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<strong>„Anno</strong> dazumal"<br />
Eine Plauderei über die Brünner Gaststätten<br />
des 18. und 19. Jahrhunderts.<br />
Von Ingenieur Walter O p l u s s t i 1, Wien<br />
Brünn hatte die Schwedenbelagerung glücklich überstanden. Die erfolgreiche Abwehr<br />
fand sichtbaren Ausdruck im Handel und Wandel der nachfolgenden Zeit. Die Vorstädte<br />
Zeil, Obrowitz, die Olmützergasse waren zum Großteil von den abziehenden Schweden<br />
eingeäschert. So mußte vieles neu aufgebaut werden. Dadurch fanden die Handwerker,<br />
die bürgerlichen Tischler, Schlosser, Spengler und Dachdecker und alle übrigen wieder<br />
Arbeit. Die intensive Bautätigkeit brachte der Brünnerstadt neuen Impuls. Auch die<br />
Krämer und Kaufleute verspürten alsbald diesen neuen Auftrieb und waren zufrieden mit<br />
ihren Geschäften. Allerorts in den Mauern der Stadt machte sich neues Leben bemerkbar,<br />
der gesunde Kern der Brünner begann sich durchzusetzen. Ein Zeitabschnitt des<br />
Aufbaues und dadurch zunehmenden Wohlstandes war angebrochen.<br />
Es war daher nur zu verständlich, daß die ehrsamen Bürger nach des Tages Mühen zum<br />
Feierabend ein Wirtshaus aufsuchten, um bei einem leckeren Imbiß und einem guten<br />
Tropfen in geselliger Runde von der Arbeit auszuruhen. Auch tagsüber wiesen die<br />
Gasthäuser einen erfreulichen Zuspruch auf, wenn sich Marktfahrer und Bürger ein<br />
wenig stärkten und oft bei hitzigen Diskursen über die Tagesneuigkeiten auf das<br />
Fortgehen vergaßen. Freilich hatte eine solche Wirtsstube der mittelalterlichen, mit<br />
Festungsmauern umgürteten Stadt, nicht den Komfort, den wir heute gewöhnt sind. Oft<br />
waren es bloß roh gezimmerte Tische an denen die Gäste saßen. Durch die<br />
Butzenscheiben der kleinen Fenster in dem dicken Gemäuer drang gedämpftes Licht in<br />
den Raum. Des Abends vom flackernden Schein einer Petroleumlampe dürftig erhellt.<br />
Der Herbergsvater, oder Wirt mit Wirtskappe oder Zipfelmütze, mit vorgebundener<br />
Schürze und aufgestülpten Hemdärmeln, sorgte höchstpersönlich um das Wohl seiner<br />
Gäste. Oft war er eher derb als höflich, das aber tat der Stimmung keinen Abbruch, man<br />
pokulierte lustig drauf los und ließ sich das Essen trefflich munden.<br />
Anno 1789 gab es in Brünn an die 13 Gasthäuser: „Zum schwarzen Bären, zu den 3<br />
Fürsten, zum römischen Kaiser, zum weißen Schwan, zum Bierkeller am Oberring<br />
(später Hannak am Krautmarkt), zum blauen Löwen in Altbrünn, zum Telemach, zum<br />
goldenen Hirschen, zum weißen Kreuz, zur neuen Welt, zum weißen Pferd, zum wilden<br />
Mann und zur großen Maß" in der Rennergasse. Sämtliche Wirte waren deutsche Bürger<br />
der Stadt. Freilich erfreuten sich nicht alle des gleichen, guten Rufes, denn viele<br />
Wirtshäuser gaben Anlaß zu Klagen wegen Ausschankes von schlechtem Bier. Deshalb<br />
sah sich das königl. Landesgubernium veranlaßt 2 Kontrollore zur Überwachung<br />
einzusetzen. Diese beiden Wackeren, von der Wichtigkeit ihrer Mission durchdrungen,<br />
oblagen ihren Aufgaben mit ganzer Hingebung, denn oft schmeckte so ein Humpen Bier<br />
ganz ausgezeichnet. Verderben wollte sichs kein Wirt mit ihnen, daher kam ihnen jeder<br />
mit der größten Unterwürfigkeit entgegen. Nach den Aufzeichnungen der Chronik ereilte<br />
einen Wirten namens Nutze doch das Geschick. Der Sünder wurde wegen Ausschank des<br />
schlechtesten Bieres im Jahre 1751 zu einer empfindlichen Strafe verdonnert.<br />
Einige Gasthäuser standen in ausgezeichnetem Ruf und wurden bald Stammlokale des<br />
angesehenen Bürgertums. So das Wirtshaus „Zum römischen Kaiser" auf der „Schanz<br />
beim Ferdinandstor", in der Adlergasse das Wirtshaus „Zum schwarzen Adler" und die<br />
Gaststätte „Zu den 3 Fürsten" in der Johannesgasse, dort wo später das Postgebäude<br />
errichtet wurde. Auch der Gasthof „Zum schwarzen Bären" und „Zur neuen Welt" zählten<br />
zu den renommierten Betrieben.<br />
Als 1834 in der Neugasse das Gasthaus „Zum Pfau" von Elisabeth Dormann eröffnet<br />
wurde, löste dies großes Aufsehen aus. Denn die dort an Samstagen und Sonntagen<br />
veranstalteten glänzenden Reunionen wurden bald Stadtgespräch. Später übernahm<br />
diesen Betrieb August Wittrich, welcher außerdem1856 ein volkstümliches Speisehaus<br />
errichtete, in dem man um 7 Kreuzer Conventionsmünze ein opulentes Mittagessen,<br />
bestehend aus Suppe Fleisch und Mehlspeise, einnehmen konnte.
