Glück Hunde auf Urnekloster, die mich begleiteten; es gab daund dort ein Pächterhaus oder einen Meierhof, wo ich Milch undBrot und Früchte bekommen konnte, und ich glaube, daß ichmeine Freiheit ziemlich sorglos genoß, ohne mich, wenigstens inden folgenden Wochen, von dem Gedanken an die abendlichenZusammenkünfte ängstigen zu lassen. Ich sprach fast mitniemandem, denn es war meine Freude, einsam zu sein; nur mitden Hunden hatte ich kurze Gespräche dann und wann: mitihnen verstand ich mich ausgezeichnet. Schweigsamkeit warübrigens eine Art Familieneigenschaft; ich kannte sie vonmeinem Vater her, und es wunderte mich nicht, daß währendder Abendtafel fast nichts gesprochen wurde.In den ersten Tagen nach unserer Ankunft allerdings benahmsich Mathilde Brahe äußerst gesprächig. Sie fragte den Vaternach früheren Bekannten in ausländischen Städten, sie erinnertesich entlegener Eindrücke, sie rührte sich selbst bis zu Tränen,indem sie verstorbener Freundinnen und eines gewissen jungenMannes gedachte, von dem sie andeutete, daß er sie geliebthabe, ohne daß sie seine inständige und hoffnungslose Neigunghätte erwidern mögen. Mein Vater hörte höflich zu, neigte dannund wann zustimmend sein Haupt und antwortete nur dasNötigste. Der Graf, oben am Tisch, lächelte beständig mitherabgezogenen Lippen, sein Gesicht erschien größer als sonst,es war, als trüge er eine Maske. Er ergriff übrigens selbstmanchmal das Wort, wobei seine Stimme sich auf niemandenbezog, aber, obwohl sie sehr leise war, doch im ganzen Saalgehört werden konnte; sie hatte etwas von dem gleichmäßigenunbeteiligten Gang einer Uhr; die Stille um sie schien eineeigene leere Resonanz zu haben, für jede Silbe die gleiche.Graf Brahe hielt es für eine besondere Artigkeit meinem Vatergegenüber, von <strong>des</strong>sen verstorbener Gemahlin, meiner Mutter,zu sprechen. Er nannte sie Gräfin Sibylle, und alle seine Sätzeschlossen, als fragte er nach ihr. Ja es kam mir, ich weiß nichtweshalb, vor, als handle es sich um ein ganz junges Mädchen inWeiß, das jeden Augenblick bei uns eintreten könne. Indemselben Tone hörte ich ihn auch von »unserer kleinen AnnaSophie« reden. Und als ich eines Tages nach diesem Fräuleinfragte, das dem Großvater besonders lieb zu sein schien, erfuhrich, daß er <strong>des</strong> Großkanzlers Conrad Reventlow Tochter meinte,
weiland Friedrichs <strong>des</strong> Vierten Gemahlin zur linken Hand, die seitnahezu anderthalb hundert Jahren zu Roskilde ruhte. <strong>Die</strong>Zeitfolgen spielten durchaus keine Rolle für ihn, der Tod war einkleiner Zwischenfall, den er vollkommen ignorierte, Personen,die er einmal in seine Erinnerung aufgenommen hatte,existierten, und daran konnte ihr Absterben nicht das geringsteändern. Mehrere Jahre später, nach dem Tode <strong>des</strong> alten Herrn,erzählte man sich, wie er auch das Zukünftige mit demselbenEigensinn als gegenwärtig empfand. Er soll einmal einergewissen jungen Frau von ihren Söhnen gesprochen haben, vonden Reisen eines dieser Söhne insbesondere, während die jungeDame, eben im dritten Monate ihrer ersten Schwangerschaft,fast besinnungslos vor Entsetzen und Furcht neben demunablässig redenden Alten saß.Aber es begann damit, daß ich lachte. Ja ich lachte laut undich konnte mich nicht beruhigen. Eines Abends fehlte nämlichMathilde Brahe. Der alte, fast ganz erblindete Bediente hielt, alser zu ihrem Platze kam, dennoch die Schüssel anbietend hin.Eine Weile verharrte er so; dann ging er befriedigt und würdigund als ob alles in Ordnung wäre weiter. Ich hatte diese Szenebeobachtet, und sie kam mir, im Augenblick da ich sie sah,durchaus nicht komisch vor. Aber eine Weile später, als ich ebeneinen Bissen in den Mund steckte, stieg mir das Gelächter mitsolcher Schnelligkeit in den Kopf, daß ich mich verschluckte undgroßen Lärm verursachte. Und trotzdem diese Situation mirselber lästig war, trotzdem ich mich auf alle mögliche Weiseanstrengte, ernst zu sein, kam das Lachen stoßweise immerwieder und behielt völlig die Herrschaft über mich.Mein Vater, gleichsam um mein Benehmen zu verdecken,fragte mit seiner breiten gedämpften Stimme: »Ist Mathildekrank?« Der Großvater lächelte in seiner Art und antwortetedann mit einem Satze, auf den ich, mit mir selber beschäftigt,nicht achtgab und der etwa lautete: Nein, sie wünscht nur,Christinen nicht zu begegnen. Ich sah es also auch nicht als dieWirkung dieser Worte an, daß mein Nachbar, der braune Major,sich erhob und, mit einer undeutlich gemurmeltenEntschuldigung und einer Verbeugung gegen den Grafen hin,den Saal verließ. Es fiel mir nur auf, daß er sich hinter demRücken <strong>des</strong> Hausherrn in der Tür nochmals umdrehte und dem
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daß es sich nicht um politische od
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»Er hätte gut mit einer Wahrheit
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efremdlich schien. Ich war damals s
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noch nie so klopfen hören: ein war
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daß sie mich damals mit ihm vergli
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Es giebt ein Wesen, das vollkommen
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Entsetzen: konnte das die Erde sein
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Aufstampfen, das hinzukam, etwas fa
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Gehen draußen auf dem Gang. Ach, d
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zuzwinkernd, die Verführung an, di
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Bis hierher geht die Sache von selb
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5 (Des Herzogs Narr war auch der er
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Kommende fort, und mir blieb nur ge
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»Nein, nicht die Antworten«, unte
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muß, ruft das Verhängnis aller Li
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heiter und unerwartet hoch in der W
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es begriff, daß dies der König se
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Bibliothek und spielte allein. Gena
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seine Behandlung gestellt, aber er
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Damals erlebte ich, was ich jetzt b
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auszusagen und sich abzubiegen, so
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hat seine besonderen Einfälle und
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auszuhalten. Aber vor denen, die al
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zum Beispiel, die sehr viel stille
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Namen zuzuflüstern, der venezianis
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auch, sowie sie zu Worte kam. Das G
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die Zurückhaltung dieses überlege
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ganzen war man schon der, für den
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Baux und sah die versteinerte Zeit
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Erschrocken und schwankend hoben si
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Fußnoten1 Ein Briefentwurf.2 Im Ma