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FÜR IMMER PUNK JIM JARMUSCH - Intro Magazin

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070 HEUTELow LifeLuc Sante schreibt regelmäßigfür »New York ReviewOf Books«, seine literarischeSpurensuche »Low Life –Lures And Snares Of OldNew York« erschien 2003,eine deutsche Übersetzunggibt es bislang nicht. ImFokus steht die popkulturelleGeschichte der Lower EastSide 1840 bis 1920.MotownDas popbewusste Motownaus Detroit und das roughereStax Records aus Memphissind die großen Black-Music-Labels der spätenSechzigerjahre. Stichworte:Motown- und Memphis-Soul. Motown hatte SmokeyRobinson, Marvin Gayeund The Jackson Five, Staxhatte Otis Redding, IsaacHayes und die beste RhythmSection sowie die bestenBläser der Welt.Jozef van WissemMit dem minimalistischenLautenspieler Jozef vanWissem hat Jarmusch 2012»Concerning The EntranceInto Eternity« und »TheMystery Of Heaven«eingespielt. Auf dem zweitenAlbum hat Tilda Swintoneinen Gastauftritt. JimJarmusch und van Wissemtreten auch gemeinsamlive auf.In »Low Life«, einem deiner Lieblingsbücher, beschreibtLuc Sante an einer Stelle, wie er durch New York streift.Er ist auf der Suche nach Orten und Dingen, die seit 80Jahren nicht mehr existieren. Beschreibt diese Sucheauch deine Filme?Auf jeden Fall. Ich will mir die Dinge genau ansehen undnach den Gespenstern suchen, die in ihnen stecken. AlsRealist brauche ich dafür auch Sachen, die man wirklichsehen kann. Nur ein Beispiel: Adam und Eve, das Vampir-Liebespaar aus »Only Lovers Left Alive«, fahren in einerSzene durch das nächtliche Detroit. Im Hintergrund siehtman kurz den Grande Ballroom. Das ist der ehemaligeRock’n’Roll-Palast von Detroit. Heute ist er verriegelt undzerfällt langsam, bald wird er abgerissen. Wir haben ihnnoch in unserem Film, aber als Gespenst.Spielt ein Teil der Handlung wegen dieser Gespenster inDetroit?Ich habe über sieben Jahre hinweg immer wieder unterschiedlicheFassungen des Drehbuchs geschrieben. Detroitkam in jeder davon vor. Ich stamme aus Akron, Ohio bei Cleveland.Detroit hat aufgrund der örtlichen Nähe in meinerJugend eine große Rolle gespielt. Das ist eine so unfassbarwichtige Stadt; wegen der Geschichte und der Industrie,aber auch wegen der Musik. Motown, The Stooges und MC5.Heute gilt Detroit als tote Stadt.Das passte gut zu meinen Figuren. Vampire, die einen völliganderen Blick auf die Weltgeschichte haben, weil sie unsterblichsind. Dazu Detroit als Symbol für ein untergehendesAmerika. Und es geht wirklich verdammt schnell unter.Detroit wird als »nutzlos« betrachtet, weil die Industrietot ist, dabei ist die Blütezeit der Stadt keine 50 Jahre her.Es ist nicht so, als würde man nach Rom gehen und sichantike Ruinen ansehen.In Detroit spricht man von »Ruin Porn«, wenn Leutekommen, um die Ruinen zu fotografieren.Irgendwie haben wir das auch gemacht. Aber die Sachebleibt kompliziert. Detroit ist eine sehr traurige Stadt, aberauf eine seltsame Weise auch schön. Fast schon pervers.Waren die Bilder von Gespenstern die Ausgangsidee für»Only Lovers Left Alive«?Es fing auch mit den konkreten Charakteren an. Ich stellemir beim Schreiben meist die passenden Schauspieler vor.Bei Eve hatte ich gleich an Tilda Swinton gedacht. In denersten Fassungen lebte sie noch in Rom, daraus wurdeTanger in Marokko. Generell schreibe ich mir viele loseIdeen auf. Die trage ich mit mir herum, bis ich sie zu einemDrehbuch verbinden kann. Das passen wir beim Dreh denGegebenheiten an. Und beim Schneiden schmeißen wirnoch mal alles um. Ich drehe immer viel mehr Material.Ein Film sagt mir beim Schnitt, was er will und was nicht.Wie viel Jack White steckt in Adam?Schon ein bisschen. Nicht wirklich bewusst, aber trotzdem.Auch Syd Barrett. Und Hamlet. Wir zeigen im Film dasHaus, in dem Jack White aufgewachsen ist. Er hat »OnlyLovers Left Alive« noch nicht gesehen, aber ich glaube, dassihm das nichts ausmachen wird. Er lebt ja nicht mehr da.»Only