Sehr bekannt war auch das Gasthaus Padowetz, welches 1838 unterm Franzensberg<br />
eröffnet wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Gaststätte „Zum Fasan" von Raimund<br />
Kraus der Treffpunkt der Künstler, Professoren und Beamten.<br />
Fast märchenhaft erscheinen uns Nachfahren die Preistarife jener Zeit. So konnte man<br />
im „Goldenen Ochsen" in der Krapfengasse Nummero 30 für ganze 6 Kreuzer zwischen<br />
folgenden Speisen auswählen: 1 Portion Schnitzel, Rostbraten, Leber, Niere, 1 jungen<br />
Gans, Hasen, Krenfleisch, Kälbernen und Selchfleisch. Für 10 Kreuzer konnte man sich<br />
eine große Portion knuspriger Gans. einem halben gebratenen Huhn, oder einem<br />
Hasenlauf gütlich tun! Das Leben war für unsere Begriffe unwahrscheinlich billig!<br />
Dadurch ist es zu verstehen, daß unsere Vorfahren mit Nachkommen so reich gesegnet<br />
waren. Rückte Urgroßvater mit Eheweib und seinen 10—12 Kindern zu einem<br />
Sonntagsspaziergang aus und traf einen Gevatter mit Muhme und deren Anhang, gab es<br />
einen ganz respektablen Menschenauflauf, als ob eine ganze Schulklasse zu einem<br />
Ausflug aufgebrochen wäre. —<br />
Das erste Kaffeehaus wurde als groß bestaunte Neuigkeit 1702 in Brünn errichtet und<br />
nur von den emanzipierten Kreisen der Bürgerschaft besucht. 1719 hatte die Stadt<br />
bereits 6 Kaffeehäuser, die schon fleißig frequentiert wurden.<br />
Uns, die wir in solchen Berichten der Chronik blättern, überkommt etwas Neid und<br />
Wehmut, wenn wir daran denken, was wir heute für das bescheidenste Essen auslegen<br />
müssen!<br />
Zum Trost mag es uns gereichen, daß wir bis vor Ausbruch des 1. Weltkrieges auch noch<br />
etwas von der guten Zeit erhaschen durften. Denn 1 Paar Frankfurter, in der<br />
Zwischenpause vom Schuldiener gekauft, kostete in jenen Tagen 5 Kreuzer. Für 1<br />
Gulden führte Vater die ganze Familie auf ein Backhuhn aus!<br />
Damals freilich ahnten wir nicht, daß ein grausames Schicksal unsere Generation 2<br />
Weltkriege mit allen ihren Folgen und Auswirkungen bescheren wird.<br />
Es ist aber schon so in diesem irdischen Dasein, das Leben war und ist wechselvoll. Nach<br />
Stürmen, Erschütterungen und Katastrophen folgten immer noch ruhige Zeitläufte des<br />
Aufblühens und des Wohlstandes. Darum wollen wir nicht verzagen und den Glauben fest<br />
im Herzen tragen, daß auch uns so eine Zeit einmal erstehen wird. Auf daß auch wir, die<br />
wir vom Schicksal so satanisch gefoltert wurden, den Segnungen einer solchen Epoche<br />
teilhaftig werden!<br />
Alte Brünner Gaststätten Zu 3 F<br />
von Eugen T h ö r e s z<br />
Bevor ich mit meiner heutigen, diesmal feuchtfröhlichen Plauderei beginne, möchte ich<br />
mich kurz mit dem Charakter des waschechten Brünners beschäftigen, Denn es steht bei<br />
mir nach angestellten tiefschürfenden Forschungen fest, daß zwischen der Wesensart der<br />
männlichen Bewohner einer Stadt und deren Gaststätten gewisse unleugbare<br />
Zusammenhänge bestehen. Ich möchte mich sogar zu folgender Behauptung versteigen:<br />
Willst Du den wahren Charakter der Männer einer Stadt ganz verstehen, dann sieh Dir<br />
ihre Gasthäuser an. Und umgekehrt! Nur darfst Du, lieber Leser, Deine Studien nicht in<br />
**modernen Luxusrestaurants betreiben, denn diese haben nichts mehr Bodenständiges.<br />
Du mußt vielmehr jene Beisel aufsuchen, die in engen, winkeligen Gassen, oft am Rande<br />
der Stadt, unansehnlich, aber urgemütlich ihr Dasein verträumen.<br />
Der Brünner ist, abgesehen von einigen Ähnlichkeiten mit dem Wiener, ein Männertyp<br />
ganz eigener Art. Er ist, oder besser gesagt, er kann urgemütlich sein. Er ist niemals ein<br />
Spaßverderber, er verfügt über einen gesunden, wenn auch manchmal etwas derben<br />
Humor, er trifft mit seinem Witz und Urteil meist den Nagel auf den Kopf und ist beileibe<br />
kein Kopfhänger. Er ist ein Freund heiterer<br />
Geselligkeit und huldigt dem Grundsatz: Leben und lebenlassen! Der alte Brünner ist ein<br />
stiller Genießer und liebt als solcher ein gutes Essen und einen guten, wohlgepflegten<br />
Tropfen. Diesen Eigenschaften, besonders den beiden letzten, verdanken die alten<br />
Brünner Gaststätten ihr ureigenstes Gepräge. Ihrer will ich heute gedenken. Manche von
ihnen werden wohl nur mehr der alten Garde bekannt sein, denn sie bestehen leider<br />
