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Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge - Germanistik

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Glück Hunde auf Urnekloster, die mich begleiteten; es gab daund dort ein Pächterhaus oder einen Meierhof, wo ich Milch undBrot und Früchte bekommen konnte, und ich glaube, daß ichmeine Freiheit ziemlich sorglos genoß, ohne mich, wenigstens inden folgenden Wochen, von dem Gedanken an die abendlichenZusammenkünfte ängstigen zu lassen. Ich sprach fast mitniemandem, denn es war meine Freude, einsam zu sein; nur mitden Hunden hatte ich kurze Gespräche dann und wann: mitihnen verstand ich mich ausgezeichnet. Schweigsamkeit warübrigens eine Art Familieneigenschaft; ich kannte sie vonmeinem Vater her, und es wunderte mich nicht, daß währendder Abendtafel fast nichts gesprochen wurde.In den ersten Tagen nach unserer Ankunft allerdings benahmsich Mathilde Brahe äußerst gesprächig. Sie fragte den Vaternach früheren Bekannten in ausländischen Städten, sie erinnertesich entlegener Eindrücke, sie rührte sich selbst bis zu Tränen,indem sie verstorbener Freundinnen und eines gewissen jungenMannes gedachte, von dem sie andeutete, daß er sie geliebthabe, ohne daß sie seine inständige und hoffnungslose Neigunghätte erwidern mögen. Mein Vater hörte höflich zu, neigte dannund wann zustimmend sein Haupt und antwortete nur dasNötigste. Der Graf, oben am Tisch, lächelte beständig mitherabgezogenen Lippen, sein Gesicht erschien größer als sonst,es war, als trüge er eine Maske. Er ergriff übrigens selbstmanchmal das Wort, wobei seine Stimme sich auf niemandenbezog, aber, obwohl sie sehr leise war, doch im ganzen Saalgehört werden konnte; sie hatte etwas von dem gleichmäßigenunbeteiligten Gang einer Uhr; die Stille um sie schien eineeigene leere Resonanz zu haben, für jede Silbe die gleiche.Graf Brahe hielt es für eine besondere Artigkeit meinem Vatergegenüber, von <strong>des</strong>sen verstorbener Gemahlin, meiner Mutter,zu sprechen. Er nannte sie Gräfin Sibylle, und alle seine Sätzeschlossen, als fragte er nach ihr. Ja es kam mir, ich weiß nichtweshalb, vor, als handle es sich um ein ganz junges Mädchen inWeiß, das jeden Augenblick bei uns eintreten könne. Indemselben Tone hörte ich ihn auch von »unserer kleinen AnnaSophie« reden. Und als ich eines Tages nach diesem Fräuleinfragte, das dem Großvater besonders lieb zu sein schien, erfuhrich, daß er <strong>des</strong> Großkanzlers Conrad Reventlow Tochter meinte,

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