abläuft, mit nichts verknüpft, wie eine Uhr in einem leerenZimmer –?Ja, es ist möglich.Ist es möglich, daß man von den Mädchen nichts weiß, diedoch leben? Ist es möglich, daß man »die Frauen« sagt, »dieKinder«, »die Knaben« und nicht ahnt (bei aller Bildung nichtahnt), daß diese Worte längst keine Mehrzahl mehr haben,sondern nur unzählige Einzahlen?Ja, es ist möglich.Ist es möglich, daß es Leute giebt, welche »Gott« sagen undmeinen, das wäre etwas Gemeinsames? – Und sieh nur zweiSchulkinder: es kauft sich der eine ein Messer, und sein Nachbarkauft sich ein ganz gleiches am selben Tag. Und sie zeigeneinander nach einer Woche die beiden Messer, und es ergiebtsich, daß sie sich nur noch ganz entfernt ähnlich sehen, – soverschieden haben sie sich in verschiedenen Händen entwickelt.(Ja, sagt <strong>des</strong> einen Mutter dazu: wenn ihr auch gleich immeralles abnutzen müßt. –) Ach so: Ist es möglich, zu glauben, mankönne einen Gott haben, ohne ihn zu gebrauchen?Ja, es ist möglich.Wenn aber dieses alles möglich ist, auch nur einen Schein vonMöglichkeit hat, – dann muß ja, um alles in der Welt, etwasgeschehen. Der Nächstbeste, der, welcher diesenbeunruhigenden Gedanken gehabt hat, muß anfangen, etwasvon dem Versäumten zu tun; wenn es auch nur irgend einer ist,durchaus nicht der Geeignetste: es ist eben kein anderer da.<strong>Die</strong>ser junge, belanglose Ausländer, <strong>Brigge</strong>, wird sich fünfTreppen hoch hinsetzen müssen und schreiben, Tag und Nacht.ja er wird schreiben müssen, das wird das Ende sein:Zwölf Jahre oder höchstens dreizehn muß ich damalsgewesen sein. Mein Vater hatte mich nach Urneklostermitgenommen. Ich weiß nicht, was ihn veranlaßte, seinenSchwiegervater aufzusuchen. <strong>Die</strong> beiden Männer hatten sichjahrelang, seit dem Tode meiner Mutter, nicht gesehen, undmein Vater selbst war noch nie in dem alten Schlosse gewesen,in welches der Graf Brahe sich erst spät zurückgezogen hatte.Ich habe das merkwürdige Haus später nie wiedergesehen, das,als mein Großvater starb, in fremde Hände kam. So wie ich es inmeiner kindlich gearbeiteten Erinnerung wiederfinde, ist es kein
Gebäude; es ist ganz aufgeteilt in mir; da ein Raum, dort einRaum und hier ein Stück Gang, das diese beiden Räume nichtverbindet, sondern für sich, als Fragment, aufbewahrt ist. Indieser Weise ist alles in mir verstreut, – die Zimmer, dieTreppen, die mit so großer Umständlichkeit sich niederließen,und andere enge, rundgebaute Stiegen, in deren Dunkel manging wie das Blut in den Adern; die Turmzimmer, die hochaufgehängten Balkone, die unerwarteten Altane, auf die manvon einer kleinen Tür hinausgedrängt wurde: – alles das ist nochin mir und wird nie aufhören, in mir zu sein. Es ist, als wäre dasBild dieses Hauses aus unendlicher Höhe in mich hineingestürztund auf meinem Grunde zerschlagen.Ganz erhalten ist in meinem Herzen, so scheint es mir, nurjener Saal, in dem wir uns zum Mittagessen zu versammelnpflegten, jeden Abend um sieben Uhr. Ich habe diesen Raumniemals bei Tage gesehen, ich erinnere mich nicht einmal, ob erFenster hatte und wohin sie aussahen; je<strong>des</strong>mal, so oft dieFamilie eintrat, brannten die Kerzen in den schwerenArmleuchtern, und man vergaß in einigen Minuten die Tageszeitund alles, was man draußen gesehen hatte. <strong>Die</strong>ser hohe, wie ichvermute, gewölbte Raum war stärker als alles; er saugte mitseiner dunkelnden Höhe, mit seinen niemals ganz aufgeklärtenEcken alle Bilder aus einem heraus, ohne einem einenbestimmten Ersatz dafür zu geben. Man saß da wie aufgelöst;völlig ohne Willen, ohne Besinnung, ohne Lust, ohne Abwehr.Man war wie eine leere Stelle. Ich erinnere mich, daß dieservernichtende Zustand mir zuerst fast Übelkeit verursachte, eineArt Seekrankheit, die ich nur dadurch überwand, daß ich meinBein ausstreckte, bis ich mit dem Fuß das Knie meines Vatersberührte, der mir gegenübersaß. Erst später fiel es mir auf, daßer dieses merkwürdige Benehmen zu begreifen oder doch zudulden schien, obwohl zwischen uns ein fast kühles Verhältnisbestand, aus dem ein solches Gebaren nicht erklärlich war. Eswar in<strong>des</strong>sen jene leise Berührung, welche mir die Kraft gab, dielangen Mahlzeiten auszuhalten. Und nach einigen Wochenkrampfhaften Ertragens hatte ich, mit der fast unbegrenztenAnpassung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, mich so sehr an das Unheimliche jenerZusammenkünfte gewöhnt, daß es mich keine Anstrengungmehr kostete, zwei Stunden bei Tische zu sitzen; jetzt vergingen
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war ihr eine Beruhigung, daß ich g
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ganz hochgezogenen Augenbrauen. Dan
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Sie soll eine sehr große Dame gewe
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auflachte und damit die ganze Angel
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überzeugen, wie mutig und jung Mam
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Mußte nicht Musik kommen in diese
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Freundinnen sind aber in derselben
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wenn wir unsere Erfolge verachteten
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es war. Aber dann fuhr man plötzli
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wäre es immer da. Maman sah zerstr
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Ein kurzer, wahnsinnig schmerzhafte
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daß es sich nicht um politische od
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»Er hätte gut mit einer Wahrheit
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efremdlich schien. Ich war damals s
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noch nie so klopfen hören: ein war
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daß sie mich damals mit ihm vergli
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einfiel, daß sie noch lebten; dann
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Es giebt ein Wesen, das vollkommen
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Entsetzen: konnte das die Erde sein
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Aufstampfen, das hinzukam, etwas fa
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Gehen draußen auf dem Gang. Ach, d
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zuzwinkernd, die Verführung an, di
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schmale Leseband zu finden, das, m
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Bis hierher geht die Sache von selb
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gab kein Haus, wo man nicht wachte
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5 (Des Herzogs Narr war auch der er
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Kommende fort, und mir blieb nur ge
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»Nein, nicht die Antworten«, unte
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muß, ruft das Verhängnis aller Li
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heiter und unerwartet hoch in der W
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sind nie sehr hoch von einer Hoffnu
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es begriff, daß dies der König se
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Bibliothek und spielte allein. Gena
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seine Behandlung gestellt, aber er
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Damals erlebte ich, was ich jetzt b
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auszusagen und sich abzubiegen, so
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hat seine besonderen Einfälle und
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auszuhalten. Aber vor denen, die al
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zum Beispiel, die sehr viel stille
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Namen zuzuflüstern, der venezianis
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auch, sowie sie zu Worte kam. Das G
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die Zurückhaltung dieses überlege
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ganzen war man schon der, für den
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Baux und sah die versteinerte Zeit
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Erschrocken und schwankend hoben si
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Fußnoten1 Ein Briefentwurf.2 Im Ma