nicht mehr. Viele aber haben sich ihren guten alten Ruf und ihre Beliebtheit bis in die<br />
letzte Vergangenheit bewahrt. Und nun lade ich Dich, lieber Landsmann, zu einem<br />
Erinnerungsbummel ein.<br />
Beginnen wir vielleicht in Altbrünn, wo sich echte Brünner Art wohl noch am reinsten<br />
erhalten hat. Wer kannte da nicht das alte, auch als Poststation bekannte<br />
Einkehrwirtshaus „Zum Blauen Löwen?" Es war gewissermaßen ein Brünner<br />
Kulturdenkmal, mußte aber, wie vieles andere, einer unvernünftigen Demolierungswut<br />
weichen. Vor der „Langen Brücke" erfreute sich ein Namensvetter, der „Goldene Löwe",<br />
auf der Wienergasse das Gasthaus „Ohnesorg" großer Beliebtheit.<br />
Ein Begriff für jeden Altbrünner war der „Damisch", später „Krejczirzik" in der Flurgasse.<br />
Bekannt war der dort seinerzeit verzapfte süße Strohwein und die Tanzveranstaltungen<br />
im geräumigen Tanzsaal erfreuten sich eines regen Zuspruchs. Freunde eines<br />
unverfälschten Tropfens fanden diesen im Altbrünner „Klosterstübel". In der Lehmstätte<br />
luden die Weinstube „Wo der Wolf den Gänsen predigt" und die „Prerauer Bierhalle" zu<br />
gemütlichem Verweilen ein.<br />
Am Ende eines kleinen Spaziergangs fand der wegmüde Wanderer im schattigen<br />
Schreibwaldgarten Atzung und Labung. Am Sonntag war dieser Garten das Wanderziel<br />
des guten Brünner Bürgertums. Neben leiblichen Genüssen wurde ihm auch für Herz und<br />
Gemüt ein Militärkonzert geboten. Auch war der Schreibwaldgarten der Schauplatz der<br />
unvergeßlichen Brünner Volksfeste. Wer aber die Ruhe liebte und für Natur schwärmte,<br />
der stieg auf sanft ansteigenden grünen Waldpfaden zum alten „Jägerhaus" empor oder<br />
er stärkte sich an altem Ribiselwein beim Krzipal im waldumrauschten<br />
Johannestal/Libuschatal. Jeder erinnert sich wohl auch gerne des kleinen schattigen<br />
Gartens des Gasthauses „Schulz" an den kühlen Ufern der Schwarza in der Steinmühle.<br />
Sein Pilsner Bier, seine ungarische Salami und seine Gelsenplage waren berühmt.<br />
Alle, die besonderes Verlangen nach unverfälschtem Urbrünnertum und reinstem<br />
„Brinarisch" hegten, kehrten in der Neustift beim „Simandel" oder im „Kleinen Deutschen<br />
Haus" ein. Wer dort aber Hochdeutsch sprach, setzte sich ähnlichen Gefahren aus, wie<br />
der „Preiß" in Bayern.<br />
Die Bäckergasse hinansteigend, erinnerten die längst verschollenen Namen „Weißes<br />
Kreuz" und „Weißes Lamm" an alte Brünner Geselligkeit. Sie gehören der Vergangenheit<br />
an. Wer, am Stadthofplatz angelangt, etwa schon wieder Durstgefühle empfand, dem<br />
öffnete der „Blaue Stern" seine gastliche Pforte. Er war bei Frau Leiserin bestens<br />
aufgehoben. In diesem Stadtviertel wird den ältesten noch lebenden Brünnern das<br />
„Brünner Bräuhaus" und das Gasthaus „Reiter" in der Altbrünnergasse in bester<br />
Erinnerung sein. Die „Linde" in der Dominikanergasse war ein zwar altes, aber sehr gut<br />
gepflegtes Gasthaus.<br />
Auf eine jahrhundertelange Vergangenheit kann der „Hannakkeller" auf dem Krautmarkt<br />
zurückblicken. Sein Pilsner war ganz besonders süffig. Auch ist dieser historische<br />
Bierkeller mit der Geschichte des Brünner Theaters innigst verbunden. Berühmte Sterne<br />
am Theaterhimmel, ich nenne hier nur Nestroj und Kapellmeister Wenzel Müller, den<br />
Komponisten der Musik zu Raimunds Zaubermärchen, fanden hier Entspannung und<br />
„geistige" Auffrischung. Am Krautmarkt befand sich auch Brünns ältestes Kaffeehaus<br />
zum „Tetz", später Jäger. Die „Tabakspfeife" am Dom lebt wohl nur mehr in der<br />
Erinnerung ältester Brünner.<br />
In der Ferdinandsgasse erfreute sich um die Jahrhundertwende das vornehme Hotel<br />
„Neuhauser" mit seinem angeschlossenen Restaurant erstklassigen Rufes. Sehr gut<br />
aufgehoben und verpflegt war man auch im gegenüberliegenden Restaurant „Hannak".<br />
Das Kaffee „Spranz" in der Rennergasse war eine Gaststätte von ganz eigener Note. Es<br />
war der gesellige Sammelpunkt des Offizierkorps der Brünner Garnison in Alt-Österreich.<br />
Es wich später dem neugestalteten Kaffee „Quadratel" und büßte damit vollständig seine<br />
traditionell vornehme Gemütlichkeit ein. Die „Große Maß" in der Rennergasse und das<br />
Gasthaus „Geitner" in der Jesuitengasse wecken bei allen Brünnern gewiß liebe<br />
Erinnerungen an Gabelfrühstück, Dämmer- und Abendschoppen.
