190 Z. Psycho!. Bd. 162 Heft 3-4 (1958)Es war WYGOTSKInicht vergonnt, diese letzten yon ihm formuliertenLeitsatze weiterzuentwickeln. Wir wissen nur, daB er sich in seinem Plan,der die Erweiterung der <strong>psychologischen</strong> Charakteristik der Bedeutungals "Einheit des BewuBtseins" vorsah, mit der Erforschung der Rolle desAffekts zu befassen beabsichtigte.5. <strong>Die</strong> zentrale Frage, die in Verbindung mit den letzten GedankenWYGOTSKISauftaucht, ist: Fiihrt der in diesem Gedanken bezeichneteWeg in der Tat zur Uberwindung des weiter oben genannten Widerspruchsund zu einer konsequenten Verwirklichung des Leitsatzes vomBewuBtsein als einem Produkt des menschlichen Lebens innerhalb derGesellschaft, als einer Widerspiegelung des realen menschlichen Seins tSelbstverstandlich werden die affektiven Erscheinungen - Emotionen,Gefiihle, Neigungen - .xluroh Prozesse hervorgerufen, die eine Wechselwirkungzwischen Mensch und Wirklichkeit ermoglichen ", auBerdemgeben sie AufschluB iiber den eigentlichen Sinn dieser Prozesse. Das istwohl auch der Grund, warum WYGOTSKIdas Studium der Affekte alsSchliissel zum Verstandnis der Determination des BewuBtseins durch dieLebensbedingungen und die Entwicklung des menschlichen Lebens ansah.Doch hieraus ergibt sich eine neue, diesmal kaum zu iiberwindendeSchwierigkeit. <strong>Die</strong> affektiven Prozesse hangen namlich ihrerseits davonab, wie im Kopf des Menschen dasjenige widergespiegelt wird, was dieseProzesse hervorrufen, d. h. wiederum vom System der Bedeutungen, diedas BewuBtsein bilden. Somit ist auch auf diesem Wege die Gefahr einerUnterbrechung der <strong>psychologischen</strong> Forschung "im Kreise des Bewulitseins'
A. N. LEONTJEW u. A. R. LURIA, Psycho!. Anschauungen WYGOTSKIS 191Fragen wurden weiterentwickelt, das allgemeine theoretische, methodelogischeNiveau der Forschungen ist merklich gestiegen. Deshalb wirdder Leser in den Arbeiten WYGOTSKISvieles vorfinden, was nicht demmodernen Stand und den modernen Auffassungen der sowjetischenychologie, sondern vielmehr einer zuruckliegenden Etappe entspricht.Das bezieht sich vor allem auf die allgemeine Konzeption der Entwicklungder Psychologie. Ausgehend von jenem materialistischenGrundsatz, daB die spezifischen Besonderheiten der Psyche des Menschendurch seine Lebensbedingungen in der Gesellschaft bestimmt werden unddaB die Entwicklung seiner praktischen Beziehungen zur Wirklichkeitder Entwicklung seines BewuBtseins zugrunde liegt, sagte sich Wy-GOTSKIgleichzeitig mit Recht von jenen simplen Versuchen los, das BewuBtseindes Menschen unmittelbar aus seiner praktischen Tatigkeit abzuleiten.Dagegen hat er in seiner <strong>psychologischen</strong> Theorie vom BewuBtseindie reine erkenntnismalsige Beziehung des Menschen zur Welt vondessen praktischen Beziehungen abstrahiert. Das fand auch seinenNiederschlag in der These, daB die Grundeinheit des individuellen BewuBtseinsdie Bedeutung sei, die ein rein erkenntnistheoretisches Gebilde,ein Produkt der geistigen Kultur der Gesellschaft darstelle.Deshalb ging seine allgemeine psychologische Konzeption vom BewuBtseinnicht fiber den Rahmen einer - wie sie der Verfasser selbst bezeichnete- "kulturhistorischen" Entwicklungstheorie hinaus. WichtigeUmstande blieben unberiicksichtigt, z. B. daB die Aneignung der gesellschaftlichentwickelten Vorstellungen, Begriffe und Ideen durch denMenschen ·sowie deren jeweilige Funktion innerhalb der menschlichenTatigkeit direkt von den objektiven Bedingungen und dem Inhalt desLebens, vom wirklichen Sein des Menschen abhangt. Doch der Menschverhalt sich nicht gleiohgultig gegenuber. den Vorstellungen und Begriffen,die durch die Mitmenschen in sein BewuBtsein hineingetragenwerden, <strong>Die</strong> einen bleiben fur ihn, obwohl er sie versteht, nur auBerlichwahrgenommene Begriffe und Vorstellungen und nehmen fur ihn keinea.da qu a.te und aktive Bedeutung an; andere wiederum eignet er sichmit Eifer an, sie spielen in seinem Leben eine aktive, entscheidendeRolle. Doch alles das hangt nicht einfach von den intellektuellen Moglichkeitendes Menschen ab, sondern von dem Boden, auf den diese wahrgenommenenVorstellungen und Begriffe fallen und der im praktischenLeben des Menschen selbst bereitet wird. Das letzte, d. h. die Lebenspraxisim weitesten Sinne des Wortes, ist auch das Entscheidende.Ein anderer wichtiger theoretischer Widerspruch, der den ArbeitenWYGOTSKISinnewohnt, besteht gewissermaBen in der falschen Gegen-
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