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0KLAUS - R. WAGNERDIE PRAXIS DES STEUERPROZESSES3. Auflage


1DIE PRAXIS DES STEUERPROZESSESvon<strong>Dr</strong>. <strong>iur</strong>. <strong>Klaus</strong> - R. <strong>Wagner</strong>Rechtsanwalt und Notar • Fachanwalt für Steuerrechtin Wiesbaden3. Auflage2013


- 1 - 1VorwortVorhandene Literatur zum Steuerprozess stellt eine übersichtliche Kommentierungvon Vorschriften der FGO und AO dar. Dies mit dem Anspruch, Anwälten das Verfahrens-und Prozessrecht näher zu bringen und Steuerberatern, denen der Steuerprozessoft nur ein lästiger Anhang ist, damit vertrauter zu machen. Diese Zielrichtungwird hier nicht verfolgt. Vielmehr soll hier aus Sicht eines Finanzgerichtsprozesseführenden Anwaltes oder Steuerberaters nicht in erster Linie eine Kommentierung dereinschlägigen Vorschriften zum Finanzgerichtsprozess vorgenommen werden, sondernauch Fragen der Strategie und Taktik sowie <strong>des</strong> praktischen Vorgehens angesprochenwerden.Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch dem steigenden Stellenwert von Verfassungsrechtund Europarecht gewidmet, Rechtsgebiete, die immer mehr frühzeitig inden Finanzgerichtsprozess, das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und das Revisionsverfahrenintegriert werden müssen. Dazu ist es aber erforderlich, sich die prozessualenSeiten dieser Rechtsgebiete zu vergegenwärtigen.Und gerade weil Strategie, Taktik, Verfassungs- und Europarecht ein sehr individuellesVorgehen erfordern, wurde ganz bewußt vermieden, durch Beifügung von Musternden falschen Eindruck zu erwecken, es ließen sich damit verbundene Fragen anschaulichauf einer Seite mustermäßig typisieren. Vielmehr soll der Leser – ob Steuerberateroder Rechtsanwalt – selbst abschätzen können, ob er den Steuerprozess <strong>des</strong> Mandantenselbst betreut, sich der Mithilfe eines Spezialisten versichert oder gar von vornhereineinen Spezialisten den Finanzgerichtsprozess führen lässt.Dieses Buch wendet sich folglich nicht in erster Linie an Personen, die sich erstmalsfür den Steuerprozess interessieren und sich einen Überblick verschaffen wollen, sonderneher an solche Personen, die bisher schon Finanzgerichtsprozesse geführt habenund die daran interessiert sind, über weitere Facetten <strong>des</strong> Steuerprozesses informiertzu werden.In der 3. Auflage wurde neuere Rechtsprechung der Finanzgerichte und <strong>des</strong> BFH eingearbeitet,soweit sie entsprechend der zuvor genannten Zielrichtung dieses Buchesvon Interesse ist. Insbesondere wurden die Auswirkungen <strong>des</strong> Europarechts für denSteuerprozess unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH weiter vertieft.Und es wurden gesondert Kapitel angeschlossen, die aufgrund oder im Zusammenhangmit dem Steuerprozess bedeutsam sind wie etwa die überlange Verfahrensdauerund die staatshaftungsrechtlichen Folgen, wenn sich ein FG bzw. der BFH geweigerthaben, europäisches Gemeinschaftsrecht anzuwenden, obwohl geboten.Wiesbaden, Stand: 07.10.2013RAuN FAfSt <strong>Dr</strong>. <strong>Klaus</strong>-R. <strong>Wagner</strong>


- 2 - 2InhaltAbkürzungsverzeichnis 8I. Einleitung 13II. Planung eines Steuerprozesses 181. Allgemeines 182. Anlässe für einen Steuerprozess 22a) Schlussbesprechung anläßlich einer Außenprüfung 22b) Vorfrage(n) eines Zivilprozesses 23c) Anlässlich eines (drohenden) Steuerstrafverfahrens 27d) Grundsatzfragen 29aa) Allgemeine Erwägungen 29bb) Verfassungs- und europarechtliche Fragen 31(1.) Verfassungs- oder europarechstwidrige FG- oder BFH-Rechtsprechung 32(2.) Verfassungs- oder europarechtswidriges Steuergesetz 34(3.) Europarechtswidrige Verwaltungsakte 35cc) Nichtanwendungserlasse 36dd) Nichtanwendung von im BStBl. nicht veröffentlichter BFH-Rechtsprechung 38ee) Nichtanwendungsgesetze 39ff) Öffentlichrechtliche Folgenbeseitigungsansprüche 41e) Vertrauensschutz 43f) Neue Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH zur Korrektur bestandskräftiger Bescheidedurch das Finanzamt 443. Sinnvolle personelle Trennung von Steuerberatung und Steuerprozess 494. Mandatsbeziehung und Teamwork (Mandant, Steuerberater, Steueranwalt) 515. Honorarvereinbarung oder RVG ? 52III. Ziel <strong>des</strong> Steuerprozesses 52IV. Prozessstrategie 531. Festlegung der Prozessstrategie 542. Klagearten 56a) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 40 FGO) 57b) Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) 61c) Feststellungsklage (§ 41 FGO) 61aa) Feststellungsklage oder Einspruch 61bb) Antragstellung 63cc) Negative Feststellungsklage 64dd) Fortsetzungsfeststellungsklage 65ee) Vorbeugende Feststellungsklage 68ff) Feststellung EU-gemeinschaftsrechtlicher Vorfragen 68d) Klageverbindung (§§ 43, 73 Abs. 1 FGO) 72e) Sprungklage (§ 45 FGO) 73f) Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) 74g) Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung (§ 69 FGO) 77


- 3 - 3V. Aufbau einer Klageschrift 831. Allgemeines 832. Anträge 85a) Klagearten 86b) Senat oder Einzelrichter 88c) Beiladungsantrag 90d) Aussetzungsantrag 91e) Revisionszulassungsantrag 91f) Kostenantrag 93g) Befangenheitsantrag 93aa) BFH 94bb) BVerfG 95h) Vorlageantrag zum EuGH 97aa) Allgemeines 97bb) Gemeinschaftsrechtliche Begründung 98(1.) Anwendungsbereich <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts 100(1.1) Primärrecht 100(1.2) Sekundärrecht 101(1.2.1) Transformationsmängel 105(1.2.2) Anwendungsdefizite 106(1.2.3) Wirkungen einer Richtlinie 107(2) Zum Vorrang <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht 107(2.1) Zur Amtspflicht von Behörden und Gerichten zur Nichtanwendung<strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts entgegenstehendem nationalen Recht 109(2.2) Zur Amtspflicht von Behörden und Gerichten zur Durchsetzungvon EU-Gemeinschaftsrecht gegen nationales Recht 110(2.3) Missbrauch <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts 113(3) Aufbau einer schriftsätzlichen Begründung bei Verstößen gegen EU-Gemeinschaftsrecht ohne Vorlageantrag zum EuGH 114(4) Vorlageantrag zum EuGH 117(4.1) Allgemeines 117(4.1.1) Vorlagepflicht <strong>des</strong> FG 124(4.1.2) Vorlagepflicht <strong>des</strong> BFH 124(4.2) Voraussetzungen <strong>des</strong> Art. 267 AEUV (= Art. 234 EG a.F.) 125(4.2.1) Begründung eines Vorlageantrages im finanzgerichtlichenVerfahren 125(4.2.2) Begründung eines Vorlageantrages imNichtzulassungsbeschwerdeverfahren 129(4.3) AdV für den Fall einer Vorlage zum EuGH 130(4.4) Hinweise 133i) Vorlageantrag zum BVerfG 135aa) Allgemeines 135bb) Kriterien für einen Vorlageantrag 136cc) Aussetzung <strong>des</strong> Rechtstreites 139dd) Hinweise 1403. Vorbemerkung zur Klagebegründung 1414. Sachverhalt 1425. Verfahrensrechtliche Begründung 146


- 4 - 46. Materiellrechtliche Begründung 150a) Einfachrechtliche Begründung 150aa) Zivilrechtliche / strafrechtliche Rechtslage 150bb) Steuerliche Würdigung 151b) Europarechtliche Begründung 152aa) Mit Vorlageantrag 154bb) Ohne Vorlageantrag 159cc) Gemeinschaftsrechtlich zu prüfende Fragen 160(1.) Diskriminierung 161(2.) Effektivität 164(3.) Gleichwertigkeit <strong>des</strong> Verfahrens 165(4.) Rückwirkungsverbot 165(5.) Vertrauensschutz 166(6.) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 EUV) 167(7.) Rechtssicherheit 168c) Verfassungsrechtliche Begründung am Maßstab von GG und BVerfG ) 168aa) Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG – Informationelle Selbstbestimmung 170bb) Art. 3 Abs. 1 GG – Allgemeines 170cc) Art. 3 Abs. 1 GG - Belastungsgleichheit 170dd) Art. 3 Abs. 1 GG - Chancengleichheit 175ee) Art. 3 Abs. 1 GG – Steuergerechtigkeit 175ff) Art. 6 GG - Familie 175gg) Art. 12 Abs. 1 GG - Beruf 176hh) Art. 14 Abs. 1 GG – Eigentum /Vermögen 176ii) Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – Gewaltenteilungsprinzip 178jj) Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – Rückwirkung 178kk) Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – Normenwahrheit undNormenklarheit 182ll) Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – Vertrauensschutz 182mm) Art. 100 Abs. 1 GG ) - Vorlageantrag 182nn) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – Gesetzlicher Richter 185d) Lan<strong>des</strong>verfassungsrechtliche Begründung am Maßstab vonLan<strong>des</strong>verfassungsrecht 189e) Verfassungsrechtliche Begründung am Maßstab europäischenVerfassungsrechts 1917. Begründung von Anträgen auf Revisionszulassung 1998. Ergebnis 199VI. Änderungsbescheide während <strong>des</strong> Steuerprozesses 1991. Grundlagen-/Feststellungsbescheide 1992. Prüfung von Änderungsbescheiden 2003. Einspruchsentscheidung 204VII. Die mündliche Verhandlung 2051. Verzicht 2052. Vorbereitung 2053. Durchführung 207VIII. Die Beweisaufnahme 2101. Sachverhaltsermittlung 2102. Übergangene Beweisanträge 212


- 5 - 5IX. Urteil/Der Gerichtsbescheid 2151. Urteil 2152. Gerichtsbescheid 216a) § 79a Abs. 2, 4 FGO 217b) § 90a FGO 217c) Missbrauch durch Finanzverwaltung ? 219X. Analyse <strong>des</strong> Urteils 2191. Allgemeines 2192. Tatbestandsberichtigung/Urteilsergänzung 221a) Tatbestandsberichtigung 221b) Urteilsergänzung 2253. Erfolgsaussichten für Nichtzulassungsbeschwerde/Revision 226a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) 233b) Fortbildung <strong>des</strong> Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO) 240c) Vereinheitlichung der Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) 242d) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) 248e) Fazit 260f) Grundsätzliche Überlegungen 261XI. Nichtzulassungsbeschwerde 2631. Allgemeines 2632. Rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) 268a) Zulassungsgrund 268b) Klärungsbedürftigkeit 269c) Klärungsfähigkeit 272d) Entscheidungserheblichkeit 273e) Weitergehende Bedeutung 273f) Zur Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV 2743. Rechtsfortbildung (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO) 2754. Vereinheitlichung der Rechtsprechung (§§ 116 Abs. 3 Satz 3,115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) 2765. Verfahrensmangel (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) 2796. Fazit 286XII. Revision 2871. Revisionsanträge (§ 120 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FGO) 2882. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO 2903. Revisionsbegründung 2914. Revisionsentscheidung 293XIII. Anhörungsrüge 2941. Gesetzeslage 2942. Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 2963. Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 298XIV. Gegenvorstellung 301XV. Verfassungsbeschwerde 3061. Allgemeines 3062. Europäische Rechtsentwicklung 3083. Das Verhältnis von europäischem zu nationalem Grundrechtsschutz 310


- 6 - 64. EMRK 311a) EMRK und Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR: Art. 25 Satz 1 GG 311b) EMRK in Deutschland im Rang eines einfachen Gesetzes 3125. Aus der Sicht <strong>des</strong> BVerfG 313a) BVerfG und Grundsätze <strong>des</strong> EMRK und EGMR 313b) BVerfG und europäischer Grundrechtsschutz <strong>des</strong> EuGH 3166. Aus der Sicht <strong>des</strong> EGMR 3187. Aus der Sicht <strong>des</strong> EuGH 3198. Aus der Sicht von Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichten 3289. Zwischenergebnis 32810. Verfassungsbeschwerde zum BVerfG 329a) Allgemeine Voraussetzungen 329b) Verfassungsbeschwerde gegen ein Steuergesetz 334aa) Unmittelbare Verfassungsbeschwerde 336bb) Verfassungsgerichtliche Inzidentprüfung 337c) Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil <strong>des</strong> FG 338d) Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss <strong>des</strong> FG oder BFH aufVersagung der Aussetzung der Vollziehung 338e) Verfassungsbeschwerde gegen einen Nichtannahmebeschluss <strong>des</strong> BFH 343f) Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil <strong>des</strong> BFH 344aa) Fristenkontrolle (§ 93 BVerfGG) 344bb) Erfolgsaussicht 345cc) Annahmefähigkeit (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) 345dd) Zulässigkeit (§ 90 BVerfGG) 346ee) Begründetheit 346ff) Verletzung der Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV) 34711. Grundrechtsklage zu Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichten 349a) Verhältnis zur Verfassungsbeschwerde zum BVerfG 349b) Besonderheiten in einzelnen Bun<strong>des</strong>ländern 351c) Voraussetzungen 352aa) Antragsberechtigung 352bb) Rechtswegerschöpfung 352d) Beschwerdegegenstand 354e) Ergebnis 356XVI. Eilverfahren 3571. Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung 357a) Aussetzung der Vollziehung 357b) Aufhebung der Vollziehung 363c) Grundlagenbescheid 364d) Im Falle einer Verfassungsbeschwerde 365e) Rechtsbehelf 366f) Rechtsschutzinteresse 366g) § 69 Abs. 4 FGO 367h) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong> 367i) Unbillige Härte 368j) § 69 Abs. 6 FGO 368


- 7 - 72. Einstweilige Anordnung 368a) Antragstellung 369b) Art der einstweiligen Anordnung 369c) Anordnungsanspruch 369d) Anordnungsgrund 371XVII. Überlange Verfahrensdauer 371XVIII. Ausländische Gesellschaften 381XIX. Staatshaftung im Falle verweigerter Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechtsdurch Finanzämter 382XX.Staatshaftung im Falle verweigerter Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechtsdurch Gerichte 3831. Allgemeines 3832. Eigenständiges Institut? 3903. Zuständiges Gericht 3914. Subsidiarität 3915. Rechtsverletzung 3936. Kausalität 3967. Beklagte(r) 3968. Verjährung 397XXI. Elektronische Verfahren 3981. Elektronisches Einspruchsverfahren 3982. Elektronisches Gerichtsverfahren 398Literaturverzeichnis 400


- 8 - 8Abkürzungsverzeichnisa.A.aaOa.a.O.Abs.AdVAEUVa.F.AfAAlt.Anm.AnwBlAnwGAOArt.ArztRAufl.BayVBBBd.BbgVerfBbgVerfGBerlVerfBerlVerfGHGBerlVerfGHbezgl.BFHBFHEBFH/NVBGBBGHBGHStBGHZBMFBRAGOBRAK-Mitt.BOStBBRAOBStBlBT-<strong>Dr</strong>ucks.BVerfGanderer Ansichtam angegebenen Ortam angegebenen OrtAbsatzAussetzung der VollziehungVertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Vertragvon Lissabon)alte FassungAbsetzung für AbnutzungAlternativeAnmerkungAnwaltsblatt (Zeitschrift)AnwaltsgerichtAbgabenordnungArtikelArztRecht (Zeitschrift)AuflageBayerische VerfassungBetriebs-Berater (Zeitschrift)BandBrandenburgische VerfassungBrandenburgisches VerfassungsgerichtBerliner VerfassungBerliner VerfassungsgerichtshofgesetzBerliner VerfassungsgerichtshofbezüglichBun<strong>des</strong>finanzhofSammlungen der Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>finanzhofesSammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen <strong>des</strong>Bun<strong>des</strong>finanzhofes (Zeitschrift)Bürgerliches GesetzbuchBun<strong>des</strong>gerichtshofSammlung der Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gerichtshofes inStrafsachenSammlung der Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gerichtshofs in ZivilsachenBun<strong>des</strong>minister der FinanzenBun<strong>des</strong>gebührenordnung für RechtsanwälteBun<strong>des</strong>rechtsanwaltskammer-MitteilungBerufsordnung SteuerberaterBun<strong>des</strong>rechtsanwaltsordnungBun<strong>des</strong>steuerblattBun<strong>des</strong>tags-<strong>Dr</strong>ucksacheBun<strong>des</strong>verfassungsgericht


- 9 - 9BVerfGEBVerfGGBVerwGbzw.DAVDBders.DRiZDStRDStREDStZ/EDStZDVBlSammlung der Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts,herausgegeben von den Mitgliedern <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtsBun<strong>des</strong>verfassungsgerichtsgesetzBun<strong>des</strong>verwaltungsgerichtbeziehungsweiseDeutscher AnwaltsvereinDer Betrieb (Zeitschrift)derselbeDeutsche Richterzeitung (Zeitschrift)Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst (Zeitschrift)Entscheidungen der Deutschen Steuerzeitung (Zeitschrift)Deutsche Steuerzeitung (Zeitschrift)Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)EFGEGEntscheidungen der FinanzgerichteEuropäische Gemeinschaft; Vertrag zur Gründung <strong>des</strong> EuropäischenGemeinschaft i.d.F. nach dem 01.05.1999EGMREuropäischer Gerichtshof für MenschenrechteEGVEuropäische Gemeinschaft; Vertrag zur Gründung <strong>des</strong> EuropäischenGemeinschaft i.d.F. bis zum 01.05.1999EMRKEuropäische Konvention zum Schutz der Menschenrechteetc.et ceteraEU Vertrag über die Europäische Union i.d.F. nach dem 01.05.1999(= EUV i.d.F. vor dem 01.05.1999)EuGHEuropäischer GerichtshofEuGHESammlung der Entscheidungen <strong>des</strong> Europäischen GerichtshofsEuGRZEuropäische Grundrechts-ZeitschriftEuREuroparecht (Zeitschrift)EUVVertrag über die Europäische UnionEuZWEuropäische Zeitschrift für Wirtschaftsrechte.V.eingetragener VereinEWGEuropäische WirtschaftsgemeinschaftEWGRL Europäische Wirtschaftsgemeinschafts-Richtlinief./ff.FAFAZFG/FG´sFGOFGOÄndGFNFSGbRgem.GGggf.GmbHfolgende Seite / folgende SeitenFinanzamtFrankfurter Allgemeine ZeitungFinanzgericht/FinanzgerichteFinanzgerichtsordnungFinanzgerichtsordnungsänderungsgesetzFussnoteFestschriftGesellschaft <strong>des</strong> bürgerlichen RechtsgemässGrundgesetzgegebenenfallsGesellschaft mit beschränkter Haftung


- 10 - 10GrSGRChGWBHalbs.HessFGHessStGHHFRHVi.d.R.i.R.i.S.i.S.d.i.V.i.V.m.Lfg.LGlit.LKVlt.Losebl.LVerfGGLVerfGG-SachsLVerf M-VLVerf Rh-Pf.LVerf S-ALVerfSachLVerfThüMRKMwSt.m.w.N.m.w.Nachw.n.F.NJWNr.NStZNStZ-RRGroßer SenatCharta der Grundrechte der Europäischen UnionGesetz gegen WettbewerbsbeschränkungenHalbsatzHessisches FinanzgerichtHessisches StaatsgerichtshofHöchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift)Hessische Verfassungin der Regelim Rahmenim Sinneim Sinne <strong>des</strong>in Verbindungin Verbindung mitLieferungLandgerichtliteraLan<strong>des</strong>kommunalverwaltung (Zeitschrift)lautLoseblattwerkLan<strong>des</strong>verfassungsgerichtsgesetzLan<strong>des</strong>verfassungsgerichtsgesetz Sachsen-AnhaltLan<strong>des</strong>verfassung Mecklenburg VorpommernLan<strong>des</strong>verfassung Rheinland-PfalzLan<strong>des</strong>verfassung Sachsen-AnhaltLan<strong>des</strong>verfassung SachsenLan<strong>des</strong>verfassung ThüringenEuropäische Konvention zum Schutz der MenschenrechteMehrwertsteuermit weiteren Nachweisenmit weiteren Nachweisenneue FassungNeue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)NummerNeue StrafrechtszeitschriftNeue Strafrechtszeitschrift-Rechtsprechungs-Report


- 11 - 11n.V.NVwZNZANZGOLGRandnr.RdARdn.Rdnr.RGStRh-Pf.VerfGHGRiLRspr.Rz.SaarlVGHGSächsVerfGHGSGGSlg.S.o.sog.StBStBerGStbgStEStGBStGHStGHGStRKst. Rspr.StPOStuWS.u.ThürVerfGHGTz.u.a.u.H.a.UStGu.U.nicht veröffentlichtNeue Zeitschrift für VerwaltungsrechtNeue Zeitschrift für ArbeitsrechtNeue Zeitschrift für GesellschaftsrechtOberlan<strong>des</strong>gerichtRandnummerRecht der Arbeit (Zeitschrift)RandnummerRandnummerSammlung der Entscheidungen <strong>des</strong> Reichsgerichts in StrafsachenRheinland-Pfälzisches VerfassungsgerichtshofgesetzRichtlinieRechtsprechungRandzifferSaarländisches VerfassungsgerichtshofgesetzSächsisches VerfassungsgerichtshofgesetzSozialgerichtsgesetzAmtliche Sammlungen von EntscheidungenSiehe obensogenannteDer Steuerberater (Zeitschrift)Steuerberatungsesetzdie Steuerberatung (Zeitschrift)Steuerlicher EildienstStrafgesetzbuchHessischer StaatsgerichshofHessisches StaatsgerichtshofgesetzSteuerrechtsprechung in Karteiformständige RechtsprechungStrafprozessordnungSteuer und Wirtschaft (Zeitschrift)Siehe untenThüringens VerfassungsgerichtshofgesetzTeilzifferunter anderemunter Hinweis aufUmsatzsteuergesetzunter Umständen


- 12 - 12VAVerfGGBbgVerf Rh-PfVerfSachVermGVfGHGWMWPOWP/vBPz.B.ZIPZPOZRPZSteuVerwaltungsaktVerfassungsgerichtsgesetz BrandenburgVerfassung Rheinland-PfalzVerfassung SachsenVermögensbildungsgesetzVerfassungsgerichtshofgesetzWertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift)WirtschaftsprüferordnungWirtschaftsprüfer/vereidigter Buchprüferzum BeispielZeitschrift für WirtschaftsrechtZivilprozessordnungZeitschrift für RechtspolitikZeitschrift für Steuern und Recht


- 13 - 13123I. EinleitungVor den Finanzgerichten gehen jährlich mehr als 80.000 Klagen und Anträge ein. Inder Mehrzahl der vor einem FG geführten Verfahren werden Steuerpflichtige vonSteuerberatern und nicht von Rechtsanwälten vertreten. 1) Es wird unten dargelegt, dasses nicht unproblematisch ist, wenn der beratende Steuerberater zugleich der Prozeßvertreterist, auch wenn dies aus dem Kreis der Richterschaft gerne gesehen wird. Eswird hier daher aus darzulegenden Gründen präferiert, dass der beratende Steuerberaterund der Steueranwalt (als Prozeßvertreter) als Team zusammenarbeiten sollten. 2)Von diesem Ansatz wird in diesem Buch ausgegangen. Ungeachtet <strong>des</strong>sen sollten sichaber auch und gerade die Steuerberater angesprochen fühlen, die in der Prozeßvertretungerfahren sind, da die Anforderungen an eine optimale Interessenwahrnehmungnicht vom Berufsbild <strong>des</strong> Prozeßvertreters abhängt, sondern davon, was alles bei derProzeßführung zu berücksichtigen ist.Die sachkundige Darstellung <strong>des</strong> Sachverhaltes und der materiellrechtlichen Rechtsfragensind wichtig. Min<strong>des</strong>tens ebenso wichtig ist es aber, die Weichen richtig zustellen und in diesem Zusammenhang die BFH-Rechtsprechung zu kennen. 3) Und dazugehören zusätzlich die Beratung, Strategie, Taktik und Prozeßführung, worauf nachfolgendebenfalls einzugehen ist. Wenn folglich dort vom Steueranwalt die Rede ist,so ist damit zugleich auch der Steuerberater als Prozeßvertreter gemeint. 4)Was den Steuerprozess ausmachen sollte, wird unterschiedlich gesehen. 5) Streck 6) betont,es gehe bei diesem aus anwaltlicher Sicht um parteiische Interessenvertretung,nicht jedoch darum, „im Dienst der Wahrheit alles zu unternehmen, um zu Lasten <strong>des</strong>eigenen Mandanten der Gegenpartei das objektiv gerechte Urteil zu verschaffen.“Schließlich gehe es dem Kläger nicht um den richtigen, gerechten, gesetzmäßigenSteuerbescheid sondern um die Minderung seiner Steuerlast. Es gehe dem Steuerpflichtigen,der im Steuerprozess durch einen Anwalt vertreten werde, darum, ob dasihm vom Steuerberater Versprochene richtig sei. Verliere er den Steuerprozess so seidies „die Eingangspforte zum Haftpflichtanspruch“ gegen seinen Steuerberater. DerSteuerprozess sei auch <strong>des</strong>halb von Bedeutung, um zugleich eine Abwehrfront gegensteuerstrafrechtliche Vorwürfe aufzubauen. Finanzrichter seien im Steuerprozessschlechte Ratgeber, da diese eigene Interessen verfolgten, nämlich die Beendigung <strong>des</strong>1)2)3)4)5)6)Bilsdorfer NJW 2001, 331So auch Bilsdorfer NJW 2001, 331, 338Zum Schadensersatzanspruch gegen einen Steuerberater bei Nichtkenntnis der BFH-Rechtsprechung:Lange DB 2003, 869Zur Neuregelung <strong>des</strong> Vertretungsrechts im finanzgerichtlichen Verfahren siehe Spindler DB2008, 1283Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, Einführung Rdn. 1: Der Steuerprozess dient der gerichtlichenÜberprüfung von Verwaltungsmaßnahmen. Nach Sauer / Schwarz, Wie führe ich einenFinanzgerichtsprozess?, Seite 5 und Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, geht esim Steuerprozess (auch) darum, den Klageerfolg jedenfalls nicht an Verfahrensfehlern scheiternzu lassen, so als ob es zu verfahrensrechtlichen und prozessualen Fragen bei Finanzgerichten unddem BFH stets eine einheitliche Rechtsauffassung gibt.Streck NJW 2001, 1541, 1542


- 14 - 144567Verfahrens, was mit den aufgezeigten Interessen <strong>des</strong> Klägers nicht konform gehenmüsse. 7)Und auch das Finanzamt sei nicht „gerechter“ ausgleichender Steuereinnehmer, sonderneher Fiskalinteressen verpflichtet. 8) Streck betont mithin die unterschiedlichenInteressen, die sich in einem Steuerprozess begegnen und beschreibt die anwaltlicheNotwendigkeit, dabei einseitig die Interessen seines Mandanten durchzusetzen.Gänzlich anders ist die Sicht von Finanzrichtern, 9) die sich vermehrt literarisch mitdem Steuerprozess befassen. Steuerberater seien prä<strong>des</strong>tiniert, Steuerprozesse zu führen,da sie häufig bereits am Entstehen <strong>des</strong> strittigen Rechtsverhältnisses mitgewirkthätten. Sie seien in der Lage, den Streitstoff sachgerecht darzustellen, „und auf Fragenund Aufklärungsschreiben <strong>des</strong> Gerichts interessengerecht zu reagieren. .... Die Übertragungauf einen anderen Bevollmächtigten birgt immer die Gefahr von Informationslückenund Missverständnissen, die - seien sie auch noch so geringer Natur -, häufigden Ausschlag für den Prozessausgang geben.“ 10)Richter würden eine Versiertheit in forensischen Fragen nicht erwarten, vielmehr würde dieprozessuale Fürsorgepflicht von Richtern ein faires Verfahren sicherstellen. 11)Beide hier von mir exemplarisch vorgestellten Meinungen können aus meiner Sichtfür die Praxis <strong>des</strong> Steuerprozesses auch anders gesehen werden. Streck beschreibtzwar die Interessenlage der Beteiligten zutreffend. Aber im Vordergrund steht nichtdas Interesse <strong>des</strong> Klägers sondern der Erfolg einer Klage und damit das (wieder) Herstellenvon Rechtssicherheit. Und da ein solcher Erfolg sich oft nicht alleine im Ergebnis<strong>des</strong> Verfahrens vor dem Finanzgericht erschöpft, sondern auch Nichtzulassungsbeschwerdebzw. Revision zum BFH und u.U. Verfahren vor dem EuGH bzw.dem BVerfG mit einschließt, muß die Rechtsprechung dieser Gerichte ebenso berücksichtigtwerden wie denkbare Rechtsprechungsänderungen, die durch Beiträge imFachschrifttum angestoßen werden können.Die von Dürr geäußerte Meinung stößt ebenfalls auf Bedenken: Finanzrichter habenihren beruflichen Werdegang nahezu ausschließlich in der Finanzverwaltung begonnen.Die Richterbank wird folglich nahezu ausschließlich mit Personen aus dem Bereich<strong>des</strong> Prozessgegners besetzt, was es sonst in keiner Gerichtsbarkeit gibt.7)8)9)10)11)Streck NJW 2001, 1541, 1544Streck NJW 2001, 1541, 1545Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, [Dürr war Richter am BFH]; Sauer / Schwarz,Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess?, [Sauer war Vizepräsident <strong>des</strong> FG Nürnberg i.R.,Schwarz war Präsident <strong>des</strong> FG Saarland]; Schmidt-Toje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,[Schmidt-Toje war Präsident <strong>des</strong> FG Köln, Schaumburg war Vizepräsidentin <strong>des</strong> FG Köln]Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 17Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 17


- 15 - 15891011Bereits dies erklärt ein tiefes Mißtrauen in die Unparteilichkeit von Finanzrichtern,was sich statistisch in einer Vielzahl von Befangenheitsverfahren widerspiegelt. 12) Esist auch wenig nachvollziehbar, wenn von Dürr - einem BFH-Richter - Versiertheit inforensischen Fragen nicht erwartet wird, während gleichzeitig an (vermeintlichen)prozessualen Mängeln viele Steuerprozesse durch Richter beendet werden. 13)Schließlich verfügen Steuerberater in der Regel über keine Prozesserfahrung undmöchten sich oft ihr für ihre tägliche Arbeit – auch in anderen Mandaten - erforderlichesgutes Verhältnis zum Finanzamt nicht durch einen selbst geführten Steuerprozesstrüben lassen, weshalb gerade <strong>des</strong>halb ein Steueranwalt eingeschaltet wird. Dort aber,wo Steuerberater in Steuerprozessen erfahren sind, werden sie in der Regel Steueranwältenüberlegen sein, weil/wenn sie aufgrund ihrer Beratertätigkeit für den eigenenMandanten über ein größeres Hintergrundwissen über die steuerlichen Angelegenheiten<strong>des</strong> Mandanten verfügen werden.Die Praxis <strong>des</strong> Steuerprozesses sollte aus meiner Sicht daher von folgenden Erfahrungswertenausgehen:- Ob ein Steuerprozess notwendig wird, ist eine strategische Frage, die der Steuerberater,sofern er nicht selbst über Prozeßerfahrung verfügt, unter Einschaltungeines in Steuerprozessen erfahrenen Steueranwaltes bereits während eines Außenprüfungsverfahrensmit dem Mandanten besprechen sollte. Dabei kann auchdie Frage bedeutsam werden, ob man nicht bereits gegen Festlegungen <strong>des</strong> Außenprüfersgerichtliche Maßnahmen anstreben sollte, weil/wenn diese aus Gründen,die über die bloße Besorgnis der Befangenheit hinausgehen, sonst späternicht rückgängig gemacht werden könnten. 14) Nicht jede vermeintlich rechtswidrigeAuffassung <strong>des</strong> Finanzamtes sollte allerdings Veranlassung für einen zu planendenSteuerprozess sein. Entscheidend wird es auf die Beantwortung der Frageankommen, was man über welchen Zeitraum mit dem Steuerprozess erreichenoder verhindern möchte.- Soweit Finanzrichter, die sich vermehrt literarisch mit dem Steuerprozess befassen,meinen, Steuerberater seien prä<strong>des</strong>tiniert, Steuerprozesse zu führen, da siehäufig bereits am Entstehen <strong>des</strong> strittigen Rechtsverhältnisses mitgewirkt hätten,wird folgen<strong>des</strong> nicht bedacht: Zu Steuerprozessen kommt es in der Regel <strong>des</strong>halb,weil das Finanzamt nicht antragsgemäß veranlagt hat bzw. weil der angegriffene12)13)14)Stand 27.03.2013: In JURIS sind zu dieser Zeit alleine zu BFH oder FG 1.386 Treffer unter demStichwort „Befangenheit“ zu vermerken. Dieses tatsächliche Mißtrauen ändert sich nicht dadurch,dass das BVerfG 09.12.1987 – 1 BvR 1271/87, HFR 1989, 272 keinen Befangenheitsgrund darinsieht, dass Finanzrichter aus der Finanzverwaltung kommen. So auch BFH 18.02.1997 – VIII R54/95, BStBl. II 1997, 647; BFH 03.08.2000 – VIII B 80/99, BFH/NV 2001, 783; BFH06.08.2001 – IV B 133/00, BFH/NV 2002, 44. Daran ändert sich nach dieser Rechtsprechungnoch nicht einmal dann etwas, wenn ein „Finanzrichter bei der Behörde tätig gewesen ist, überderen Streitsache der Spruchkörper unter Mitwirkung dieses Richters zu entscheiden hat“ (soBFH 03.08.2000 – VIII B 80/99, BFH/NV 2001, 783).Stand 27.03.2013: In JURIS sind zu dieser Zeit für das Steuerrecht 7.871 Treffer unter den Stichworten„Nichtzulassungsbeschwerde und unzulässig*“ vermerkt.BFH 29.04.2002 – IV B 02/02, BStBl. II 2002, 507, 509, wenn z.B. ein Prüfer anläßlich einer„vorangegangenen Prüfung unberechtigterweise Prüfungsfeststellungen an eine Strafverfolgungsbehördeweitergegeben hatte mit dem Hinweis, hieraus könnten sich Anhaltspunkte für ein strafbaresVerhalten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen ergeben“.


