076 HEUTE»Inside Llewyn Davis« ist weder ein reiner Film überdie New Yorker Künstlerszene im wildesten Jahrzehnt desKalten Kriegs noch eine romantisch-nostalgische Sixties-Rückschau. Selbst wenn Kulissen, Atmosphäre und Kostümedas hergeben würden. Die Ausstattung ist wundervoll, umnicht zu sagen: authentisch. Es gehe »um die in jenen Jahrenheranwachsende Kulturindustrie«, so Joel Coen, und nochviel mehr um die Zerrissenheit ihrer Protagonisten. Einedauernde Zerreißprobe, der die Coens auch nicht entfliehenkönnen, wie sie zugeben. »Was wir machen, ist schließlichkein Hobby. Filmemachen ist unser Beruf.« Wobei sie, soEthan, das Glück hätten, einen etwas abgeklärteren Blickauf Llewyns Innenleben werfen zu können als er selbst. Undauf das eigene wohl auch.»Inside« Llewyn Davis sieht es so aus: Der Musiker ist einehemaliger Arbeiter, war einige Zeit bei der Handelsmarine.Musik ist für ihn womöglich der einzige Weg, seine Gefühleauszudrücken. Vor allem aber ist Musik nach dem Verlassender Handelsmarine sein Job, den er neuerdings alleineverrichten muss, weil sein Partner gestorben ist. Eine Tatsache,die man seinen Versuchen anmerkt, bei Plattenfirmenunterzukommen. Das gewisse Etwas fehlt. Llewyn Davis’erstes Soloalbum verkauft sich schlecht. Warum also sollteer nicht wieder zur See fahren? Gute Frage.Beinahe selbstverständlich plagen Llewyn Davis zeitloseProbleme: Eine Wohnung kann er sich nicht leisten. Malnächtigt er bei den Akademikern Mitch und Lillian Gorfeinauf der Upper West Side, dann schläft er bei Freunden ausdem Village: Jim Berkey, gespielt von Justin Timberlake, unddessen Frau Jean, in deren Rolle Carey Mulligan zu sehenist. Zu Beginn des Films schlüpft die Katze der Gorfeins mitLlewyn Davis zur Tür hinaus. Sie begleitet den Musiker querdurch New York bis zu seinem Sofaplatz im Village. Dorterwartet ihn eine Unterhaltung mit Jean: Sie ist schwanger.Aber von wem? Noch so eine gute Frage.Man muss Oscar Isaac ein Kompliment dafür machen, wieer Llewyn Davis’ zur Schau gestellten Trotz mit grimmigerResignation verkörpert. Der zottelige Beatnik-Look stehtihm auch ganz gut. Die Katze ist derweil nicht nur ein roterFaden für die Filmemacher. Joel und Ethan Coen räumenein, dass sie durchaus das Unbewusste des Antihelden symbolisierenkönnte. Deutungssache, aber es passt: Der egozentrischeStreuner will sich nicht einsperren lassen, bleibt»Tatsächlich habenwir etliche Versucheunternommen, LlewynDavis mit einem Musikerzu besetzen. Das istallerDinGs Gescheitert,weil Musiker einfach somiese Schauspieler sinD.«Joel Coenauf der Flucht und ist doch immer in Llewyn Davis’ Nähe.Sogar auf dem Weg nach Chicago, wo Llewyn Davis bei BudGrossman vorspielt, begleitet ihn die Katze. Die Handlungentwickelt sich zum Roadmovie. Bald erfahren wir auchden Namen der Katze: Odysseus. Schon einmal haben dieCoens der Musik eine ähnliche Bedeutung eingeräumt. Mehrnoch war auch die Blues-gesättigte Südstaaten-Geschichte»O Brother, Where Art Thou?« (2000) an Homers »Odyssee«angelehnt. Bestimmt kein Zufall.Ihren ersten größeren Publikums- und Kritikererfolg feiertendie Brüder 1991 mit »Barton Fink«. Damals gewannensie in Cannes die Goldene Palme für den besten Film. JohnTurturro, der vor 15 Jahren auch im All-Time-Coen-Klassiker»The Big Lebowski« als Bowling-Styler Jesus auftrumpfte,spielt darin einen Drehbuchautor, der vom Broadway nachHollywood kommt. Dieser Barton Fink wird von einerSchreibsperre geplagt, als er das Skript zu einem Genre-Film
HEUTE 077realisieren soll. Die Szene, in der Llewyn am Schreibtischim Büro des kleinen New Yorker Plattenlabels Legacy Recordssitzt und um seine Bezahlung feilscht, erinnert nichtnur an Barton Fink im Office eines wichtigen Hollywood-Produzenten. Mächtige Männer hinter Schreibtischen – siekommen in fast jedem Coen-Film vor.Darauf angesprochen, zucken Joel und Ethan Coen synchronmit den Schultern. Nach der Bemerkung, Schreibtischeseien für sie vielleicht das, was Türen für den RegisseurMichael Haneke (»Funny Games«) sind, wiewohl Haneke im<strong>Intro</strong>-Interview behauptet hat, nicht besonders auf Türenzu achten, möchte Ethan Coen aber wissen, ob der österreichischeKollege beim zitierten Gespräch einen schwarzenRollkragenpullover getragen habe. – Möglich. »Ich habedir doch gesagt«, wendet sich Ethan plötzlich an seinenBruder, »dass er einen ganzen Haufen davon besitzt!« Alshätten die Coens Michael Haneke schon öfter im schwarzenRollkragenpullover angetroffen und ausgiebig diskutiert, obes stets ein und derselbe Rolli sei.Eine wahrhaft brüderliche Szene, die an die schönsteMusikszene von »Inside Llewyn Davis« erinnert, übrigensauch die Lieblingsszene der Coens: Llewyn besucht seinenVater und spielt einen Song für ihn. Die unerwartete, leichteRegung des apathischen Manns ist das einzige Feedback,mit dem Llewyn Davis wirklich etwas anfangen kann. Auchwenn sich Joel und Ethan Coen nicht als Teil einer Gegenkulturverstehen, die in vielen ihrer Filme mit den Verhältnissen,deren Schreibtischtätern und den eigenen Fehlernzu kämpfen hat, können sich die Brüder wenigstens aufihre Familienbande verlassen. Llewyn Davis hat nur sichselbst. Und die Katze.— »Inside Llewyn Davis« (USA 2013; R: Joel & Ethan Coen; D: OscarIsaac, Carey Mulligan, John Goodman, Garrett Hedlund,Justin Timberlake; Kinostart: 05.12.)GegenkulturBesonders hervorzuhebenist der Coen-Film »ASerious Man« (2009). Darintaucht die Gegenkultur derSechziger zwar nur in Formeines Jefferson-Airplane-Songs auf, der wie einDamoklesschwert über derkleinbürgerlichen Welt einesVororts im Mittleren Westenhängt. Doch am Ende ziehtein Sturm herauf, und manahnt, es könnten die gesellschaftlichenUmwälzungengemeint sein.