MELDUNGEN 10Kenntnisse und schulischer o<strong>de</strong>r kirchlicher Fertigkeiten,son<strong>de</strong>rn auch um die Sicherstellung <strong>de</strong>r staatspolitischenZuverlässigkeit. Das ein<strong>de</strong>utige Bekenntnis zur reichsrechtlichanerkannten Confessio Augustana und die ebenso ein<strong>de</strong>utigeDistanzierung von Schwärmern, von Schwenckfel<strong>de</strong>rn,von Reformierten war entschei<strong>de</strong>nd wichtig.Irgendwie war damit das schlesische Luthertum von <strong>de</strong>nneuen, mo<strong>de</strong>rneren Entwicklungen im Protestantismus ausgeschlossen.Viertens: Als Folge <strong>de</strong>r Altranstädter Konvention kam esin Schlesien zu <strong>de</strong>r merkwürdigen Erscheinung <strong>de</strong>r beten<strong>de</strong>nKin<strong>de</strong>r. Damit sind Betstun<strong>de</strong>n und Andachtengemeint, zu <strong>de</strong>nen sich Kin<strong>de</strong>r im Alter zwischen 14 und 4Jahren freiwillig und ohne Anleitung durch Erwachsene auffreiem Fel<strong>de</strong> versammelten. Dort bil<strong>de</strong>ten sie große Kreise,zum Teil nach Geschlechtern getrennt, in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r vonihnen bestimmte Vorbeter, und hielten dreimal am Tage ihreBetstun<strong>de</strong>. Ein zeitgenösischer Bericht aus Liegnitz sagt:„Hier in unser Schlesien, inson<strong>de</strong>rheit in Nie<strong>de</strong>r-Schlesien,sind die meisten Kin<strong>de</strong>r auf und verehren unsern Gott mit<strong>de</strong>r tiefsten Devotion. Im Liegnitzischen ist fast kein Dorffmehr, da sie nicht täglich in <strong>de</strong>m stillesten, eingezogenenWesen zusammen kommen und Bet-Stun<strong>de</strong>n halten, welchesauch im Gebürge und sonst hin und her geschiehet.Etliche von <strong>de</strong>r Clerisey sehen noch zu, an<strong>de</strong>re wütenabscheulich darwi<strong>de</strong>r, die wenigsten erfreuen sich darüber.In Liegnitz sind <strong>de</strong>ren über 300. Sie kommen <strong>de</strong>s Morgensum 7. Mittags um 12.und Abends um 4 zusammen. Sie singen3 Lie<strong>de</strong>r, beten einen Psalm und lesen ein Kapitel aus<strong>de</strong>r Bibel. Die Devotion, so sie dabei zeigen, ist gantz extraordinaire...“Vorbild für dieses Kin<strong>de</strong>rbeten waren die Feldgottesdienste<strong>de</strong>r schwedischen Armee, die unter freiem Himmelihre Gottesdienste halten mußte, da die meisten Kirchen inSchlesien katholisch waren und ihnen nicht zur Verfügungstan<strong>de</strong>n. Von Gott erbeten wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn eineWendung in <strong>de</strong>r „Noth im Lan<strong>de</strong> Schlesien“. Sie solidarisiertensich damit mit <strong>de</strong>n Ängsten und Erwartungen <strong>de</strong>rErwachsenen; sie haben in Gebete gebracht, was alleEvangelischen damals in Schlesien hofften: daß die Durchführung<strong>de</strong>r Konvention für <strong>de</strong>n evangelischen Glauben gutausgehen möge.Fünftens: Zur Aufbruchstimmung führte die Aussicht, in<strong>de</strong>r eigenen Gemein<strong>de</strong> eine sogenannte Gna<strong>de</strong>nkircheerrichten zu können. Die Kosten, die die Lutheraner für dieGna<strong>de</strong> Josephs I. bezahlen mußten, waren freilich enorm.Der vom kaiserlichen Hof vorgeschlagene Richtsatz lag bei100.000 Gul<strong>de</strong>n Darlehen und 10.000 Gul<strong>de</strong>n Geschenk für<strong>de</strong>n Kaiser o<strong>de</strong>r aber eine Gesamtsumme von 40.000 Gul<strong>de</strong>nals Geschenk. Um sich von <strong>de</strong>r Höhe dieser Summe eineVorstellung machen zu können, muß man wissen, daß zudieser Zeit das Jahresgehalt eines Stadtarztes bei 50 Gul<strong>de</strong>nlag. Trotz<strong>de</strong>m haben sich 16 schlesische Städte um eineKirchbauerlaubnis bemüht. Den Zuschlag bekamen dieStädte Freystadt, Sagan, Hirschberg, Lan<strong>de</strong>shut, Militschund Teschen. Kosten lassen haben sich alle Städte <strong>de</strong>n Bauihrer Gna<strong>de</strong>nkirchen