- 16 - 16121314Bescheid nicht dem entspricht, was der Steuerpflichtige beantragt hat. Soweit derSteuerpflichtige nur das beantragt hat, was ihm von seinem Steuerberater geratenwurde, geht es bei einem Finanzgerichtsprozess mithin nicht nur um die Klärungvon Sach- und Rechtsfragen, sondern letztlich auch darum, ob die steuerliche Beratung<strong>des</strong> Steuerberaters zutreffend oder fehlerhaft war.Damit kann einerseits eine denkbare Regressfrage gegenüber dem Steuerberateroder für den Fall einer vom Finanzamt z.B. behaupteten Steuerhinterziehung derVerdacht seiner Beihilfe verbunden sein, 15) denkbarer Weise wird aber der Steuerberater,der zuvor beraten hat und dann den Steuerprozess führen soll, nichtausschließlich die Interessen <strong>des</strong> Mandanten vertreten können, sondern dann auchseine eigenen Rechtfertigungs-Interessen im Auge haben können. Interessenkonfliktewären dann vorprogrammiert. 16)Und diese können dann verhindern, dass die Interessenvertretung <strong>des</strong> Mandantenim Steuerprozess durch <strong>des</strong>sen Steuerberater mit der notwendigen Unabhängigkeiterfolgt, wodurch der Steuerberater in Kollision mit seinen Berufspflichten betreffendUnabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit, Eigenverantwortlichkeit, Gewissenhaftigkeit,Tätigkeitsverbot bei Interessenkollisionen geraten kann und derMandant als Kläger <strong>des</strong> Steuerprozesses dadurch vielleicht nicht das Optimum einerInteressenwahrnehmung erfährt.Die Tatsache, dass der Steuerberater einen Steuerpflichtigen grundsätzlich imSteuerprozess vertreten darf, beantwortet daher noch nicht die weitergehende Frage,ob auch der ständig beratende Steuerberater seinen Mandanten im Steuerprozessvertreten sollte. Denn berufsrechtlich dürfen Steuerberater z.B. „nicht tätigwerden, wenn eine Interessenkollision gegeben ist“ (§§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1BOStB). Und nichts anderes gilt für Wirtschaftsprüfer bezüglich deren zu beachtendenUnabhängigkeitsgebots (§§ 43 Abs. 1 WPO, 2 BSWPK) sowie <strong>des</strong> Verbotswiderstreitender Interessen (§ 3 BSWPK) 17) samt dem Tätigkeitsverbot beiBesorgnis der Befangenheit (§§ 49 i.V.m. 130 Abs. 1 WPO, 21 BSWPK). Unddiese Befangenheit wird in § 21 Abs. 1 BSWPK insbesondere dann angenommen,„wenn nahe Beziehungen <strong>des</strong> WP/vBP zu einem Beteiligten und zum Gegenstandder Beurteilung bestehen, die geeignet sein können, die Urteilsbildung zu beeinflussen“bzw. in § 21 Abs. 3 BSWPK bei „Gefahr der Interessenkollision“.15)16)17)Streck NJW 2001, 1541, 1542; Birkenstock wistra 2002, 47, 48. Zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung,insbesondere schon durch neutrale Handlungen BGH 18.06.2003 – 5 StR 489/02, Beilagezu BFH/NV 1/2004, 89, 92. ABER: Auch im Steuerfestsetzungsverfahren gilt lt. FG Düsseldorf04.11.2004 – 11 K 2702/02 E, EFG 2005, 246 der Grundsatz <strong>des</strong> „in dubio pro reo“ und <strong>des</strong>„nemo-tenetur“. Dazu ferner Fumi EFG 2005, 247 f.Ähnlich Birkenstock wistra 2002, 47 für das Verhältnis <strong>des</strong> beratenden Steuerberaters, der späterin einem steuerstrafrechtlichen Verfahren den Mandanten vertritt.Nach AnwG München 06.03.1995 – 3 AG Nr. 27/95, BRAK-Mitt. 1995, 172 (zu § 43 BRAO)und Birkenstock wistra 2002, 47, 52 liegt eine berufsrechtlich unzulässige Wahrnehmung widerstreitenderInteressen nicht nur dann vor, wenn der Berufsträger zwei Parteien mit gegensätzlichenInteressen in derselben Sache vertritt, sondern auch dann, wenn der Berufsträger eine Parteiin einer Sache vertritt, an denen der Berufsträger mit eigenen konkreten oder möglichen gegensätzlichenInteressen beteiligt ist.


- 17 - 1715161718- Diesseits wird daher aufgrund denkbarer Interessenkonflikte <strong>des</strong> beratenden Steuerberaterseher dazu geraten, dass der beratende Steuerberater und ein für denSteuerprozess gesondert hinzuzuziehender, auf Steuerprozesse spezialisierter,Anwalt als Team zusammenarbeiten. Ersterer wegen seiner Sachkunde um diesteuerlichen Hintergründe <strong>des</strong> Falles, letzterer wegen seiner Erfahrung mit Steuerprozessenund vor allen Dingen wegen seiner in der Regel größeren Kenntnis indazugehörigen anderen Rechtsmaterien. Steueranwälte werden daher für denSteuerprozess in der Regel durch Steuerberater hinzugezogen, um diesem TeamworkRechnung zu tragen.Vor diesem Hintergrund ist die These von Streck kontraproduktiv, der Steuerpflichtigesolle einen Steueranwalt einschalten, um für den Fall <strong>des</strong> Verlustes <strong>des</strong>Steuerprozesses sodann einen Regressprozess gegen seinen Steuerberater zu führen.18) Zum einen erfolgt die Hinzuziehung eines zusätzlichen Steueranwaltes inder Regel nicht durch den Steuerpflichtigen sondern durch <strong>des</strong>sen Steuerberater,zum anderen sollten solche Überlegungen nicht der Regelfall sondern die absolute- nicht erstrebenswerte - Ausnahme sein, da für diese Fälle ein Teamwork zwischenSteuerberater und Anwalt zum Nachteil <strong>des</strong> Steuerpflichtigen ausscheidenwürde. Die Hinzuziehung eines Steueranwaltes sollte denn auch nicht in ersterLinie <strong>des</strong>halb erfolgen, um dieses Ziel im Auge zu haben, sondern um seitens <strong>des</strong>beratenden Steuerberaters zuvor aufgezeigte denkbare Interessenkonflikte bei sichselbst zu vermeiden und die Prozeßerfahrung und Kenntnisse <strong>des</strong> Steueranwaltesauch auf anderen Rechtsgebieten zusätzlich nutzen zu können.- Ein Steuerprozess hat oft nicht zum Ziel, alleine die darin abgehandelte streitgegenständlicheSachverhalts- oder Rechtsfrage zur Entscheidung zu bringen, vielmehrkann sie darüber hinaus Breitenwirkung haben. So kann davon abhängen,ob man (vorsorglich) vorhandene Vertragsgestaltungen ändern muß, ob man pergerichtlich beantragter Aussetzung der Vollziehung sich an die Problemlösungherantastet, ob man Risikovorsorge betreiben muß, ob es sich um Grundsatzfragenhandelt, bei denen man den Gang zum BFH, BVerfG und/oder EuGH einplanenmuß und anderes mehr.- Die Finanzverwaltung ist an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) undhat auch zu Gunsten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen sprechende Umstände zu ermitteln(§ 88 Abs. 2 AO). Und doch verhält sie sich vielfältig nicht entsprechend. Ob Finanzbeamte,wenn sie dann später Finanzrichter werden, diesen Rollenwechselverinnerlichen, 19) ist für jeden Steuerprozess ein Risikofaktor, den es bei der strategischenPlanung eines solchen Prozesses zu bedenken gilt. Die Gefahren, die imFinanzgerichtsverfahren vor diesem Hintergrund bei einem Einzelrichterprozessbestehen, sind ungleich größer als in Einzelrichterprozessen anderer Gerichts-18)19)Streck NJW 2001, 1541, 1542In BFH 03.08.2000 – VIII B 80/99, BFH/NV 2001, 783 hatte die Klägerin den nicht seltenenVorwurf erhoben, die Richter, gegen die sich ihr Befangenheitsantrag richtete, seien vor ihremEintritt in den Richterdienst Angehörige <strong>des</strong> beklagten Finanzamtes gewesen. Aus mehreren Verfahrenhabe sie den Eindruck gewonnen, dass die (rechtsfehlerhaften) Entscheidungen <strong>des</strong> FGnur im Lichte einer im Geschäftsverteilungsplan angelegten „Hausgerichtsbarkeit“ verständlichseien.


- 18 - 18192021zweige. Auch dies ist eine der Ursachen der offenkundig gewordenen Gefahr derRechtszersplitterung bei Einzelrichterprozessen. 20)- In der Praxis zeigt sich verstärkt, dass aus der Finanzverwaltung stammende Finanzrichterihre Herkunft nicht verleugnen können. So wird in einer Vielzahl vonFällen alles unternommen, um dem Finanzamt zum Erfolg zu verhelfen. Und sonimmt es nicht weiter wunder, dass sich in den letzten Jahren verstärkt zeigt, dasssich das Finanzamt in der mündlichen Verhandlung <strong>des</strong> Steuerprozesses nichteinmal mehr durch einen Finanzbeamten vertreten läßt und der Part der Darstellungder Position <strong>des</strong> Finanzamtes vom Finanzgericht übernommen wird.Man hat sich folglich darauf einzustellen, dass aus der Finanzverwaltung stammendeFinanzrichter, die in der mündlichen Verhandlung auch noch den Part <strong>des</strong>Finanzamtes übernehmen, immer mehr den Standpunkt <strong>des</strong> Finanzamtes verinnerlichen,so dass es immer schwerer fällt, von der Unparteilichkeit von Richternder Finanzgerichtsbarkeit auszugehen.Dies sind die Eckpunkte für die Frage, ob man einen Steuerprozess in Erwägung ziehensollte. Und zur Strategie, ob bzw. warum ein Steuerprozess geführt werden sollkommt die Prozessstrategie und Prozesstaktik hinzu, wenn man sich für den Steuerprozessentschieden hat. Dies alles kann, ja darf sogar, entgegen Dürr ein Finanzrichtersich nicht leisten und all dem würde man sich begeben, wenn man entsprechendseiner Empfehlung auf Versiertheit in forensischen Fragen verzichtet, um sich alleineder prozessualen Fürsorgepflicht der für die jeweilige Entscheidung maßgebendenFinanzrichter anzuvertrauen. Das hier dargestellte Verständnis der Pflichten einesProzessbevollmächtigten im Steuerprozess lassen es ferner nicht zu, den Steuerprozessan Hand von Musterschriftsätzen aufzuarbeiten und sich im wesentlichen an den prozessualenVorgaben der FGO auszurichten. Musterschriftsätze mögen hilfreich für denEinstieg <strong>des</strong> sich Aneignens der Grundzüge eines Finanzgerichtsprozess sein, 21) damitist es jedoch nicht getan. Zwar muß das prozessuale Handwerkszeug der FGO beherrschtwerden. 22) Aber die Praxis eines Steuerprozesses sollte noch weiteres berücksichtigen.Davon soll nachfolgend die Rede sein.22II.Planung eines Steuerprozesses1. AllgemeinesNicht selten werden negative Einspruchsentscheidungen zum Anlaß genommen,Klage zum FG zu erheben. Der dann mit der Klageerhebung und Klagedurchführungbefaßte Steueranwalt bereitet den Sachverhalt und die damit zusammenhängendenRechtsfragen oftmals erstmals umfassend auf, weil zuvor nur verkürzt die eine oderandere Sachverhaltsfrage mit dem Austausch persönlicher Rechtsmeinungen zum20)21)22)Zur Zersplitterung der Rechtsprechung durch Einzelrichterprozesse Gräber/Koch, FGO, § 6 Rdn.2Dafür sehr anschaulich Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht; Schmidt-Troje/Schaumburg,Der SteuerrechtsschutzDazu Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht; Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess?


- 19 - 192324252627Gegenstand <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens gemacht wurde. Dies ist kein geeigneter Beginnfür die Planung eines Steuerprozesses.Die Planung eines Steuerprozesses sollte wesentlich früher beginnen. Bereits das Einspruchsverfahrensollte von der Sachverhaltsaufbereitung und der Erörterung allerrelevanten Rechtsfragen her so umfassend geführt werden, als ob es sich bereits umdas Klageverfahren handeln würde und zwar nicht nur dann, wenn das Finanzamtgemäß § 364b Abs. 1 AO unter Fristsetzung zu entsprechendem Vortrag aufgeforderthat und man bei Nichtbeachtung später im finanzgerichtlichen Verfahren riskiert, mitsolchem unterlassenem oder verfristeten Vortrag ausgeschlossen zu werden (§ 76 Abs.3 FGO). 23) Dazu kann auch die Frage gehören, ob in einem Einspruch zugleich übereinen Erlassantrag mitentschieden werden soll, wozu das Finanzamt verpflichtet ist,wenn der Erlassantrag erfolgreich ist. 24) Denn würde das Finanzamt über den Erlassantragnicht mitentscheiden, so könnte gegen die ablehnende Einspruchsentscheidungper Anfechtungs- und Verpflichtungsklage vorgegangen werden, gegen die unterlasseneMitentscheidung über den Erlassantrag dagegen per Untätigkeitsklage (§ 46 Abs.2 FGO). 25)Die sorgfältige und umfassende Durchführung <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens ist bereitsaus folgenden Gründen sinnvoll:- Für den Fall eines beim Finanzamt erfolglos durchlaufenen AdV-Verfahrens(§ 361 Abs. 2 AO) hat man dann schon die wesentlichen Vorarbeiten für ein gerichtlichesAdV-Verfahren (§ 69 FGO) erledigt.- Es läßt sich auf diese Weise für den Steuerpflichtigen sehr viel schneller feststellen,wo die Schwachstellen in der Argumentation der Finanzverwaltung vor demHintergrund aufbereiteter Finanzrechtsprechung ist oder wo man in Anbetrachtder Argumentation <strong>des</strong> Finanzamtes hierauf eigene Schwachstellen hat.Dies ermöglicht bereits in einem sehr frühen Stadium unter Berücksichtigung vonGesetzeslage, Rechtsprechung, Meinung der Finanzverwaltung und Fachschrifttumeine Chancen- und Risikobewertung.BeispielDer Steuerberater und sein Mandant wehrten sich in einem Einspruchsverfahren dagegen,dass die in Ansatz gebrachten Steuervorteile nicht zu 100 % sondern nur zu 80 % anerkanntworden waren. Der hinzugezogene Steueranwalt zeigte auf, dass zu der strittigenFrage noch keine steuerrechtliche Rechtsprechung existierte, dass man aber in Anbetrachteiner korrekten zivilrechtlichen Würdigung <strong>des</strong> Falles, die bisher unterblieben war,durchaus auch als steuerliches Ergebnis hätte vertreten können, die begehrten Steuervorteilezu 100 % abzuerkennen. Aufgrund einer vorgenommenen Chancen- und Risikoabwägungzwischen Mandant, Steuerberater und Steueranwalt entschied man sich daraufhindazu, den Einspruch zurückzuziehen.23)24)25)BFH 30.03.2005 – VI B 24/04, BFH/NV 2005, 1225; Bilsdorfer NJW 2001, 331, 332BFH 05.06.2002 – VII B 12/02, BFH/NV 2002, 1327, 1328BFH 05.06.2002 – VII B 12/02, BFH/NV 2002, 1327, 1328: Wird dagegen über den Erlassantragnur teilweise entschieden, so bildet dies ein gesondertes Verfahren


- 20 - 2028293031BeispielDer im Einspruchsverfahren hinzugezogenen Steueranwalt zeigte auf, dass zwar die vondem Finanzamt vertretene Rechtsauffassung der der Finanzverwaltung schlechthin entsprach,dass aber keineswegs sicher sei, ob dem auch das FG folgen würde; BFH-Rechtsprechungexistierte nicht. Denn das Fachschrifttum vertrat nicht nur eine kontroverseMeinung, sondern die streitige Rechtsfrage könnte auch von verfassungsrechtlicher Bedeutungsein (Inländerdiskriminierung) 26) bzw. europarechtliche Bedeutung haben (Ausländerdiskriminierung).Im Rahmen der Chancen- und Risikobetrachtung wurde zwischenMandanten, Steuerberater und Steueranwalt abgewogen, ob es Zeit und Kosten lohne, dieKlärung damit verbundener Rechtsfragen im Einspruchsverfahren, AdV-Verfahren, FG-Prozess, ggf. Vorlage zum EuGH bzw. BVerfG und nachfolgendem Nichtzulassungsbeschwerde-/ Revisionsverfahren über Jahre hinweg zu verfolgen. Die Alternative war,nicht zu streiten, klein beizugeben, und die eigenen Verträge und Vertragsabwicklungenumzustellen. Der Mandant entschied sich dazu, das Einspruchsverfahren und ein AdV-Verfahren beim Finanzamt und FG durchzuführen, um erst dann eine abschließende Entscheidungbezüglich eines Finanzgerichtsprozesses zu führen, in jedem Fall aber für dieZukunft Verträge und Vertragsabwicklungen umzustellen.- Man vermeidet, in einem späteren Finanzgerichtsprozess selbst im ObsiegensfalleKostenbelastungsrisiken gemäß § 137 FGO. 27)- Als potentieller Kläger hat man bereits vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktesund auch im Einspruchsverfahren die Pflicht, den Sachverhalt vollständigund wahrheitsgemäß vorzutragen und bekannte Beweismittel anzugeben (§ 90AO). Mit letzterem kann man das Finanzamt veranlassen, den angebotenen Beweismittelnnachzugehen (§ 92 AO) oder andernfalls im finanzgerichtlichen Verfahrenzu begründen, warum das Unterlassen <strong>des</strong> sich Bedienens angebotenerBeweismittel nicht mehr pflichtgemäßes Ermessen sondern pflichtwidriger Ermessensfehlgebrauchgewesen ist. Dies ist auch <strong>des</strong>halb von Interesse, weil es fürden Fall eines finanzgerichtlichen Verfahrens dem Finanzamt nur gestattet ist, bereitsan- bzw. dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oderzu verdeutlichen, nicht aber Ermessenserwägungen erstmals anzustellen oder dieseauszuwechseln oder vollständig nachzuholen. 28) Und hat das Finanzamt es zuvorunterlassen, selbst den Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln, dann steht ihmspäter eine Änderungsbefugnis gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr zu. 29)- Es gehört zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten, zur Begründung dereigenen Steuererklärung bzw. im Einspruchsverfahren gemeinschaftsrechtlicheBezüge aufzuzeigen, so dass sich das Finanzamt bereits im Hinblick auf den zuerlassenden Verwaltungsakt bzw. einer Einspruchsentscheidung damit befassenmuß. 30) Dies setzt aber voraus, die gemeinschaftsrechtliche Begründung bereitsim Einspruchsverfahren umfassend vorzutragen und auf diese Pflichten <strong>des</strong> Finanzamteshinzuweisen. Auch ist es nicht nachteilhaft, aufzuzeigen, welches26)27)28)29)30)Riese/Noll NVwZ 2007, 516Dazu Kerath BB 2003, 937BFH 11.03.2004 – VII R 52/02, BFH/NV 2004, 852FG Münster 15.05.2002 – 7 K 1486/00 E, EFG 2004, 1179EuGH 15.10.1987 – Rs. 222/86, NJW 1989, 657, 658; Iglesias NJW 2000, 1889, 1893


- 21 - 213233343536rechtlichen Konsequenzen es haben kann, wenn sich das Finanzamt entgegen derRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH einer Beachtung europäischen Rechts verschließt.Ein so umfassend zu führen<strong>des</strong> Einspruchsverfahren ist damit sehr arbeitsintensiv, eswirkt aber für die Frage, ob man im Anschluss daran einen Steuerprozess führen soll,zugleich als Chancen-Risiko-Raster. Bereits im Rahmen eines solchermaßen umfänglichaufbereiteten Einspruchsverfahrens kann man auch bereits die strategischen undtaktischen Momente einbauen, die man für den Fall eines Steuerprozesses verwendenwürde, um einerseits die Reaktionen <strong>des</strong> Finanzamtes zu testen und andererseits aufall dies für den Fall eines notwendig werdenden gerichtlichen AdV-Verfahrens ebenfallszugreifen zu können. Folglich empfiehlt es sich, in den Fällen, in denen man seitens<strong>des</strong> Steuerpflichtigen bzw. seines Steuerberaters die Möglichkeit eines zu führendenSteuerprozesses in die eigenen Überlegungen einbezieht, das Einspruchsverfahrendurch denjenigen Steueranwalt oder Steuerberater führen zu lassen, der dann auch ggf.den Steuerprozess führen soll. 31)Auf diese Weise kristallisiert sich bereits im Einspruchsverfahren sehr bald heraus, anwelchen Sachverhalts- bzw. Rechtsfragen die Meinungen zwischen Einspruchsführerund Finanzamt gegensätzlich bleiben und vor allem, was die Gründe dafür sind. Undwenn man bereits im Einspruchsverfahren die Finanzrechtsprechung umfassend aufbereitethat, läßt sich auch sehr schnell abschätzen, ob ein Steuerprozess eher erfolgreichoder mit weniger Erfolg geführt werden könnte oder ob die rechtliche Beurteilungungewiss bleibt.Damit läßt sich oftmals bereits im Einspruchsverfahren abschätzen, ob man einenSteuerprozess führen könnte oder nicht, womit aber noch nicht die Frage beantwortetist, ob dann, wenn man ihn führen könnte, man ihn auch führen sollte.Die Planung eines Steuerprozesses bereits in diesem Stadium, also während <strong>des</strong> laufendenEinspruchsverfahrens, setzt folglich die Beantwortung der Vorfrage voraus, obunabhängig von der Frage einer denkbaren Erfolgsaussicht es weitere oder übergeordneteGründe geben könnte, darauf für den Fall eines negativen Einspruchsverfahrenszu verzichten.Solche Aspekte könnten zum Beispiel sein:- <strong>Dr</strong>oht im laufenden Einspruchsverfahren eine Verböserung (§ 367 Abs. 2 Satz 2AO), die durch Rücknahme <strong>des</strong> Einspruches verhindert werden könnte statt siedurch einen avisierten Steuerprozess zu provozieren? Soll eine Verböserung inKauf genommen werden oder zunächst nach erfolglosem Durchlaufen eines AdV-Verfahrens gem. § 361 Abs. 2 AO die Meinung <strong>des</strong> FG in einem gerichtlichenAdV-Verfahren (§ 69 FGO) ausgetestet werden?31)Für den Steueranwalt bzw. Steuerberater empfiehlt es sich, für diese Art umfänglicher Durchführungeines Einspruchsverfahrens mit dem eigenen Mandanten eine freie Honorarvereinbarung abzuschließenund bei Anwälten dabei eine Regelung auch darüber zu treffen, wie man für den Fall<strong>des</strong> Steuerprozesses nach der RVG verfahren möchte. Für den Fall gerichtlicher AdV-Verfahrenempfiehlt sich vergleichbares, da die bei solchen Verfahren durch Gerichte übliche Wertfestsetzungauf 10 % <strong>des</strong> üblichen Gegenstandswertes andernfalls keine angemessene Vergütungzuläßt. Siehe BFH 22.11.1995 - II S 10/95, n.V.; BFH 03.03.1997 - X S 11/96, n.V.; BFH27.03.2000 - VII B 223/99, BFH/NV 2000, 1120


- 22 - 22373839- Kann eine denkbare Klimaverschlechterung mit dem Finanzamt für den Fall eineszu führenden Steuerprozesses im Hinblick auf vielleicht andere zu klärende Bereichein Kauf genommen werden?- Rechtfertigt die voraussichtliche Verfahrensdauer mit vielleicht unerwünschtenFolgewirkungen gleichwohl die Durchführung <strong>des</strong> konkreten Steuerprozesses? 32)Ein hinzugezogener Steueranwalt sollte sich daher gegenüber dem Steuerberater <strong>des</strong>Mandanten oder gegenüber dem Mandanten selbst in einem kurzen schriftlichenStatement nicht nur zur Frage der Erfolgsaussicht (nicht gegeben oder denkbar) sondernauch zu vorgenannten Fragen äußern.402. Anlässe für einen SteuerprozessDiese können hier nicht erschöpfend aufgeführt werden. Sie sollen daher nur exemplarischbehandelt werden.41a) Schlussbesprechung anläßlich einer AußenprüfungErgeben sich aufgrund <strong>des</strong> Ergebnisses einer Außenprüfung Änderungen der Besteuerungsgrundlagen,so ist eine Schlußbesprechung durchzuführen. Dabei „sind insbesonderestrittige Sachverhalte sowie die rechtliche Beurteilung der Prüfungsfeststellungenund ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern“ (§ 201 Abs. 1 AO). 33) Läßtder Prüfungsverlauf der Außenprüfung erkennen, dass sich Sachverhalts- bzw. Rechtsfragenals schwierig oder streitig herausstellen sollten, so empfiehlt es sich, bereits zudiesem frühen Zeitpunkt den Steuerberater oder Steueranwalt zur Schlußbesprechung32)33)Wenn Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 27 die durchschnittliche Verfahrensdauervor Finanzgerichten in 1998 mit 15,7 Monaten beschreibt (Die durchschnittliche Verfahrensdauernicht unzulässiger Klagen betrug: Nach EFG 2001, 1094, 106 in 2000 26,3 Monate.Nach EFG 2004, 2, 4 in 2002 26,8 Monate. Nach EFG 2006, 942 in 2003 17,4 Monate und in2004 17 Monate. Nach EFG 2008, 2 in 2005 18,6 Monate und in 2006 19 Monate) und nach EFG2009, 1702, 1705 18,5 Monate in 2007 sowie 18 Monate in 2008, so kann ich solches aus meinerPraxis nicht bestätigen. Hier liegt der Durchschnitt bei 4 ½ bis 6 ½ Jahren bis zu ersten mündlichenVerhandlung mit nochmals erheblicher Zeit bis zum Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe.Selbst eine Beschwerde gegen eine ablehnende Befangenheitsentscheidung einesFG dauerte beim BFH über 1 Jahr. Die veröffentlichten statistischen Zahlen stimmen folglich mitder Lebenswirklichkeit nicht überein und für die Planung eines Steuerprozesses sollte man vonder Lebenswirklichkeit und nicht von davon krass abweichenden Statistiken ausgehen.Zur Überlangen Verfahrensdauer siehe ferner Beermann/Brandt, Steuerliches Verfahrensrecht,EinfFGO Rdn. 4f.;Die Nichtdurchführung einer Schlußbesprechung begründet kein Verwertungsverbot (BFH26.06.1997 - XI B 174/96, BFH/NV 1998, 17). Auch kann auf die Versagung rechtlichen Gehörsbei einer Schlußbesprechung nicht eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß §§ 116 Abs. 3, 115Abs. 2 Nr. 3 FGO gestützt werden, da ein solcher Verfahrensmangel sich nur auf einen im finanzgerichtlichenVerfahren aufgetretenen Gehörsmangel beziehen kann (BFH 15.09.1999 – V B97/99, BFH/NV 2000, 329). Es ist unklar, ob der Verfahrensfehler der Unterlassung der Schlußbesprechungdadurch geheilt werden kann, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, sichzum Außenprüfungs-Bericht vor und im Einspruchsverfahren zu äußern (FG Baden-Württemberg30.01.1997 - 6 V 1/96, EFG 1997, 779; a.A. FG München 02.05.1995 - 1 V 4197/92, EFG 1995,867, das u.U. eine Nachholung der Schlußbesprechung für notwendig hält).


