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Lesungen der deutschen + brasiLianischen autoren ...

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<strong>Lesungen</strong> <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> + brasilianischen Autoren-Nationalmannschaftenim Rahmen des Autoren-Län<strong>der</strong>spiels Deutschland - Brasilien vom 10.-13.10.2013


[Albert Ostermaier]luftball Ode an Jorge Valdano[André Argolo]FussballSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]das nie<strong>der</strong>getretene grasrichtet sich wie<strong>der</strong> auf duziehst die schuhe aus gehstbarfuss durch das frischgemähte grün wie das riechtfängst zu laufen an und bistein kind die erinnerungin den sohlen die schnitte<strong>der</strong> halme die grasfleckenan den fussballen die wolkespielt dir den ball zurückdas sehnen in die gespanntensehnen die kugelwelt in diedrehung eines knöchels dasblutende knie <strong>der</strong> sonne<strong>der</strong> du zwischen die beinespielst so lang sie sichauch macht am horizontsie wird deinen ball nichterreichen du reisst die armein die luft und wirst nichtals verlierer schlafen müssendie himmelblaue decke über denkopf das kissen zu einem ballgeknüllt wirst du mit heissenwangen träumen und draussenvor deinem fenster glüht dasgras noch immer von deinenschritten und die nachtigallensingen deine namen wenndu einschläfst und das glückdich berührt wie man einenschlafenden liebkost und diekleinen nimmermüden füssezeigen <strong>der</strong> nacht im schlafnoch einmal all ihre zaubertricksund noch heute wachst duan den guten morgen auf mit<strong>der</strong> geruch von frischgemähtemgrasVor mir, an einer Seitenlinie, <strong>der</strong> Seitenlinie aller Fußballfel<strong>der</strong>,breitete sich ein Riss aus. Ich kann nicht sagen,wann genau dies geschehen ist. Aber ich bin nicht plötzlichin dieses Exil hineingeraten. Eine Reihe von Tatbeständenhat letztendlich zu meiner Verurteilung geführt.Die klingelnden Querbalken des Beinahe blieben in <strong>der</strong>Entfernung eines gigantischen Grabens zurück, in dengroßen und kleinen seufzenden Strafräumen aus entlegenenChancen, Pfiffen, den göttlichen Trikots, <strong>der</strong> menschlichenIdole darin, von einigen meiner alten Freunde, <strong>der</strong>Trainer und Assistenten, die von Reservespielern vollenErsatzbänke. Man brauchte mich nicht mehr.Ich habe den Fußball zum ersten Mal verraten, als ichnoch ein kleiner Junge war. Die Tradition will es, dass <strong>der</strong>Sohn auch ein Fan des Vereins des Vaters wird. Meinerstreifte mir das Trikot des FC São Paulo über. Ich wusstedamals noch nicht wer Pelé war, <strong>der</strong> König, <strong>der</strong> sich imJahr meiner Geburt auf Knien vom FC Santos verabschiedete,dem Verein meiner Heimatstadt. Vielleicht war eswegen des Autogramms auf dem Trikothemd „Für André,mit vielen Grüßen von Edson“, und dann diese Unterschrift,wie ein großes Fallrückziehertor im „P“, gefolgtvon starkem Torjubel. Es war mein erstes Geschenk imLeben – eine Art Schicksal, Wunsch, Zauberspruch, denmein Onkel Herrmann einschmuggelte.Mein Großvater und jener besagte Onkel sprachen vonSantos auf eine so grandiose Weise, dass ich mich fragte,warum Pelé keinen Umhang und kein Schwert trug. Nurnoch Pepe hatte diesen Mordsschuss. Aber alle warenstärker als mein Vater. Ich wich vor den erobertenRuhmestaten zurück. Ich wurde ein Wendehals.Ich war schon ein weit erfahrener Fan von Santos, als ich,mit acht Jahren, meinen zweiten Verrat am Fußball beging.Es war in <strong>der</strong> Pause in <strong>der</strong> Schule. Es gab dort einenBetonplatz und wir spielten, wenn es nicht regnete, mitaus alten Socken gefertigten Fußbällen. Es gab eine Ecke.Die Jungen, dort, wo in <strong>der</strong> allgemeinen Vorstellung <strong>der</strong>Strafraum sein sollte, waren wie Atome kurz vor <strong>der</strong> Atom -spaltung. Meine Lust mit ihnen zu kämpfen, war gleichnull. Ich war, wie immer, ein privilegierter Zuschauer, <strong>der</strong>nur dazu bereit war, nicht im Wege zu stehen. Offiziellhabe ich frei gestanden. Bis dieses weiche Etwas, das wireinen Ball nannten, mitten in das Knäuel von Jungs geschossenwurde. Mein Freund Paulinho, <strong>der</strong> Torwart, warfsich mit den Händen den torhungrigen Köpfen entgegen,und hielt. Er rief: „Lauf, Argolo, lauf!“ und passte den Ballzu mir. Und ich lief, was hätte ich auch an<strong>der</strong>es tun können,und lief. Aber <strong>der</strong> kleine Spielplatz, selbst mit denkurzen Schrittchen eines kleinen Jungen, <strong>der</strong> ich ja war,war schon zu Ende und ich war ganz nah am schlechtan die Wand gemalten Tor, als André Higa, mein Klassenkamerad,ein Typ, den ich mochte, obwohl er keiner <strong>der</strong>Superhelden in meiner Klasse war, also einer wie ich, mitSchrecken im Gesicht auf mich zukam.Ich spürte, wie mich etwas an meinem Schienenbein traf.Dann flog etwas über mich hinweg. Und auch über denHiga. Und schlug genau in <strong>der</strong> Mitte des etwas krummen,weißen Rechtecks ein, das wir als Tor bezeichneten. Wieschade, dass es kein Netz hatte, denn in dem Momentwürde es zittern. Und das Geräusch, das es gar nichtgab, würde ein ganzes Maracanã-Stadion in Verzückungerbeben lassen. Wie schade, nichts <strong>der</strong>gleichen geschah.Meine Mannschaftskameraden sprangen im Kreis ummich herum. Sie klopften mir auf die Schulter, hauten mirauf den Kopf. “Was für ein Tor! Was für ein Tor!” riefensie, und auch <strong>der</strong> Paulinho. Ich habe mich geschämt, Higaanzuschauen. Er hätte es wissen müssen. Aber dann habeich nicht danach gefragt, wer lieber die Wahrheit wollteals den Jubel und habe gestanden: „Das war kein Supertor,das war aus Versehen.“Beim dritten Mal, bei dem ich den Fußball verraten habe,da bin ich beinahe am Strand verprügelt worden. Mit 13Jahren habe ich in Santos mehr im Sand Ball gespielt, alsauf den gepflegten Sportplätzen meiner Schule: AnstattTennis hatten wir Fußball und die Freiheit, von <strong>der</strong> wirglaubten, dass es sie gäbe, wenn das Spiel nicht mit demAbpfiff des Lehrers endet, son<strong>der</strong>n mit den Laternen amStrand, die sich bei Einbruch <strong>der</strong> Nacht einschalten. Eswar das Jahr 1986. Ich habe meine Mutter gebeten, mirein Trikot von Argentinien zu kaufen. Das war die Schuldvon Diego Armando Maradona. Meine Mutter hat es mirgeschenkt. Und ich habe es zum Fußballspielen am Strandangezogen. Man hat mich nicht gut empfangen. Aber zurWeltmeisterschaft 1990 hat mir das Hemd dann schonnicht mehr gepasst.Ich habe aufgehört zu zählen. Die Male des Verrats habensich angehäuft. Es gibt diese Manie, Prinzipien überdie Anzahl <strong>der</strong> Titel zu stellen; ein Dribbling, ein schönerPass bis hin zum Tor; ein, selbst wenn auch gescheiterterVersuch eines schönen Spielzuges, bis hin zum Sieg.Dieser Tick, ein böses Gesicht zu machen, wenn <strong>der</strong> besteSpieler <strong>der</strong> gegnerischen Mannschaft einen Elfmeterherausschinden will: „Das hier ist doch ein Spiel, wenn duernsthaft spielen willst, dann musst du zu den Profis gehen.“In meinem Land sagt man so etwas nicht zu einemSpieler, <strong>der</strong> mit seinem geheiligten Trikot, für das er vielGeld bezahlt hat, auf künstlichem Rasen spielt, um so zutun, als ob er eine Koryphäe wäre, die ungerechterweiseSo ist mein letztes Spiel gewesen. Der Rand des Abgrundsist einsam. Ohne den Schmerz <strong>der</strong> Tritte zu spüren, in einemSturmlauf beim Angriff, ohne das Hemd mit Schweißsich vollsaugen zu lassen, ohne über ein wirkliches Tor zulächeln, das man mit Absicht geschossen hat, o<strong>der</strong> lauthalsüber die köstliche Lüge eines Dribblings zu lachen,habe ich mich zwei Jahrzehnte lang als Reporter verkleidet,in den Stadien herumgetrieben und von den großenGeschichten aus <strong>der</strong> Welt des Fußballs berichtet.Ich dachte, ich wäre nah dran gewesen, aber ich war immerweit davon entfernt. So habe ich es dann aufgegeben.Ich setzte mich hin, um zu lesen und an<strong>der</strong>e Geschichtenzu schreiben. Und ausgerechnet jetzt kommt jemand voman<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Welt und will mit mir Fußball spielen.Sollte dies ein Wink des Verzeihens sein? O<strong>der</strong> eine Falle?Es gibt Risse, die sich niemals schließen und im Grunde,ganz da unten, ist <strong>der</strong> Fußball für gewöhnlich unerbittlich.Aber es ist ein Spiel. Wer weiß, vielleicht beenden einpaar Minuten meine Strafe?in <strong>der</strong> Auswahl des Lebens gescheitert ist.4 5SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]


[Custodio Rosa]Der Ball, die Leidenschaft und die Prinzipien[Flávio Carneiro]Namen <strong>der</strong> LeidenschaftSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Dickerchen, Kindchen, Baby, ich erinnere mich an ihrenDuft, als ich sie das erste Mal sah, rund, rundlich, passtesie genau in meine Umarmung hinein, mit ihrem zartenDuft von neuen Sachen, Puppe, Mädchen, man hatte sogarAngst, dich zu berühren, Verlangen und Angst, dieBegierde mit dir durchs Haus zu rennen (ich war damalsnoch ein verzauberter Junge), sich mit dir im Garten imGras umher zu wälzen, den ganzen Tag mit dir zu verbringen,für kurze Zeit hatte ich die Illusion dein Herr und Gebieterzu sein, dein einziger Herr, bis zu dem Augenblick,in dem meine Freunde kamen und du dich nicht langebitten ließest, ich erinnere mich an deine Kurven, duHinterlistige, Kapriziöse, Teuflische, wie du durch an<strong>der</strong>eBeine schlüpfst, dich an die Oberschenkel meiner Freundeschmiegst, jawohl, meiner besten Freunde, und auch <strong>der</strong>Feinde, du Undankbare, Verworfene, du hast nicht Parteigenommen, es reichte aus, dich zärtlich zu behandelnund da warst du dann, lebendig, an <strong>der</strong> Brust irgendeinesmaskulinen Mannes liegend, giftig, ich habe dich geholtwie man einen Teller Essen holt, und du hast dich garnicht darum gekümmert, warst gefangen, verschlossen,einige haben brutal auf dich eingetreten, hernach wurdestdu von diesem und jenem berührt o<strong>der</strong> du irrtest alleindurch leeren Raum, glittst durch die Lüfte in unsäglichemFluge, wirbeltest herum wie eine Ballerina, und fandest,wie in Zeitlupe, Unterschlupf in den Armen eines An<strong>der</strong>en.Ich erinnere mich an dich, wie du still und einsam, aufden ersten, <strong>der</strong> vorbeikam, wartetest und dann du, mittenzwischen den Beinen von jemand, von Hinz und Kunz, wieich dich mein Liebling nenne und dich hat es nicht einmalinteressiert, du Geschundene, Grausame, Gefährliche, duZuckersüße, du Feurige, Geraubte, <strong>der</strong> man nachrennt, dieich wie verrückt verfolgte und du, wie du mir ausweichst,du Eckige, ich habe nicht einmal einen Schatten von dirgesehen, und wie wahnsinnig wollte ich dich nur für michallein, du Dickerchen, Rundliche, Kindchen, ich habe dichnie mit Eure Exzellenz angesprochen, so komm also auchmit mir mit, Du, Prinzessin, du Lie<strong>der</strong>liche, Geliebte, Verdammte,ja, genau so, mit Geschick bearbeitet, liebst du esauf bestimmte Typen einzuschlagen, auf mich aber nicht,du Ungezogene, Ängstliche, Köstliche, heute will ich dichbei mir haben, so dass die Rivalen um mich herum fallen,indem sie dich aufreizend rollen sehen, fast in Reichweiteund dennoch unerreichbar, heute gehörst du mir, morgenist Montag und niemand weiß, was sein wird, sie werdenversuchen, dich mir wegzunehmen, das werde ich aberbestimmt nicht zulassen, erst dann wenn ich es auch will,erst dann, wenn du dort sein wirst, wo ich es will, dannkannst du mit allen Männern gehen, die auftauchen, aberheute nicht, heute will ich dich zu meinen Füßen, kommmit mir mit, ich werde dir zeigen, wo das Paradies ist,ich werde dich ins Netz betten, ganz sanft, da, in diesesNetz dort, komm, meine Gaunerin, du Untreue, du meinegeliebte Le<strong>der</strong>kugel.SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]6 7


[Florian Werner]Mein erster Ball[Jochen Schmidt]Mein erster BallSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Wir trafen uns auf einem Maskenball.Der Saal sah aus, als wär’s in Tadsch Mahal,Der Schampus floss in stetem SchwallAus einem ChampampagnerwasserfallIn einen Brunnen aus Kristall.Zu Essen gab’s Lamm provençale,Giraffe [lei<strong>der</strong> nicht halal],Kandierte Amsel, Drossel, NachtigallLachs, Kaviar und Krill und Quall−ensushi sowie frischen Sal−aman<strong>der</strong> in Aspik, ich war schon lull und lall:Da traf ich diese Femme fatale.Ich selber trug nichts als Sandalen, ging als Hannibal,Sie sagte, sie sei Madame Blaise Pascal,Trug einen purpurfarbnen Seiden-OverallUnd eine Kette aus Korall.Wir tanzten Samba, Swing und Wal−zer, und hin und wie<strong>der</strong> auch mal Sal−sagt sie: „Das ist ein Überfall!Hör zu, ich komm aus gutem Stall,Ich habe reichlich KapitalIch reis interkontinentalDie kreuz, die quer, diagonal,Okzident- und oriental,Ob Sturm, Taifun o<strong>der</strong> Mistral,Vom Saalestrand bis nach Ital−“Ich unterbrach: „Das ist ja tall,äh, toll, und ich mag Dich total.Aber …“ Sie sagte: „Schätzchen, schwallmich nicht so voll. Wenn ich gefall,Dann komm mit mir nach Schwäbisch Hall,Da gibt’s ein großes FestivalZum frühen Werk von Louis Malle.Zufällig ist auch Karneval!Verkleide dich als FeldmarschallIch komme mit als dein Vasall,Tätä tätä tätä! Narrhall−amarsch. Was zögerst Du? Komm! Und zwar dall−“Ich sagte: „Hör mal, hallo, hal−t−das geht mir zu sehr Knall auf Fall.Wir beide: Das hat Potenzial!Doch gib mir kurz ein IntervallZum Nachdenken …“Uh-oh, là làll:Die Antwort, die war offensichtlich fal−schnell wurde Pascal aschefahlVor Wut und schrie: „Mir platzt die Gallenblase.Na warte, Hannibal. Ich knallDir eine, und mit ÜberschallFliegst du im hohen Bogen nach Walhall.“Gesagt, getan: Madame PascalNahm einen Schlagring aus MetallUnd hieb ihn mir ins Genital,Dann ballerte sie ihn mir brutalAuf meinen Schädel, überallHin, Hilfe! schrie ich — und ich fallIn Saltos, Schrauben und Spiral−en kopfüber in das dunkle All.Elf Engel singen im Choral:Krawehl, krawehl? Krawall, Krawall?Ich weiß nicht mehr. Ist auch egal:Das war mein erster [und mein letzter] Ball.Ich hatte als Kind zwei Leidenschaften, die schwer miteinan<strong>der</strong>zu vereinbaren waren: zuhause bleiben undFußball spielen. Zuhause war es schön trocken, manwurde nicht von Straßenkin<strong>der</strong>n mit Katapulten beschossen,und man konnte seinen Schlüssel nicht verlieren.Fußball spielen ging aber nur draußen, weil meine Elternschon lange vor meiner Geburt damit begonnen hatten,in unserer Wohnung wacklige Bücherstapel zu errichtenund überall Meißner Porzellan hinzustellen, und dieBücher, die in den Regalen stehen durften, wurden sogarvon Glasscheiben geschützt. Außerdem gab es da ja nochdie Fenster, die ebenfalls aus Glas waren, und wertvolletechnische Geräte, wie den Schwarz-Weiß-Fernseher,den Grundig-Kassettenrekor<strong>der</strong> und die elektrische Kaffeemühle,Investitionen fürs Leben, die auf keinen Fallbeschädigt werden durften. Man konnte also zuhause nurdas Spiel bei ruhenden Bällen üben, wie man z.B. eineMauer stellt, aber das war alleine nicht sehr unterhaltsam.Meine Tante aus Hamburg hatte vermutlich gar nichtgeahnt, was sie mir mit dem Handy-Ball für ein gelungenesGeschenk machte. Eine orange Schaumgummikugel mitroten Schlieren, mit <strong>der</strong> man gefahrlos gegen Glasscheibenschießen konnte. Eigentlich war ich gegen Schaumgummiallergisch, schon <strong>der</strong> Gedanke, diesen Stoff zu berühren,war mir so unangenehm, daß ich zusammenzuckte, aberbeim Handy-Ball überwand ich meinen Ekel. Ich konntejetzt jonglieren üben, mit Kopf, Füßen und Knien, gegeneine Wand, so würde ich, ohne je mit an<strong>der</strong>en gespieltzu haben, eines Tages als fertig ausgebildeter Spieler dieBildfläche betreten.Wenn im Fernsehen Argentinien gegen Brasilien spielte,berührte <strong>der</strong> Ball ja über lange Strecken gar nicht mehrden Boden. Es ist immer noch eine meiner Hauptbeschäftigungenbeim Fußballgucken, mitzuzählen, wie oft einBall hintereinan<strong>der</strong> geköpft o<strong>der</strong> volley gespielt wird, bisein Spielver<strong>der</strong>ber ihn auf den Boden aufspringen läßt.Das ist wie am Meer flache Steine ditschen zu lassen, mankann auf diese Weise die Langeweile überbrücken, von<strong>der</strong> die meisten Fußballübertragungen nicht frei sind. Mirwar auch nie klar, warum man den Ball nicht einfach aufdem Kopf ins gegnerische Tor balanciert. Eine noch einfachereMethode, mit <strong>der</strong> je<strong>der</strong> ein Tor selbst gegen denFC Bayern München erzielen könnte, wäre es natürlich,nachts ins Stadion einzubrechen und den Ball ins Tor zutragen. Ich möchte den Profi-Fußballern nicht unterstellen,daß sie zu dumm sind, auf diese Idee zu kommen,aber es fällt schon auf, daß sie sich immer genau danndarum bemühen, wenn sich an<strong>der</strong>e Spieler auf dem Feldbefinden, die sie dabei behin<strong>der</strong>n und teilweise sogar dieHände benutzen.Mein Vater stellt mir auch heute noch bei jedem Spiel,das wir zusammen gucken, die Frage, ob die Spieler nichtbeim Köpfen ihr Gehirn schädigen. Er fragt mich auchimmer, welcher <strong>der</strong> beiden Spieler noch einmal “Thon”und welcher “Thom” hieß, das sind so unsere Gespräche.Früher hat er mir beim Fußballgucken die Fußnägel geschnitten,so konnte ich mir manchmal eine Halbzeiterschleichen, wenn ich eigentlich ins Bett mußte, heutehabe ich längst herausgefunden, daß man Fußnägel garnicht schneiden muß, sie nutzen sich irgendwie von selbstab.Mit dem Handy-Ball habe ich jedenfalls beim Köpfenmein Gehirn nicht geschädigt, daran waren bestimmteGetränke schuld. Damals hätte ich mich wahrscheinlichnoch Cacau nennen können, heute eher Lahm o<strong>der</strong> Messi.In meiner Kakao-Zeit habe ich dann die Wohnung docheinmal verlassen und auf einem Spielplatz im Viertelmitspielen dürfen, obwohl ich eine Brille hatte. Das Torwar ein halbbogenförmiges Klettergerüst, das an<strong>der</strong>e Torstand im Winkel von 90° dazu. Der Ball fiel mir vor dieFüße, ich schoß aufs Tor, und <strong>der</strong> Ball wäre reingegangen,aber ein Junge, <strong>der</strong> auf dem Gerüst saß und eigentlichgar nicht mitspielte, rutschte schnell runter und fing ihnauf. Daran schloß sich eine dieser endlosen Diskussionenüber die Regelauslegung an, mit denen wir damals vielmehr Zeit als mit dem eigentlichen Spiel verbrachten.Anschließend mußte ja auch noch gewählt werden, undbevor es endlich losgehen konnte, mußten die erstenschon wie<strong>der</strong> nachhause zum Abendbrot.Mein erstes Tor, das gar keines war, habe ich jedenfallsnie vergessen, ein Vorgeschmack auf die Ungerechtigkeitendes Lebens. Etwas an<strong>der</strong>es ist mir aber auchnoch in Erinnerung von diesem ersten Spiel mit Straßenkin<strong>der</strong>n,die ihre Katapulte dafür ausnahmsweise einmalzur Seite gelegt hatten. Es wurde nämlich verfügt, daßwir uns vor dem Anstoß die Beine ausschütteln sollten.Das war eine interessante Bewegung, als würde man miteinem Seil eine Welle machen. Das Ziel war es, vergessenzu lassen, daß man Knochen in den Beinen hatte, siemußten wie Gummischläuche wirken. Einer <strong>der</strong> Großenlobte mich dafür, wie gut ich Beine ausschütteln konnte.Ich war richtig stolz darauf, denn bis dahin hatte ich nichtgewußt, daß ich ein Talent zum Beine ausschütteln hatte.Ich habe das dann lei<strong>der</strong> nicht weiter verfolgt, und es hatnie jemand mein Talent entdeckt, so daß es verkümmernmußte.SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]8 9


