spät. Das Problem<br />

der Früherfassung ist nicht durch die Eltern lösbar, es liegt im Verantwortungsbereich der<br />

Medizin.<br />

Früherkennung und Frühdiagnostik sollten am besten in Form eines Neugeborenen-<br />

Screening erfolgen.<br />

� Die im Anschluß daran verzögert stattfindende apparative Versorgung und der häufig unnötig<br />

hinausgeschobene Beginn der pädagogische Betreuung kosten wertvolle Zeit im frühen<br />

Kindesalter, die zur Förderung genutzt werden könnte und müßte.<br />

Beim heutigen technisch-medizinischen Standard ist nicht mehr nachzuvollziehen, warum<br />

die Hörgeräteanpassung länger als 4 Wochen dauern muß. Die apparative Frühversorgung<br />

und die <strong>Frühförderung</strong> sollten umgehend nach der Erstdiagnose gleichzeitig beginnen.<br />

� Bereits auf organisatorischer Ebene gibt es eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten, die eine<br />

kontinuierliche <strong>Frühförderung</strong> verhindern. Wenn der <strong>Frühförderung</strong> die Bedeutung zukommt,<br />

die ihr in Fachkreisen und in der Literatur zugemessen wird, muß dringend dafür gesorgt<br />

werden, daß das Frühförderangebot auch entsprechend umgesetzt werden kann.<br />

Durch geeignete administrative Maßnahmen könnte die zeitlich-formale Effizienz der <strong>Frühförderung</strong><br />

erhöht werden.<br />

� Durch das System der zusätzlichen Rehabilitationsmaßnahmen wird bei Kindern mit einem<br />

CI auf regelmäßige Förderung deutlich mehr Wert gelegt als bei Kindern mit Hörgeräten.<br />

Es gibt keinen Grund dafür, warum solche zusätzlichen Fördermaßnahmen den Kindern mit<br />

Hörgeräten weiterhin vorenthalten bleiben sollten.<br />

Apparative Versorgung im Wandel:<br />

Mit dem CI stehen wir gegenwärtig mitten in einem Entwicklungsprozeß, der die Chancen für den<br />

Hör- und Lautspracherwerb deutlich positiv beeinflussen kann. Die technische Verbesserungen auf<br />

dem Hörgerätesektor in den vergangen Jahren haben bereits eine deutliche Veränderung in den<br />

18


Fördermöglichkeiten <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder gebracht. Dies findet nun seine Fortsetzung<br />

im CI und zeigt positive Auswirkungen auf die Entwicklung <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder<br />

in grundsätzlich allen Bereichen.<br />

Die Diskussion der Ergebnisse zur apparativen Versorgung von <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten Kindern<br />

kommt zu folgenden Feststellungen und Schlußfolgerungen:<br />

� Die Defizite in der Hörgeräteversorgung sind eklatant. Gemessen an den Beurteilungskriterien,<br />

wiesen also weit mehr als die Hälfte der Hörgeräte bereits zu Beginn der Untersuchung<br />

mehr oder weniger starke Anpassungsdefizite auf. Dies muß vor allem vor dem Hintergrund<br />

bewertet werden, daß viele <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten Kinder noch Hörgeräte tragen.<br />

Eine Korrektur und Verbesserung bleibt deshalb nachhaltig zu fordern. Vor allem ist zu bedenken,<br />

daß Hörgeräteanpassung als gleitender Prozeß zu verstehen ist bei dem Pädakustiker,<br />

Pädagogen und Eltern zusammenarbeiten sollten. Dies ist allein in der <strong>Frühförderung</strong><br />

nicht zu leisten. Die begleitende Hördiagnostik sollte in entsprechenden Einrichtungen<br />

durch entsprechendes Personal erfolgen.<br />

� Neben den technischen Leistungen des Cochlea-Implantats ist es auch der sehr hohe Standard<br />

bei der Anpassung und technischen Kontrolle der Systeme, die die guten Hörleistungen<br />

sicherstellen. Dieser exemplarisch gute Standard, den wir bei der CI-Versorgung vorfinden,<br />

muß in Zukunft auch auf die Hörgeräteversorgung übertragen werden.<br />

� Das heißt aber auch umgekehrt: Es muß in jedem Fall dafür Sorge getragen werden, daß<br />

durch zunehmende Implantationstätigkeit die Qualität der Versorgung und Anpassung mit CI<br />

nicht leidet. CI-Anpassung und -Kontrolle gerade bei Kindern bedarf einer sehr hohen Fachkompetenz<br />

und einer interdisziplinären Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachleute.<br />