- 23 - 234243mit hinzuzuziehen, der für den Fall eines für denkbar gehaltenen Steuerprozesses diesenund im Vorfeld dazu das Einspruchsverfahren sowie die AdV- Verfahren (§ 361Abs. 2 AO und § 69 FGO) führen soll.Dies auch aus folgendem Grund:Es kann sich durchaus anbieten, im Rahmen der Schlußbesprechung eine tatsächlicheVerständigung über den der Steuerfestsetzung zugrundeliegenden Sachverhalt zu treffen.Dazu muß auf Seiten <strong>des</strong> Finanzamtes ein Amtsträger beteiligt sein, der zur Entscheidungüber die Steuerfestsetzung befugt ist. 34) Damit wird in aller Regel beabsichtigtsein, letztlich die steuerliche Behandlung von Sachverhalten einvernehmlich festzulegen,um an Hand <strong>des</strong>sen z.B. eine Schätzung vorzunehmen. 35) Es kommt jedochimmer wieder vor, dass das Finanzamt zu einem späteren Zeitpunkt, weil z.B. inzwischendie BFH-Rechtsprechung sich zu Gunsten <strong>des</strong> Finanzamtes entwickelt hat, versucht,diese tatsächliche Verständigung nicht mehr gegen sich gelten zu lassen. Manberuft sich u.U. auf Formmängel, 36) man habe sich nicht über Tatsachenfragen sondernunzulässigerweise über Rechtsfragen verständigt, 37) eine Bindungswirkung für Folgefragenentfalle wegen Änderung <strong>des</strong> Sachverhaltslage, 38) eine Unwirksamkeit der tatsächlichenVerständigung sei wegen „offensichtlich unzutreffenden Ergebnisses“ gegeben39) etc..Weil dem so ist, ist es sinnvoll, vorsorglich bereits bei der schriftlichen Abfassung einertatsächlichen Verständigung in Anwesenheit eines für die Steuerfestsetzung zuständigenAmtsträgers auch den Berater mit zugegen zu haben, der für den Fall einesursprünglich in Erwägung gezogenen Steuerprozesses denselben hätte betreuen sollen.Denn sollte es aus Gründen der tatsächlichen Verständigung später zu einem Steuerprozesskommen, so kann der entsprechende Berater dazu bereits aus eigener Kenntnisbeitragen und sich ggf. sogar selbst als Zeugen benennen.44b) Vorfrage(n) eines ZivilprozessesEs gibt vielfältige zivilrechtliche Fragen, die letztlich in Zivilprozesse einmünden undbei denen im Steuerprozess zu klärende steuerliche Fragen vorab zu klären sind.34)35)36)37)38)39)BFH 06.02.1991 - I R 13/86, BStBl. II 1991, 673FG Hamburg 21.07.2006 – 6 K 91/05, EFG 2007, 79, 80: Es handelt sich bei der tatsächlichenVerständigung um auslegungsfähige öffentlichrechtliche Willenserklärungen, ohne dass es auf diedogmatische Einordnung als öffentlichrechtlicher Vertrag oder einer Bindungswirkung aus Treuund Glauben ankommt.BFH 21.06.2000 - IV B 138/99, n.V.: „Zwar bedürfen tatsächliche Verständigungen keiner besonderenForm, die Nichteinhaltung der Schriftform, die fehlende Protokollierung und der Vorbehaltder Nachprüfung sind Indiz dafür, dass die Beteiligten sich nicht haben binden wollen.“(Leitsatz) Ferner BFH 25.11.1997 - IX R 47/94, BFH/NV 1998, 580BFH 15.03.2000 - IV B 44/99, BFH/NV 2000, 1073BFH 13.08.1997 - I R 12/97, BFH/NV 1998, 498BFH 31.07.1996 - XI R 78/95, BStBl II 1996, 625


- 24 - 24454647Beispiele- Sollen Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhafter Steuerbescheide geltend gemachtwerden, 40) so hat der Geschädigte zunächst im Rahmen <strong>des</strong> Primärrechtsschutzes,also im Steuerprozess, zu versuchen, den Schaden abzuwenden (§ 839Abs. 3 BGB, Art. 34 GG). 41) Ob folglich ein Steuerprozess geführt werden solloder nicht, ist mithin wesentliche Vorfrage, wenn man in Erwägung zieht, ggf. einenAmtshaftungsprozess nachzuziehen. Der Amtshaftungsprozess als Sekundärrechtsschutzsetzt nämlich bezüglich der Schadensabwendung ein erfolglosesVorgehen im Primärrechtsschutz (Steuerprozess) voraus. 42)- In dem bis 31.12.2001 geltenden Recht war zugleich zu berücksichtigen, dass dieUnterbrechungswirkung der amtshaftungsrechtlichen Verjährung <strong>des</strong> § 852 Abs.1 BGB a.F. schon durch Einspruchseinlegung erfolgte, die einem finanzgerichtlicheVerfahren vorausging. 43) Die Einspruchseinlegung stellte folglich den Zeitpunktder frühesten Verjährungsunterbrechung dar, die finanzgerichtliche Klageerhebungmußte sich aber wegen § 839 Abs. 3 BGB anschließen, so dass mandann, wenn man ein amtshaftungsrechtliches Vorgehen ins Auge faßte, die Einspruchsentscheidungnicht bestandskräftig werden lassen durfte, sondern im Anschlußdaran den eigenen Primärrechtsschutz im Steuerprozess weiterverfolgenmußte, ehe man nach rechtskräftigem Abschluß <strong>des</strong> Steuerprozesses dann erstentscheiden konnte, ob die zivilrechtlichen Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchesdann noch gegeben waren.Dies hat sich nach Inkrafttreten <strong>des</strong> Schuldrechtsmodernisierungs-Gesetzes ab01.01.2002 in folgender Weise geändert: Die Verjährung von Amtshaftungsansprüchenals Sekundäransprüchen richtet sich nunmehr nach den §§ 195, 199 Abs.1 BGB. 44) Statt einer Unterbrechung tritt nunmehr eine Hemmung der Verjährungein. In Fortführung der Gedanken der zuvor aufgezeigten Rechtsprechung <strong>des</strong>40)41)42)43)44)Dazu <strong>Wagner</strong> StB 1993, 324; Marx/Simon DB 2013, 477 - Ferner OLG Celle 19.02.2002 – 16 U185/01, DStRE 2002, 1152Zur Zulässigkeit einer beim FG beantragten Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4FGO) als Voraussetzung eines bevorstehenden zu führenden oder bereits eingeleiteten Amtshaftungsprozesses,die für diesen Schadensersatzprozess nicht ohne Bedeutung ist und der Schadensersatzprozessnicht offensichtlich aussichtslos ist. An das Vorliegen der Offensichtlichkeit sindstrenge Anforderungen zu stellen; die bloße Wahrscheinlichkeit eines Mißerfolgs genügt nicht,um einem Beteiligten das berechtigte Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage abzusprechen:BFH 11.08.1998 - VII R 72/97, BStBl II 1998, 750. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage istjedoch unzulässig, wenn eine Amtshaftungsklage nur in Aussicht gestellt wird, eine Erfolgsaussichtaber in Zweifel zu ziehen ist, so BFH 24.07.1998 - VII S 6/98, BFH/NV 1999, 198.Dazu zählt nach BGH 16.11.2000 – III ZR 1/00, HFR 2001, 1109 auch, gegen einen (vermeintlichrechtswidrigen ) Haftungsbescheid Aussetzung der Vollziehung zu beantragen, weil sonst beispäterer Aufhebung <strong>des</strong> Haftungsbeschei<strong>des</strong> <strong>des</strong>halb keine Zinsen als Schadensersatzanspruchgeltend gemacht werden können, weil insoweit der Zinsschaden nicht durch Gebrauch einesRechtsmittels abgewandt wurde (§ 839 Abs. 3 BGB).Zum Primär- und Sekundärrechtsschutz siehe BGH 11.07.1985 – III ZR 62/84, BGHZ 95, 238,242BGH 11.07.1985 – III ZR 62/84, BGHZ 95, 238, 244; BGH 06.07.1995 - III ZR 145/94, NJW1995, 2778Mansel in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Schuldrecht, 2002, § 194 Rdn. 9


- 25 - 2548BGH dürfte eine Hemmung der Verjährung <strong>des</strong> Amtshaftungsanspruches als Sekundäranspruchwegen § 839 Abs. 3 BGB bereits mit Einlegung <strong>des</strong> Einspruchsgegen den belastenden Bescheid im Rahmen <strong>des</strong> Primäranspruchs eintreten. Soweit§ 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB die Hemmung der Verjährung davon abhängigmacht, dass sich eine Klageerhebung anschließt, bleibt aber verjährungsrechtlichdie Frage zu klären, ob beim Amtshaftungsanspruch damit die Erhebung einer finanzgerichtlichenKlage oder die Amtshaftungsklage gemeint ist. M.E. wird sichbei negativem Einspruchsverfahren wegen § 839 Abs. 3 BGB eine finanzgerichtlicheKlage anschließen müssen, während bei positivem Einspruchsverfahren sichwegen Folgeschäden eine Amtshaftungsklage innerhalb der 3-Monatsfrist <strong>des</strong>§ 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB anschließen muß.- Der Steuerschuldner kann ferner die ihm aus der zunächst unzutreffenden Veranlagungentstandenen Schäden in Form von Rechtsverfolgungskosten für das finanzgerichtlicheVorverfahren sofort im Wege <strong>des</strong> Schadensersatzanspruchs nachBGB § 839, GG Art 34 geltend machen, 45) da die AO und FGO keine Kostenerstattungspflicht<strong>des</strong> Finanzamtes bei erfolgreichem Einspruchsverfahren vorsieht.46) Ferner können im Wege der Amtshaftung Steuerberaterkosten geltendgemacht werden, wenn das Finanzamt vor Erlass eines Steuerbeschei<strong>des</strong> gegendas Grundrecht <strong>des</strong> Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen hat und das vom Steuerpflichtigenbereits im Veranlagungsverfahren zu beachten gewesene erst im Rahmen<strong>des</strong> Einspruchsverfahrens berücksichtigt hat. 47) Auch aus § 91 Abs. 1 Satz 1 AOfolgt eine Amtspflicht <strong>des</strong> Finanzamtes, vor Erlass eines (belastenden) Verwaltungsaktesden Betroffenen zu hören, wogegen verstoßen wird, wenn ein Finanzamtbelastende Bescheide erläßt, um Vollstreckungstitel zu erlangen, während dieAnhörung dem Einspruchsverfahren überlassen bleibt. 48) Die Verletzung der Anhörungspflichtkann ein Amtshaftungsfall sein, 49) wird aber i.d.R. folgenlos bleiben,wenn die Anhörung nachgeholt wurde (§ 126 Abs. 2 AO). 50)45)46)47)48)49)50)BGH 06.02.1975 – III ZR 149/72, NJW 1975, 972; OLG München 12.07.1979 - 1 U 3965/78, BB1979, 1335; OLG Frankfurt 30.10.1980 – 1 U 130/79, BB 1981, 228; LG Kiel 22.06.1994 - 12 O131/94, Stbg 1998, 171; OLG Koblenz 17.07.2002 – 1 U 1588/01, OLGR 2002, 383. Ferner:Lange DB 2003, 360, 362Nicht überzeugend LG Bochum 03.03.1993 - 6 O 615/92, StB 1994, 26, das in Anbetracht <strong>des</strong>sensogar die Möglichkeit <strong>des</strong> Amtshaftungsanspruches verneint. Im Ergebnis würde daher amtspflichtwidrigesVerhalten der Finanzverwaltung insoweit ohne Folgen bleiben. Eine solche Prämierungrechtswidrigen Verhaltens ergibt sich aus keiner gesetzlichen Regelung und würde auchgegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO schließt Amtshaftungsansprüchefür Rechtsverfolgungskosten <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens ohne nachfolgenden Steuerprozess nichtaus, sondern gibt einen gesetzlichen Anspruch für den Fall eines geführten Steuerprozesses. Dafür,dass auch für den Fall eines geführten Steuerprozesses Art. 34 GG, § 839 BGB neben demgesetzlichen Anspruch <strong>des</strong> § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO besteht, LG Hannover 24.01.1991 - 19 O414/90, DStR 1992, 234; LG Wuppertal 01.04.1992 - 3 O 380/91, StB 1992, 421LG Nürnberg-Fürth 30.10.2008 – 4 O 6567/08, DStRE 2009, 42Marx/Simon DB 2013, 477, 479OLG München 28.09.1995 – 1 U 2954/95, NJW 1996, 1971, 1972Marx/Simon DB 2013, 477, 480


- 26 - 264950Die Verletzung der Pflicht zum Erlass rechtmäßiger Bescheide begründet eineAmtspflichtverletzung. 51) Unrichtige Rechtsanwendung durch das Finanzamt istfolglich jedenfalls dann eine Amtspflichtverletzung, wenn die zu beurteilendeRechtsfrage durch eine - nicht unbedingt ständige - höchstrichterliche Rechtsprechunggeklärt ist. 52) Dabei kann sich das Finanzamt nicht darauf berufen, von einerdem Steuerpflichtigen neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH keine Kenntnis gehabtzu haben, da jeder Beamte sich die erforderlichen Rechts- und Verwaltungskenntnisseverschaffen muß, sofern er nicht darüber verfügt. 53) Geschieht diesnicht, so wird im Amtshaftungsprozess gegen das beklagte Land dieses sich einOrganisationsverschulden vorhalten lassen müssen. 54) Dieser strenge Maßstab derZivilrechtsprechung gilt <strong>des</strong>halb, weil das Finanzamt ja mit Steuerbescheidensich selbst vollstreckbare Titel schaffen kann. 55)In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass Finanzämter ihrer Amtsermittlungspflicht(§ 88 AO) nicht oder nicht ausreichend entsprechen und zunächsteinmal einen belastenden Steuerbescheid erlassen, um dann entweder erst im Einspruchsverfahrenzu ermitteln oder die einmal eingenommene Position einfach zuverteidigen, frei nach dem Motto, solle doch der Steuerpflichtige sich bemühen,das Finanzamt zu überzeugen, selbst wenn die Feststellungslast beim Finanzamtliegt. Solche Fälle können die Amtspflichtverletzung in sich tragen, 56) so dass essich lohnt, als anwaltlicher Berater zumin<strong>des</strong>t im Hinblick auf die Rechtsverfolgungskosten<strong>des</strong> Steuerpflichtigen betreffend das Einspruchsverfahren zu prüfen,ob solche Kosten sich im Wege der Amtshaftung durchsetzen lassen. 57) Und weildie Richter <strong>des</strong> u.U. später damit befassten FG, die in der Regel allesamt ehemaligeFinanzbeamte waren, insoweit dies sehen und dieserhalb nicht unbefangensind, ist mit eine Erklärung, warum in vielen Fällen nicht etwa dem Mißbrauchvon Finanzämtern Einhalt geboten wird, belastende Steuerbescheide ohne vorherigeausreichende Ermittlung (§ 88 AO) zu erlassen, sondern oftmals die Amtsermittlungerst durch das FG durchgeführt wird und im Zweifel das Finanzamt bestätigtwird. Dabei wird aber verkannt, dass das Bestätigen der rechtlichen Beurteilung<strong>des</strong> Finanzamtes durch das FG oder gar den BFH, wenn vor Erlass <strong>des</strong> be-51)52)53)54)55)56)57)BGH 04.06.1987 – III ZR 147/86, BGHR BGB § 839 Abs. 1 S 1 Verschulden 5 (zur Frage derAmtspflichtverletzung eines Finanzbeamten beim Erlass einer Einspruchsentscheidung); BGH30.06.1988 – III ZR 135/87, n.V. (zu den Amtspflichten eines steuerlichen Betriebsprüfers und<strong>des</strong> Steuerfahndungsprüfers bei der Erstellung eines Prüfungsberichtes); OLG Zweibrücken12.11.1998 – 6 U 15/97, OLGR 1999, 175 (zur Amtspflichtverletzung bei Mitteilung einer demSteuergeheimnis unterliegenden Tatsache durch einen Finanzbeamten an <strong>Dr</strong>itte); OLG Frankfurt29.04.2002 – 1 U 42/00, NVwZ-RR 2002, 814 (zur Amtspflichtverletzung durch rechtswidrigesBetreiben der Zwangsvollstreckung); Lange DB 2003, 360; Nissen BB 1995, 649; <strong>Wagner</strong> Stbg.1993, 324BGH 19.12.1991 – III ZR 09/91, NJW-RR 1992, 919; Lange DB 2003, 360, 361; Palandt/Thomas,BGB, 62. Aufl. 2003, § 839 Rdn. 53; Marx/Simon DB 2013, 477, 481BGH 24.11.1988 – III ZR 86/88, NvWZ 1989, 287OLG Koblenz 17.07.2002 – 1 U 1588/01, OLGR 2002, 383; Lange DB 2003, 360, 361Lange DB 2003, 360, 361Marx/Simon DB 2013, 477, 478Kilian/Schwerdtfeger DStR 2006, 1773 m.w.N.


- 27 - 27515253lastenden Steuerbeschei<strong>des</strong> der Amtsermittlungspflicht nicht entsprochen wordenwar bzw. die Rechtsauffassung <strong>des</strong> Finanzamtes seinerzeit nicht durch höchstrichterlicheRechtsprechung gesichert war und quasi per Verdacht ein belastenderBescheid erlassen wurde, an einer zur Amtshaftung führenden Amtspflichtverletzungnichts ändert. 58)Dies mag mit eine Erklärung dafür sein, warum bei fehlerhaften SteuerbescheidenEinspruchsverfahren teilweise unendlich lange dauern und Steuerprozesse seitensder Finanzgerichte auch nicht gerade beschleunigt werden, weil man anscheinenddarauf baut, dass die Motivation <strong>des</strong> Steuerpflichtigen nicht mehr so groß seinwird, nach einer Dauer von 7 - 8 Jahren und mehr für Einspruchs- und Klageverfahrendann noch einen Amtshaftungsprozess auf Erstattung von Rechtsverfolgungskostenfür das Einspruchsverfahren zu führen.- Werden von einer Partei gegen den eigenen Berater zivilrechtlich Schadensersatzansprüchewegen vermeintlicher fehlerhafter steuerlicher Beratung geltend gemacht,59) so setzt dies einen Schaden voraus. Dafür reicht nicht, darauf zu verweisen,es seien entgegen der durchgeführten Beratung unerwartet belastende Steuerbescheideergangen.Zwar ist der Steuerpflichtige nicht generell verpflichtet, zunächst einen Steuerprozesszu führen, um durch ein ihn belasten<strong>des</strong> negatives Urteil seinen Schadenzu dokumentieren. 60) Anders ist dies aber dann, wenn z.B. ein Steuerprozess beiungeklärten Rechtsfragen zum Erfolg führen könnte und dadurch ein Schadenvermieden werden könnte oder ein Steuerprozess zwar nicht zur Schadensbeseitigungwohl aber zur Schadensminderung führen könnte. In solchen Fällen ist dasvorherige Führen von Steuerprozessen geboten, möchte der Steuerpflichtige imzivilrechtlichen Regressprozess nicht riskieren, den Nachweis eines Fehlverhaltensnicht führen zu können oder bezüglich <strong>des</strong> geltend gemachten Schadens§ 254 BGB entgegengehalten zu bekommen.54c) Anlässlich eines (drohenden) SteuerstrafverfahrensNach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 61) setzt steuerstrafrechtlich die Verkürzung vonSteuereinnahmen 62) eine Steuerschuld voraus. Ob eine solche Steuerschuld vorliegt,bestimme sich nach den Vorschriften <strong>des</strong> materiellen Steuerrechts. Zwar sind Strafrichterim Steuerstrafverfahren von jeder Bindung an im Besteuerungsverfahren ergangeneEntscheidungen von Finanzgerichten oder <strong>des</strong> BFH frei 63) wie auch umgekehrtwährend eines laufenden Steuerstrafverfahrens das Finanzamt zur Steuerfestset-58)59)60)61)62)63)BGH 22.03.1979 – III ZR 22/78, VersR 1979, 574; Lange DB 2003, 360, 361Zur Vertragspflicht eines steuerlichen Beraters, den Schaden einer GmbH infolge verdeckter Gewinnausschüttungzu ersetzen, die durch Zuwendung von Geschäftsführergehalt an den Alleingesellschafterentstanden ist: BGH 18.12.1997 - IX ZR 153/96, DStRE 1998, 334BGH 18.12.1997 – IX ZR 153/96, NJW 1998, 1486, 1488BVerfG 08.05.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201, 207 f.Zur Rechtsprechung <strong>des</strong> BGH zum Steuerstrafrecht – 2002/2003 siehe Harms/Jäger NStZ 2003,189Gast-de Haan in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 Rdn. 3, 5, 21; Kohlmann, Steuerstrafrecht,Lfg. 29 12/2001, § 396 AO Rdn. 11


- 28 - 2855zung befugt ist 64) und Finanzgerichte an Beurteilungen von Strafgerichte nicht gebundensiind. 65) Aber gemäß § 396 AO können 66) sowohl das Ermittlungsverfahren wieauch der steuerstrafrechtliche Prozess ausgesetzt werden, wenn ein Besteuerungsverfahrenanhängig ist und von diesem abhängig ist, ob Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigteSteuervorteile erlangt worden sind. 67) Zwar wird in der Praxis davon wenigGebrauch gemacht - Gast-de Haan 68) und Thomas 69) sprechen gar von einer „Rarität“-, aber in Einzelfällen kann eine solche Aussetzung geboten sein, sich folglicheine Ermessensreduzierung auf null ergeben. 70) Wenngleich folglich ein drohen<strong>des</strong>oder laufen<strong>des</strong> Steuerstrafverfahren mittels eines Steuerprozesses nicht zwingend beeinflußtwerden kann, empfiehlt es sich, gerade im Falle eines laufenden oder drohendenSteuerstrafverfahrens 71) nicht auf die Möglichkeit eines Steuerprozesses zu verzichten.Zum einen <strong>des</strong>halb, um sich die Möglichkeit der Aussetzung <strong>des</strong> Steuerstrafverfahrenszumin<strong>des</strong>t offen zu halten. Zum anderen aber <strong>des</strong>halb, weil es durchaus vorkommt,dass die vom Strafgericht ermittelte hinterzogene Steuer und die vom Finanzgerichtfestgestellte zu zahlende Steuer nicht identisch sein müssen und ganz erheblich divergierenkönnen. So kann es durchaus gerade für den Fall einer verweigerten Aussetzunggem. § 396 AO ein denkbares Ziel sein, wenigstens mittels <strong>des</strong> Steuerprozessesbei der Finanzgerichtsbarkeit zu einer geringeren Steuerbelastung zu kommen, als dieim Steuerstrafverfahren zur Grundlage einer Bestrafung gemachte hinterzogene Steuer.Ähnliche Überlegungen gelten für das Verhältnis eines Haftungsverfahrens zu einemSteuerstrafverfahren. 72)64)65)66)67)68)69)70)71)72)BFH 07.12.1999 - IV B 146/99, BFH/NV 2000, 413; BFH 19.09.2001 – XI B 06/01, HFR 2002,179, 180BFH 15.11.2006 – XI B 19/06, BFH/NV 2007, 400, 401; BFH 17.03.2010 – X B 120/09,BFH/NV 2010, 1240; BFH 24.05.2013 – VII B 167/12, BFH/NV 2013, 1588 Rdn. 12Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit einer steuerstrafrechtlichen Vorfragenkompetenzund freien Ermessensausübung bei § 396 AO BVerfG 15.10.1990 - 2 BvR 385/87, NJW 1992, 35,36; so auch Kohlmann, Steuerstrafrecht, Lfg. 27.11.1999, § 396 AO Rdn. 10, 15. Nach Meinung<strong>des</strong> BFH 17.12.1992 – VIII B 88 und 89/92, DStZ 1993, 506 sollte das Strafgericht jedenfallsdann nach § 396 AO aussetzen, wenn sich schwierige steuerrechtliche Fragen stellen; a. A. Kohlmann,Steuerstrafrecht, Lfg. 27.11.1999, § 396 AO Rdn. 45.2Ist eine Aussetzung gem. § 396 AO erfolgt, kommt eine Aussetzung eines finanzgerichtlichenVerfahrens gem. § 74 FGO allerdings nicht in Betracht: BFH 26.02.1991 - VII R 77-78/87,BFH/NV 1992, 87; BFH 16.03.1993 - X B 204/92, n. V.. Ist dagegen im Steuerstrafverfahrenkeine Aussetzung erfolgt, kann der Steuerprozess gem. § 74 FGO ausgesetzt werden: BVerfG15.10.1990 - 2 BvR 385/87, NJW 1992, 35 f. u.H.a. Groh NJW 1985, 993, 997Gast-de Haan in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 Rdn. 5 und 20Thomas NJW 1991, 2333, 2335Gast-de Haan in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 Rdn. 20Bereits während einer Außenprüfung kann es parallel zu einer Steuerfahndungsprüfung kommen:BFH 17.01.2002 – V B 88/01, BFH/NV 2002, 748Schwedhelm DStR 2006, 1017, 1021


- 29 - 2956Immerhin gilt es zu bedenken, dass ein eingeleitetes Steuerstrafverfahren den Steuerpflichtigennicht davon entbindet, seinen Mitwirkungspflichten im Steuerverfahrennachzukommen (§ 90 AO), 73) andernfalls das FA die Besteuerungsgrundlagen gem.§ 162 AO schätzen kann. 74) Im übrigen kann in einem Steuerverfahren zudem dargelegtwerden, aufgrund welcher materiellrechtlicher steuerrechtlicher Vorschriftenman steuerlichen Erklärungspflichten genügt hat, was auch für die Ausfüllung derBlankettvorschrift <strong>des</strong> § 370 Abs. 1 AO Bedeutung hat. 75) Und da bei einem eingeleitetenSteuerstrafverfahren auch der Steuerberater <strong>des</strong> Steuerpflichtigen strafrechtlichenRisiken ausgesetzt ist, 76) kann es im Interesse <strong>des</strong> Steuerpflichtigen und <strong>des</strong>sen Steuerberatersliegen, durch ein quasi parallel laufen<strong>des</strong> finanzgerichtliches Verfahren dieeigene Sicht der Dinge unabhängig von der Voreingenommenheit mancher – in Steuersachennicht unbedingt sachkundigen – Staatsanwälten vortragen zu können. Wirdumgekehrt ein Strafverfahren gem. § 153a StGB eingestellt, dann kann daraus nichteinfach die Schlussfolgerung abgeleitet werden, der Beschuldigte habe die ihm zurLast gelegte Tat verübt. 77)5758d) Grundsatzfragenaa)Allgemeine ErwägungenAnlaß für die Planung eines Steuerprozesses können auch zu klärende Grundsatzfragensein. Damit sind zunächst einmal Fragen gemeint, die für den Steuerpflichtigenselbst von grundsätzlicher Bedeutung sind, weil sie entweder existentielle Auswirkungenhaben können oder sich auf einen längeren zurückliegenden Zeitraum erstreckenund man insoweit gestalterisch nicht mehr gegensteuern kann etc.. Solche für denSteuerpflichtigen selbst grundsätzliche Fragen können aber darüber hinaus zugleichauch für einen großen Kreis vergleichbarer Fälle <strong>Dr</strong>itter ebenfalls grundsätzliche Bedeutunghaben.Das Zusammentreffen der individuellen und allgemeinen grundsätzlichen Bedeutungist dann die Grundlage für die Frage, ob ein Steuerprozess geplant werden soll. Diesegrundsätzliche Bedeutung legt es zwar rechtlich nahe, einen Steuerprozess zu planen,ob man aber auch tatsächlich diesen Weg in Erwägung ziehen soll, bedarf einer zusätzlichengesonderten individuellen Überlegung. Denn alleine der beschriebene Umstandder Grundsätzlichkeit sagt ja noch nichts über die Erfolgsaussicht eines solchenzu führenden Steuerprozesses aus.73)74)75)76)77)BFH 19.09.2001 – XI B 06/01, HFR 2002, 179, 180 (die Einleitung eines Steuerstrafverfahrenshindert das Finanzamt nicht an der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen); BFH 23.01.2002 –XI R 10, 11/01, BStBl. II 2002, 328; BFH 13.01.2006 – VIII B 07/04, BFH/NV 2006, 914BFH 13.01.2006 – VIII B 07/04, BFH/NV 2006, 914Harms NStZ-RR 1998, 97; Harms/Jäger NStZ 2003, 189, 190Schwedhelm DStR 2006, 1017BFH 29.06.2006 – VIII B 186/05, BFH/NV 2006, 1866


- 30 - 30596061626364656667Abgesehen von den allgemeinen, oben schon dargestellten, Gründen, ob ein Steuerprozessüberhaupt in Erwägung gezogen werden soll, wenn man mit dem Finanzamtzu keinem akzeptablen einvernehmlichen Ergebnis kommt, kommt hier eine sehr sorgfältigzu führende Analyse in folgenden Punkten hinzu:- Welche Sachverhalte hat die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH und der FG´s bisher entschiedenund welche nicht bzw. offen gehalten? Wie unterscheidet sich der hierden Steuerpflichtigen betreffende Sachverhalt von diesen?- Wie stellt sich die Finanzverwaltung in Richtlinien, Erlassen und Schreibendazu? Dabei gilt es zu bedenken, daß Finanzgerichte daran nicht gebunden sind,sehr wohl aber Verwaltungserlasse dann zu berücksichtigen haben, die aus Gründen<strong>des</strong> Vertrauensschutzes eine Heranführung der Verwaltungspraxis an eineverschärfende oder geänderte Rechtsprechung erleichtern helfen sollen, sofernsolche Erlasse dem in Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Grundsatz der Gesetzmäßigkeitder Verwaltung entsprechen. 78)- Welche Meinungen werden hierzu von wem im Fachschrifttum vertreten,getrennt nach Autoren aus der Richterschaft <strong>des</strong> BFH oder von FG´s, der Finanzverwaltung,der Wissenschaft und der Beraterschaft, in dieser Reihenfolge?- Welche Sachverhalte - und hierbei ist auch auf Nuancen zu achten - werden dabeiangesprochen und welche nicht und wie ist der hier zu beurteilende Sachverhalteinzuordnen?- Gibt es in der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH und im Fachschrifttum hierzu sowie inder Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG sowie im verfassungsrechtlichen Schrifttumhierzu oder zu ähnlichen Konstellationen bereits Aussagen?- Werden auf Fachveranstaltungen diese oder vergleichbare Fragen diskutiert undwelche Referenten aus der Richterschaft, Finanzverwaltung, Wissenschaft undder Beraterschaft vertreten hierzu mit welchen Gründen welche Meinungen?- Sind gesetzgeberische Initiativen - für welchen Zeitraum und für welche Sachverhaltskonstellationen- angedacht?Eine dies alles berücksichtigende Analyse ergibt einen Überblick über den Stand unddie Perspektiven der Rechtsentwicklung, was für die Entscheidungsfindung unbedingtberücksichtigt werden sollte. Und da solches Zeit in Anspruch nimmt, wird verständlich,warum man damit nicht erst nach einer negativen Einspruchsentscheidung beginnenkann. Vielmehr sollte solches bereits während <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens durchgeführtwerden und in das Einspruchsverfahren eingebracht werden, wenn man es nichtschon anläßlich einer Außenprüfung für die Schlußbesprechung aufgearbeitet hat, umdamit den Versuch zu unternehmen, bei Meidung eines Steuerprozesses mit dem Finanzamtvielleicht doch noch zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen. Scheitertdies, weil z.B. das Finanzamt an Verwaltungserlasse gebunden ist, hat man damitfür die Meinungsbildung, ob man einen Steuerprozess aus grundsätzlichen Erwägungenführen sollte, jedenfalls für sich selbst umfassende Transparenz geschaffen, die78)BFH 01.10.2003 – X B 75/02, BFH/NV 2004, 44, 45. Zu Verwaltungserlassen und dem Grundsatzder Gesetzmäßigkeit der Verwaltung siehe <strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 62 ff. m.w.N.


- 31 - 31man für den Fall der Prozessführung entsprechend in den Steuerprozess einführenkann.686970717273bb)Verfassungs- und europarechtliche FragenGrundsatzfragen können aber auch aus folgenden Gründen Anlaß für eine Prüfungsein. Ergeht ein belastender Steuerbescheid und sind verfassungsrechtliche oder europarechtlicheFragen von Bedeutung, so ist es gleichwohl zulässig, gegen einen solchenBescheid Einspruch einzulegen. 79) Aber es gilt folgen<strong>des</strong> zu beachten:- Geht es im Einspruchsverfahren darum, dass Grundlage <strong>des</strong> belastenden Steuerbeschei<strong>des</strong>eine Rechtsprechung eines FG oder <strong>des</strong> BFH ist, die gegen Verfassungsrechtoder Europarecht verstoßen könnte, hat man sich im Einspruchsverfahrendarauf berufen und ist <strong>des</strong>halb in einem gleichgelagerten Fall ein Musterprozessbeim BFH, BVerfG oder EuGH anhängig, dann ist dies kein Fall <strong>des</strong>§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, denn dort ist nur von der Vereinbarkeit eines Steuergesetzesmit höherrangigem Recht die Rede. Dann ruht das Einspruchsverfahrengemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 AO automatisch. Man kommt mithinnicht bis zum FG und kann die Dauer <strong>des</strong> Verfahrens nur über AdV überbrücken.Je nach Ausgang <strong>des</strong> Musterverfahrens ist dann im ruhenden Einspruchsverfahrennach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu verfahren.- Geht es dagegen im Einspruchsverfahren darum, dass Grundlage <strong>des</strong> belastendenSteuerbeschei<strong>des</strong> dasselbe Steuergesetz ist, das gegen Verfassungsrecht oder Europarechtverstoßen könnte und ist <strong>des</strong>halb dazu in einem gleichgelagerten Fallein Musterprozess beim BFH, BVerfG oder EuGH anhängig, dann ist dies einFall <strong>des</strong> § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, 80) denn dort ist von der Vereinbarkeit einesSteuergesetzes mit höherrangigem Recht die Rede. Im Hinblick auf § 363Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AO ruht dann das Einspruchsverfahren nicht, es sei denn,man hat sich mit dem Finanzamt auf ein Ruhen verständigt (§ 363 Abs. 2 Satz 1AO) oder es liegt ein Fall <strong>des</strong> § 363 Abs. 2 Satz 3 AO vor.- Aufgrund <strong>des</strong> Anwendungsvorrangs <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts habenFinanzämter und Finanzgerichte incl. dem BFH von Amts wegen zu prüfen undzu bewirken, daß dem nationalen Recht entgegenstehen<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtgegen nationales Recht durchgesetzt wird. Und in diesem Zusammenhang habenFinanzämter und Finanzgerichte bzw. der BFH von Amts wegen zu prüfen, obdas zur Anwendung kommende Gemeinschaftsrecht den Grundrechten derEMRK und Grundrechte-Charta entsprechen (Art. 6 Abs. 1 EUV). 81)79)80)81)BFH 22.03.1996 - III B 173/95, BStBl. II 1996, 506Gem. BFH 02.07.2008 – X B 39/08, BFH/NV 2008, 1645 bezieht sich der Vorläufigkeitsvermerk<strong>des</strong> § 165 AO nur auf mögliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Bezug genommenengesetzlichen Regelung, nicht jedoch auf andere Fragen der Anwendung bzw. Auslegung <strong>des</strong> einfachenGesetzesrechts.EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Fransson), EuZW 2013, 302 Rdn. 17; Weiß EuZW 2013, 287,289 - Nach Weiß EuZW 2013, 287, 288 ist dies die erste Entscheidung <strong>des</strong> EuGH, wonach fürdie Geltung der Grundrechte-Charta über deren Wortlaut in Art. 51 Abs. 1 gilt: „Die Anwendbarkeit<strong>des</strong> Unionsrechtsumfaßt die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte.“