Schier übergroß war die Fülle alter Gaststätten im Stadtinnern. Die Bierkosthalle<br />
„Hradetzky", kurz „Hr" genannt, mit den täglich wechselnden Bierspezialitäten<br />
heimischen und bayerischen Ursprungs war ein Begriff für jeden bierliebenden Brünner.<br />
Durstweckende Krenwürstel, Debreziner und Klobaßen erhöhten noch den Genuß. Ein<br />
liebes, altes Weinbeisel war der „Pummer" in der Geißgasse, nicht zu vergessen das<br />
Gasthaus „Rotter" in der Krapfengasse der „Komet" und in neuerer Zeit das Gasthaus<br />
„Kittel". In Studentenkreisen erfreute sich das Gasthaus „Zum Wurst" in der<br />
Krapfengasse ganz besonderer Beliebtheit. Hier wurde so mancher Monatswechsel in<br />
„Geist" umgewechselt. Die Fama erzählt sogar von einem hier versoffenen väterlichen<br />
Erbteil von immerhin 5000 Kronen! Und wem wäre Weselys „Bienenhaus" nicht ans Herz<br />
gewachsen gewesen? Sein stets leckeres Büfett wurde von kunsthungrigen und<br />
durstigen Theaterbesuchern vor den Vorstellungen und in den großen Zwischenpausen<br />
geradezu gestürmt.<br />
Ganz groß in unseren Erinnerungen steht noch immer die „Schwechater Bierhalle" mit<br />
ihrem liebenswürdigen Wirt Hafenrichter. Wenn auch eine vornehme Gaststätte neueren<br />
Datums, es sei ihr doch ein wehmütiges Gedenken geweiht: Unserem herrlichen,<br />
unvergessenen „Deutschen Haus". Auch des stilschönen Kaffee Bibers, des<br />
„Reichskaffees" der Schlaraffia Bruna sei in Treue gedacht.<br />
Erwähnt seien ferner die Weinstube Kletter „Zum Pfau", das „Rebhuhn" in der Adlergasse<br />
beim Mönizer Tor, in der Minoritengasse die Weinstube „Wo der Wolf den Gänsen<br />
predigt". Nemeczeks „Goldener Stern" in der Neutorgasse u. a. Nicht vergessen sei das<br />
alte Kaffee „Dohnal" in der Rudolfsgasse und das Kaffee „Post" in der Johannesgasse.<br />
Nun flüchten wir uns aus der Enge der inneren Stadt in die luftigeren Vorstädte. Auch<br />
hier gab es viele verträumte Wirtshäuser, die zu behaglichem Verweilen einluden. In der<br />
Franz Josefstraße waren es die gut bürgerlichen Gaststätten „Helan" und „Petlach". Eine<br />
liebe Neuschöpfung war der „Schubertbund" mit seinem herrlichen Park. Gerne kehrte<br />
man auch bei „Schimpersky" in Obrowitz und bei „Marischler" in der Wranauergasse ein.<br />
Ein typisches Vorstadtkaffee war bei „Biedmann" in der Josefstadt. Wer aber erinnert<br />
sich noch an das Gasthaus „Grund"? Der Zugang zum schönen, geräumigen Garten<br />
befand sich in der Ponawkagasse an den Ufern des damals noch duftend<br />
dahinströmenden Flüßchens gleichen Namens.<br />
Wer Höhenluft liebte, der erklomm an einem schönen Sommerabend die „Schwarzen<br />
Felder". Er konnte sich dort beim „Schimmel" oder beim „Olymp" neue Kräfte zu<br />
nächtlichem Abstieg sammeln.<br />
Labungsstätten für bequeme Sonntagsausflügler in Brünns nächste Umgebung waren der<br />
„Pulverturm" am Gelben Berg, die „Schöne Aussicht" in der Eichhorngasse, der<br />
„Semilasso" in Königsfeld mit seinem großen, schattigen Garten und seinen Konzerten,<br />
die „Schießstätte" beim Antonibrünndel u. v. a. Wer aber schon in der Neugasse vor<br />
Erschöpfung zusammenbrach, der erhielt bei „Jauk" oder beim „Weißen Lamm" bestimmt<br />
die erste Hilfe.<br />
Zum Abschluß unseres Bummels möchte ich mit Dir, lieber Landsmann, noch zwei<br />
liebvertraute Gaststätten in unseren deutschen Vororten besuchen: Den „Hayek" in<br />
Kumrowitz und den „Köberle" in Tschernowitz. Beide waren berüchtigt durch den sich<br />
alljährlich wiederholenden Backhendelmord so um Anna herum. Backhendel mit<br />
Gurkensalat ist nun einmal das Leibgericht eines jeden Brünners.<br />
Meine süffig-materialistischen Erinnerungen erheben gewiß nicht Anspruch auf<br />
Vollständigkeit. Sollte ich vielleicht gerade Dein Stammlokal, mein lieber Landsmann,<br />
vergessen haben, verzeih es mir! Und nun noch eine Frage: Sind meine heutigen<br />
Betrachtungen wirklich nur materialistischer, genießerischer Natur? Oder verbirgt sich<br />
dahinter nicht doch noch ein wenig mehr? Habe ich mit diesen Zeilen nicht der Stätten<br />
gedacht, wo wir einst in harmloser Fröhlichkeit glücklich waren? Wo wir uns nach des<br />
Tages redlichen Mühen Erholung und neue Schaffenskraft holten, wo wir echte Brünner<br />
Geselligkeit pflegten bei kräftiger Männerrede und herzhaftem Umtrunk? So war eben<br />
echte Brünner Art. Und diese wollen wir hochhalten, auch fern der Heimat, fern unserem<br />
lieben, alten Brünn. (BHB 1952)
Unser liebes altes Café Post. . .<br />
Zu 3 F<br />
Was wohl viele Brünner in der Fremde vermissen werden, ist der altösterreichische<br />
Kaffeehaustyp. Nicht der moderne auf Art des Brünner<br />
Esplanade, Passage, Opera oder Capitol, nein die kleineren, von außen zwar<br />
unscheinbaren, aber innen voller Leben, Gemütlichkeit und Herzlichkeit. Wer<br />
erinnert sich nicht dabei an Wiesinger in Altbrünn, Gerechsamer auf der Alleestraße,<br />
