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Politik und Zeitgeschichte im Comic

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172 Bibliothek 20. 1996. Nr. 2 Fix – <strong>Politik</strong> <strong>und</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong> <strong>im</strong> <strong>Comic</strong><br />

det sich vor allem in seinem feinsinnigen Humor, der<br />

einem selbst die Theorie des Mehrwerts zur Unterhaltung<br />

gereichen läßt.<br />

4.2 Die Geschichte des Nationalsozialismus<br />

Großes Aufsehen erregte 1989 die Veröffentlichung der<br />

zweibändigen Hitler-Biographie des Journalisten Friedemann<br />

Bedürftig <strong>und</strong> des Zeichners Dieter Kalenbach.<br />

Band 1 „Die Machtergreifung“ schildert Hitlers Lebensweg<br />

<strong>und</strong> die politische Situation der We<strong>im</strong>arer Republik.<br />

Band 2, „Der Völkermörder“ beginnt bezeichnenderweise<br />

bei der Gr<strong>und</strong>steinlegung zu einem neuen Autobahnteilstück<br />

<strong>und</strong> schildert dann den Verlauf des Zweiten<br />

Weltkriegs.<br />

Die Bände sind umstritten – „Der Spiegel“ 70 lobte, der<br />

Literaturkritiker Jan Philipp Reemtsma weigerte sich in<br />

der Zeitschrift „Konkret“, 71 „dieses in jeder Beziehung<br />

miserable Erzeugnis der papierschändenden Industrie“<br />

überhaupt zu rezensieren. Tatsächlich ist schon das<br />

Vorwort des Journalisten Erich Kuby „Eine Art Gebrauchsanleitung“,<br />

nicht dazu geeignet, einem zum Weiterlesen<br />

zu motivieren. Offensichtlich schätzt Kuby das<br />

Medium <strong>Comic</strong> nicht allzusehr. Da aber Jugendliche<br />

„überhaupt nichts mehr vom konzentrierten Lesen“ halten<br />

<strong>und</strong> auch nicht „die Veröffentlichungen zum Historikerstreit<br />

… auf dem Nachttisch liegen“ 72 haben, scheint<br />

ihm ein <strong>Comic</strong> wohl besser als nichts zu sein. „Die<br />

Mängel der Methode sind unvermeidlich“ meint Kuby,<br />

der generell alle Versuche, eine „Zurückstutzung des<br />

Nationalsozialismus auf das Wesen <strong>und</strong> Handeln dieses<br />

einen Menschen“ für unhistorisch hält <strong>und</strong> damit gleich<br />

einen Seitenhieb auf Fests berühmte Hitler-Biographie<br />

landet. In der Neuauflage des Werkes von 1993 verzichtete<br />

der Carlsen-Verlag dann auch auf Kubys einleitende<br />

Worte.<br />

Kalenbach <strong>und</strong> Bedürftig verteidigen ihr Vorgehen in<br />

ihrem Vorwort: „Zum einen ist die Tünche der Propaganda<br />

nirgends so dick wie be<strong>im</strong> ,Führer‘ <strong>und</strong> deswegen<br />