- 35 - 35878889der Verfassungswidrigkeit beantworten und die Finanzgerichtsbarkeit binden (§ 31Abs. 1 BVerfGG). 93)Folglich kommt es darauf an, ob wegen der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes,worauf man sich für den Fall der Klageerhebung zum FG berufen würde, für einenvergleichbaren Fall ein Musterprozess vor dem BFH oder dem BVerfG anhängigist. Im ersteren Fall wäre die Zulässigkeit der Klageerhebung zum FG allenfalls unsicher,im letzteren Fall dagegen nicht gegeben.Ist dagegen für einen vergleichbaren Fall wegen der Europarechtswidrigkeit eines nationalenSteuergesetzes ein Musterrechtsstreit vor dem EuGH anhängig, so dürfte darandie Zulässigkeit der Klage zum FG nicht scheitern. Denn der EuGH entscheidetnur über die ihm vorgelegte Frage zum europäischen Recht, um damit dem nationalenGericht - das muß nicht nur der BFH sein, sondern kann je<strong>des</strong> FG sein - bei der Auslegungeines nationalen Steuergesetzes eine europarechtliche Auslegungshilfe zu geben.Daraus folgt, dass die Entscheidung <strong>des</strong> EuGH keine dem § 31 Abs. 1 BVerfGGvergleichbare Bindungswirkung hat, wie das vorlegende Gericht vor diesem Hintergrunddas nationale Steuergesetz auslegen wird bzw. den Rechtsstreit entscheidenwird.Hinzu kommt, dass das vom Steuerpflichtigen aufgrund negativer Einspruchsentscheidungangegangene FG auch an die Vorlagegründe <strong>des</strong> vorlegenden Gerichts ausdem Musterprozess nicht gebunden ist und aufgrund Art. 234 Abs. 2 EG, Art. 101Abs. 1 Satz 2 GG dem EuGH aus gänzlich anderen Gründen vorlegen kann. Da derEuGH seinerseits an die Vorlagegründe <strong>des</strong> vorlegenden Gerichts gebunden ist, kannseine Entscheidung auf unterschiedliche Vorlagegründe vorlegender Gerichte auch zuunterschiedlichen Aspekten unterschiedliche Anworten geben.90(3.) Europarechtswidrige VerwaltungsakteIst ein Verwaltungsakt aufgrund einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung bestandskräftiggeworden und ergeht im Anschluss daran in einer anderen Rechtssache eineEntscheidung <strong>des</strong> EuGH, aus der sich ergibt, daß daß der Verwaltungsakt auf einerunrichtigen Auslegung/Anwendung <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrecht beruht, dann kann derBetroffene die Korrektur <strong>des</strong> bestandskräftigen Verwaltungsaktes verlangen. Dafür istnicht erforderlich, daß der Betroffene sich zuvor im Gerichtsverfahren bereits auf EU-93)Die Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG legt der BFH 11.08.1999 – XI R 77/97,BStBl. II 1999, 771, 773 wie folgt aus: „Entscheidung i.S. <strong>des</strong> § 31 Abs. 1 BVerfGG ist die konkreteEntscheidung <strong>des</strong> BVerfG, d.h. die Entscheidung über den Streitgegenstand. Die Bindungswirkungsichert über die Rechtskraft hinaus die Befolgung der konkreten Entscheidung und ihreBeachtung durch die Hoheitsträger. Sie umfaßt nicht nur den Tenor der Entscheidung, sondernauch die ihn tragenden Entscheidungsgründe (BVerfG-Urteil in BVerfGE 20, 56, 87; BVerfG-Beschlüsse vom 20. Januar 1966 1 BvR 140/62, BVerfGE 19, 377, 391 ff.; vom 10. Juni 1975 2BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, 93). Die Bindung an diese kann sich aber nur auf den Streitgegenstandbeziehen, über den das BVerfG entschieden hat (BVerfG-Beschluß vom 6. November1968 1 BvR 727/65, BVerfGE 24, 289, 297). Das ergibt sich auch aus dem Zweck <strong>des</strong> § 31 Abs.1 BVerfGG, materiell abweichende Entscheidungen über künftige gleichgelagerte Fälle zu verhindern(vgl. Rennert in Mitarbeiterkommentar zum BVerfGG, 1992, § 31 Rdnr. 59 ff.). WelcheFälle als Folge- oder Parallelfälle vergleichbar sind, läßt sich nur anhand <strong>des</strong> Streitgegenstandsder Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG bestimmen.“


- 36 - 3691Gemeinschaftsrecht berufen hatte. 94) Denn der Grundsatz <strong>iur</strong>a novit curia gilt auch fürdas Gemeinschaftsrecht, so daß die Gerichte <strong>des</strong> zuvor stattgefunden Gerichtsverfahrensvon Amts wegen verpflichtet waren, Gemeinschaftsrecht zu beachten, anzuwendenund ggf. gegen nationales Rechts durchzusetzen. 95) Seitens <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtswird für ein solches Verfahren keine zeitliche Begrenzung vorgegeben.Mitgliedstaaten können jedoch im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzender Effektivität und Äquivalenz angemessene Rechtsbehelfsfristen festlegen. 96)Dies hängt damit zusammen, daß Vorabentscheidungen <strong>des</strong> EuGH nicht konstitutiversondern nur deklaratorischer Natur sind. Folglich müssen Finanzämter Auslegungen<strong>des</strong> EuGH auch auf Rechtsbeziehungen anwenden, die vor dem Erlass einer Vorabentscheidung<strong>des</strong> EuGH entstanden sind. Und folglich sind Finanzämter verpflichtet,unter den unten beschriebenen Voraussetzungen auch auch durch Urteil bestandskräftiggewordene Steuerbescheide dann zu ändern, wenn das letztinstanzliche Urteil <strong>des</strong>FG/BFH auf einer unrichtigen Auslegung/Anwendung <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechtsberuhte, ohne daß eine Vorlage gem. Art. 234 EG (jetzt Art. 267 AEUV) erfolgt war,obwohl die Voraussetzungen dazu gegeben waren.929394cc)NichtanwendungserlasseBei einem Nichtanwendungserlass handelt es sich um eine Weisung <strong>des</strong> BMF i.S.d.Art. 108 Abs. 3 GG i.V.m. 85 Abs. 3 GG. 97)Anlaß für einen Steuerprozess kann aber auch sein, dass das Verhalten oder die Vertragsgestaltungeines Steuerpflichtigen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH steht, das Finanzamt ihn aber gleichwohl mit einem oder mehreren belastendenVerwaltungsakten versieht, weil es sich durch einen sogenannten "Nichtanwendungserlass“der Finanzverwaltung 98) nicht an besagte BFH-Rechtsprechung gebundenfühlt. 99)Ähnlich ist die Situation, wenn das Finanzamt in Abweichung von einer demSteuerpflichtigen günstigen Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH belastende Verwaltungsakteerläßt, weil besagte BFH-Urteile nicht im Bun<strong>des</strong>steuerblatt (BStBl. II) veröffentlicht94)95)96)97)98)99)EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), Beilage zu BFH/NV 4/2008, 89Streinz EWS 2008, Heft 3 „Die erste Seite“EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), Beilage zu BFH/NV 4/2008, 89; EuGH06.10.2009 – Rs. C-40/08 (Asturcom), EWS 20009, 476 Rdn. 41BVerfG 22.05.1990 – 2 BvR 01/88, BVerfGE 81, 310, 335; Wieland DStR 2004, 1, 5Beispiele für Nichtanwendungserlasse siehe bei Wieland DStR 2004, 1 f.; Wohltorf DStR 2003,441, 442 f.Kritisch zu dieser Praxis der sehr lesenswerte Beitrag von Lange NJW 2002, 3657 und WielandDStR 2004, 1. Ferner Neyer DStR 1996, 1476 Meyer DB 1983, 1118; Pezzer DStR 2004, 525,528 f.; Schiffer DStR 2002, 1206 Schwedhelm/Binnewies DB 2001, 503; Wohltorf DStR 2003,441.Pezzer DStR 2004, 525, 529 verweist darauf, daß alleine in den Jahren 1998 – 2003 42 solcherNichtanwendungserlasse ergangen seien.


- 37 - 379596worden sind und <strong>des</strong>halb als nicht existent betrachtet werden. 100) Lange 101) verweistdarauf, dass in den Fällen, in denen ein Finanzamt der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH nichtfolgen möchte - sei es aus Gründen eines Nichtanwendungserlasses oder weil besagteBFH-Entscheidung, die in der amtlichen Sammlung <strong>des</strong> BFH bereits veröffentlichtwurde, im BStBl. II noch nicht veröffentlicht wurde -, im belastenden Steuerbescheiddarauf hinweisen und für die Abweichung überzeugende Gründe dartun müsse, 102)andernfalls der Begründungspflicht <strong>des</strong> § 121 AO nicht genügt sei. Fehlt folglich einesolche Begründung, so kann man mit der Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes„arbeiten.“ 103) Ferner verweist Pezzer 104) darauf, aus Art. 19 Abs. 4 GGfolge, im belastenden Steuerbescheid darauf hinzuweisen, daß es ein den Steuerfallbetreffen<strong>des</strong> BFH-Urteil gebe, das jedoch mit einem Nichtanwendungserlass belegtsei. Geschehe dies nicht, sei der Steuerbescheid schon aus diesem Grunde anfechtbar.Entscheidet man sich <strong>des</strong>halb für einen zu führenden Steuerprozess, weil der Steuerpflichtigeaus vorgenannten Gründen belastet wird, während bei Zugrundelegung derBFH-Rechtsprechung bei vergleichbarem Sachverhalt ein für ihn günstigeres Ergebniszu erwarten wäre, dann hat das Finanzamt in einem solchen Steuerprozess die „Argumentationslast“dafür, warum das FG der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH nicht folgen sollte.Denn BFH-Rechtsprechung einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen ist rechtswidrig. 105)Folglich hat in solchen Fällen das Finanzamt sich inhaltlich mit der BFH-Rechtsprechung,der es nicht folgen möchte, auseinander zu setzen und neue Argumente zumGesetzeswortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck einer Norm, denAuswirkungen der negierten Entscheidung sowie sonstige rechtliche Erwägungenvorzutragen, die in der BFH-Rechtsprechung nicht bereits berücksichtigt worden sind.Der Hinweis auf rein fiskalische Argumente reicht nicht. 106)Dies muß man allerdings vor dem Hintergrund würdigen, daß die Frage derrechtlichen Berechtigung von Nichtanwendungserlassen derzeit streitig ist. 107) Ernst zunehmen ist das Argument, höchstrichterliche Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH könne zurRechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) führen. Folglich obliege es <strong>des</strong>halbder Begründungslast der Finanzverwaltung, wenn sie per Nichtanwendungserlass davonabweichen wolle. Fehle es an einer sachlichen Rechtfertigung für einen Nichtanwendungserlass,dann sei dieser wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig.Folglich – so Pezzer - hänge die Rechtmäßigkeit eines Nichtanwendungserlassesvon der rechtlichen Dignität <strong>des</strong> Urteils ab, von dem abgewichen werdensolle. 108)100)101)102)103)104)105)106)107)108)Lange NJW 2002, 3657, 3658; Wohltorf DStR 2003, 441Lange NJW 2002, 3657, 3659. So auch Wieland DStR 2004, 1, 5So auch Pezzer DStR 2004, 525, 531Pezzer DStR 2004, 525, 531Pezzer DStR 2004, 525, 531 m.w.N.Lange NJW 2002, 3657, 3658. Gegen eine Amtshaftung Wieland DStR 2004, 1, 5Lange NJW 2002, 3657, 3658 f.; a. A. Wieland DStR 2004, 1, 5Nachweise bei Pezzer DStR 2004, 525, 529 FN 32 - 35Pezzer DStR 2004, 525, 530


- 38 - 389798Folgt aus vorgenannten Gründen ein Finanzamt ganz bewußt der BFH - Rechtsprechungnicht, so sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> entsprechendenBeschei<strong>des</strong> angezeigt, so dass dieserhalb das Finanzamt von Amts wegen AdV gewährenmuß 109) bzw. jedenfalls AdV (§ 361 Abs. 2 AO / § 69 Abs. 2 FGO) begehrt werdenkann. 110)Sollte ein Nichtanwendungserlass gegen eine europäische Richtlinie 111) oder eine Entscheidung<strong>des</strong> EuGH in Steuersachen vorliegen, so ist seitens <strong>des</strong> Steueranwaltes <strong>des</strong>Betroffenen folgen<strong>des</strong> zu berücksichtigen: Mitgliedstaaten der EG sind verpflichtet,mit allen Trägern öffentlicher Gewalt, wozu auch Finanzämter und die nationalenGerichte gehören, dafür zu sorgen, dass die mit einer Richtlinie verfolgten Ziele in denMitgliedstaaten erreicht werden. 112) Es geht also weniger um die Frage der Bindungswirkungvon Urteilen <strong>des</strong> EuGH, 113) sondern um die Durchsetzungspflicht europäischenRechts durch die Mitgliedstaaten. Folglich ist es nicht zulässig, seitens der Finanzverwaltungeinen Nichtanwendungserlass gegenüber Urteilen <strong>des</strong> EuGH in Steuersachenzu erlassen. 114) Da auch Finanzgerichte verpflichtet sind, dafür zu sorgen,europäisches Recht durchzusetzen, haben solche Nichtanwendungserlasse für Finanzgerichteunbeachtet zu bleiben. Hinzu kommt, dass wegen der zuvor angesprochenenDurchsetzungspflicht europäischen Rechts ein Nichtanwendungserlass gegen eineEuGH-Entscheidung eine Amtspflichtverletzung darstellt, die zum Schadensersatz inForm eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs führen kann.99dd)Nichtanwendung von im BStBl. nicht veröffentlichter BFH-RechtsprechungWeiterhin ist immer wieder festzustellen, daß Finanzämter Entscheidungen <strong>des</strong> BFHnicht anwenden, weil diese im BStBl. (noch) nicht veröffentlicht worden sind. Dies<strong>des</strong>halb, weil die Finanzverwaltung angewiesen ist, grundsätzlich nur solche Entscheidungen<strong>des</strong> BFH anzuwenden, die im BStBl. veröffentlicht worden sind, es seidenn, es handelt sich um Entscheidungen <strong>des</strong> BFH, die nicht im Widerspruch zu imBStBl. veröffentlichten Entscheidungen <strong>des</strong> BFH stehen. 115) Pezzer 116) weist darauf109)110)111)112)113)114)115)116)BFH 10.11.1994 - IV R 44/94, BStBl. II 1995, 814Lange NJW 2002, 3657, 3660; a. A. Wieland DStR 2004, 1, 5, der Nichtanwendungserlasse alsrechtmäßig einstuft, so dass eine Abweichung per Nichtanwendungserlass von BFH-Rechtsprechung keine Amtspflichtverletzung darstelle.Beispiel bei Wohltorf DStR 2003, 441, 442 u.H.a. BMF 19.11.2002 - .... DStR 2002, 2084 gegendie verbindliche Anwendung der Pro-rata-Regelung der 6. MwSt-RL und gegen BFH 17.08.2001– V R 01/01, BStBl. II 2002, 833EuGH 06.07.1995 – Rs. C-62/93 (BP Soupergaz), Slg. 1995, I-1883 Rdn. 35; EuGH 26.09.1996 –Rs. C-168/95 (Arcaro), Slg. 1996, I-4705 Rdn. 41); EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks &Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24, 27; <strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 62 ff.Damit befaßt sich eher Wohltorf DStR 2003, 441, 445Ähnlich Wohltorf DStR 2003, 441, 445Pezzer DStR 2004, 525, 531 u.H.a. auf das Vorwort <strong>des</strong> vom BMF amtlich herausgegebenenLohnsteuer-Handbuch 2003.Pezzer DStR 2004, 525, 532


- 39 - 39100101hin, daß von 1995 – 2001 auf diese Weise 170 BFH-Urteile „aus dem Verkehr gezogenworden“ seien. An Hand einer JURIS-Recherche habe er festgestellt, daß inBFHE 21.350 Entscheidungen veröffentlicht worden seien, davon jedoch nur 13.963im BStBl.. Lasse man die Entscheidungen <strong>des</strong> VII. Senates <strong>des</strong> BFH unberücksichtigt,da diese zu Zöllen und Verbrauchsteuern ergangenen Entscheidungen ohnehin imBStBl. nicht veröffentlicht würden, so verbliebe ein von der Finanzverwaltung imBStBl. nicht veröffentlichter Bestand von 1.349 Entscheidungen. Hinzu kämen Entscheidungen<strong>des</strong> BFH, die mit erheblicher Verzögerung, teilweise bis zu 7 Jahren, imBStBl. veröffentlicht würden.Pezzer 117) bezeichnet diese Praxis als rechtsstaatswidrig, weil die Balance im Systemder Gewaltenteilung und folglich das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG)verletzt werde. Denn für die Anweisung an Finanzämter, BFH-Rechtsprechung solange nicht zu beachten, wie sie im BStBl. nicht veröffentlicht worden sei, gebe eskeine Rechtfertigung. 118) Von einer solchen Praxis belastete Steuerpflichtige solltendaher mit ihrem steuerlichen Berater bzw. dem Steueranwalt prüfen, ob sie dieserhalbnicht die Rechtswidrigkeit solcher Bescheide angreifen und gezielt den Weg zur Finanzgerichtsbarkeitangehen.Immerhin gilt es zu bedenken, daß der Erlass rechtswidriger Verwaltungsakte zurAmtshaftung führen kann 119) und bereits in der Rechtsprechung entschieden ist, daßein Bun<strong>des</strong>land Beraterkosten übernehmen muß, wenn es von einer solchen PraxisGebrauch macht. 120)102ee)NichtanwendungsgesetzeEs handelt sich hierbei um Gesetze, deren Ziel es ist, einer unliebsamen Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH entgegenzuwirken. 121) Dies geschieht mitunter dann, wenn die Finanzverwaltungeiner wiederholten BFH-Rechtsprechung mit einem Nichtanwendungserlassnicht mehr Herr wird und <strong>des</strong>halb über den Weg der Gesetzgebung initiativwird. Man sucht dann die Rechtsprechung über die Gesetzesbindung <strong>des</strong> Art. 20Abs. 3 GG statt über einen Nichtanwendungserlass zu „stoppen“. Fraglich ist, ob bzw.unter welchen Voraussetzungen dies mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz <strong>des</strong> Art. 20Abs. 2 GG verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Pezzer 122) verweist ferner darauf,daß mitunter Nichtanwendungsgesetze erlassen werden, um staatlicherseits Steuermehreinnahmenanzustreben, man dabei eine angebliche Vereinfachung vorgibt, die inwirklichkeit jedoch Komplizierungen zur Folge hat, so daß sich die Frage <strong>des</strong> verfassungsrechtlicheGebots der Folgerichtigkeit der steuergesetzlichen Regelung stelle.Hinzu komme, daß die Finanzverwaltung einerseits bei Finanzgerichtprozessen Prozessparteisei und andererseits Gehilfe <strong>des</strong> Steuergesetzgebers, so daß man sagen kön-117)118)119)120)121)122)Pezzer DStR 2004, 525, 532Pezzer DStR 2004, 525, 532BGH 06.07.1995 – III ZR 145/94, HFR 1996, 156OLG Koblenz 17.07.2002 – 1 U 1588/01, NVwZ-RR 2003, 168; FG Hamburg 09.04.2003 – III86/03, DStRE 2003, 1069; Pezzer DStR 2004, 525, 532Pezzer DStR 2004, 525, 526 u.H. darauf, daß seit 1990 bis heute 60 solcher Gesetze erlassenwurden. Ferner Heuermann NZG 2009, 321Pezzer DStR 2004, 525, 528


- 40 - 40103104ne: „Hier hat die zweite Gewalt der ersten Gewalt Sand in die Augen gestreut, um diedritte Gewalt ins Leere laufen zu lassen.“Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass der BFH in seiner Rechtsprechung wie auchdie Finanzverwaltung in ihrer Gesetzesanwendung aufgrund Art. 20 Abs. 3 GG vonder Bindung an Gesetz und Recht auszugehen haben. 123) Die Gesetzesbindung <strong>des</strong>Richters ist ferner in Art. 97 Abs. 1 GG angesprochen. Würden beide sich daran halten,so würde sich die Frage stellen, wer die Interpretationshoheit über ein Gesetz hat,die Finanzverwaltung oder die Rechtsprechung. Beide haben sich bei der Gesetzesauslegunggleicher anerkannter Auslegungsmethoden zu bedienen, wozu bei der Interpretationeines Gesetzes der im Gesetz zum Ausdruck kommende objektivierte Wille<strong>des</strong> Gesetzgebers gehört. 124) Zudem hat das BVerfG entschieden, dass die Auslegung<strong>des</strong> einfachen Rechts Sache der Gerichte ist und selbst eine Verfassungsbeschwerdedagegen nur dann zu einer Korrektur führen kann, wenn die gerichtliche EntscheidungAuslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauungvon der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs,beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfallvon einigem Gewicht sind oder wenn der Richterspruch willkürlich ist (vgl. BVerfGE18, 85 ). 125) Der Auslegungsvorrang durch die Rechtsprechung gegenüberder Finanzverwaltung wird auch dadurch deutlich, dass das BVerfG 126) u.H.a. denGrundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG, §90 Abs. 2 BVerfGG) bei behaupteten Verstößen der Finanzverwaltung gegen denGrundsatz der Gesetzesbindung den Steuerpflichtigen darauf verweist, das FG anzurufen.Auch obliegt nur der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH die Möglichkeit der Rechtsfortbildungdurch Richterrecht (§§ 11 Abs. 4, 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO), nicht aber der Finanzverwaltungdas Recht der Rechtsfortbildung ohne Richterrecht. 127) Auch führt diein Art. 20 Abs. 3 GG angesprochene Bindung der Executive an das Recht zu einerBindung an zulässiges Richterrecht der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH. 128) Dies kann z.B.dann der Fall sein, wenn eine Gesetzeslücke vom BFH geschlossen wurde 129) oder ein123)124)125)126)127)128)129)Wieland DStR 2004, 1, 3BVerfG 09.11.1988 - 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106, 120; Wieland DStR 2004, 1, 4, der fernerbei Regelungslücken auf Analogie, teleologische Reduktion, einschränkende und ausdehnendeAuslegung und Gesetzeskorrektur bei „sinnwidrigen Ergebnissen“ verweist. Zu letzterem sieheBFH 14.10.2003 – VIII R 32/01, DStR 2004, 24, 25 m.w.N.. Zur teleologischen Reduktion, wennder Gesetzeswortlaut zu weit geraten ist und zur Verneinung der teleologischen Reduktion, wennder Wortlaut die Folge einer bewussten rechtspolitischen Entscheidung <strong>des</strong> Gesetzgebers ist, sieheBFH 18.05.2006 – III R 01/06, BFH/NV 2006, 1825BVerfG 07.06.1993 - BvR 335/93, HFR 1993, 542; BVerfG 10.06.1964 – 1 BvR 37/63, BVerfGE18, 85, 92 f., 96; BVerfG 08.09.1999 - 1 BvR 654/99, n.V.BVerfG 07.06.1993 - 2 BvR 666/93, n.V.Denkt allerdings der BFH qua Richterrecht das Gesetz weiter (und nicht um), so ist der BFHdann, wenn sie seine Entscheidung nicht eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut ableiten läßt, gehalten,seine Entscheidung zu begründen: BVerfG 04.12.1992 - 1 BvR 1411/89, HFR 1993, 202;BVerfG 08.12.1992 - 1 BvR 326/89, NJW 1994, 574; BVerfG 02.04.1996 - 1 BvR 1279/89, HFR1996, 430; BVerfG 06.09.1996 - 1 BvR 1485/89, NJW 1997, 1693Widersprüchlich: Wieland DStR 2004, 1, 3 bejaht eine solche Bindung der Finanzverwaltung,während er sie aaO Seite 4 verneint.BVerfG 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 290 f.


- 41 - 41105unbestimmter Rechtsbegriff ausgelegt wurde. 130) Rechtsfortbildung durch Richterrechtkann folglich Gesetzesrecht nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. 131) Die Grenze einerRechtsfortbildung durch Gerichte verläuft dort, wo die Gesetzeskorrektur beginnt.Diese ist dem Gesetzgeber vorbehaltenen. Denn die vom Verfassungsrecht gezogeneGrenze verläuft im allgemeinen dort, wo die Gerichte ohne das Vorhandensein einersich aus Systematik und Sinn <strong>des</strong> Gesetzes ergebenden Lücke allein unter Berufungauf allgemeine Rechtsprinzipien, die konkrete rechtliche Ableitung nicht zulassen,oder aus rechtspolitischen Erwägungen Neuregelungen oder Rechtsinstitute schaffen.132) Und dort, wo die Grenzen der Rechtsfortbildung für Gerichte enden, setzen diesogenannten „Nichtanwendungsgesetze“ an und regeln Sachverhalte in einem von derFinanzverwaltung rechtspolitisch gewünschten Sinne, der einer bisherigen Rechtsprechungauf der Grundlage bisheriger gesetzlicher Regelung gegenläufig sein kann. DasProblem ist: die Finanzverwaltung als Executive instrumentalisiert in solchen Fällendie Gesetzgebung, um eine unliebsame Iudicative zu korrigieren. Andererseits kann esauch legitim sein, seitens der Finanzverwaltung eine Rechtsentwicklung in der Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH abzuwarten, um dann diese entweder durch Initiierung einer gesetzlicheGrundlage abzusichern oder ihr gegenzusteuern. 133) Und hier beginnen dieverfassungsrechtlichen Fragen: Ist dies mit dem Gewaltenteilungsprinzip <strong>des</strong> Art. 20Abs. 2 GG vereinbar? Und wenn dies bejaht werden sollte, unter welchen Voraussetzungen?Für den Prozeßbevollmächtigten eines Steuerpflichtigen können solche Fragensehr interessant sein, wenn es darum geht, dort solche Entwicklungen schriftsätzlichzu problematisieren, wo sich für den Fall der Entscheidungserheblichkeit dieMöglichkeit dazu bietet.Unabhängig von dieser im deutschen Recht angesiedelten verfassungsrechtlichen Fragestellungwird jedoch stets mit zu berücksichtigen sein, ob (auch) sogenannte „Nichtanwendungsgesetze“mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht und der Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH konform geht, wenn es darauf ankommen sollte. Denn dem Gemeinschaftsrechtkommt im Zweifel ein Anwendungsvorrang zu Gute. Hierzu hat derBFH 134) zutreffend entschieden, dass der Vorrang <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zur Folgehabe, daß gemeinschaftswidrige Vorschriften <strong>des</strong> nationalen Steuerrechts nicht anzuwendenseien, ohne daß es einer Vorlage an das BVerfG oder den EuGH bedürfe.106ff)Öffentlichrechtliche FolgenbeseitigungsansprücheMit diesem Anspruch sollen verbliebene Schutzrechtslücken ausgefüllt werden, dieetwa bei der Amtshaftung in Anbetracht <strong>des</strong> Verschuldenserfordernisses und beimenteignungsgleichen Eingriff aufgrund <strong>des</strong> eingeschränkten Schutzbereichs verblei-130)131)132)133)134)Zur verdeckten Gewinnausschüttung siehe BVerfG 08.12.1992 - 1 BvR 326/89, NJW 1994, 574Wieland DStR 2004, 1, 4BVerfG 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 290 f.; BVerfG 19.10.1983 – 2 BvR 485,486/80, BVerfGE 65, 182, 194; BVerfG 07.06.1993 - BvR 335/93, HFR 1993, 542; Hirsch ZRP2004, 29 spricht folgerichtig davon, der Richter dürfe das Gesetz zwar weiterdenken, nicht aberumdenken.Hirsch ZRP 2004, 29, 30BFH 17.07.2008 – X R 62/04, BStBl. II 2008, 976, 977 f.


- 42 - 42107ben. 135) Mit der Folgenbeseitigungspflicht als verschuldensunabhängigem Staatshaftungsrecht136) soll Staatsunrecht korrigiert werden und ein Zustand hergestellt werdenwie er ohne das staatlich rechtswidrige Verhalten bestanden hätte. 137) Dazu gehörenu.a. die Unrechtsbeseitigung der Vollzugsfolgen rechtswidriger Verwaltungsakte. 138)Der öffentlichrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch wird üblicherweise materiellrechtlichaus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet 139) und ist prozessual gesetzlich ausdrücklichanerkannt wie § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO zu entnehmen ist. 140) Während die Anfechtungsklagequasi eine primäre Beseitigungsklage ist, hat die Folgenbeseitigungsklagedie Beseitigung sekundärer Folgen zum Gegenstand. 141) Was bedeutet dies genau,denn der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch kommt ja wegen der spezialgesetzlichenRegelung <strong>des</strong> § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO als Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchnicht zum tragen ? 142)§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO ist keine materiellrechtliche Rechtsgrundlage für den öffentlichrechtlichenFolgenbeseitigungsanspruch, sondern erleichtert nur die prozessualeGeltendmachung eines solchen Anspruchs. 143) Während die dogmatischen Grundlageneines öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs für das Steuerrecht eigentlichüberhaupt nicht diskutiert werden, 144) ist die Rechtsmeinung im Verwaltungsrechthöchst umstritten. 145) Auch die finanzgerichtliche Rechtsprechung ist spärlich undschafft keine klaren Aussagen, 146) während das BVerwG 147) den FolgenbeseitigungsanspruchArt. 20 Abs. 3 GG zuweist mit der Maßgabe, dass die vollziehendeGewalt verpflichtet sei, die rechtswidrigen Folgen eigener Amtshandlungen zubeseitigen. Als Voraussetzungen eines öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchsbeschreibt das BVerwG: 148)135)136)137)138)139)140)141)142)143)144)145)146)147)148)Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 12 Rdn. 2 – 5; Münchener Kommentar/Papier,BGB, 4. Aufl. 2004, § 839 Rdn. 81Münchener Kommentar/Papier, BGB, 4. Aufl. 2004, § 839 Rdn. 84Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 12 Rdn. 9 f.; Münchener Kommentar/Papier,BGB, 4. Aufl. 2004, § 839 Rdn. 81Münchener Kommentar/Papier, BGB, 4. Aufl. 2004, § 839 Rdn. 82Sachs/Bonk, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 34 Rdn. 45, 104Münchener Kommentar/Papier, BGB, 4. Aufl. 2004, § 839 Rdn. 82; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht,5. Aufl. 1998, Seite 293 jeweils zum vergleichbaren § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGOOssenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, Seite 295Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 12 Rdn. 13Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 12 Rdn. 14sic. Papier in: Isensee/Kirchhof, Handbuch <strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. V, 1989, § 157 Rdn. 72 ff.Nachweise bei Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 12 Rdn. 15 ff.; MünchenerKommentar/Papier, BGB, 4. Aufl. 2004, § 839 Rdn. 80 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht,5. Aufl. 1998, Seite 294 f.;BFH 09.11.1983 - II R 71/82, BStBl II 1984, 446; BFH 09.04.1986 - I R 62/81, BStBl II 1986,565BVerwG 19.07.1984 – 3 C 81/82, BVerwGE 366, 370; BVerwG 26.08.1993 – 4 C 24/91, NVwZ1994, 275, 276BVerwG 26.08.1993 – 4 C 24/91, NVwZ 1994, 275, 276


- 43 - 43108109„Ein Anspruch auf Folgenbeseitigung ist nach insoweit unumstrittenem Stand der Rechtsprechungjedenfalls unter folgenden Voraussetzungen grundsätzlich gegeben: Es muss ein hoheitlicherEingriff vorliegen, der ein subjektives Recht <strong>des</strong> Betroffenen verletzt. Für den Betroffenenmuss dadurch ein rechtswidriger Zustand entstanden sein, der andauert.“Der öffentlichrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch ist verfahrensrechtlich und prozessrechtlichegesetzlich geregelt (§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO). Dessen materiellrechtlicheVoraussetzungen sind im Steuerrecht jedoch weitgehend ungeklärt. Über diesenhat die Finanzverwaltung und die Finanzgerichtsbarkeit zu entscheiden. Wegen § 839Abs. 3 BGB ist die Geltendmachung dieses Anspruches dem vor Zivilgerichten zuführenden Amtshaftungsklageverfahren vorzuschalten.Dazu ist beim Finanzamt die Beseitigung sekundärer Folgen zu begehren, sei es perVerwaltungsakt, sei es als Leistungsanspruch. Besteht das Begehren in einem Verwaltungsakt,so ist bei Ablehnung eines solchen durch das Finanzamt, das Einspruchsverfahrenzu durchlaufen, dem sich dann bei negativem Verlauf eine Verpflichtungsklagevor dem Finanzgericht anschließt. 149)110111112e) VertrauensschutzEs häufen sich die Fälle, dass Steuerbescheide zum Nachteil <strong>des</strong> Steuerpflichtigen geändertwerden, weil eine Rechtsprechungsänderung eingetreten ist. In solchen Fällenkann es angezeigt sein, im Hinblick auf § 176 AO zu prüfen, ob dagegen nicht Einsprucheingelegt werden soll und für den Fall eines negativ verlaufenden Einspruchsverfahrensein finanzgerichtliches Verfahren angestrebt werden soll.War aufgrund einer Verwaltungsanweisung ein dem Steuerpflichtigen günstiger Verwaltungsaktergangen und ist inzwischen ein oberstgerichtliches Urteil ergangen, daszu einer für den Steuerpflichtigen ungünstigen Rechtsauslegung führen müßte, dannist eine Änderungssperre gemäß § 176 Abs. 2 AO auch dann gegeben, wenn der ursprünglicheSteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 2 AO)ergangen war. 150) Damit soll das Vertrauen <strong>des</strong> Steuerpflichtigen davor geschützt werden,dass später rückwirkend eine andere Würdigung stattfindet, als es bei Ergehen<strong>des</strong> Steuerbeschei<strong>des</strong> der Fall war. Für den Fall <strong>des</strong> Angreifens <strong>des</strong> Änderungsbeschei<strong>des</strong>,der § 176 AO nicht beachtet hat, ist auch das FG an § 176 AO gebunden.Denn § 176 AO möchte verhindern, dass „die Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> Änderungsbeschei<strong>des</strong>anhand der neueren Rechtsprechung geprüft wird.“ 151)Bestand dagegen keine eindeutige, dem Steuerpflichtigen günstige, Verwaltungsregelungund bestand auch keine dem Steuerpflichtigen günstige BFH-Rechtsprechung,sondern nur eine schlichte Verwaltungspraxis – und sei es in Form <strong>des</strong> Unterlassens -,dann kann sich der Steuerpflichtige gegen einen belastenden Verwaltungsakt nicht mit149)150)151)Zum öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch bei Zinsen und Aussetzungszinsen nachrechtswidrigem Vorverhalten <strong>des</strong> Finanzamtes und überlanger Verfahrensdauer von Finanzamtund FG als Vorausssetzungen eines nachfolgenden Amtshaftungsprozesses siehe <strong>Wagner</strong> ZSteu2006, 384.BFH 05.09.2000 – IX R 33/97, BStBl. II 2000, 676, 683; BFH 21.11.2000 – IX R 02/96, BStBl.II 2001, 789, 795; BFH 28.05.2002 – IX R 86/00, HFR 2002, 1067, 1068 = BStBl. II 2003, 840BFH 28.05.2002 – IX R 86/00, HFR 2002, 1067, 1068 = BStBl. II 2003, 840


