BERICHTEUnsere positiven Erfahrungen mit(verordneten) sportlichen AktivitätenIn der Sozialtherapeutischen Wohn- und Betreuungseinrichtung Walle haben wir bei vielenpsychisch schwer belasteten Jugendlichen positive Auswirkungen von (verordnetem) Fahrradfahren wie Entlastung/Spannungsabbau, Aktivierung, „Grübelstopp“ feststellen können unddabei ist die Umsetzung so einfach!TEXT: KATHARINA KNIEF FOTO: MATTHIAS HAUNIn der Sozialtherapeutischen Wohn- und Betreuungseinrichtung für psychischauffällige Jugendliche und junge Erwachsene werden bis zu achtJugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren nach Psychosen, mit Traumafolgestörungenoder starken Verhaltensauffälligkeiten betreut. Häufig habendie hier lebenden jungen Menschen Psychiatrie-Aufenthalte hinter sichund mit ihrem klinischen Krankheitsbild gehen oft Depressionen oderTrauer über verlorene Lebenschancen und -möglichkeiten einher.Die Jugendlichen bewohnen ein eigenes Zimmer auf einer Wohnetage,in der sich insgesamt drei Bewohner Bad und Küche teilen, zurweiteren Verselbstständigung stehen zwei Ein-Zimmer-Apartments zurVerfügung.Der pädagogisch-therapeutische Alltag zeichnet sich durch ein hohesMaß an Sicherheit/haltgebender Struktur aus. Das heißt Schutz undRuhe innerhalb des Hauses: Gewaltverbot mit strikten Konsequenzen,keine Täterkontakte, Wochenpläne, Regelwerk mit abgesprochenenKonsequenzen. Verständnis und Akzeptanz, sowie vor allem die verlässlicheBeziehung zu einer Bezugsbetreuerin, bilden die Basis, damit dieJugendlichen es wagen können, die Sicherheit schwieriger Verhaltensweisen,als Schutz/Kompensation bei traumatischen Lebenserfahrungenzu verstehen, aufzugeben. Viele alltägliche Verhaltensweisen, aber auchpsychische Steuerungsprozesse sind dann aber neu einzuüben. Da diesgroße Anstrengungen erfordert, müssen oft erhebliche Verstärker/Konsequenzeneingesetzt werden.Seit längerem haben wir positive Erfahrungen mit verordnetem täglichenFahrrad fahren bei vorgegebener Kilometerzahl sammeln können. ZweiJugendliche, die z.Z. keiner geregelten Beschäftigung am Vormittag nachgehenkönnen, müssen neben anderen einfachen hauswirtschaftlichenBeschäftigungen, täglich eine festgelegte Kilometerzahl abfahren (20 km)und dies anhand des Tachostandes nachweisen. Diese Maßnahme wirdsowohl in den regelmäßigen Gesprächen mit der Bezugsbetreuerin und inden Hilfeplankonferenzen ausgewertet und auch als Gradmesser für dieMotivation, unsere Hilfen anzunehmen, sowie als Voraussetzung, bei unswohnen bleiben zu können, angelegt.Die „verordnete“ Bewegung ist für die Jugendlichen, die die Schule odereine andere Beschäftigung nicht schaffen, nach oftmals innerer Überwindung,eine Leistung, auf die sie stolz sein können und die ihren Selbstwertstärkt. Gleichzeitig können sie durch die sportliche Betätigung aktive Gewohnheitenund „bewegte“ Freizeitgestaltung erlernen und einüben. Einsportliches Vereinsleben ist wegen ihrer sozialen Ängste oft noch eine zuhohe Anforderung. Die Bewegung trägt bei allen Jugendlichen, vor allembei denen mit Gewichtsproblemen, zur Gesunderhaltung bei und erfordertkein besonderes Können.Die positiven Wirkungen gegen Depressionen sind besonders hervorzuheben.Die angeordnete Aktivierung führt aus der Erstarrung,stoppt das Grübeln und ständige Kreisen der Gedanken. Die Bewegungan frischer Luft und im Licht wirkt dem kontraproduktiven Wunsch sichabzuschotten, am liebsten noch im verdunkelten Zimmer, entgegen. Amöffentlichen Leben wird zumindest durch die Begegnung mit anderenMenschen teilgenommen.Die bei uns lebenden Jugendlichen stehen oft unter hoher Anspannung,da die Bewältigung des Alltages schon erhebliche Anstrengungenerfordert. Von daher könnte das Fahrradfahren auch abends zum Spannungsabbauangeordnet werden.Aus gleichem Grunde ist nach Krisenklärungsgesprächen das Radfahrengünstig: Dabei soll die/der Jugendliche selbst Vorschläge für Konsequenzen/Wiedergutmachungenentwickeln und kann dies bei gleichzeitigerautomatisierter Bewegung entspannter als im Zimmer sitzend undweiter grübelnd.Ein Jugendlicher aus dem Haus schreibt selbst: „Das Radfahren entspanntmich und sorgt für Ausgleich. Ich habe bemerkt, dass wenn ichmeine 20 km am Tag fahre, ich den Kopf frei habe für andere Dinge, wasaber nicht heißt, dass ich in der Zeit grüble. Ansonsten ist Radfahren einehervorragende Stressbewältigung.“Schön ist, dass das initiierte Radfahren nach und nach auch als angenehmempfunden wird. Die Jugendlichen setzen ihre Radtouren z.T. auch in derFreizeit fort und wetteifern um den Stand ihres Kilometerzählers.12die <strong>Eule</strong> . Frühjahr 2008
die <strong>Eule</strong> . Frühjahr 2008BERICHTE