[Jörg Schieke]Die Glücklichen[Marcelo Moutinho]DER BALL UND DIE ZEITSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Manche Menschen schwimmen im Sommer mit dem Herzen voranaber viele fangen auch einfach zu weinen an.Weißt du, ich habe mal ein prima Mädel getroffendas hatte seine Lieblingspuppehoch in einen Kastanienbaum geworfen.An einem Julitag, seinerzeitin den vorbestraften fünfziger Jahren.Scharlach, Mumps, Windpocken, Röteln– wir waren schon eine lustige Truppe.Mumps ist dann hin zu dem Baum, zielt, schießt:Die Puppe fällt runter, <strong>der</strong> Fußball bleibt oben.Ich habe die eine Krankheit nachträglich mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n verwoben.Weißt du, ich habe mal auf einem Platz spielen müssen<strong>der</strong> war so klein, dass sich die Strafräume in <strong>der</strong> Mitte berührten.Vor dem einen Tor eine Pfütze voller Krankheitserreger, voller Schaumein richtiger Infektionsherd. Wir durften unseren Ballda um Gottes willen nicht hineinrollen lassen. Nur <strong>der</strong>diensttuende Pflegerwar ein bisschen geimpft. WindpockenMasern, Mumps, Röteln: lauter Kin<strong>der</strong>krankheiten, alles Kin<strong>der</strong>kacke.Zwischenfrage: Dieser Seuchen-Ball, war das <strong>der</strong> aus dem Baum?Und stand da noch immer jenes Puppenmädeldas mit den braunen Lockenund hat böse böse geschimpft?Natürlich, sie war ja unsre Lieblingsärztinund lebte Arm in Arm mit Blaulicht und Martinshorn in <strong>der</strong> Sani-Baracke.Zwanzig Jahre später fiel <strong>der</strong> Ball von ganz allein aus dem Baum. Wirwaren inzwischen alle entlassen und trafen uns ein letztes Mal, um endlichmit unserem Ball ein richtiges Spiel auszutragen. Der Platz war noch immerso klein, dass sich die Strafräume berührten. Das Gras reichte uns biszu den Kniekehlen. Der Ball war zu einer Matschpflaume geworden, dasheißt, alle Luft war entwichen. Die meisten von uns konnten inzwischenrecht ordentlich zählen, aber keiner konnte die Zahlen auch zum Rechnenanwenden. Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division. Mumps, Masern,Röteln, Windpocken. Zählen ist das eine, zusammenzählen das an<strong>der</strong>e. Dasschlimmste aber war, dass niemand an eine Luftpumpe gedacht hatte. Wirversuchten es mit <strong>der</strong> Kraft unserer Mün<strong>der</strong> und Lungen, wir pustetenund sabberten am Ventil rum, und hatten doch nur das Gefühl, es sei allesvergebens. Einer sagte: Wir sind zu neunt, wir spielen die Guten gegen dieBösen, und die Guten bekommen acht Tore Vorsprung; mindestens. Das istso – sagte ein an<strong>der</strong>er, einer, <strong>der</strong> sich schon immer sehr schlau vorgekommenwar – als müsste bei einer Schachpartie <strong>der</strong> Schwächere mit einemTurm, einem Läufer und einem Springer weniger anfangen. Wir wusstenallerdings, dass wir sowieso nicht spielen würden, weil <strong>der</strong> Ball, <strong>der</strong> sichdie ganze Zeit über tot gestellt hatte, gegen 22.37 Uhr wirklich gestorbenwar. Spätestens da wünschten sich viele das Puppenmädel zurück, unsereliebe Ärztin, aber die war mittlerweile von einer Betreuerin zu einer Insassingeworden und hatte an diesem Abend gar keinen Ausgang.123Mein Vater hat nur mit <strong>der</strong> Picke schießen können. Erhat nie eine Flanke mit dem Außenrist geschossen, einenSchuss mit drei Zehen, mit dem man dem Ball Effet gebenkann und seinen Bewacher täuschen. Er hat Fußball gerneam Fernseher verfolgt, hat aber noch niemals in seinemLeben in einem Spiel mitgespielt.Meine erste Erfahrung mit dem Ball war eigentlich einesehr einsame Geschichte. Ich stellte das Radio auf denSen<strong>der</strong> ein, <strong>der</strong> das Spiel von Fluminense übertragen sollte,schloss die Tür in meinem Zimmer, rannte herum undschoss einen virtuellen Ball, während <strong>der</strong> Reporter beschrieb,was sich im Stadion zutrug. Es war ein geheimerund einsamer Tanz mit <strong>der</strong> eigenen Vorstellungskraft.Im Gymnasium habe ich die Pausen genutzt, um michmit den Kameraden auf ein „Spielchen“ zu treffen. DasSpielfeld – ein Teil des ewig langen Schulhofs – vertrug soviele Spieler, wie mitspielen wollten. Das taktische Systemwar einfach: alle sind dahin gelaufen, wo <strong>der</strong> Ball war– <strong>der</strong> in Wahrheit ein kugelförmiges Objekt aus zusammengedrücktenSchokoladengetränkekartons war, die mitTesa-Film zusammengehalten wurden.Ein Fußballspiel live, mit einem offiziellen Fußball, Trikotsund allem was so dazugehört, das habe ich erst gesehen,als ich schon acht Jahre alt war und es geschafft hatte,meinen Vater zu überreden, wie<strong>der</strong> ins Maracanã-Stadionzu gehen. Der Alte war einer <strong>der</strong> Überlebenden <strong>der</strong> Weltmeisterschaftvon 1950. Er hatte dort das Endspiel gegenUruguay gesehen und das Trauma war so groß gewesen,dass er nie wie<strong>der</strong> das Stadion hat betreten wollen. Nochdazu war er begeisterter Anhänger von Botafogo, wases mir auch nicht gerade leichter machte: Ich musste ihndazu überreden, sich ein an<strong>der</strong>es Spiel als das seines Vereinsanzuschauen. Ich habe es aber dennoch geschafft. Alswir im Maracanã ankamen und das Spiel begann, fragteich ihn: „Wo ist denn <strong>der</strong> Reporter?“. Vater lachte undumarmte mich, wie nur Väter es können.In meiner Jugend dann spielte ich mit Freunden, die beimir in <strong>der</strong> Nähe wohnten. Wir haben auf <strong>der</strong> Straße, aufdem Asphalt gespielt. Die beiden kleinen Tore, aus altenHolzlatten und einem gebrauchten Volleyballnetz zusammengezimmert,brauchten keine Torhüter. Wenn dann einAuto kam, wurde das Spiel für einige Sekunden unterbrochen.Danach ging es wie gewohnt weiter.Es war dort, auf <strong>der</strong> Straße, dort habe ich gelernt mit demAußenrist zu schießen, einen Schuss mit drei Zehen, vollerEffet. Wenn ich auch kein geborenes Talent war, so lernteich es doch durch beharrliches Üben.Nelson Rodrigues, <strong>der</strong> Chronist, <strong>der</strong> am besten überden Fußball geschrieben hat, sagte einmal, dass brasilianischeSchriftsteller nichts vom Sport verstünden, ja,dass sie nicht einmal einen einfachen Einwurf zustandebrächten. Als ich mein erstes Buch veröffentlichte, dahat mein alter Herr noch gelebt, und das gut, aber erhat nie ein Tor von mir gesehen. Die ganze Zeit, seitdemich begonnen habe, mich auf den Rasen zu wagen, habeich versucht, diesen Satz von Nelson Rodrigues zu wi<strong>der</strong>legen.Spiel für Spiel. Und manchmal, wenn mitten ineinem Spiel <strong>der</strong> Ball gerade auf den Körper zukommt, eraber zu kurz ist, um ihn mit rechts o<strong>der</strong> auch mit links zuschießen, da mache ich nicht lange herum und pfeif aufKlasse. Dann schieße ich mit <strong>der</strong> Picke, wie mein Vater,nur um seiner zu gedenken.10 11SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]


[Márcio Vassallo]Meine ersten Erfahrungen mit dem Ball[Marcos Alvito]Die Geschichte einerunmöglichen Liebe: Ich und <strong>der</strong> BallSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Ich wuchs mit ihm zu Füßen auf, wie so viele brasilianischeJungs, aber, auf Grund fehlen<strong>der</strong> Intimität, habe ichihm nie das Wasser reichen können.Denn, ich habe anfangs gedacht, dass <strong>der</strong> Ball ein Spielzeugwäre, das man nur treten müsste. Es hat etwas gedauert,bis ich gemerkt habe, dass er in Wahrheit dazuda ist, die Träume in uns an die Oberfläche zu bringen.Vom Traum zur Erinnerung, es gibt Menschen, die erinnernsich an das erste Mal, an dem sie das Meer gesehenhaben. Ich bin in Rio de Janeiro geboren, in Copacabana.Von klein auf ist <strong>der</strong> Strand mein Garten gewesen, in demmir meine Mutter beibrachte, Musik aus Muscheln zupicken und mein Vater, mit mir zusammen, das Universumvor den Attacken <strong>der</strong> fürchterlichsten Seemonsterverteidigte.Von all dem abgesehen, wünschte ich es mir manchmal,fern vom Strand aufgewachsen zu sein, um dann einesTages, wenn ich schon erwachsen wäre, das Meer zumersten Mal zu sehen, mit überraschtem Blick und vorErstaunen offenem Mund. Ich erinnere mich nicht mehrgenau an den Tag, an dem ich das Meer zum ersten Malsah. Auch erinnere ich mich nicht an den Tag, an demich zum ersten Mal einen Ball gesehen habe. Ich erinneremich aber an das erste Mal, an dem ich tatsächlichFußball gespielt habe, in einer Einbahnstraße, mitTorpfosten aus aufeinan<strong>der</strong> gelegten Steinen, Latscheno<strong>der</strong> Ziegelsteinen. Der Star dieses Spiels, und das vieleran<strong>der</strong>er, die ich an diesem Ort spielte, war ein Mädchennamens Vica. Ich war acht Jahre alt. Damals dachte alleWelt, dass Mädchen keinen Fußball spielen könnten. Aberalles was ich im Leben wollte, war wie Vica dribbeln zukönnen, die alles, was an Jungen da war, umspielte, in<strong>der</strong> Straße, auf dem Rasen, dem Spielplatz und im Dreck,wo immer man ihr auch einen Ball zuspielte.Später dann, mit elf, weit weg von Vica und woan<strong>der</strong>swohnend, hatte ich meine Torwartphase. Das Gymnasium,das ich besuchte, veranstaltete eine Weltmeisterschaftfür Jungen, die das ganze Jahr über andauerte.Jede Klasse hatte vier Nationalmannschaften. Ich war<strong>der</strong> Torhüter von Deutschland. Ich hatte eine Kappe wieSchumacher, damals <strong>der</strong> deutsche Torwart. Bis heutekann ich deswegen die deutsche Nationalhymne pfeifen.Eines Tages, im Endspiel gegen Italien, kurz vor Ende desSpiels, hielt ich den Elfmeter des Torschützenkönigs <strong>der</strong>Meisterschaft und wir hatten gewonnen. Er schoss aufdie eine Seite des Tors und ich warf mich in die an<strong>der</strong>e,habe aber den Ball mit dem Fuß noch herausgeholt. Dasganze Gymnasium fiel im Jubel über mich her.In allen Momenten meines Lebens versuche ich, auf irgendeineWeise, das Glücksgefühl dieses magischen Augenblickseinzufangen. Mit zwölf Jahren aber, da habeich mich endgültig in den Ball verliebt, auf einem kleinenFußballplatz, ohne Rasen, in Belém do Pará am Amazonas,wo ich fünf Jahre lang gewohnt habe. An dem Tag, an demich diesen kleinen Platz entdeckte, wollte ich auch schongleich spielen, mit Sportschuhen und Stutzen, ganz adrett,so wie ich immer gespielt habe, als Vadinho, ein Jungemit langen roten Haaren, den Satz sagte, <strong>der</strong> mein Lebenverän<strong>der</strong>n sollte: „Mann, hier spielen wir nur barfuß“.Bis zu jenem Tage hatte ich noch nie barfuß Fußballgespielt. Den Ball an meinem Fuß zu fühlen, das erste Malseine Le<strong>der</strong>haut spüren, endlich so intim mit mir, letztendlichdas wahrhaft erste Mal mit einem Ball zu haben,all dies war eine so starke Erfahrung, dass mein Herzauch heute noch zu rasen beginnt, wenn ich mich auchnur daran erinnere… Bis heute, mit o<strong>der</strong> ohne Ball an denFüßen, ziehe ich es immer vor, barfuß zu sein.Übrigens, habe ich das Buch „Der Junge mit Regen imHaar“ barfuß geschrieben. Es ist die Geschichte eines Jungen,<strong>der</strong> Fußballspieler werden wollte, dann aber Schriftstellerwurde, als er entdeckte, dass er die Ergriffenheitvor einer Landschaft dem Torjubel vorzieht.Aber heute, hier in Frankfurt, jubelt <strong>der</strong> Junge mit Regenim Haar - jetzt allerdings ohne Haare - mehr als dieschönsten Landschaften Deutschlands. Letztendlich wares auf Grund dieses Buches und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, die ichgeschrieben habe, dass ich hierhergekommen bin, umFußball zu spielen und euch kennenzulernen. Ich widmediesen Text meinen Großmüttern, Fófa und Benita, diemich an die Literatur herangeführt haben, die Literatur,die mich so vielen geschätzten Menschen nahe brachte.In meinem Alltag als Schriftsteller beeinflusst all das, wasmein Leben inspiriert, auch meine Arbeit. Und alles, wasmeine Arbeit inspiriert, beeinflusst mein Leben. MeinenDank an alle hier Anwesenden für diesen bezaubern<strong>der</strong>enAugenblick, als es ein gehaltener Elfmeter in einem Endspielsein kann… Ich wünsche euch ein Leben voller wun<strong>der</strong>schönerÜberraschungen.Immer dann, wenn wir gerade anfingen, mit unseremBall zu spielen, mit einem dieser Gummibälle für Kin<strong>der</strong>,tauchte wie durch Zauberei unser Henker auf und hatihn uns einige Minuten später weggenommen. Wie hater es nur so schnell herausgekriegt, dass wir gespielthaben, unsere Garage wäre das Maracanã-Stadion undjener Schuss wäre ein Pass von Gérson o<strong>der</strong> ein raffinierterSpielzug von Tostão gewesen. Das schlimmsteaber war, dass dieser verdammte Portier, <strong>der</strong> so einschmales Gangsterbärtchen trug, sich immer mit einemhöhnischen Grinsen im Gesicht an uns heranschlich. Unddann ging er triumphierend mit dem Ball unterm Armweg. Erst später haben wir das Geheimnis dieser Kanaillegelüftet. Er hatte durch das Schlüsselloch <strong>der</strong> Tür gelinst,die die Garage von <strong>der</strong> Portiersloge abtrennte und hatuns dort spielen sehen. So einfach war das. Er war wieein Schiedsrichter <strong>der</strong> ewig Abseits pfiff.Zusammen mit zwei Freunden haben wir uns dann entschlossendagegen zu protestieren. Vielleicht waren wirdurch die Nachrichten beeinflusst, die über die Studentenprotestewährend <strong>der</strong> Diktatur berichteten. Mitten in<strong>der</strong> Nacht schrieben wir Parolen gegen unsern Henker analle Wände. Da wir nicht einmal wussten, was ein Sprayist, haben wir einen blauen Wachsmalstift benutzt. Esmuss aber wohl einen Verräter unter uns gegeben haben.Am Nachmittag des nächsten Tages standen wir dannalle da, mit Eimer und Bürste bewaffnet und beseitigtendie Zeichen dieser mehr als gerechten Manifestation vonden Wänden.In Wahrheit hatte er nur seine Pflicht getan, wenn auchmit unverkennbarem Sadismus. Ich wette, dass seinVater ihm das Fußballspielen verboten hatte, als er nochklein war. Wir aber haben nicht aufgegeben. Wir machteneinige Plakate und zogen in einem Protestmarsch in dieEigentümerversammlung ein, die unheimlich langweiligwar, bei <strong>der</strong> es aber immer umsonst Limonade gab. Undwie die Vietcong starteten wir unsere Endoffensive:Wir gingen von Tür zu Tür, um Unterschriften zu sammeln.Wir baten um Erlaubnis, damit eine Bande vonKin<strong>der</strong>n Fußball spielen könnte. Wer ein Auto besaß, <strong>der</strong>fürchtete, dass einer dieser machtvollen Schüsse die Karosserieseines kostbaren Vehikels beschädigen würde.Als sie aber in unsere fußballlosen Augen sahen, da habensie dann doch unterschrieben.Eine Überraschung: <strong>der</strong> so allmächtige Syndikus, vielleichtweil er mein Vater war, hat auch unseren Apellennachgegeben. Zwei o<strong>der</strong> drei Monate lang waren wir dieglücklichsten Kin<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Welt.Der neue Syndikus aber, und sein Beruf als Zahnarztlässt es schon erahnen, erließ ein neues Dekret und verbanntesomit für immer den Fußball und gleichzeitig unsereFreude.Unsere allerhöchsten Appellationen wurden allesamt zurückgewiesen:zuerst mit aus alten Socken gemachtenBällen spielen zu dürfen, dann mit Tennisbällen, und,man glaubt es kaum, mit Murmeln, die man mit dem Fußspielt. Wir mussten in einer Traumwelt leben, die sichKnopffußball nannte. In ihr wurde je<strong>der</strong> zum Funktionär,Trainer, Spieler und gleichzeitig zur Fangemeinde. Ganzzu schweigen von jenen Schwärmern, die zu Reporternwurden, um ihre eigenen Spielzüge zu kommentieren.Wir machten Tabellen und stellten Regeln auf, ja wirentwarfen sogar Sportzeitschriften, die dann auf <strong>der</strong>Schreibmaschine ins Reine geschrieben wurden. Es wareinfach zu schön. Aber wir vermissten ihn, den Ball.Schließlich hatte <strong>der</strong> Ball des Knopffußballs Ecken. MitSicherheit, um uns daran zu erinnern, dass einfach etwasfehlte: unsere unerreichbare Liebe, <strong>der</strong> Ball.Der Fußball, den ich heutzutage spiele, auch <strong>der</strong> ist eckig,ohne Dribblings, Schüssen mit Effet, genau geschlagenenFlanken o<strong>der</strong> zielgenauen Pässen. Je mehr ich den Ballbegehre, desto mehr scheint er vor mir zu fliehen. DerBall aber ist immer unvorhersehbar. Und lädt er michjetzt nicht sogar, im vollen Gange <strong>der</strong> zweiten Spielhälfte,dazu ein, einer <strong>der</strong> glücklichsten Spieler des FCPindorama zu sein?Komm nur mein Bällchen, komm…SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]12 13


[Matthias Sachau]Schütze holt!SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Was damals passiert ist, hätte nicht passieren dürfen.Und nachdem es doch passiert war, wusste ich gleich,dass es nur ein Vorzeichen für etwas noch viel schlimmereswar. Aber eins nach dem an<strong>der</strong>en.Ich wohnte in Oberbayern, irgendwo an einem Stadtrand.Da herrschten klare Verhältnisse. Hier war Siedlung undda war Maisfeld. Die Grenzlinie dazwischen war ein gera<strong>der</strong>Strich auf dem Katasterplan. Nur an einer Stelleschrieb er eine kleine rechteckige Ausbuchtung in denAcker hinein. Das war <strong>der</strong> Bolzplatz.Dort stand auf <strong>der</strong> Maisfeldseite ein großes Tor aus Aluminium.Gleich dahinter ragte ein Maschendrahtzaunacht Meter in den Himmel, damit zu hoch geschosseneFußbälle nicht im Maisfeld verschwanden. Auf <strong>der</strong> Siedlungsseitewäre ein zweites Tor gut gewesen, aber manwollte auch etwas für die Kleinen haben. Deswegen standdort ein bunt lackiertes Klettergerüst. Das wurde aberauch von den Großen benutzt. Zum Biertrinken und KüssenÜben. Und die Kleinen kletterten lieber auf den hohenZaun hinter dem Tor.Man musste klein sein, um auf den Zaun klettern zukönnen. Nur bis Schuhgröße 34 passten die Füße in dieMaschen. Als meine Füße noch gepasst hatten, verbrachteich so viel Zeit dort oben, dass ich ohne hinzuschauen, alleinanhand von Geräusch und Erschütterung bestimmenkonnte, wer gerade den Ball in meinen Hochsitz gedonnerthatte.Als meine Füße zu groß für den Zaun geworden waren,wollte ich bei den Fußballern mitspielen. Zuerst durfte ichnicht, weil ich noch zu klein war und verbrachte einigeZeit im Niemandsland zwischen Zaun und Spielfeld undwuchs. Als ich endlich durfte, musste ich ins Tor. Hier warmein Platz, bis <strong>der</strong> nächste Kleine vom Zaun herunterkommen und mich ablösen würde. Bis dahin musste ichaufpassen, den Großen keinen Grund zur Beanstandungzu geben. Das war nicht immer einfach. Mein größtesProblem bestand darin, dass ich kein bayerisch sprach.Außerdem konnte ich fast nie einen Ball halten, weil dasTor viel zu groß für mich war.Als Ausgleich holte ich alle verschossenen Bälle. Wenneiner den Ball am Zaun vorbei in das Maisfeld drosch,schrien die an<strong>der</strong>en immer „Schütze holt!“ Wenn dann ichstattdessen losrannte, war <strong>der</strong> Schütze froh, dass er verschnaufenkonnte.Nur wenn Toni kam, durfte ich Feldspieler sein. Toni wollteProfi-Torwart werden und ging deswegen freiwillig insTor. Der Andi, <strong>der</strong> Rudi o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schorsch schrien mirdann zu, wie das mit dem Feldspielen ging. Sie wohntenalle drei in meiner Straße und waren für meine fußballerischeErziehung zuständig. Sie waren sehr gut.Wenn sie in einer Mannschaft zusammenspielten, gewannensie immer.Doch an diesem Tag war alles an<strong>der</strong>s. Und es hätte nichtpassieren dürfen. Die Verwandtschaft aus <strong>der</strong> Schweizwar zu Besuch gekommen. Mit ihren Kin<strong>der</strong>n Urs, Wulfund Fritz. Und ich musste Urs, Wulf und Fritz mit zumBolzplatz nehmen. Das war schlecht. Schweizer sind niegut im Fußball, das wusste ich. Deshalb waren sie für diebevorstehende Weltmeisterschaft auch gar nicht qualifiziert.Und sie redeten Schweizerdeutsch. ZumindestWulf und Fritz. Urs, <strong>der</strong> größte von ihnen, redete garnichts. Außerdem wechselte er aus irgendeinem Grundnur einmal in <strong>der</strong> Woche die Socken, was dazu führte,dass seine Füße sogar noch durch seine Turnschuhe hindurchstanken. Das würde alles auf mich zurückzufallen.Schritt für Schritt näherten wir uns dem Bolzplatz. Ichversuchte so langsam wie möglich zu gehen, aber wir kamentrotzdem an. Andi, Rudi und Schorsch waren schonda und warteten auf Mitspieler. Urs, Wulf und Fritz wolltenzusammenspielen. Andi, Rudi und Schorsch wareneinverstanden. An diesem Tag ging ich gerne ins Tor.Vielleicht war so noch etwas zu retten. Wenn Andi, Rudiund Schorsch zusammenspielten, würden meine Cousinszehn zu null geschlagen werden. Vielleicht gingensie dann weg und ich könnte noch etwas länger bleibenund Andi, Rudi und Schorsch würden erkennen, dass ichnichts mit denen zu tun hatte, außer ein bisschen Verwandtschaft.Wie ein Fußballspiel auf dem Bolzplatz begann, warnicht festgelegt. Es musste halt irgendwie anfangen. Wie,das wurde jedes Mal neu erfunden. An diesem Tag hieltRudi den Ball lange mit den Füßen hoch. Das konnte ersehr gut. Dann ließ er ihn gnädig zu seinen Gegnern rollen.Ausgerechnet zu Urs.Urs stellte seinen stinkenden Fuß auf den Ball undwartete, die Nase hoch in die Luft gereckt, als wäre er<strong>der</strong> Fußballgott persönlich. Ich überlegte, ob ich schnellim Maisfeld verschwinden und nie wie<strong>der</strong> kommen sollte.Rudi wurde die Sache bald zu dumm. Er schlappteaufgesetzt schwerfällig zu Urs und trat dann plötzlichnach dem Ball. Wenn man den Fuß auf den Ball gestellthatte und jemand trat einem den Ball unter dem Fußweg, war das peinlich.Aber Rudi hatte ins Leere getreten. Urs war schneller,hatte den Ball mit <strong>der</strong> Fußsohle weggezogen und ihnanschließend zwischen Rudis Beinen hindurchgeschoben.So ging es dann los. Urs spielte zu Wulf, Wulf zuFritz, Fritz zu Urs. Beängstigend schnell kamen sie in dieNähe meines Tors, aber sie schossen nicht. Sie spieltensich nur den Ball zu.Urs, Wulf, Fritz, Urs, Wulf, Fritz, Urs, Wulf, Fritz, als ob siegenau diese Reihenfolge einhalten müssten. Andi, Rudiund Schorsch kamen nicht an den Ball, egal was sie versuchten.Selbst wenn sie sich die Pille durch ein leichtesFoulspiel ergaunerten, wurden sie sie sofort wie<strong>der</strong> losund meine Cousins spielten weiter Urs-Wulf-Fritz. Es sahaus, als führe <strong>der</strong> Ball auf unsichtbaren Schienen einenpräzise berechneten Zickzackkurs zwischen Bahnhöfen,die immer genau dann auftauchten, wenn er ankam.Andi, Rudi und Schorsch wurden sauer. Sie sagten, dassUrs, Wulf und Fritz gescheit spielen und Tore schießensollten. Urs ließ sich den Ball zuspielen, umkurvte Andiund Rudi und kam auf mich zu. Andi schrie „Torwart rauslaufen!“und ich lief Urs entgegen. Mit offenen Handflächen,die Arme im Dreißig-Grad-Winkel vom Körperabgespreizt, so wie ich es gelernt hatte. Aber Urs schossnicht. Er schob den Ball zur Seite. Dort stand Wulf undließ ihn im Zeitlupentempo ins Tor kullern.Ich war nicht schuld. Mehr, als mit offenen Handflächenherauslaufen, kann ein Torwart nicht, wenn ein Spielerallein auf ihn zukommt. Das wussten Andi, Rudi undSchorsch. Urs, Wulf und Fritz schossen jetzt lauter Kullertoreund Andi, Rudi und Schorsch schrien sich wütendgegenseitig an.Dann kamen Michi, Thomas und Rainer. Andi wollteneue Mannschaften machen und Urs, Wulf und Fritzverteilen, weil sie zu gut waren. Meine Cousins wolltenaber zusammenbleiben. Sie wollten gegen Andi, Rudi,Schorsch, Michi, Thomas und Rainer spielen. Sechs gegendrei. Michi, Thomas und Rainer schauten komisch aberAndi sagte sofort ja.Die zahlenmäßige Überlegenheit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en wirkte. DerBall wurde oft aus den Schienen gestoßen und Bahnhöfekamen nicht mehr pünktlich. Wenn die Schweizer am Ballwaren, versuchten sie weiter, Kullertore zu schießen,aber es waren zu viele Beine dazwischen. Der an<strong>der</strong>enMannschaft gelang allerdings auch kein Tor. Sie kämpften,schwitzend, verbissen, aber umsonst.Normalerweise weiß man es schon kurz vorher. Der Ballzischt leise und wird größer. Man sieht ihn, aber er ist zuschnell. Danach fühlt es sich an, als hätte man kein Gesichtmehr und es piept im Kopf. Während die an<strong>der</strong>ensich über einen beugen, versucht man ruhig zu atmenund es riecht nach Gras und Erde. Wenn <strong>der</strong> Schmerzeinsetzt und man sein Gesicht wie<strong>der</strong> fühlt, weiß man,dass alles in Ordnung ist, steht auf und spielt weiter.Aber auch das war an diesem Tag an<strong>der</strong>s.Meine Mutter kam und rief zum Essen. Nun passierteauf einmal das, womit keiner mehr gerechnet hatte. Ursschoss ein einziges Mal richtig. Fünfzehn Metern halbrechtslegte er sich den Ball vor und zog ab, um einenwürdigen Schlusspunkt für das Spiel zu setzen. So festhatte noch nie jemand auf mein Tor geschossen. Der Ballwar sofort da. Er zischte nicht, son<strong>der</strong>n pfiff wie eineGewehrkugel. Und er hätte unhaltbar im rechten Eck eingeschlagen,aber Michis Schulter hatte ihn abgelenkt.Ich lag im Staub und hatte kein Gesicht mehr. Nase, Mund,Augen, Stirn, Wangen, Kinn, alles weg. Es piepte. Aberes roch nicht nach Gras und Erde. Es stank. Ich hattekeine Nase mehr, aber es stank. Nach Urs’ Füßen. Überall.Ich robbte ein paar Zentimeter vorwärts und stießgegen Beine. Ich kroch um die Beine herum und robbteweiter. Es war sinnlos. Etwas hatte sich von Urs Fuß zuBall zu nicht mehr vorhandenem Gesicht übertragen. DerGestank drang durch meinen Kopf in meinen Körper undbreitete sich aus. Ich wurde eins mit Urs Füßen. Das hättenicht passieren dürfen. Ich schrie.Drei Wochen später verlor Deutschland in Cordobagegen Österreich.SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]14 15