- 44 - 44dem Argument <strong>des</strong> Vertrauensschutzes wehren. Er ist dann darauf angewiesen, durchEinzelmaßnahmen (z.B. § 163 AO) vorzugehen. 152)113114f) Neue Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH zur Korrektur bestandskräftiger Bescheidedurch das FinanzamtIst ein Steuerbescheid zu Lasten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen bestandskräftig geworden oderwurde zu Lasten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen durch das FG bzw. den BFH rechtskräftig entschieden,so kann es passieren, dass später in einer anderen Angelegenheit, die mitdem Streitfall <strong>des</strong> Steuerpflichtigen vergleichbar ist, eine Entscheidung <strong>des</strong> EuGHergeht. Wäre diese schon vorher bekannt gewesen, dann hätte das Finanzamt 153) bzw.das FG oder der BFH sie zu Gunsten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen berücksichtigen müssen.Dies gilt für Finanzämter selbst dann, wenn im konkreten Fall (noch) keine Vorabentscheidung<strong>des</strong> EuGH vorliegt. 154) Wenn aber ein Steuerbescheid bestandskräftig bzw.das Urteil rechtskräftig ist, stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf eine spätere Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH vom Finanzamt rückwirkend eine Korrektur verlangt werdenkann, was nichts mit einer Haftungsfrage zu tun hat. Hierzu hat Generalanwalt Legerìn seinen Schlussanträgen in der Rs. Kühne & Heitz NV 155) auf folgen<strong>des</strong> hingewiesen:Eine Entscheidung <strong>des</strong> EuGH in einem Verfahren gemäß Art. 267 AEUV (= Art. 234EG a.F.) wirke deklaratorisch und nicht konstitutiv und wirke daher grundsätzlich aufden Zeitpunkt <strong>des</strong> Inkrafttretens der ausgelegten Vorschrift zurück. Damit werde verdeutlicht,in welchem Sinn und mit welcher Tragweite die Vorschrift seit ihrem Inkrafttretenzu verstehen war bzw. gewesen wäre. 156) Folglich müsse ein Gericht eineVorschrift in dieser Weise auslegen, was zu einer Rückwirkung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsführe, sofern sich nicht aus einem Urteil <strong>des</strong> EuGH ergebe, dass zwingendeErwägungen der Rechtssicherheit, die sich aus einer Gesamtheit der beteiligten öffentlichenund privaten Interessen ergeben, eine zeitliche Begrenzung erfordere. 157) Vor152)153)154)155)156)157)BFH 26.09.2007 – V B 08/06, BStBl. II 2007, 405, 406 f.EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), EuZW 2004, 215 Rdn. 22EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), EuZW 2004, 215 Rdn. 22Leger Schlussanträge EuGH 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), NVwZ 2004, 459Leger Schlussanträge EuGH 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 37 u.H.a. auffolgende Entscheidungen <strong>des</strong> EuGH: EuGH 27.03.1980 – Rs. 61/79 (Denkavit Italiana), Slg.1980, 1205 Rdn. 16; EuGH .... – Rs. 66/79, 127/79, 128/79 (Salumi u.a.), Slg. 1980, 1237 Rdn. 9;EuGH 10.07.1980 – Rs. 811/79 (Ariete), Slg. 1980, 2545 Rdn. 6; EuGH ... – Rs. 826/79 (Mireco),Slg. 1980, 2559 Rdn. 7; EuGH 02.02.1988 – 309/85 (Barra), Slg. 1988, 355 Rdn. 11; EuGH02.02.1988 – Rs. 24/86 (Blaizot u.a.), Slg. 1988, 379 Rdn. 27; EuGH 06.07.1995 – Rs. C-62/93(BP Soupergaz), Slg. 1995, I-1883 Rdn. 39; EuGH 11.08.1995 – Rs. C-367/93 – 377/93 (Rodersu.a.), Slg. 1995, I-2229 Rdn. 42; EuGH 19.10.1995 – Rs. C-137/94 (Richardson), Slg. 1995, I-3407 Rdn. 31; EuGH 15.12.1995 – Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921 Rdn. 141; EuGH13.02.1996 – Rs. C-197/94 und C-252/94 (Bautiaa und Societe francaise maritime), Slg. 1996, I-505 Rdn. 47; EuGH 02.12.1997 – Rs. C-188/95 (Fantask), Slg. 1997, I-6783 Rdn. 36), EuGH15.09.1998 – Rs. C-231/96 (Edis), Slg. 1998, I-4951 Rdn. 15; EuGH 04.05.1999 – Rs. C-292/96(Sürül), Slg. 1999, I-2685 Rdn. 107; EuGH 20.09.2001 – Rs. C-184/99 (Grzelczyk), Slg. 2001, I-6193 Rdn. 50; EuGH 03.10.2002 – Rs. C-347/00 (Barreira Perez); Slg. 2002, I-8191 Rdn. 44Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 40 f. ; zurRückwirkung von EuGH-Entscheidungen Forsthoff DStR 2005, 1840; de Weerth DB 2005, 1407


- 45 - 45115diesem Hintergrund hindere die Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung esnicht, eine solche anzugreifen, wenn sonst das Gemeinschaftsrecht abgeschwächtwürde, weil Gerichte bereits im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht alles erforderlichegetan hatten, „diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unterUmständen ein auch nur vorübergehen<strong>des</strong> Hindernis für die volle Wirksamkeit derGemeinschaftsnormen bilden.“ 158) Eine solche Feststellung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsberuhe auf seinem Vorrang gegenüber dem nationalen Recht. Gemäß Art. 10 EG (jetztArt. 4 EUV) seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, mit ihren Gerichten einen Rechtsschutzzu gewähren, der sich aus der unmittelbaren Wirkung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsergebe. Dazu gehöre auch, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrechtzu beheben. 159) Dies gehe so weit, dass die Verwaltung oder ein nationalesGericht, das aufgrund Art. 10, 234 EG (jetzt Art. 4 EUV, 267 AEUV) die Bestimmungen<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts anzuwenden hätten und für die volle Wirksamkeitdieser Normen zu sorgen hätten, Bestimmungen <strong>des</strong> nationalen Rechts, die dem entgegenstehen, unangewendet sein lassen müßten, ohne dass diese nationalen Normenzuvor durch den Gesetzgeber bzw. ein verfassungsgerichtliches Verfahren beseitigtwerden müßten. 160) Die Verwaltung und die nationalen Gerichte müßten sogar nationaleNormen verfassungsrechtlicher Art unbeachtet lassen, wenn diese die Durchführung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts beeinträchtigten. 161) Folglich könnten auch nationaleVerfahrensvorschriften (z.B. betreffend die Beachtung der Rechtskraft) die Anwendung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts nicht verhindern. 162) Folglich gelte dies auch für dieBestandskraft. 163) Mitgliedstaaten könnten allenfalls die Geltendmachung solcher Ansprüchedavon abhängig machen, dass sie innerhalb angemessener Frist erfolgten. 164)Diese Auffassung hat der EuGH nur zum Teil geteilt. In seiner Haftungsrechtsprechungwegen Nichtanwendung von Gemeinschaftsrecht durch ein letztinstanzlichesGericht hat er die Rechtskraft <strong>des</strong>sen Entscheidung unangetastet gelassen, aber unterbestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zugelassen, daß ein davon Betroffenergegen den betreffenden Mitgliedstaat einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchwegen iudicativen Unrechts geltend machen könne. Anders hat der EuGHjedoch bezüglich der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes durch eine Behörde entschieden,indem er dort nicht nur auf die Möglichlichkeit einen Staatshaftungsansprucheswegen exekutiven Unrechts verweist, sondern unter folgenden Voraussetzungendie Möglichkeit eröffnet hat, die Verwaltung zu veranlassen, auch einen bestandkräftigenVerwaltungsakt wieder zu korrigieren:158)159)160)161)162)163)164)Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 45 u.H.a.EuGH 09.03.1978 – Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629 Rdn. 22; EuGH 19.06.1990 – Rs.C-213/89 (Factortame u.a.), Slg. 1990, I-2433 Rdn. 20Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 47Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 51, 54Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 58 u.H.a.EuGH 22.06.1989 – Rs. 103/88 (Fratelli Constanzo), Slg. 1989, 1839 Rdn. 33; EuGH 19.01.1993– Rs. C-101/91 (Kommisson/Italien), Slg. 1993, I-191 Rdn. 24; EuGH 28.06.2001 - Rs. C-118/00,2001, I-5063 Rdn. 52Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 65Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 71Leger EuGH Schlussanträge 17.06.2003 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), Nr. 72


- 46 - 46116117118119Zunächst geht der EuGH 165) von dem Grundsatz aus, daß das Gemeinschaftsrecht eineVerwaltungsbehörde nicht verpflichte, eine bestandskräftige Entscheidung zurückzunehmen.166) Sehr wohl aber sei eine Verwaltungsbehörde berechtigt, eine bestandskräftigeEntscheidung wieder zurückzunehmen, wenn dadurch keine Rechte <strong>Dr</strong>itterverletzt würden. Aus dieser Berechtigung könne jedoch eine Verpflichtung erwachsen,eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung durchgängig zurückzunehmen, umeiner später ergangenen gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, 167) dies wennfolgende Umstände vorlägen: 168)- Die Verwaltungsbehörde müsse nach nationalem Recht die Befugnis haben, einebestandskräftige Entscheidung zurückzunehmen.Hier wird in der deutschen Finanzgerichtsbarkeit die Meinung vertreten, nachAblauf der Festsetzungsfrist sehe die AO ein Änderungsverbot vor. 169) Gemeintist damit aber eine Änderung nur in den Grenzen der §§ 130, 131 AO für allgemeineSteuerverwaltungsakte und der §§ 172 – 177 AO für Steuerbescheide. 170)Und der BFH verstetigt diese Rechtsauffassung, indem er iudiziert, bestandskräftigeVerwaltungsakte seien trotz Verfassungswidrigkeit ihrer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagebindend. 171) Der Hinweis <strong>des</strong> BFH 172) auf eine ältere Entscheidung<strong>des</strong> BVerfG 173) überzeugt <strong>des</strong>halb nicht, weil durch die Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH 174) eine neue Rechtslage eingetreten ist, die ein Überdenken derfrüheren Rechtsprechung erfordert.- Die Bestandskraft müsse infolge eines nicht mehr anfechtbaren letztinstanzlichengerichtlichen Urteils eingetreten sein.- Dieses Urteil müsse auf der Auslegung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts beruhen, die„wie ein später ergangenes Urteil <strong>des</strong> Gerichtshofes zeigt, unrichtig war und dieerfolgt ist, ohne daß der Gerichtshof angerufen wurde, obwohl der Tatbestand <strong>des</strong>Art. 234 Abs. 3 [jetzt Art. 267 Abs. 3 AEUV] EG erfolgt war.“165)166)167)168)169)170)171)172)173)174)EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), EuZW 2004, 215 Rdn. 24So auch BFH 26.11.2010 – V B 59/10, BFH/NV 2011, 409; BFH 01.12.2010 – XI R 39/09,BFH/NV 2011, 411EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), EuZW 2004, 215 Rdn. 26EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), EuZW 2004, 215 Rdn. 27 f.; dazuBritz/Richter JuS 2005, 198; so auch BFH 16.09.2010 – V R 57/09, DStR 2010, 2400 Rdn. 39 –41; Martin BFH/PR 2011, 110, 111FG Niedersachsen 09.11.2005 – 5 K 249/05, EFG 2006, 295, 297FG Niedersachsen 09.11.2005 – 5 K 249/05, EFG 2006, 295, 297, wonach die §§ 172 – 177 AOden §§ 48 ff. VwVfG vorgehen.BFH 29.11.2005 – IX B 161/05, BFH/NV 2006, 897BFH 29.11.2005 – IX B 161/05, BFH/NV 2006, 897BVerfG 16.01.1980 – 1 BvR 127, 679/78, BVerfGE 53, 115, 130EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz NV), EuZW 2004, 215 Rdn. 27 f.


- 47 - 47120121122- Der Betroffene muß sich unmittelbar nach Bekanntwerden der neuerenEntscheidung <strong>des</strong> EuGH an die Verwaltungsbehörde gerichtet haben, was nichtsofort erfolgen müsse 175) und wofür an die positive Kenntnis <strong>des</strong> Betroffenen angeknüpftwird. 176) Der EuGH stellt dabei auf die Ausschlussfristen <strong>des</strong> nationalenRechts ab. 177)Dies hat der EuGH 178) inzwischen weiter konkretisiert. Da nationale Gerichte EU-Recht von Amts wegen berücksichtigen müssten, 179) komme es nicht darauf an, obsich ein Steuerbürger im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren auf EU-Recht berufenhabe oder im Gerichtsverfahren eine Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG (jetzt Art. 267Abs. 3 AEUV) beantragt worden sei. 180) Denn das System <strong>des</strong> Art. 234 EG (jetzt Art.267 Abs. 3 AEUV) sei der Parteiherrschaft entzogen. 181) Eine Entscheidung <strong>des</strong> EuGHwirke nicht konstitutiv sondern nur deklaratorisch und beschreibe mithin nur eineRechtslage, wie sie auch vor dieser Entscheidung bestanden habe, folglich auch schondamals von der Behörde seit Inkrafttreten einer Richtlinienbestimmung habe berücksichtigtwerden müssen. 182) Folglich sei eine vom EuGH ausgelegte Bestimmung <strong>des</strong>EU-Gemeinschaftsrechts von einer Verwaltungsbehörde auch auf Rechtsbeziehungenanzuwenden, die schon vor Erlass einer Vorabentscheidung <strong>des</strong> EuGH entstandensei. 183) Sei nun ein Verwaltungsakt zu Lasten <strong>des</strong> Betroffenen <strong>des</strong>halb bestandskräftiggeworden, weil das letztinstanzliche Gericht EU-Gemeinschaftsrecht nicht angewandtoder fehlerhaft ausgelegt habe, ohne zuvor den EuGH aufgrund Art. 234 Abs. 3 EG(jetzt Art. 267 Abs. 3 AEUV) angerufen zu haben, dann sei eine der Voraussetzungengegeben, die eine Verwaltungsbehörde zur Aufhebung eines bestandkräftigen Verwaltungsaktesveranlassen könne. 184)Sieht sich ein Finanzamt an der Aufhebung <strong>des</strong> Verwaltungsaktes <strong>des</strong>halb gehindert,weil der Verwaltungsakt nicht nur bestandskräftig geworden ist, sondern in diesemZusammenhang auch eine rechtkräftige Gerichtsentscheidung vorliegt, die die Rechtmäßigkeit<strong>des</strong> Verwaltungsaktes bestätigt, selbst wenn dabei gegen Gemeinschaftsrechtverstoßen wurde, dann gilt dies aber nur für dieses streitgegenständliche Jahr.Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, daß auch für Folgejahre, für die noch keinerechtskräftige Entscheidung vorliegt, unter Negierung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts ebensoper Verwaltungsakt entschieden werden kann. Vielmehr muss dann in den in denFolgejahren – auch unter Berücksichtigung <strong>des</strong> Grundsatzes der Abschnittsbesteue-175)176)177)178)179)180)181)182)183)184)EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 55EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 56EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 57 - 60EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 34EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 45EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 43EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 41EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 35EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 36EuGH 12.02.2008 – Rs. C-02/06 (Willy Kempter KG), NVwZ 2008, 870 Rdn. 39


- 48 - 48123124125rung – seitens <strong>des</strong> Finanzamtes von Amts wegen auch Gemeinschaftsrecht berücksichtigenund eigenständig entscheiden. 185)Inzwischen hat der BFH 186) entschieden, ein bestandskräftiger Steuerbescheid könnenicht <strong>des</strong>halb geändert werden, weil das Finanzamt im Hinblick auf gemeinschaftsrechtlicheZweifel an der deutschen Gesetzeslage den Steuerbescheid hätte für vorläufigerklären müssen (§ 165 Abs. 1 AO), es aber unterlassen hat. Damit gewichtet derBFH die unterlassene Vorläufigkeitsanordnung höher, als das zu beachtende Gemeinschaftsrechtund meint, die strikte Anwendung <strong>des</strong> deutschen Rechts verstoße nichtgegen Art. 10 EG (jetzt Art. 4 EUV). 187) Dies begründet der BFH damit, daß in demvon ihm entschiedenen Fall der Verwaltungsakt nicht durch eine letztinstanzliche gerichtlicheEntscheidung bestandskräftig geworden sei und nach nationalem Rechtnicht zur Rücknahme befugt sei. Soweit in diesem Zusammenhang der BFH demSteuerpflichtigen vorhält, dieser hätte gegen die unterlassene VorläufigkeitsfestsetzungEinspruch einlegen können, was dieser unterlassen habe, 188) verdeutlicht dies dieauch hier vertretene Notwendigkeit, sich bereits im Einspruchsverfahren umfassendmit der Rechtslage zu befassen, wozu auch die Thematisierung gemeinschaftsrechtlicherFragen gehört.Auch der V. Senat <strong>des</strong> BFH 189) iudiziert, daß ein bestandskräftiger Bescheid, selbstwenn der Verstoß gegen Unionsrecht erst nachträglich bekannt geworden sei, nur imRahmen der §§ 172 ff. AO geändert werden könne. Eine Besserstellung gegenüberAnsprüchen innerstaatlichen Rechts gebe es nicht. Ersichtlich vermeidet es der BFH,sich mit dem Anwendungsvorrang <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zu befassen, was seinerseitsgemeinschaftswidrig ist.Dies bedeutet für den Steueranwalt:Handelt es sich um einen Sachverhalt mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug, dann sollteer bereits im Verwaltungs- und Einspruchsverfahren die gemeinschaftsrechtlichenFragen thematisieren, weil bereits das Finanzamt verpflichtet ist, dem Gemeinschaftsrechtzur Geltung zu verhelfen und sei es mittels gemeinschaftskonfomer Auslegung.Ist dieses erfolglos, indem das Finanzamt den belastenden Steuerbescheid mit oderohne gemeinschaftsrechtliche Würdigung aufrecht erhält, besteht die Möglichkeit,nach erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen Klage zum FG zu erheben. Dort wäredann die gemeinschaftsrechtliche Thematik erneut vorzutragen, getrennt danach, daßdas FG von Amts wegen verpflichtet ist, Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen bzw.ob das FG gehalten wäre, dem EuGH vorzulegen (Art. 234 Abs. 2 EG = Art. 267 Abs.2 AEUV, 101 Abs. 2 Satz 1 GG). 190) Wäre auch dies erfolglos, so wären im Rahmeneines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die gemeinschaftsrechtlichen Fragenerneut zu thematisieren, sei es, weil auch der BFH von Amts wegen verpflichtet ist,Gemeinschaftsrecht zum Durchbruch zu verhelfen bzw. um den BFH als letztinstanz-185)186)187)188)189)190)EuGH 03.09.2009 – 02/08 (Olympicclub), EuZW 2009, Rdn. 29 f.BFH 15.06.2009 – I B 230/08, BFH/NV 2009, 1779BFH 15.06.2009 – I B 230/08, BFH/NV 2009, 1779, 1780BFH 15.06.2009 – I B 230/08, BFH/NV 2009, 1779, 1780BFH 16.09.2010 – V R 57/09, DStR 2010, 2400 Rdn. 43 f.; BFH 03.12.2010 – V B 22/10,BFH/NV 2011, 738; BFH 16.12.2010 – V B 66/10, BFH/NV 2011, 742<strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 168


- 49 - 49126127liches Gericht zu veranlassen, dem EuGH vorzulegen (Art. 234 Abs. 3 EG = Art. 267Abs. 3 AEUV, 101 Abs. 2 Satz 1 GG). Gelingt auch dies nicht, so daß der belastendeBescheid bestands- und rechtskräftig wird, so kann wegen der Rechtskraft vor Gerichtdieser Bescheid nicht erneut angefochten werden und wegen der Bestandskraft dasFinanzamt nicht erneut veranlaßt werden, den Bescheid gleichwohl aufzuheben. Damitendet in aller Regel das Mandat <strong>des</strong> Steueranwaltes als Prozeßbevollmächtigter<strong>des</strong> Steuerpflichtigen im einfachrechtlichen Primärrechtsschutz.. Es verbleibt dannnoch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde und für den Fall der Erfolglosigkeitderselben der sog. haftungsrechtliche Sekundärrechtsschutz.Gleichwohl sollte der Steueranwalt den Steuerberater <strong>des</strong> Steuerpflichtigen – schriftlich– von den oben dargestellten Möglichkeiten einer Korrektur eines bestandskräftigenBeschei<strong>des</strong> mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug in Kenntnis setzen, damitder ständige Steuerberater <strong>des</strong> Steuerpflichtigen für seinen Mandanten kontinuierlichmit überwacht, ob irgendwann einmal diese Voraussetzungen gegeben sein können.Und soweit trotz <strong>des</strong> Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen das Finanzamteine Aufhebung verweigert, ist zu prüfen, ob die Möglichkeit eines gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruches gegeben ist. 191) Dabei wird aber zu berücksichtigensein, daß dort der Subsidiaritätsgrundsatz gilt, so daß zuvor versucht worden seinmuß, vergeblich den zuvor angesprochenen Weg zu gehen und einen Billigkeitserlassbei qualifiziertem Verstoß gegen EU-Gemeinschaftsrecht gemäß §§ 227, 163 AO zuerreichen. 192) Dies ist allerdings nicht unumstritten, da nach a.A. der Staatshaftungsanspruchneben dem Erstattungsanspruch möglich sein soll. 193) Der EuGH hat sich zudiesem Konkurrenzverhältnis noch nicht geäußert. 194)Die Korrektur eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes unter den zuvor angesprochenengemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen ist mithin möglich. Dies unterscheidetsich von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, wonach eine Änderungbestandskräftiger Steuerbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk aufgrund einer demSteuerpflichtigen günstigen Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG nicht möglich sein soll. 195)1281293. Sinnvolle personelle Trennung von Steuerberatung und SteuerprozessFür eine personelle Trennung von Steuerberatung und Steuerprozess können vieleGründe sprechen.Dies sollte sich allerdings aus vorgenannten Gründen bereits auf die Vorphase beziehen,indem der für einen eventuellen Steuerprozess vorgesehene Prozessbevollmächtigtebereits für die Aufarbeitung <strong>des</strong> Vorganges und begleitende Betreuung etwa für191)192)193)194)195)BFH 13.01.2005 – V R 35/03, BStBl. II 2005, 460; BFH 21.04.2005 – V R 16/04, DStR 2005,1313; Weerth DStR 2008, 1669, 1670FG Niedersachsen 09.11.2005 – 5 K 249/05, EFG 2006, 295, 299Weerth DStR 2008, 1669, 1670Weerth DStR 2008, 1669, 1670FG Niedersachsen 15.12.2005 – 11 K 50/05, EFG 2006, 544 f. mit Anm. Hoffmann


- 50 - 50130131132133die Schlußbesprechung bzw. die Durchführung <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens hinzugezogenwird. 196)Denn wer für die Durchführung <strong>des</strong> Steuerprozesses hinzugezogen wird, sollte imHinblick auf die zuvor schon dargestellten Möglichkeiten auch für die Vermeidung,Beratung betreffend die Frage der Durchführung und die Planung <strong>des</strong> Steuerprozessesfrühzeitig hinzugezogen werden. Die Stärken <strong>des</strong> Steuerberaters liegen in seiner Vertrauensbeziehungzum Mandanten, der umfassenden Kenntnis um <strong>des</strong>sen steuerlicheSituation, der Kenntnis um die historischen und sachlichen Hintergründe <strong>des</strong> entstandenensteuerlichen Problems, <strong>des</strong>sen steuerliche Kenntnis und <strong>des</strong>sen Kontakte zumFinanzamt. Selbst wenn man an die Möglichkeit eines Steuerprozesses denkt, sollteein guter Kontakt zum Finanzamt stets gewahrt bleiben, da der Steuerpflichtige auchüber den konkreten Fall hinaus mit diesem weiter leben muß. Und so ist es sinnvollund nützlich, wenn der gute Kontakt mit Hilfe <strong>des</strong> dem Finanzamt vertrauten Steuerberaterserhalten bleibt, zumal das Ziel letztlich nicht das Führen <strong>des</strong> Steuerprozessessondern die Verhinderung <strong>des</strong>selben sein sollte und die Frage der Prozessführung sichals Alternative ja nur für den Fall stellt, dass ein Konsens scheitern sollte.Die Stärken eines für die Prozessführung einzuschaltenden Steueranwaltes oder einesdarauf spezialisierten Steuerberaters sollten andere sein: Mit Hilfe <strong>des</strong> SteuerberatersErarbeitung <strong>des</strong> relevanten – also <strong>des</strong> entscheidungserheblichen - Sachverhaltes, wieer für den Fall eines Steuerprozesses erforderlich ist. Erfahrung darin, steuerlichschwierige Fragen, dazugehörige zivilrechtliche und ggf. europarechtliche und verfassungsrechtlicheFragen umfassend und mit Tiefgang sowie anschaulich, verständlichund übersichtlich aufzubereiten.Kenntnisse und Erfahrungen in der Aufbereitung und Begleitung eines für einen Steuerprozesserforderlichen Komplexes für den Versuch, anläßlich von Schlußbesprechungund/oder Einspruchsverfahren durch einen akzeptablen Kompromiss mit demFinanzamt doch noch einen Steuerprozess zu vermeiden. Hervorragende Kenntnisse<strong>des</strong> steuerlichen Verfahrensrechts der AO, der dazu ergangenen - für den Fall relevanten- Rechtsprechung sowie der FGO. Forensische Erfahrung - auch betreffendProzessstrategie und Prozesstaktik - betreffend Prozessverfahren vor dem FG undNichtzulassungsbeschwerdeverfahren und Revisionsverfahren vor dem BFH. Undmitunter kann es bei Grundsatzfragen hilfreich sein, wenn die Möglichkeiten und Fähigkeitenbestehen, diese im Fachschrifttum selbst darzustellen.Aus der Unterschiedlichkeit der Anforderungen und Stärken von Steuerberater <strong>des</strong>Mandanten und frühzeitig hinzugezogenem Steueranwalt bzw. darauf spezialisiertemSteuerberater wird deutlich, dass es entgegen Dürr 197) nicht damit getan, ist, sich alsSteuerberater „auch“ für den Steuerprozess zu interessieren, den Sachverhalt für dasGericht aufzubereiten und darauf zu vertrauen, dass Finanzrichter einen im Rahmenrichterlicher Fürsorgepflicht unter Beachtung der Grundsätze <strong>des</strong> fairen Verfahrensdurch den Steuerprozess geleiten.196)197)FG Niedersachsen 12.12.2007 – 7 K 249/07, EFG 2008, 1082 mit Anm. Valentin : Zur Unzulässigkeiteines Teil-Einspruchsbescheids zu einzelnen Punkten eines kommenstuerlichen Vorläufigkeitsvermerks.- Zu Problemen der seit der Einführung <strong>des</strong> § 367 Abs. 2a AO zulässigen Teileinspruchsentscheidungsiehe Bergan/Martin DStR 2007, 1384; Intemann DB 2008, 1005Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 17


- 51 - 51134135136137138139Hinzu kommt, dass eigene Erfahrungen mit Finanzrichtern keineswegs dazu angetansind, im Regelfall von deren Neutralität auszugehen. Finanzrichter können in der Regelnicht verleugnen, ihren Werdegang in der Finanzverwaltung – also beim Prozessgegner<strong>des</strong> Steuerpflichtigen - begonnen zu haben und so deuten viele Aspekte aufeine besondere Form der Parteilichkeit von Finanzrichtern hin:- Telefonate zwischen dem Berichterstatter und dem für den Fall zuständigen Finanzbeamte,ohne dass der Kläger oder sein Anwalt davon erfahren; nur durchZufall erhält man als Anwalt Kenntnis davon.- Ein enormes Bestreben von Finanzrichtern, bei schlechter Position <strong>des</strong> Finanzamtesdurch Auslegung oder „arbeiten“ am Sachverhalt dem Finanzamt zum Siegzu verhelfen.- Abfassen <strong>des</strong> Urteils mit Veränderung <strong>des</strong> Sachverhaltes in einer Weise, dass esmit der Nichtzulassungsbeschwerde kaum angreifbar ist.- Beim BFH verstärkt Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig zurückzuweisen,wenn verfassungsrechtliche Bezüge vorhanden sind, wohl wissend, dass dasBVerfG bei als unzulässig zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerden i.d.R.schon <strong>des</strong>halb Verfassungsbeschwerden nicht annimmt. 198)Die Beispiele ließen sich verlängern. Dies zu erkennen und zu sammeln, ist ein prozessunerfahrenerSteuerberater oft nicht in der Lage. Und selbst wenn er darin erfahrenist, wird er dann, wenn er mit dem entsprechenden Finanzamt als Steuerberateröfters zu tun haben wird, ungern diesbezüglich „Kriegsschauplätze“ eröffnen wollen.Es gibt mithin gute Gründe, warum die Prozessführung bei einem erfahrenen Steueranwaltliegen sollte, der allerdings im Team mit dem Steuerberater <strong>des</strong> Mandantenzusammenarbeiten sollte.1404. Mandatsbeziehung und Teamwork (Mandant, Steuerberater, Steueranwalt)Steuerberater <strong>des</strong> Steuerpflichtigen und hinzuzuziehender Steueranwalt bzw. für einenSteuerprozess spezialisierter Steuerberater haben wie dargelegt, unterschiedliche Aufgabenund Stärken. Es empfiehlt sich daher, im Team zusammenzuarbeiten, wenn esdarum geht, einen Steuerprozess zu vermeiden, ihn zu planen bzw. durchzuführen.Hinzutreten muß ein Entscheidungsträger <strong>des</strong> Mandanten, wenn es dieser nicht selbstist. Dieses Team berät auch Strategie und Taktik unter Einbeziehung übergeordneterFragen. Es geht letztlich um die Bündelung der Kräfte.198)BVerfG 24.06.1980 - 1 BvR 528/80, n.V.; BVerfG 24.04.1990 - 2 BvR 177/90, StE 1990, 206;BVerfG 20.02.1991 - 2 BvR 39/9, HFR 1991, 722; BVerfG 07.05.1991 - 2 BvR 1418/90, HFR1991, 722; BVerfG 07.06.1993 - 2 BvR 1767/92, HFR 1993, 541; BVerfG 01.12.2000 – 2 BvR207/00, HFR 2001, 285BVerfG 14.06.1994 - 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93: „Der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwer<strong>des</strong>teht die Verwerfung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig(hier: bereits vorliegende Entscheidung <strong>des</strong> Revisionsgerichts zur streitigen Grundsatzfrage)nicht entgegen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig ist. Diesgilt insbesondere dann, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - auf Erwägungengestützt wird, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei die Möglichkeit eröffnet, dass dasRevisionsgericht seine bisher vertretene Auffassung überprüft.“ (JURIS-Orientierungssatz)


- 52 - 52141In der Praxis hat es sich als außerordentlich hinderlich erwiesen, wenn auf ein solchesTeamwork verzichtet wird und dafür vielleicht Profilierungsprobleme einzelner Akteureursächlich sind. Dann wird aus einem Steuerprozess, der eigentlich Problemlösungsinstrumentsein sollte, nur noch Technik. Der mit der Prozessführung betrauteBerater tut dann gut daran – sofern er nicht selbst das Problem ist -, dies und die denkbarennegativen Folgen gegenüber dem Mandanten zu dokumentieren, um eventuellsogar die Mandatsniederlegung ins Auge zu fassen.1421431445. Honorarvereinbarung oder RVG ?Es wurde oben verdeutlicht, dass primäres Ziel <strong>des</strong> hinzugezogenen Beraters seinsollte, den Steuerprozess zu verhindern – wenn doch noch ein Kompromiss möglichsein sollte - statt ihn zu führen. Sollte er aber nicht verhindert werden können, dannist er nicht sofort zu führen, sondern zunächst zu planen und vorzubereiten. Bezüglich<strong>des</strong> zeitlichen Engagements <strong>des</strong> hinzugezogenen Beraters kann dieses von der Teilnahmean einer Schlußbesprechung über das Einspruchsverfahren, über den Finanzgerichtsprozesssamt AdV-Verfahren bis hin zum Nichtzulassungsbeschwerde- bzw.Revisionsverfahren dauern. Dies kann leicht einen Zeitraum bis zu 10 Jahren ausmachen.In dieser Zeit liegt das einmal Vorgetragene nicht einfach in den Akten. Vielmehrist in einer solchen Zeit bei Finanzämtern und Finanzgerichten wiederholt einPersonen- und Richterwechsel festzustellen, so dass Meinungsänderungen nicht ausgeschlossensind.Hinzu kommt, dass erfahrungsgemäß über eine solche Dauer in der Rechtsprechungder FG´s und <strong>des</strong> BFH - u.U. mehrfach - Rechtsprechungsänderungen vorkommen wieauch durchaus mit gesetzgeberischen Aktivitäten gerechnet werden kann, was Einflußauf die im Steuerprozess vorgetragenen Rechtsfragen haben kann. Es lohnt sich mithindurchaus, auch während der Dauer eines Steuerprozesses den Faden zum Finanzamtnicht zu verlieren, um ggf. zu hinterfragen, ob zu einem anderen Zeitpunkt die Frageeiner Einigung nicht günstiger ist.Wie auch immer, all das zuvor dargelegte verdeutlicht, dass eine Honorierung z.B. aufder Grundlage von Gegenstandswerten und <strong>des</strong> RVG für das zu erbringende Leistungsspektrumnicht angemessen ist. Es empfiehlt sich daher eine Honorarvereinbarung,die nicht nur die von der RVG abweichende Vergütung regeln sollte, sondernzunächst und vor allen Dingen das zu erbringende Leistungsspektrum beschreibensollte, das es zu vergüten gilt.145III.Ziel <strong>des</strong> SteuerprozessesDas Ziel <strong>des</strong> Steuerprozesses ist es, ihn zu gewinnen, wird vermutlich die einfacheAnwort lauten. Dahinter verbirgt sich die vereinfachte Vorstellung, sich mit demSteuerprozess gegen unberechtigte Steuerbelastung zu wehren. Es kann aber auchandere Ziele geben. So kann es z.B. bei einem Grundsatzprozess durchaus auch Zielsein, wenigstens durch obiter dicta zu erfahren, wohin die Zukunft sich entwickelnwird, wenn man schon nicht für die Vergangenheit gewinnt.


