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A. Theorie der Strafverteidigung

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Strafverteidiger genießt vor <strong>der</strong>artigen Maßnahmen einen absoluten Schutz. 43 Beim Aus-<br />

tarieren <strong>der</strong> Verhaltensgrenzen im Kampf ums Recht vertraut die deutsche Prozessord-<br />

nung auf Stil, Einsichtsfähigkeit und Respekt <strong>der</strong> Verfahrensbeteiligten untereinan<strong>der</strong>.<br />

Zwangsweise durchzusetzende Ordnungsmaßnahmen sind ihm fremd.<br />

Beispiel:<br />

Unzulässig ist daher die Ausübung <strong>der</strong> Sitzungsgewalt des Richters durch Verweisen aus dem Gerichtssaal<br />

o<strong>der</strong> gar Verhaftung des Strafverteidigers, wenn dieser nach Ansicht des Vorsitzenden zu Unrecht<br />

das Wort ergriffen hat. Problematisch und höchstrichterlich bislang nicht gelöst sind Verfahrenssituationen,<br />

in denen verbaler Streit herrscht und <strong>der</strong> Vorsitzende durch seine technischen Möglichkeiten<br />

dem Verteidiger praktisch das Wort durch Abschalten des Saalmikrophons entzieht.<br />

Unzulässiges Verteidigerverhalten wird von <strong>der</strong> Rechtsprechung zum Teil auch dann<br />

konstatiert, wenn dieses Handeln zwar nicht die formalen Grenzen <strong>der</strong> <strong>der</strong> Verteidigung<br />

gesteckten Bereiche überschreitet, insgesamt aber als ausufernd und unangemessen<br />

bewertet wird. Der BGH hält zumindest theoretisch einen Rechtsmissbrauch für möglich,<br />

wenn <strong>der</strong> Verteidiger zwar formal korrekt und im Rahmen des Standesrechts agiert, aber<br />

sich durch sein Verhalten nicht mehr den allgemeinen Zielen des Strafprozesses, nämlich<br />

<strong>der</strong> Wahrheitsfindung, verpflichtet fühlt. 44<br />

Konsequenzen sind aus dieser Leerformel des angeblichen Rechtsmissbrauchs bislang<br />

nicht gezogen worden. Sie würden auch in gefährlicher Weise die schützende Form des<br />

formalisierten Strafverfahrens untergraben. Ob eine gestellte Frage o<strong>der</strong> ein Beweisan-<br />

trag materiell <strong>der</strong> Wahrheitsfindung dienlich ist, lässt sich erst am Abschluss einer Be-<br />

weisaufnahme bewerten. Erachtet ein Richter solchermaßen formal zulässiges Verteidi-<br />

gungsverhalten für rechtsmissbräuchlich, muss die Annahme nahe liegen, dass er be-<br />

reits vor Abschluss des Diskurses in <strong>der</strong> Hauptverhandlung feststehende Überzeugungen<br />

vom Sachverhalt gebildet hatte. Sind Auswirkungen von zulässigem Verteidigungsver-<br />

halten für an<strong>der</strong>e Zuhörer langatmig o<strong>der</strong> gar quälend, mag sich die Frage nach einem<br />

Verteidigungsstil stellen, nicht jedoch die <strong>der</strong> Unzulässigkeit des prozessualen Agierens.<br />

Dogmatisch ebenso wenig ergiebig sind die Bemühungen, den Verteidiger unter Beru-<br />

fung auf den Erhalt <strong>der</strong> „Funktionstüchtigkeit <strong>der</strong> Strafrechtspflege“ in Anspruch zu<br />

nehmen. Soweit insbeson<strong>der</strong>e das Bundesverfassungsgericht 45 hier gelegentlich den<br />

Ansatz für einen Eingriff in Verteidigungsrechte sieht, wird eine konkrete Ableitung die-<br />

ser Ergebnisse aus rechtlich nachvollziehbaren Positionen versäumt.<br />

Zwar ist vorstellbar, dass notstandsähnliche Eingriffe in Rechte bei <strong>der</strong> Gefährdung <strong>der</strong><br />

Rechtspflege als solcher begründbar sind. Dies setzt allerdings voraus, dass Verteidi-<br />

gungsrechte und <strong>der</strong>en Ausübung in ihrer Gesamtheit strukturell dazu beitragen kön-<br />

nen, Sinn, Zweck und Ziel des Strafverfahrens und des materiellen Strafrechts insgesamt<br />

zu untergraben. Dies setzt die begründbare Gefahr voraus, dass <strong>der</strong> staatliche Strafan-<br />

spruch in weiten Teilen faktisch nicht mehr durchgesetzt werden kann und damit die<br />

Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Normbefehle in Gefahr gerät.<br />

43 OLG Hamm StV 2004, S. 69.<br />

44 BGH NJW 2005, S. 2466.<br />

45 BVerfG NJW 2008, 977;<br />

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