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HEUTE 075Joel und Ethan Coen über »Inside Llewyn Davis«Der FOlksänGerhat den BluesDie Coen-Brüder gehören dank Kritiker- und Publikumslieblingen wie »Fargo« und »The Big Lebowski« zuHollywoods erfolgreichsten Autorenfilmern. Für »No Country For Old Men« räumten sie 2007 die Oscars fürden besten Film und die beste Regie ab. Wolfgang Frömberg sprach mit Ethan und Joel in London anlässlichihres neuen Films »Inside Llewyn Davis« über die New Yorker Folkszene der 1960er-Jahre, Gegenkultur undMichael Hanekes schwarzen Rollkragenpullover. Fotos: Aby Baker / Getty Images und Bobby Bank / WireImage / Getty ImagesUS-Independent-Filmemacher wie Jim Jarmusch oderEthan und Joel Coen haben es heutzutage schwererdenn je, ihre Projekte zu finanzieren. »BreakingBad«-Darsteller Bryan Cranston erklärte vor zweiJahren im <strong>Intro</strong>-Interview, dass TV-Serien, wasBudgets und Inhalte angehe, die neuen US-Indie-Filmeseien. Aber müssen jetzt gleich kommerzielle Selbstläuferwie die Vampire in Jarmuschs »Only Lovers Left Alive«oder der Katzeninhalt im neuen Coen-Film »Inside LlewynDavis« bemüht werden, um Geldgeber und Publikum anzulocken?Ethan und Joel Coen gehen über den Scherz mitdem Cat Content, der den Einstieg ins Gespräch erleichternsoll, schnell hinweg. Die Katze, die eine der Hauptrollen in»Inside Llewyn Davis« spielt, habe sich während der gemeinsamenArbeit am Skript eben in die Geschichte geschlichen,erklären sie. Kooperation von der Grundidee über die ersteDrehbuchzeile bis zur letzten Klappe.»Inside Llewyn Davis« ist eine Produktion des Auteur-Duos, wie man sie aus 16 abendfüllenden Coen-Spielfilmenseit »Blood Simple« (1984) gewohnt ist. Die Handlung spieltin der Counter Culture im New York der Sechzigerjahre,und es geht natürlich nicht bloß um eine Katze, sondernum einen Musiker. Inspiriert wurde »Inside Llewyn Davis«auch nicht von YouTube. Das Drehbuch basiert lose aufden 2005 erschienenen Lebenserinnerungen des einstigenStars der Folkszene in Greenwich Village: Dave Van Ronk.Ethans Kurzporträt des 2002 Verstorbenen, den die Coenszu seinen Lebzeiten nie persönlich getroffen haben, klingtso: »Dave Van Ronk repräsentierte die Szene der Sechziger,bevor Bob Dylan auf der Bildfläche erschien.« Das kannman sich leicht merken. »Es ist keine Adaption des Buchs«,erklärt Joel Coen weiter. Der um drei Jahre Ältere der beidenBrüder schmunzelt angesichts des deutschen Buchtitels »DerKönig von Greenwich Village«. Die frisch übersetzte Ausgabeliegt auf dem Tisch im Londoner Hotel. Auch der Sticker»Die Buchvorlage zum neuen Film der Coen-Brothers«wird kritisch beäugt.»Wir haben ja schon einige Bücher adaptiert, zuletzt ›TrueGrit‹ von Charles Portis, davor ›No Country For Old Men‹von Cormack McCarthy. Aber diesmal war das Verhältniszum Buch radikal anders. Es war nur der Funken, an demsich eine ganz eigene Story entzündete.« Ethan ergänzt:»Niemand würde Llewyn Davis aus unserem Film mit demwirklichen Dave Van Ronk verwechseln.«Verwechseln? Dazu müsste man schon mal von ihm gehörthaben. Bekannter sind diejenigen, die als Hintermänneram Filmsoundtrack geschraubt haben: Marcus Mumfordund T-Bone Burnett. Davon abgesehen: Über die Musikkommt man der Underground-Ikone Van Ronk schon rechtnahe. Neben Dylans »Farewell« ist auch Van Ronks »Green,Green Rocky Road« zu hören. Die Lieder spielen im Filmeine ähnlich tragende Rolle wie die Katze oder Oscar Isaacals gebrochener Held. Der aus »Drive« bekannte Isaac,momentan einer der Shooting-Stars in Hollywood, interpretiertdiese Stücke sowie einige von Mumford, Burnettund ihm selbst neu arrangierte Traditionals mit viel Herz.Es gibt zahlreiche Szenen, in denen er singt und sich aufder Gitarre begleitet.Die Kamera beobachtet ihn dabei so eindringlich, alswollten Ethan und Joel Coen seinem Geheimnis auf die Spurkommen. Wie sind sie gerade auf Oscar Isaac als LlewynDavis gestoßen? »Wir haben einiges ausprobiert«, erklärtJoel Coen. »Tatsächlich haben wir etliche Versuche unternommen,Llewyn Davis mit einem Musiker zu besetzen.Das ist allerdings gescheitert, weil Musiker einfach so mieseSchauspieler sind.«Der König vonGreenwich VillageDer Titel der 2005 erschienenenOriginalausgabe lautet»The Mayor Of MacdougalStreet«. Der 1936 in Brooklyn,New York geboreneDave Van Ronk hat seineLebenserinnerungen nichtallein geschrieben, sonderndem Autor Elijah Wald diktiert.In dem Buch erfährtman weitaus mehr über dieJazz-Szene der 1950er unddie Folk- und Blues-Szeneder 60er als im Film.T-Bone BurnettDer 1948 geborene Musikerarbeitete schon bei »OBrother, Where Art Thou?«mit den Coens zusammen.Als Songwriter und Produzenthing er im Laufe seinerKarriere auf Bühnen undStudios mit Typen wie RoyOrbison, Elton John undElvis Costello ab.