- 53 - 53146Ziel eines Steuerprozesses kann es aber auch sein, in Anbetracht einer Untätigkeit <strong>des</strong>Finanzamtes aktiv zu werden. 199) Und selbst wenn man im Steuerprozess obsiegt (Primärrechtschutz),kann weiteres damit verfolgtes Ziel sein, damit zugleich die Grundlagezu erhalten, Folgeschäden im Wege der Amtshaftung (Sekundärrechtsschutz)anschließen zu können. 200)147148IV.ProzessstrategieDer Steuerprozess betrifft ja nicht nur das Hauptsacheverfahren, sondern auch andereVerfahren wie z.B. das AdV-Verfahren (§ 69 FGO) oder das einstweilige Anordnungsverfahren(§ 114 FGO). Ferner sind innerhalb <strong>des</strong> Hauptsacheverfahrens Variantendenkbar wie die Klage nach einer negativen Einspruchsentscheidung oder eineUntätigkeitsklage in Anbetracht einer unterlassenen Einspruchsentscheidung zeigen.201) Zur Frage der Prozessstrategie kann es folglich gehören, während <strong>des</strong> Einspruchsverfahrensnach erfolglosem Durchlaufen <strong>des</strong> AdV-Verfahrens bei dem Finanzamt(§ 361 Abs. 2 AO) ein gerichtliches Verfahren nach § 69 FGO anzuschließen,um die Rechtsmeinung <strong>des</strong> FG „vorzutesten“.Aus einer vom FG gewährten AdV und der dazu gegeben Begründung kann sichnämlich für das Finanzamt die Frage stellen, ob es ratsam ist, gegen die Rechtsauffassung<strong>des</strong> FG das Einspruchsverfahren gleichwohl zu Lasten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen miteiner Einspruchsentscheidung abzuschließen, die einen Finanzgerichtsprozess mitabsehbaren negativem Ausgang zur Folge haben wird. Umgekehrt wird sich der Steuerpflichtigenach für ihn negativ verlaufenem finanzgerichtlichen AdV-Verfahrenvergleichbares fragen. Ungeachtet eines negativen Ausganges eines finanzgerichtlichenAdV-Verfahrens werden Finanzamt bzw. Steuerpflichtiger gleichwohl am Zieleines Steuerprozesses im Hauptsacheverfahren festhalten, wenn man entweder glaubt,bis dahin die Argumente <strong>des</strong> FG entkräften zu können oder in jedem Falle eine Nichtzulassungsbeschwerdeoder Revision zum BFH ins Auge faßt.199)200)201)Siehe Kirchhof/Raupach DB 2001, Beilage 2, Seite 3 ff. zum Nichtanwendungserlass <strong>des</strong> BMF04.12.2000 – IV A 2 – S 2770 – 3/00, BStBl. I 2000, 1571 im Hinblick auf BFH 09.06.1999 – I R43/97, BStBl. II 2000, 695 und BFH 09.06.2000 – I 37/98, BFH/NV 2000, 347, um „vergleichbareFälle weiterhin im Hinblick auf eine mögliche gesetzliche Regelung offenzuhalten, ..... dieeventuell auch die Vergangenheit mit einbezieht.“ Mit diesem Nichtanwendungserlass strebe dieFinanzverwaltung ein Offenhalten von Steuerfestsetzung bzw. Veranlagungen bei Mehrmütterorganschaftenund damit einen Nichtvollzug geltender Gesetze an, um ein künftiges Gesetz abzuwarten,das entgegen der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH mit Rückwirkung die Rechtsauffassung derFinanzverwaltung berücksichtigen solle. Kirchof/Raupach (aaO Seite 5) regen daher Untätigkeitseinsprüche(§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) bzw. Untätigkeitsklagen (§ 46 Abs. 1 FGO) an, solltedie Finanzverwaltung in Anbetracht <strong>des</strong> Nichtanwendungserlasses offene Verfahren nicht fortsetzen.Nach BFH 28.06.2010 – III B 97/09, BFH/NV 2010, 1784 sind Aussetzungszinsen auch für denFall der Dauer einer schuldhaft verzögerten Rechtsbehelfsbearbeitung zu bezahlen, zumal derSteuerpflichtige die Möglichkeit habe, der Festsetzung von Aussetzungszinsen durch Zahlung derSteuer zu entgehen. Dies widerspricht jedoch dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz beiangemessen kurzer Verfahrensdauer und schließt nicht aus, im Wege der Amtshaftung gezahlteAussetzungszinsen bei schuldhaft verzögerter Verfahrensdauer zurückzuklagen.Mit der Untätigkeitsklage kann allerdings nicht das Ziel verfolgt werden, das FA zum Tätigwerden(Erlaß von Einspruchsentscheidungen) anzuhalten: BFH 17.02.1999 - IV B 61/98, n.V.


- 54 - 54149Die Frage der Prozessstrategie befaßt sich mithin nicht nur mit dem Hauptsacheprozess,sondern auch mit der Frage wie man diesen positioniert und welche Begleitmaßnahmenmöglich oder ratsam sind.1501511521531541551561571581. Festlegung der ProzessstrategieHat man sich für die Durchführung <strong>des</strong> Steuerprozesses entschieden, geht es alsdanndarum, sich auf eine Prozessstrategie festzulegen. Dazu kann gehören, die Schwerpunkte<strong>des</strong> eigenen Vorgehens zu bestimmen.- Welchen Stellenwert sollen verfahrensrechtliche (AO) und prozessuale Fragen(FGO) erhalten?- Soll es (nur) auf Sachverhaltsfragen ankommen?- Oder soll es z.B. auf zivilrechtliche Vorfragen und daraus abzuleitende steuerlicheFolgen ankommen?- Stehen europarechtliche Fragen im Vordergrund?- Sollen verfassungsrechtliche Fragen thematisiert werden?- Ist man an einer schnellen oder langsamen Entscheidung interessiert? Im letzterenFall wird man viel mehr u.U. vorlagebedürftige Fragen thematisieren als im ersterenFall.Hat man sich für eine Klageerhebung entschieden, so empfiehlt es sich, zunächst dieKlageschrift mit darin enthaltenen Klageanträgen unter Beifügung einer Abschrift <strong>des</strong>streitgegenständlichen Verwaltungsaktes und der Einspruchsentscheidung nach Maßgabe<strong>des</strong> § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, jedoch noch ohne Klagebegründung, einzureichen.Denn die Klagebegründung „soll“ nur mit enthalten sein, sie muß es nicht (§ 65 Abs. 1Satz 2 FGO). Dies <strong>des</strong>halb, um alsdann zunächst Akteneinsicht zu nehmen (§ 78 Abs.1 FGO). Auf diese Weise erhält man klägerseits erstmals die Möglichkeit, in dieAmtsakten einzusehen und kann sich entsprechende Kopien fertigen lassen. 202) Vorgänge,die bisher dem Kläger unbekannt waren (z.B. Kontrollmitteilungen, Auskünfteanderer Behörden, anonyme Anzeigen etc.) gelangen dem Prozeßanwalt auf dieseWeise zur Kenntnis. 203)Bereits hier können sich Probleme stellen. So ist mitunter festzustellen, dass FinanzämterSachverhalte aus der Steuersphäre <strong>Dr</strong>itter dem Mandanten entgegenhalten, ohneihm die Möglichkeit zu geben, solche Sachverhalte zu überprüfen. Wendet man ein,dadurch werde das Steuergeheimnis <strong>Dr</strong>itter verletzt (§ 30 Abs. 1 AO), weswegen Bedenkengegen die Verwertbarkeit solcher Sachverhalte erhoben werden, so wendet dasFinanzamt ein, dies sei aufgrund <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 Nr. 1 AO gestattet. Für diesen Fallkann im finanzgerichtlichen Verfahren § 96 Abs. 2 FGO thematisiert werden. § 30Abs. 4 Nr. 1 AO und § 96 Abs. 2 FGO bedingen sich. Wenn das Finanzamt meint,unter Hinweis auf die Zulässigkeit <strong>des</strong> Einbringens von Sachverhalt aus der Steu-202)203)Restriktiv BFH 17.10.2007 – VI B 138/06, BFH/NV 2008, 101, wonach grds. kein Anspruchbesteht, sich Kopien der gesamten Gerichts- und Verwaltungsakten fertigen zu lassen.Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 598


- 55 - 55159160161ersphäre <strong>Dr</strong>itter in den Finanzgerichtsprozess auf § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO verweisen zukönnen, dann muss aufgrund § 96 Abs. 2 FGO dem Kläger gestattet werden, sich dazuäußern zu können, was wiederum zur Folge hat, all das überprüfen zu können, was dasFinanzamt dieserhalb dem Finanzgericht an Unterlagen zugereicht hat, wenn es dennvom FG der eigenen Entscheidung zu Grunde gelegt werden sollte.Auch Gerichtsakten können beigezogen werden, wozu u.U. auch beigezogene Aktenanderer Vorgänge gehören können (Steuer- und Prüfungsakten, Strafakten, Bauaktenetc.). 204) Klägerseits erfährt man auf diese Weise etwas über die Meinungsbildung <strong>des</strong>Finanzamtes. 205) Die Vorbereitung der Klagebegründung sollte folglich stets mit demAktenstudium <strong>des</strong> Prozessgegners, <strong>des</strong> Finanzamtes, beginnen.Es gilt ferner auch zu prüfen, ob die Rechtsauffassung <strong>des</strong> Finanzamtes etwa daraufberuht, dass das Finanzamt sich an ein BMF-Schreiben oder eine OFD-Verfügunggebunden fühlt. Zwar handelt es sich dabei nicht um Normen, so dass Finanzgerichtedaran nicht gebunden sind. 206) Aber etwas anderes kann dort gelten, wo das Finanzamtaufgrund Gesetzes ein Ausübungsermessen hat, das per BMF-Schreiben oder OFD-Verfügung vereinheitlicht wird. 207) Dies ist etwas grundlegend anderes, als norminterpretierendeVerwaltungsvorschriften, die Gerichte nicht binden. 208) In solchen Fällen<strong>des</strong> gesetzlich gewährten Ausübungsermessens können diese für ein FG sehr wohlbeachtlich sein, da im Grundsatz ein FG dort, wo das Gesetz der Verwaltung ein Ermesseneinräumt, Gerichte nicht eine eigene Ermessensausübung an die Stelle <strong>des</strong>Ermessens der Finanzverwaltung setzen dürfen. 209) Wohl aber kann das FG überprüfen,ob die Behörden sich an ihre eigenen Richtlinien gehalten haben bzw. ob dieRichtlinien ihrerseits den Anforderungen an eine sachgerechte Ermessensausübungentsprechen. 210) Diese Überlegungen müssen insbesondere in Fällen gemäß §§ 163,227 AO vorab angestellt werden, weil eine gerichtliche Überprüfung lediglich beimErmessensfehlgebrauch ansetzen darf. 211)Bei der Überprüfung von Ermessenentscheidungen durch ein Gericht ist grundsätzlichauf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, die im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidungvorhanden waren. 212) Ob man folglich eine Ermessensentscheidungangreifen könnte, hängt davon ab, ob man insoweit einen Ermessensfehlgebrauchnachweisen kann.204)205)206)207)208)209)210)211)212)Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 599Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 119FG Saarland 07.05.2002 – 1 K 74/02, EFG 2002, 951Nach BFH 24.11.2005 – V R 37/04, HFR 2006, 482 hat das FG nur zu prüfen, ob (1) das FA sichan die Richtlinie gehalten hat und (2) die Richtlinie selbst eine sachgerechte Ermessensausübungist. So auch BFH 11.04.2006 – VI R 64/02, HFR 2006, 849BFH 26.04.1995 – XI R 81/93, BStBl. II 1995, 754; BFH 09.12.1999 – III R 74/97, BStBl. II2001, 311; BFH 08.10.2001 – VI B 138/01, BFH/NV 2002, 839FG Saarland 07.05.2002 – 1 K 74/02, EFG 2002, 951BFH 24.11.2005 – V R 37/04, BFH/NV 2006, 1014, 1016BFH 11.05.2006 – II B 119/05, BFH/NV 2006, 1676; BFH 18.05.2006 – II B 41/04, BFH/NV2006, 1679, 1680; FG Saarland 07.05.2002 – 1 K 74/02, EFG 2002, 951 mit Anm. Büchter-HoleBFH 26.01.2006 – VI B 89/05, HFR 2006, 440, 441


- 56 - 56162Möchte man im Wege der Untätigkeitsklage vorgehen und handelt es sich um einenoch nicht ergangene Einspruchs-Entscheidung <strong>des</strong> Finanzamtes, die, wenn sie ergehenwürde, eine Ermessensentscheidung wäre, so ist man gehalten, für das FG einePrognose <strong>des</strong> voraussichtlichen Ausganges <strong>des</strong> Hauptsacheverfahrens zu beschreiben.213)1631641652. KlageartenEine zulässige Klage setzt voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den ergangenenoder unterlassenen bzw. abgelehnten Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletztworden zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO). Dazu zählt auch die Darlegung <strong>des</strong> Rechtsschutzinteresses:„Grundsätzlich fehlt das Rechtsschutzinteresse für eine Klage, wenn der angefochtene Steuerbescheidin einem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, die verfassungsrechtlicheFrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleich gelagerter Verfahren stellt undbereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängigist.“ 214)Der Kläger ist folglich in solchen Fällen u. U. von dem Ausgang einer bereitsanhängigen Verfassungsbeschwerde und den dort vorgetragenen Gründen abhängig,ohne verfahrensmäßig mit eigenen, anderen, verfassungsrechtlich bedeutsamen GründenEinfluß nehmen zu können. Und trotz erheblicher verfassungsrechtlich beachtlicherGründe würde ihm folglich die Klageerhebung gegen den ihn belastendenSteuerbescheid versagt sein, mit der Folge, dass der Staat sich mit einer solchenRechtsprechung eine möglicherweise auf verfassungswidriger Grundlage basieren<strong>des</strong>Steueraufkommen ohne Gegenwehr sichern könnte, wenn man bereits die Zulässigkeitder Klageerhebung am fehlenden Rechtsschutzinteresse festmachen würde. Es bestehenBedenken, ob eine solche Rechtsprechung <strong>des</strong> III., und X. Senates <strong>des</strong> BFH 215)nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt. Unter Hinweis darauf könnte statt <strong>des</strong>sendaran gedacht werden, Klage auch dann zulässigerweise zu erheben, wenn Musterverfahrenbeim BVerfG anhängig sind.Und was die Frage <strong>des</strong> Rechtsschutzinteresses betrifft, wäre auf den Hinweis in derEntscheidung <strong>des</strong> XI. Senates <strong>des</strong> BFH 216) vom 13.04.2000 zu verweisen, dass dasRechtsschutzinteresse nicht bei Klageerhebung sondern im Zeitpunkt der Sachentscheidungvorliegen müsse. Der Kläger ist dann nicht gehindert, unabhängig von bereitsbekannten „Muster“-Verfahren (beim BVerfG) eigenständig verfassungsrechtlicheFragen zu thematisieren, um z.B. zu versuchen, das FG zu überzeugen, gem. Art.100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG vorzulegen. Käme es gar vorrangig auf eine europarechtlicheFrage an, könnte zudem versucht werden, das FG zu überzeugen, dem213)214)215)216)BFH 26.01.2006 – VI B 89/05, HFR 2006, 440, 441BFH 13.04.2000 - XI R 3, 4/99, n.V. u.H.a. BFH 22.03.1996 - III B 173/95, BStBl II 1996, 506,m.w.N; ähnlich BFH 30.11.1992 - X B 18/92, BFH/NV 1993, 732; BFH 25.06.1993 - III B133/92, BFH/NV 1994, 815; s.o. Rdn. 63, 64BFH 30.11.1992 - X B 18/92, BFH/NV 1993, 732; BFH 25.06.1993 - III B 133/92, BFH/NV1994, 815; BFH 22.03.1996 - III B 173/95, BStBl II 1996, 506, m.w.NBFH 13.04.2000 - XI R 3, 4/99, n.V.


- 57 - 57166167168EuGH vorzulegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV), zumal eine europarechtliche Frage imHinblick auf eine nationale Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerdevorrangig wäre. 217) Wird jedoch ein bei Gericht bereits angefochtenerSteuerbescheid erst während <strong>des</strong> Klageverfahrens gemäß § 165 AO 1977 für vorläufigerklärt, so entfällt nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH das Rechtsschutzinteressenicht. 218)Dort, wo das Finanzamt u.H.a. andere angebliche Musterverfahren belastende Steuerbescheide(teilweise) für vorläufig erklärt, um u.H.a. die Rechtsprechung <strong>des</strong> III. Senates<strong>des</strong> BFH 219) die Zulässigkeit der Klageerhebung in Frage zu stellen, gilt es vorabsehr genau herauszuarbeiten, ob ein vergleichbarer Sachverhalt dieselbe Rechtsfragezur Folge hat. Denn wenn dies nicht der Fall wäre, könnte schon <strong>des</strong>halb die Frage <strong>des</strong>Rechtsschutzinteresses nicht in Frage gestellt werden.Ob die Frage <strong>des</strong> Rechtsschutzinteresses bereits bei Klageerhebung 220) oder erst beieiner Sachentscheidung <strong>des</strong> FG 221) relevant wird, stellt sich folglich erst dort, wo beiVergleichbarkeit <strong>des</strong> Sachverhaltes dieselbe verfassungsrechtliche Frage bedeutsamist. Aus Gründen der Prozessstrategie reicht es folglich nicht, sich bei Klageerhebungkundig zu machen, ob im Hinblick auf das Rechtsschutzinteresse bezüglich der streitrelevantenFragen z.B. beim EuGH oder dem BVerfG bereits sog. Musterverfahrenanhängig sind, sondern es ist auch notwendig, sich mit den dort vorgetragenen Gründen- die in aller Regel aus dem Fachschrifttum bekannt sein werden - zu befassen;denn wenn man sich an in anderen Verfahren bereits vorgetragenen verfassungsrechtlichenGründen nur anlehnen möchte, kann in Anbetracht dieser anderen Verfahrenbei vorhandener Vorläufigkeit (§ 165 Abs. 1 AO) das Rechtsschutzinteresse einererhobenen Klage fragwürdiger sein, als wenn man eigenständige und zusätzlicheGründe vortragen kann.Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Bevollmächtigung durch eine schriftlicheVollmacht nachzuweisen. Es wird im einzelnen beschrieben, welche Folgen eintretenkönnen, wenn dem nicht entsprochen wird und auch § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO nichtgreifen sollte. 222) Diesbezüglichen Fragen und Problemen sollte man dadurch aus demWege gehen, indem man sich angewöhnt, stets mit der Klageschrift eine schriftlicheVollmacht mit beizufügen.169a) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 40 FGO)Das Klagebegehren, der angefochtene bzw. begehrte Steuerbescheid = Verwaltungsakt,und das sich aufgrund dieses Beschei<strong>des</strong> ergebende Ergebnis sind die Grundlagen,die für die Amtsermittlung <strong>des</strong> FG (§ 76 Abs. 1 FGO) zur Verfügung stehen. Nach217)218)219)220)221)222)BFH 10.02.1995 - III B 73/94, BStBl II 1995, 415vgl. z.B. BFH 10.02.1995 - III B 73/94, BStBl II 1995, 415; offengelassen bei BFH 13.04.2000 -XI R 3, 4/99, n.V. mit Hinweis, dass das Rechtsschutzinteresse im Zeitpunkt der Sachentscheidungvorliegen müsse.BFH 10.02.1995 - III B 73/94, BStBl II 1995, 415BFH 30.11.1992 - X B 18/92, BFH/NV 1993, 732; BFH 25.06.1993 - III B 133/92, BFH/NV1994, 815; BFH 10.02.1995 - III B 73/94, BStBl II 1995, 415BFH 13.04.2000 - XI R 3, 4/99, n.V.Urban DStZ 2001, 801


- 58 - 58170171Klageerhebung gilt zwar für das FG ein Verböserungsverbot, aber das FG ist berechtigt,innerhalb dieses Rahmens gegenläufige Besteuerungsmerkmale miteinander zusaldieren („Saldierungstheorie“). 223) Für die Bestimmung der Prozessstrategie ist inAnbetracht <strong>des</strong> mit einem Finanzgerichtsprozess verbundenen zeitlichen und finanziellenAufwan<strong>des</strong> mithin die Frage wesentlich, ob der Steuerpflichtige per Saldodurch den belastenden oder unterlassenen Verwaltungsakt spürbar belastet ist, ob alsoper Saldo der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. 224) Sind folglich einzelneBesteuerungsmerkmale rechtswidrig, ändert sich aber per Saldo am belastenden Ergebnisnichts, so ist die Klage unbegründet 225) bzw. mangels Rechtsschutzinteressessogar unzulässig.In Fällen der Anfechtungsklage muß die Klageschrift innerhalb der Frist <strong>des</strong> § 47 Abs.1 FGO bei dem FG eingegangen sein (§ 64 Abs. 1 FGO). Gemäß § 47 Abs. 2 FGO istdie Klagefrist aber auch dann gewahrt, wenn innerhalb der Klagefrist die Klage beider Behörde eingeht, die den angefochtenen Bescheid erlassen oder bekanntgegebenhat. Zur Fristgerechtheit ist nicht erforderlich, daß Anlagen, auf die in der KlageschriftBezug genommen wird, ebenfalls fristgerecht eingereicht worden sind. 226)Die Anforderungen an die Fristgebundenheit hat der BFH 227) entschärft:„Grundsätzlich ist eine Klage gemäß § 64 Abs. 1 FGO schriftlich bei dem Gericht zu erheben.Es genügt jedoch, wenn die Klage innerhalb der Frist <strong>des</strong> § 47 Abs. 1 FGO bei der Behördeangebracht wird, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 47 Abs. 2 Satz 1 FGO).Als Prozesshandlung ist das Anbringen eines Rechtsbehelfs in gleicher Weise wie bürgerlichrechtlicheWillenserklärungen der Auslegung zugänglich, wobei nicht am buchstäblichen Sinne<strong>des</strong> Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbarenUmstände zu ermitteln ist; auf die korrekte Bezeichnung <strong>des</strong> Rechtsbehelfs kommt es nichtan. Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung grundsätzlich davonauszugehen, dass der Steuerpflichtige den Rechtsbehelf einlegen wollte, der seinen Belangenentspricht, und der zu dem von ihm angestrebten Erfolg führen kann (vgl. z.B. Urteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>finanzhofs--BFH-- vom 18. Dezember 1985 I R 30/85, BFH/NV 1986, 675, m.w.N.). Prozesserklärungensind daher so auszulegen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach denMaßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht(BFH-Urteil vom 8. November 1996 VI R 37/94, BFH/NV 1997, 363, m.w.N.).“223)224)225)226)227)BFH 17.07.1967 – GrS 1/66, BStBl. II 1968, 344; BFH 22.11.1968 – VI 52/67, BStBl. II 1969,169; BFH 26.11.1979 – GrS 1/79, BStBl. II 1980, 99; BFH 24.02.2000 – III R 80/97, BFH/NV2000, 908; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 34BFH 10.02.1988 – VIII R 352/82, BStBl. II 1988, 544; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht,Seite 35Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 34BFH 21.08.2012 – X B 6, 7/12, BFH/NV 2013, 385BFH 29.10.1998 - XI R 25/98, BFH/NV 1999, 633; ähnlich BFH 26.04.1995 - I R 22/94, BStBl II1995, 601; BFH 08.11.1996 - VI R 37/94, BFH/NV 1997, 363; BFH 16.01.1997 - III R 99/96,BFH/NV 1997, 508; BFH 14.02.1997 - I B 80/96, BFH/NV 1997, 675: „Für das Anbringen einerKlage beim FA gemäß § 47 Abs.2 FGO genügt es, wenn diese in einem verschlossenen und postalischan das FA adressierten Briefumschlag in den Briefkasten <strong>des</strong> FA eingeworfen oder beimFA abgegeben wird. Die Klageanschrift muß nicht derart in den Verfügungsbereich <strong>des</strong> FA gelangen,dass es von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Umgekehrt schadet es aber auch nicht,wenn die Klageschrift statt an das FG an das FA adressiert ist und von diesem zur Kenntnis genommenwird. Maßgebend ist allein, dass die Klage als solche erkannt wird und an das zuständigeFG weitergeleitet werden kann (Anschluß an BFH-Urteil vom 26. April 1995 I R 22/94, BFHE177, 237, BStBl II 1995, 601).“ (Leitsatz)


- 59 - 59172173174Eine besondere Art der Verpflichtungsklage ist die Geltendmachung eines Steuererstattungsanspruch(§ 37 Abs. 2 AO). Dabei ist zwischen dem Festsetzungs- und Erhebungsverfahrenzu unterscheiden. Zum Festsetzungsverfahren gehört auch die Festsetzungder Überzahlung durch Verwaltungsakt, da das Gesetz Erstattungsbescheidenicht kennt. 228) Diese Frage gewinnt dort an Bedeutung, wo ein Finanzamt unter Verstoßgegen Gemeinschaftsrecht zu Unrecht Abgaben erhoben hat. 229) In solchen Fällensteht dem Betroffenen ein Anspruch auf Erstattung zu viel oder zu Unrecht entrichteterAbgaben zu, wie auch der Mitgliedstaat zur Erstattung verpflichtet ist. 230) Die mitder Erstattung damit zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Fragen sind Sache<strong>des</strong> jeweiligen Mitgliedstaates, 231) der aber diesbezüglich keine ungünstigeren Verfahrensregelnaufstellen darf, als es der Fall wäre, wenn es um eine Erstattung von Abgabenohne die gemeinschaftswidrige Norm ginge. 232) Wenn ein solcher Anspruch nachder Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH dem Finanzamt bei Erstattungsansprüchen wegen fehlgeleiteter Zahlungen gegen <strong>Dr</strong>itte zusteht, dann muß ein solcher verfahrensrechtlicherWeg einem Steuerschuldner auch gegen das Finanzamt bei gemeinschaftswidrigenÜberzahlungen zustehen. 233) Auch insoweit handelt es sich um ein auf Beseitigungeiner unrechtmäßigen Vermögensverschiebung gerichtetes Steuerschuldverhältnis. 234)Gemäß § 218 Abs.2 Satz 2 AO 1977 entscheidet bei Streitigkeiten über Ansprüchenach § 37 Abs.2 AO 1977 das Finanzamt durch Verwaltungsakt, der den allein durchdie Verwirklichung <strong>des</strong> gesetzlichen Tatbestan<strong>des</strong> (§ 37 Abs.2 AO 1977) entstandenenund bestehenden Anspruch lediglich festsetzt.Dieser gesetzliche Tatbestand ist bereits durch das Finanzamt richtlinienkonform auszulegen.Mit dem Wirksamwerden dieses Verwaltungsakts bildet dieser die Grundlagefür die Verwirklichung <strong>des</strong> betreffenden Zahlungsanspruchs, und zwar nicht nur hinsichtlichder Höhe, sondern auch bezüglich der materiellen Grundlage <strong>des</strong> An-228)229)230)231)232)233)234)Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 218 Rdn. 8S.u. Rdn. 216 f.; dazu EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (Webers Wine World Handels-GmbHu.a./Beta-Leasing GmbH), HFR 2004, 65. Nach EuGH (aaO) Rdn. 94 f. gibt es eine einzige Ausnahme:„Ein Mitgliedstaat kann einem Abgabepflichtigen die Erstattung einer gemeinschaftswidrigerhobenen Abgabe versagen, wenn er feststellt, daß die Abgabenlast in vollem Umfang voneinem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde und wenn die Erstattung an den Abgabepflichtigenzu <strong>des</strong>sen ungerechtfertigten Bereicherung führen würde. Folglich ist der Mitgliedstaat,wenn die Abgabenlast nur teilweise abgewälzt wurde, dazu verpflichtet, den nicht abgewälztenBetrag zu erstatten ...“ Zur Abwälzung auch EuGH 25.02.1988 – Rs. 331, 376 und378/85 (Bianco und Girard), Slg. 1988, 1099 = HFR 1989, 451EuGH 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 6, 13; EuGH10.09.2002 – Rs. C-216/99, C-222/99, Beilage zu BFH/NV 1/2003, 1, 6. Die rückwirkende Änderungder Abgabenerstattung ist gemeinschaftswidrig: EuGH 10.09.2002 – Rs. C-216/99 (RicardoPrisco) und C-222/99 (CASER), EuZW 2003, 237 Rdn. 77 ff.; EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01(Webers Wine World Handels-GmbH u.a./Beta-Leasing GmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 93; de WeerthDB 2005, 1407, 1408EuGH 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 6, 13EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (Webers Wine World Handels-GmbH u.a./Beta-LeasingGmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 87; de Weerth DB 2005, 1407, 1408BFH 18.06.1986 - II R 38/84, BStBl. II 1986, 704BFH 18.06.1986 - II R 38/84, BStBl. II 1986, 704


- 60 - 60175176177spruchs. 235) Verweigert das Finanzamt einen solchen Bescheid durch einen Ablehnungsbescheid,kann nach erfolglosem Durchlaufen <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens Verpflichtungsklageauf Erlass eines solchen Abrechnungsbeschei<strong>des</strong> erhoben werden.Verweigert das Finanzamt einen solchen Bescheid durch Untätigkeit, kann dagegenein sogenannter Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) erhoben werden undverbleibt das Finanzamt weiter untätig, kann gemäß § 46 FGO Untätigkeitsklage erhobenwerden.Vergleichbares dürfte für folgen<strong>des</strong> gelten: Der EuGH 236) hat nunmehr wiederholtentschieden, dass Gebühren, die für die Eintragung einer Kapitalgesellschaft bzw.deren Kapitalerhöhung erhoben werden und dies ohne Obergrenze proportional zumgezeichneten Nennkapital geschieht, keine Abgaben mit Gebührencharakter sondernverdeckte Steuern sind. Dafür Steuern zu erheben, sei gemäß Art. 10c RiL 96/335/EWG in der Fassung der RiL 85/303/EWG verboten, worauf sich der Einzelne vor nationalenGerichten direkt berufen könne. 237) Folglich sei der Mitgliedstaat verpflichtet,die zu viel eingeforderten Beträge zu erstatten und das angerufene Gericht sei verpflichtet,die Rückzahlungsverpflichtung festzustellen.Das vom nationalen Recht zur Verfügung gestellte Verfahren zur Erstattung von zuUnrecht erhobenen Abgaben muß dem Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip entsprechen.238) Nach dem Äquivalenzprizip darf das Verfahren für auf Gemeinschaftsrechtgestützte Anträge nicht ungünstiger ausgestaltet sein als für Erstattungsansprüche <strong>des</strong>nationalen Rechts. 239) Und nach dem Effektivitätsprinzip besteht ein Anspruch aufErstattung einer zu Unrecht erhobenen Abgabe, es sei denn, dies würde zu einer ungerechtfertigtenBereicherung dieses Wirtschaftsteilnehmers führen. 240)In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH darauf hingewiesen, dass eine Obergrenzealleine einer Abgabe noch keinen Gebührencharakter verleihe, wenn die Obergrenzenicht so festgelegt werde, dass sie den Kosten der Dienstleistung angemessensei. 241) Da der EuGH die Ausgestaltung <strong>des</strong> Erstattungsverfahrens den Mitgliedstaatenüberläßt, 242) könnte die Rückforderung zu viel gezahlter Steuern anläßlich Handelsre-235)236)237)238)239)240)241)242)BFH 18.06.1986 - II R 38/84, BStBl. II 1986, 704EuGH 02.12.1997 – Rs. C-188/95 (Fantask), Slg. 1997, I-6783; EuGH 29.09.1999 – C-56/98, Slg.1999, I-6427; EuGH 21.09.2000 – C-19/99, Slg. 2000, I-0000; EuGH 26.09.2000 – C-134/99,Beilage zu BFH/NV 8/2001, 95; EuGH 10.09.2002 – Rs. C-216/99 (Ricardo Prisco) und C-222/99 (CASER), EuZW 2003, 237, 238EuGH 26.09.2000 – C-134/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 95, 98EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (Webers Wine World Handels-GmbH u.a./Beta-LeasingGmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 102; EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Wells), Slg. 2004, I-723Rdn. 67EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (Webers Wine World Handels-GmbH u.a./Beta-LeasingGmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 104 f.; EuGH 09.12.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Slg.2003, I-14637 Rdn. 25; EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Wells), Slg. 2004, I-723 Rdn. 67EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (Webers Wine World Handels-GmbH u.a./Beta-LeasingGmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 109 f.; EuGH 09.12.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Slg.2003, I-14637 Rdn. 25EuGH 21.06.2001 – C-206/99, Beilage zu BFH/NV 11/2001, 169, 172EuGH 26.09.2000 – C-134/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 95, 98; EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (Webers Wine World Handels-GmbH u.a./Beta-Leasing GmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 93


- 61 - 61178gistereintragungen entsprechend dem zuvor dargelegten Verfahren mittels Verpflichtungsantrag,Einspruch und Verpflichtungsklage erfolgen.Ob es sich bei einer erhobenen Klage um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagehandelt, ist dann, wenn dies aus der Klageschrift samt Klagebegründung nicht eindeutighervorgeht, vom FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 HS 2 FGO im Wege der Auslegung<strong>des</strong> Willens der klagenden Partei sowie der erkennbaren Umstände zu ermitteln.Diesbis zur Revisionsinstanz hin. Maßstab ist nicht, was beantragt wurde, sondern was alsrichterlichen Ausspruch begehrt wird. Und dazu ist maßgebend, was nach den Maßstäbender Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage <strong>des</strong>Klägers entspricht. Nur diese Vorgehensweise entspricht mit dem BFH dem grundrecht<strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG. 243)179180b) Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO)Die allgemeine Leistungsklage betrifft eine Leistung, die nicht in einem Verwaltungsaktbesteht. Unter Leistung versteht man je<strong>des</strong> Tun, Dulden oder (vorbeugen<strong>des</strong>) Unterlassen,244) wenn es nicht um einen Verwaltungsakt geht. Beispiele sind Verurteilungenzur Auskunfterteilung, 245) Erteilung eines Außenprüfungsberichts etc.. 246)Eine Leistungsklage auf Gewährung von Akteneinsicht 247) hat sich inzwischen wegendem seit dem 01.04.2005 geltenden § 86 Abs. 3 FGO erledigt. 248)181c) Feststellungsklage (§ 41 FGO)aa)Feststellungsklage oder EinspruchWeist ein Steuerbescheid einen falschen Steuerschuldner aus 249) oder wird er nichtordnungsgemäß bekannt gegeben, so ist er nichtig bzw. unwirksam. Er erzeugt daherfehlerhafter Weise den Anschein eines wirksamen Verwaltungsaktes. 250) Bei einem243)244)245)246)247)248)249)250)BFH 27.01.2011 – III R 65/09, BFH/NV 2011, 991 Rdn. 10BFH 27.10.1993 - I R 25/92, BStBl II 1994, 210; BFH 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998,424Gemäß FG München 08.02.2011 – 13 K 2769/10, EFG 2011, 1034 mit Anm. Leitner kann das FGeine negativ verbindliche Auskunft nur nach allgemeinen Grundsätzen bei Ermessensentscheidungenüberprüft werden.Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 50 f.; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht,C Rdn. 51; Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 181 f.BFH 04.06.2003 – VII B 138/01, BFH/NV 2003, 1356: Im Verwaltungsverfahren besteht keinAnspruch auf Akteneinsicht, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidungüber einen gestellten Akteneinsichtsantrag.BFH 07.12.2006 – V B 163/05, BStBl. II 2007, 275BFH 23.02.1995 - VII R 51/94, BFH/NV 1995, 862: „Ein Steuerbescheid ist --unheilbar-- unwirksam,wenn er, gemessen an objektiven Maßstäben, nicht eindeutig an den Betroffenen alsSteuerschuldner gerichtet ist (Bezeichnungsmangel).“ (Leitsatz)z.B. das Finanzamt läßt bei einem Gewinnfeststellungsbescheid seinen fehlenden Regelungswilledeutlich erkennen (BFH 07.10.1997 - VIII R 4/96, BFH/NV 1998, 1195); oder das Finanzamtwählt den Anschein eines Gewerbesteuermeßbeschei<strong>des</strong>, erklärt darin aber, keine Feststellungendurchgeführt zu haben.