viel: nicht nur die Zahlungen an <strong>de</strong>nKaiser, auch an die Schwe<strong>de</strong>n und sonstige Schmiergel<strong>de</strong>rwaren aufzubringen. Die Kosten für <strong>de</strong>n Kirchbau selberwaren zu be<strong>de</strong>nken. Die Kirchen in Sagan, Freystadt undMilitsch waren Fachwerkkirchen, die drei an<strong>de</strong>ren wur<strong>de</strong>naus Stein gebaut – alle sechs aber in Kreuzform. Ziel warstets eine Predigtkirche für eine große Gemein<strong>de</strong>, die genügendSicht auf Altar und Kanzel gab.Für das schlesische Luthertum waren die Gna<strong>de</strong>nkirchenkein Luxus. Sie wur<strong>de</strong>n gebraucht. Die Tatsache, daß manfür <strong>de</strong>n Besuch eines Gottesdienstes in einer <strong>de</strong>r Grenz-,Zufluchts- o<strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nskirchen bis zu 60 km zurücklegenund häufig dabei die Lan<strong>de</strong>sgrenzen überschreiten mußte,war ein Notzustand. In Oberschlesien gab es damals überhauptkeine Gelegenheit zum Gottesdienstbesuch. DiesesVerlangen und die Art, in <strong>de</strong>r es befriedigt wur<strong>de</strong>, ist einZeichen <strong>de</strong>r inneren Lebendigkeit <strong>de</strong>s Protestantismus, <strong>de</strong>rin einem lang andauern<strong>de</strong>n Überlebenskampf nicht untergegangenwar.Breslau erinnert an <strong>de</strong>utsche FriedhöfeÖkumenisches Denkmal eingeweiht: Katholische, evangelische, orthodoxe und jüdische Grabsteine in <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nk-MauerMARIA LUFT„Zum An<strong>de</strong>nken an die früheren Einwohner unserer Stadt,die auf Friedhöfen beigesetzt wur<strong>de</strong>n, die heute nicht mehrbestehen”, heißt es in <strong>de</strong>utscher Sprache auf einer Tafel aneinem neuen Denkmal in Breslau. Die Unterschrift <strong>de</strong>s polnischenTextes lautet: „Wroclawianie” – die Breslauer.Lateinisch steht es auch über <strong>de</strong>m Eingang: „MonumentumMemoriae Communis” – Denkmal <strong>de</strong>s gemeinsamenGe<strong>de</strong>nkens.„Dieses Denkmal soll ein Ort für Deutsche und Polensein, ein Ort, <strong>de</strong>r ehemalige und heutige Breslauer verbin<strong>de</strong>t”,sagt Rafal Dutkiewicz, Stadtpräsi<strong>de</strong>nt von Breslau.Gemeinsam mit Erzbischof Marian Golebiewski und BischofWlodzimierz Juszczak, <strong>de</strong>m orthodoxen Bischof Jeremiasz,<strong>de</strong>m lutherischen Bischof Ryszard Bogusz und <strong>de</strong>mBreslauer Rabbiner Itzchak Rapoport hat er am 30. Oktoberdas neue ökumenische Denkmal <strong>de</strong>s „GemeinsamenGe<strong>de</strong>nkens“ eingeweiht. Das Denkmal mit hohem Symbolcharakterliegt im Breslauer Grabiszynski-Park. Weiter südlichim Park befin<strong>de</strong>n sich italienische und polnischeSoldatengräber. Auf <strong>de</strong>m Gelän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ehemaligen <strong>de</strong>utschenKommunalfriedhofs Gräbschen waren noch in <strong>de</strong>n1960er Jahren Gräber erhalten, hier stand das während <strong>de</strong>rZeit <strong>de</strong>r Festung Breslau zerstörte Krematorium. Heuteerinnert das neue Denkmal mit einer fast 70 Meter langen
11MELDUNGENDenkmal auf <strong>de</strong>m ehemaligen Friedhof Breslau-GräbschenFoto: M. IlgmannMauer an die Einwohner Breslaus, die auf <strong>de</strong>n nicht mehrbestehen<strong>de</strong>n Friedhöfen begraben wur<strong>de</strong>n. Etwa 70Grabsteine und Er<strong>de</strong> dieser Friedhöfe sind in diese granitene„Friedhofsmauer ohne Friedhof” eingelassen. Die katholischen,evangelischen, orthodoxen o<strong>de</strong>r jüdischen Grabsteinein <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nk-Mauer im Grabiszynski-Park spiegelnauch die verschie<strong>de</strong>nen religiösen Traditionen <strong>de</strong>r Stadtwi<strong>de</strong>r. Die Bischöfe und <strong>de</strong>r Rabbiner, die sich zurEinweihung versammeln, haben ihre Sitze in <strong>de</strong>r