Sklenar in der Dvořakgasse, „Drei Hahnen" in der Ferdinandsgasse und<br />
„Post" in der Minoritengasse, um nur einige zu nennen. Gerade im letztgenannten<br />
Kaffeehaus, bis in jüngste Zeit von der Familie Anisen vorbildlich<br />
geleitet, trafen sich die sogenannten „echten Kaffeehaustiger", wie sie oft<br />
scherzhaft benannt wurden. Da gab es alles, was ein richtiges Kaffeehausbesucherherz<br />
verlangte: Zeitungen in Hülle und Fülle, ein vollständiges Lexikon,<br />
wenn auch aus der Zeit der Jahrhundertwende, Karten-, Schach- und<br />
Billardpartien. Der eigentliche Betrieb fing so in den Nachmittagsstunden an, um<br />
erst gegen Mitternacht zu verebben. Man traf fast immer dieselben Gestalten,<br />
und wenn mal ein „Neuer" hereinschneite, wurde er vorerst argwöhnisch beäugelt,<br />
und, wenn er einigemale wiederkam, in die große Familie freundschaftlich,<br />
ohne vieler neugieriger Fragen aufgenommen. Die Kellner — Josef, Peppi<br />
oder Hugo — wurden nicht als bedienendes Personal behandelt; wie oft haben<br />
diese guten Geister des Post-Cafes dem einen oder anderen Stammgast finanziell<br />
unter die Arme gegriffen.<br />
Es gab Zeiten, wo sich hier die besten Schachspieler Brünns trafen. Aber auch<br />
die eifrigsten Kiebitze waren da versammelt, und so kam es nicht selten vor, daß<br />
ganz andere Spieler die Schachpartie beendeten und die ursprünglichen Spieler<br />
zu bloßen Zuschauem degradiert wurden. Auch die Kartenpartien — Tarock,<br />
Preveranz oder Mariasch — hatten es in sich. So eine Partie — obwohl man sich<br />
eigentlich nur ein Stündchen unterhalten wollte — dauerte, ebenfalls von<br />
Zuschauern belagert, oft länger als 6 Stunden. Auch wenn man selbst nicht<br />
mittat, so war es doch ein Genuß und bedeutete eine Auflockerung der<br />
alltäglichen Sorgen, wenigstens zuzuschauen und noch mehr zuzuhören. Der<br />
Clou aber blieb doch das Billardspiel: Von der einfachen Partie bis zur<br />
sogenannten „Russischen". Die grünen Spielbretter waren immer besetzt, und<br />
auch hier trafen sich die Besten von den Besten. Sonntag vormittags fing es<br />
schon um 9 Uhr an, um erst in später Nachtstunde zu enden. Selbst wochentags<br />
herrschte ab Mittag am grünen Tisch voller Betrieb. Auch hier gab es Spieler, die<br />
an ihrem guten Spiel immer etwas verdienen wollten. Manchen genügte schon<br />
das Spiel um ein Schale Kaffee und drei Zigaretten, andere um 2 Kč und die<br />
Spielkosten. Einer von ihnen, ein richtiger Geizhals wie er im Buche steht, spielte<br />
nie unter 3—5 Kč. Da er nun tatsächlich ein guter Spieler war, so konnte er es<br />
gar nicht erwarten, bis er wieder ein Opfer gefunden hatte. Aber eines Tages<br />
sollte es doch nicht so sein, wie er es haben wollte und wie es meistens früher<br />
zugunsten, nennen wir ihn Herrn Nowak, ausgefallen ist. Vorausschicken möchte<br />
ich noch, daß Herr Nowak bei seiner spielerischen Qualität immer der<br />
unsympathischeste Billardspieler in den Augen der ganzen Kaffeehausrunde war.<br />
Also eines Tages, es war ein verregneter Spätherbstabend, gerade hatte Nowak<br />
wieder eine Partie Billard gegen einen schwachen Spieler leicht gewonnen, der<br />
ihm auf den Leim gegangen war; nun musterte er uns, die wir den Billardtisch<br />
umstanden und dem Spiel zugeschaut hatten.<br />
„Will vielleicht noch einer der Herren einen Hunderter spielen?"<br />
Aber da wir ihn ja alle gut kannten und bestimmt nur ein weiteres Opfer gewesen
wären, erhielt er von allen Seiten abweisende Gesten zur Antwort. Da entdeckte<br />
Nowak neben dem Tisch einen jungen Mann, den sicherlich das nasse Wetter<br />
zufälligerweise in das „Post-Cafe" gelockt hatte, und der stumm dem bisherigen<br />
Verlauf des Spieles zugesehen hatte.<br />
„Vielleicht wollen Sie es probieren?" fragte ihn Herr Nowak.<br />
„Bitte!" meinte der Unbekannte ein wenig verlegen.<br />
Wir alle wendeten uns voll Interesse dem jungen Mann zu. Er wird ihm doch<br />
nicht ins Garn gehen?<br />
„Können Sie überhaupt spielen" fragte Herr Nowak streng den zögernden jungen<br />
Mann.<br />
„Ein wenig".<br />
„Dann können wir ja einen Hunderter machen."<br />
„Meinetwegen".<br />
Herr Nowak musterte seinen Partner und wollte anscheinend seinen Wert in<br />
punkto Zahlkräftigkeit abschätzen.<br />
„Spielen wir um 10 Kč. Nur, damit das Spiel doch einen Sinn hat . . ."<br />
Herr Nowak, der meistens die Höchstgrenze des Einsatzes bei 5 Kč beantragte,<br />
fühlte sich allzu sicher, wenn er gleich den doppelten Betrag vorschlug. Einige<br />
Herren wollten den unglücklichen Fremden warnen, aber es war bereits zu spät.<br />
„Meinetwegen", willigte er gleichgültig ein.<br />
Herr Nowak legte einen 10 Kč-Schein auf den Tisch und grinste den fremden<br />
Jüngling an:<br />
„Erlegen wir auf jeden Fall den Einsatz, nur der Ordnung halber ..."<br />
