178 lZ. Psycho!. Bd. 162 Heft 3-4 (1958)<strong>Die</strong> Erscheinungen und Prozesse, die zum "Inhalt" des BewuBtseinsgehoren, d. h. seine sinnlichen Elemente, charakterisieren nicht - undkonnen das auch nicht - die eigentliche Auffassung des Gegenstandes.,;Derjenige, der sich mit der Absicht triigt, die Auffassung und den Gedankenumfassend zu charakterisieren, und zu diesem Zwecke die darinenthaltenen Empfindungen und Abbilder beobachtet, wurde einemMenschen ahneln, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Wesen des Geldeseinzig und allein an Rand des Stoffes zu ergriinden, aus dem es hergestelltist", schrieb bereits MESSER.So wurde es als unumstolslich anerkannt,daf das Verstiindnis, das Erkennen eines Gegenstandes nichtauf die Empfindungen, die sinnlichen Abbilder zuriickzufiihren ist, diehierbei entstehen, und daB dieser ProzeB zwar dem Begriff, der Bedeutungentspricht, aber durchaus nicht den sinnlichen Elementen desBewuBtseins. Andererseits wurde der Beweis erbracht, daf es unmogliehist, die Bedeutungen und Begriffe selbst psychologisch zu charakterisieren :"Man kann sagen", so schrieb MARBE,einer der bekanntesten Vertreterder Wiirzburger Schule, "daB es fiir den Begriff keinerlei psychologischesAquivalent gibt". Selbst dann, wenn der Begriff zum Gegenstanddes Studiums gemacht wurde, war eine Erforschung in Wirklichkeitdoch nicht moglich. Wir denken hier an die bekannte Forschungsarbeitvon J. ACH,einem Vertreter der gleichen <strong>psychologischen</strong> Schule.In seinen Forschungen gelang es ACHnachzuweisen, daB die Bildungdes Begriffes nicht eine Auswirkung jener Gesetze ist, die die Reihenfolgeder sinnlichen Abbilder bestimmen, und daB diese Gesetze den Begriffauch nicht zu erliiutern vermogen. Ein Begriff kann sich nur infolgeeines besonderen Prozesses bilden. ACHwar dariiber hinaus bestrebt zuzeigen, daf dieser ProzeB jeweils durch die Aufgabe selbst bestimmt wird,vor der ein Priifling steht. Somit nahm der Gegenstand der Forschungeine andere Gestalt an, und die Aufgabe, nicht der Begriff oder die Bedeutung,erhielt eine psychologische Charakteristik.<strong>Die</strong> Forderung, die sich unvermeidlich aus diesen SchluBfolgerungenergibt, die wiederum aus einer groBen An~ahl friiherer Arbeiten zurPsychologie des Denkens gewonnen wurden, bestand darin, in del'<strong>psychologischen</strong> Forschung die Lehre von der Einheit zwischen Wort undBedeutung durchzusetzen. Doch gerade der Versuch del' Psychologen derWiirzburger Schule, das Wort zu "entkleiden" und unmittelbar zum Begriff,zur Idee vorzudringen, wirkte sich auf die psychologische Forschungverhiingnisvoll aus. Ein Wort - das ist keine "Riille"; ein Wort ruft unsseine Bedeutung keineswegs so ins Gediichtnis, wie es der Mantel einesBekannten tut, der uns sofort an diesen Menschen erinnert; das Wort
A. N. LEONTJEW U. A. R. LURIA, Psychol, Anschauungen WYGOTSKIS 179ist untrennbar mit der Bedeutung verbunden, die Bedeutung untrennbarmit dem Wort. <strong>Die</strong> psychologische Bedeutung studieren, heiBt, das Wortim Hinblick auf seine Funktion, seine Verwendung im ProzeB der Verallgemeinerungzu untersuchen. Das waren die ersten Voraussetzungender von WYGOTSKIbegonnenen experimentellen Forschungen im Hinblickauf die Entwicklung der Begriffsbildung. Der Weg dieser Forschungenwurde durch die Gedanken WYGOTSKISbestimmt.<strong>Die</strong> einzelnen Bedeutungen unterscheiden sich vor allem durch denobjektiven Inhalt voneinander, der in ihnen verallgemeinert ist. Dochin psychologischer Hinsicht ist noch etwas anderes wesentlich, namlich,daB der auf verschiedene Art verallgemeinerte Inhalt fur seine Widerspiegelungim BewuBtsein auch verschiedener psychischer Prozesse, verschiedenergeistiger Operationen bedarf. Hierbei kann, je nach dem Aufbaudes entsprechenden Systems der Prozesse, ein und derselbe objektiveInhalt auf verschiedene Art, auf verschiedenen Verallgemeinerungsstufen,verstanden werden.So sind beispielsweise fur die Entstehung solcher Bedeutungen wie"wollig" und "rauh" lediglich elementare Prozesse erforderlich, die mitder Hervorhebung und sinnlichen Verallgemeinerung der entsprechendenEigenschaften in Verbindung stehen. Anders verhalt es sich mit den abstraktenBedeutungen wie "mittelbar" und "funktional"; hier sindzweifellos die komplizierten Prozesse der logischen Verarbeitung des entsprechendenInhalts erforderlich, der sich in diesen Bedeutungen widerspiegelt.Will man also die Bedeutung eines Wortes untersuchen, so muB manjenes System von Prozessen studieren, das durch den Gebrauch des jeweiligenWortes, das einen objektiven, in seiner Bedeutung verallgemeinertwidergespiegelten Inhalt vermittelt, zu wahrem Leben erwecktwird. Auf diese Weise laBt sich eine falsche Gegenuberstellung del'"Objekte" und der "Inhalte" des BewuBtseins, seiner "Funktionen"und "Erscheinungen" grundsatzlich vermeiden.<strong>Die</strong> Versuche L. S. SACHAROWS, eines der Schuler WYGOTSKIS,diespater von WYGOTSKIselbst fortgefuhrt wurden, sollten die Funktionendes Wortes bei der Begriffsbildung bloBlegen. Dadurch verlief die ForschungWYGOTSKISdiametral zu jenem Weg, den ACHbeschritten hatte.ACHsah in der Aufgabe, dem Ziel, das die "determinierende Tendenz"hervorbrachte, den Verlauf des Prozesses bestimmenden Hauptfaktor.Fur WYGOTSKIbestand umgekehrt das Hauptproblem darin, diegeistigen Prozesse selbst, die zur Bildung einer Verallgemeinerungfiihrten, zu studieren.
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