� Die Ergebnisse des Forschungsprojekts bestätigen: Knapp zwei Drittel der Kinder, deren<br />

Hör- und Sprachentwicklung normal verläuft, tragen ein CI, nur etwas über ein Drittel Hörgeräte<br />

und umgekehrt. Es konnte ein deutlich signifikanter Zusammenhang zwischen der Versorgung<br />

mit einem CI und einer verbesserten Hör- und Sprachentwicklung gegenüber einer<br />

Versorgung mit Hörgeräten bei <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten Kindern nachgewiesen werden.<br />

Hörgeschädigte Kinder sind mit CI in der Mehrheit besser in der Lage, auch spontan Gehörtes<br />

aus ihrer Umgebung aufzunehmen, und sind nicht mehr so umfassend auf direkte, dialogische<br />

Kommunikationssituationen angewiesen.<br />

<strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong>:<br />

Was die hörgerichtete <strong>Frühförderung</strong> betrifft, so muß neben der Zielorientierung und der inhaltlichmethodischen<br />

Programmatik als dritter Bestimmungsfaktor noch beschrieben werden, mit welcher<br />

Regelmäßigkeit hörgerichtetes Förderverhalten zum Tragen kommt. Wenn das Ziel der Lautspracherwerb<br />

ist und qualitative Aspekte des hörgerichteten Förderverhaltens mehr oder weniger<br />

spontan, unregelmäßig und unreflektiert praktiziert werden, kann man von einer eingeschränkten<br />

Umsetzung der hörgerichteten Orientierung ausgehen. Wenn die genannten Aspekte nahezu immer<br />

und bewußt Berücksichtigung finden, kann man dagegen von einem umfassend hörgerichteten<br />

Förderverhalten sprechen.<br />

� Die Untersuchung führte zu dem Ergebnis, daß die Arbeitsweisen der Frühförderinnen in<br />

Ermangelung allgemeiner Förderkonzepte und einer einheitlichen Ausbildung häufig der Eigeninitiative<br />

überlassen sind. Zu fordern wäre die schnellstmögliche Einführung einer geregelten<br />

Ausbildung für die Tätigkeit des Früherziehers/der Früherzieherin <strong>hörgeschädigter</strong><br />

Kinder.<br />

� Bezüglich der allgemeinen Zielbestimmung ihrer Arbeit herrscht zwar - im Sinne eines ‚ungeschriebenen<br />

Konzepts‘ - weitgehende Einigkeit darüber, daß die Aufgabe der <strong>Frühförderung</strong><br />

darin besteht, die Eltern in der Hörerziehung und beim Aufbau einer lautsprachlichen<br />

Kommunikation mit ihrem Kind zu unterstützen.<br />

� Ein erheblicher Teil der Betreuerinnen ist bei der Umsetzung der für eine Hörentwicklung<br />

notwendigen Maßnahmen und Verfahrensweisen aber noch weit vom zu erreichenden Zustand<br />

einer umfassend hörgerichteten Förderung entfernt.<br />

� Auch was das Sprachverhalten in der Fördersituation betrifft, werden nicht überall die erfolgversprechendsten<br />

Modi berücksichtigt. Extreme Reduktionen des Sprachangebots auf der<br />

einen Seite und völlig unnatürliches, formalisiertes Sprachtraining auf der anderen Seite<br />

kennzeichnen die Extreme von verfehlten Förderstrategien. Damit wird den hörgeschädigten<br />

Kindern der ohnehin schwierige Weg zum Spracherwerb nicht so weit wie möglich geebnet.<br />