Der junge Mann legte seine 10 Kč neben das Geld des Herrn Nowak, trat dann zu<br />
dem Queue-Ständer und entnahm diesem aufs Geradewohl einen Billardstock. Er<br />
wog ihn weder in der Hand, noch musterte oder untersuchte er ihn. Er wählte<br />
ganz einfach blindlings, wie ein echter Anfänger, den erstbesten Billardstock. In<br />
den Mundwinkeln des Herrn Nowak erschien ein höhnisches Lächeln. Vielleicht<br />
war dies sogar der Grund, daß er mit einer bei ihm ganz ungewohnten<br />
Zuvorkommenheit auf den Tisch deutete:<br />
„Bitte, Sie haben den Vortritt".<br />
Was jetzt folgte, mutete fast wie ein Märchen an. Um mit dem Ende zu beginnen:<br />
Der junge Mann machte in einem Zug die Serie voll. Nach der Anfangsaufstellung<br />
folgte eine derartig blendende Serie von Hoch- und Tiefstößen, Ziehern,<br />
Rückziehern, Effet-, Kontereffet- und Massestößen, daß wir wie verzaubert den<br />
Tisch umstanden. Nach der zehnten Karambolage erklärte Herr Nowak, das Spiel<br />
sei noch nicht zu Ende, bei der zwanzigsten blickte er unruhig um sich, bei der<br />
fünfzigsten beklagte er sich, daß man gegen Professionsspieler so wenig<br />
geschützt sei. Nach der siebzigsten Karambolage setzte er sich totenbleich auf<br />
einen Stuhl und trocknete sich die Stirne.<br />
Das ganze Kaffeehaus war auf. Die Kellner vergaßen zu bedienen, alles scharte<br />
sich um den Billardtisch. Als der junge Mann auch die hundertste Karambolage<br />
gemacht hatte, stellte er den Billardstock bescheiden auf seinen Platz zurück,<br />
nahm seine 20 Kc vom Tisch, bezahlte seinen Mokka, wünschte leise „Guten<br />
Abend" und entfernte sich aus dem Lokal.<br />
Herrn Nowak sah ich seit damals nicht mehr in der alten „Post"; und der Krieg,<br />
mit seinen für uns so unglücklichen Folgen hatte auch alle anderen so treuen<br />
Stammgäste dieses traulichen Cafelokales von einander getrennt.<br />
A. D ö 11 e r, Ehningen<br />
(BHB 1952)<br />
Beim „Hradetzky"
Zu 3 F<br />
Sie waren ein trinkfreudiges und trinkfestes Völkchen, die guten Brünner.<br />
Welcher Brünner, der einem guten Tropfen edlen Gerstensaftes nicht abhold war,<br />
kannte ihn nicht, den „Hradetzky", das Bierlokal in der Liechtensteinstraße? Noch<br />
in den ersten Kriegsjahren waren seine gastlichen Pforten geöffnet und erst ein<br />
Bombentreffer schloß sie für immer. Ein geplantes Bauprojekt, das die dort<br />
zurückweichende Baulinie wieder vorrücken wollte, hätte ebenfalls sein Ende<br />
bedeutet. Ja, der „Hradetzky" war ein Begriff und hatte seinesgleichen vielleicht<br />
nur noch in Prag beim „Schenflock" oder „Fleck". Für uns Brünner war er das,<br />
was für den Münchner das Hofbräuhaus und für den Salzburger der Stiegelbräu<br />
ist.<br />
Was gab es für Bierspezialitäten beim „Hradetzky"! Jeden Tag der Woche neben<br />
den ständig ausgeschenkten Biersorten noch eine besondere: „Pschorr", „Bock",<br />
„Pilsner", Altbrünner Märzen, Lager hell und dunkel und dazu kamen zur<br />
Osterzeit noch die hochgradigen bayrischen Biere wie „Animator" und „Salvator".<br />
Ich war eigentlich schon als Knirps von 9 Jahren Stammgast beim<br />
„Hradetzky". Nicht vielleicht weil ich schon in frühester Jugend dem Alkoholteufel<br />
verfallen war, sondern weil mich die Eltern lieber mitnahmen, damit ich zu Hause<br />
kein Unheil stiften konnte.<br />
Sobald es das Wetter nur halbwegs gestattete, saß man in der geräumigen<br />
Veranda mit den vielen Marmortischen, die gegen die Straße zu mit dichten, in<br />
Kästen gezogenen Efeuranken abgeschlossen war. Besonders in den Abendstunden<br />
herrschte ein beängstigendes Gedränge. Da fanden sich die Mitglieder<br />
der einzelnen Stammtischrunden, aber auch sonstige Gäste, bewaffnet mit<br />
diversen „Nachtmahlpackerln" zu einem gemütlichen Plausch ein. Denn das war<br />
ja das Bequeme, daß sich jeder sein Nachtmahl mitbringen und gleich aus dem<br />
Papier verzehren konnte. Beim Büfett im Schankraum bekam man wohl allerhand,<br />
Liptauer, „Olmützer", Rollmopse, Würstel usw. Aber nur in Ausnahmsfällen<br />
nahm man das Büfett in Anspruch. Die Hauptsache war und blieb das Bier, das,<br />
nach der allgemeinen Ansicht sämtlicher Gäste nirgends so gut war wie beim<br />
„Hradetzky". Warum, wußte eigentlich niemand richtig zu sagen. Die einen<br />
meinten, der besonders tiefe Keller bewirke seine besondere Güte, andere<br />
wieder, weil es so gut abgelagert sei. Die Kellner waren wahre Athleten ihres<br />
Faches. Nicht selten sah man sie, 15 Krügel in jeder Hand, zwischen den Tischen<br />
durchjonglieren. Vielleicht erinnert sich noch mancher, der diese Zeilen liest, des<br />
alten Ober namens Wurst. Einst selbst Gastwirt, war er, vom Unglück verfolgt,<br />
um seinen Besitz gekommen und noch auf seine alten Tage Oberkellner beim<br />
„Hradetzky" geworden. Wieviel Krügel mag er wohl während der Jahre<br />
geschleppt haben! Abseits vom Getriebe hatte er stets ein Krügel für eigenen<br />
