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Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge - Germanistik

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Existenzen, auf dem Boulevard Saint-Michel zum Beispiel und inder rue Racine, die lassen sich nicht irremachen, die pfeifen aufdie Gelenke. <strong>Die</strong> sehen mich an und wissen es. <strong>Die</strong> wissen, daßich eigentlich zu ihnen gehöre, daß ich nur ein bißchen Komödiespiele. Es ist ja Fasching. Und sie wollen mir den Spaß nichtverderben; sie grinsen nur so ein bißchen und zwinkern mit denAugen. Kein Mensch hats gesehen. Im übrigen behandeln siemich wie einen Herrn. Es muß nur jemand in der Nähe sein,dann tun sie sogar untertänig. Tun, als ob ich einen Pelz anhätteund mein Wagen hinter mir herführe. Manchmal gebe ich ihnenzwei Sous und zittere, sie könnten sie abweisen; aber sienehmen sie an. Und es wäre alles in Ordnung, wenn sie nichtwieder ein wenig gegrinst und gezwinkert hätten. Wer sind dieseLeute? Was wollen sie von mir? Warten sie auf mich? Woranerkennen sie mich? Es ist wahr, mein Bart sieht etwasvernachlässigt aus, und ein ganz, ganz klein wenig erinnert er anihre kranken, alten, verblichenen Bärte, die mir immer Eindruckgemacht haben. Aber habe ich nicht das Recht, meinen Bart zuvernachlässigen? Viele beschäftigte Menschen tun das, und esfällt doch niemandem ein, sie <strong>des</strong>halb gleich zu denFortgeworfenen zu zählen. Denn das ist mir klar, daß das dieFortgeworfenen sind, nicht nur Bettler; nein, es sind eigentlichkeine Bettler, man muß Unterschiede machen. Es sind Abfälle,Schalen von Menschen, die das Schicksal ausgespieen hat.Feucht vom Speichel <strong>des</strong> Schicksals kleben sie an einer Mauer,an einer Laterne, an einer Plakatsäule, oder sie rinnen langsamdie Gasse herunter mit einer dunklen, schmutzigen Spur hintersich her. Was in aller Welt wollte diese Alte von mir, die, miteiner Nachttischschublade, in der einige Knöpfe und Nadelnherumrollten, aus irgendeinem Loch herausgekrochen war?Weshalb ging sie immer neben mir und beobachtete mich? Alsob sie versuchte, mich zu erkennen mit ihren Triefaugen, dieaussahen, als hätte ihr ein Kranker grünen Schleim in dieblutigen Lider gespuckt. Und wie kam damals jene graue, kleineFrau dazu, eine Viertelstunde lang vor einem Schaufenster anmeiner Seite zu stehen, während sie mir einen alten, langenBleistift zeigte, der unendlich langsam aus ihren schlechten,geschlossenen Händen sich herausschob. Ich tat, als betrachteteich die ausgelegten Sachen und merkte nichts. Sie aber wußte,

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