19


� <strong>Hörgerichtete</strong> <strong>Frühförderung</strong> verzichtet, wenn nicht besondere Bedingungen vorliegen, auf<br />

den frühen Einsatz von gebärdensprachlichen Mitteln. Erst wenn alle Möglichkeiten von hörgerichteter<br />

Förderung erfolglos ausgeschöpft sind, ist an andere Kommunikationsmittel zu<br />

denken.<br />

� Ein offenes Problem für die Förderung bildet die Situation in den Familien, in denen die Muttersprache<br />

nicht die deutsche Lautsprache ist.<br />

Hör- und Sprachentwicklung der Kinder:<br />

Die weiter oben dargelegten Ergebnisse der Studie zeigen, daß am Ende der Untersuchung nur in<br />

etwa der Hälfte der Fälle von einer weitgehend normalen Entwicklung des Hör- und Sprachvermögens<br />

bei den hörgeschädigten Kindern gesprochen werden kann. Auf den ersten Blick scheint die<br />

Annahme, daß <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigte Kinder unter optimalen Förder- und Versorgungsbedingungen<br />

eine gut hörenden Kindern vergleichbare Hör- und Sprachentwicklung erreichen können,<br />

also nur sehr bedingt beizubehalten sein. Betrachtet man jedoch die Ergebnisse nicht nur summarisch,<br />

sondern im Details, so ergibt sich ein modifiziertes Bild:<br />

� Wenn man bedenkt, daß von den 30 Kindern, deren Hörgeräteanpassung bei der ersten Datenerhebung<br />

als adäquat eingestuft worden war, 29 auch eine normale Hörentwicklung zeigten,<br />

erkennt man deutlich den Einfluß dieses Parameters. Umso bedauerlicher ist es, daß<br />

wegen fehlender Unterlagen ab der zweiten Datenerhebung solche Zusammenhänge nicht<br />

mehr überprüft werden konnten.<br />

� Die korrelationsstatistischen Resultate aus der zweiten und dritten Erhebung zeigen des weiteren<br />

deutliche Zusammenhänge zwischen der Art der apparativen Versorgung und der Hörentwicklung:<br />

Kinder mit CI weisen eine signifikant bessere Hörentwicklung auf als Kinder mit<br />

Hörgeräten.<br />

� Bemerkbar macht sich auch der Einfluß der <strong>Frühförderung</strong>: Es waren sowohl in der ersten<br />

wie in der zweiten Auswertung <strong>hoch</strong> signifikante Zusammenhänge zwischen einer umfassend<br />

hörgerichteten Förderung und einer normalen Hörentwicklung zu belegen.<br />

� Die Intensivuntersuchung ergab, daß auch die soziale Situation der Familien zu berücksichtigen<br />

ist. Auffällig war, daß die Familien, in denen die Eltern eine umfassende hörgerichtete<br />

Erziehung verfolgten, durch eine sichere soziale Lage, nicht berufstätige Mütter mit Kenntnissen<br />

in der Kindererziehung, eine hohe Beteiligung der Väter an der Erziehung und eine<br />

durchgehende konstante Erziehungshaltung auffielen.<br />

Die anderen Familien, in denen eine hörgerichtete Erziehung nur eingeschränkt verfolgt<br />

wurde, berichteten alle von zusätzlichen persönlichen und sozialen Problemen, die die für<br />

die Förderung des hörgeschädigten Kindes zur Verfügung stehende Zeit in der Familie sehr<br />

beschränkte. Den Kindern wurde insgesamt im häuslichen Umfeld viel weniger Aufmerksamkeit<br />

gewidmet als den umfassend hörgerichtet geförderten Kindern.<br />

� Auch anhand des Faktors Familiensprache konnte immer wieder gezeigt werden, daß die<br />

Differenz zwischen Familien- und Fördersprache – in Verbindung mit den familiären Fördereigenarten<br />

– zu deutlich schlechteren Resultaten bei der Entwicklung der Hörfähigkeit der<br />

Kinder führt. Es bestätigte sich der Trend, daß in den Familien, die die deutsche Lautsprache<br />

verwendeten, deutlich höhere Werte für normale Hör- und Sprachentwicklung vorlagen.<br />