- 62 - 62182183184185nichtigem Verwaltungsakt muß kein Vorverfahren durchlaufen werden, vielmehr kannsofort auf Feststellung der Nichtigkeit geklagt werden. 251) Alleine der Umstand, daßein Verwaltungsakt einer gesetzlichen Grundlage entbehrt, führt allerdings noch nichtzu seiner Nichtigkeit. 252)Es ist daher eine Frage der Prozessstrategie, ob man bei einem nichtigen Verwaltungsaktsofort Feststellungsklage erhebt oder gegen diesen Einspruch einlegt. Immerhin istin der Praxis festzustellen, dass bei Erhebung einer Feststellungsklage mit der Behauptungder Nichtigkeit <strong>des</strong> Verwaltungsaktes die aus der Finanzverwaltung stammendenFinanzrichter einen erstaunlichen Korpsgeist entwickeln und in der überwiegendenZahl der Fälle alles unternehmen, um mit äußerst phantasiereichen Begründungenunter extensivster „Auslegung“ - wie es dann genannt wird - die Nichtigkeitvermeiden zu können und allenfalls eine Rechtswidrigkeit anzunehmen; denn ein Fehler,der zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes führt, liegt nur dann vor, wenn derVerwaltungsakt die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungenin einem so erheblichen Maß verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann,ihn als verbindlich anzuerkennen und dies ist rechtlich Wertungsfrage, die in der Praxisbeliebig handhabbar ist. 253)Dann aber kann seitens <strong>des</strong> FG darauf hingewiesen werden, es fehle am vorher durchlaufenenVorverfahren und außerdem sei die Anfechtungsklage die richtige Klageart,womit die Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen wird. In solchen Fällen wirddie Begründung von Finanzrichtern dann so abgefaßt, dass eine Nichtzulassungsbeschwerdekeinen Erfolg verspricht. Und sollte man gar wegen der Nichtigkeit auf dieEinlegung eines Einspruchs verzichtet haben, ist dann plötzlich der Verwaltungsaktbestandskräftig und der Anwalt kann sich plötzlich regresspflichtig gemacht haben.Die Feststellungsklage wegen Nichtigkeit <strong>des</strong> Verwaltungsaktes ohne Vorverfahren istmithin prozessstrategisch ein heißes Eisen. In die Unparteilichkeit von aus der Finanzverwaltungstammenden Finanzrichtern sollte man kein zu großes Vertrauen setzenund die Gefahr, dass man dort versucht, den Prozessanwalt in eine Regressproblematikzu verwickeln, ist Realität. Es empfiehlt sich daher, vorsichtshalber auch bei nichtigenVerwaltungsakten zunächst ein Einspruchsverfahren zu durchlaufen - in diesemVerfahren hilfsweise den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit zu stellen (§ 125Abs. 5 AO) 254) -. Und das ist dann auch die Absicht der zuvor beschriebenen Entwicklung:Dem Steuerpflichtigen wird ein schneller Rechtsschutz vorenthalten und der Steuerpflichtigewird in ein Zeit in Anspruch nehmen<strong>des</strong> Vorverfahren gedrängt, dem sichdann ein mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr zu vereinbaren<strong>des</strong> langes Finanzgerichtsverfahrenvon bis zu 6 Jahren und mehr - alleine beim FG - anschließenkann. Es hat mitunter den Eindruck, als ob dem Staat mit seiner Finanzgerichtsbarkeit251)252)253)254)BFH 25.02.1999 - IV R 36/98, BFH/NV 1999, 1117; Gräber/von Groll, FGO, § 41 Rdn. 35FG Niedersachsen 03.11.2011 – 11 K 361/10, EFG 2012, 837BFH 15.05.2002 – X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415, 1416BFH 24.01.2008 – V R 36/06, BStBl. II 2008, 686: Für den Fall, daß eine Nichtigkeitsfeststellungsklagegem. § 41 FGO beabsichtigt ist, muß nicht zuvor ein Antragsverfahren gem. § 125Abs. 5 AO durchlaufen werden. Und für den Fall, daß zunächst ein Antrag gem. § 125 Abs. 5 AOgestellt wurde, muß für eine Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht zunächst der Ausgang <strong>des</strong> Verfahrensgem. § 125 Abs. 5 AO abgewartet werden.


- 63 - 63186eine Verzögerung von Rechtsschutz nicht ungelegen kommt, zumal er in Fällen derAdV am Aussetzungszins von 6 % p.a. verdient.Unverständlich ist die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 255) betr. § 41 Abs. 2 FGO, wonacheine Feststellungsklage auch dann unzulässig sein kann, sofern in absehbarer Zukunftseitens <strong>des</strong> Finanzamtes mit einem Verwaltungsakt zu rechnen ist, weil dann der Steuerpflichtigedurch Gestaltungs- oder Leistungsklage vorgehen kann. Dies bedeutetpartielle Rechtsschutzverweigerung und damit einen Verstoß gegen das Grundrechtauf Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), weil der BFH dem Steuerpflichtigen für diese„absehbare Zukunft“ Rechtsschutzmöglichkeiten untersagt. Denn da ein Verwaltungsaktnoch nicht ergangen ist, ist eine Gestaltungs- bzw. Leistungsklage noch nicht möglichund was „absehbare Zeit“ ist, definiert der BFH nicht.187188bb)AntragstellungMan muß sich folglich im vorgenannten Fall stets das Risiko vergegenwärtigen, dassein nichtiger Verwaltungsakt vom FG in einen rechtswidrigen uminterpretiert wird,weshalb es sich sicherheitshalber empfiehlt, der Klage ein Vorverfahren vorzuschalten.Aber es kommt auch immer wieder vor, dass bei einem anzugreifenden Verwaltungsaktobjektiv unklar ist, ob er nichtig oder nur rechtswidrig ist. Wäre er eindeutignichtig, so wäre die Feststellungsklage die richtige Klageart (§ 41 Abs. 2 Satz 2 FGO)und auf ein Vorverfahren und die Klagefrist <strong>des</strong> § 47 FGO käme es nicht an. Wäre erdagegen eindeutig rechtswidrig, so wäre die Anfechtungsklage die richtige Klageartund erfolglos durchlaufenes Vorverfahren (§ 44 FGO) sowie die zu beachten<strong>des</strong> Klagefrist<strong>des</strong> § 47 Abs. 1 FGO wären bedeutsam. 256) Dies führt in der Praxis dazu, dassnach vorsichtshalber durchlaufenem Einspruchsverfahren entweder als Hauptantragein Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit und als Hilfsantrag ein Anfechtungs- oderVerpflichtungsantrag gestellt wird oder umgekehrt vorgegangen wird. 257)„Macht z.B. ein Kläger zur Begründung seiner Verpflichtungsklage neben den Einwendungengegen die Ablehnung der Aufhebung eines Gewinnfeststellungsbeschei<strong>des</strong> auch die Nichtigkeit<strong>des</strong> Gewinnfeststellungsbeschei<strong>des</strong> geltend, konnte im Streitfall offenbleiben, ob in diesemVerfahren eine Verpflichtung <strong>des</strong> FA zur Aufhebung <strong>des</strong> Gewinnfeststellungsbeschei<strong>des</strong> wegenNichtigkeit ausgesprochen werden kann oder ob in der Geltendmachung der Nichtigkeit --zumin<strong>des</strong>t hilfsweise-- auch der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit <strong>des</strong> Gewinnfeststellungsbeschei<strong>des</strong>zu sehen und eine ggf. zuzulassende Klageänderung nach § 67 FGO zu bejahenwäre (vgl. BFH-Rechtsprechung).Im Streitfall konnte dahinstehen, ob das FA über den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeiteines Verwaltungsaktes i. S. <strong>des</strong> § 125 Abs. 5 AO 1977 durch Erlaß eines ablehnenden Verwaltungsaktesentscheiden kann und ob mit <strong>des</strong>sen Bestandskraft der Einwand der Nichtigkeit255)256)257)BFH 04.07.2007 – IV B 43/06, BFH/NV 2007, 2127, 2128Für die Bekanntgabe i.S.d. § 47 Abs. 1 FGO gilt – unabhängig von § 130 BGB - gemäß § 122Abs. 2 Nr. 1 AO der schriftliche Verwaltungsakt am <strong>Dr</strong>itten Tag nach der Aufgabe zur Post alsbekanntgegeben, selbst wenn der dritte Tag auf einen Samstag oder Sonntag fällt. Auf einen tatsächlichfrüheren Zugang entsprechend § 130 BGB darf nicht zurückgegriffen werden: BFH13.09.2002 – V B 84/02, BFH/NV 2003, 140, 141BFH 07.10.1997 - VIII R 4/96, BFH/NV 1998, 1195; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht,Seite 53; Seer in: Tipke/Kruse, FGO, Stand 06/1997, § 40 Rdn. 4


- 64 - 64189190generell ausgeschlossen wäre (ablehnend die ständige Rechtsprechung). (JURIS - Orientierungssatz)“258)Wird im Hauptantrag eine Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage erhoben, so müssenderen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sein. Ein Vorverfahren muß abgeschlossensein und fristgerecht Klage erhoben worden sein bzw. es kann unter denVoraussetzungen <strong>des</strong> § 46 FGO Untätigkeitsklage erhoben werden. Und bezüglich derhilfsweise erhobenen Feststellungsklage müssen deren Voraussetzungen gegeben sein,wobei aber für den Fall einer Untätigkeitsklage im Hauptantrag zu sehen ist, dass esbezüglich der hilfsweise erhobenen Feststellungsklage keine Untätigkeitsklage möglichist. Da aber die Untätigkeitsklage keine besondere Klageart ist, die das Finanzamtzur Tätigkeit veranlassen soll, sondern nur eine Klage wegen Untätigkeit vor Abschluss<strong>des</strong> Einspruchsverfahrens ermöglicht, ist es kein Hindernis, auch im Rahmeneiner Untätigkeitsklage Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsanträge im Hauptantrag miteinem Feststellungsantrag als Hilfsantrag zu verknüpfen.Sind dagegen Einspruchs- bzw. Klagefrist verstrichen, bleibt für solche Fälle nur nochdie Feststellungsklage übrig. 259)191cc)Negative FeststellungsklageErgeben sich aus einem Steuerschuldverhältnis Ansprüche, die nicht mit einer Anfechtungs-oder Leistungsklage verfolgt werden können, dann kann sich die Erhebungeiner positiven oder negativen Feststellungsklage anbieten (Gegenteilsschluß zu § 41Abs. 2 FGO). 260) Dies können jedoch nicht abstrakte Rechtsfragen 261) und auch nichtVorfragen eines Rechtsverhältnisses sein. Man spricht von der Subsidiarität der Feststellungsklage.262) Hinzu kommen muß die Darlegung eines besonderen Feststellungsinteresses(§ 41 Abs. 1 FGO), das gegeben ist, wenn ein der Sachlage entsprechen<strong>des</strong>258)259)260)261)262)BFH 07.10.1997 - VIII R 4/96, BFH/NV 1998, 1195Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 35z.B. BFH 07.03.1995 - VII R 59/93, BFH/NV 1995, 640: „Bei drohenden Eingriffen der Finanzverwaltungin die Berufsausübung eines Staatsbürgers oder die Art und Weise seiner Tätigkeit(hier: Untersagung der Hilfeleistung in Steuersachen und Zurückweisung als Bevollmächtigtergegenüber einem Vermittler von Bausparverträgen), muß dem Betroffenen die Möglichkeit gegebenwerden, sich gegen ein bevorstehen<strong>des</strong> Ereignis der Verwaltungsbehörden dadurch zu schützen,dass er das streitige Rechtsverhältnis mit einer Feststellungsklage klären läßt. Dem Betroffenenkann nicht zugemutet werden, seine Rechte durch eine denkgesetzlich mögliche Gestaltungsklageoder Leistungsklage zu verfolgen.“ (JURIS-Orientierungssatz); BFH 10.07.1997 - V R94/96, BStBl II 1997, 707 Feststellung auf Optionsberechtigung; BFH 23.09.1999 - XI R 66/98,BStBl II 2000, 533: „Der Antrag, festzustellen, ob und in welchem Umfang ein Verein befugt ist,Spendenbestätigungen auszustellen, kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein.“ (Leitsatz)BFH 09.09.1999 - VII B 279/98, BFH/NV 2000, 324: Keine Feststellung der Rechtswidrigkeiteines VA, da gegen die Rechtswidrigkeit eines VA die Anfechtungsklage gegeben ist. Beirechtswidriger Ablehnung <strong>des</strong> Erlasses eines VA ist die Verpflichtungsklage gegeben.Von BFH 23.11.1993 - VII R 56/93, BStBl II 1994, 356 offen gelassen, ob der Grundsatz derSubsidiarität auch dann gegeben ist, wenn auf anderem Rechtsweg – z.B. auf dem Verwaltungsrechtsweg– vorrangig vorgegangen werden kann. Zur Subsidiarität der Feststellungsklage Beermann/vonBeckerath, Steuerliches Verfahrensrecht, § 41 FGO Rdn. 11; Gräber/von Groll, FGO,§ 41 Rdn. 32 f.; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 41 FGO Rdn. 41


- 65 - 65schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art von einigemGewicht gegeben ist (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). 263)192dd)FortsetzungsfeststellungsklageMit der Fortsetzungsfeststellungsklage, die bei Erledigung der Hauptsache und Vorliegenihrer Voraussetzungen auch noch im Stadium der Nichtzulassungsbeschwerdemöglich ist, 264) wird angestrebt, bei einer sich erledigenden Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklagenachträglich die Rechtswidrigkeit <strong>des</strong> Verwaltungsaktes oder <strong>des</strong>Unterlassens feststellen zu lassen. 265) Als berechtigtes Interesse gemäß § 100 Abs. 1Satz 4 FGO ist je<strong>des</strong> schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideellerArt anzuerkennen, wenn sie zur Verbesserung der Position <strong>des</strong> Klägers führt, wasentsprechend substantiiert darzulegen ist. 266) Dazu kann auch der Hinweis auf einenSchadensersatzprozess gehören, wenn dieser schon anhängig ist oder, falls er erst bevorsteht,substantiiert dargelegt wird, dass ein solcher mit hinreichender Sicherheit zuerwarten ist, die Fortsetzungsfeststellungsklage für einen solchen Schadensersatzprozessnicht unerheblich ist und er nicht offenbar aussichtslos ist. 267) Ferner kannein Feststellungsinteresse gegeben sein, wenn ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteressebesteht. Dies kann z.B. dann gegeben sein, wenn der erledigte Bescheid den263)264)265)266)267)BFH 22.01.1971 – III R 108/69, BStBl. II 1971, 295; BFH 08.04.1981 – II R 47/79, BStBl. II1981, 581; BFH 10.02.1987 – VII R 77/84, BStBl. II 1987, 545; BFH 02.06.1987 - VIII R192/83, BFH/NV 1988, 104BFH 15.12.2004 – VIII B 181/04, BFH/NV 2005, 896z.B. BFH 21.04.1993 - X R 112/91, BStBl II 1993, 649: „Die Fortsetzungsfeststellungsklagegegen eine in der Hauptsache nach Durchführung der Außenprüfung erledigte Prüfungsanordnungund/oder gegen mit dieser verbundene Verwaltungsakte ist --unter weiteren Voraussetzungen--zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat.Dieses Interesse ist insbesondere dann gegeben, wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieserVerwaltungsakte zu einem Verwertungsverbot führt. Ein solches besteht grundsätzlich dann,wenn die Prüfungsanordnung aufgehoben worden oder wenn sie nichtig ist. Die gleiche Rechtsfolgeergibt sich, wenn die Beauftragung einer anderen Behörde mit der der Außenprüfung angefochtenwird (vgl. BFH-Rechtsprechung). Ein Verwertungsverbot liegt aber nicht vor, wenn dasFA zwar nicht auf Erkenntnisse einer ersten Prüfung zurückgreifen darf, aber die Ergebnisse einerWiederholungsprüfung auswertet. Ein Feststellungsinteresse kann jedoch darin liegen, dass dieaufgrund einer rechtswidrigen Prüfungsanordnung bzw. von einer unzulässigerweise beauftragtenFinanzbehörde durchgeführte Prüfung nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmt.“ (JURIS –Orientierungssatz); BFH 20.02.1990 - IX R 83/88, BStBl II 1990, 789: „Solange eine (wirksame)Prüfungsanordnung gegen die Anfechtungsklage erhoben worden ist, nicht aufgehoben oder ihreRechtswidrigkeit im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage festgestellt ist, kann sich der Klägernicht mit Erfolg auf ein Verwertungsverbot berufen. Dies gilt auch dann, wenn die aufgrund derPrüfungsanordnung durchgeführte Prüfung abgeschlossen und die Feststellungen <strong>des</strong> Betriebsprüfersin Steuerbescheide oder Feststellungsbescheiden ausgewertet sind.“ (JURIS-Orientierungssatz)BFH 15.05.2002 – I B 08/02, I S 13/01, BFH/NV 2002, 1317; BFH 22.07.2008 – VIII R 08/07,BStBl. II 2008, 941, 942; BFH 07.04.2009 – XI B 115/08, BFH/NV 2009, 1085, 1086; BFH10.02.2010 – XI R 03/09, BFH/NV 2010, 1450, 1452BFH 14.01.2003 – V B 93/01, V B 197/01, V B 201/01, BFH/NV 2003, 643, 644; BFH22.12.2003 – VII B 35/03, BFH/NV 2004, 652; BFH 04.08.2004 – VII B 240, 241/03, BFH/NV2005, 218, 220; BFH 12.06.2008 – VI B 62/07, ZSteu 2008, R-877; BFH 22.07.2008 – VIII R08/07, BStBl. II 2008, 941, 942; BFH 07.04.2009 – XI B 115/08, BFH/NV 2009, 1085, 1086


- 66 - 66193194195Vorwurf der Steuerhinterziehung beinhaltet hatte. 268) Auch Anhaltspunkte für die Annahme,das Finanzamt werde eine für rechtswidrig erachtete Maßnahme wiederholen,kann eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen. 269)Es ist auch zulässig, hilfsweise die Fortsetzungsfeststellung zu beantragen. 270) Es müssendann aber die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage gegeben sein.Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist allerdings auch dann zulässig, wenn die Erledigungbereits vor Klageerhebung eingetreten ist 271) und die Feststellung der Rechtswidrigkeit<strong>des</strong> Verwaltungsanktes Voraussetzung dafür ist, dem Kläger effektivenRechtsschutz zu gewähren. 272) Das Feststellungsinteresse ist gesondert zu begründen.273) Dieses kann gegeben sein, wenn sich der dem Streitfall zu Grunde liegendeSachverhalt mit großer Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen unverändert auch in Folgejahrenwiederholen wird. 274) Auch kann eine Feststellungsinteresse gegeben sein,wenn der Inhalt eines angegriffenen und inzwischen erledigten Verwaltungsaktes diskriminierendeWirkung hat, weil er z.B. den Vorwurf der Steuerhinterziehung enthält.275) Ein Feststellungsinteresse kann z.B. auch bezüglich der Feststellung derRechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung gegeben sein. Für eine solchewenn dadurch erreicht werden soll, dass Prüfungsergebnisse behördenseits verwertetwerden dürfen. 276) Für die Fortsetzungsfeststellungsklage gilt zwar weder die Monatsfrist<strong>des</strong> § 47 Abs. 1 FGO noch die Jahresfrist <strong>des</strong> § 55 Abs. 2 FGO entsprechend, eswird jedoch vertreten, sie müsse innerhalb von 6 Monaten seit Erledigung <strong>des</strong> ursprünglichmit Einspruch angefochtenen, zwischenzeitlich aber erledigten, Verwaltungsakteserhoben werden. 277)Allerdings sieht der BFH 278) ein berechtigtes Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklagenicht als gegeben an, wenn die Erhebung einer Schadensersatzklage gegendie Behörde alleine wegen der durch den Finanzrechtsstreit verursachten Kosten beab-268)269)270)271)272)273)274)275)276)277)278)BFH 12.06.2008 – VI B 62/07, ZSteu 2008, R-877; BFH 07.04.2009 – XI B 115/08, BFH/NV2009, 1085, 1086BFH 07.04.2009 – XI B 115/08, BFH/NV 2009, 1085, 1086BFH 15.05.1997 - IV R 46/96, BFH/NV 1997, 850BFH 26.07.1983 - VII K 23/81, n.V.; BFH 19.12.1989 - VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710; BFH10.07.2002 – X R 65/96, BFH/NV 2002, 1567. Aber nach BFH 09.05.1985 - IV R 172/83, BStBlII 1985, 579 keine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage, wenn das FA eine Prüfungsanordnungzurückgenommen hat. Ähnlich FG Hamburg 11.09.2002 – IV 47/01, EFG 2003, 252BFH 26.09.2007 – I R 43/06, BFH/NV 2008, 302BFH 15.12.2004 – X B 56/04, BFH/NV 2005, 714; FG Hamburg 11.09.2002 – IV 47/01, EFG2003, 252, 253BFH 12.06.1996 – II R 71/94, BFH/NV 1996, 873; FG Bremen 01.06.1999 – 299017 K 2, EFG1999, 851; FG Hamburg 11.09.2002 – IV 47/01, EFG 2003, 252, 253BFH 15.12.2004 – X B 56/04, BFH/NV 2005, 714, 715. Zum vom FG zu beachtenden Grundsatzin dubio pro reo BFH 25.10.2005 – VIII B 175/04, BFH/NV 2006, 477, 478BFH 12.01.1995 - IV R 83/92, BStBl. II 1995, 488; FG Köln 12.01.1994 – 6 K 1910/87, n.V.; FGHamburg 11.09.2002 – IV 47/01, EFG 2003, 252, 253FG Hamburg 11.09.2002 – IV 47/01, EFG 2003, 252, 253BFH 22.07.2008 – VIII R 08/07, BStBl. II 2008, 941, 942


- 67 - 67196sichtigt ist. Soweit der BFH 279) meint, die Frage, wer den durch den Rechtsstreit verursachteKosten zu tragen habe, werde durch die Kostenentscheidung <strong>des</strong> zuständigenFG beantwortet und sei nicht Gegenstand eines anschließenden Schadensersatzprozesses,ist dies jedenfalls für folgende Konstellation unzutreffend.Beispiel:Hat ein FA einen Steuerbescheid geändert und kommt es wegen dieses Änderungsbeschei<strong>des</strong>zum Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren, so entscheidet das FG über die Kosten <strong>des</strong> finanzgerichtlichenVerfahrens betreffend den Änderungsbescheid. Weist es die Klage ab, weilder Änderungsbescheid rechtmäßig war, so entscheidet es zu Lasten <strong>des</strong> Klägers über die Kostenbetreffend diesen Streitgegenstand. Wenn aber der Änderungsbescheid rechtmäßig war,dann war der vorangegangene Bescheid rechtswidrig, dies jedenfalls dann, wenn der Änderungsbescheidnur wegen einer geänderten Rechtsauffassung <strong>des</strong> FA erging. Es gehört aber zurAmtspflicht, keine rechtswidrigen Verwaltungsakte zu erteilen. 280) Fehlerhafte Rechtsanwendungist mithin stets amtspflichtwidrig, weil sie der allgemeinen Pflicht zu gesetzmäßigemVerhalten eines Beamten und der Verwaltung widerspricht. 281) Die Folgen eines rechtswidrigenVerwaltungsaktes können aber sehr wohl Gegenstand eines Schadensersatzklageverfahrenswegen Amtspflichtverletzung sein. Denn wäre von Anfang an ein rechtmäßiger Steuerbescheidergangen, wäre es zum Änderungsbescheid samt damit folgender Kosten nicht gekommen wiefolgen<strong>des</strong> aus der Haftungsrechtsprechung <strong>des</strong> BGH zeigt; und der BFH kann dem BGH nichtvorschreiben, was Gegenstand eines Schadensersatzprozesses sein kann und was nicht:Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn die durch ihn getroffene Regelung sachlich unrichtigist und mit der objektiven Rechtslage nicht übereinstimmt oder sachlich falsch ist und dadurchgegen die Rechtslage verstößt. 282) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung <strong>des</strong> BGH,dass die dem Adressaten gegenüber bestehende Amtspflicht auch darauf gerichtet ist, einen deneinschlägigen rechtlichen Vorschriften widersprechenden Verwaltungsakt nicht zu erteilen. 283)Und hat die Behörde erkannt, dass sie rechtswidrige Maßnahmen ergriffen hatte, so ist sie verpflichtet,den Betroffenen darüber unverzüglich zu unterrichten und solche Fehler unverzüglichzu korrigieren und die Folgen ihres Fehlverhaltens rückgängig zu machen. 284) Entspricht dieBehörde all dem Vorgenannten nicht, hat dies Amtshaftungsansprüche zur Folge. 285) Folglichist es hier Sache der Zivilgerichtsbarkeit, über die Folgen der Rechtswidrigkeit der Steuerbescheideund einer Schadensersatzpflicht <strong>des</strong> betreffenden Lan<strong>des</strong> zu befinden. 286)279)280)281)282)283)284)285)286)BFH 22.07.2008 – VIII R 08/07, BStBl. II 2008, 941, 942BGH 16.01.1997 – III ZR 117/95, BGHZ 134, 268, 276 f. st. Rspr.Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, Rdn. 69; Nissen, Amtshaftung derFinanzverwaltung, 2. Aufl. 2005, Seite 38 unten; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998,Seite 43 f.; Staudinger/Wurm, BGB, 2007, § 839 Rdn. 122; Tremmel/Karger, Der Amtshaftungsprozess,2. Aufl. 2004, Rdn. 92BGH 24.11.1988 - III ZR 86/88, BRS 53 Nr 56; BGH 21.12.1989 – III ZR 118/88, NJW 1990,1038, 1041; BGH 13.07.1993 – III ZR 22/92, BGHZ 123, 191, 197; BGH 17.03.1994 – III ZR27/93, NJW 1994, 3158, 3159BGH 25.01.1973 - III ZR 256/68, BGHZ 60, 112; BGH 21.12.1989 – III ZR 118/88, NJW 1990,1038, 1041; BGH 29.03.1990 - III ZR 145/88, BRS 53 Nr 58; BGH 11.10.2001 – III ZR III ZR63/00, BGHZ 149, 50, 52; BGH 09.10.2003 – III ZR 414/02, BauR 2004, 817, 818BGH 21.12.1964 – III ZR 70/63, BGHZ 43, 34, 38 u.H.a. BGH 27.10.1955 – III ZR 82/54,BGHZ 18, 366Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, 2. Aufl. 2004, Rdn. 109BGH 15.11.1990 – III ZR 302/89, BGHZ 113, 17, 18 f.


