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Politik und Zeitgeschichte im Comic

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Bibliothek 20. 1996. Nr. 2 Fix – <strong>Politik</strong> <strong>und</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong> <strong>im</strong> <strong>Comic</strong> 171<br />

Georg Seeßlen geht in seinem Artikel „Mythos contra<br />

Geschichte – Über den Widerspruch von <strong>Comic</strong>-Erzählung<br />

<strong>und</strong> historischer Rationalität“ der Frage ebenfalls<br />

nach. Seeßlen schreibt den <strong>Comic</strong>s eine mythische Erzählweise<br />

zu, die der Dokumentation konträr entgegenstehe.<br />

Er schreibt zur Bildgestaltung: „Ein <strong>Comic</strong>-Panel<br />

ist zugleich ein Bild <strong>und</strong> seine Interpretation“, die Einstellung,<br />

der Blickwinkel usw. sind Elemente, die über das<br />

rein dokumentarische hinausgehen. 64<br />

Die Argumentation sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

daß weder Fotographie noch Sachtexte von Historikern<br />

eine „historische Wahrheit“ wiedergeben können.<br />

Der Interpretationsvorwurf muß <strong>im</strong>mer erhoben<br />

werden, nur drängt er sich bei einem neuen Medium, wie<br />

dem <strong>Comic</strong> geradezu auf. So gesehen wäre die Darstellung<br />

von Geschichte <strong>im</strong> <strong>Comic</strong> eine Chance, um die<br />

Rezipienten zu einer kritischen Auseinandersetzung, mit<br />

der Darstellung von Geschichte anzuregen.<br />

4.1 Der Autor Rius <strong>und</strong> seine Feinde<br />

Daß gerade ein Mexikaner Sachcomics auf dem deutschen<br />

Markt populär machte, ist vielleicht kein Zufall. In<br />

Lateinamerika sind <strong>Comic</strong>s ein wichtiger Ideologieträger,<br />

der sich vor allem an die unteren sozialen Schichten<br />

wendet.<br />

Eduardo del Rio Garcia, bekannt unter seinem Pseudonym<br />

,Rius‘, begann seine berufliche Karriere als Arbeiter<br />

<strong>und</strong> wurde dann Anfang der sechziger Jahre, Karikaturist<br />

bei der Zeitung „Ovaciones“ in Mexiko-Stadt. 65 Doch<br />

bald geriet er in politischen Differenzen mit den Herausgebern<br />

<strong>und</strong> mußte die Zeitung verlassen. Bei seinem<br />

Weggang konnte er seine inzwischen berühmte Serie<br />

„Los supermachos“ für die er 1965 in Mailand den Preis<br />

der <strong>Comic</strong>-Verleger bekam, nicht mitnehmen. 66<br />

So entwickelte er eine neue Reihe „Los Agachados“ (Die<br />

Gebeugten). Für die er aufgr<strong>und</strong> des „Völkerverbindenden<br />

Charakters“, den Preis der Unicef erhält. Die Helden<br />

seiner Serien sind Durchschnittsmexikaner, mit denen<br />

sich die Leser gut identifizieren können. Die Preise <strong>und</strong><br />

Ehrungen haben Rius aber nur bedingt vor Repressionen<br />

geschützt. 1969 wird er vorübergehend verhaftet<br />

<strong>und</strong> seine Karikaturen wurden fast nirgends mehr veröffentlicht.<br />