[Moritz Rinke]Wir ewigen Träumer [Die Generation Fimpen][Rogério Pereira]Auf den Vater wartendSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Vor ein paar Tagen war ich im Kino. Es lief <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>film„Fimpen, <strong>der</strong> Knirps“, den habe ich zuletzt vor fast30 Jahren gesehen, und es gibt ihn in Deutschland auchnur noch auf einer einzigen, knisternden und holprigen16mm-Kopie.„Fimpen, <strong>der</strong> Knirps“ wurde 1974 in Schweden gedreht,und es war <strong>der</strong> erste Film, den ich je im Kino gesehenhabe. In <strong>der</strong> „Gondel“ in Bremen, ich war sechs, und dieserFilm hat mein Leben verän<strong>der</strong>t! Normalerweise än<strong>der</strong>tman ja mit sechs noch nicht sein Leben, aber in diesemFall schon, sonst wäre ich heute realistischer.In <strong>der</strong> ersten Szene läuft <strong>der</strong> große schwedische NationalstürmerMackan zufällig über einen Spielplatz. Erhat gerade noch die Deutschen im Län<strong>der</strong>spiel mit demKolibri-Trick, einer Vorstufe des Übersteigers, zur Verzweiflunggebracht und die Kin<strong>der</strong> schießen ihm nun ehrfürchtigeinen Ball zu, <strong>der</strong> ihm dann von einem kleinenJungen beim Dribbling einfach wie<strong>der</strong> abgenommen wirdund genauso aussieht wie mein Ball <strong>der</strong> Kindheit: altesLe<strong>der</strong>, mittlerweile braun und leicht verformt. Der Junge,<strong>der</strong> sechsjährige Fimpen Johan Bergman, wird nachdiesem Dribbling sofort vom Profiverein Hammarby IFverpflichtet und schießt als Linksaußen gegen Ätvidabergzwei Tore. Danach ruft <strong>der</strong> Nationaltrainer Georg Ericsonan, <strong>der</strong> kleine Johan nimmt den riesigen Telefonhörerab und wird für die entscheidenden Qualifikationsspielezur Fußballweltmeisterschaft 1974 in Deutschland in dieschwedische Nationalmannschaft berufen.Fimpen, <strong>der</strong> Knirps, hat lange Haare wie ich sie auch damalsmit sechs getragen habe, unsere Bälle sind fast identisch,er spricht wenig [wie ich damals!] und kann auchnicht 2+2 zusammenzählen, schießt aber Schweden zurWM! In einer meiner Lieblingsszenen muss <strong>der</strong> NationaltorwartRonnie Hellström dem Knirps am Vorabenddes Län<strong>der</strong>spiels in Wien aus „14 kleine Bären“ vorlesen,damit er einschläft, aber dann schläft Ronnie Hellströmein, tatsächlich gespielt von Ronnie Hellström, <strong>der</strong> damalsin <strong>der</strong> Bundesliga beim 1. FC. Kaiserlautern zwischen denPfosten stand und als Elfmetertöter galt.Während dieser Szene beugte ich mich im Kino pathetischzu einem Jungen hinüber, <strong>der</strong> mit seiner Mutter nebenmir saß, so als sei dieser Junge jetzt ich vor fast vierzigJahren in <strong>der</strong> Bremer „Gondel“.„Das ist ein echter Nationaltorwart, <strong>der</strong> da aus den 14kleinen Bären liest, toll, was?“, sagte ich. „Pass auf, gleichspielt Fimpen gegen Österreich!“Ich dachte, ich hör nicht richtig. „Podolski ist einundzwanzig,Fimpen aber erst sechs!“, entgegnete ich.„Scheißbild! Da wackelt ja unsere Waschmaschine weniger!Harry Potter ist mit Computeranimation!“, erklärte<strong>der</strong> Junge.„Na, hör mal, Fimpen ist auf 16 mm gedreht, das ist dieletzte Kopie, die es gibt, aber dafür mit dem echten RonnieHellström! Der war Elfmetertöter!“„Häh? Wer?? Kenn ich nicht!“, antwortete <strong>der</strong> Jungeund schien seiner Mutter zu signalisieren, dass ich ihmirgendwie auf die Nerven ging.Ich glaube, das war mein erster echter Generationenkonflikt,aber diesmal in entgegengesetzter Richtung! Bisherhatte ich nur diese Konflikte, in denen ich den Älterendiesen ganzen nervenden Mist um die Ohren schlug:Woodstock, APO, Kommune, Uschi Obermaier etc. AberSätze wie „Podolski ist besser!“ o<strong>der</strong> „Da wackelt ja unsereWaschmaschine weniger!“, das sind ja jetzt Aussagen,die meine letzten 30 Jahre in Frage stellen. Immer nochträume ich davon, in <strong>der</strong> Nationalmannschaft zu spielen,theoretisch hätte ich vielleicht noch zwei Jahre, berufenzu werden, da ist noch alles drin, die 68-iger glauben jaschließlich auch, dass bei ihnen noch alles drin sei.Seit dem Konflikt mit dem Jungen im Kino habe ich sogardas Gefühl, ich muss mich bei jemandem entschuldigen,den ich einmal auf einem Podium lächerlich machte, weiler seine ganze revolutionäre Existenz bescheinigen wollte,indem er sagte, er sei mit Rudi Dutschke Linienbusgefahren. Ich kenne einen Mann, <strong>der</strong> seinen gesellschaftsutopischen Geist immer noch für intakt hält, weil er einmalfür die RAF-Terrorsitin Gudrun Ensslin öffentlichZahnersatz for<strong>der</strong>te. Und nun komme ich ernsthaft mitmeiner heiligen, schrottigen 16mm-Kopie, Ronnie Hellströmliest die „14 kleinen Bären“ vor, und ich glaube immernoch, dass alles möglich ist?Ja, offen gestanden, glaube ich das! Wenn man mit sechsTore für die Nationalmannschaft schießt, dann geht dasauch in entgegengesetzter Richtung, dann schieße sieauch noch mit 40! Ja, <strong>der</strong> stürmende Knirps Fimpenhat bestimmt Abertausende meiner Generation zu träumenden,tänzelnden, ewigen Spielern gemacht, da bin ichmir sicher, we are the fimpen-generation!-Aber vielleicht werde ich in Zukunft sanfter, wenn ich ältereHerren treffe, bei denen sie partout nicht ausziehenwollen.Bei mir war übrigens damals <strong>der</strong> Filmvorführer schuld,dass ich noch immer weiterträume, vielleicht noch mehrals all die an<strong>der</strong>en aus <strong>der</strong> Fimpen-Generation. Der Filmvorführerlegte nämlich die zweite Filmrolle zuerst einund dann die erste. Der Film endet eigentlich kritisch,denn Fimpen wird immer mü<strong>der</strong> von den großen Spielenund muss sich am Ende für Schule und Leben entscheiden.Bei mir endete es mit Hellströms Gute-Nacht-Geschichteund Fimpens Wun<strong>der</strong>toren gegen Österreich amnächsten Tag.[Aus “Also sprach Metzel<strong>der</strong> zu Mertesacker”, Kiepenheuer &Witsch-Verlag, 2012]Nie habe ich Vater mehr gehasst. Ich wartete auf ihnvor <strong>der</strong> Haustür. Er kam die steinige Straße herunter.Wir hatten das Land erst vor kurzem verlassen. Jetztmussten wir Beton- und Asphaltboden bearbeiten.Allmählich würden wir uns an das Geräusch des neuenLebens gewöhnen. Hinter dem Holzhaus haben wir unserStadion errichtet – ein armseliges Maracanã, umgebenvon Ze<strong>der</strong>n und einem schüchternen Graben. UnserNetz, die Rückseite eines Schuppens, in dessen Innereiendickbäuchige Ratten schliefen. Wir waren Migranten ineiner Welt, die uns Furcht einflößte.Der Vater trägt das Päckchen. Und er kommt auf michzu. Ich warte auf ihn. Meine Nackenwirbel pulsierenvor Spannung. Ein Knoten knapp vorm Zerspringen imGebrüll des uralten Tiers. Er läuft langsam, als wolle erdie Zeit einfrieren, den Moment lähmen, in dem er demSohn das Brot gibt, das nie seinen Hunger stillen wird. Ichhasse dich so sehr Vater, an diesem unendlichen Nachmittag.Ich hatte es schon meinen Freunden angekündigt.Mein Warten war ihr Warten. Wir waren eine HordeGnus am Rande eines ausgetrockneten Flusses, ohneKrokodile. Wir würden in unser Fantasiestadion sprinten.Endlich wären wir wie kleine Götter, fähig zu kleinen ungehörigenWun<strong>der</strong>n. Mein Vater streckte mir die Händeentgegen. Auf ihnen, das Päckchen. Eine Nachahmungdes Weihnachtsmannes, dessen Klei<strong>der</strong> eine lächerlichtraurige Figur von ihm abgaben. Bitte, mein Sohn. Ichriss es mit allen Kräften eines neunjährigen Jungen anmich. David und Goliat tauschten Streicheleinheiten undHöflichkeiten. Ich habe das grünliche Papier aufgerissenwie ein Ausgehungerter das Kleid seiner Liebhaberinzerreißt.Um mich herum, fiebernde Augenpaare. Endlich würdenwir den ausgeliehenen Plastikball aufgeben. Wir hättenunseren Ball: groß, weiß, gegerbtes Le<strong>der</strong>. Das zerknülltePapier, die Enttäuschung. Ein kleiner Ball, dunkle Farbe,aus Gummi, er stach seine Stacheln in meine Handfläche.Gefällt er dir mein Sohn? Die Frage des Vaters verlor sichin nicht zu brechen<strong>der</strong> Stille. Schweigsam und resigniertbegaben wir uns in Richtung unseres Stadions. Ich trugden Hass unter meinem Arm.Der kleine hässliche Ball - verdammtes Gummi - verwandeltesich in Kürze. Wir erfanden den perfekten Ball. UnserSchweigen wurde eine lustige Toberei. Die lärmendenGnus schleckten den reißenden Fluss. Krokodile erschrecktenuns nicht. Wir erfanden Dribblings für diesenwahnsinnig springenden Ball. Unsere Füße litten darunter,ihn zu beherrschen. Allmählich zähmten wir seineTobsucht. Wir dribbelten und schossen ihn durchs Leben.Hellström, Dutschke, Uschi Obermaier, Podolski, Potter– wahrscheinlich kann man sich die Filme, Busse, Kommunenund Zeiten, in denen sich die Träume in die MenschenEs schmerzt weniger den Vater zu hassen, wenn man„Podolski ist viel besser! Harry Potter auch!“ antworteteschleichen und einrichten, nicht aussuchen.glücklich ist.16<strong>der</strong> Junge.17SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]


[Thomas Klupp]Joe Strocka [o<strong>der</strong>] warum ich einTOP FuSSballer bin und trotzdem immer auf <strong>der</strong> Ersatzbank sitze[Vladir Lemos]Im Namen des BallsSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Ich bin ein TOP Fußballer – schnell, wendig, trickreich, <strong>der</strong>wohl beste Techniker unter den europäischen Autoren –aber ich habe eine Schwäche. Ich steige nicht zum Kopfballhoch. Wirklich nie. Selbst wenn beim Stande von 1:1 in <strong>der</strong>90. Minute im eigenen Strafraum eine butterweich getreteneFlanke auf mich zusegelt und hinter mir <strong>der</strong> extremkopfballstarke Stürmer des gegnerischen Teams lauert,<strong>der</strong>, wenn ihn die Flanke erreicht, todsicher das finale 1:2köpfen wird: Ich steige trotzdem nicht hoch! Das heißt: Ichsteige schon hoch, aber nur zum Schein. Ich werfe michdem Ball wie ein angreifen<strong>der</strong> Stier entgegen, springe mittief gesenktem Kopf haarscharf unter ihm hindurch undnehme, während ich den scharfen Luftzug des über michhinweg zischenden Le<strong>der</strong>s in meinen Locken spüre, schwe -ren Herzens den Sieg unseres Gegners in Kauf. Ich habeso schon manch bittere Nie<strong>der</strong>lage verschuldet, habevielfach den Zorn meiner aufopferungsvoll kämpfendenKameraden auf mich gezogen, die sich allerdings schonlange nicht mehr von meinen Sprüngen täuschen lassenund mich deshalb auf die Ersatzbank verbannt haben, dieich nur dann noch verlasse, wenn wir haushoch führeno<strong>der</strong> aussichtslos hinten liegen und es völlig egal ist, obnoch jemand zum Kopfball hochsteigt o<strong>der</strong> nicht.Ich bedauere dieses elendige, meinen technischenFähigkeiten Hohn spottende Reservistendasein auf denFußballplätzen dieser Welt, immer wie<strong>der</strong> nehme ich mirvor, nun doch einmal zum Kopfball hochzusteigen ... aber<strong>der</strong> Schatten <strong>der</strong> Vergangenheit ist stärker als ich. DerSchatten <strong>der</strong> Vergangenheit: Ich spreche von Joe Strocka,den wir nur G.I.Joe o<strong>der</strong> auch den Strecker nannten,seines Zeichens Oberfeldwebel bei den ostbayerischenGebirgsjägern und C-Jugendtrainer des VfB Weiden,<strong>der</strong> uns Mitte <strong>der</strong> 1980er Jahre Disziplin und Mut undMannschaftsgeist einzuimpfen suchte, bis er von unbekannterHand auf dem schlecht beleuchteten Parkplatzhinter dem VfB-Vereinsheim mit einem Schraubenzieherzwischen den Lendenwirbeln in den Vorruhestand geschicktwurde.Disziplin und Mut und Mannschaftsgeist jedenfalls: Für denStrecker waren das nicht nur Worte son<strong>der</strong>n eine Haltung,die es zu verinnerlichen galt. Eine Haltung, die unsden Sieg bringen würde. Eine Haltung, die allerdings seinenPreis hatte. Disziplin und Mut und Mannschaftsgeistimpfte uns <strong>der</strong> Strecker nicht durch schneidige Kabinenansprachenein, nicht indem er uns auf gemeinsameKlettertouren schickte o<strong>der</strong> gar über heiße Kohlen laufenließ son<strong>der</strong>n durch Freistoßtraining. Jeweils die letztenfünf Minuten jedes Mittwochabends waren dafür reserviert.Mit langen Gummibän<strong>der</strong>n, die den Spinden <strong>der</strong>VfB-Turnerabteilung entnommen waren, wurden wir vomStrecker zu einer Mauer geschnürt, Hüfte an Hüftezusammengezurrt zu einem einzigen Körper, einem singulärenOrganismus, <strong>der</strong> dem standzuhalten hatte, wasauch immer da kommen mochte.Noch heute sehe ich geschlossenen Auges die schmalenLippen unter dem dünnen, eisengrauen Oberlippenbartdes Streckers, sein Mund ein dunkles Loch, ich hörewie er brüllt: Einer für alle, und wie wir mit zu Panikfratzenverzerrten Gesichtern zurück brüllen: A ll e f ü reinen! Und wie er brüllt: Die Mauer hält, und wiewir zurück brüllen: Bis zum jüngsten Tag! Und wie erdann, flankiert von Pöll und Kampe, den beiden schussgewaltigstenSpielern <strong>der</strong> B-Jugend, auf die fünf, sechsMeter vor uns aufgereihten Bälle zusprintet. Synchronsprinteten <strong>der</strong> Strecker und Pöll und Kampe auf dieBälle zu, droschen die Freistöße mit Vollspann in unshinein, wie Artilleriefeuer kam das Le<strong>der</strong> über uns, eineinziges Zischen und Knallen, wenn die Kugeln die ungeschütztenStellen unseres Körpers trafen. Teils zielte<strong>der</strong> Strecker auf den Unterleib, teils auf den Kopf,nur selten auf die Brust. Im Hagel <strong>der</strong> Geschosse, denscharfen Angstschweiß <strong>der</strong> Kameraden in <strong>der</strong> Nase,ihre Schmerzensschreie im Ohr, habe ich eins gelernt:Entwe<strong>der</strong> du schützt deine Eier o<strong>der</strong> du schützt deinenKopf. Du kannst nicht beides schützen. Du musst dichentscheiden: für die Eier o<strong>der</strong> für den Kopf. Ich habemich stets für die Eier entschieden. Die Eier waren mirimmer wichtiger als <strong>der</strong> Kopf.Ich weiß nicht, wie oft ich dort halb ohnmächtig, nur nochaufrecht gehalten von den zum Zerreißen gespanntenGummibän<strong>der</strong>n und den gebeutelten Körpern meinenKameraden in <strong>der</strong> Mauer hing, während <strong>der</strong> Streckermir Disziplin und Mut und Mannschaftsgeist mit Vollspannin meinen Schädel bläute. Bestens aber kann ichmich an die rasenden Kopfschmerzen erinnern, an die inmeinem Gesichtsfeld jäh aufblitzenden Sterne des Mittwochabends.Noch immer höre ich das Sausen und Zischenund Knallen und die Speichel sprühenden Triumphschreiedes Streckers, wenn eins seiner Geschosse inmeinem Gesicht, auf meiner Stirn, auf meinen Schläfenexplodierte. Diese Laute höre ich unter Garantie nochheute, wenn eine Flanke auf mich zusegelt, wenn es darumgeht, den heran fliegenden Ball mit dem Kopf aus<strong>der</strong> Gefahrenzone zu beför<strong>der</strong>n.Wie gesagt, ich bin ein TOP Fußballer – schnell, wendi g , t r i c k r e i c h , d e r w o h l b e s t e Te c h n i k e r u n t e r d e neuropäischen Autoren – aber ich steige nicht zum Kopfballhoch. Seit rund 20 Jahren nicht mehr.Schweren Herzens akzeptiere ich mein elendiges Reservistendasein,sehe den An<strong>der</strong>en beim Spielen zu undhalte den Mannschaftsgeist hoch. Nur ab und zu, wennNußbaume<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Rinke zum Kopfball hochsteigeno<strong>der</strong> wenn Merkel o<strong>der</strong> Ostermaier die Mauer dirigieren,dann ziehe ich auf <strong>der</strong> Ersatzbank still und heimlicheinen mittlerweile rostigen Schraubenzieher aus meinerSporttasche und kratze mich damit leise kichernd amHinterkopf.Ich schreibe mit <strong>der</strong> Andacht von einem, <strong>der</strong> ein Gebetspricht. Ich schreibe in seinem geheiligten Namen. Dieerste Erinnerung, die ich an einem Ball habe, erscheintmir als etwas, das bis auf die Vorfahren zurückgeht.Es war einer dieser riesigen und unermesslich leichtenBälle, die kleine Kin<strong>der</strong> üblicherweise vom Rummelplatzmitbrachten. Ich erinnere mich nicht an das Spiel. Aberden lauten Knall, den er machte, als er an die Wände <strong>der</strong>alten Garage sprang, den höre ich bis heute. Ein Wink desTobens. Eine erste Begeisterung. Seine Farbe, ein Rot,das ein kleines Rendezvous mit Rosa hatte. Aus endlosenkleinen Quadraten gefärbt, die vom Gelb in ein unwahrscheinlichesBlau spielten.Ich weiß nicht, wie es hier in Deutschland ist. In Brasilienaber ist dieses Thema schon seit langem im Gespräch. Ihrwisst schon, wie das ist. Als wäre es noch nicht genug,ihn mit den Füßen zu malträtieren, jetzt beleidigen sieihn auch noch und verleumden ihn. Ich bin <strong>der</strong> Meinung,dass ein Fußball unantastbar sein sollte. Ihn imRückwärtsgang zu sehen, bereitet mir einige Verlegenheit.Wo er doch so rund und anspruchsvoll ist. Aber daswar es nicht, was wir in unserem sogenannten Land desFußballs gesehen haben. Schon seit einiger Zeit steht erin Frage. Man beschuldigt ihn, zu leicht zu sein. UngehorsameKurven zu machen, die nicht von dem diktiertwurden, <strong>der</strong> ihn getreten hat. Eine Katastrophe. Und manspricht nicht von den Bällen meiner Kindheit, man redetvon den heutigen Bällen, von Hightech-Bällen. Wie kannman nur?Wenn ich es mir recht überlege… und die technischeQualität in Rechnung stelle, die ihren Glanz verloren hat,so macht es doch Sinn, dass die Athleten sich plötzlichvon ihm bedroht fühlen. Und ich gehe sogar noch weiter.Hinterhältig o<strong>der</strong> auch nicht, so ist er doch für allegleich. Der Ball besitzt einen noblen Geist, niemals würdeer sich Privilegien einräumen lassen. Den Ball seltsamzu finden, gehört praktisch zum Spiel. Ich erinneremich, dass als Kind einen Ball fürs Spiel auszuwählen,oftmals in Streit ausartete. Und wenn es gar ein Spielgegen die Mannschaft aus <strong>der</strong> Nachbarstraße war, dannerst recht. Der arme Ball, <strong>der</strong> vom gegnerischen Teammitgebracht wurde, wurde regelrecht nie<strong>der</strong>gemacht.Man beschuldigte ihn alt zu sein, ohne Luft, zu hart, zuviel o<strong>der</strong> zu wenig springend. Im Allgemeinen war es dieHeimmannschaft, die entschied welcher Ball genommenwürde. Wem wäre es nicht lieber, mit einem Ball zu spielen,an den man gewöhnt war?SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]18 19


SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Übrigens, vor einiger Zeit musste ich mich von Zweientrennen. Ich weiß, es mag lächerlich klingen, aber es warnicht einfach. Nachdem ich mich so viel mit ihnen vergnügthatte, fühlte ich mich, als ob ich einen allergrößten Verratanzetteln würde. Wie könnte ich sie nur im Stich lassen?Dadurch, dass ich immer und immer wie<strong>der</strong> den Momentaufschob, fand ich schließlich ein Mittel, das Lin<strong>der</strong>ungversprach: ich fotografierte sie! Es sollte eine Möglichkeitsein, sie über die Erinnerung hinaus zu behalten. Und sohabe ich es dann auch gemacht.Aber selbst heute, wenn ich mich an diesen Umstan<strong>der</strong>innere, ist es unvermeidlich, dass ich mich frage, beiwelchen Füßen sie schließlich gelandet sind. Ob sie wohlimmer noch Jemandem Freude bereiteten? Der Ball, wieich Ihnen bereits sagte, wurde unter verschiedenen an<strong>der</strong>enBeleidigungen beschuldigt, so auszusehen, alswäre er „im Supermarkt gekauft“ worden. Also, als ich einkleiner Junge war, da habe ich viele Bälle „aus dem Supermarkt“gekauft und auch geschenkt bekommen. Undwie viel Freude haben sie mir bereitet. Wie all die Jungsin meiner Straße habe ich nie große Sympathien für Bällegehabt, die zu leicht waren. Ich habe sie aber nicht verschmähtund das ist wichtig einmal klarzustellen.Einer, den wir wirklich gut fanden, war etwas schwererund sehr robust. Er hatte sogar einen Namen: Milchzahn.Er war aus Plastik, jawohl, und ist im Supermarkt gekauftworden. Er war ganz weiß und imitierte das klassischeDesign <strong>der</strong> Bälle aus Le<strong>der</strong>, mit den sechseckigen, schwarzangemalten „Waben“. Er war <strong>der</strong> Beste! Ein wahrhaftigerKonsumtraum. Wir wollen hier auch gar nicht erst vonden Bällen reden, die aus alten Socken gemacht wurden,o<strong>der</strong> von den frenetisch umkämpften Meisterschaften,die mit Tennisbällen ausgetragen wurden. O<strong>der</strong> die Bälleaus genähtem Le<strong>der</strong> mit einer Schweinsblase drin, beidenen uns mit jedem Schuss die Füße brannten.[ SO | 13.10.2013 | 11H30 ]Ausgetanzt [o<strong>der</strong>][Antônio Prata]Ronaldos BauchAm 4. März 2009, nach 15 Jahren, in denen er für europäischeClubs gespielt hatte, kehrte Ronaldo zurück,um nun wie<strong>der</strong> für einen brasilianischen Verein zu spielen,Corinthians. Das Phänomen war außer Form undstark übergewichtig. Viele haben in seinem Bauch eintrauriges Zeichen <strong>der</strong> Dekadenz gesehen, eine nachlässigeHaltung von Jemandem, <strong>der</strong> vorzeitig ins Rentenaltereintrat. Im Juli 2009, habe ich in <strong>der</strong> Zeitung Jornalde São Paulo eine Glosse geschrieben, in <strong>der</strong> ich eineetwas an<strong>der</strong>e Art vorschlug, diesen Wanst zu betrachten.Hier nun <strong>der</strong> Text:Zu Beginn haben die Leute noch an ihm herumgenörgelt.„Wann wird er wohl wie<strong>der</strong> hun<strong>der</strong>tprozentig in Formsein?“, fragten die Reporter. „Mit dem Übergewicht,da wird er nichts zustande bringen“, murrten die Fans.Jedes Mal, wenn er auf dem Feld auflief, schauten wirneugierig auf seinen Bauchumfang. Ist er wohl noch da?Bis vor Kurzem war ich enttäuscht, dass dem wohl sowar. So langsam aber bin ich mir klar darüber geworden,dass es unter diesem Trikot mehr gab, als nur eine Kurve:es war eine Parabel.Der Mythos unserer Zeit ist wie ein Standardskript ausHollywood: Irgendjemand will unbedingt etwas eigentlichUnerreichbares. Und alle sagen ihm: „Vergiss esJunge, das schaffst du doch nicht!“ Dieser Jemand aberist ein Dickkopf; er hört auf niemanden, nur auf seineinnere Stimme. Er wird tausende Male provoziert, aberwas er sich selbst eingebrockt hat, muss er auch auslöffeln.Und letztendlich hat er dann ja auch erreicht, was erwollte. Er ist wie Rocky Balboa, <strong>der</strong> seine Adrian alleineim Bett liegen lässt und in die Metzgerei trainieren geht,wo er auf gefrorene Schweinehälften einprügelt. Er istwie JFK, als dieser 1962 sagte, dass bis zum Ende diesesJahrzehnts <strong>der</strong> Mensch auf dem Mond sein würde, undim Jahr 1969 dann, war dort die amerikanische Flaggezu sehen und bestätigte, dass <strong>der</strong> Himmel nicht mehrlänger die Grenze sei. Man will, man kann: das ist <strong>der</strong>Geist unserer Zeit.Ach! Der Ball! Man lege nur einen in irgendeinem Raumab und schaue, wer in <strong>der</strong> Lage ist, ihm gegenüber gleichgültigkarte abgestempelt als <strong>der</strong>zu bleiben. Wer nur, könnte uns sagen, was ein Ballzug schon abgefahren istalles in uns auslösen kann?meine lieben bin gut gelandetes geht gut komme nachDrei Mal hat Ronaldo seine Rolle in diesem Skriptoberschlesien noch in deutschlandgespielt. Zuerst, als er die Vorstadt von Rio verließ undherzliche grüsse und küssezum Besten <strong>der</strong> Welt wurde. Danach, als er zwei Verletzungeneuer juller steht vor einemerlitt, von denen man sagte, dass er sie nichttor nach dem es keine hoffnungüberstehen werde – „Vergiss es, Ronaldo!“ – er hat sieaber überstanden. Er ist <strong>der</strong> Spieler, <strong>der</strong> am meistengibt und keinen weg zurückTore in Weltmeisterschaften geschossen hat, er wurdeins spiel den rücken gebeugtdrei Mal von <strong>der</strong> FIFA zum weltbesten Fußballer gewählt,über links wo sein herz nochaber all das reicht uns wohl noch nicht.1immer pässe schlägt20 212 3VomFALLENindieTiefendesRaumes...[Albert Ostermaier]lAUFWEGE Ode an julius hirschim sturm den rücken gebücktals ihm noch alles glücktauf links den ball über die liniegedrückt das volk verzücktdie kirsche gepflückt und gleichden hollän<strong>der</strong>n vier stück keinkick ohne zauber kein trickohne fairplay nur toreheimwehgentlemen in kurzen hosenganz ohne turnvaterjahnposennoch gibts keine hatz auf demenglän<strong>der</strong>platz den rasen kurzgeschoren haben sie sich demsieg verschworen <strong>der</strong> nationjuller läuft im laufschritt jullerer hat die kugel er schiesstdas eiserne kreuz auf <strong>der</strong> brustbricht ihm als stern das herzdarunter er wird zu stein denaktenkoffer umklamert steht erden rücken nach vorn gebeugtam spielfeldrand den linkenfuss schwingend verliert ersein gleichgewicht stürzt eraus dem zug in frankreichverrückt ohne fussball rast erins leere trennt er sich miteiner täuschung von frau undkind wie von einem gegner läuftdavon sie zu schützen ins messerverbannt auf den schrottplatzwartet er in seinem strafraumzu lange auf ein wun<strong>der</strong> diewende in letzter minute vordem apfiff schickt er eineSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]


Ein Duell des Stils [Celso de Campos Jr.]Marcos x Kahn, Brasilien x Deutschland, im Finale <strong>der</strong> Weltmeisterschaft 2002[Christoph Nussbaume<strong>der</strong>]DER GIFTIGESO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Wir wünschen uns, dass <strong>der</strong> Film mit Ronaldo in einemmagischen Höhepunkt endet; er schenkt Corinthians dieCopa Libertadores Amerikas, die Weltmeisterschaft 2010,den Weltpokal <strong>der</strong> Clubs, und erst dann kann <strong>der</strong> Abspannbeginnen.Etwas aber, steht diesem Drehbuch entgegen: es ist <strong>der</strong>Bauch. Er deutet an, dass Ronaldo den Leuten ja vielleichtgar nichts [o<strong>der</strong> nicht mehr so viel] beweisen will. Werweiß, vielleicht hat er einfach nur Lust darauf, Fußball zuspielen, hier und da ein Tor zu schießen und jubelnd aufdie Fans zuzulaufen; in seiner freien Zeit und mit seinerFrau im Shopping Center spazieren zu gehen, mit Freundenauszugehen, keine Ahnung.Dieser Bauch ist seine Achillesferse und, von daher, seinmenschlicher Ballast. Mit jedem Tor befreit uns Ronaldovom hollywood’schen Imperativ, in dem nur die Perfektionzählt und uns zeigt, dass wir, sogar mit unseren Fehlern,Schwächen und schlechten Angewohnheiten gutund glücklich sein können. Jedes Mal, wenn er auf demSpielfeld aufläuft, denken sich die Brasilianer: „Schau mal,da laufe ja ich!“ und man lernt, dass es noch an<strong>der</strong>e Artengibt, genauso schön o<strong>der</strong> sogar noch schöner, einen Filmzu beenden, abgesehen vom magischen...[Happy End]Als Torhüter <strong>der</strong> Endspielteilnehmer, hatten Marcosund Oliver Kahn nur eines gemeinsam, nämlich die Nummer1 auf ihren Trikots. Ansonsten schien nichts weiterdie beiden zu verbinden. Auf dem Spielfeld bevorzugte<strong>der</strong> Brasilianer die Gelassenheit, das Kollektiv und dieDiskretion; <strong>der</strong> Deutsche aber kultivierte Aggressivität,den Personenkult und die Rage als Form <strong>der</strong> Motivation.Einer von ihnen war bereits fast vollständig kahlköpfig,<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e stellte eine üppige blonde Mähne zur Schau.Sankt Marcos war religiös und hatte immer Medaillenmit Heiligenbil<strong>der</strong>n bei sich; King Kahn, <strong>der</strong> skeptischeAlbinogorilla, hat sich in die Hand <strong>der</strong> letzten Personverbissen, die versuchte, ihm ein solches Amulett unterzuschieben.Abgesehen von den Unterschieden imStil, war die Leistung von beiden während des Turniersgleichermaßen solide. Beide befanden sich in <strong>der</strong> Gruppe<strong>der</strong> 33 Spieler, die die Studiengruppe <strong>der</strong> FIFA bereitsvor dem Halbfinale als die Besten des Wettbewerbs erwählthatte.A b e r w ä h r e n d F e l i p ã o ü b e r R i v a l d o , R o n a l d o , R o n a l d i -nho Gaúcho, Roberto Carlos und Cafu verfügte – ebenfallsauf dieser Liste <strong>der</strong> FIFA – musste sich <strong>der</strong> Deutsche,Rudi Völler, ohne auf den gesperrten Michael Ballackzählen zu können, allein auf Kahn im Kampf gegen dieKanariengelben stützen. „Er hat die Bedeutung, die Linienspielerfür an<strong>der</strong>e Nationalmannschaften haben,wie Zidane für Frankreich und Rivaldo und Ronaldo fürBrasilien“, erklärte <strong>der</strong> Trainer, dessen Team sogar dieeigenen Landsleute in Erstaunen versetzte, die einenbis dahin einwandfreien Sturmlauf mit fünf Siegen undeinem Unentschieden zu sehen bekamen. Nicht durchZufall war Oliver Kahn, mit nur einem Gegentor in sechsSpielen, <strong>der</strong> Favorit für den Lew-Jaschin-Pokal, den dieFIFA dem besten Torhüter <strong>der</strong> Weltmeisterschaftsspieleverleiht. Marcos, <strong>der</strong> vier Mal überwunden wurde, versicherte,dass ihn <strong>der</strong> Preis nicht interessieren würde. Alser gegen Ende des vorletzten Trainings für das Finale,hierauf angesprochen wurde, polterte er los: „Ich binnicht hierhergekommen, um <strong>der</strong> beste Torhüter zu sein,son<strong>der</strong>n nicht <strong>der</strong> schlechteste. Was ich wirklich will, dasist Weltmeister zu werden.“Als größte Gewinner in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Fußballweltmeisterschaftensind Brasilien mit vier Titeln undDeutschland mit dreien bisher noch niemals in einerWeltmeisterschaft aufeinan<strong>der</strong>getroffen. Das Schicksalwollte es, dass dieses erste Duell ausgerechnet in einemEndspiel, bei einer geschätzten Zuschauerzahl von ungefähr1,5 Milliarden Menschen o<strong>der</strong> 25% <strong>der</strong> Weltbevölkerungstattfand.Internationales Stadion von Yokohama, am 30. Juni2002. Brasilien 2, Deutschland 0. Während Marcos mitdem Gefühl erfüllter Pflicht vom Platz geht, wurde Kahn,aufgrund seines Fehlers beim ersten Tor <strong>der</strong> Brasilianer,zum Sündenbock des Spiels. Mit Sicherheit von Mitgefühlgetrieben, versuchte die brasilianische Nr. 1, Oliver Kahnzu entlasten, <strong>der</strong>, nach Ansicht des Torhüters vom FCPalmeiras, von nun an mit demselben Schatten würde lebenmüssen, wie <strong>der</strong> damalige brasilianische Torwart von1950. „Ich bin nicht <strong>der</strong> Meinung, dass Kahn einen Fehlerbegangen hat. Es hat ihm einfach an Glück gefehlt, denn<strong>der</strong> Ball ist ihm aus den Armen gerutscht. Er wird abertrotzdem für den Rest seines Lebens gebrandmarkt sein.So ist es nun einmal im Leben eines Torhüters. Nur einmalhat man ein Problem und all das, was man vorher geleistethat, ist vergessen.“Allerdings hat Solidarität auch ihre Grenzen: <strong>der</strong> fünffacheWeltmeister begehrte gegen die Tatsache auf, dassdie FIFA den Deutschen zum besten Torwart und bestenSpieler <strong>der</strong> Weltmeisterschaft gewählt hatte. „Ich fand daslächerlich. Der Kahn zum Beispiel hat eine Weltmeisterschaftwie ich und <strong>der</strong> Torwart von Senegal gespielt. DerTorhüter <strong>der</strong> Türkei hätte den Preis gewinnen sollen undals Spieler war Ronaldo bei Weitem <strong>der</strong> Beste.“Allerdings bittet die Mutter des Torhüters ihren Heldensohnum Erlaubnis, an<strong>der</strong>er Meinung zu sein. Direkt aus<strong>der</strong> Stadt Oriente applaudierte Dona Antônia stehend <strong>der</strong>Entscheidung des höchsten Fußballgremiums. „Der Kahnhat doch gut gespielt, denn er hat Ronaldinho den Ball vordie Füße gelegt. Er hat Brasilien ein super Geschenk damitgemacht. Und deshalb stimme ich seiner Wahl zum bestenFußballer <strong>der</strong> Weltmeisterschaft zu.“ Das war’s.[Aus “São Marcos de Palestra Itália”, Biografie des Torwartsund fünffachen Weltmeisters mit <strong>der</strong> brasilianischen Nationalmannschaft,2002]Für alle gefallenen und wie<strong>der</strong>auferstandenenFuSSballer. Denn niemand gelte alsgescheitert, den man nicht vergisst.Ob wir wollen o<strong>der</strong> nicht: Unser gesamtes Denken isttief und in jedem Bereich vom Christentum beeinflusst.Die religiöse Ideologie eines gefolterten und ermordetenLiebesgottes hat uns alle erfasst, gleichgültig, ob wir andiesen Gott glauben o<strong>der</strong> nicht. Jedes Kind kennt abernicht nur die faszinierende Legende von Jesus, son<strong>der</strong>nauch die von Luzifer. Der Abgestürzte und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>auferstandene,beide sind fester Bestandteil unsereskulturellen Gedächtnisses.Wahrscheinlich brauchen die Menschen in einer christlichgeprägten Welt das dramatische Spektakel vom Aufstiegund vom Fall genauso, wie das tägliche Brot. Vielleicht,weil es sie erleichternd vergewissert, dass es sich beiihrem Helden letztendlich doch nur um einen fehlerhaftenMenschen, also um Ihresgleichen handelt. Vielleicht,weil die geliebte beziehungsweise verhasste Person ihreigenes Durchschnittsdasein für einige Augenblicke vergessenmacht. Vielleicht. Auf alle Fälle gibt es ein ungetrübtkindliches Staunen und es gibt die Sehnsuchtnach dem fernen Lichtträger, <strong>der</strong> den Schatten birgt.Fest steht auch, dass es in diesem Spiel <strong>der</strong> Polarisierungund Projektion einen gibt, <strong>der</strong> bisher alle übertroffenhat: <strong>der</strong> paraguayische Fußballer und Hasardeur JesúsLúz Cal<strong>der</strong>ón, genannt “El Tóxico” - <strong>der</strong> Giftige.Love him or hate him, you can’t ignore him. Und selbstdie, die ihn hassten, liebten ihn dafür, dass er ihnen einenGrund zum Hassen gab.Der Kleine Jesús Lúz wurde am 6. Mai 1954 geboren, justam selben Tag, an dem sich <strong>der</strong> Diktator Alfredo Stroessneran die Macht putschte. Cal<strong>der</strong>ón wuchs in einem<strong>der</strong> berüchtigen Slums von Asunción auf. Seinen Vater- ein vagabundieren<strong>der</strong> Indio - hat er nie kennengelernt,denn <strong>der</strong> ließ seine Frau noch vor <strong>der</strong> Entbindung desKindes sitzen. Von Geburt an war sein Rückgrat deformiert,und sein linkes Bein war fünf Zentimeter kürzerals sein rechtes. Durch zahlreiche Operationen wurdeihre Beweglichkeit zwar soweit hergestellt, dass er damitlaufen konnte, sein linkes Bein blieb jedoch ein O- undsein rechtes ein X-Bein. Um seine Beinmuskulatur zukräftigen, begann er, Fußball zu spielen, und entwickeltedabei schon im Kindesalter erstaunliche Fähigkeiten. Vonkleiner Statur, lag sein Körperschwerpunkt beson<strong>der</strong>stief, was ihm schnelle Drehungen und Bewegungen ermöglichte.Bereits früh - angeblich schon mit zehn Jahren- wurde er zum Alkoholiker, um seine Schmerzen zu22 lin<strong>der</strong>n.231SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]


[Christoph Nussbaume<strong>der</strong>]DER GIFTIGESO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Wegen seiner Verkrüppelung, vor allem aber wegenseines unverkennbaren indianischen Aussehens wurde eroft von an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n gehänselt, worauf er mit zunehmendemAlter mit immer heftigeren Aggressionsausbrüchenreagierte.Die ersten fußballerischen Erfolge ließen nicht lange aufsich warten. Sein überbordendes Temperament und seinüberragendes Ballgefühl vereinten sich zu einer schierunschlagbaren Waffe für seinen ersten Profiverein ClubLibertad. Berühmt wurde er aber vor allem mit seinenatemberaubenden Dribblings, die nicht nur die eigene,son<strong>der</strong>n auch die gegnerische Anhängerschaft zu Bewun<strong>der</strong>ungsstürmenhinreißen ließ.1976 ging sein Stern vollends auf, als er mit seinerMannschaft im Finale um die paraguayische Meisterschaftgegen das regimetreue Team von Olimpia stand.Cal<strong>der</strong>óns Mannschaft war <strong>der</strong> krasse Außenseiter.Gegen Mitte <strong>der</strong> zweiten Halbzeit, beim Stand von Nullzu Null, rammte ihm <strong>der</strong> gegnerische Torwart das Knieins Gesicht. Die Aktion war nicht nur ungeheuer brutal,sie blieb auch ungeahndet, dabei war es eine klareTätlichkeit, in <strong>der</strong> Absicht, den Spieler außer Gefecht zusetzen. Cal<strong>der</strong>ón musste minutenlang behandelt werden,dann kehrte er wie<strong>der</strong>, obwohl sein Jochbein gebrochenwar. Mit zugeschwollenem Auge, vier ausgeschlagenenZähnen und halb tollwütig vor Schmerz, schoss er in <strong>der</strong>letzten Minute das Siegtor.Im darauffolgenden Fersehinterview spuckte er einenZahn in die Kamera und fauchte in Richtung des Reporters:“Das Lied <strong>der</strong> Freiheit pfeift man auch ohne Zähne.Lang lebe Paraguay! Die Jacketkronen zahl ich mir selbstverständlichselbst. Wo ist meine Frau!?”Ein Mythos war geboren. Diese Szene soll, ganz nebenbeierwähnt, Sylvester Stallone für das Ende von RockyII inspiriert haben, wo <strong>der</strong> Held nach gigantischem Kampfgegen den Favoriten blutverschmiert und fast erblindetnach seiner Frau Adrian ruft. Cal<strong>der</strong>ón und Stallone habensich, auch das sei an dieser Stelle gesagt, dann 1980kennengelernt, als sie gemeinsam für den Film “Fluchto<strong>der</strong> Sieg” vor <strong>der</strong> Kamera standen.Der Regierung war Cal<strong>der</strong>ón von nun an ein Dorn imAuge, doch <strong>der</strong> Fußballverband konnte schwerlich auf ihnverzichten. 1979 schoss er Paraguay zum ersten und bislangeinzigen Copa-America-Titel seiner Geschichte.Den Gewinn dieser Meisterschaft widmete er mit unüberhörbaremGetöse und unter großem internationalem Aufsehenallen Ausgestoßenen <strong>der</strong> paraguyaischen Gesellschaft,allen voran dem Indianerstamm <strong>der</strong> Aché.Damit hatte er für viele den Rubicon überschritten,denn dem Diktator Stroessner wurde vorgeworfen, fürdie planmäßige Ausrottung eines großen Teils <strong>der</strong> Achéverantwortlich zu sein. Somit stach <strong>der</strong> Volksheld Cal<strong>der</strong>ónin ein Wespennest. Ferner rief er die Fans dazuauf, sich gegen die Militärdiktatur und für die Demokratiezu engagieren. Cal<strong>der</strong>ón wusste, dass er dadurchextrem anecken würde, aber auch <strong>der</strong> Regierung warbewusst: wenn sie ihn unschädlichen machten, könntees zu einem Bürgerkrieg kommen. Angebote aus Europa,wie etwa von Real Madrid, lehnte Cal<strong>der</strong>ón demonstrativmit großem Tamtam ab, er wolle in erster Line einStar in seiner Heimat sein - und bleiben. Bekenntnissesolcher Art machten ihn bei <strong>der</strong> unterpriviligierten Bevölkerungsschichtnatürlich noch populärer, während dieRegierung schäumte. Doch die Staatsmacht war schlau,sie wusste, wie man den Rebellen schlagen konnte, ohneihn anzugreifen.Cal<strong>der</strong>ón war nicht nur genuss-, son<strong>der</strong>n auch extremgeltungssüchtig. Darüber hinaus hatte er ein ausgeprägtesFaible für Status- beziehungsweise Luxusgüter.Von seinem Werbehonorar - er war <strong>der</strong> erste südamerikanischeSportler, <strong>der</strong> Reklame für Brandwein machte- kaufte er sich einen nagelneuen Ferrari 512 BB. Dasprotzige Auto und seine Villa im Nobelviertel “Las Carmelitas”machten ihn in den Augen vieler verdächtig.Sein verschwen<strong>der</strong>ischer Lebensstil kollidierte arg mitseiner politsichen Haltung, die ihm nun zunehmendals linkspopulistische Attitüde ausgelegt wurde. Immermehr Fotos drangen jetzt an die Öffentlichkeit: Cal<strong>der</strong>ónin Nachtclubs, Cal<strong>der</strong>ón mit Zigarre und Whiskyglas in<strong>der</strong> Hand, Cal<strong>der</strong>ón mit Nacktmodellen im Arm.Als sein Haus im Mai 1980 von Paparazzi belagert wurde- Cal<strong>der</strong>ón feierte seinen 26. Geburtstag mit einer ausschweifendenParty -, versuchte er volltrunken, die Fotografen,bei denen es sich in Wirklichkeit um Regierungsangestelltehandelte, mit einer Schrotflinte zu verjagen.Dabei traf er den 18-jährigen NachwuchsjournalistenEnrico Martinez tödlich; auf dem Weg ins Krankenhausverblutete <strong>der</strong> Junge.Erst 2005 belegeten geheime Dokumente, dass es sichbei Martinez um ein Bauernopfer handelte, man ließ ihnim Krankenwagen verbluten, um Cal<strong>der</strong>ón einen Mordanhängen zu können.Auf einmal stand Cal<strong>der</strong>ón massiv unter Beschuss. Erkam in Untersuchungshaft, gleichzeitig kam heraus, dasser eine Affäre mit <strong>der</strong> berühmten Samba-Sängerin MariaAntunes unterhielt, die er bereits ein Jahr zuvor bei <strong>der</strong>Copa America kennengelernt hatte.Ein sogenannter Freund, <strong>der</strong> ihm auch an<strong>der</strong>e Damenzuführte und mit dem er wilde Orgien veranstaltet habensoll, gab <strong>der</strong> Presse bereitwillig Auskunft. Dieser Umstandbrachte nun seine letzten Unterstützer gegen ihn auf, dennseine Ehefrau - die Fabrikarbeiterin Anna Sol, mit <strong>der</strong> erseit seinem 15. Lebensjahr liiert war -, hielten nicht wenigefür den eigentlichen guten Geist in seinem Leben. Manschrieb ihr gemeinhin zu, sie habe ihn politisch sensiblilisiertund ihn für die Rechte <strong>der</strong> Armen eintreten lassen.Da die Ehe keine Kin<strong>der</strong> hervorbrachte - Cal<strong>der</strong>ón waroffenbar zeugungsunfähig -, überzog ihn die Journaillezudem mit Häme <strong>der</strong> übelsten Machismoart. Es wurdesogar offen spekuliert, ob Cal<strong>der</strong>ón in Wahrheit nichtschwul sei, seine kolportierte Gier nach Frauen würde gutins Bild passen, um den Umstand seiner Homosexualitätperfekt zu kaschieren. Außerdem machte man sich überseinen Analphabetismus lustig, <strong>der</strong> zwar kein Geheimniswar, aber jetzt, im Zuge <strong>der</strong> Schmutzkampagne beson<strong>der</strong>shervorgekehrt wurde.Als Jesús Lúz endlich auf Kaution freikam, musste er einAbkommen unterschreiben, in dem er zusicherte, dasLand nie mehr zu betreten. Der Staat konfiszierte überdiesseinen Besitz und Anna trennte sich von ihm. Erstgegen Ende seines Lebens, am Sterbebett, bat er sie unterTränen um Vergebung.In einer Nacht- und Nebelaktion floh er aus Paraguay nachArgentinien und heuerte dort Ende 1980 für ein Jahr beiden Bocca Juniors an, wo er den kommenden WeltstarDiego Armando Maradonna unter seine Fittiche nahm.Wenngleich nur sechs Jahre älter, so war Cal<strong>der</strong>ón eineArt Ziehvater für Maradonna, sowohl was das Fußballerische,als auch was das Feiern anging. Maradonna schriebspäter in seiner Autobiographie “El Diego”: “Das Jahrhun<strong>der</strong>ttor1986 bei <strong>der</strong> WM gegen England wäre ohne meinVorbild Jesús Lúz Cal<strong>der</strong>ón nicht möglich gewesen. Erlehrte mich die Bewegungen <strong>der</strong> Verteidiger im Voraus zuerahnen. Mit Cal<strong>der</strong>ón konnte man außerdem eine MengeSpaß haben.”In Argentinien wurde er überschwänglich empfangen, diein ihn gesteckten Erwartungen konnte er letztendlich abernie erfüllen. Die Trainingspause war zu lang gewesen, erwurde nie richtig fit. Mehrere Comeback-Versuche scheiterten,weil er zu ungeduldig war, immer wie<strong>der</strong> zog ersich Muskelverletzungen zu, die ihn zum Zuschauenverurteilten. Doch auch wenn seine Zeit in Argentiniennicht von Erfolg gekrönt war, so wird er den Bocca-Fansfür eine Szene immer im Gedächtnis bleiben. Im prestigeträchtigenDuell gegen River Plate wurde Cal<strong>der</strong>ónbeim Stand von Eins zu Eins zehn Minuten vor Schluss alsJoker eingewechselt. In <strong>der</strong> 85. Minute kam Maradonnaan den Ball, <strong>der</strong> narrte drei Gegenspieler auf engstemRaum und lupfte das Spielgerät in den Strafraum. Diean und für sich etwas zu ungenaue, in den Rücken desStürmers geratene Flanke, katapultierte Cal<strong>der</strong>ón im Flugmit <strong>der</strong> Hacke ins Tordreieck. Ein sensationeller Treffer.Es war sein erster Ballkontakt und zugleich das Siegtor.Nach den Bocca Juniors verschlug es Cal<strong>der</strong>ón nach Venezuelazu Deportivo, einem mittlerweile mittelmäßigenClub, die ihn als Heilsbringer engagiert hatten. Doch auchdort lief es nicht son<strong>der</strong>lich rund für ihn. Er überwarfsich mit dem Trainer und mit dem Rest <strong>der</strong> Mannschaft,für die er nur abschätzige Bemerkungen übrig hatte. Ausdieser Zeit ist folgendes Zitat von ihm überliefert, daser nach seinem letzten Spiel in <strong>der</strong> Kabine gesagt habensoll: “Ich tue euch jetzt den Gefallen und gehe.”Ein dubioser Spielerberater brachte ihn zudem um seinin Argentinien erwirtschaftetes Geld. Die Samba-Sängerinverstieß ihn - wenn man den Boulevardblättern jenerJahre Glauben schenken darf - und tauschte ihn für denbrasilianischen Star Zico ein, <strong>der</strong> eben mit Flamengoden Weltpokal gewonnen hatte. Cal<strong>der</strong>ón war von nunan nur noch in den Bars von Caracas anstatt auf demTrainingsgelände zu sehen. Der Vertrag wurde aufgelöst.Cal<strong>der</strong>ón war 28, aufgedunsen, übergewichtig und pleite.In einer Nobeldiskothek wurde er vom Türsteher nichterkannt (er war auch nicht wie<strong>der</strong>zuerkennen) und aufgrundseines indianischen Aussehens wurde ihm <strong>der</strong> Einlassverwehrt. Daraufhin zettelte er eine Schlägerei anund brüllte seinen Namen vergeblich in die Finsternis.Kein Verein in Südamerika, ja auf <strong>der</strong> ganzen Welt wollteihn mehr haben. Allein gelassen und orientierungslostrieb er durch die Nächte. Nicht mal in seine Heimat Paraguaykonnte er zurück. Am Silvesterabend des Jahres1982 stieg er auf einen Stuhl und knüpfte sich mit einemKälberstrick an <strong>der</strong> Zimmerdecke auf. Als er den Stuhlumkippte, schwebte er kurz im Raum, er blickte auf sichselbst, wie auf einen fremden Körper und sein ganzesLeben zog im Zeitraffer an ihm vorüber. Dann brach <strong>der</strong>Karabinerhaken aus <strong>der</strong> Decke und mit ihm ein riesigerKlumpen <strong>der</strong> maroden Bausubstanz. Sein Übergewichthatte ihm das Leben gerettet. Beim Sturz auf den Fußbodenbrach er sich allerdings den Ellbogen.In seiner peinlichen Not wandte er sich am Neujahrstag1983 an den Vereinsarzt von Deportivo. Da sich <strong>der</strong> Arztin seiner Freizeit als Mafiadoktor verdingte, traf er indessen Apartment zufällig auf den bei einer Schießereiverwundeten kolumbianischen Auftragskiller John JairoVelásquez Vásquez, genannt „Popeye“.SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]24 25