Lovers Left Alive« beginnt mit »Funnel Of Love« vonWanda Jackson. Jack White hat in den letzten Jahren ihreComeback-Alben produziert. Kein Zufall, nehme ich an?Den Song will ich schon seit mindestens 25 Jahren verwenden!Als Jack dann das Album mit Wanda gemachthat, war ich so froh, dass das Stück nicht dabei war. Wirhaben für die Version im Film Details hinzugefügt, denSong verlangsamt. Aber es ist trotzdem ihre Stimme. Fürdas Soundtrack-Album mussten wir eine neue Gesangsspuraufnehmen. Das hat Madeline Follin von Cults für unsgemacht. Madeline Follin ist ziemlich jung, also habenwir ihr vorher viel Alkohol und Zigaretten gegeben, damitsie den alten Sound trifft. Es ist wirklich schön geworden.Man hört den Unterschied fast nicht.Ist es nicht merkwürdig, einen Song noch mal aufzunehmen,damit er sich so anhört wie das Original?Total! Und ihn zu verlangsamen, aber den Pitch trotzdemoben zu lassen. Und dann diese kaputten Drones drauf. Dashat viel Spaß gemacht.Denkst du darüber nach, wie deine Filme die Wahrnehmungvon Songs ändern können?Nach »Broken Flowers« wurde mir das klar. Da hatte ichviel Musik von Mulatu Astatke benutzt. Leute kamen aufmich zu und erzählten mir, dass sie ihn durch »BrokenFlowers« entdeckt hatten. Ich erwarte das eigentlich nie,aber es funktioniert ja auch nicht immer. In »Ghost Dog«verwendete ich einen Track von Killah Priest, den ich sehrliebe. In der Rap-Geschichte wird er aber noch immer nichtso anerkannt, wie er es verdient hätte.Du hast 2012 zwei eigene Alben veröffentlicht. Gehörtendie bereits zur Arbeit an »Only Lovers Left Alive« dazu?Schon irgendwie. Ich habe Jozef van Wissem damals zufälligauf der Straße getroffen. Er gab mir eine CD von sich,und die Musik hat sich richtig für meinen Film angefühlt.Deswegen ist er der Hauptkomponist des Scores, und wirsind Freunde geworden.Neben Detroit ist Tanger der zweite wichtige Schauplatzvon »Only Lovers Left Alive«. Dort lebt Eve, die andereHälfte deines Vampir-Liebespaars. Warum gerade Tanger?Tanger ist eine Stadt, die historisch gesehen zwischen allenStühlen sitzt. Der Lebensstil vieler Leute dort wirkt fastmittelalterlich. Gleichzeitig sind sie von modernen Dingenumgeben. Viele Kulturen haben in Tanger ihre Spurenhinterlassen. Jemand hat mal gesagt, dass Tanger wie einealte Hure ist, die jeder schon hatte, aber die trotzdem immersie selbst geblieben ist. Die Stadt ist das Tor zwischenAfrika und Europa. Es hat dort immer Christen und Judengegeben, aber Tanger ist islamisch, vor allem Sufi. Tangerhat keine Alkoholkultur, sondern eine Haschischkultur.Das gefällt mir sehr.Künstler wie der Beat-Schriftsteller William S. Burroughssowie der erste und früh verstorbene Rolling-Stones-Gitarrist Brian Jones haben dort gelebt.Die Stadt zieht Weirdos an und empfängt sie mit offenenArmen. Auf vielen Motorrädern habe ich Aufkleber vondiesem Zungen-Logo der Rolling Stones gesehen. Die Stonesmögen Tanger, also mag Tanger die Stones. Man wird dortsehr schnell akzeptiert. Und die Sprachen dort! Viele Straßenhändlerkönnen weder lesen noch schreiben, nicht malArabisch. Aber sie sprechen trotzdem fünf Sprachen! Sprachefließt durch die Straßen Tangers wie ein Fluss.Kennst du Simon Reynolds’ Buch »Retromania«, in demer sagt, dass unsere Kultur zu sehr an dem ganzen Zeugvon gestern hängt und wir uns davon befreien müssen?Damit kann ich nichts anfangen. Ich mag es aber, wennSachen neu erfunden werden. So, wie Sex Pistols, Ramones,The Stooges es gemacht haben. Aber deswegen schmeiße ichdas andere Zeug doch nicht weg! Ich liebe englische Musikaus dem 16. Jahrhundert – Henry Lawes und Thomas Tallisund Henry Purcell. Ich will nicht, dass mir das jemand wegnimmt.Das ist nicht fair. Ich will das Alte und das Neue. Ichmag keine Hierarchien. Ich lese Krimis und ich lese Dante.Geht es in »Only Lovers Left Alive« auch darum, dass dieGeschichte den Blickwinkel auf bestimmte Dinge und

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