April 2011 - Anwalt Aktuell

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RECHt & WiRtSCHaFt internationales insolvenzrecht die wachsenden wirtschaftlichen Verflechtungen über die nationalen Grenzen hinaus in den letzten Jahrzehnten haben auch die Regelung grenzüberschreitender unternehmenskrisen bzw. Insolvenzsachverhalte zusätzlich zu den jeweiligen nationalen Bestimmungen notwendig gemacht. Dieses Ziel wurde innerhalb der Eu durch die EuInsVo (Inkrafttreten 31.5.2002) umgesetzt, welche in allen Mitgliedstaaten [1] rechtsverbindlich und unmittelbar anwendbar ist. nach den der Verordnung u.a. zugrundeliegenden Prinzipien der Einheit und universalität des Verfahrens soll die Insolvenz eines Schuldners in einem einzigen Verfahren, welches das gesamte wo auch immer befindliche Vermögen innerhalb der Mitgliedstaaten erfasst, abgewickelt werden [2] . den Grundsätzen folgend bestimmt die Verordnung die verbindliche festlegung der internationalen Eröffnungszu- ständigkeit für Insolvenzverfahren (Artikel 3), die automatische Anerkennung des Er- öffnungsbeschlusses und seiner Wirkungen in allen Mitgliedstaaten (Artikel 16) sowie der Maßgeblichkeit des Rechts des Eröffnungsstaates (Artikel 4). diese Grundsätze erfahren jedoch Einschränkungen einerseits durch das Zulassen von (sekundären) Partikularverfahren neben Hauptverfahren unter Einschränkung der Maßgeblichkeiten des Rechts des Insolvenzeröffnungsstaates und andererseits durch normierung von Sonderanknüpfungen, die gewisser Geltung nationaler vom Insolvenzeröffnungsstaatunterschiedlicher Bestimmungen eines Mitgliedstaates den Vorrang geben, wenn sich der Vermögensgegenstand dort befindet oder auf einen abge- 28 AnwAlt<strong>Aktuell</strong> 03/11 schlossenen Vertrag das Recht dieses Mitgliedstaates anzuwenden ist. dies gilt insbesondere für die Behandlung dinglicher Rechte (Artikel 5), die Aufrechnung (Artikel 6), den Eigentumsvorbehalt (Artikel 7), Verträge über Immobilien (Artikel 8), Arbeitsverträge (Artikel 10), die Anfechtung (Artikel 13) und die Wirkung des Insolvenzverfahrens auf anhängige Rechtsstreitigkeiten (Artikel 15) [3] . da ein eigenes Konzerninsolvenzrecht nicht geregelt ist, ist für jedes selbständige unternehmen im Konzern ein eigenes Insolvenzverfahren abzuwickeln und ist in jedem fall die internationale Zuständigkeit gesondert zu prüfen. da ein gemäß Art 3 eröffnetes Insolvenzverfahren samt seinen Wirkungen automatisch in allen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist und damit auch die Entscheidung über das im Hauptinsolvenzverfahren anzuwendende Insolvenzrecht getroffen wird, gab es um die Auslegung der Bestimmung der Zuständigkeit nach Art 3, insbesondere des „Mittelpunkts seiner hauptsächlichen Interessen” (CoMI = center of main interest), erhebliche juristische diskussionen und Versuche durch sogenanntes „forum shopping” in ein geeignet erscheinendes Insolvenzverfahren zu kommen. der EuGH wurde mehrfach bemüht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es auf eine Gesamtbetrachtung aller umstände ankommt [4] , wobei äußere Krite- rien, wie die feststellbarkeit des ortes für dritte/Gläubiger, der ort der operativen leitung, jener von wo aus zentrale Geschäftsführungsmaßnahmen getroffen werden und das Vorliegen einer gewissen organisatorischen Min- destausstattung an diesem ort, entscheidend sind [5] . Auch die frage der internationalen Zuständigkeit für Anfechtungsklagen wurde vom EuGH [6] nunmehr entschieden. für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, sind die Gerichte des Mitgliedstaates international zuständig, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. die Entscheidung im Anfechtungsprozess ist gemäß Art 35 Abs 1 in den übri- gen Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken [7] . die Verordnung trifft in den Artikel 31 ff aufgrund des nebeneinanders von Haupt- und (sekundären) Partikularverfahren Regelungen, die auf eine koordinierte Abwicklung der Verfahren abstellen, wobei für den fall der nichtbeachtung dieser Informations- und Kooperationspflichten in der Verordnung keine Rechtsfolgen vorgesehen sind. Eine entsprechendeHaftungsgrundlage für Verwalter wird sich aber meistens aus den nationalen Bestimmungen ergeben. Auf die entsprechenden Regelungen zu Abstimmungs- (Art 31, 32 Abs 2 und 3), Verwertungs- (Art 31 Abs 3, Art 33) und Verteilungsfragen (Art 20, 35) im Verhältnis von Haupt- und (sekundären) Partikularverfahren wird verwiesen.
