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Lesungen der deutschen + brasiLianischen autoren ...

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[Florian Werner]Mein erster Ball[Jochen Schmidt]Mein erster BallSA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]Wir trafen uns auf einem Maskenball.Der Saal sah aus, als wär’s in Tadsch Mahal,Der Schampus floss in stetem SchwallAus einem ChampampagnerwasserfallIn einen Brunnen aus Kristall.Zu Essen gab’s Lamm provençale,Giraffe [lei<strong>der</strong> nicht halal],Kandierte Amsel, Drossel, NachtigallLachs, Kaviar und Krill und Quall−ensushi sowie frischen Sal−aman<strong>der</strong> in Aspik, ich war schon lull und lall:Da traf ich diese Femme fatale.Ich selber trug nichts als Sandalen, ging als Hannibal,Sie sagte, sie sei Madame Blaise Pascal,Trug einen purpurfarbnen Seiden-OverallUnd eine Kette aus Korall.Wir tanzten Samba, Swing und Wal−zer, und hin und wie<strong>der</strong> auch mal Sal−sagt sie: „Das ist ein Überfall!Hör zu, ich komm aus gutem Stall,Ich habe reichlich KapitalIch reis interkontinentalDie kreuz, die quer, diagonal,Okzident- und oriental,Ob Sturm, Taifun o<strong>der</strong> Mistral,Vom Saalestrand bis nach Ital−“Ich unterbrach: „Das ist ja tall,äh, toll, und ich mag Dich total.Aber …“ Sie sagte: „Schätzchen, schwallmich nicht so voll. Wenn ich gefall,Dann komm mit mir nach Schwäbisch Hall,Da gibt’s ein großes FestivalZum frühen Werk von Louis Malle.Zufällig ist auch Karneval!Verkleide dich als FeldmarschallIch komme mit als dein Vasall,Tätä tätä tätä! Narrhall−amarsch. Was zögerst Du? Komm! Und zwar dall−“Ich sagte: „Hör mal, hallo, hal−t−das geht mir zu sehr Knall auf Fall.Wir beide: Das hat Potenzial!Doch gib mir kurz ein IntervallZum Nachdenken …“Uh-oh, là làll:Die Antwort, die war offensichtlich fal−schnell wurde Pascal aschefahlVor Wut und schrie: „Mir platzt die Gallenblase.Na warte, Hannibal. Ich knallDir eine, und mit ÜberschallFliegst du im hohen Bogen nach Walhall.“Gesagt, getan: Madame PascalNahm einen Schlagring aus MetallUnd hieb ihn mir ins Genital,Dann ballerte sie ihn mir brutalAuf meinen Schädel, überallHin, Hilfe! schrie ich — und ich fallIn Saltos, Schrauben und Spiral−en kopfüber in das dunkle All.Elf Engel singen im Choral:Krawehl, krawehl? Krawall, Krawall?Ich weiß nicht mehr. Ist auch egal:Das war mein erster [und mein letzter] Ball.Ich hatte als Kind zwei Leidenschaften, die schwer miteinan<strong>der</strong>zu vereinbaren waren: zuhause bleiben undFußball spielen. Zuhause war es schön trocken, manwurde nicht von Straßenkin<strong>der</strong>n mit Katapulten beschossen,und man konnte seinen Schlüssel nicht verlieren.Fußball spielen ging aber nur draußen, weil meine Elternschon lange vor meiner Geburt damit begonnen hatten,in unserer Wohnung wacklige Bücherstapel zu errichtenund überall Meißner Porzellan hinzustellen, und dieBücher, die in den Regalen stehen durften, wurden sogarvon Glasscheiben geschützt. Außerdem gab es da ja nochdie Fenster, die ebenfalls aus Glas waren, und wertvolletechnische Geräte, wie den Schwarz-Weiß-Fernseher,den Grundig-Kassettenrekor<strong>der</strong> und die elektrische Kaffeemühle,Investitionen fürs Leben, die auf keinen Fallbeschädigt werden durften. Man konnte also zuhause nurdas Spiel bei ruhenden Bällen üben, wie man z.B. eineMauer stellt, aber das war alleine nicht sehr unterhaltsam.Meine Tante aus Hamburg hatte vermutlich gar nichtgeahnt, was sie mir mit dem Handy-Ball für ein gelungenesGeschenk machte. Eine orange Schaumgummikugel mitroten Schlieren, mit <strong>der</strong> man gefahrlos gegen Glasscheibenschießen konnte. Eigentlich war ich gegen Schaumgummiallergisch, schon <strong>der</strong> Gedanke, diesen Stoff zu berühren,war mir so unangenehm, daß ich zusammenzuckte, aberbeim Handy-Ball überwand ich meinen Ekel. Ich konntejetzt jonglieren üben, mit Kopf, Füßen und Knien, gegeneine Wand, so würde ich, ohne je mit an<strong>der</strong>en