Mit „Cuba para Principiates“ (Kuba für Anfänger) veröffentlichte<br />

Rius 1966 sein erstes <strong>Comic</strong>-Book. Es schildert<br />

die Geschichte Kubas mit großer Sorgfalt <strong>und</strong> Sachkenntnis<br />

<strong>und</strong> die Errungenschaften des Sozialismus mit<br />

großer Begeisterung.<br />

Der Erzähl- <strong>und</strong> Zeichenstil, den Rius entwickelt, ist<br />

ebenso einfach wie raffiniert. Er verwendet oft bekannte<br />

Bilder anderer Künstler, <strong>Comic</strong>s, alte Stiche, Fotos oder<br />

Landkarten. Diese Bilder oder Fotographien kommentiert<br />

er dann graphisch, in dem er sie mit Zeichnungen<br />

ergänzt <strong>und</strong> ihnen so eine neue Aussage verleiht. Doch<br />

werden die Originale, auch wenn sie verändert werden,<br />

nie so verfremdet, daß man sie nicht mehr identifizieren<br />

könnte. Die historische Aussage der Originaldokumente<br />

wird so nicht beeinträchtigt. Das Bild bleibt für den Betrachter<br />

<strong>im</strong>mer durchschaubar, die Ästhetik wird der<br />

Transparenz deutlich untergeordnet. Es handelt sich<br />

also nicht um geistigen Diebstahl, sondern um eine<br />

besondere Collagenkunst. Rius gilt als führender ,<strong>Comic</strong>-Kompilator‘.<br />

Ein Stil, der in der Dritten Welt sehr<br />

beliebt ist, da er auf Farbe verzichtet <strong>und</strong> daher preisgünstig<br />

in der Herstellung.<br />

Für den Text benutzt Rius Sprechblasen <strong>und</strong> Blocktexte.<br />

Sein Spanisch ist mit aztekischen Wörtern durchsetzt,<br />

ganz wie die mexikanische Umgangssprache. Originalzitate<br />

oder Werkauszüge erkennt man <strong>im</strong>mer deutlich an<br />

der Typologie.<br />

In Deutschland ist er besonders durch seinen Erstling<br />

„Marx für Anfänger“ der 1979 <strong>im</strong> Rowohlt-Verlag erschienen<br />

ist, bekannt geworden. Trotz der unbestrittenen<br />

Qualität des ersten Bandes wurde der Nachfolgeband<br />

„Mao für Anfänger“ der 1980 erschien, vom Verlag überarbeitet.<br />

Die Autorenangabe hieß nun „Rius <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e“,<br />

was wohl der Wahrheit nicht besonders nahe kam.<br />

Rius äußerte sich ziemlich verärgert dazu, „Rius <strong>und</strong><br />

Feinde“ sei wohl treffender. 68<br />

Abb. 5: Marx für Anfänger<br />

Seine Lenin- <strong>und</strong> Trotzki-Biographien wurden dann auch<br />

gar nicht mehr in Deutschland veröffentlicht. Der Rowohlt<br />

Verlag 69 griff nun auf Plagiate englischer Autoren<br />

zurück. Einige andere Bände von Rius erschienen noch<br />

in linken Kleinverlagen, z.B. „Kuba für Anfänger“ bei der<br />

Fre<strong>und</strong>schaftsgesellschaft Westberlin-Kuba e.V., „Hallo<br />

Nicaragua“ 1983 be<strong>im</strong> Weltkreis-Verlag, Dortm<strong>und</strong>.<br />

Die 1987 entstandene Hitler-Biographie „Hitler para masoquistas“<br />

(Hitler für Masochisten) wurde leider auf<br />

deutsch noch nicht veröffentlicht.<br />

Rius folgt in allen seinen <strong>Comic</strong>s einer eindeutig marxistisch-leninistischen<br />

Ideologie <strong>und</strong> sieht diese wohl als<br />

einzige Hoffnung für die Länder Lateinamerikas an. Das<br />

seine <strong>Comic</strong>s obwohl sie einerseits belehrend sind, andererseits<br />

nie aufdringlich pädagogisch wirken, begrün-<br />

64 Seeßlen: Mythos contra Geschichte. In: <strong>Comic</strong>-Jahrbuch 1991.<br />

Hamburg 1991. S. 23-31.<br />

65 Tatum: Rius – der <strong>Comic</strong>s-Autor als Sozialkritiker <strong>und</strong> politischer<br />

Unruhestifter. In: <strong>Comic</strong>s <strong>und</strong> Cartoons in Lateinamerika.<br />

München 1991. S. 55-70.<br />

66 Frenzel: Rius. In: <strong>Comic</strong> Forum 30 (1985) S. 52-55.<br />

67 Ebd.<br />

68 Hachfeld: Themen, die in der Luft liegen. Gespräch mit dem<br />

mexikanischen Karikaturisten Rius. In: tendenzen 149 (1985)<br />

S. 27-29.<br />

69 Der Rowohlt-Verlag hat sich auf Anfrage nicht geäußert.

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