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Lesungen der deutschen + brasiLianischen autoren ...

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[Márcio Vassallo]Meine ersten Erfahrungen mit dem Ball[Marcos Alvito]Die Geschichte einerunmöglichen Liebe: Ich und <strong>der</strong> BallSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Ich wuchs mit ihm zu Füßen auf, wie so viele brasilianischeJungs, aber, auf Grund fehlen<strong>der</strong> Intimität, habe ichihm nie das Wasser reichen können.Denn, ich habe anfangs gedacht, dass <strong>der</strong> Ball ein Spielzeugwäre, das man nur treten müsste. Es hat etwas gedauert,bis ich gemerkt habe, dass er in Wahrheit dazuda ist, die Träume in uns an die Oberfläche zu bringen.Vom Traum zur Erinnerung, es gibt Menschen, die erinnernsich an das erste Mal, an dem sie das Meer gesehenhaben. Ich bin in Rio de Janeiro geboren, in Copacabana.Von klein auf ist <strong>der</strong> Strand mein Garten gewesen, in demmir meine Mutter beibrachte, Musik aus Muscheln zupicken und mein Vater, mit mir zusammen, das Universumvor den Attacken <strong>der</strong> fürchterlichsten Seemonsterverteidigte.Von all dem abgesehen, wünschte ich es mir manchmal,fern vom Strand aufgewachsen zu sein, um dann einesTages, wenn ich schon erwachsen wäre, das Meer zumersten Mal zu sehen, mit überraschtem Blick und vorErstaunen offenem Mund. Ich erinnere mich nicht mehrgenau an den Tag, an dem ich das Meer zum ersten Malsah. Auch erinnere ich mich nicht an den Tag, an demich zum ersten Mal einen Ball gesehen habe. Ich erinneremich aber an das erste Mal, an dem ich tatsächlichFußball gespielt habe, in einer Einbahnstraße, mitTorpfosten aus aufeinan<strong>der</strong> gelegten Steinen, Latscheno<strong>der</strong> Ziegelsteinen. Der Star dieses Spiels, und das vieleran<strong>der</strong>er, die ich an diesem Ort spielte, war ein Mädchennamens Vica. Ich war acht Jahre alt. Damals dachte alleWelt, dass Mädchen keinen Fußball spielen könnten. Aberalles was ich im Leben wollte, war wie Vica dribbeln zukönnen, die alles, was an Jungen da war, umspielte, in<strong>der</strong> Straße, auf dem Rasen, dem Spielplatz und im Dreck,wo immer man ihr auch einen Ball zuspielte.Später dann, mit elf, weit weg von Vica und woan<strong>der</strong>swohnend, hatte ich meine Torwartphase. Das Gymnasium,das ich besuchte, veranstaltete eine Weltmeisterschaftfür Jungen, die das ganze Jahr über andauerte.Jede Klasse hatte vier Nationalmannschaften. Ich war<strong>der</strong> Torhüter von Deutschland. Ich hatte eine Kappe wieSchumacher, damals <strong>der</strong> deutsche Torwart. Bis heutekann ich deswegen die deutsche Nationalhymne pfeifen.Eines Tages, im Endspiel gegen Italien, kurz vor Ende desSpiels, hielt ich den Elfmeter des Torschützenkönigs <strong>der</strong>Meisterschaft und wir hatten gewonnen. Er schoss aufdie eine Seite des Tors und ich warf mich in die an<strong>der</strong>e,habe aber den Ball mit dem Fuß noch herausgeholt. Dasganze Gymnasium fiel im Jubel über mich her.In allen Momenten meines Lebens versuche ich, auf irgendeineWeise, das Glücksgefühl dieses magischen Augenblickseinzufangen. Mit zwölf Jahren aber, da habeich mich endgültig in den Ball verliebt, auf einem kleinenFußballplatz, ohne Rasen, in Belém do Pará am Amazonas,wo ich fünf Jahre lang gewohnt habe. An dem Tag, an demich diesen kleinen Platz entdeckte, wollte ich auch schongleich spielen, mit Sportschuhen und Stutzen, ganz adrett,so wie ich immer gespielt habe, als Vadinho, ein Jungemit langen roten Haaren, den Satz sagte, <strong>der</strong> mein Lebenverän<strong>der</strong>n sollte: „Mann, hier spielen wir nur barfuß“.Bis zu jenem Tage hatte ich noch nie barfuß Fußballgespielt. Den Ball an meinem Fuß zu fühlen, das erste Malseine Le<strong>der</strong>haut spüren, endlich so intim mit mir, letztendlichdas wahrhaft erste Mal mit einem Ball zu haben,all dies war eine so starke Erfahrung, dass mein Herzauch heute noch zu rasen beginnt, wenn ich mich auchnur daran erinnere… Bis heute, mit o<strong>der</strong> ohne Ball an denFüßen, ziehe ich es immer vor, barfuß zu sein.