kommt das wirkliche Geschehen am besten durch Restauration<br />

des ursprünglichen Bildes zum Vorschein.<br />

Zum anderen hat es wohl in der Geschichte kaum einmal<br />

eine Entwicklung gegeben, die so auf eine Person<br />

zugelaufen <strong>und</strong> dann wieder von ihr ausgegangen ist,<br />

wie <strong>im</strong> Fall Hitler.“ 73<br />

Sie weisen damit auf das Problem der Bildgestaltung in<br />

diesem Bereich hin. Es gibt gerade von der Person<br />

Abb. 6: Kalenbach. Hitler Band 2<br />

Hitlers nur die von der Propaganda ausgewählten Bilder.<br />

„Menschen brauchen Bilder, vor allem Gegenbilder zur<br />

Propaganda der Täter.“ 74 Doch ihr Anspruch ist hoch<br />

gegriffen <strong>und</strong> ,verbesserungs-Bedürftig‘.<br />

Kalenbach bedient sich einer in Bonbon-Farben gehaltenen<br />

Collagetechnik, mit der die Seite <strong>im</strong>mer ganz<br />

gestaltet wird, es erfolgt keine Auflösung in Panels.<br />

Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit es sich hier<br />

überhaupt noch um einen <strong>Comic</strong> handelt. Der Text wird<br />

als ordnendes Element in Blöcken <strong>und</strong> Sprechblasen<br />

eingesetzt. Die realistischen Buntstiftcollagen sind nach<br />

Fotovorlagen entstanden, doch verbergen sie ihre Herkunft.<br />

Nicht nur die unstrukturierte Seitengestaltung verwirrt<br />

den Leser, sondern auch die Frage ,Foto oder<br />

Fiktion?‘. 75 Kalenbach schafft kein Zeitdokument weil er<br />

die Herkunft seiner Bilder verschleiert.<br />

Die Absicht, ,Gegenbilder‘ zu schaffen haben, die Autoren<br />

vielleicht am ehesten in einer Ästhetisierung der<br />

Aussageabsicht umgesetzt; die Opfer sind weiß <strong>und</strong><br />

schön, Giftgas giftgrün 76 usw. Bei der Darstellung Hitlers<br />

gelingt es Kalenbach allerdings nicht, das Pathos der<br />

Nazis zu konterkarieren <strong>und</strong> sich von der faschistoiden<br />

Ästhetik zu lösen.<br />

Friedemann Bedürftig, Herausgeber des ,Großen Lexikons<br />

des Dritten Reiches‘, versuchte, möglichst Originalzitate<br />

Hitlers zu verwenden; eine ehrenhafte Absicht,<br />

nur sollte auch hier Transparenz gewahrt werden <strong>und</strong><br />

dem Leser klar sein, in welchen Fällen es sich um ein<br />

Zitat <strong>und</strong> wann um Prosa handelt. Ein dokumentarischer<br />

<strong>Comic</strong> muß Transparenz in Bild <strong>und</strong> Text wahren. Daß<br />

dies möglich ist zeigt Rius. Problematisch ist schließlich<br />

auch die Erzählweise, die Hitler als Protagonist quasi<br />

zum negativen Superhelden aufbaut, der den Muttertod<br />

<strong>und</strong> die Ablehnung auf der Kunsthochschule nicht verwindet<br />

<strong>und</strong> so zum Psychopathen wird.<br />

4.3 Politische Theorie<br />

In der Nachfolge Rius’ erscheinen noch zahllose Bände<br />

(Atomkraft für Anfänger, Lenin f.A., Trotzki f.A., Frieden<br />

f.A. u.a.) in der Reihe „rororo-Sachcomic“ be<strong>im</strong> Rowohlt<br />

Verlag, der sich auch nicht scheut, mit dem Rius-<br />

<strong>Comic</strong> zu werben. Die Produktion der Nachfolgebände<br />

basiert <strong>im</strong>mer auf der Zusammenarbeit eines sachk<strong>und</strong>igen<br />

Autors <strong>und</strong> eines Studiozeichners die Rius’ Stil<br />

kopieren.<br />

Bemerkenswert sind noch die verschiedensten Versuche<br />

von Literaturadaptionen. 1980 erschien „Das Kapital“<br />

von Jari Pekka Cuypers <strong>im</strong> VSA-Verlag. Er versucht<br />

dann noch ein bißchen unbeholfen, den ersten Band des<br />

„Kapitals“ leichtverständlich darzustellen. Von F.K.<br />

Wächter erschien 1982 ebenfalls <strong>im</strong> VSA-Verlag das<br />

„illustrierte Gr<strong>und</strong>gesetz“, in dem Karikaturen <strong>und</strong> kleine<br />

Strips sozusagen als „visueller Kontrapunkt“ dem Gesetzestext<br />

entgegengesetzt werden „Die Menschenrechte“<br />

70 Der Spiegel 39 (1989) S. 78-80.<br />

71 Konkret 11 (1989) S. 61.<br />

72 Kuby: Eine Art Gebrauchsanleitung. In: Hitler Bd. 1. Hamburg<br />

1989. S. 3.<br />

73 Kalenbach/Bedürftig: Hitler Bd. 1. Hamburg 1989. S. 8.<br />

74 Ebd.<br />

75 Weidemann: Foto oder Zeichnung? In: <strong>Comic</strong>s Anno. München<br />

1991. S. 26-41.<br />

76 Kalenbach/Bedürftig: Hitler Bd. 3. Hamburg 1989.

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