Stadt, sievertreten ihre Breslauer katholischen, evangelischen, orthodoxeno<strong>de</strong>r jüdischen Glaubens. Gemeinsam legen sie nichtnur an diesem Denkmal als erste Blumen nie<strong>de</strong>r: Im ehemaligenjüdischen Viertel zwischen Ring und Stadtgrabengestalten sie alle gemeinsam seit Jahren das „Viertel <strong>de</strong>r gegenseitigenAchtung”. Hier liegen in wenigen hun<strong>de</strong>rtMetern Entfernung vier Gotteshäuser: die Synagoge ZumWeißen Storch, die lutherische Kirche <strong>de</strong>r GöttlichenVorsehung (die ehemalige Hofkirche) und die orthodoxe Kathedrale,außer<strong>de</strong>m die katholische St. Antonius-Kirche <strong>de</strong>sPaulineror<strong>de</strong>ns. Gegenseitiges Kennenlernen, gemeinsameGottesdienste, Bildungs- und Kulturveranstaltungen sollendie verschie<strong>de</strong>nen Bekenntnisse und ihre Schätze für Gemein<strong>de</strong>mitglie<strong>de</strong>rund interessierte Gäste öffnen. Im„Viertel” begegnen sich Menschen und Kulturen, Gegenwartund Vergangenheit.(aus: Schlesien Heute 12/08) Treffen <strong>de</strong>utscher und polnischer PolizeiseniorenINES EIFLER„Polizist ist man ein Leben lang!“ Der Görlitzer Pfarrer UweMa<strong>de</strong>r weiß das aus seiner langen Zeit als Polizeiseelsorger.Seit 2006, als er seinen Ruhestand antrat, betreut er ehemaligePolizeibeamte, die wie er nicht mehr aktiv im Dienstsind. Gemeinsam mit <strong>de</strong>m einstigen KriminalhauptkommissarHarald Wenske und Margrit Kempgen von <strong>de</strong>rEvangelischen Kulturstiftung lud er am Montag etwa 50Senioren <strong>de</strong>r sächsischen und <strong>de</strong>r polnischen Polizei insEvangelische Tagungszentrum Kreuzbergbau<strong>de</strong> in Jauernickbei Görlitz ein. Es war das erste Treffen ehemaliger Beamtervon bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>r Neiße. Dies verdankt sich <strong>de</strong>m seitJahren engen Kontakt zwischen <strong>de</strong>m Bischof von Breslau,<strong>de</strong>m Publizisten Janusz Witt und Uwe Ma<strong>de</strong>r. Als „Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>sSozialismus“ galten sie einst <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Regimes, bis heutehat sich die Verbindung erhalten.„Seit ich die polnische Gastfreundschaft kenne, legen wirauch wert auf diese bei uns“, sagt Ma<strong>de</strong>r im Laufe <strong>de</strong>sVormittags. Und so gibt es nicht nur Kaffee und Adventsplätzchenzur Begrüßung, es sind auch die Referenten ausPolen, die zuerst zu Worte kommen. „Als ich 2000 nachDeutschland reiste, fühlte ich mich als Bürger und hattekeine Angst vor <strong>de</strong>r Polizei“, sagt Janusz Witt aus Breslau, <strong>de</strong>rin <strong>de</strong>r Solidarnosc eine wichtige Rolle spielte und heuteBotschafter <strong>de</strong>s Europäischen Jahres 2008 ist. Er spricht überseine Erfahrungen im Kommunismus als Oppositionellermit <strong>de</strong>r Polizei: <strong>de</strong>r polnischen Miliz, <strong>de</strong>r DDR-Volkspolizeiund <strong>de</strong>r Geheimpolizei bei<strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r. Eine Kopie seinerStasi-Akte geht durch die Reihen, in <strong>de</strong>r beschrieben wird,wie er, „das Fahndungsobjekt“, in die DDR einreist. Dorthabe er sich vor <strong>de</strong>r Polizei gefürchtet, sagt er, während diepolnischen Beamten eher Unsicherheit ausgestrahlt undsich in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r ersten Solidarnosc-Bewegung nicht als<strong>de</strong>ren Fein<strong>de</strong> verhalten hätten. Zemon Dziewicki von <strong>de</strong>nPolizeisenioren <strong>de</strong>r Wojewodschaft Jelenia Gora bestätigtdas. Er war damals, 1980/81, auf <strong>de</strong>r Gegenseite und setztesich mit Solidarnosc-Leuten seiner Stadt zusammen,schlichtete und sorgte mit dafür, daß Gewalt nicht stattfand.„Gut, daß wir diese Zeiten überwun<strong>de</strong>n haben“, sagt UweJanusz Witt spricht zu <strong>de</strong>n TeilnehmernFoto: Eifler