gespieltzu haben, eines Tages als fertig ausgebildeter Spieler dieBildfläche betreten.Wenn im Fernsehen Argentinien gegen Brasilien spielte,berührte <strong>der</strong> Ball ja über lange Strecken gar nicht mehrden Boden. Es ist immer noch eine meiner Hauptbeschäftigungenbeim Fußballgucken, mitzuzählen, wie oft einBall hintereinan<strong>der</strong> geköpft o<strong>der</strong> volley gespielt wird, bisein Spielver<strong>der</strong>ber ihn auf den Boden aufspringen läßt.Das ist wie am Meer flache Steine ditschen zu lassen, mankann auf diese Weise die Langeweile überbrücken, von<strong>der</strong> die meisten Fußballübertragungen nicht frei sind. Mirwar auch nie klar, warum man den Ball nicht einfach aufdem Kopf ins gegnerische Tor balanciert. Eine noch einfachereMethode, mit <strong>der</strong> je<strong>der</strong> ein Tor selbst gegen denFC Bayern München erzielen könnte, wäre es natürlich,nachts ins Stadion einzubrechen und den Ball ins Tor zutragen. Ich möchte den Profi-Fußballern nicht unterstellen,daß sie zu dumm sind, auf diese Idee zu kommen,aber es fällt schon auf, daß sie sich immer genau danndarum bemühen, wenn sich an<strong>der</strong>e Spieler auf dem Feldbefinden, die sie dabei behin<strong>der</strong>n und teilweise sogar dieHände benutzen.Mein Vater stellt mir auch heute noch bei jedem Spiel,das wir zusammen gucken, die Frage, ob die Spieler nichtbeim Köpfen ihr Gehirn schädigen. Er fragt mich auchimmer, welcher <strong>der</strong> beiden Spieler noch einmal “Thon”und welcher “Thom” hieß, das sind so unsere Gespräche.Früher hat er mir beim Fußballgucken die Fußnägel geschnitten,so konnte ich mir manchmal eine Halbzeiterschleichen, wenn ich eigentlich ins Bett mußte, heutehabe ich längst herausgefunden, daß man Fußnägel garnicht schneiden muß, sie nutzen sich irgendwie von selbstab.Mit dem Handy-Ball habe ich jedenfalls beim Köpfenmein Gehirn nicht geschädigt, daran waren bestimmteGetränke schuld. Damals hätte ich mich wahrscheinlichnoch Cacau nennen können, heute eher Lahm o<strong>der</strong> Messi.In meiner Kakao-Zeit habe ich dann die Wohnung docheinmal verlassen und auf einem Spielplatz im Viertelmitspielen dürfen, obwohl ich eine Brille hatte. Das Torwar ein halbbogenförmiges Klettergerüst, das an<strong>der</strong>e Torstand im Winkel von 90° dazu. Der Ball fiel mir vor dieFüße, ich schoß aufs Tor, und <strong>der</strong> Ball wäre reingegangen,aber ein Junge, <strong>der</strong> auf dem Gerüst saß und eigentlichgar nicht mitspielte, rutschte schnell runter und fing ihnauf. Daran schloß sich eine dieser endlosen Diskussionenüber die Regelauslegung an, mit denen wir damals vielmehr Zeit als mit dem eigentlichen Spiel verbrachten.Anschließend mußte ja auch noch gewählt werden, undbevor es endlich losgehen konnte, mußten die erstenschon wie<strong>der</strong> nachhause zum Abendbrot.Mein erstes Tor, das gar keines war, habe ich jedenfallsnie vergessen, ein Vorgeschmack auf die Ungerechtigkeitendes Lebens. Etwas an<strong>der</strong>es ist mir aber auchnoch in Erinnerung von diesem ersten Spiel mit Straßenkin<strong>der</strong>n,die ihre Katapulte dafür ausnahmsweise einmalzur Seite gelegt hatten. Es wurde nämlich verfügt, daßwir uns vor dem Anstoß die Beine ausschütteln sollten.Das war eine interessante Bewegung, als würde man miteinem Seil eine Welle machen. Das Ziel war es, vergessenzu lassen, daß man Knochen in den Beinen hatte, siemußten wie Gummischläuche wirken. Einer <strong>der</strong> Großenlobte mich dafür, wie gut ich Beine ausschütteln konnte.Ich war richtig stolz darauf, denn bis dahin hatte ich nichtgewußt, daß ich ein Talent zum Beine ausschütteln hatte.Ich habe das dann lei<strong>der</strong> nicht weiter verfolgt, und es hatnie jemand mein Talent entdeckt, so daß es verkümmernmußte.SA | 12.10.2013 | 14H [ Ist <strong>der</strong> Ball noch rund? – Zeit, dass sich was dreht! ]8 9

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