Gebrauch bereit gestellt, aus dem er beim Vorübergehen jedesmal einen<br />
kräftigen Schluck nahm. Es war daher kein Wunder, wenn seine Augen in vorgerückter<br />
Abendstunde schon etwas trübe wurden und er auf die Frage der<br />
Gäste: „Herr Wurst, wie geht es den kleinen Wursteln"? (gemeint waren seine<br />
Kinder) keine ganz klaren Antworten mehr gab. Wollte dann ein Gast seine Zeche<br />
begleichen, strich er das Geld ein, schüttete ihm aus seiner rückwärts<br />
baumelnden Ledertasche eine Handvoll Hartgeld auf den Tisch und meinte:<br />
„Nehmens Ihnen, was Sie raus krieg'n". Und es hat ihn nie jemand betrogen!<br />
Wehe, wenn etwa ein Zaghafter nur ein Seidel Bier verlangte! Verächtlich sah ihn<br />
dann der Ober von oben bis unten an und knurrte: „Seidel gibts bei uns kane,<br />
nur Krügel"!<br />
Für mich Knirps hatte zu jener Zeit natürlich nicht das Bier, sondern die<br />
verschiedenen Gestalten, die hier ihrem Erwerb nachgingen, hatten besondere
Anziehungskraft. Da waren zunächst die verschiedenen „Gotscheer" mit ihren<br />
Bauchladen. „Grad oder ungrad" riefen sie und hielten den Gästen ihre einmal<br />
grün gewesenen Nummernsäckchen unter die Nase, in denen sich die hölzernen<br />
Nummernplättchen befanden. Was war das für ein aufregender Moment, wenn<br />
man einige Nummern ziehen durfte, gewann, und sich aus den vielen süßen<br />
Herrlichkeiten etwas auswählen konnte! Manche dieser „Gotscheer" hatten<br />
hauptsächlich Galanterie- und Schmiedewaren zum feilbieten. Wer sie kannte<br />
wußte, daß man ihnen nie das geben durfte, was sie verlangten, weil es meist<br />
geriebene Burschen waren. Nicht mindere Anziehungskraft besaß der<br />
Mandolettimann, der mit seiner Tasse, auf der er die auf Holzstäbchen<br />
aufgespießten kandierten Früchte, wie Mandeln, Marillen, Nüsse, Weintrauben,<br />
Datteln usw. aufgehäuft hatte, zwischen den Tischreihen hindurchbalanzierte.<br />
Auch mancher Exote, z. B. ein Japaner, der aus Stein gearbeitete Aschenbecher<br />
und Vasen mit merkwürdigen Tieren feilbot, vergaß nicht, dieses Lokal mit<br />
seinem Besuch zu beehren, ebenso wie ein kleiner Chinese mit phantastischen<br />
bunten Papierfächern, die durch leichtes Schütteln allerhand Formen annahmen,<br />
oder der Mann mit den Patent-, Hosen- und Kragenknöpfen, ferner die<br />
Blumenfrau und der alte invalide Artist mit seinen beiden dressierten Hunden, die<br />
allerhand Kunststücke vollführten. Sie alle fanden hier ein dankbares Publikum,<br />
das manche Krone springen ließ.<br />
Ja, die Brünner fühlten sich hier wohl bei ihrem Dämmerschoppen, besonders<br />
wenn die Juli- und Augusthitze in den Straßen brütete und das Bier so schön<br />
kühlend durch die Gurgel rann. Wie sollte es denn nicht kühl sein an einem Ort,<br />
der von innen und von außen gekühlt wurde! Von innen kühlte sich der Gast mit<br />
dem frischen Bier, von außen wurde die Veranda, die ein Glasdach besaß, durch<br />
Berieseln mit Wasser gekühlt. Beschwören kann ich es zwar nicht, daß das Dach<br />
wirklich eine Wasserspülung besaß, aber nach unbestätigten Gerüchten soll es so<br />
gewesen sein.<br />
Nicht minder lebhaft ging es im Schankraum zu, hinter dessen langem<br />
Schanktisch der wohlbeleibte Kellermeister seines Amtes waltete. An der Kassa,<br />
einem kleinen Holzkäflg, kauften sowohl Kellner als auch Gäste die nur auf ein<br />
Stehbier gekommen waren (aus dem oft mehrere wurden) die Marken, gegen<br />
deren Abgabe sie das Bier eingeschenkt erhielten. An dieser Kassa hing auch<br />
unter Glas und Rahmen ein Bild, einen Ortspolizisten mit der Trommel darstellend<br />
und darunter folgenden Text: „Es wird hiemit kund und zu wissen getan,<br />
daß das Hineinspucken in den Ortsbach ab Dienstag bei Strafe verboten ist, weil<br />
der Bürgermeister am Donnerstag Bier brauen will".<br />
Spielte sich das feuchtfröhliche Leben und Treiben während der schönen<br />
Jahreszeit hauptsächlich in der Veranda ab, bevölkerten sich im Winter die<br />
Bierstuben hinter dem Schankraum und im ersten Stock mit durstigen Seelen. Es<br />
waren richtige Stuben, ziemlich kahl und nüchtern, vor dem ersten Weltkrieg<br />
noch mit melancholischem Gaslicht erleuchtet. Hinter dem Schankraum gab es<br />
noch so allerhand diskrete Zimmerchen und Logen, wo man ungestört dem Gott<br />
Bacchus opfern konnte und ganz rückwärts befand sich das „Lurloch", ein<br />
ziemlich kleiner Raum, der ehemals, wenn man den Erzählungen alter Brünner<br />
glauben darf, das Beinhaus gewesen sein sollte, als nämlich die benachbarte<br />
Jakobskirche von einem Friedhof umgeben war. Jedenfalls lief manchem Gast bei<br />
diesem Bewußtsein ein heimliches Gruseln über den Rücken, das er dann rasch<br />
mit einem tiefen Zug verscheuchte. Es gab auch böswillige Zungen, die<br />
behaupteten, daß gewisse Örtlichkeiten, die hier weniger denn je fehlen durften,<br />
