alles hier, und darum geht es so ohne weiteres in mich ein: esist zu Hause in mir.Ich war etwas erschöpft nach alledem, man kann wohl sagenangegriffen, und darum war es zuviel für mich, daß auch er nochauf mich warten mußte. Er wartete in der kleinen Crémerie, woich zwei Spiegeleier essen wollte; ich war hungrig, ich war denganzen Tag nicht dazu gekommen zu essen. Aber ich konnteauch jetzt nichts zu mir nehmen; ehe die Eier noch fertig waren,trieb es mich wieder hinaus in die Straßen, die ganz dickflüssigvon Menschen mir entgegenrannen. Denn es war Fasching undAbend, und die Leute hatten alle Zeit und trieben umher undrieben sich einer am andern. Und ihre Gesichter waren voll vondem Licht, das aus den Schaubuden kam, und das Lachen quollaus ihren Munden wie Eiter aus offenen Stellen. Sie lachtenimmer mehr und drängten sich immer enger zusammen, jeungeduldiger ich versuchte vorwärts zu kommen. Das Tuch einesFrauenzimmers hakte sich irgendwie an mir fest, ich zog siehinter mir her, und die Leute hielten mich auf und lachten, undich fühlte, daß ich auch lachen sollte, aber ich konnte es nicht.Jemand warf mir eine Hand Confetti in die Augen, und esbrannte wie eine Peitsche. An den Ecken waren die Menschenfestgekeilt, einer in den andern geschoben, und es war keineWeiterbewegung in ihnen, nur ein leises, weiches Auf und Ab,als ob sie sich stehend paarten. Aber obwohl sie standen und icham Rande der Fahrbahn, wo es Risse im Gedränge gab, hinliefwie ein Rasender, war es in Wahrheit doch so, daß sie sichbewegten und ich mich nicht rührte. Denn es veränderte sichnichts; wenn ich aufsah, gewahrte ich immer noch dieselbenHäuser auf der einen Seite und auf der anderen die Schaubuden.Vielleicht auch stand alles fest, und es war nur ein Schwindel inmir und ihnen, der alles zu drehen schien. Ich hatte keine Zeit,darüber nachzudenken, ich war schwer von Schweiß, und eskreiste ein betäubender Schmerz in mir, als ob in meinem Bluteetwas zu Großes mittriebe, das die Adern ausdehnte, wohin eskam. Und dabei fühlte ich, daß die Luft längst zu Ende war unddaß ich nur mehr Ausgeatmetes einzog, das meine Lungenstehen ließen.Aber nun ist es vorbei; ich habe es überstanden. Ich sitze inmeinem Zimmer bei der Lampe; es ist ein wenig kalt, denn ich
wage es nicht, den Ofen zu versuchen; was, wenn er rauchteund ich müßte wieder hinaus? Ich sitze und denke: wenn ichnicht arm wäre, würde ich mir ein anderes Zimmer mieten, einZimmer mit Möbeln, die nicht so aufgebraucht sind, nicht so vollvon früheren Mietern wie diese hier. Zuerst war es mir wirklichschwer, den Kopf in diesen Lehnstuhl zu legen; es ist da nämlicheine gewisse schmierig-graue Mulde in seinem grünen Bezug, indie alle Köpfe zu passen scheinen. Längere Zeit gebrauchte ichdie Vorsicht, ein Taschentuch unter meine Haare zu legen, aberjetzt bin ich zu müde dazu; ich habe gefunden, daß es auch sogeht und daß die kleine Vertiefung genau für meinen Hinterkopfgemacht ist, wie nach Maß. Aber ich würde mir, wenn ich nichtarm wäre, vor allem einen guten Ofen kaufen, und ich würdedas reine, starke Holz heizen, welches aus dem Gebirge kommt,und nicht diese trostlosen têtes-de-moineau, deren Dunst dasAtmen so bang macht und den Kopf so wirr. Und dann müßtejemand da sein, der ohne grobes Geräusch aufräumt und derdas Feuer besorgt, wie ich es brauche; denn oft, wenn ich eineViertelstunde vor dem Ofen knien muß und rütteln, die Stirnhautgespannt von der nahen Glut und mit Hitze in den offenenAugen, gebe ich alles aus, was ich für den Tag an Kraft habe,und wenn ich dann unter die Leute komme, haben sie esnatürlich leicht. Ich würde manchmal, wenn großes Gedrängeist, einen Wagen nehmen, vorbeifahren, ich würde täglich ineinem Duval essen... und nicht mehr in die Crémerien kriechen...Ob er wohl auch in einem Duval gewesen wäre? Nein. Dort hätteer nicht auf mich warten dürfen. Sterbende läßt man nichthinein. Sterbende? Ich sitze ja jetzt in meiner Stube; ich kann javersuchen, ruhig über das nachzudenken, was mir begegnet ist.Es ist gut, nichts im Ungewissen zu lassen. Also ich trat ein undsah zuerst nur, daß der Tisch, an dem ich öfters zu sitzenpflegte, von jemandem anderen eingenommen war. Ich grüßtenach dem kleinen Buffet hin, bestellte und setzte mich nebenan.Aber da fühlte ich ihn, obwohl er sich nicht rührte. Gerade seineRegungslosigkeit fühlte ich und begriff sie mit einem Schlage.<strong>Die</strong> Verbindung zwischen uns war hergestellt, und ich wußte,daß er erstarrt war vor Entsetzen. Ich wußte, daß das Entsetzenihn gelähmt hatte, Entsetzen über etwas, was in ihm geschah.Vielleicht brach ein Gefäß in ihm, vielleicht trat ein Gift, das er
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Freundinnen sind aber in derselben
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wenn wir unsere Erfolge verachteten
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wäre es immer da. Maman sah zerstr
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daß es sich nicht um politische od
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»Er hätte gut mit einer Wahrheit
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efremdlich schien. Ich war damals s
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noch nie so klopfen hören: ein war
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daß sie mich damals mit ihm vergli
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einfiel, daß sie noch lebten; dann
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Es giebt ein Wesen, das vollkommen
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und die Sonntage brachte er nun dam
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Entsetzen: konnte das die Erde sein
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Aufstampfen, das hinzukam, etwas fa
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Gehen draußen auf dem Gang. Ach, d
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zuzwinkernd, die Verführung an, di
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schmale Leseband zu finden, das, m
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Bis hierher geht die Sache von selb
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gab kein Haus, wo man nicht wachte
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5 (Des Herzogs Narr war auch der er
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Kommende fort, und mir blieb nur ge
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»Nein, nicht die Antworten«, unte
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muß, ruft das Verhängnis aller Li
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heiter und unerwartet hoch in der W
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sind nie sehr hoch von einer Hoffnu
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es begriff, daß dies der König se
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Bibliothek und spielte allein. Gena
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seine Behandlung gestellt, aber er
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Damals erlebte ich, was ich jetzt b
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auszusagen und sich abzubiegen, so
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hat seine besonderen Einfälle und
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auszuhalten. Aber vor denen, die al
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zum Beispiel, die sehr viel stille
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Namen zuzuflüstern, der venezianis
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auch, sowie sie zu Worte kam. Das G
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die Zurückhaltung dieses überlege
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ganzen war man schon der, für den
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Baux und sah die versteinerte Zeit
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Erschrocken und schwankend hoben si
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Fußnoten1 Ein Briefentwurf.2 Im Ma