Abendprogramm 6. September 2012 - Berliner Festspiele
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<strong>6.</strong> <strong>September</strong><br />
ChArlES ivES<br />
Das Schaffen von Charles Ives (1874–1954), einem der großen Pioniere<br />
der Neuen Musik, ist unter ungewöhnlichen Umständen entstanden.<br />
Denn anders als die meisten anderen Komponisten ging<br />
Ives höchst erfolgreich einem Beruf nach, der überhaupt nichts mit<br />
Musik zu tun hatte, und komponierte im Wesentlichen in seiner<br />
Freizeit.<br />
Charles Ives wurde am 20. Oktober 1874 in Danbury, einer etwa<br />
100 Kilometer nordöstlich von New York gelegenen Kleinstadt in<br />
Connecticut, geboren und ist damit nur wenige Wochen jünger als<br />
Arnold Schönberg. Seinen Musikunterricht erhielt er vom Vater, der<br />
eine besondere Ader für ungewöhnliche musikalische Experimente<br />
hatte und damit prägenden Einfluss auf die Entwicklung seines Sohnes<br />
nahm. Schon mit 14 Jahren konnte sich Ives als Organist der örtlichen<br />
Gemeinde betätigen. Als Heranwachsender empfing Ives vielfältige<br />
musikalische Eindrücke von den Hymnen des Gottesdienstes<br />
über die verbreiteten Lieder Stephen Fosters bis zu Militärmärschen<br />
und allerlei populärer Unterhaltungsmusik, die tiefe Spuren in seinem<br />
späteren Schaffen hinterlassen haben.<br />
Von 1894 an belegte Ives das Studium generale an der Yale Universität,<br />
wobei er bei dem klassizistisch orientierten Horatio Parker<br />
auch Kompositionsunterricht erhielt. Nach der Beendigung seines<br />
Studiums war Ives unschlüssig über seine Zukunft und nahm 1899<br />
eine Stelle in einer New Yorker Lebensversicherung an. Er blieb daneben<br />
aber weiter als Organist an großen New Yorker Kirchen tätig. Im<br />
Frühjahr 1902 entschloss er sich jedoch dazu, alle kirchenmusikalischen<br />
Dienste aufzugeben, um mehr Zeit zum freien Schaffen zu haben.<br />
Als sich ihm 1907 die Chance bot, zusammen mit einem Kollegen<br />
eine eigene Versicherungsagentur zu gründen, griff Ives zu.<br />
Nach desaströsem Beginn entwickelte sich diese Agentur zu einer der<br />
erfolgreichsten Versicherungen der Ostküste und verhalf Ives im<br />
Laufe der Zeit zu erheblichem Wohlstand.<br />
Trotz der Anstrengungen, die der Aufbau der Versicherung mit<br />
sich brachte, und obwohl Ives künstlerisch vollständig isoliert war,<br />
entstand von 1908 an der wichtigste Teil seines seiner Zeit weit vorausgreifenden<br />
Schaffens. Ein wesentliches Charakteristikum seines<br />
Stils ist das Zusammenfügen von verschiedenartigen Elementen –<br />
das können Melodiefragmente, aber auch ganze Tonsätze sein –, deren<br />
Eigengesetzlichkeit strikt gewahrt bleibt. Daraus kann sich die<br />
Gleichzeitigkeit und auch der Zusammenprall verschiedener Tonarten,<br />
Rhythmen, Taktarten, ja sogar Tempi ergeben, so dass in einigen<br />
Werken für einzelne Klanggruppen zusätzliche Dirigenten be-<br />
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Musikfest Berlin <strong>2012</strong><br />
nötigt werden. Einer Reihe von Sätzen, zu denen auch seine<br />
eindrucksvollsten Kompositionen gehören, liegt ein schlagend einfaches<br />
Modell zugrunde. Ausgehend von einem leisen Hintergrund<br />
verdichtet sich der Tonsatz allmählich, bis schließlich Klanggebilde<br />
übereinander getürmt sind, bei denen das Auseinanderhalten einzelner<br />
Schichten unmöglich ist und der Klang eine nahezu körperliche<br />
Materialität erhält.<br />
Ende 1918 forderte die Doppelbelastung als Unternehmer und<br />
Künstler seinen Tribut und Ives erlitt einen gesundheitlichen Zusammenbruch.<br />
In den folgenden Jahren komponierte er nur wenig,<br />
1927 gab er das Komponieren schließlich ganz auf. Dafür begann Ives<br />
nun, mit seinen Werken an die Öffentlichkeit zu gehen. Anfangs ließ<br />
er einzelne Stücke im Selbstverlag erscheinen, erste Aufführungen<br />
folgten und allmählich stellte sich wachsende Anerkennung ein.<br />
1947 schließlich konnte der lange verstummte Komponist, der sich<br />
1930 aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte, den Pulitzer<br />
Preis für seine 36 Jahre zuvor beendete 3. Symphonie entgegennehmen.<br />
Er starb wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag, am 19. Mai<br />
1954.<br />
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