Grammatikalisierungsprozesse in Pidgin- und Kreolsprachen
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Ganz ähnliche Prozesse wie beim Paarungsritual zwischen Tanzfliegenmännchen <strong>und</strong><br />
-weibchen lassen sich auch <strong>in</strong> der Sprache beobachten. He<strong>in</strong>e greift auf e<strong>in</strong> Beispiel von<br />
Brophy <strong>und</strong> Partridge (1931: 16 ff.) zurück. In diesem Beispiel wird von der Entwicklung des<br />
englischen fuck berichtet. Fuck diente ursprünglich dazu, Gefühle sprachlich zu verstärken.<br />
Im Laufe der Zeit hat sich dieser Ausdruck jedoch dermaßen stark e<strong>in</strong>gebürgert, dass er <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Großteil aller Äußerungen zu hören war. Im weiteren Verlauf der Entwicklung hat das<br />
Ohr diesen Ausdruck praktisch gar nicht mehr richtig wahrgenommen, nur noch das von ihm<br />
spezifizierte Substantiv oder Adjektiv wurde <strong>in</strong>terpretiert. Die Ironie der ganzen Entwicklung<br />
wird anhand e<strong>in</strong>er Konsequenz dieser Entwicklung deutlich. Die Soldaten wurden früher (<strong>und</strong><br />
werden es noch heute) <strong>in</strong> den täglichen Drills durch ihre Vorgesetzten so oft mit dem<br />
Ausdruck fuck konfrontiert, dass er praktisch aus den Äußerungen der Vorgesetzten gar nicht<br />
mehr wegzudenken war. Die Aussage "Get your fuck<strong>in</strong>g rifles!" war somit so stark ritualisiert,<br />
dass nunmehr das Weglassen des Verstärkers "Get your rifles!" für den Soldaten e<strong>in</strong><br />
deutliches Anzeichen für Gefahr war.<br />
Die beiden Entwicklungen weisen Parallelen auf. Es handelt sich bei beiden um<br />
Ritualisierungsprozesse. Ausgangspunkt für die jeweiligen Prozesse ist e<strong>in</strong> konkreter Akt (die<br />
Übergabe des Hochzeitsgeschenks / die Nutzung von fuck als Gefühlsverstärker). Durch<br />
frequente Wiederholung des Aktes wurde dieser habitualisiert. Zeitgleich mit dieser<br />
Habitualisierung f<strong>in</strong>det aufgr<strong>und</strong> der hohen Frequenz e<strong>in</strong>e Bedeutungsentleerung des<br />
ursprünglichen Aktes statt. Die Übergabe des Hochzeitsgeschenkes hat nicht mehr, wie<br />
ursprünglich, den Zweck, dass Weibchen während des Paarungsaktes abzulenken. Vielmehr<br />
dient es nun nur noch als Signal zur Paarungsbereitschaft. Selbiges können wir im Falle von<br />
fuck beobachten. Wurde fuck ursprünglich dazu verwendet, Gefühle oder Ausdrücke zu<br />
verstärken, kann die habitualisierte Variante diese Funktion nicht mehr übernehmen. Sie<br />
sche<strong>in</strong>t nur noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Rolle im Diskurs zu spielen 7 .<br />
Für Haiman entspricht die Habitualisierung der eigentlichen Grammatikalisierung. Die<br />
Ritualisierung dient für ihn mehr als Oberbegriff für jede Form von Wandel, die durch<br />
häufige Wiederholungen entsteht. Frequenz ist somit e<strong>in</strong> wichtiges <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legendes<br />
Faktum für Grammatikalisierung.<br />
3.3.2 Vom Konkreten zum Abstrakten (He<strong>in</strong>e et al. 1991)<br />
Auch He<strong>in</strong>e et al. betrachten den Prozess der Grammatikalisierung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Tiefe. Leitfragen<br />
ihrer Untersuchung s<strong>in</strong>d:<br />
a) Gibt es e<strong>in</strong>e bestimmte Menge von Entitäten, die immer wieder Quelle für<br />
<strong>Grammatikalisierungsprozesse</strong> ist?<br />
b) Wenn ja, aus welchen Elementen besteht diese Menge?<br />
c) Welches Verhältnis besteht zwischen dem Input (dem lexikalischen Element)<br />
<strong>und</strong> dem Output (dem daraus entstandenen Grammem) im Verlaufe des<br />
<strong>Grammatikalisierungsprozesse</strong>s?<br />
Am Beispiel e<strong>in</strong>iger afrikanischer Sprachen zeigen die Autoren, dass bei<br />
<strong>Grammatikalisierungsprozesse</strong>n universell die Tendenz zu beobachten ist, dass sich konkrete<br />
Objekte, Prozesse oder Orte (das heißt Entitäten, die wie mit unseren S<strong>in</strong>nen wahrnehmen<br />
7<br />
E<strong>in</strong>e ähnliche Entwicklung ist im Falle der Entwicklung der deutschen Konjunktion weil zum Diskurspartikel<br />
zu beobachten (vgl. Gohl / Günther)<br />
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