Wir kommen in einer zusammenfassenden Einschätzung aller herausgearbeiteten Ergebnisse zum<br />

Schluß, daß die Summe der negativen Einflüsse, die von den genannten Faktoren auf die Hör- und<br />

Sprachentwicklung eines Teils der untersuchten Kinder ausging, eine erfolgreiche Bewältigung von<br />

Entwicklungsprozessen erschwert und zum Teil gar massiv behindert hat.<br />

Späte Erstdiagnose, Verzögerungen bei der Versorgung mit Hörgeräten und beim Beginn der<br />

<strong>Frühförderung</strong>, schlecht angepaßte Hörgeräte, geringe Tragedauer, eine nur sehr eingeschränkt<br />

hörgerichtet arbeitende <strong>Frühförderung</strong>, ein spracharmes, der Hörbehinderung wenig Aufmerksamkeit<br />

entgegenbringendes familiäres Umfeld – all diese Faktoren zusammengenommen, erklärt sich<br />

ohne Zweifel sehr gut, warum bzw. woran die Entwicklung mancher Kinder trotz der vorhandenen<br />

Möglichkeiten zu scheitern vermag.<br />

Umgekehrt bestätigen uns die ermutigenden Entwicklungen der anderen Hälfte der Kinder, daß<br />

das, wovon wir in unserer theoretischen Grundannahme ausgegangen sind, empirischen Bestand<br />

hat. Hoch<strong>gradig</strong> hörgeschädigte Kinder nehmen, wenn die besten Bedingungen gegeben sind, die<br />

heutzutage verfügbar gemacht werden können, eine Hör- und Sprachentwicklung wie gut hörende<br />

20


Kinder - vielleicht mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, sicherlich mit einer größeren Anstrengung<br />

seitens der Kinder, aber prinzipiell auf dem gleichen natürlichen und muttersprachlichem<br />

Weg und in ganz ähnlicher Qualität.<br />

� Die Forschungsresultate belegen darüber hinaus: Was das Hörenlernen erschwert, beeinträchtigt<br />

in gleicher Weise die Sprachentwicklung. Die Konsequenz daraus lautet: Für eine<br />

Entwicklung des Sprachvermögens von <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> hörgeschädigten Kindern, die in ähnlicher<br />

Weise verlaufen soll wie bei gut hörenden Kindern, sind auf jeden Fall dieselben Versorgungs-<br />

und Fördermaßnahmen zu treffen, die auch zu einer gelingenden Hörentwicklung<br />

dieser Kinder unerläßlich sind.<br />

� Insbesondere kommt es auf eine frühzeitige Diagnose, Erstversorgung mit apparativen Hörhilfen<br />

und Einbeziehung in die <strong>Frühförderung</strong> an.<br />

� Des weiteren erhöhen sich die Chancen der Kinder auf eine erfolgreiche Sprachentwicklung<br />

erheblich, wenn die Förderung durch die professionellen Betreuerinnen und die Früherziehung<br />

im Elternhaus in einer umfassend hörgerichteten Weise erfolgen.<br />

� Die CI-Versorgung von Kindern mit solch hohen Hörverlusten hat sich in der größeren Zahl<br />

aller Fälle als überlegen für die weitere Entwicklung von Hör- und Sprachvermögen erwiesen.<br />

Die Gründe hierfür liegen zum einen in den Eigenheiten der CI-Technologie, zum anderen<br />

aber auch in der deutlich feststellbaren Überlegenheit der Qualitätsstandards bei der<br />

Anpassung der Systeme gegenüber der Hörgeräteanpassung. Auch die zusätzlichen Maßnahmen<br />

zur Rehabilitation spielen hierfür eine herausragende Rolle, unseres Erachtens insbesondere<br />

in der Form der stationären Intensivrehabilitation in den Cochlea-Implant-<br />

Centren.<br />

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10. Fazit und Ausblick<br />

