Felix Hammer, <strong>Vorlesung</strong> <strong>Religionsverfassungsrecht</strong>: <strong>Staatliches</strong> Religionsrecht – Staatskirchenrecht WS 2013/201428ihrer Aufgaben an Grund- und Hauptschulen die erforderliche Eignung, weil sie in Widerspruchzu einer bestehenden Dienstpflicht in Schule und Unterricht ein Kopftuch tragen wolle, das ihreZugehörigkeit <strong>zur</strong> islamischen Religionsgemeinschaft deutlich mache, und die darauf gegründeteVerweigerung des Zugangs zu einem öffentlichen Amt wären freilich mit Art.4 Abs. 1 und 2GG vereinbar, wenn der Ausübung der Glaubensfreiheit Rechtsgüter von Verfassungsrang entgegenstündenund sich diese Begrenzung der freien Religionsausübung auf eine hinreichendbestimmte gesetzliche Grundlage stützen könnte. Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreittretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art.7 Abs.1GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, daselterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs.2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schulkinder(Art.4 Abs.1 GG) in Betracht. Für die Ablehnung der Lehrerin wegen mangelnder Eignung infolgeihrer Weigerung, das Kopftuch in Schule und Unterricht abzulegen, fehlte es in concreto jedochzumindest an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.BVerfG, DÖV 2007, 202 – Mun: Der einer Religionsgemeinschaft zukommende Grundrechtsschutzumfasst das Recht zu eigener weltanschaulicher oder religiöser Betätigung, <strong>zur</strong> Verkündigungdes Glaubens sowie <strong>zur</strong> Pflege und Förderung des Bekenntnisses. Hierzu gehören nichtnur kultische Handlungen sowie die Beachtung und Ausübung religiöser Gebote und Gebräuchewie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen,Zeigen von Kirchenfahnen und Glockengeläut, sondern auch religiöse Erziehung, Feiernund andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens sowie allgemein diePflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses. Welche Handlungen im Einzelnen erfasstsind, bestimmt sich wesentlich nach der Eigendefinition der Religionsgemeinschaft; denn Teilder grundrechtlich gewährleisteten Glaubensfreiheit ist auch und gerade, dass eine staatlicheBestimmung genuin religiöser Fragen unterbleibt. Die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützteKernfragen der Pflege und Förderung des Glaubens und Bekenntnisses sind "mangels Einsichtund geeigneter Kriterien" der Beurteilung durch staatliche Stellen grundsätzlich entzogen. Auchwenn bei Betrachtung von außen ein Zusammenhang mit der Religionsausübung nicht zwingenderscheint, ist es dem Staat verwehrt, eigene Bewertungen und Gewichtungen diesbezüglicherVorgänge an die Stelle derjenigen der Religionsgemeinschaft zu setzen.BVerfG v. 25. 1. 2007, NJW 2007, 1865 – Seelsorgegeheimnis: In den Kernbereich privaterLebensgestaltung einzugreifen, ist dem Staat verwehrt. Dessen Schutz umfasst auch bestimmteFormen der Kommunikation mit Personen des besonderen Vertrauens. Dazu zählt das seelsorgerischeGespräch mit einem Geistlichen. Der Schutz von Beichte und Gesprächen mit Beichtcharakterzählt zum verfassungsrechtlichen Menschenwürdegehalt der Religionsausübung. Fürdie christlichen Großkirchen verbürgt Art. 4 Abs. 2 GG das Recht auf karitative Tätigkeit, soweitdiese dem christlichen Gebot tätiger Nächstenliebe entspringt. Jedoch ist nicht jede Handlung,die aus religiösen Ansichten resultiert, durch die Glaubensfreiheit geschützt. Erforderlich ist -ähnlich wie bei der Gewissensfreiheit -, dass es sich um eine zwingende Verhaltensregel handelt,von der der Betroffene nicht ohne innere Not absehen kann. Entscheidend hierfür ist auchdas Selbstverständnis der betroffenen Religionsgemeinschaft.BVerfG, vom 2.7.2008, 1 BvR 3006/07 - Kirchenaustritt: Das Verlangen nach einer förmlichenAustrittserklärung im Rahmen des im Kirchenaustrittsgesetz normierten Verfahrens rechtfertigtsich durch das Bedürfnis nach eindeutigen und nachprüfbaren Tatbeständen als Grundlage derRechts- und Pflichtenstellung des Betroffenen, soweit sie in den weltlichen Rechtsbereich hineinwirkt.Dem trägt auch Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV Rechnung, der die bereits von Art. 4 GG umfassteund in Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV besonders hervorgehobene Freiheit, die religiöseÜberzeugung zu verschweigen, unter anderem zugunsten eines Fragerechts der staatlichenBehörden insoweit einschränkt, als von der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft Rechteund Pflichten abhängen.