[Fernando Galuppo]Cesar Maluco: <strong>der</strong> VolkskaiserSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Popeye war nicht nur ein Mann <strong>der</strong> Tat, er war auch eingroßer Fußball-Aficionado und erkannte Cal<strong>der</strong>ón auf Anhieb.Der Killer arbeitete für einen gewissen Pablo Escobar,<strong>der</strong> in Medellin gerade dabei war, in den FußballclubAtlético Nacional zu investieren.Noch am selben Tag packte Jesús Lúz seine Sporttascheund stieg mit Popeye und noch ein paar an<strong>der</strong>en dubiosenGestalten in einen Wagen in Richtung Kolumbien.Langsam kam Cal<strong>der</strong>ón wie<strong>der</strong> in Fahrt. Über die zweiteMannschaft von Atlético Nacional empfahl er sich für dieProfis. Ab <strong>der</strong> Saison 84/85 gehörte er dem Stammpersonalan und war fortan <strong>der</strong> Torschütze vom Dienst. Inseiner letzten Saison, das soll hier nicht unerwähnt bleiben,spielte er dort mit dem jungen Torwart René Higuitazusammen. Doch vorher wurde Cal<strong>der</strong>ón zwei Mal hintereinan<strong>der</strong>Torschützenkönig <strong>der</strong> kolumbianischen Liga.Er war wie<strong>der</strong> wer.Seine Schüsse trafen wie Giftpfeile markerschütternd insGehäuse <strong>der</strong> gegnerischen Mannschaften. Sein neuer FerrariTestarossa schnurrrte durch die Straßen Medellinsund auch die Frauenwelt lag ihm wie<strong>der</strong> zu Füßen. SeineLeistungen in Kolumbiens höchster Spielklasse bliebenauch dem paraguayischen Fußballverband nicht verborgen.So trug es sich zu, dass Paraguay sehr gute Chancenhatte, sich für die WM 1986 in Mexico zu qualifizieren.Man durfte nur das entscheidende Spiel gegen Chilenicht verlieren. Da aber die beiden etatmäßigen Stürmerverletzt beziehungsweise gesperrt waren, fehlte es <strong>der</strong>Mannschaft an einem Angreifer mit Format. Bei den Buch -machern galt deshalb Chile als Favorit.In Paraguay war Stroessner immer noch an <strong>der</strong> Macht.Seine Autorität jedoch begann langsam aber sicher zubröckeln. Die Funktionäre im Fußballverband wussten daher,dass eine Amnesty für Cal<strong>der</strong>ón dem Diktator nützlichsein könnte, denn das Volk sehnte sich danach, denVerbannten wie<strong>der</strong> im Nationaltrikot aufspielen zu sehen.Sie schlugen Stroessner also vor, den Fußballer zu begnadigen.Cal<strong>der</strong>ón freute sich enorm über die Anfrage, erzeigte sich reumütig und gelobte, keine politischen Aussagenmehr zu machen.Wenig später war es soweit. Jesús Lúz wurde nachsechs Jahren im Exil wie<strong>der</strong> für ein Län<strong>der</strong>spiel nominiert.Lange Zeit stand es Null zu Null und es sah danachaus, als ob man Cal<strong>der</strong>óns Dienste nicht benötigenwürde, doch dann landete ein harmloser Fernschuss desChilenen Mendoza im paraguayischen Tor. Der Torwarthatte gepatzt, die Elf von Paraguay war plötzlich wie paralysiert.Bei diesem Stand würde Chile zur WM fahren.Tausende Fans for<strong>der</strong>ten nun vehement Cal<strong>der</strong>óns Einwechslung,20 Minuten vor Ende <strong>der</strong> Partie kam er dannschließlich ins Spiel. Seine erste Aktion war ein grobesFoul und er hatte Glück, dass er nicht Rot bekam. Kurzvor Schluss fasste er sich dann ein Herz, er schnapptesich vom eigenen Mitspieler den Ball im Mittelfeld undsetzte zu einem atemberaubenden Solo an, das er miteinem wuchtigen Schuss unter die Latte abschloss. Einszu Eins. Somit hatte sich Paraguay zum ersten Mal seit28 Jahren für eine Fußballweltmeisterschaft qualifiziert.Der Jubel kannte keine Grenzen. Für Stroessner ging <strong>der</strong>Propaganda-Coup auf und für Cal<strong>der</strong>ón war es ein überwältigendesComeback - filmreif, wie nach einem perfektenScript, das selbst Hollywood-Drehbuch<strong>autoren</strong>vor Neid erblassen ließe. Die Feierlichkeiten dauertendrei Tage, auch hierin lief er wie<strong>der</strong> zu Bestform auf.Asunción bebte und Cal<strong>der</strong>ón war das Epizentrum desBebens.Am Ende des dritten Tages, als er mit seiner Entouragein eine gutbesuchte Bar im Centrum Asuncións eintraf,löste sich von irgendwoher ein Schuss und traf Cal<strong>der</strong>ónin die Hüfte. Im großen Getümmel war zunächst keinTäter auszumachen, erst am nächsten Tag konnte manihn fassen.Humberto Costa war Bodyguard und Fahrer mächtigerDrogenbosse. Er handelte möglicherweise als Auftragsmör<strong>der</strong><strong>der</strong> Wettspielmafia, <strong>der</strong>en Pläne Cal<strong>der</strong>ónmit seinem Ausgleichstor durchkreuzt hatte. Vermutetwird aber auch, dass es sich um einen Denkzettel vonEscobar handelte, denn Cal<strong>der</strong>ón hielt es offenbar nichtim geringsten für nötig, Atlético Nacional über seineAbsenz zu informieren. Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Stimmen behaupteten,<strong>der</strong> Schütze hätte im Auftrag <strong>der</strong> Familie vonEnrico Martinez gehandelt, jenem Nachwuchsjournalisten,auf den Cal<strong>der</strong>ón 1980 geschossen hatte und <strong>der</strong> dabeiums Leben kam. Costa selbst äußerte sich nie dazu,seine Haftstrafe war aufgrund guter Kontakte nicht vonnennenswerter Dauer.Cal<strong>der</strong>ón kam indessen nie mehr auf die Beine, er lerntezwar wie<strong>der</strong> laufen, seiner Fußballkarriere hatte <strong>der</strong>Schuss jedoch ein Ende gesetzt. Noch während seinesKrankenhausaufenthalts wurde ihm die fristlose Kündigungvon Atlético Nacional mitgeteilt, sein ungenehmigterUrlaub hatte also ein weitreichendes Nachspiel.Und wenn es Cal<strong>der</strong>ón übel erwischte, erwischte es ihnrichtig übel. Da er in einer Art Liebesbeweis seiner drittenEhefrau, <strong>der</strong> kolumbianischen Telenovela-SchönheitEstefania Rincon, freie Hand auf sein Bankkonto einräumte,war die Dame so frei und räumte das Kontowährend seiner Abwesenheit leer.Depressiv, perspektivlos und wie<strong>der</strong> einmal pleite, verkündeteJesús Lúz Cal<strong>der</strong>ón am 6. Mai 1986 - seinem 32. Geburtstag- das Ende seiner fußballerischen Laufbahn.Immerhin bekam er als Dank für sein Engagement vomparaguayischen Fußballverband eine Invalidenrente zugesprochen,die ihn bis zu seinem Tod mehr o<strong>der</strong> wenigerüber Wasser hielt.Einmal noch kam er in die Schlagzeilen, als er Anfang<strong>der</strong> Neunziger Jahre einer Einladung des Fußballverbandesnach Deutschland folgte, wo sein Land gegendie Mannschaft <strong>der</strong> BRD antrat. Er war vorher noch niein Europa gewesen. Angereist mit einer neuen Flamme,hatte er sich ausbedungen, in einem Luxushotel mit ihrnächtigen zu dürfen. Am Spieltag selbst, es war kalt inDeutschland, wollte Cal<strong>der</strong>ón für sich und seine Begleiterindie passende Gar<strong>der</strong>obe besorgen und wurde promptbeim Pelzdiebstahl in Düsseldorf erwischt.Jesús Lúz Cal<strong>der</strong>ón starb mit 48 Jahren verarmt und vereinsamtan einer Leberzirrhose, verursacht durch seinenjahrelangen Alkoholismus. Beim Begräbnis erwiesen ihmtausende Fans die letzte Ehre. Auf seinem mittlerweileüberwachsenen Grabstein im Friedhof “Cementerio delSur” steht geschrieben: “Hier ruht in Frieden <strong>der</strong>, <strong>der</strong> dieFreude und das Laster war - Jesús Lúz Cal<strong>der</strong>ón”El TóxicoJesús Lúz Cal<strong>der</strong>ón[1954 - 2002]Der aus Rio de Janeiro stammende César Augusto daSilva Lemos, ist eines von so vielen Genies, die <strong>der</strong> brasilianischeFußball hervorgebracht hat, und die mehrwegen ihrer Exzentrik als ihrer Klasse und techni schenQualität bekannt wurden. In Niterói geboren, begannCésar seine Karriere in den Jugendabteilungen des ClubsFlamengo. Gleich bei seinem Debut im Profiteam, mitnur 19 Jahren, schoss er zwei Tore gegen den HeimrivalenVasco da Gama und zeigte so seinen Riecher fürsToremachen. 1966 wechselte er zuerst als Leihgabe zuPalmeiras, aber auf Grund seines Könnens dauerte esnicht lange, bis er dort endgültig einen Vertrag bekam.Und hier begann eine Ehe, die ganze neun Jahre dauernund viele Titel erobern sollte.Er hatte die Ehre, Mitglied von zwei <strong>der</strong> größten Mannschaftenin <strong>der</strong> Geschichte des Palmeiras Fußballclubs,ja, des brasilianischen Fußballs zu sein. César gehörte<strong>der</strong> ersten Mannschaft an, die auch als Academia deFutebol bekannt war, zusammen mit Koryphäen wieDjalma Santos, Djalma Dias und Rinaldo. In den 1970erJahren war er <strong>der</strong> Spielgestalter in einem an<strong>der</strong>en Team,das Brasilien verzauberte. Es war die sogenannte zweite“Fußballakademie” mit Luís Pereira, Leivinha, Dudu undAdemir da Guia.In dieser Zeit bekam er dann auch seinen Namen, César„Maluco“, <strong>der</strong> Verrückte. Und er erzählt: „Als ich zuPalmeiras kam, da waren die Spieler alle recht brav. Ichnicht! Wenn ich ein Tor geschossen hatte, dann habe ichauf alle nur mögliche Art und Weise gefeiert und die Fanssind aus dem Häuschen gewesen“, sagt die Koryphäe und<strong>der</strong> Torschützenkönig <strong>der</strong> Landesmeisterschaft von SãoPaulo des Jahres 1971, mit 18 Treffern. Er war <strong>der</strong> ersteSpieler, <strong>der</strong> die Fans in den Torjubel mit einschloss unddadurch verklärte.Er war ein dynamischer Stürmer und Kämpfer. Bei jedemTor, das er schoss, lief er zum Drahtzaun hin undzeigte auf sein grünes Trikot, um zusammen mit den Fanszu feiern. Seine Geste, die Hände zu heben und das V-Zeichen für „Victory“ – o<strong>der</strong> des Friedens, <strong>der</strong> Hippies– zu machen, das war sein Markenzeichen.Mit langer und wil<strong>der</strong> Haartracht, respektlos und trickreichwie nur wenige, verän<strong>der</strong>te César dann auch gleichdie Persönlichkeit <strong>der</strong> Fans <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Clubs, und somitdie des Fußballs allgemein. Wegen ihm und seines unerwartetenVerhaltens – auf und auch außerhalb desSpielfelds - verän<strong>der</strong>te sich <strong>der</strong> Fußball in São Paulo. Erwurde temperamentvoller.SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]26 27


[Fernando Galuppo]Friedenreich,eine brasilianische Seele mit deutschem Blut[Gustavo Bernardo]Garrincha und <strong>der</strong> TorwartSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Die Furcht, die César den gegnerischen Mannschafteneinflößte, war so groß, dass man ihm drohte, ihn in <strong>der</strong>Schlusswoche <strong>der</strong> Landesmeisterschaft von São Paulo1972 zu entführen.Im selben Jahr beleidigte er den Schiedsrichter Renatode Oliveira Braga schwer und wurde deswegen für neunMonate von allen Spielen suspendiert.Im Jahr 1974 wurde César zur Weltmeisterschaft inDeutschland in die Nationalmannschaft berufen, bliebaber die ganze Zeit auf <strong>der</strong> Bank sitzen, als Reserve. Imdarauffolgenden Jahr wurde er an Corinthians verkauft,er blieb aber nur für kurze Zeit dort im Park São Jorgeund ging dann nach Santos.1979 kehrte César zurück nach Rio de Janeiro und spieltedort zwei Spielzeiten lang für Fluminense, wo er zu guterLetzt auch seine Fußballschuhe an den Nagel hing.Als er bei Palmeiras spielte, gewann César Maluco dreiLandesmeisterschaften von São Paulo (1966, 1972 und1974), vier nationale Meisterschaften (1967, 1969, 1972und 1973), zwei Ramón de Carranza-Pokale (1969 und1974) und verschiedene an<strong>der</strong>e Titel.Als Trainer versuchte César Maluco sich in verschiedenenkleineren Teams im Innern von Bahia, Goiás, Minas undSão Paulo. Weiterhin übernahm er die Leitung <strong>der</strong> Juniorteamsvon Palmeiras, bevor er sich als Pai-de-Santo, alsoals Umbanda-Priester und in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Politik versuchte,wo er 1988 und 2000 in <strong>der</strong> Stadt São Paulo fürden Stadtrat kandidierte.Das Fußballspiel wurde vom Englän<strong>der</strong> Charles Millergegen Ende des XIX. Jahrhun<strong>der</strong>ts in Brasilien eingeführt.Es war aber ein Kind deutscher Eltern, ein Mulatte athletischenund eleganten Aussehens, <strong>der</strong> alle Aufmerksamkeitauf sich zog und die verzauberte, die in den, in seinenAnfängen befindlichen, britischen Sport vernarrt waren.Arthur Friedenreich war das erste Idol <strong>der</strong> breiten Masse.Der erste Star einer Konstellation von Künstlern, die denbrasilianischen Stil Fußball zu spielen, definierten.Seine spektakuläre Karriere begann in den romantischenZeiten des sogenannten Amateurfußballs und erstrecktesich bis hin ins Zeitalter des Profitums. Legenden undMythen ranken sich um seinen Werdegang. Jahrzehntehindurch glaubte man beispielsweise, dass er mehr Toreals Pelé geschossen hätte. So weit ist es dann aber dochnicht gekommen, wie die Werke aufzeigen, die Frieds Karriereanalysieren. Es ist ein Detail, das seine siegreicheLaufbahn mitnichten kleiner macht. Es ist ein Mythos, von<strong>der</strong>selben Reichweite und demselben repräsentativenCharakter, wie <strong>der</strong> des großen Königs des Weltfußballs;mit einem Torriecher, <strong>der</strong> genauso fein war wie <strong>der</strong> Pelés.Fried bereitete den Weg, damit an<strong>der</strong>e Ballgenies denihren gehen konnten.Der Meister des brasilianischen Journalismus, ArmandoNogueira, beschrieb ihn mit folgendem Satz: „ArthurFriedenreich spielte Fußball mit dem Herzen im Fuß. Erwar es, <strong>der</strong> dem brasilianischen Fußball den Weg zumTor wies“. Im Jahre 1925 nahm er an einer Exkursion mitseinem Verein, dem Clube Atletico Paulistano, nach Europateil. Es war das erste Mal, dass sich eine brasilianischeMannschaft auf dem alten Kontinent präsentierte.Arthur Friedenreich war <strong>der</strong> Star des Ensembles. In denfolgenden Galavorstellungen lernte ihn die Welt kennen.Um genau zu sein, den brasilianischen Fußball. Das emblematischsteSpiel dieser Reise, mit dem größten Echoin <strong>der</strong> Presse, war zweifelsohne <strong>der</strong> haushohe Sieg mit7 zu 2 Toren im Auftaktspiel gegen die französische Nationalmannschaft.Fried erzielte dabei drei Tore. Und dieZeitungen lobten die Leistung des jungen Angriffsspielersin den höchsten Tönen: brillant, außergewöhnlich, phantasievoll,mutig.Im Rang eines Feldwebels führte er das Regiment zu einemheroischen Sieg und wurde, aufgrund seiner Tapferkeit,von <strong>der</strong> Revolutionsarmee zum Leutnant beför<strong>der</strong>t.Es waren 26 Tage mühevollen Kampfes. Nachrichten erschienenin den Zeitungen und im Radio, von seinem angeblichenTod, die allgemeine Erschütterung auslösten. Eswaren aber nur Gerüchte.Er wurde im Triumphzug, zusammen mit an<strong>der</strong>en Soldaten,durch die Straßen São Paulos getragen und war indirekter Weise für die Eroberung von Bürgerrechten undFreiheitsidealen verantwortlich, genau so, wie sein Großvater,Karl Wilhelm Friedenreich, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Revolutionvon 1848 auf die Straße ging, um das Schwarz-Rot-Gold<strong>der</strong> Fahne <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> Revolutionäre im sogenannten„Völkerfrühling“ zu verteidigen. Der hätte es sich wohl nieträumen lassen, dass sein Enkel eines Tages in Südamerikaein Unsterblicher des Fußballs sein würde. Der Erste ineiner langen Reihe von Genies, die das Land des Fußballshervorbrachte. Mit einer brasilianischen Seele und deutschemBlut! Es lebe Arthur Friedenreich!Bei seiner Geburt, sagte ein krummer Engel zum Dichter:Gehe, Carlos, sei „gauche“ im Leben.Als ich geboren wurde, segnete mich, ohne es zu wollen,ein Engel mit krummen Beinen, als würde er sagen wollen:Junge du wirst ein Dichter werden.Als er älter wurde, schrieb <strong>der</strong> Dichter namens Carlostatsächlich seine ironischen Verse von <strong>der</strong> linken Seiteseiner Brust, immer darum besorgt, we<strong>der</strong> dies noch daszu sein.Als ich älter wurde, wollte ich alles, nur kein Dichter sein:entwe<strong>der</strong> ein Zeichner o<strong>der</strong> vielleicht ein Illusionist.Ich konnte aber nur das Gesicht von einem bestimmtenMädchen zeichnen, wenn ich auf die Bühne kletterte, umdas Schreiben zu vergessen und mich an Zaubertricksversuchte, die nie funktionierten.Als ich dann noch ein wenig älter wurde, da wollte ich immernoch alles an<strong>der</strong>e sein, außer Dichter: ein Ingenieur,wie mein Vater, weise wie mein Großvater o<strong>der</strong> sogar einFußballspieler, wie <strong>der</strong> Engel mit den krummen Beinen,<strong>der</strong> mich, ohne es zu wissen, gesegnet hatte.Ich bin aber nie gut in Mathematik gewesen, war nieruhig wie ein Weiser und wusste auch nicht einen Ball indie Ecke zu beför<strong>der</strong>n, in <strong>der</strong> die Eule schläft.Aber, <strong>der</strong> Ball.Der Ball hat mich fasziniert. Und plötzlich war alles, wasich im Leben wollte, Ball zu spielen, einfach nur deswegen,weil <strong>der</strong> Ball rund war und mein Leben quadratisch.Also, wenn ich Ball spielte, würde wohl auch mein Lebenrund laufen, nicht wahr?Aber, die bösen Jungs. Die bösen Jungs haben mich immerzuletzt ausgewählt und dann haben sie mich unterdas Rechteck eines Tores gestellt, wo meine Aufgabe darinbestand zu verhin<strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> Ball sein rundes Zielerreichte.Ich stand im Tor, weil ich dem Ball nahe sein wollte, vergossaber in Strömen die Tränen des an<strong>der</strong>en Engels, despornografischen. So wurde mein Leben noch mehr quadratischund noch krummer.Ich war ein guter Torwart, ich kämpfte immer gegen denintimen Wunsch des Balles an, den ich so sehr liebte. Wieje<strong>der</strong> gute Torwart war ich ein trauriger Mensch, <strong>der</strong> von<strong>der</strong> Traurigkeit jenes krummen Engels träumte, <strong>der</strong> mich,ohne es zu wissen, bei meiner Geburt gesegnet hatte. DieTraurigkeit des krummen Engels wie<strong>der</strong>um, die brachtemich dazu, Verse zu schreiben und sie in meinen Glossenund Romanen zu verstecken.Ein Held auf dem Spielfeld, wurde er gleichfalls zumKriegshelden. 1932 rückte er in die Schützengräben <strong>der</strong>Verfassungsrevolution von São Paulo ein, in <strong>der</strong> die Bevölkerungzu den Waffen griff, um für das Recht auf einefreie Wahl ihrer Volksvertreter und gegen das vorherrschende,damals totalitäre Regime zu kämpfen. In seinerEinheit dienten 1400 Soldaten. Er nahm an einem GefechtUnd so wurde ich ein Dichter, wobei nur ich und meinmit den Regierungstruppen teil.Engel mit den krummen Beinen davon wissen.28 29SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]