40 Jahre nach dem offiziellen Beginn einer <strong>Frühförderung</strong> für hörgeschädigte Kinder in Deutschland<br />

kann nunmehr zum ersten Mal eine wissenschaftliche Studie zur hörgerichteten Förderung<br />

vorgelegt werden, die sich auf das gesamte Bundesgebiet bezieht.<br />

Im Ergebnis wird deutlich, daß das damalige Ziel der <strong>Frühförderung</strong> heute immer noch Gültigkeit<br />

hat. Es geht darum, durch eine möglichst frühe Erkennung und Erfassung von Hörschäden und der<br />

anschließenden technischen Versorgung mit Hörhilfen die betroffenen Kinder in die Lage zu versetzen,<br />

mit Hilfe der damit erreichten Hörfähigkeit und einem entsprechenden pädagogischen Förderangebot<br />

die Lautsprache zu erwerben und ihre gesamten Fähigkeiten so gut wie irgend möglich<br />

zu entfalten.<br />

Die Untersuchung konnte zum einen aufzeigen, wie überaus positiv die Entwicklung für einen Teil<br />

der betroffenen hörgeschädigten Kinder gegenwärtig ist.<br />

� Durch Maßnahmen der hörgerichteten Förderung kann es heute gelingen, Kinder, die noch<br />

vor einigen Jahren als gehörlos bezeichnet werden mußten, in die Lage zu versetzen, eine<br />

Hör- und Sprachentwicklung zu vollziehen, die der hörender Kinder sehr nahe kommt. Etwas,<br />

was sicherlich zu Beginn der <strong>Frühförderung</strong> in der Vergangenheit nicht abzusehen war.<br />

In diesem Sinne muß Gehörlosigkeit oder <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong>e Schwerhörigkeit nicht mehr wie früher<br />

bedeuten, daß ein Lautspracherwerb durch Hören für den größten Teil der betroffenen<br />

Kinder nicht möglich ist. Die Gegenwart zeigt, daß das Gegenteil der Fall ist.<br />

� Mit der hörgerichteten Förderung gelingt es immer mehr, die natürlichen Entwicklungsbedingungen<br />

des hörgeschädigten Kindes zu nutzen.<br />

� In diesem Zusammenhang ist sicherlich die große Bedeutung der Eltern im Förderprozeß<br />

der Kinder hervorzuheben. Hier hat die <strong>Frühförderung</strong> in den letzten Jahren einen deutlichen<br />

Bewußtseinswandel vollzogen. In ihrem Verständnis ist es nicht mehr die Maßnahme der<br />

professionellen Förderung alleine, die die Hör- und Sprachentwicklung initiieren, sondern die<br />

Eltern werden als Partner verstanden, die durch entsprechende professionelle Unterstützung<br />

den wesentlichsten Beitrag in der Förderung ihres Kindes leisten.<br />

� Die veränderte pädagogische Zugehensweise wurde auch durch die bewußte Aufnahme von<br />

Aspekten möglich, die aus dem natürlichen Spracherwerb hörender Kinder bekannt sind. Die<br />

hörgerichtete Förderung löst damit die traditionell angewandten Verfahren des systematischen<br />

Sprachaufbaus ab. Diese haben in der <strong>Frühförderung</strong> völlig ihre Existenzberechtigung<br />

verloren.<br />

Die wissenschaftliche Analyse der Gegenwart macht aber gleichzeitig deutlich, in wie vielen Bereichen<br />

es noch dringend Handlungsbedarf gibt. So sind einige Probleme der Vergangenheit heute<br />

noch nach wie vor aktuell:<br />

� Das Problem der Früherkennung und Früherfassung ist immer noch nicht gelöst.<br />

� Alle hörgeschädigten Kinder werden zur Zeit zwar mit technischen Hörhilfen versorgt. Die<br />

Qualität der Versorgung ist immer noch nicht zufriedenstellend. Hier werden die vorhandenen<br />

wissenschaftlichen Kenntnisse nur bedingt konkret zum Wohle des Kindes umgesetzt.<br />