da jedes Insolvenzgericht, das ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, nationales Insolvenzrecht samt den darin enthaltenen Sanierungsmöglichkeiten anwendet, schadet das fehlen inhaltlicher Bestimmungen in der EuInsVo in Bezug auf grenzüberschreitende Sanierungen nicht. Schwierigkeiten hinsichtlich einer Sanierung im Hauptinsolvenzverfahren können sich zum einen aus einem eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren aber auch durch die Sonderanknüpfungen der Art 5 ff ergeben. Gelöst wird dieses Problem zum einen durch die in der EuIns- Vo normierte Verpflichtung der Verwalter zur Kooperation (Art 31) und gegenseitigen Information (Art 32) sowie durch die in der Judikatur und literatur entwickelte Verfahrenskoordination. der Hauptinsolvenzverwalter hat ein begründetes Interesse an einer Sanierung im Sekundärverfahren, wenn er eine solche im Hauptinsolvenzver- fahren anstrebt und dabei auf dem Sekundärinsolvenzverfahren zugeordnete Vermögenswerte angewiesen ist. Art 34 ermöglicht dem Haupt- insolvenzverwalter den Vorschlag einer entsprechenden Sanierungsmaßnahme. durch die Beantragung der Aussetzung der Verwertung kann der Hauptinsolvenzverwalter eine frühzeitige Zerschlagung von unternehmensteilen im Sekundärinsolvenzverfahren verhindern und Zeit gewinnen, um gemeinsam mit dem Sekundärinsolvenzverwalter die Möglichkeit einer abgestimmten Sanierung zu überprüfen. das österr Insolvenzverfahren, auch in form eines Sanierungsverfahrens, kommt auch als Verfahrensart für ein Sekundärinsolvenzverfahren in frage. die Wirkungen einer im Sekundärinsolvenzverfahren durchgeführten Sanierungsmaßnahme bezieht sich aber nur auf das im Staat des Sekundärinsolvenzverfahrens belegene Vermögen. Hinsichtlich der unterschiedlichen lö- sungen im Hinblick auf Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren wird auf die Art 17 Abs 2 und Art 34 Abs 2 verwiesen. [8] Bestimmungen betreffend grenzüberschreitende Insolvenzsachverhalte im Verhältnis Österreich zu nicht-Eu- Mitgliedstaaten sind in den §§ 217 ff Io (Österreichisches Internationales Insolvenzrecht) geregelt und behandeln die Wirkungen eines in Österreich eröffneten Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Ein- beziehung von im Ausland befindlichen Vermögens genauso wie umgekehrt Wirkungen eines im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens auf in Österreich belegenes Vermögen des Schuldners, wobei diese Bestimmungen im Geltungsbereich der EuInsVo keine Anwendung finden [9] . die Bestimmungen sind inhaltlich ähnlich jenen in der EuInsVo. RECHt & WiRtSCHaFt Dr. ulla Reisch www.rechterfolgreich.at [1] ausgenommen Dänemark [2] Reisch/Winkler in Lichkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung, S 388 [3] Reisch/Winkler in Lichtkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung S 396 [4] Reisch/Winkler in Lichtkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung S 391 [5] Reisch/Winkler in Lichtkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung S 391 [6] EuGH 12.2.2009, C-339/07, Konecny, ZIK 2009/62, 40 ff [7] Reisch/Winkler in Lichtkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung S 402 [8] Reisch/Winkler in Lichtkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung S 411 ff [9] Reisch/Winkler in Lichtkoppler/Reisch, Handbuch Unternehmenssanierung S 419 jurcoach Erfolgs-Coaching für Anwälte & Kanzleien www.jurcoach.at AnwAlt<strong>Aktuell</strong> 03/11 29
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