[José Luiz Tahan]Coutinho vor dem Tor[Nils Straatmann]FuSSball-SlamSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Fußball ist eine ernste Sache. Die Welt bleibt stehen,wenn <strong>der</strong> Ball rollt. In Santos, wo ich diese Zeilen schreibe,existiert ein ganz beson<strong>der</strong>es Gefühl dieser britischenSportart gegenüber. Dort wurde das meistverehrte undsiegreichste Team geboren, von dem man je gehört hat,und das seinen Weg in die Welt gemacht hat: <strong>der</strong> SantosFutebol Clube.In Rio de Janeiro kann man, hin und wie<strong>der</strong>, einen bekanntenSchauspieler in einem Restaurant sehen o<strong>der</strong> amStrand. Hier aber sehen wir Fußballspieler, die meistenmit weißen Haaren, wie Coutinho, wie <strong>der</strong> wohlbekannteSpitzname von Antonio Wilson Honório lautet.Zuhause in Piracicaba, wo er auch geboren wurde, nannteihn seine Mutter, „Cotinho“, weil er so schmalwüchsigwar. Der Junge lief von Zuhause fort, indem er, von jenerMannschaft verzaubert, die ihn für immer verän<strong>der</strong>n sollte,aus dem Fenster und über die Mauer sprang, und kamdann nach Santos. Die Hände in den Drahtzaun gekrallt,<strong>der</strong> das Spielfeld abgrenzte, sah <strong>der</strong> 13-jährige Junge,Pagão, Pelé und Pepe spielen und von da an wusste er,was er wollte: er wollte in dieser Mannschaft mitspielen,bei diesem Leben, das sich ihm zum ersten Male zeigte,mitmachen.Noch bevor er 15 wurde, spielte er zum ersten Mal beiden Profis, und er spielte schlecht. Bei seinem wichtigstenSpielzug umspielte er einen, zwei, drei Gegner un<strong>der</strong>st dann merkte er, dass er in die falsche Richtung lief,aufs eigene Tor zu. Damals war es noch üblich, dass mansich für etwas schämte, und <strong>der</strong> Junge hat deswegen sehrgelitten. Er war entschlossen, ins Landesinnere zurückzukehren,aber die älteren Spieler haben es ihm ausgeredet.Es war die Zeit einfacher Männer und kompliziertenFußballs, von Kameradschaft und wenig Geld.Ich stehe immer noch unter dem Einfluss dieses Klimas unddieser Geschichten: wir haben gerade die Biografie vonCoutinho in unserem Verlag am Strand herausgegeben.Einige <strong>der</strong> Geschichten habe ich in einer Kneipe genaugegenüber <strong>der</strong> Vila Belmiro gehört, an dem Ort <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>einmal unsere Koryphäe willkommen hieß, diesmalaber, um seine Geschichte zu feiern. Nachdem viele Autogrammegeschrieben waren, bekamen die Leute dortDurst, aber sie wollten nichts vom angebotenen Schaumweinwissen und viel weniger noch vom Wasser. Man gingalso direkt zur Bar do Alemão, in die Bar des Deutschen –eines seltenen Exemplars eines Fußballfans in Santos, <strong>der</strong>so fanatisch war, dass er sich das Vereinswappen mittenauf die Stirn hat tätowieren lassen.Dann machten wir es uns in <strong>der</strong> Kneipe gemütlich undnahmen das Fest wie<strong>der</strong> auf, jetzt aber mit Samba undBier, zusammen mit den Fußballern.Am selben Tisch saßen die Spieler, Negreiros, Mengálvio,Coutinho, Maneco, und wir, die Gurkentruppe. Ich wun<strong>der</strong>temich, dass Pepe nicht da war, also habe ich ihn angerufen.Als er sich meldete, bemerkte ich, dass er etwasüberrascht war.Ich sagte: „Pepe, mein Bestseller! Da ist jemand <strong>der</strong> aufdich wartet… <strong>der</strong> Coutinho!“.Und er: „Ach du liebe Güte, wird das in <strong>der</strong> Bücherei statt -finden?“.„Nein, Pepe, in <strong>der</strong> Vila, Mann!“Als dann unsere vielgeliebte Kanone aus <strong>der</strong> Vila imTrophäensaal erschien, war die Freude groß.Coutinho scherzte: „Warst du noch im Schlafanzug? Hatman dich aufgeweckt?“.Pepe umarmte Coutinho und die Fans umdrängten ihnmit Fotoapparaten in den Händen und baten ihn um Autogramme.Ich verstehe ja, dass jemand den Pepe daran erinnernmuss, immer wie<strong>der</strong> zu noch einer Veranstaltung zukommen. Die Emotionen heute, die Autogramme, dieErinnerungen und die Geschichten, die sind für sie selbstviel weniger bewegend, als die auf dem Spielfeld gelebtenRuhmestaten, in den fast achtzig Län<strong>der</strong>n, in denensie sich vor Königen und Plebejern, vor Präsidentenund Päpsten als die Besten <strong>der</strong> Welt präsentiert haben.Nichts ist dem Torjubel in einem Endspiel vergleichbar,mit einer Menschenmenge, die ihre Namen ruft. Für unsaber, war es das Höchste!Irgendwo im hiesigen Nordennördlicher sogar als West und Osteinst bewohnt von friesigen Hordenheute gekleidet in Rest und Rostliegt nahe <strong>der</strong> Pfade von Bremen zur Jadein mahnen<strong>der</strong> Lage fast flehend im Sargeeine kleine, klar malade StadtBremerhavenbauergraute Hochhausfel<strong>der</strong>Atzen hartzen Steuergel<strong>der</strong>gut, man hat das Klimahaus,Ökobau, sieht prima ausund die WindparkindustrieDoch kurz gesagt im Paarreim:Der Bremerhavener an sich,<strong>der</strong> fristet kein Daseinden fistet sein DaseinAm Rande des Zentrums, nahe des Stadtparks Speckenbüttelliegt <strong>der</strong> Olympische Sportclub OSC. Ein Kunstrasenplatz,schwarz geperlt, zwei Rasenplätze, ein Hauptplatz,Tribünengerade für gut 5000 Zuschauer. 2005 warSchalke zu Gast, Fabian Ernst, Kevin Kuranyi himself, ansonstenliegt <strong>der</strong> Zuschauerdurchschnitt bei Spielen <strong>der</strong>Herrenmannschaft um gut fünfundzwanzig plus-minuszwei.Die Linien sind wie<strong>der</strong> nicht ganz gerade<strong>der</strong> Platzwart hat wie<strong>der</strong> gesoffenund trotz unsres Torwarts Glanzparadewurd doch noch im Nachschuss getroffenDie Eckfahnen stehen in windschiefer Neigungdas Netz ist schon mehrfach geflicktund trotzdem wird hier noch in zünftiger Kleidungvon Montag bis Sonntag gekicktJenio auf Steffen, Steffen auf Terry, Terry an’nPfosten gesetztTerry auf Rose, Rose auf Ollie und Olliver hautihn ins NetzMomo stand zwischen den Pfosten. Und sonst meistenseher am Rand. Er kam aus einer schwierigen Familie hatteauffallend schlechte Zähne, dazu sensationelle Reflexe,vor allem auf <strong>der</strong> Linie, und wenig Grips. Unser Trainerwar stets sehr besorgt um ihn.„Momo“, sagte er, „Momo, ich hab dir nen Ausbildungsplatzbesorgt. Als Schweißer in ner Ree<strong>der</strong>ei am Hafen,das is super Momo, du verdienst dein eigenes Geld, lernstneue Leute kennen, trägst nen Blaumann und...“„Trainer, was isn Blaumann?“„Na, so blaue Schutzanzüge, damit du dich nicht verletzt.“„Danke Trainer, schwöre, aber ich kann den Job nichtmachen – mir steht kein blau.“Walter war unser Fahrer. Unterhemd, Schnurrbart unddick. Er trug Goldkette und Brusthaar und sah aus wieein Walter eben auszusehen hat. Er fuhr pünktlich undsicher und in seinem Handschuhfach lagerten Schmierheftchen.Döschers Tochter war zwei, als ich in die Mannschaftkam. Ich war siebzehn, ein Jahr Jünger als Döscher undDöscher ein sich mühen<strong>der</strong> Vater. Mike zeigte selbstgedrehte Pornos in <strong>der</strong> Kabine und Mike war es auch,<strong>der</strong> sich beim Turnier in England lauthals beim Schiri beschwerte:„Reverend! That was a foul, reverend!“Vielleicht waren wir nicht die schlausten,wir wolltens auch niemals seinDas Spiel lief mehr über die Außenund dann von <strong>der</strong> Grundlinie reinWir trainierten vier Mal die Woche, fraßen Gras und Erde– und am Ende stiegen wir ab. Im folgenden Jahr kämpftenwir um den Aufstieg, fraßen Staub und Schlacke undverloren das entscheidende Relegationsspiel in <strong>der</strong> sechs-ten Minute <strong>der</strong> Nachspielzeit.Mein Opa hat früher immer gesagt: Mien Jung, dat givtkeen Fallen. Dat givt blots Fleegen – mit nem schmerzhaftenAufprall. Leever Arm dran as Arm ab.Leever Levertran as Levertransplantation.Momo wird heute Gärtner sein, denn grün hat ihm schonimmer geschmeichelt. Walter hat sicher noch immerdie gleichen Schmierheftchen im Handschuhfach undDöschers Tocher geht mittlerweile wahrscheinlich zurSchule. Terry hat es geschafft. Er spielt bei einem <strong>der</strong>großen Vereine Österreichs, wenn man dort von Größesprechen kann, und ich erinnere mich an die größte Zeitmeines Lebens, als ich siebzehn war und einem Ballnachrannte.So oft wan<strong>der</strong>n wir Hügel hinan, vertrauend undblind, und erst im Rückblick erkennen wir, dassda ein Weg war, den wir gegangen sind,<strong>der</strong> sich in Serpentinen hinter unsdurch die Täler schlängelt.SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]30 31


[Rudi Gutendorf]Stan Libuda – mein schwieriger Star[Uli Borowka]AnpfiffSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Schalke war Vorletzter in <strong>der</strong> Bundesliga, als ich sie in<strong>der</strong> Winterpause übernahm, es drohte <strong>der</strong> Abstieg. DieMannschaft war keine Mannschaft mehr. Ich appelliertean die Einsicht <strong>der</strong> Spieler, an ihr Ehrgefühl. Gehorsamfor<strong>der</strong>n kann je<strong>der</strong> Primitivling, aber um Loyalität bittet<strong>der</strong> Gentleman und ich, <strong>der</strong> Rudi aus Neuendorf.Mein Problemkind heißt Reinhard “Stan” Libuda. Er ist <strong>der</strong>beste Spieler, den ich bisher trainiert habe, ein begnadeterFußballkünstler, das merke ich schnell. Aber er ist labilund in seiner Leistung unberechenbar; von den an<strong>der</strong>enSpielern wird er ständig verspottet. Sie benehmen sichwie ungezogene Kin<strong>der</strong>, ihr Opfer ist immer Libuda, <strong>der</strong>sich nicht dagegen wehren kann.Libuda leidet unter den Hänseleien wie ein Hund. Soetwas kann einen in den Selbstmord treiben. Das beunruhigtmich sehr. Friedel Rausch und Rolf Rüssmannsind die einzigen, die versuchen, ihn gegen die gehässigenSprüche in Schutz zu nehmen. Um sein angeknacks -tes Selbstbewusstsein wie<strong>der</strong> aufzubauen, übertrage ichLibuda zunehmend mehr Verantwortung. Wir sitzen dieganze Nacht zusammen und diskutieren. Ich will ihn zumMannschaftskapitän machen - damals konnte man soetwas ja noch als Trainer. Doch Libuda will nicht, er hatAngst davor und ist schrecklich verlegen. Ich sage ihm,er solle nicht glauben, was die an<strong>der</strong>en sagen. Er sei einhervorragen<strong>der</strong> Spieler und müsse nur etwas robusterwerden. Und dann verspreche ich ihm: “Ich bringe dichzurück in die Nationalmannschaft!” Das zieht.Schließlich willigt <strong>der</strong> notorisch Schüchterne ein und löstHermann Erlhoff als Spielführer ab. Es funktioniert. Erzeigt glänzende Leistungen und begeistert die Zuschauer.Keine Blutgrätsche, kein Kampf bis zum Letzten, aberFußballzauber, bei dem die Tribüne enthusiastisch aufstehtund im Stakkato den Namen des Helden ruft: “Stan, Stan!”Seit ich Schalke trainiere, habe ich ihm ständig eingetrichtert,dass er gut genug für die Nationalmannschaft ist.Selbst Helmut Schön habe ich ununterbrochen mit Elogenauf meinen Rechtsaußen genervt: “Der Stan gehört in dieNationalelf”, sage ich wie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong>, “wer das nichtbegreift, tut mir Leid. Besser als Libuda kann niemandspielen. Er ist auf seinem Posten Weltmeister.”Ich glaube, dass ich ihm Libuda so penetrant “untergejubelt”habe, hat mir Helmut Schön bis zu seinem Todnicht verziehen. Er nimmt den Flügelstürmer eher wi<strong>der</strong>willigin sein Team. In <strong>der</strong> WM-Qualifikation gegen Schottlan<strong>der</strong>zielt Libuda sein wohl schönstes und wichtigstesTor: ein furioses Dribbling in den gegnerischen Strafraumhinein und ein platzierter Schuss am herausstürzendenKeeper vorbei - 3:2, die Fahrkarte nach Mexiko.Schön kann gar nicht an<strong>der</strong>s, als ihn zum WM–Turniermitzunehmen. Dort macht Libuda gegen Bulgarien eines<strong>der</strong> größten Spiele seiner Karriere - und versagt einigeTage später gegen England völlig. Als er in <strong>der</strong> Begegnungum den dritten Platz gegen Uruguay in <strong>der</strong> 74. Minutevon Schön aus dem Spiel genommen wird, kommt es zumendgültigen Bruch zwischen den beiden. Vor laufendenKameras verweigert Libuda dem Bundestrainer einenversöhnlichen Händedruck. Später fragen mich Journalisten,ob denn ich als Bundestrainer auf Libuda gebauthätte? Ich muss zugeben: Nein, wenn ich Coach <strong>der</strong> Nationalmannschaftgewesen wäre, ich hätte mich wohlnicht auf jemanden wie Libuda verlassen. Dafür war ereinfach zu unbeständig. Man konnte nie sicher sein, wieer drauf war. Manchmal lief es hervorragend, doch dannwar mal wie<strong>der</strong> gar nichts von ihm zu sehen, dann fummelteer sich unentwegt fest, dass es für alle eine Qualwar. Mein permanentes Insistieren war taktisch: Ich wolltesein Selbstbewusstsein stärken. Dann spielte er besser.Er brauchte Sicherheit, privat wie in <strong>der</strong> Mannschaft.Und ich musste sehen, wie ich ihn so weit bekam, seineprivaten Angelegenheiten zu vergessen.Nach meinem Abgang von Schalke ging es mit Libuda nurnoch bergab. Im September 1974 bestritt er sein letztesSpiel. Wenig später übernahm er den Tabakladen neben<strong>der</strong> Glückauf-Kampfbahn und verkaufte Zigaretten, Toto-Zettel und Eintrittskarten für Schalke 04, mehr trautesich dieser grandiose Ausnahmespieler beruflich nichtzu. Sandaletten tragend, mit Fahrradspange an <strong>der</strong> Hose,wurde er endgültig zum tragischen Held, <strong>der</strong> selbst einfachsteRechenaufgaben [“sechs Karten bitte”] mit <strong>der</strong>Registrierkasse zu bewältigen versuchte. “Sieh nur, wasgeschieht, wenn man nichts Anständiges lernt“, tuscheltendie Leute. Immer mehr versank er im Alkohol. Aus<strong>der</strong> Legende Libuda war Mitleid geworden, aus dem Geschäft,wo er die Zeit abstand, ein Käfig.Als ich Jahre später in <strong>der</strong> Kurt-Schumacher-Straße vorbeischaute,sah ich einen zutiefst deprimierten Mann ineinem nach Tabak und Bier stinkenden Kasten, vielleicht16 Quadratmeter groß. Ausgestellt wie ein schönes,wildes Tier. Schalke 04 hatte es nicht geschafft, ihn daherauszuholen. Hätten sie ihm ernsthaft helfen wollen,hätten sie ihm anbieten müssen, Jugendtrainer zuwerden. Sie hätten ihn, <strong>der</strong> ja immer ablehnte, viel stärkerbedrängen und einfach verpflichten müssen. Dochnichts wird so schnell vergessen wie die Erfolge <strong>der</strong> Vergangenheit.Kurz vor seinem 53. Geburtstag ist Reinhard“Stan” Libuda völlig verarmt gestorben.[Aus “Mit dem Fußball um die Welt – Ein abenteuerliches Leben”März 1996. Vor vier Jahren war ich auf dem Gipfel. Damalsin Lissabon. 2:0 mit Wer<strong>der</strong> Bremen im Finale desEuropapokals <strong>der</strong> Pokalsieger gegen den AS Monaco. Europapokalsieger.Was für ein schönes Wort. Dieter Eiltsschor mir eine Glatze, ich sah aus wie eine Bowlingkugel.Eine Bowlingkugel, die gerade den Europapokal gewonnenhatte! Wer<strong>der</strong> und Monaco. Lissabon. Allofs undRufer. Rehhagel betritt <strong>deutschen</strong> Boden. Die Fans. DerJubel. Der Ruhm. Das Gefühl, einer <strong>der</strong> besten Fußballer<strong>der</strong> Welt zu sein. Der Eisenfuß. Die Axt. Ein Held. MeineFresse, ist das lange her.Jetzt sitze ich auf einer dreckigen Matratze in meinemleeren Wohnzimmer in meiner leeren Villa. Voll bin nurich und das nicht zu knapp. Habe einen Kasten Bier undvier Flaschen Wein gesoffen. O<strong>der</strong> waren es nur zweiFlaschen? Drei? Fünf? Scheißegal. Vor vier Jahren standan dieser Stelle noch ein teures Designersofa. Als ichnach Hause kam, saß dort meine Frau mit meinen beidenKin<strong>der</strong>n und wartete auf mich. Ich erzählte ihneneine Gute-Nacht-Geschichte aus dem Stadion des Lichts inLissabon. Zwei wun<strong>der</strong>bare Kin<strong>der</strong>, eine bildhübsche Frau.Eine 250-Quadratkilometer-Villa im noblen Bremer StadtteilOberneuland. Drei Autos vor <strong>der</strong> Tür. Stammspielerbei Wer<strong>der</strong> Bremen. Der meist gefürchtete Abwehrspieler<strong>der</strong> Bundesliga. Europapokalsieger. Ich hatte alles.Jetzt sind sie alle weg. Meine Frau ist mit unseren beidenKin<strong>der</strong>n zu ihren Eltern geflohen. Weil ich sie sturzbetrunkenim Streit mit dem Kopf gegen die Wand geschlagenhabe. Sie wird nicht mehr zurückkommen. BeiWer<strong>der</strong> Bremen haben sie mich rausgeschmissen. Sie sagen,ich habe ein Alkoholproblem.Ich bin 33 Jahre alt, die Knie tun weh, meine Karriereist im Eimer. Die Autos vor <strong>der</strong> Tür habe ich verkauft.Vergangene Woche habe ich ein Umzugsunternehmenangerufen. Die Möbel, die Klamotten, die Fotos an denWänden, Tische, Schränke, Stühle, Teller, Tassen, Gläser,Pokale, Medaillen und Urkunden, alles ist weg. Ich habeden Möbelpackern die neue Adresse von meiner Frau undvon meinen Eltern in die Hände gedrückt. Weg, bloß wegmit dem ganzen Zeug. Der Makler war schon hier, die Villawird verkauft. Nur noch ich bin da. Ich, die Matratze, einKühlraum voller Alkohol und die Hausapotheke.Ich besaufe mich, das kann ich gut. Erstaunlich, wie vielein Mensch verträgt, bis er den Verstand verliert.Da! Ein Schrei! Der kam von oben, aus den Kin<strong>der</strong>zimmern!Mein Sohn Tomek ist fünf Jahre alt und hatte früherimmer so schlimme Ohrenschmerzen. Jetzt schreit erwie<strong>der</strong>. Nach mir, seinem Papa! Ich renne die Stufen nachoben, stürze über den Flur und öffne die Tür zu TomeksZimmer. Aber da ist nichts. Ich höre den Schrei, ganz klarund deutlich, aber das Zimmer ist leer. Tomeks Kin<strong>der</strong>bettchen,seine Spielsachen, das bunte Poster an <strong>der</strong>Wand, nichts ist mehr da. Ich höre meinen Sohn schreien,aber er ist gar nicht hier. Die Einsamkeit frisst sich durchmeine Eingeweide, ich schließe die Augen. Das Schreienverstummt.Zurück auf <strong>der</strong> Matratze. Ich öffne die nächste FlascheWein. Leere sie, öffne die nächste. Versuche, die Einsamkeit,die Leere, die Angst und die Trauer zu ertränken.Aber heute klappt das nicht. Heute nicht. Heute muss ichzu drastischeren Maßnahmen greifen. Ich gehe ins Badezimmerund hole den Karton mit den Tabletten. Schmerztabletten, Schlaftabletten, <strong>der</strong> ganze Karton ist volldamit. In <strong>der</strong> Küche steht noch ein letztes großes Glas.Tabletten und Glas stelle ich vor die Matratze. Mir ist daeben ein Gedanke gekommen. Was, wenn ich morgennicht mehr aufwache? Würde mich jemand vermissen?Braucht mich jemand? Brauche ich mich noch? Wäre esnicht besser, <strong>der</strong> ganzen Scheiße ein Ende zu bereiten?Sich hier und jetzt zu verabschieden? Was hin<strong>der</strong>t michdaran?Ich schütte die Tabletten ins Glas. Eine Handbreit Schmerz -mittel und Schlaftabletten vermengt mit Rotwein undBier. Minutenlang sitze ich da und starre auf den selbstgemachtenCocktail. O<strong>der</strong> sind es Stunden?Jetzt. Ich nehme das Glas und leere es in einem Zug.Mein Name ist Uli Borowka und ich werde mir jetzt dasLeben nehmen.Verlag Die Werkstatt]32 33SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]


