170 Z. Psycho!. Ed. 162 Heft 3-4 (1958)formen seine Psyche. Darum hat WYGOTSKIseine psychologische Konzeptionzuerst als kulturhistorische Theorie von der Psyche bezeichnet,die er sowohl der idealistischen Auffassung von den psychischen Prozessenals inneren ursprunglichen Merkmalen der Psyche als auch den naturalistischenKonzeptionen gegeniiberstellt, die zwischen dem Verhaltendes Tieres und der psychischen Tabigkeit des Menschen keinen wesentlichenUnterschied sahen. <strong>Die</strong>se Entwicklungstheorie der psychischenProzesse WYGOTSKISweist eine Reihe ernsthafter Mangel auf, diewiederum mit der ungeniigenden Beriicksichtigung der formenden Rolleder praktischen 'I'atigkeit des Menschen bei der Entwicklung des BewuBtseinszusammenhangen. Sie stellt die ihrem Charakter nach gesellschaftlichenFormen der bewuBten 'I'atigkeit den anderen, gewissermaBen"natiirlich entstandenen" psychischen Prozessen in krasser Formgegeniiber. Dennoch bedeutete diese Entwicklungstheorie in jener Zeiteinen wichtigen Schritt vorwarts und spielte ihrerseits eine positiveRolle bei der Entstehung der materialistischen Lehre von der psychischen'I'atigkeit des Menschen.Bei seinem Bestreben, jene Formen der psychischen Tatigkeit zuanalysieren, die im historischen EntwicklungsprozeB des Menschen entstandensind, richtete WYGOTSKIsein besonderes Augenmerk auf jeneRolle, die die Benutzung von Werkzeugen im Kampf mit der auBerenNatur und die Verwendung von Hilfsmitteln (vor allem der Sprache) imVerkehr der Menschen untereinander spielte. Alle diese Mittel betrachteteWYGOTSKInicht nur als bei der gesellschaftlichen Entwicklung entstandeneMittel, die das Verhaltnis zur Wirklichkeit erkennen lassen,nicht nur als komplizierte Formen der Widerspiegelung der aulierenWelt, sondern gleichzeitig als grundlegende Methode zur Erwerbungjener psychischen Ablaufe, die einen entscheidenden EinfluB auf dieEntwicklung der psychischen 'I'a.tigkeit des Menschen ausiiben.<strong>Die</strong>se eigenartigen Werkzeuge der psychischen 'I'atigkeit des Menschenbesitzen ein sonderbares, ihnen eigenes Merkmal: sie entsprechenstets irgendeiner Erscheinung, sie haben stets eine Bedeutung. EinWort ohne Bedeutung ist im allgemeinen auch kein Wort; ein mathematisohesSymbol oder ein mnemotechnisches Zeichen, das nichts bedeutet,ist eben sinnlos. Somit hat eben alles, was die psychischen Prozessevermittelt, eine bestimmte Bedeutung, man bezeichnet es als"Symbol" (Zeichen). <strong>Die</strong>ser Terminus wird dann auch von WYGOTSKI imSinne von "Bedeutung haben" benutzt, wobei er fur ihn keinen erkenntnistheoretischen,sondern einen <strong>psychologischen</strong> Sinn besitzt.
A. N. LEONTJEW U. A. R. LURIA, Psycho!. Anschauungen WYGOTSKIS 171Der Mensch verandert, indem er sich der Hilfsmittel und Symbole bedient(er macht sich zum Beispiel einen Knoten in das Taschentuch oderschneidet eine Kerbe in einen Gegenstand, urn sich an etwas zu erinnern),zwar die auBeren Dinge, doch diese Veranderungen wirken dann wahrendder weiteren 'I'atigkeit auf seine inneren psychischen Prozesse ein. Indemer die Umwelt verandert, lernt er sein eigenes Verhalten meistern, seinepsychischen Prozesse lenken. So erklart sich auch, warum WYGOTSKIeinem seiner Bucher den bekannten Ausspruch als Epigraph voranstellte:"Natura parendo vincitur", worunter er verstanden wissenwollte: "Indem wir uns der Natur bemachtigen, bemachtigen wir unsauch unserer selbst." Und er fugte unmittelbar den Ausspruch BACONShinzu: "Nec manus, nisi intellectus, sibi permissus, multum valent: instrumentiset auxilibus res perficitur."Gerade der funktionelle Charakter der psychischen Prozesse, der es demMenschen gestattet, die Umwelt zu verandern und gleichzeitig auch seineigenes Verhalten zu meistern, verleiht seinem Betragen das Merkmaldes Vernunftbetonten und Freien und unterscheidet die bewuBte Tatigkeitgrundlegend von den elementareren Formen des psychischenLebens. <strong>Die</strong> psychologische Behandlung des Problems des BewuBtseinsmuB also mit dem Studiumder Entwicklungsgesetze der hoheren vermitteltenpsychischen Prozesse beginnen. Den theoretischen Wert diesesWeges in der Psychologie sah WYGOTSKIin der - wie es damalsschien - neuerkannten Moglichkeit, in der konkreten Forschung mitder Vorstellung vom BewuBtsein als einer in sich geschlossenen besonderengeistigen Gegebenheit zu brechen. <strong>Die</strong>se Ansicht entsprang derAuffassung, daB das BewuBtsein als spezifisch menschliche Form derWiderspiegelung durch auliere, nicht im BewuBtsein selbst liegendeBedingungen und durch komplizierte gesellschaftliche Formen der praktischenTatigkeit entsteht. In der Tat ist ein Wort wie "Kerbholz" oder"peruanische Quina" kein nur psychologischer Begriff. Es entsteht beider Auseinandersetzung mit der Natur, in der gesellschaftlichen Praxisund ist eine Erscheinung der objektiven Wirklichkeit, die unabhangigvom individuellen BewuBtsein des Menschen existiert.<strong>Die</strong> systematischen Forschungsarbeiten, wie sie von WYGOTSKIundseinen Mitarbeitern durchgefuhrt wurden, ermoglichten es, einige allgemeineGesetzmaBigkeiten der psychischen Entwicklung des Menschenzu erkennen. <strong>Die</strong> erste bestand darin, daB die vermittelten psychischenProzesse, die fur den Menschen kennzeichnend sind, nur im Verlauf dergemeinsamen 'I'atigkeit der Menschen, der Zusammenarbeit und des Verkehrsuntereinander auftreten und auftreten konnen, Denn jedes
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