einen besonders penetranten Geruch verbreiteten. Das waren aber wie gesagt<br />
Verleumdungen.<br />
Der „Hradetzki" war aber nicht nur ein gemütliches, sondern auch ein solides
Lokal! Um 10 Uhr abends wurden unbarmherzig die Sessel umgekehrt auf die<br />
Tische gestellt, unbekümmert darum, daß so manche fröhliche Zecher ihre Sitzungen<br />
länger ausdehnen wollten. Spätestens aber um ½ 11 Uhr schlossen sich<br />
unweigerlich die gastlichen Pforten, um sich erst früh wieder zu öffnen.<br />
Längst verstummt ist das fröhliche Gläserklingen, versiegt der sprudelnde Quell<br />
des edlen Gerstensaftes, die Gäste sind in alle Welt zerstoben. Im Herzen so<br />
manchen Brüners aber hat neben vielen anderen lieben Erinnerungen, auch der<br />
„Hradetzky" ein bescheidenes Plätzchen.<br />
Erwin Schneider (BHB 1952)<br />
Eine Brünner Gastwirte-Tradition lebt wieder auf Zu<br />
3 F<br />
Von Hans Michalke<br />
Ja, Tradition ist wohl das richtige Wort, denn wenn ich mich in meiner Familie<br />
umsehe, ist alles verbunden mit Gastlichkeit der alten und jungen Zeit in Brünn.<br />
Und davon möchte ich etwas erzählen:<br />
Schon meine Großeltern hatten in der Rennergasse eine Weinstube neben der<br />
„Großen Maß" und es ist bezeichnend für den Geist dieser guten alten Zeit, daß<br />
ein friedliches Nebeneinander mit streng abgegrenzten Interessen möglich war,<br />
denn wollte ein Gast meiner Vorfahren ein Bier, so holte man dieses nebenan,<br />
während umgekehrt der Wein für die Gäste der „Großen Maß" in Pollaks<br />
Weinstube besorgt wurde. Auch die Eltern meines Schwagers Geitner werden<br />
vielen älteren Brünnern durch ihre Tätigkeit als Pächter der Bahnhofsgaststätte<br />
und des Restaurants im Hotel Padowetz bekannt sein, während sie später im<br />
eigenen Hause in der Jesuitengasse eine gutrenommierte Gastwirtschaft<br />
betrieben. Der Bruder meines Schwagers war lange Jahre Geschäftsführer des<br />
weltbekannten Hotels „Karrersee" und nachdem dieses einem Brande zum Opfer<br />
fiel, bewirtschaftete er mit seiner Schwester Käthe die Bahnhofswirtschaft in<br />
Bleiburg/Kämten. Der Bruder meiner Mutter hatte u. a. das „Rebhuhn" inne, im<br />
Gebäude der freiwilligen Feuerwehr, während die Eltern meiner Frau eine<br />
Gastwirtschaft in der Falkensteinergasse betrieben. Meine Eltern werden sicher<br />
allen noch lebenden Brünnem in Erinnerung sein, als sie in der Ferdinandgasse<br />
gegenüber der Konditorei Krinninger eine Gaststätte mit gutem Ruf führten. Oft<br />
erzählte mir meine Mutter Begebenheiten aus dieser Zeit, u. a. auch vom alten<br />
Slezak, dem Vater des Kammersängers und weltberühmten Tenors, der zu den<br />
Stammgästen gehörte. Er wollte es immer nicht zulassen, daß „sein Bub" zum<br />
Theater gehen sollte, und wie es nur der herzensguten Mutter zu verdanken war,<br />
daß „Leo" heimlich ausgebildet wurde. Der alte Slezak taufte in seiner launigen<br />
Art, die sicher auf seinen Sohn als Erbgut übergegangen ist, das Gasthaus<br />
meiner Eltern „zum blechernen Pferd".<br />
Auch von einer anderen sensationellen Begebenheit, die sich in der Gastwirtschaft<br />
meiner Eltern zutrug, wußte meine Mutter zu berichten. Einem<br />
Stammgast wurde von der Verkäuferin eines Tabakladens ein Gewinnrecht auf<br />
ein Wiener Kommunallos angetragen und da er sich nicht zum Kaufe entschließen<br />
konnte, bat sie: „Ach, kaufen Sie doch diese letzte Promesse, übermorgen ist<br />
Ziehung, Sie werden bestimmt Glück haben. Dieser Bitte wollte er sich nicht<br />
verschließen, forderte aber seinen Stammtisch zur Beteiligung an dem<br />
„versprochenen Glück" auf, da ihm die Ausgabe von 30 Kronen allein zu hoch<br />
war. Am 30. Juni 1903 fand die Ziehung statt mit dem Erfolg, daß auf dieses Los<br />
der damals schier unvorstellbare Betrag von 300 000 Gulden ö. W. fiel. Was sich<br />
damals an überströmender Freude tat und wieviel Räusche es gab, kann kaum
wiedergegeben werden, es gab doch für jeden 10 000 Gulden.<br />
Kurz nach diesem Glücksfall übernahmen meine Eltern das Geschäft meines<br />
Großvaters in Iglau, aber die Enge der Kleinstadt veranlaßte meinen Vater, sich<br />
wieder nach Brünn zu wenden. Hier ließ er nach seinen Angaben in den neuen<br />
Häusern in der Bischofsgasse den Domkeller einbauen, der am 1. 11. 1908<br />
eröffnet wurde. Studentenkommerse und eine besonders rege Geschäftigkeit zur<br />
Firmungszeit sind mir in guter Erinnerung. Im Jahre 1913 übernahmen meine<br />
Eltern schließlich die Gaststätte und Weinstube im Mamlassenhaus am Freiheitsplatz,<br />
die ich nach dem Tode meines Vaters weiterführte.<br />
Ich freue mich, daß es mir nach Überwindung großer Schwierigkeiten und dank<br />
des Verständnisses der maßgebenden Stellen möglich war, die Tradition meiner<br />
Familie fortzusetzen und damit den guten Klang der Brünner Gastlichkeit auch in<br />
der neuen Heimat Geltung zu geben.