[Uli Hannemann]Helden des FuSSballsports: Meine Oma[Vladir Lemos]Adriano, <strong>der</strong> ImperatorSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Die Flanke ist scharf und zu ungenau, das lange Beindes Stürmers schlicht zu kurz. Kein Vorwurf, aber - „Denhätte doch meine Oma reingemacht!“ Das wollte ich nicht.Der Satz ist mir rausgerutscht. Auch wenn er stimmt.„Deine Oma?“ Mein Nachbar, den mir <strong>der</strong> Zufall und diegemeinsame Vorliebe für kaltes Bier und Kneipenfußballan den Tisch gelost hat, dreht sich zu mir um und mustertmich missmutig. Doch mit dem Erkennen weicht <strong>der</strong> Argwohnaus seinem Blick, um Verblüffung Platz zu machen.„Du bist … deine Oma ist … wirklich … die … die große …?“Die Ehrfurcht lässt seine Stimme beben.„Genau die.“ Ich versuche, nicht zu stolz zu klingen, auchwenn ich es bin. Aber es ist nicht mein Verdienst und ichbin auch kein Angeber, son<strong>der</strong>n nur ein unfreiwilligerTrittbrettprominenter. Ich bin einfach nur <strong>der</strong> Enkel.„Uwe.“ Ich hebe mein Glas und stoße es kurz an seines.„Uwe Przewalski.“„Ich weiß.“ Seine Augen schimmern feucht. „Andreas. Ichbin ein großer Bewun<strong>der</strong>er deiner Oma. Mein Keller istein einziger Altarraum: Verschlissene Original-Töppen,Fotos mit dem Kaiser, dem Reichstrainer und <strong>der</strong> Queen,Autogrammkarten, Aktenordner mit vergilbten Zeitungsausschnittenund natürlich mehrere signierte Exemplarevon‚ Waltraud Przewalski: Eine Frau steht ihren Mann‘.“Prof. Dr. Frank Willmanns großartige Biographie übermeine Oma kenne ich natürlich. Ein sportjournalistisches,ein sporthistorisches Meisterwerk. Neben hochinteressantenEinblicken in die Entwicklung des europäischenFußballs erstellt das Buch auch ein Sittengemälde von <strong>der</strong>gesellschaftlichen Position <strong>der</strong> Frau in den zwanziger unddreißiger Jahren des vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts.Waltraud Przewalskis Spezialität war ihr unglaublich harterSchuss. So wurde die 1908 Geborene kurz nach Beendigungdes Ersten Weltkriegs von einem Jugendtrainerauf Kartoffelplün<strong>der</strong>fahrt entdeckt, als sie auf dem elterlichenHof im westpommerschen Bömmensinchen dasScheunentor mit einem lebenden Huhn einschoss. Danachwar es allerdings tot.Der Läuseplage war es zu verdanken, dass <strong>der</strong> Nachwuchs -coach das Mädchen mit dem stoppelkurzen Blondhaar füreinen Jungen hielt. Zum Glück. Denn was für eine grandioseSpielerin wäre <strong>der</strong> Welt sonst vorenthalten geblieben– die Zeiten des Frauenfußballs waren schließlich nochweit entfernt.Waltraud wuchs zu einer jungen Frau heran. Der Karrieretat das keinen Abbruch, denn ihre androgyne und zugleichkräftige Erscheinung erleichterte ihr das erfolgreicheVersteckspiel zwischen all den männlichen Mitspielern.Dass man damals nach dem Spiel in Unterwäscheduschte, kam <strong>der</strong> Vermeidung zeitgenössisch kleinlicherFragen bezüglich <strong>der</strong> primären Geschlechtsmerkmalezusätzlich entgegen. Den Namen Waltraud hielt man füreine bloße Marotte.Über Victoria Bömmensinchen, Sportfreunde Stettin undHertha BSC landete sie beim FC Schalke 04, dem vorläufigenHöhepunkt ihrer Laufbahn. Zu jener Zeit verfügtemeine Oma längst über den wohl wuchtigsten Vollspannstoßauf dem Kontinent. Mehr als einmal musste dasSpiel abgebrochen werden, da die Holzpfosten <strong>der</strong> brachialenGewalt ihrer Abschlüsse nicht standhielten. Undnoch mit 48 Jahren trat sie unter dem Pseudonym PeterMurphy für Birmingham City im englischen FA-Cup-Finalegegen Manchester City an und schoss <strong>der</strong>en KeeperBert Trautmann aus dreißig Metern den Kopf ab. Für denSieg reichte es trotzdem nicht.Deutschland hatte sie schon Mitte <strong>der</strong> 30er Jahre verlassen.Über Rapid Wien, Olympique Marseille und dieBolton Wan<strong>der</strong>ers gelangte sie zu Real Madrid, wo sieunter dem Trainerfuchs Hugo Bal<strong>der</strong>ez das Zentrum <strong>der</strong>legendären Sturmreihe Sanchez – Quijote – Przewalski– Rigatoni – Melltorp bildete. Die Karriere ließ sie dannin England ausklingen, wo sie bis zu ihrem Abschied mitfast sechzig Jahren über tausend Tore schoss.Ab so etwa dem Alter von achtzig Jahren wurde Omalangsamer, doch ihre rechte Klebe war noch immerfurchterregend. Das bekam auch das Küchenpersonal imGelsenkirchener Seniorenstift „Zur Ruhe“ zu spüren, demdas belgische Gemüse durch die geschlossene Schwingtürwie Schrappnelle um die Ohren flog. Oma hassteRosenkohl.Lei<strong>der</strong> ließ ihr Geist noch vor dem Schussbein nach. Wirsahen oft zusammen in ihrem Zimmer Fußball und siereagierte im Grunde nur noch, wenn sie eine verpassteTorchance sah: „Den hätte ich reingemacht.“Natürlich bestätigte ich dann: „Ja, Oma, den hättestdu locker reingemacht.“ Inmitten eines dieser immergleichen Dialoge trat sie vor gesegnet wenigen Jahrenauch den letzten Schlummer an.Eines hatte Oma übrigens nie verwunden: Wegen ihrerkritischen Haltung gegenüber dem NS-Regime schlossendie Nazis sie aus dem Nationalteam aus und ließen ihrenNamen aus den Annalen tilgen. So kommt es, dass anstellevon Waltraud Przewalski noch heute ein gewisserErnst Lehner als Rekordtorschütze <strong>der</strong> 30er Jahre gilt,obwohl meine Oma in nur zweiunddreißig Län<strong>der</strong>spielenhun<strong>der</strong>telfmal traf, davon ein Dutzend Treffer aus <strong>der</strong>eigenen Hälfte.Es sind Menschen wie meine Zufallsbekanntschaft Andreas,die dafür sorgen, dass die Treffsicherheit meinerOma nicht nur nicht vergessen wird, son<strong>der</strong>n geradezuSprichwörtlichkeit erlangt hat. Dafür bin ich ihm dankbar.Sein nächstes Bier geht auf mich, während auf demBildschirm <strong>der</strong> nächste Riese gnadenlos versemmeltwird. Meine Oma hätte ihn reingemacht.Mit einunddreißig Jahren, personifiziert Adriano, <strong>der</strong>Imperator, den Schmerz und die Freude am Fußball. Zueinem gewissen Zeitpunkt war dies in aller Munde. Angesichtsdieser Omnipräsenz habe ich mich dabei erwischt,an all die Leute zu denken, die über diese, meine Wortestolpern könnten. Leute, <strong>der</strong>en tägliches Einkommen eserlaubt eine Tageszeitung zu kaufen, o<strong>der</strong> Leute, die diesein meinem Blog finden, in dem ich sie für gewöhnlich undin bescheidener Weise hinterlege. Leute, die einen Computerbesitzen und die sich das Recht erkauft haben, dasInternet zu benutzen. Leute, die eine Familie haben undArbeit, Leute, die pünktlich kommen und gehen müssen.Leute, die Zugang zu sanitären Einrichtungen haben. Undzu Unterhaltung.Ich habe mich also gefragt: Was wissen wir eigentlichvom Leben dieses Adriano? Wer von uns ist tatsächlich in<strong>der</strong> Lage den Werdegang dieses, in <strong>der</strong> Vila Cruzeiro aufgewachsenenMannes, zu erklären? Für den, <strong>der</strong> es nichtweiß, die Vila Cruzeiro ist eine <strong>der</strong> gewalttätigsten Gegendenin Rio de Janeiro. Eine Gegend, in <strong>der</strong>en StraßenTag für Tag <strong>der</strong> Bürgerkrieg tobt. Wer unter uns könntewissen, was diese Favela wirklich bedeutet? Wer? Werwüsste, auf welche Weise Adrianos Jugend sich mit denGeschichten dieses hintersten Winkels im Norden von Riode Janeiro vermischte?Es handelt sich hier um einen Imperator, <strong>der</strong> in einem vonmakabren Imperatoren verpesteten Land aufgewachsenist. Und es entstehen Vermutungen, denn die Favela istein fruchtbares Land dafür. Noch dazu ist da <strong>der</strong> Alkohol– es ist immer <strong>der</strong> Alkohol – und die idiotische Erklärungeines befreundeten Torhüters. Aber die Tugend gewisserGedanken ist nun einmal die, den Typ von Mensch bloßzustellen,<strong>der</strong> diese ausgesprochen hat.Wer von uns wäre in <strong>der</strong> Lage zu verstehen, dass ein jungerMann eines Tages - in einem dieser Ausbrüche - sichdas Recht zugesteht, den Fußball zum Teufel zu wünschenund die Entscheidung zu treffen, den Rest seiner Tage unterMenschen zu verbringen, die ihn haben aufwachsensehen? Wer könnte ihn sich dabei glücklich vorstellen? Istes denn so schwer zu verstehen, dass jemand, <strong>der</strong> auseiner solchen Gegend kommt, sich in einem Konflikt sieht,wenn er von Angesicht zu Angesicht, mit dem Gegenteilvon allem was er bisher gelebt hat, konfrontiert wird?Warum ist es so schwer sich vorzustellen, dass Adrianomehr Spaß an einer Funk-Party hat, als an den Partys <strong>der</strong>Reichen und Schönen mit viel teurem Wein und Champagner?Ein Grand Cru ist für ihn etwas an<strong>der</strong>es – es ist dierohe Realität. Und die hat keine Geheimnisse.SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]34 35


[Wolfgang Herrndorf]Outtake: TschickSO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]Und wenn er dir sagen würde, dass er bei den Leuten,oben in <strong>der</strong> Favela, mehr Wahrheit und Schönheit findet,als bei denen hier unten? Das würdest du nicht wahrhabenwollen, nicht wahr?Und mehr noch, die Sorge um die Schlagzeilen, um dasEcho, die moralischen Gedanken, die Verhaltensanalysen,all dies passt in unsere kleinbürgerliche Realität, aberwahrscheinlich nicht in die seine. Und nichts kann ungerechterund voller Vorurteil sein, als über jemanden wegen<strong>der</strong> Millionen, die er verdient hat, richten zu wollen,o<strong>der</strong> niemals den merkwürdigen Ort vergessen zu wollen,aus dem er gekommen ist. Es gibt gewisse Aspekte imLeben, die es niemals in die Zeitungen schaffen werden,selbst wenn sie Teil sind von Jemand, den <strong>der</strong> Fußball zueinem Superhelden transvestiert hat.Einmal sollten wir ein Gedicht schreiben. Da hattenwir monatelang Gedichte gelesen und analysiert, Goethe,Schiller, Hebbel, so die Richtung, und das sollte jetztweitergehen mit mo<strong>der</strong>n. Nur daß mo<strong>der</strong>n keiner mehrverstand. Einer hieß Celan und ein an<strong>der</strong>er Bachmann, dahätte man Simultandolmetscher gebraucht.“Lyrik ist die Sprache <strong>der</strong> Gefühle”, hat Kaltwasser unsimmer wie<strong>der</strong> klargemacht, und wer das in seinen Aufsatzschrieb, hatte schon mal eine Drei sicher: Lyrik istdie Sprache <strong>der</strong> Gefühle. Nur daß einem das bei diesemCelan auch nicht weiterhalf, und das ganze Desaster endetedamit, daß Kaltwasser fragte, wer denn schon malselbst so was probiert hätte. Ein Gedicht schreiben.Keiner natürlich.“Das ist nichts, wofür man sich schämen muß”, sagte Kaltwasserund wartete.Zwei Mädchen meldeten sich, Natalie relativ schnell, undMarie erst, nachdem sie rot geworden war.“Mehr nicht?” fragte Kaltwasser, und dann meldete sichAndré. André Langin. Der schöne André. Hätt’ ich fast gekotzt.Und das Schlimmste war: Das brachte die Festungzum Einsturz. Nachdem André sich gemeldet hatte, meldetesich nach und nach fast die Hälfte <strong>der</strong> verblödetenMädchen, die alle schon mal “naja, so was, was sich reimt”gemacht hatten, und noch zwei Jungs. Einer davon <strong>der</strong>Nazi. Der meldete sich, wie er sich immer meldete: Ellenbogenauf den Tisch und dann schlapp irgendein Fingerkrumm in die Luft gehalten, gern auch <strong>der</strong> Mittelfinger.Und <strong>der</strong> wollte jetzt also auch schon mal ein Gedicht geschriebenhaben. Ich war anscheinend fast <strong>der</strong> einzige,<strong>der</strong> noch nicht auf die Idee gekommen war. Wobei lei<strong>der</strong>nicht geklärt wurde, wer denn da was genau produzierthatte.Bei dem Nazi konnte man wahrscheinlich schon davonausgehen, daß das eher nicht so “Frühling läßt sein blauesBand” und so war. Wobei ich den Nazi nicht kannte.Keiner kannte den genauer. Vielleicht hatte er ja ein totalgefühlsmäßiges Innenleben? Nur einmal hatte ich ihnaußerhalb <strong>der</strong> Schule getroffen. In <strong>der</strong> S-Bahn, auf demWeg ins Olympiastadion, zusammen mit hun<strong>der</strong>t an<strong>der</strong>engrölenden Hertha-Spacken. Womit ich nicht sagen will,daß alle Herthaner Spacken sind. Ich bin früher auch mitmeinem Vater ins Stadion gegangen. Aber die Ostkurveist halt schon völlig verspackt, und das Komische ist, daßalle diese Hertha-Vollirren eine wahnsinnige Freude anGedichten haben. In <strong>der</strong> S-Bahn den ganzen Weg zum Stadionimmer: Sprechgesang, Jambus, Reimschema, alles.Nur daß <strong>der</strong> Inhalt eher nicht so goetheartig ist. Das gehtschon immer mehr Richtung Türken, Auschwitz, Baseballschläger.Wir sind die Blauen, wir sind die Weißen, wirsind die, die auf die Schalker scheißen – und ich vermute,solche Gedichte wird <strong>der</strong> Nazi in seiner Freizeit dann wohlauch gedichtet haben. Womit er Kaltwassers Anfor<strong>der</strong>ungja erfüllt gehabt hätte: Die Sprache <strong>der</strong> Gefühle. Aber, wiegesagt, nach Inhalt wurde nicht gefragt. Weil, Kaltwasserging es jetzt um die Hausaufgabe, und die war, daß wireben alle auch mal so was machen sollten. Wir wüßten jajetzt, wie das geht, Kreuzreim, Dings, A-B-A-B. Und dannnoch Stilmittel.Aus irgendwelchen Gründen hatte ich die Hausaufgabeam nächsten Tag aber vergessen, und als Kaltwasser danntatsächlich jeden einzelnen <strong>der</strong> Reihe nach aufgerufenhat, hab ich mich erstmal auf Toilette verabschiedet. MitZettel und Füller. Und da saß ich dann auf dem Klodeckelund dachte, hau ich halt schnell einen Vierzeiler zusammen.Was strategisch unklug war, weil ich auf die Weiseja das Gedicht von Tatjana verpaßte, und wenn mich einsauf <strong>der</strong> Welt interessierte, dann wie Tatjanas Sprache <strong>der</strong>Gefühle aussah. Wäre ich also besser in <strong>der</strong> Klasse sitzengebliebenund hätte einen Eintrag kassiert. Aber, wiegesagt, das fiel mir zu spät ein auf dem Klo. Und dannwußte ich auch nicht, was ich überhaupt schreiben sollte.Sprache <strong>der</strong> Gefühle. Ich hatte schon seit Monaten nurnoch ein einziges Gefühl gehabt. Und so hab ich dann auchangefangen. Ich kann an gar nichts an<strong>der</strong>es denken,erste Zeile. Und schon bei Zeile zwei war ich mächtig amSchwimmen. Tatjana, param param, mein Herz, hier fehltein Wort, param, irgendwas mit schenken. Herz schenken.Geschenk schenken. Oh Mann.Wenn man über Liebe und so was schreiben will, sollteman wahrscheinlich schon länger darüber nachdenkenals fünf Minuten auf dem Schulklo. Hat Goethe bestimmtauch gemacht. Außerdem hatte ich nicht wirklich vor, einGedicht über Tatjana zu schreiben. Aber wenn nicht überTatjana, worüber dann? Eins über mich? Über die Natur?Über das Klo? Türken? Auschwitz? Mir fiel nur Quark ein.Ich liebe dich, du blöde Sau, während ich ins Jungskloschau. Nee, nee. Vielleicht doch besser harmlos machendie Sache – wie hieß das noch? Metaphorisch, genau. Einfachdie Liebe weglassen und über die Landschaft reden.Und am Ende stellt sich raus, es ist gar keine Landschaftgemeint, son<strong>der</strong>n Frau von Stein. Der Winter kommt.Die Luft ist kalt. Ich hab kein Schal, Herr Rechtsanwalt.Nein.Als ich in die Klasse zurückkam, hatten schon fast alle gelesen.Die Reihe war an meinem Platz längst vorbei, undnur die zwei hinteren Bänke kamen noch. Den größtenErfolg hatten Jungen, die die Worte Scheiße und Arschin ihren Gedichten untergebracht hatten. Wobei Arschdas Schwierigste zu sein schien, quasi Königsdisziplin.Da spielte gleich in zwei Gedichten von <strong>der</strong> letzten Bankirgendein Fluß die Hauptrolle, damit nämlich ein Barschin dem Fluß schwimmen konnte. Und was war das füreine Begeisterung am Ende, wenn das Reimwort kam! NurKaltwasser mochte es nicht so.Die Stunde war fast um, und ich hoffte schon, nichtmehr dranzukommen. War aber lei<strong>der</strong> nicht so. Kaltwassersetzte ein feines Lächeln auf, überblickte die ganzeKlasse und sagte: “Unser Freund Maik Klingenberg. Dannlies doch mal vor, was du da in fünf Minuten über demUrinal zusammengekritzelt hast. Wenn’s Versmaß stimmt,mach ich nicht mal einen Eintrag.”Immer dieses Problem mit den Erwachsenen. Einerseitsblicken sie’s oft nicht. Aber dann blicken Sie’s wie<strong>der</strong>. Kaltwasserblickte es meistens. Ich packte meinen Zettel ausund las. “Ich liebe dich -”“Ich liebe dich? Was? Lauter!” rief Kaltwasser.“Ich liebe dich. Und ganz egal.Der Winter kommt. Ein warmer SchalIst besser als ein kalter.Ich bin zu häßlich für mein Alter.Du bist zu schön. Und das vergeht.Das ist nicht neu. Nichts bleibt, nichts steht.Ein Lada steht im Parkverbot.In hun<strong>der</strong>t Jahren sind wir tot.”“Soso. Wir können schon Ironie”,sagte Kaltwasser.“Na – das hätte Goethe infünf Minuten auch nicht besserhingekriegt. Kein Eintrag.Hausaufgaben zumnächsten Mal: Seite 122 oben.”SO | 13.10.2013 | 11H30 [ Ausgetanzt [o<strong>der</strong>] Vom Fallen in die Tiefen des Raumes ]36 37


[ AUTONAMA]dIE DEUTSCHE<strong>autoren</strong>nationalmannschaft[ Trainer | Rudolf Gutendorf - “Rudi” ]wurde am 30. August 1926 in Koblenz-Moselweiß geborenund ist ehemaliger deutscher Fußballspieler und -trainer.Er gilt als <strong>der</strong> Trainer mit den meisten internationalen Engagementsund steht als solcher auch im Guinness-Buch<strong>der</strong> Rekorde.[ Ulli Borowka ]startete seine Karriere als Fußballprofi unter Jupp Heynckesbei Borussia Mönchengladbach. Mit Wer<strong>der</strong> Bremen,von 1987 bis 1996 unter Otto Rehagel, wurde er mehrfachDeutscher Meister, Pokal- und Europapokalsieger. Dersechsfache Nationalspieler hatte schon damals Alkoholprobleme.Nach einer erfolgreichen Alkoholtherapie betreibter heute eine Sportmarketing-Firma und gründeteeinen Verein zu Suchtprävention für Profisportler.[ Klaus Döring ]Geb. 1963 in Frankfurt a.M., Diplom-Informatiker. Leitetedie EDV einer Filmfirma, bevor er für seinen ArbeitgeberDrehbücher schrieb. Heute arbeitet er als Drehbuchautorfür Kin<strong>der</strong>serien wie Benjamin Blümchen, Simsalagrimm,Biene Maja 3D. Er gewann den <strong>deutschen</strong> Kin<strong>der</strong>filmpreisGoldener Spatz [Kurzanimation] und die BKM Kinoför<strong>der</strong>ungfür seine aktuelle Kinoadaption des Kin<strong>der</strong>buchbestsellers“Rico, Oskar und die Tieferschatten”. Der Linksfußlebt in Frankfurt.[ Wolfram Eilenberger ]Geb. 1972, Linksfüßer, ist Philosoph und Schriftsteller.Er ist Chefredakteur des “Philosophie Magazin” und Autorzahlreicher Bücher, darunter “Philosophie für alle,die noch etwas vorhaben” [Berlin Verlag, 2005], “Lob desTores - 40 Flanken in Fußballphilosophie” [Berlin Verlag,2006] und “Finnen von Sinnen” [Blanvalet, 2010].[ Uli Hannemann ]Geb. 1965 in Braunschweig, lebt in Berlin und spielt in <strong>der</strong>Abwehr <strong>der</strong> Autorennationalmannschaft. Mitglied <strong>der</strong> traditionsreichenBerliner Lesebühnen “Reformbühne Heim& Welt” sowie “LSD – Liebe statt Drogen”. Seiner jüngstenVeröffentlichung “Wenn <strong>der</strong> Kuchen schweigt, sprechendie Krümel” [Ullstein, 2012] wird im März 2014 <strong>der</strong> Roman“Hipster wird’s nicht” [Berlin Verlag] folgen.[ Falko Hennig ]wurde 1969 in Berlin geboren. Nach einer Schriftsetzerlehreund Abitur arbeitete er als Taxifahrer, Bauarbeiter,Pförtner, Touristenführer und Aktmodell. Er schreibtfür die Berliner Zeitung und die Frankfurter AllgemeineSonntagszeitung und ist Mitglied <strong>der</strong> Reformbühne Heim& Welt. Er veröffentlichte die Romane “Alles nur geklaut”[1999] und “Trabanten” [2002]. 2011 kam “Ohne Dich istalles Staub” heraus [zusammen mit Robert Weber].[ Thomas Klupp ]Geb. 1977 in Erlangen, arbeitet am Institut für deutscheSprache und Literatur <strong>der</strong> Universität Hildesheim. Er warHerausgeber <strong>der</strong> Zeitschrift BELLA triste und hat Prosa inAnthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht. Sein2009 im Berlin Verlag erschienener Debütroman Paradisowurde mit dem Nicolas-Born-För<strong>der</strong>preis ausgezeichnet.[ Wolfgang Herrndorf ]verstarb 2013 nach langer schwerer Krankheit in Berlin.Er spielte lange für die Autorennationalmannschaft undschrieb die mehrfach prämierten Romane “Sand” und“Tschick”. In Gedenken an ihren ehemaligen Mitspielerliest die Mannschaft einen seiner Texte und spielt imLän<strong>der</strong>spiel mit Trauerflor.[ Norbert Kron ]Geb. 1965 in München, lebt seit 1992 in Berlin als Schriftsteller,Filmemacher, Journalist und Mittelfeldspieler <strong>der</strong>Autonoma. Zahlreiche Stipendien, u.a. Villa Aurora LosAngeles und Deutscher Kulturfonds. TV-Reportagen undBeiträge, z.B. Titel Thesen Temperamente. Veröffentlichungenu. a. in <strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinen Zeitung, imTagesspiegel, in ndl und Akzente. Nach “Autopilot” [2002]erschien im Mai 2008 sein zweiter Roman “Der Begleiter”.2011 gab er die zweite Anthologie <strong>der</strong> Autorennationalmannschaft“Fußball ist unser Lieben” mit heraus.[ Andreas Merkel ]Geb. 1970 in Rendsburg, studierte Literaturwissenschaft,Theater- und Filmwissenschaft sowie Philosophie. Erhat die Romane “Große Ferien” und “Das perfekte Ende”veröffentlicht, schreibt für die Tageszeitung, die BerlinerZeitung und Die Zeit und ist Mitglied des 1. FC Köln.[ Christoph Nussbaume<strong>der</strong> ]Geb. 1978 in Eggenfelden. Studierte Jura, Germanistik undGeschichte in Berlin. Sein Debüt als Dramatiker gab er2005 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Seitdemwurden seine Stücke u.a. an <strong>der</strong> Berliner Schaubühne, amSchauspielhaus Bochum und am Schauspiel Köln uraufgeführt.Christoph Nußbaume<strong>der</strong> erhielt einige Preise undStipendien, darunter das Thomas-Bernhard-Stipendiumdes Landestheaters Linz im Jahr 2004. Im Sommer 2005nahm er am International Residency for Emerging Playwrightsam renommierten Royal Court Theatre in Londonteil. In <strong>der</strong> Spielzeit 2007/2008 war er Hausautor am NationaltheaterMannheim. 2010 erhielt er den Autorenpreisdes KunstSalon Köln. Seine Stücke werden im SuhrkampVerlag publiziert.[ Albert Ostermaier ]Der in München lebende Schriftsteller ist vor allem alsLyriker und Dramatiker bekannt. Seine Theaterstückewurden von namhaften Regisseuren inszeniert, u.a. vonAndrea Breth und Martin Kušej. Er war Hausautor am Nationaltheaterin Mannheim [Spielzeit 1996/97], am BayerischenStaatsschauspiel [Spielzeit 1999/2000] und amWiener Burgtheater [Spielzeit 2003-2009]. Sein jüngsterRoman “Seine Zeit zu sterben” erschien 2011. Im selbenJahr fanden auch die Uraufführungen von zwei Stückenstatt: “Aufstand” bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausenund Luxemburg sowie “Halali” im Residenztheaterin München. Aktuell ist im Prestel-Verlag <strong>der</strong> Fotoband“Venedig. Die Unsichtbare” von Christopher Thomas mitGedichten von Albert Ostermaier erschienen. Albert Ostermaierwurde mit zahlreichen Preisen geehrt, u.a. mitdem Ernst-Toller-Preis, dem Kleist-Preis, dem Bertolt-Brecht-Preis und für sein literarisches Gesamtwerk mitdem “WELT”- Literaturpreis 2011.[ Moritz Rinke ]Geb. 1967 in Worpswede, studierte Drama, Theater, Medienin Gießen. Seine Reportagen, Geschichten und Essayserschienen in “Der Blauwal im Kirschgarten” und “Dasgroße Stolpern”. Sein Stück “Der Mann, <strong>der</strong> noch keinerFrau Blöße entdeckte” erhielt 1997 den Literaturpreisdes PEN-Club und wurde für den Mülheimer Dramatikerpreisnominiert. Das Stück “Republik Vineta”, wurde2001 zum besten deutschsprachigen Stück gewählt und2008 verfilmt. Für die Nibelungenfestspiele schrieb ereine Neufassung <strong>der</strong> “Nibelungen”. Rinkes erster Film“September” [Regie: Max Färberböck] wurde 2003 zu denInternationalen Filmfestspielen nach Cannes eingeladen.ZDF/ARTE drehten einen Film mit und über Moritz Rinke.2010 erschien sein erster Roman “Der Mann, <strong>der</strong> durchdas Jahrhun<strong>der</strong>t fiel” sowie 2012 “Also sprach Metzel<strong>der</strong>zu Mertesacker”, Rinkes Liebeserklärungen an den Fussball.Sein neuestes Theaterstück “Wir lieben und wissennichts” wurde 2013 am Schauspiel Frankfurt uraufgeführtund an über 30 Bühnen nachgespielt. Rinke lebt in Berlin.[ Matthias Sachau ]Nachdem Matthias Sachau hoffnungsvolle Karrieren alsArchitekt, Musiker, Golfer und Klassenclown in den Sandgesetzt hatte, begann er zu schreiben. Mit Comedyromanenwie “Kaltduscher”, “Schief gewickelt” und “Wir tunes für Geld” konnte er zwar durchaus Erfolge verbuchen,aber wer ihn länger kennt, weiß, dass er auch hier scheiternwird. Vor allem, dass Sachau sich aktuell in den ihmfremden Genres Fantasy und Liebesroman versucht, giltunter Kennern als Zeichen für seinen bevorstehendenNie<strong>der</strong>gang. Matthias Sachau lebt in Berlin, sowie anOrten mit Meer o<strong>der</strong> Schnee.[ Jörg Schieke ]Geb. 1965 in Rostock, studierte am Deutschen LiteraturinstitutLeipzig. Arbeitete als Redakteur <strong>der</strong> LiteraturzeitschriftEDIT sowie als Lektor beim GustavKiepenheuerVerlagLeipzig. Lebt jetzt als freierHörfunkjournalist und Autor in Leipzig. VeröffentlichteLyrik und Prosa; zuletzt “Count down” – ein Reisegedicht[2007]. Spielt auf <strong>der</strong> Position des Innenverteidigers in<strong>der</strong> Nationalmannschaft <strong>der</strong> Autoren.[ Jochen Schmidt ]Geb. 1970 in Berlin. Romanistikstudium. 1999 gründete erdie Berliner Lesebühne “Chaussee <strong>der</strong> Enthusiasten” undliest dort wöchentlich neue Texte [www.enthusiasten.de].Er veröffentlichte zahlreiche Bücher u.a: “Müller haut unsraus” [C.H.Beck, 2002], “Meine wichtigsten Körperfunktionen”[C.H.Beck, 2007], das Lektüretagebuch “Schmidtliest Proust” [Voland&Quist, 2008] und “Schneckenmühle”[C.H.Beck, 2013]. Daneben schrieb er die Reiseessays “Gebrauchsanweisungfür die Bretagne” [Piper, 2005] und“Gebrauchsanweisung für Rumänien” [Piper, 2013]. Mit<strong>der</strong> Künstlerin Line Hoven veröffentlichte er zuletzt dieGraphic Novel “Schmythologie - Wer nicht Griechischkann, kann gar nichts” [C.H.Beck, 2013]. 2004 erhieltJochen Schmidt den För<strong>der</strong>preis zum Kasseler Preis fürgrotesken Humor.[ Nils Straatmann ]wurde 1989 in Geesthacht geboren. Als Slam-Poet „BleuBroode” reist er durch Deutschland und Europa. ImJahre 2008 wurde er U20-Meister <strong>der</strong> deutschsprachigenPoetry-Slam-Meisterschaften in Zürich, 2010 gewanner die Sachsen- und Hessenmeisterschaften im PoetrySlam. Seine fußballerische Laufbahn musste Straatmann2008 seinem Studium opfern. Zuvor führte sie ihn überverschiedene Bremer Clubs durch die JugendregionalligenNord. 2009 erschien sein erstes Buch “Kleinstadtgeschichten”im Lektora-Verlag, 2010 veröffentlichte er in<strong>der</strong> Anthologie “Poetry Slam” bei Carlsen.[ Florian Werner ]Geb. 1971 in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistikund Germanistik und wurde 2007 mit einer Arbeit überHipHop und Apokalypse promoviert. Veröffentlichungen:“Wir sprechen uns noch” [dtv 2005]. “Rapocalypse”[transcript 2007]. “Die Kuh: Leben, Werk und Wirkung”[Nagel & Kimche 2009]. “Dunkle Materie: Die Geschichte<strong>der</strong> Scheiße” [Nagel & Kimche 2011]. “Schüchtern“ [Nagel& Kimche 2012]. “Verhalten bei Weltuntergang” [Nagel &Kimche 2013]. Seine Bücher wurden unter an<strong>der</strong>em insEnglische, Spanische und Japanische übersetzt und mehrfachausgezeichnet.[ Klaus Cäsar Zehrer ]Geb. 1969 in Schwabach. Lebt als freier Autor, Herausgeberund Übersetzer in Berlin. 2002 Promotion im FachbereichKulturwissenschaften <strong>der</strong> Universität Bremen zum Thema“Dialektik <strong>der</strong> Satire”. Kin<strong>der</strong>bücher: “Der Kackofant” [illustriertvon Fil, 2011; Hörspiel 2012], “Knut Großmut, <strong>der</strong>Raubtierbändiger” [illustriert von F.W. Bernstein, 2010].Veröffentlichungen als Herausgeber: “Hell und Schnell.555 komische Gedichte aus 5 Jahrhun<strong>der</strong>ten” [mit RobertGernhardt, 2004], “Da - das Meer! Das maritime Oeuvre<strong>der</strong> Neuen Frankfurter Schule” [2005].38 39