� Es gibt keine institutionalisierte Ausbildung für Frühförderer. Die pädagogische Qualifikation<br />

des Personals in der <strong>Frühförderung</strong> beruht auf dem persönlichen, berufsbegleitenden Weiterbildungsengagement<br />

einerseits und zufälliger Fortbildungsangebote andererseits.<br />

� In der Folge kommen Aspekte einer hörgerichteten Förderung teilweise nur sehr eingeschränkt<br />

in der Praxis zum Tragen.<br />

� Wir verfügen zwar über ein flächendeckendes Frühfördernetz. Die Häufigkeit und Dauer der<br />

<strong>Frühförderung</strong> ist in der Praxis in Deutschland noch sehr unterschiedlich.<br />

Neue Probleme sind hinzugekommen: Die Zahl der Kinder aus Familien, die nicht Deutsch als Muttersprache<br />

sprechen, und die Anzahl der Kinder mit Zusatzbehinderungen nimmt anteilig zu. Außerdem<br />

hat sich die Situation in den Familien in den letzten Jahren deutlich verändert. Es gibt immer<br />

mehr alleinerziehende und berufstätige Mütter.<br />

Auf der anderen Seite haben sich aber auch neue Möglichkeiten ergeben: So gibt es heute kostengünstige<br />

und effektive Verfahren zur Durchführung der Früherkennung von Hörschädigungen.<br />

Die digitale Hörgerätetechnik erlaubt eine deutlich bessere Versorgung mit Hörgeräten. Das Cochlea-Implantat<br />

stellt nahezu eine Revolution auf dem Gebiet der hörtechnischen Versorgung dar.<br />

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Die pädagogischen Konzepte der hörgerichteten Förderung zur Durchführung der <strong>Frühförderung</strong><br />

<strong>hörgeschädigter</strong> Kinder eignen sich dazu, die natürlichen Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten<br />

des Kindes handlungsleitend in den Mittelpunkt der Fördertätigkeit zu stellen. Eltern sind engagiert<br />

und interessiert daran, die Förderung ihrer Kinder eigenverantwortlich zu gestalten.<br />

Die durch die Untersuchung vorgelegten Daten und Beobachtungen können zur Versachlichung<br />

der Diskussion um die Frage der Fördermöglichkeiten <strong>hoch</strong><strong>gradig</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder beitragen.<br />

Unsere Ergebnisse zeigen auf, in welchen Bereichen ein dringender Handlungsbedarf besteht<br />

und wie die zukünftigen Aufgaben aussehen, die sich im Bereich der <strong>Frühförderung</strong> stellen. Sie<br />

belegen auch, daß neben der Sicherung der Früherkennung im Sinne eines Neugeborenen-<br />

Screenings, was vornehmlich eine Aufgabe der Medizin ist, aus unserer Sicht folgende Aspekte<br />

weiteren wissenschaftlichen Analysen unterzogen werden sollten:<br />

� Möglichkeiten der Optimierung der Hörgeräte- und CI-Anpassung.<br />

� Diskussion von besonderen Fördermöglichkeiten von Kindern, deren Familiensprache nicht<br />

Deutsch ist.<br />

� Institutionalisierte Ausbildung von Personal in der <strong>Frühförderung</strong> <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder.<br />

� Langzeituntersuchungen von Kindern, die hörgerichtet gefördert wurden, im Hinblick auf ihre<br />

kognitive, psycho-soziale und hör-sprachliche Entwicklung.<br />

� Qualitätssicherung in der <strong>Frühförderung</strong>.<br />

Die Untersuchungsergebnisse zeigen die Bedeutung, die eine hörgerichtete Erziehung gerade in<br />

der <strong>Frühförderung</strong> hat. Allerdings werden der Erfolg und die Zufriedenheit der Betroffenen in hohem<br />

Maße davon abhängig sein, ob es gelingt, die vorhandenen Schwachstellen bestmöglich auszugleichen<br />

und die in der Praxis Tätigen vermehrt in die Lage zu versetzen, die vorhandenen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Disziplinen zu nutzen. Dies erfordern<br />

eine Intensivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit.<br />

Wir hoffen, daß unser Projekt neue Perspektiven und Fragestellungen deutlich machen konnte, die<br />

dazu beitragen, die Förderung <strong>hörgeschädigter</strong> Kinder weiterhin zu verbessern.<br />

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