Übrigens, habe ich das Buch „Der Junge mit Regen imHaar“ barfuß geschrieben. Es ist die Geschichte eines Jungen,<strong>der</strong> Fußballspieler werden wollte, dann aber Schriftstellerwurde, als er entdeckte, dass er die Ergriffenheitvor einer Landschaft dem Torjubel vorzieht.Aber heute, hier in Frankfurt, jubelt <strong>der</strong> Junge mit Regenim Haar - jetzt allerdings ohne Haare - mehr als dieschönsten Landschaften Deutschlands. Letztendlich wares auf Grund dieses Buches und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, die ichgeschrieben habe, dass ich hierhergekommen bin, umFußball zu spielen und euch kennenzulernen. Ich widmediesen Text meinen Großmüttern, Fófa und Benita, diemich an die Literatur herangeführt haben, die Literatur,die mich so vielen geschätzten Menschen nahe brachte.In meinem Alltag als Schriftsteller beeinflusst all das, wasmein Leben inspiriert, auch meine Arbeit. Und alles, wasmeine Arbeit inspiriert, beeinflusst mein Leben. MeinenDank an alle hier Anwesenden für diesen bezaubern<strong>der</strong>enAugenblick, als es ein gehaltener Elfmeter in einem Endspielsein kann… Ich wünsche euch ein Leben voller wun<strong>der</strong>schönerÜberraschungen.Immer dann, wenn wir gerade anfingen, mit unseremBall zu spielen, mit einem dieser Gummibälle für Kin<strong>der</strong>,tauchte wie durch Zauberei unser Henker auf und hatihn uns einige Minuten später weggenommen. Wie hater es nur so schnell herausgekriegt, dass wir gespielthaben, unsere Garage wäre das Maracanã-Stadion undjener Schuss wäre ein Pass von Gérson o<strong>der</strong> ein raffinierterSpielzug von Tostão gewesen. Das schlimmsteaber war, dass dieser verdammte Portier, <strong>der</strong> so einschmales Gangsterbärtchen trug, sich immer mit einemhöhnischen Grinsen im Gesicht an uns heranschlich. Unddann ging er triumphierend mit dem Ball unterm Armweg. Erst später haben wir das Geheimnis dieser Kanaillegelüftet. Er hatte durch das Schlüsselloch <strong>der</strong> Tür gelinst,die die Garage von <strong>der</strong> Portiersloge abtrennte und hatuns dort spielen sehen. So einfach war das. Er war wieein Schiedsrichter <strong>der</strong> ewig Abseits pfiff.Zusammen mit zwei Freunden haben wir uns dann entschlossendagegen zu protestieren. Vielleicht waren wirdurch die Nachrichten beeinflusst, die über die Studentenprotestewährend <strong>der</strong> Diktatur berichteten. Mitten in<strong>der</strong> Nacht schrieben wir Parolen gegen unsern Henker analle Wände. Da wir nicht einmal wussten, was ein Sprayist, haben wir einen blauen Wachsmalstift benutzt. Esmuss aber wohl einen Verräter unter uns gegeben haben.Am Nachmittag des nächsten Tages standen wir dannalle da, mit Eimer und Bürste bewaffnet und beseitigtendie Zeichen dieser mehr als gerechten Manifestation vonden Wänden.In Wahrheit hatte er nur seine Pflicht getan, wenn auchmit unverkennbarem Sadismus. Ich wette, dass seinVater ihm das Fußballspielen verboten hatte, als er nochklein war. Wir aber haben nicht aufgegeben. Wir machteneinige Plakate und zogen in einem Protestmarsch in dieEigentümerversammlung ein, die unheimlich langweiligwar, bei <strong>der</strong> es aber immer umsonst Limonade gab. Undwie die Vietcong starteten wir unsere Endoffensive:Wir gingen von Tür zu Tür, um Unterschriften zu sammeln.Wir baten um Erlaubnis, damit eine Bande vonKin<strong>der</strong>n Fußball spielen könnte. Wer ein Auto besaß, <strong>der</strong>fürchtete, dass einer dieser machtvollen Schüsse die Karosserieseines kostbaren Vehikels beschädigen würde.Als sie aber in unsere fußballlosen Augen sahen, da habensie dann doch unterschrieben.Eine Überraschung: <strong>der</strong> so allmächtige Syndikus, vielleichtweil er mein Vater war, hat auch unseren Apellennachgegeben. Zwei o<strong>der</strong> drei Monate lang waren wir dieglücklichsten Kin<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Welt.Der neue Syndikus aber, und sein Beruf als Zahnarztlässt es schon erahnen, erließ ein neues Dekret und verbanntesomit für immer den Fußball und gleichzeitig unsereFreude.Unsere allerhöchsten Appellationen wurden allesamt zurückgewiesen:zuerst mit aus alten Socken gemachtenBällen spielen zu dürfen, dann mit Tennisbällen, und,man glaubt es kaum, mit Murmeln, die man mit dem Fußspielt. Wir mussten in einer Traumwelt leben, die sichKnopffußball nannte. In ihr wurde je<strong>der</strong> zum Funktionär,Trainer, Spieler und gleichzeitig zur Fangemeinde. Ganzzu schweigen von jenen Schwärmern, die zu Reporternwurden, um ihre eigenen Spielzüge zu kommentieren.Wir machten Tabellen und stellten Regeln auf, ja wirentwarfen sogar Sportzeitschriften, die dann auf <strong>der</strong>Schreibmaschine ins Reine geschrieben wurden. Es wareinfach zu schön. Aber wir vermissten ihn, den Ball.Schließlich hatte <strong>der</strong> Ball des Knopffußballs Ecken. MitSicherheit, um uns daran zu erinnern, dass einfach etwasfehlte: unsere unerreichbare Liebe, <strong>der</strong> Ball.Der Fußball, den ich heutzutage spiele, auch <strong>der</strong> ist eckig,ohne Dribblings, Schüssen mit Effet, genau geschlagenenFlanken o<strong>der</strong> zielgenauen Pässen. Je mehr ich den Ballbegehre, desto mehr scheint er vor mir zu fliehen. DerBall aber ist immer unvorhersehbar. Und lädt er michjetzt nicht sogar, im vollen Gange <strong>der</strong> zweiten Spielhälfte,dazu ein, einer <strong>der</strong> glücklichsten Spieler des FCPindorama zu sein?Komm nur mein Bällchen, komm…SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]12 13

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