Felix Hammer, <strong>Vorlesung</strong> <strong>Religionsverfassungsrecht</strong>: <strong>Staatliches</strong> Religionsrecht – Staatskirchenrecht WS 2013/201429BVerfG, Beschl. v. 28. 10. 2008, 1 BvR 462/06, JZ 2009, 511 (m. Anm. Klaus Ferdinand Gärditz)= ZevKR 54 (2009), 221 = DÖV 2009, 374/Nr. 387 (Ls.) = NJW 2009, 2190 = AfkKR 177(2008), 585 – Grenzen der Forschungsfreiheit für Hochschullehrer an Theologischen Fakultäten– Fall Lüdemann: Das GG erlaubt die Errichtung theologischer Fakultäten an staatlichenHochschulen im Rahmen des Rechtes und der Pflicht des Staates <strong>zur</strong> Wissenschaftsfürsorgean der staatlichen Universität. Bei der Organisation und Ausgestaltung der Fakultätenmuss das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften berücksichtigt werden, derenTheologie an einer solchen Fakultät gelehrt werden soll. Aus diesem findet auch die Wissenschaftsfreiheitder Hochschullehrer Grenzen. Ihr Amt darf daher hier bekenntnisgebunden ausgestaltetwerden. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat darf nicht über die Bekenntnisgemäßheittheologischer Lehre urteilen, dies steht nur der Glaubensgemeinschaft selbst zu. Widersprechendie Anschauungen eines Hochschullehrers deren Glaubenslehren, kann der Hochschullehreran eine andere Fakultät umgesetzt werden.BVerfG, Beschl. v. 9. 12. 2008, 2 BvR 717/08, NJW 2009, 1195 = ZevKR 54 (2009), 232 =DÖV 2009, 253 (Ls.) – Staatliche Gerichtsbarkeit in kirchlichen Streitigkeiten: Nach demkirchenpolitischen System des GG ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheitenselbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleihtihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der bürgerlichen Gemeinden. Damit erkennt derStaat die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung an, die ihrem Wesennach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten. Deshalb darf der Staatin ihre inneren Verhältnisse nicht eingreifen. Dies gilt auch für die staatliche Rechtsprechung, die– wenn sie innerkirchliche Streitigkeiten entscheiden würde – sich immer in der Gefahr befände,die religiöse Legitimation innerkirchlicher Normen zu verkennen und gegen den Grundsatz derreligiösen Neutralität des Staates zu verstoßen (vgl. dazu auch OVG Rheinland-Pfalz, NJW2009, 1223 = DÖV 2009, 260).BVerfG, Beschl. v. 12. 05. 2009, 2 BvR 890/06, NVwZ 2009, 1217 – Förderung von Kirchenund Religionsgemeinschaften: Aus Art. 4 GG lassen sich keine Ansprüche auf bestimmtestaatliche Leistungen ableiten. Als grundrechtliche Verbürgung der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöserNeutralität entfaltet Art. 4 GG aber bezogen auf die finanzielle Förderungvon Religionsgesellschaften auch eine leistungsrechtliche Komponente, indem er die Teilhabean etwaigen staatlichen Leistungen verbürgt. Aus dem Grundsatz der weltanschaulichen undreligiösen Neutralität des Staates folgt, dass dieser auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlungder verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten hat.Wo er mit Religionsgemeinschaften zusammenarbeitet oder sie fördert, darf dies nicht zu einerIdentifikation mit diesen oder zu einer Privilegierung bestimmter Bekenntnisse führen. Insoweitkann er auch zu Vorkehrungen organisatorischer Art verpflichtet sein.BVerfG, Beschl. v. 21. 7. 2009, 1 BvR 1358/09, NJW 2009, 3151 = DÖV 2009, 866 (Ls.): –Elterliches religiöses Erziehungsrecht: Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheitgewährleistet i. V. m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht <strong>zur</strong> Pflege und Erziehungihrer Kinder garantiert, das Recht <strong>zur</strong> Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicherHinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragenzu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten. Auchwenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, sind Einschränkungen möglich,die sich aus der Verfassung selbst ergeben, so durch den dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteiltenErziehungsauftrag. Daher erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zu dessen Konkretisierungerlassene allgemeine Schulpflicht Beschränkungen. Im Einzelfall sind Konflikte zwischenErziehungsrecht der Eltern und Erziehungsauftrag des Staates durch eine Abwägungnach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen. Der Staat darf unabhängig von
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