[FC Pindorama]dIE BRASILIANISCHE<strong>autoren</strong>nationalmannschaft[ Trainer | José Macia - “Pepe” ]wurde am 25. Februar 1935 geboren und zweifacherWeltmeister mit <strong>der</strong> brasilianischen Nationalmannschaft:Er gewann die Fußball-WMs 1958 und 1962. Mit 405 Torenin 750 Spielen ist er <strong>der</strong> zweitbeste Torschütze <strong>der</strong> Geschichtedes Santos, gleich hinter Pelé. Er gilt als einer <strong>der</strong>besten “Links-Außen” <strong>der</strong> Fußball-Geschichte. Nach demEnde seiner Sportlerkarriere wurde er ein erfolgreicherTrainer und gewann die brasilianische Meisterschaft 1986mit dem Verein São Paulo F.C. In seinem Buch “Bombasde Alegria” [Bomben <strong>der</strong> Freude] veröffentlichte er Geschichten,die er in <strong>der</strong> Welt des Fußballs erlebt hat.[ André Argolo ]wurde 1974 in Santos geboren. Postgraduiertenstudiumim Bereich <strong>der</strong> Ausbildung von Schriftstellern und Spezialistenin literarischen Texten am Instituto Superior deEducação Vera Cruz. Derzeit bereitet er die Veröffentlichungseines ersten Gedichtbandes, „Vento Noroeste”[Nordost-Wind], vor. Seit 20 Jahren als Journalist tätig,arbeitete er als Reporter bei Medien wie Rede Globo, TVCultura und ESPN Brasil. Zu seinen professionellen literarischenTätigkeiten zählen die Realisierung von Videosfür Bücher von Autoren des Verlags Global Editora, sowiedie Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Site Publishnews.[ Antônio Prata ]wurde am 24. August 1977 in São Paulo geboren und istSchriftsteller und Drehbuchautor. Er ist Sohn <strong>der</strong> SchriftstellerMário Prata und Marta Góes, studierte Philosophie[an <strong>der</strong> USP], Filmwissenschaft [FAAP] und Sozialwissenschaft[PUC-SP], brachte aber kein Studium zum Abschluss.Er schreibt Kurzgeschichten für das Feuilleton<strong>der</strong> Sonntagsausgabe <strong>der</strong> Folha de São Paulo und ist alsDrehbuchautor beim Fernsehsen<strong>der</strong> Rede Globo angestellt,wo er an <strong>der</strong> Telenovela Avenida-Brasil von JoãoEmanuel Carneiro mitarbeitete. Von ihm wurden bereitszehn Bücher veröffentlicht, darunter “Meio Intelectual,meio de esquerda“ [Halb intellektuell, halb links; Verlag34], “Adulterado“ [Verfälscht; Verlag Mo<strong>der</strong>na] und “Oinferno atrás da pia“ [Die Hölle hinter <strong>der</strong> Spüle; VerlagObjetiva].[ Celso de Campos Jr. ]wurde 1978 in São Paulo geboren. Er hat an <strong>der</strong> UniversitätCásper Líbero Journalismus und an <strong>der</strong> Universität SãoPaulo Geschichte studiert. Er ist Autor des Buches “Adoniran- uma biografia” [Adoniran - eine Biographie; VerlagGlobo] über den bekannten Sambakomponisten aus SãoPaulo, und Mitautor von “Nada Mais que a Verdade: a extraordináriahistória do jornal Notícias Po-pulares” [Nichtsweiter als die Wahrheit: die erstaunliche Geschichte <strong>der</strong>Zeitung Notícias Populares], das den Werdegang des bekanntestenSensationsblattes Brasi-liens nachgezeichnet.Als Journalist schreibt er für verschiedene Medien <strong>der</strong>brasilianischen und internationalen Presse, er war mehrals zehn Jahre lang Korrespondent in Brasilien für dieenglische Fußball Zeitschrift “FourFour Two”.Sport ist überhaupt eine seiner Leidenschaften, er hat bereitszwei Bücher zum Thema Fußball geschrieben: “1942– O Palestra vai à guerra” [Palestra zieht in den Krieg],eine Reportage über das Sportpanorama in São Paulo vordem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und “São Marcosde Palestra Italia” [São Marcos vom Palestra Italia],eine Biographie des Torwarts <strong>der</strong> brasilianischen Fußballmannschaft,die 2002 die WM gewann.[ Custódio Rosa ]ist 45 alt, in São Paulo geboren und arbeitet seit 25Jahren als Drehbuchautor und Illustrator und zeichnetpolitische Cartoons. Er gründete das Projekt Caminhos doTraço [Wege des Strichs; 2011 und 2012], eine Wan<strong>der</strong>werkstatt,die bereits 12 Städte besuchte und über 5.000Kilometer durch das Landesinnere des Staates São Pauloreiste. Hier bietet er Aktivitäten an, die sich mit demProzess <strong>der</strong> Erstellung und Illustrierung von Büchern undliterarischen Texten befassen. Das Projekt besuchte Bibliothekenund öffentliche Schulen und wurde auch vomKultusministerium des Staates São Paulo ausgezeichnet[ProAC]. Er schrieb unter an<strong>der</strong>em die Bücher “Anita Garibaldi,o nascimento de uma heroína” [Anita Garibaldi, Geburteiner Heldin] einer historischen Biographie in Bil<strong>der</strong>nund “Alma, a história da arena esportiva mais antiga dopaís” [Alma, die Geschichte <strong>der</strong> ältesten Sportarena desLandes] über das älteste Fußballstadion in Brasilien, demParque Antarctiva.[ Eduardo Spohr ]wurde im Juni 1976 in Rio de Janeiro geboren. Als Sohneines Piloten und einer Flugbegleiterin bekam er Gelegenheit,die Welt zu bereisen sowie fremde Kulturen undVölker kennen zu lernen. Seine Leidenschaft für Literaturund seine Begeisterung für Geschichte brachten ihn dazu,Kommunikationswissenschaft zu studieren. Er veröffentlichtevier Bücher, darunter “A Batalha do Apocalipse”[Armageddon - Der Krieg <strong>der</strong> Engel], “Filhos do Éden:Herdeiros de Atlântida” [Kin<strong>der</strong> von Eden: die Erben Atlantis]und “Filhos do Éden: Anjos da Morte” [Kin<strong>der</strong> vonEden: Todesengel]. Neben seinen Graphikprojekten ist erBerater für Drehbücher und er leitet den Kurs “EstruturaLiterária – A Jornada do Herói no Cinema e na Literatura”[Literarische Struktur - Der Werdegang des Helden imKino und in <strong>der</strong> Literatur], an <strong>der</strong> Universität Hélio Alonso[FACHA], in Rio. “Armageddon - Der Krieg <strong>der</strong> Engel”wurde 2012 in Deutschland veröffentlicht.[ Fernando Galuppo ]wurde 1979 in São Paulo geboren, hat sich als Journalistauf die Geschichte des Fußballs spezialisiert und sichdabei vor allem <strong>der</strong> akademischen Forschung gewidmet– dabei an verschiedenen Gruppen zu diesem Thema teilgenommen– sowie <strong>der</strong> praktischen Recherche in <strong>der</strong> direktenArbeit mit den Vereinen. Er war von 2009 bis 2013Pressereferent des Vereins Sociedade Esportiva Palmeirasund schrieb unter an<strong>der</strong>em die Bücher “PalmeirasCampeão do Mundo 1951” [Palmeiras Weltmeister 1951,Maquinária], “Glórias de um Moleque Travesso” [Ruhmeines frechen Jungen] über den Verein Juventus und“Palmeiras Campeão Paulista 1993: Fim do Jejum. Inícioda Lenda!” [Palmeiras, Meister von São Paulo 1993: Ende<strong>der</strong> Durststrecke. Beginn <strong>der</strong> Legende! [BB Editora].[ Flavio Carneiro ]wurde 1962 in Goiânia geboren und lebt heute in Teresópolis,in Rio de Janeiro. Er ist Schriftsteller, Literaturkritiker,Drehbuchautor und Professor für Literatur an <strong>der</strong>Universität des Staates Rio de Janeiro [UERJ]. Er hatzwei Bücher über Fußball veröffentlicht. Das erste warein Kin<strong>der</strong>- und Jugendroman, in dem es um die Abenteuereines 12-jährigen geht, <strong>der</strong> sich nicht zwischen demTraum Schriftsteller o<strong>der</strong> Profi-Fußballer zu werden, entscheidenkann. Daher schreibt er seinem Idol RonaldoBriefe. Der Titel ist “Prezado Ronaldo” [Sehr geehrter Ronaldo].Sein neuestes Werk ist eine Sammlung von Kurzgeschichtenmit dem Titel: “Passe de Letra: literatura &futebol” [Geschriebener Pass: Literatur & Fußball]. Er warKurator <strong>der</strong> Kultur-WM, einem Projekt des Kultusministeriums,das 2006 in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong>Regierung durchgeführt wurde. Außerdem schrieb er unteran<strong>der</strong>em die Romane “A ilha” [Die Insel; Rocco] und“O leitor fingido” [Der Lese-Simulant; Rocco].[ Gustavo Krause ]wurde am 1. November 1955 in Rio de Janeiro geboren.Er hat einen Master in brasilianischer Literatur und promoviertein vergleichen<strong>der</strong> Literatur an <strong>der</strong> StaatlichenUniversität Rio de Janeiro. Er absolvierte ein Post-Doktoranden-Praktikumin Philosophie an <strong>der</strong> BundesuniversitätMinas Gerais. Er ist Privatdozent an <strong>der</strong> Universitätdes Staates Rio de Janeiro mit vollem Stundendeputatund unterrichtet dort Theorie <strong>der</strong> Literatur. Er hat einenGedichtband mit dem Titel Pálpebra [Augenlid; 1975] geschriebenund veröffentlicht. Gustavo Krause hat fernerdie Romane Pedro Pedra [1982], Menina [Mädchen; 1989],Lúcia [1999], A alma do urso [Die Seele des Bärs; 1999],Desenho mudo [Stumme Zeichnung; 2002], O mágico deverdade [Der echte Zauberer; 2006], Reviravolta [Wirren;2007], A filha do escritor [Die Tochter des Schriftstellers;2008], Monte Verità [2009] und O gosto do apfelstrudel[Der Geschmack von Apfelstrudel; 2010] geschriebenund veröffentlicht. Der Roman Monte Verità wurde insDeutsche übersetzt, aber noch nicht veröffentlicht.[ José Luiz Tahan ]arbeitet seit 20 Jahren als Unternehmer im Buchhandelund ist Eigentümer des Verlags Realejo Livros, in Santos.Er hat Literatur- und Musikveranstaltungen organisiert,überzeugt davon, dass diese die Entwicklung von Lesernför<strong>der</strong>ten. Er hat Dutzende von Autorentreffen über dieSesc-Nie<strong>der</strong>lassungen in Santos und im Landesinnerenvon Sao Paulo organisiert. 2006 gründete er den VerlagRealejo, <strong>der</strong> bereits 50 Werke veröffentlicht hat, zwei vonihnen waren Finalisten für den Literaturpreis Jabuti. ImJahr 2009 hat er das Festival Tarrafa Literária ins Lebengerufen, das mittlerweile zum fünften Mal stattfindet. ImLaufe dieses 4-jährigen internationalen Literaturfestivalswar er als Organisator, Kurator und Mediator tätig.[ Julio Ludemir ]ist Schriftsteller und Journalist aus Rio. Er ist Grün<strong>der</strong> undKurator des Flupp [Internationales Literarisches Fest <strong>der</strong>befriedeten Einheiten - UPPs] und schrieb unter an<strong>der</strong>em“Rim por rim” [Niere um Niere] und “O bandido da chacrete”[Der Räuber <strong>der</strong> Kutsche].[ Marcelo Moutinho ]wurde 1972 in Rio de Janeiro geboren. Er veröffentlichtedie Bücher “A palavra ausente” [Das abwesende Wort,Rocco; 2011], “Somos todos iguais nesta noite” [HeuteNacht sind wir alle gleich; Rocco, 2006] und “Memória dosbarcos” [Erinnerung an Boote; 7 Letras, 2001] sowie dasKin<strong>der</strong>buch “A menina que perdeu as cores” [Das Mädchen,das die Farben verlor; Pallas, 2013]. Er ist außerdemHerausgeber <strong>der</strong> Anthologien “Dicionário Amoroso daLíngua Portuguesa” [Liebevolles Wörterbuch <strong>der</strong> PortugiesischenSprache; Casa da Palavra, 2009], “Contos sobretela” [Erzählungen auf Leinwand; Pinakotheke, 2005],und Mitautor von “Prosas cariocas - Uma nova cartografiado Rio” [Plau<strong>der</strong>eien aus Rio - Eine neue Landkarte vonRio; Casa da Palavra, 2004]. Er gab das Son<strong>der</strong>heft <strong>der</strong>Zeitschrift “Bravo! - Literatura e Futebol” [Literatur undFußball; April 2011] heraus, schrieb Kritiken für die LiteraturbeilageIdeias [Jornal do Brasil] und schreibt aktuell fürdie Beilage Prosa & Verso [Prosa & Gedicht; O Globo] undfür die Zeitschrift “Bravo!”.[ Márcio Vassallo ]wurde am 18. Dezember 1967 in Rio de Janeiro geboren.Als Journalist und Schriftsteller hält er seit zehn JahrenReden und Workshops in ganz Brasilien, er wird vonUnternehmen, Universitäten, Verbänden und vom Bundesprogrammzur Leseför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Nationalbibliotheko<strong>der</strong> von den Kultusministerien <strong>der</strong> Bundesstaaten, Schulen,Erziehungsseminare und Buchmessen eingeladen. Erveröffentlichte kürzlich die Bücher A professora encantadora[Die bezaubernde Lehrerin] und Minha princesa africana[Meine afrikanische Prinzessin; Verlag Abacatte]. Erhat auch Mario Quintana, die erste Biographie des Dichtersaus Rio Grande do Sul geschrieben, die vom VerlagMo<strong>der</strong>na veröffentlicht wurde. Alle diese Bücher wurdenvon <strong>der</strong> nationalen Stiftung für Kin<strong>der</strong>- und Jugendbücher,<strong>der</strong> brasilianischen Abteilung des IBBY - InternationalBoard on Books for Young People, eine gemeinnützigeOrganisation <strong>der</strong> Unesco, für den Katalog <strong>der</strong> brasilianischenAutoren für die Buchmesse von Bologna, Italienausgewählt. Aktuell arbeitet er als Berater für Autorenund verschiedene Verlage landesweit, er bewertete Projekte,Originale und redaktionelle Inhalte.[ Marcos Alvito ]ist 52 Jahre alt und seit 29 Jahren Professor für Geschichtean <strong>der</strong> UFF. Dort betreut er seit 2005 die vonihm gegründete Arbeitsgruppe NEPESS [Núcleo de Estudossobre Esporte e Sociedade], die mittlerweile die 21.Nummer einer internationalen mehrsprachigen Zeitschriftveröffentlichte: www.esportesociedade.com.2007/08 hat er ein Post-Doktoranden-Praktikum an <strong>der</strong>Universität Leicester absolviert und sich dabei mit <strong>der</strong>polizeilichen Überwachung <strong>der</strong> Fans in England beschäftigt.Aktuell widmet er sich, neben dem Fußball, den InteressensgebietenSamba, mündliche Geschichte und dieLiteratur als Geschichtsquelle. Er ist Autor des Buches “AGuerra na Grécia Antiga” [Der Krieg im alten Griechenland;Ática] und schrieb “Futebol por todo o mundo: diálogoscom o cinema.” [Fußball um die ganze Welt: Gespräche mitdem Kino; Herausgeber] zusammen mit Victor Andrade deMelo [FGV].40 41


[FC Pindorama]dIE BRASILIANISCHE<strong>autoren</strong>nationalmannschaft[ Rodrigo Oliveira ]hat einen Studienabschluss in Kommunikationswissenschaftmit Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit und Werbungan <strong>der</strong> Escola Superior de Propaganda e Marketing[ESPM-SP]. Er ist Stipendiat <strong>der</strong> Young America’s Foundationfür Forschung in Washington D.C. Er übersetzte unteran<strong>der</strong>em die Bücher “Fidel, o Tirano Mais Amado do Mundo”[Fidel, <strong>der</strong> beliebteste Tyrann <strong>der</strong> Welt], von HumbertoFontova, für den Verlag LeYa, “Como Pensar Sobre asGrandes Ideias” [Wie man über große Ideen nachdenkt],von Mortimer J. Adler, für den Verlag É Realizações, und“Uma Nação, Duas Culturas” [Eine Nation, zwei Kulturen],von Gertrude Himmelfarb, für den Verlag É Realizações. Erist Koordinator <strong>der</strong> Sammlung “Livros de Macho” [Bücherfür den echten Kerl] für den Verlag Realejo Edições undschreibt eine Kolumne in <strong>der</strong> Zeitung “A Tribuna”.[ Rogério Pereira ]wurde 1973 in Galvão [SC] geboren. Er ist Journalist,Schriftsteller und Herausgeber. Er hat im Jahr 2000 inCuritiba die Zeitung Rascunho gegründet — eine <strong>der</strong>wichtigsten Publikationen über Literatur in Brasilien. ImApril wird die Monatszeitschrift Rascunho 14 Jahre alt.Auf seine Initiative geht auch die Veranstaltung Paiol Literáriozurück: bereits 60 große Namen <strong>der</strong> brasilianischenLiteratur sind <strong>der</strong> Einladung zu literarischen Debatten indie Hauptstadt von Paraná gefolgt. Seit Januar 2011 istPereira Leiter <strong>der</strong> Staatsbiliothek “Biblioteca Pública doParaná”, hier koordiniert er das Programm Buch, Lesenund Literatur “Plano Estadual do Livro, Leitura e Literatura”,das System <strong>der</strong> öffentlichen Stadtbüchereien vonParaná und die Arbeitsgruppe für Veröffentlichungen desKulturministeriums Núcleo de Edições da Secretaria daCultura. Im Oktober wird sein erster Roman “Na escuridão,amanhã” [Im Dunkeln, morgen; Cosac Naify] veröffentlicht.Im September wird seine Erzählung “Der schwarze SohnGottes” in einer von Luiz Ruffato herausgegebenen Anthologiein Deutschland erscheinen [Verlag AssoziationA]. Er ist Mitautor des Buches “Chico Buarque do Brasil”[Verlag Garamond].[IMPRESSUM][ Herausgeber ]DFB-Kulturstiftung Theo ZwanzigerLITCAM GmbHGoethe-Institut São Paulo[ Redaktion ]Klaus Döring und Stefanie Kastner[ Übersetzung brasilianisch-deutsch ]Thomas Hempfing | S.4 | S.7 | S.11 | S.12 | S.13 |S.19 | S.21 | S.22 |S.27 | S.28 | S.29 | S.30 | S.35Anke Schüttel | S.6 | S.12[ Gestaltung & Layout ]Nicole Herzog | www.mundografia.com[ Photonachweis ]Deutsche Mannschaft | Knut HildebrandtBrasilianische Mannschaft | Dietmar KastnerTitelbild | iStockphoto.com[ Druck ]flyeralarm.com | Würzburg[ ERSCHEINUNGSDATUM ]12. Oktober 2013[ Vladir Lemos ]wurde am 7. September 1967 geboren und begann seineKarriere 1992 als Reporter. Beim Sen<strong>der</strong> TV Cultura/SP mo<strong>der</strong>iert und leitet er das Programm Cartão Verde[Grüne Karte] und war Sportkommentator bei Guia doDia. Er ist Autor <strong>der</strong> Bücher Dois poetas frente ao espelho[Zwei Dichter vor dem Spiegel; Folha de poesia, 1988]sowie weiterer vom Fußball inspirierter Werke: A magiada camisa 10 [Der Zauber des Trikots mit <strong>der</strong> 10; Verus,2006] hat er zusammen mit André Ribeiro geschrieben,mit Geschichten <strong>der</strong> größten Fußballspieler <strong>der</strong> Welt, inspiriertam Trikot mit <strong>der</strong> Nummer 10, das Pelé bei <strong>der</strong>Fußball-WM 1958 trug. Sein Werk O dia em que me torneisantista [Der Tag an dem ich Santos-Fan wurde; PandaBooks, 2007] richtet sich an den jugendlichen Leser. Unterden Dokumentationen sind zu nennen Os caminhos doTri [Die Wege zum dreifachen Meister; TV Cultura, 2000];A jogada da renúncia [Spiel des Verzichts; TV Cultura,2001]; Diamante Negro - O homem que venceu o tempo[Schwarzer Diamant - Der Mann, <strong>der</strong> die Zeit besiegte;Bossa Nova Filmes, 2006]; und Gaudí - O Visionário [Gaudi- Der Visionär; GNT, 2002] von ihm.42 43


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