- 68 - 68197Sollen mithin Kosten, die zu Lasten <strong>des</strong> Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren angefallensind, als Schadensersatz per Amtshaftungsklage geltend gemacht werden,sollte man in Kenntnis der Entscheidung <strong>des</strong> BFH 287) von Vornherein auf eines Fortsetzungsfeststellungsklageverzichten. Vielmehr empfiehlt es sich dann, statt <strong>des</strong>senvor der Zivilgerichtsbarkeit Amtshaftungsklage zu erheben, wenn deren Voraussetzungengegeben sind. Die Zivilgerichtsbarkeit ist an die rechtlich fragwürdige Auffassung<strong>des</strong> BFH 288) nicht gebunden.198199ee)Vorbeugende FeststellungsklageDas Spiegelbild der Fortsetzungsfeststellungsklage ist die vorbeugende Feststellungsklage.Diese ist dann zulässig, wenn dem Steuerpflichtigen das Zuwarten bis zum Erlasseines Verwaltungsaktes oder <strong>des</strong> Ergehens sonstiger Maßnahmen nicht zugemutetwerden kann. 289) Die prozessstrategische Frage, die es im Zusammenhang mit derFeststellungsklage zu beantworten gilt, ist folglich zunächst einmal, zu klären, warumes dieser Klage im konkreten Fall überhaupt bedarf. 290) Sodann ist zu klären, ob derenZulässigkeitsvoraussetzung gegeben ist, um z.B. die Frage der vorbeugenden Feststellungsklagezu beantworten.Alsdann gilt es zu klären, ob man unter Vermeidung eines Vorverfahrens eine Feststellungsklageanstreben soll, mit all den beschriebenen Risiken, oder ob man denFeststellungs- neben einem Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsantrag in ein Haupt- undHilfsverhältnis oder umgekehrt stellen soll oder ob der Feststellungsantrag als Fortsetzungsfeststellungantraggestellt werden soll.200ff)Feststellung EU-gemeinschaftsrechtlicher VorfragenDer EuGH hat in seiner Unibet-Entscheidung 291) zum Grundsatz <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlicheneffektiven Rechtsschutzes entschieden. Da immer wieder in der Praxisfestzustellen ist, daß trotz unverhältnismäßig langer Verfahrensdauer vor FGs diesesich weigern, im Rahmen einer Inzidentprüfung einschlägiges EU- Gemeinschaftsrechtzur Geltung zu bringen, kann sich die Notwendigkeit erweisen, besagte EU-geminschaftsrechtlicheVorfragen zum Gegenstand eines Feststellungsklageantrages zumachen. Dies ist derzeit Neuland. Zur prozessualen Zulässigkeit eines solchen Feststellungsklageantragesist auf folgen<strong>des</strong> hinzuweisen:287)288)289)290)291)BFH 22.07.2008 – VIII R 08/07, BStBl. II 2008, 941, 942BFH 22.07.2008 – VIII R 08/07, BStBl. II 2008, 941, 942BFH 04.06.1970 - V R 92/66 und V R 10/67, BStBl II 1970, 648; BFH 23.02.1973 - VII R100/70, BStBl II 1973, 536; BFH 10.05.1977 - VII R 69/76, BStBl II 1977, 785; BFH 07.03.1995- VII R 59/93, BFH/NV 1995, 640; Seer in: Tipke/Kruse, FGO, Stand 06/1997, § 41 Rdn. 6S.o. z. B. im Zusammenhang mit SchadensersatzfragenEuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177


- 69 - 69201202203204205206Der EuGH 292)hat folgen<strong>des</strong> entschieden:- Der Grundsatz <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen effektiven Rechtsschutzes sei in Art.6 und 13 EMRK verankert. 293)- Die nationalen Gerichte müßten aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht aus Art. 10EG den Schutz der Rechte gewährleisten, die dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrechtzustehen. 294)- Es sei Sache der Mitgliedstaaten und ihres innerstaatlichen Rechts,„die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus demGemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen.“ 295)Der EuGH spricht auch nicht von dem Ermöglichen sondern von dem Gewährleistender dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenen Rechte.- Deshalb habe der EG-Vertrag Privatpersonen nicht neue Klagemöglichkeiten derdirekten Klage zu den Gemeinschaftsgerichten quasi parallel zu bestehendenRechtsbehelfen nach nationalem Recht geschaffen. 296)„Etwas anderes würde nur gelten, wenn es nach dem System der betreffenden Rechtsordnungkeinen Rechtsbehelf gäbe, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der dem Einzelnenaus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte.“297)Auch hier spricht der EuGH wiederum von Gewährleisten und nicht von Ermöglichen.- Die Verfahrensmodalitäten für Klagen nach nationalem Recht, die den Schutz derden Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleistensollten, müßten gleichwertig zu Klagen nach nationalem Recht sein (Grundsatzder Gleichwertigkeit) und dürften„die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktischunmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).“ 298)- Nationale Gerichte seien gehalten, ihre Verfahrensmodalitäten so weit wie möglichdahin auszulegen, daß sie zur Erreichung <strong>des</strong> effektiven gemeinschaftsrechtlichenRechtsschutzes beitragen, um„einen effektiven Schutz der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsendenRechte zu gewährleisten.“ 299)292)293)294)295)296)297)298)299)EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 37EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 38EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 39 m.w.N.EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 40EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 41EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 43EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 44


- 70 - 70207208209Über all dies verfügt die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland nicht. Einerseits gibt es keineeigenständige nationale Klagemöglichkeit, die es ermöglichen würde, die Gemeinschaftswidrigkeiteiner deutschen gesetzlichen Regelung und damit einen Verstoß vonGerichten gegen EU-Gemeinschaftsrecht feststellen zu lassen, so daß der Einzelnespezifisch seine aus dem EU-Gemeinschaftsrecht resultierenden Rechte nicht durchsetzenkann. Und eine Inzidentprüfung durch Gerichte ist zwar möglich. Wenn diesesich aber weigern die Inzidentprüfung durchzuführen, dann bleibt die Inzidentprüfungnur eine Möglichkeit, hat aber mit einer Gewährleistung der den Klägern aus derGemeinschaftsordnung zustehenden Rechte nichts zu tun.Es ist derzeit offen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Soll für solche Fälledoch der Weg eröffnet sein, direkt den EuGH anrufen zu können oder bleiben Betroffenealleine darauf angewiesen, die von deutschen Gerichten unterlassene Inzidentprüfungder Gewährleistung der den Betroffenen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenenRechte erst im Rahmen <strong>des</strong> Sekundärrechtsschutzes zum Gegenstand eines EUgemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruches zu machen, in welchem dann auchRichter Beklagte sein können und mit ihrem Privatvermögen haften, weil es im EUgemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsverfahren kein Richterprivileg vergleichbarzu § 839 Abs. 2 BGB gibt ? Denn mit dem EuGH kann ein gemeinschaftsrechtlicherStaatshaftungsanspruch bei Offenkundigkeit <strong>des</strong> Verstoßes gegen Gemeinschaftsrechtnicht ausgeschlossen werden. 300)Ein Ausweg bietet sich in folgendem an: 301)Derzeit wird in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 302) verneint, eine Feststellungsklage (§41 Abs. 1 FGO) auf Vorfragen zu beziehen. Da aber wie zuvor aufgezeigt, die deutscheRechtsordnung im Hinblick auf die Gewährleistung der dem Einzelnen aus derGemeinschaftsordnung zustehenden Rechte Defizite ausweist, ist es geboten, ausGründen <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen effektiven Rechtsschutzes und <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichenAnwendungsvorrangs die Feststellungsklage auf Feststellung derdem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenen Rechte im deutschen Prozessrechtals Vorfrage zuzulassen. 303) Denn der EuGH verweist darauf, daß der Grundsatz<strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes durch Gerichte ein nationales Gericht gewährleistetwerden muß. 304) Und wenn eine nationale Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf vorsehe,der dem Einzelnen nicht wenigstens inzident die Wahrung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsvor dem nationalen Gericht gewährleiste, dann seien Mitgliedstaaten verpflichtet,„ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung diesesRechts gewährleistet werden kann ..“ 305)300)301)302)303)304)305)EuGH 13.06.2006 – Rs. C-173/03 (Mediterraneo/Italien), EWS 2006, 314 Rdn. 24, 26, 30Dazu Loritz/<strong>Wagner</strong> DStR 2009, 666, 669 f.BFH 17.12.2009 – V B 113/08, BFH/NV 2010, 939; a.A. Loritz/<strong>Wagner</strong> DStR 2009, 666, 669 f.z.B. für den Zivilprozess ähnlich Münchener Kommentar/ Becker-Eberhard, ZPO, 3. Aufl. 2008,§ 256 Rdn. 22, 25. Ähnlich auch OLG Frankfurt 25.02.2000 – 5 UF 11/99, OLGR 2000, 195, 197bezüglich der Feststellung der dem IPR unterfallenden RechtEuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 37 – 38 m.w.N.EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 42


- 71 - 71210211212213Und dies ist dann die rechtsmittelfähige Feststellungsklage, da ja eine vom FG unterlasseneInzidentprüfung <strong>des</strong>halb keinen gemeinschaftsrechtlichen effektiven Rechtsschutzesgewährleistet, sondern nur ermöglicht, falls das Gericht bzw. der Richtereine Inzidentprüfung vornimmt. Mit einem Feststellungsklageantrag dagegen wirdGericht bzw. Richter gezwungen, sich mit diesem Klageantrag befassen zu müssen,was dem Gewährleisten eines gemeinschafts-rechtlichen effektiven Rechtsschutzesnäher kommt. Insoweit setzt sich aufgrund <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangsdiese Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH gegen § 41 Abs. 1 FGO durch und §41 Abs. 1 FGO hat keinen Vorrang vor diesem Gemeinschaftsrecht. 306)Diese Notwendigkeit gemeinschaftsrechtlicher Prüfung <strong>des</strong> nationalen Gerichts imRahmen <strong>des</strong> Primärrechtsschutzes ist in Deutschland <strong>des</strong>halb gegeben, weil derdeutsche Gesetzgeber keinen eigenständigen Rechtsbehelf vorgesehen hat, mit demder Verstoß gegen übergeordnetes EU-gemeinschaftsrechtliche Vorschriften bzw.Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH gerügt werden könnte.Soweit der BFH bisher die Zulässigkeit einer Feststellungsklage (§ 41 Abs. 1 FGO)verneint hat, wenn es um zu klärende Vorfragen ging, hatte er in keiner dieser Entscheidungensich mit der zuvor aufgezeigten und durch die Unibet-Entscheidung <strong>des</strong>EuGH 307) offenbar gewordene Verfahrenslücke in Deutschland zum gemeinschaftsrechtlicheneffektiven Rechtsschutz befaßt. Würde ein FG ungeachtet <strong>des</strong> zuvorAusgeführten die Zulässigkeit <strong>des</strong> Feststellungsklageantrages verneinen, dann würdedas FG gegen die oben schon zitierte Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH verstoßen, wonachnationale Gerichte gehalten sind, ihre Verfahrensmodalitäten so weit wie möglichdahin auszulegen, daß sie zur Erreichung <strong>des</strong> effektiven gemeinschaftsrechtlichenRechtsschutzes beitragen, um„einen effektiven Schutz der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechtezu gewährleisten.“ 308)Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2009 309) iudiziert, das deutsche Verfahrensrechtsehe in § 41 Abs. 1 FGO eine Feststellungsklage zur Klärung gemeinschaftsrechtlicherVorfragen nicht vor und aus der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH ergebesich nichts anderes. Dies, ohne dieserhalb dem EuGH im Hinblick auf <strong>des</strong>sen Unibet-Entscheidung vorzulegen. Der BFH hat zudem nicht berücksichtigt, dass es nichtMaßstab für die Anwendung der Grundsätze der Unibet-Entscheidung <strong>des</strong> EuGH ist,dass in § 41 Abs. 1 FGO eine Feststellungsklage für Vorfragen nicht geregelt ist, denndies war auch in dem vom EuGH entschiedenen Unibet-Fall betreffend Schwedennicht der Fall. Und würde es im nationalen Recht eine gesetzliche Regelung für Feststellungsklagenbetreffend gemeinschaftsrechtlicher Vorfragen geben, hätte es <strong>des</strong>EuGH und seiner Unibet-Entscheidung nicht bedurft. Auch verkennt der BFH, dassder gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang – hier der Unibet-Entscheidung <strong>des</strong>EuGH vor der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH - sich gegen eine nationale gesetzliche Regelungdurchsetzt und vom FG bzw. BFH zu beachten ist.306)307)308)309)Derzeit Gegenstand <strong>des</strong> Verfahren BFH XI B 141/12EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177EuGH 13.03.2007 – Rs. C-432/05 (Unibet), EWS 2007, 177 Rdn. 44BFH 17.12.2009 – V B 113/08, BFH/NV 2010, 939 Rdn. 28


- 72 - 72214Ein weiteres kommt in diesem Zusammenhang hinzu: Negiert die Rechtsprechung derFGs und <strong>des</strong> BFH für Deutschland weiterhin, daß aufgrund der Unibet-Entscheidung<strong>des</strong> EuGH entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Vorfragen Gegenstandeiner Feststellungsklage sein können müssen, dann kann zudem überlegenswert sein,ob in einem solchen planmäßigen Negieren deutscher Finanzgerichte nicht ein Verstoßgegen Art. 47 Abs. 2 GRCh gesehen werden kann. Denn Art. 47 GRCh ist auch beider Auslegung von Verfahrensvorschriften <strong>des</strong> Unionsrechts und <strong>des</strong> nationalenRechts zu beachten. 310)215216217d) Klageverbindung (§§ 43, 73 Abs. 1 FGO)Ob eine Verbindung von Klagebegehren stattfinden soll, entscheidet zunächst einmalder Kläger, nicht das FG (§ 43 FGO).„Durch einen Verbindungsbeschluß nach § 73 Abs. 1 S. 1 FGO werden die Kläger der bisherigenEinzelverfahren zu Streitgenossen (vgl. Literatur). Dabei handelt es sich um eine notwendigeStreitgenossenschaft nach § 59 FGO i.V.m. § 62 Abs. 1 Alternative 1 ZPO (vgl. BFH-Beschluß vom 6.7.1977 I R 182/76), bei der allerdings jeder Streitgenosse selbständige Prozessparteibleibt und in seinem Prozess handeln kann (vgl. Literatur). Die Beteiligten an denbisherigen Einzelverfahren werden Beteiligte an dem gemeinschaftlichen Verfahren.“ 311)§ 43 FGO gilt allerdings nicht im Revisionsverfahren. 312) Wohl aber kann der BFH einNichtzulassungsbeschwerdeverfahren und ein bei ihm anhängiges AdV-Verfahren, 313)zwei bei ihm anhängige AdV-Verfahren 314) oder ein unzulässiges Nichtzulassungsbeschwerde-und Revisionsverfahren 315) verbinden (§ 73 Abs. 1 FGO).Das Gericht, also der angegangene Senat <strong>des</strong> FG, kann aber durch Beschluss mehrerebei ihm anhängige Verfahren nach eigenem Ermessen 316) zu gemeinsamer Verhandlungverbinden (§ 73 Abs. 1 FGO). 317) Ebenso kann das Gericht nach eigenem Ermessendurch Beschluss entscheiden, verbundene Klagebegehren wieder zu trennen (§ 73Abs. 1 FGO). 318) Es muß dabei aber beachten, dass ein solcher Beschluß nicht willkürlichist und den Kläger auch nicht prozessual in der Wahrnehmung seiner Rechte behindert.319) So ist es sachgerecht, eine Abtrennung vorzunehmen, wenn bei dem abge-310)311)312)313)314)315)316)317)318)319)Zu möglichen Verletzungen <strong>des</strong> Art. 47 GRCh siehe Jarass NJW 2011, 1393, 1395BFH 29.04.1988 - IX B 152/86, BFH/NV 1989, 173 (JURIS-Orientierungssatz)BFH 06.02.1981 - III R 15/80, n.V.; wohl aber mehrerer Verfahren vor dem Großen Senat <strong>des</strong>BFH: BFH 04.07.1990 - GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817BFH 19.07.2000 - I B 42/00, S 4/00, BFH/NV 2000, 1494BFH 17.02.1999 - V S 16, 17/98, BFH/NV 1999, 1111BFH 19.04.1999 - V B 160/98, V R 100/98, BFH/NV 1999, 1357BFH 13.06.2000 - VIII E 4/00, BFH/NV 2000, 1238Keine Verbindung von Besteuerungsverfahren und Erlaßverfahren: FG Bremen 06.10.1993 - 2 93261 K 2, EFG 1994, 51Zur Trennung bei Revisionsverfahren, um den unterschiedlichen Zuständigkeiten der Senategerecht zu werden BFH 21.09.1984 - VI B 64/83, n.V.BFH 20.08.1998 - XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329; BFH 20.08.1998 - XI B 111/95, n.V.


- 73 - 73218219220trennten Verfahren eine andere Entscheidung und eine andere Kostenfolge zu erwartenist. 320)„Die Trennung eines Klageverfahrens ist in jedem Verfahrensstadium zulässig. Nach der Trennungist grundsätzlich in getrennten Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden. Die bis zurTrennung vorgenommenen Prozesshandlungen bleiben aber wirksam und bedürfen nicht derWiederholung.“ 321)Ob man als Kläger eine Klageverbindung anstrebt, ist auch eine prozessstrategische,nicht nur eine prozessökonomische, Frage. Der Vorteil einer Klageverbindung ist darinzu sehen, dass mehrere Verwaltungsakte mehrerer Steuerarten und Steuerperiodengemeinsam in einer Klage angefochten werden können, um- eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung über mehrere Klagebegehrenanzustreben und- widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. 322)Aber man begibt sich dadurch auch taktischer Möglichkeiten. Sind für unterschiedlicheSteuerarten beim FG unterschiedliche Senate zuständig, die unterschiedlich belastetsind, dann kann die Dauer bis zur jeweiligen mündlichen Verhandlung unterschiedlichlang sein. Bei einer ohnehin ungewöhnlich langen Verfahrensdauer in derFinanzgerichtsbarkeit kann es folglich von Vorteil sein, die „Portionen“ klein zu haltenund zu versuchen, unterschiedlich relativ schnell statt einheitlich aufgrund umfänglichenVerfahrens langsam vorwärts zu kommen. Ferner erhält man sich durcheine unterlassene Verbindung die jeweilige Spezialzuständigkeit eines Senates <strong>des</strong> FG.Nicht zu verbinden, mindert auch die Abhängigkeit von einem Richter und belässt dieMöglichkeit, unterschiedliche Senate oder Einzelrichter von unterschiedlichen Entwicklungender jeweils anderen Verfahren zu informieren.Im übrigen hilft eine unterlassene Klageverbindung, nicht die Gemeinsamkeiten zubetonen, sondern sich mehr mit der Unterschiedlichkeit von Sachverhalten, Steuerartenund Steuerperioden, vor allem aber mit der Unterschiedlichkeit von ständig sichändernden Normen zu befassen, so dass die Klageverbindung prozessstrategisch eherdie Ausnahme sein sollte.221e) Sprungklage (§ 45 FGO)Zulässig ist, ohne das sonst übliche Vorverfahren innerhalb der Einspruchsfrist direktKlage zum FG zu erheben. Stimmt das Finanzamt dem innerhalb eines Monats nachZustellung der Klage 323) zu, dann wird diese Sprungklage beim FG fortgeführt (§ 45Abs. 1 Satz 1 FGO), andernfalls diese Klage als aussergerichtlicher Rechtsbehelf, also320)321)322)323)BFH 17.12.1983 - V B 40/86, BFH/NV 1988, 508; BFH 26.01.1994 - III B 135/89, BFH/NV1994, 727; BFH 22.04.1997 - IX B 2/97, BFH/NV 1997, 694BFH 23.03.1993 - XI R 23, 24/92, BStBl II 1993, 514 (Leitsatz)Seer in: Tipke/Kruse, FGO, Stand 06/19997, § 43 Rdn. 1BFH 11.08.1999 - VIII B 112/98, n.V.: „Die Vorschrift <strong>des</strong> § 45 FGO befreit unter den dort genanntenVoraussetzungen lediglich von dem Erfordernis eines außergerichtlichen Vorverfahrens(§ 44 FGO), nicht aber von den übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen <strong>des</strong> finanzgerichtlichenVerfahrens.“ (JURIS-Orientierungssatz). BFH 12.09.1985 - VI B 3/85, n.V.: Die Monatsfristist nicht verlängerbar.


- 74 - 74222223als Einspruch, zu behandeln ist (§ 45 Abs. 3 FGO), 324) mit der Folge, daß dann überdie Kosten eines finanzgerichtlichen Verfahrens nicht zu entscheiden ist. 325) Selbstnach rechtzeitig eingelegtem Einspruch kann innerhalb der Klagefrist mit Zustimmung<strong>des</strong> Finanzamtes noch auf die Sprungklage „umgestiegen“ werden. 326) DieSprunganfechtungs- bzw. –verpflichtungsklage ist keine besondere Klageart, sonderneine normale Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage, wenngleich ohne Vorverfahren.327)Ob man aus Gründen der Prozessstrategie davon Gebrauch machen möchte, um dieZeit eines Einspruchsverfahrens einzusparen, hängt letztlich davon ab, inwieweit mansich mit dem Finanzamt diesbezüglich zuvor verständigt hat. Und solches ist dortmöglich, wo es um die Klärung einer für beide Seiten rechtsgrundsätzlichen Fragegeht.Dies gilt nicht nur für die Anfechtungs- sondern auch für die Verpflichtungsklage, beider aber zusätzlich hinzukommen muss, dass das Finanzamt erklärt hat, es abzulehnen,einen Verwaltungsakt zu erlassen (sog. Sprungverpflichtungsklage). 328)224f) Untätigkeitsklage (§ 46 FGO)Es ist ein Missstand in der Finanzverwaltung, dass sehr häufig dann, wenn ein Handelnvon ihr erwartet wird, das für den Steuerpflichtigen günstig ist, sie sich in Untätigkeitergeht. 329) Dies kann Anlass sein, dort, wo das Finanzamt den Erlass eines erforderlichenVerwaltungsaktes unterlässt, Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2AO) zu erheben. Eine vor Einlegung eines Untätigkeitseinspruchs (§ 347 Abs. 1 Satz2 AO) erhobene Untätigkeitsklage ist folglich unzulässig. 330) Entscheidet dagegen dasFinanzamt über aussergerichtliche Rechtsbehelfe ohne Mitteilung eines zureichendenGrun<strong>des</strong> nicht in angemessener Frist, so kann frühestens nach Ablauf von 6 MonatenUntätigkeitsklage erhoben werden. 331) Die Untätigkeitsklage setzt folglich ein Vorverfahrenvoraus.324)325)326)327)328)329)330)331)BFH 29.01.1986 - I B 37/85, BFH/NV 1986, 678BFH 14.07.2009 – VIII R 22/08, BFH/NV 2010, 44BFH 11.12.1980 - IV R 123/76, BStBl II 1981, 365Tipke/Kruse, AO/FGO, § 45 FGO Rdn. 3BFH 09.04.1986 - I R 62/81, BStBl II 1986, 565; BFH 09.08.1989 - II R 145/86, BStBl II 1989,981; a.A. BFH 24.01.1977 - IV R 173/75, BStBl II 1977, 510; BFH 19.01.1989 - V R 98/83,BStBl II 1990, 360, wonach eine Sprungverpflichtungsklage ausgeschlossen istz.B. die Zustimmungserklärung zu einer Umsatzsteuererklärung gem. § 168 Satz 2 AO.BFH 05.02.2003 – VII B 268/02, BFH/NV 2003, 651. Mit BVerfG 16.01.2007 – 1 BvR 2412/05,Beilage zu BFH/NV 10/2007, 447 f. ist der Rechtsschutz bei sog. doppelter Untätigkeit von Untätigkeitseinspruchund Untätigkeitsklage verfassungsrechtlich nicht unzumutbar.Es ist fraglich, ob eine Untätigkeitsklage auch bei einer Verpflichtungsklage auf § 46 FGO gestütztwerden kann; verneinend: BFH 05.05.1970 - II B 19/67, BStBl. II 1979, 551bejahend: Seer in: Tipke/Kruse, FGO, Stand: 10/1999, § 46 Rdn. 1, 4. – Nach BFH 07.03.2006 –VI B 78/04, BStBl. II 2006, 430 ist die 6-Monatsfrist im Normalfall eine „angemessene Zeit“ fürdie Einspruchsbearbeitung durch das FA, die auch länger dauern kann. Ist die „angemessene Zeit“im Einzelfall länger als 6 Monate und wird bereits nach 6 Monaten Untätigkeitsklage erhoben,dann kann nach BFH (aaO) die Untätigkeitsklage in die Zulässigkeit „hineinwachsen“.


- 75 - 75225226227Daraus ergeben sich folgende unterschiedliche Situationen:- Ist das Finanzamt sowohl bezüglich dem zu erlassenden Steuerbescheid wie auchbezüglich einer Einspruchsentscheidung nach Untätigkeitseinspruch untätig geblieben(sog. doppelte Untätigkeit) und wird alsdann eine Untätigkeitsklage erhoben,dann ist in der Untätigkeitsklage der nicht erlassene Verwaltungsakt und dernicht beschiedene Untätigkeitseinspruch anzusprechen. 332) Erläßt dann das Finanzamtnach Erhebung der Untätigkeitsklage einen Steuerbescheid (für denSteuerpflichtigen positiv oder negativ), dann hat sich der Untätigkeitseinsprucherledigt. Gegen einen belastenden Steuerbescheid ist dann Einspruch einzulegenund zugleich das Untätigkeitsklageverfahren für erledigt zu erklären.Und bei einemerwarteten und nicht belastenden Steuerbescheid ist das Untätigkeitsklageverfahrenfür erledigt zu erklären. 333) Der Rechtsprechung <strong>des</strong> I. Senates <strong>des</strong> BFHwiderspricht die Rechtsprechung <strong>des</strong> V. Senates <strong>des</strong> BFH, 334) wenn dieser iudiziert,daß dann, wenn nach einem erfolglosen Untätigkeitseinspruch eine Untätigkeitsklageerhoben wird, und daraufhin ein Steuerbescheid ergeht, der dem Antrag<strong>des</strong> Steuerpflichtigen nicht insgesamt entspricht, die Untätigkeitsklage als Anfechtungsklagefortgeführt werden kann.- Ist das Finanzamt sowohl bezüglich dem zu erlassenden Steuerbescheid wie auchbezüglich einer Einspruchsentscheidung nach Untätigkeitseinspruch untätig geblieben(sog. doppelte Untätigkeit) und erläßt dann das Finanzamt nach Erhebungder Untätigkeitsklage keinen Steuerbescheid, sondern entscheidet statt <strong>des</strong>senüber den Untätigkeitseinspruch, so hat der BFH bisher offen gelassen, wie zu verfahrenist. 335)- Hat das Finanzamt einen Steuerbescheid erlassen, gegen den Einspruch eingelegtwurde, ist dann aber im Einspruchsverfahren untätig geblieben, so daß <strong>des</strong>halbUntätigkeitsklage erhoben wurde – mithin also kein Fall doppelter Untätigkeitvorliegt -, dann ist die Durchführung <strong>des</strong> Vorverfahrens verzichtbar. 336) Es istdann aber die 6-Monatsfrist <strong>des</strong> § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO zu beachten. Allerdingskann die „angemessene Frist“ i.S.d. § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO im Einzelfall dazuführen, dass eine solche Frist auch länger als 6 Monate andauern kann, wenn dafürein zureichender Grund besteht und dieser dem Steuerpflichtigen vom FAauch mitgeteilt worden ist. 337) Dies ist z.B. auch dann der Fall, wenn ein Finanzamtüber einen Einspruch <strong>des</strong>halb nicht entscheidet, weil es darauf hinweist, einBFH-Urteil sei bisher vom BMF noch nicht freigegeben worden, so daß es vonder Finanzverwaltung noch nicht angewendet werden dürfe 338) oder das Finanzamt332)333)334)335)336)337)338)BFH 30.06.2006 – III B 193/04, BFH/NV 2006, 2101, 21.02BFH 03.08.2005 – I R 74/02, BFH/NV 2006, 19, 21; BFH 09.07.2007 – I R 60/04, BFH/NV2007, 2238, 2239BFH 19.04.2007 – V R 48/04, ZSteu 2007, R-705BFH 03.08.2005 – I R 74/02, BFH/NV 2006, 19, 21 f.BFH 03.08.2005 – I R 74/02, BFH/NV 2006, 19, 22 m.w.N.BFH 27.04.2006 – IV R 18/04, BFH/NV 2006, 2017, 2018: Dazu zählen allerdings keine Gründe,die sich in der Behördenorganisation <strong>des</strong> FA abspielen.FG München 14.12.2006 – 9 K 4120/06, EFG 2007, 865


- 76 - 76228229230231232233mitgeteilt hat, die Entscheidung in einem anderen finanzgerichtlichen Verfahrenabwarten zu wollen, in dem diesselbe Streitfrage entscheidungserheblich ist. 339)Ergeht nach Erhebung der Untätigkeitsklage eine Einspruchsentscheidung, wirddas Untätigkeitsklageverfahren fortgesetzt und die Einspruchsentscheidung wirdGegenstand <strong>des</strong> Untätigkeitsklageverfahrens. 340)Dies bedeutet umgekehrt, dass dort, wo eine Feststellungsklage zulässig ist, die keinVorverfahren voraussetzt, eine Untätigkeitsklage nicht zulässig ist. 341) Die Erhebungeiner solchen Klage kann durchaus prozessstrategische Gründe haben.Dazu kann gehören:- Beschleunigung.- Sperre für ein Verböserungsverbot durch das FG, nicht jedoch durch das Finanzamtaufgrund während <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholter verbösernderEinspruchsentscheidung. 342)- Akteneinsichtsrecht (§ 78 Abs. 1 FGO).Aber während <strong>des</strong> durch Untätigkeitsklage eingeleiteten finanzgerichtlichen Verfahrenskann das Finanzamt seine Einspruchsentscheidung nachholen und, soweit diesgeboten ist, im Rahmen <strong>des</strong>sen auch Ermessenserwägungen nachholen, die dann vomFG zu überprüfen sind (§ 102 FGO). 343) Die Untätigkeitsklage kann daher einerseitsein Instrument sein, die vorgenannten Vorteile zu nutzen, sie kann aber auch das Risikoin sich bergen, dass das finanzgerichtliche Verfahren durch Verböserung undNachschieben von Ermessenserwägungen durch das Finanzamt eine völlig neue Wendungerhält, die bei Klageerhebung noch nicht absehbar war. Auch Verfahrens- undFormmängel können gemäß § 126 Abs. 1 AO von dem Finanzamt noch in einer nachErhebung einer Untätigkeitsklage ergehenden Einspruchsentscheidung behoben werden.344)Leider kommt es immer wieder vor, dass eine Partei per Untätigkeitsklage geradezu ineinen Prozess gedrängt wird, weil das Finanzamt nicht nur über einen eingelegtenEinspruch nicht entscheidet, sondern auch nicht weiter von Amts wegen ermittelt(§ 88 AO). So ist es kein Einzelfall, wenn nach eingelegtem Einspruch seitens <strong>des</strong>Finanzamtes das Einspruchsverfahren teilweise Jahre lang nicht betrieben wird. Eswird Aussetzung der Vollziehung gewährt und Parteien bzw. deren Steuerberater lassendas Verfahren „treiben“. Wird Untätigkeitsklage angekündigt, wenn seitens <strong>des</strong>Finanzamt nichts geschieht, so wird dort mitunter mit Verböserung „gedroht“. Wirddann gar Untätigkeitsklage erhoben, kommt das Finanzamt entweder auch dann nichtseiner weiter fortbestehenden Amtsermittlungspflicht nach (§ 76 Abs. 4 FGO) oder339)340)341)342)343)344)BFH 07.10.2010 – V R 43/08, BFH/NV 2011, 989; Sächsisches FG 15.10.2008 – 8 K 1495/07,EFG 2010, 1061BFH 20.10.2010 – I R 54/09, BFH/NV 2011, 641 Rdn. 19BFH 09.05.1985 - IV R 172/83, BStBl II 1985, 579BFH 25.06.1993 - III B 133/92, BFH/NV 1994, 815; BFH 30.11.1992 - X B 18/92, BFH/NV1993, 732; BFH 11.11.08.1992 - III B 147/92, BFH/NV 1993, 311; FG Baden-Württemberg28.03.1990 - V K 127/87, EFG 1991, 86FG Baden- Württemberg 30.04.2001 – 4 K 482/98, EFG 2001, 1583BFH 05.06.2002 – X R 40/01, HFR 2002, 966


- 77 - 77234235236237238239das Finanzamt beginnt plötzlich während <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Verfahrens damit,ein Auskunftsverfahren gemäß § 93 AO durchzuführen.In diesen nicht seltenen Fällen wird seitens <strong>des</strong> Finanzamtes krass verkannt,- dass gemäß § 88 AO zunächst von Amts wegen zu ermitteln ist und dabei von denMöglichkeiten der §§ 93 ff. AO Gebrauch gemacht wird,- ehe erst dann ggf. ein belastender (Änderungs-) Bescheid ergeht,- der im Einspruchsverfahren überprüft werden kann. 345)Statt <strong>des</strong>sen wird oft in der Praxis in´s Blaue hinein ein belastender Änderungsbescheiderlassen, nach Einspruch und Einspruchsbegründung auf Antrag Aussetzungder Vollziehung gewährt, nicht weiter ermittelt und erst für den Fall einer Untätigkeitsklageunter Mißachtung <strong>des</strong> § 88 Abs. 2 AO mit allen Mitteln versucht, teils unterMißachtung eigener Amtsermittlungspflichten den angegriffenen Bescheid zu rechtfertigen.Die Amtsermittlungspflicht wird dann auf diese Weise auf das FG delegiert (§ 76 Abs.1 FGO), was dort mitunter mit eine Ursache für Überlastung und überlange Verfahrensdauerist. Von dieser krass rechtsstaatswidrigen Praxis liest man im von Finanzbeamtenund Finanzrichtern getragenen Fachschrifttum wenig.Dem hat das FG Baden-Württemberg 346) teilweise dadurch einen Riegel vorgeschoben,dass während <strong>des</strong> finanzgerichtliche Verfahrens das Finanzamt nicht plötzlich mitAuskunftsersuchen nach § 93 AO beginnen kann, wozu vor Erlass <strong>des</strong> belastendenÄnderungsbeschei<strong>des</strong> Veranlassung bestanden hätte, zumal dies mit der richterlichenSachaufklärungspflicht <strong>des</strong> § 76 Abs. 1 FGO kollidieren würde.240g) Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung (§ 69 FGO)Zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung und Entscheidung über einen Aussetzungsantragsoll der Steuerpflichtige aus Gründen <strong>des</strong> Art. 19 Abs. 4 GG nicht mitVollstreckungsmaßnahmen konfrontiert werden (§ 361 Nr. 3.1 AEAO), wenn derAussetzungsantrag beim Finanzamt gestellt worden ist und Abschn. 5 Abs. 4 Satz 5VollstrA, wenn gemäß § 69 FGO ein Aussetzungsantrag beim FG gestellt wordenist. 347) Ein beim FG gestellter Antrag nach § 69 FGO setzt voraus, dass zuvor das Finanzamteinen bei ihm gestellten Aussetzungsantrag abgelehnt hat (§ 69 Abs. 4 Satz 1FGO). Das FG muß dann, ohne in dieser Zeit Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten,dem Steuerpflichtigen ausreichend Zeit einräumen, einen mit Begründung versehenenAntrag nach § 69 FGO stellen zu können (i.d.R. min<strong>des</strong>tens 3 Wochen). 348) Da umstrittenist, ob ein solches vom FG Berlin gefordertes Vollstreckungsmoratorium einzuhaltenist, sollte nach Ablehnung eines Aussetzungsantrages durch das Finanzamt345)346)347)348)So zutreffend FG Baden-Württemberg 21.02.2001 – 5 K 325/00, EFG 2001, 1588, 1590 f.FG Baden-Württemberg 21.02.2001 – 5 K 325/00, EFG 2001, 1588, 1590 f.FG Bremen 02.07.1993 – 2 93 068 V 2, EFG 1994, 87; Hoffmann EFG 2003, 1758FG Berlin 16.09.2003 – 7 K 6269/01, EFG 2003, 1757; FG Berlin 16.09.2003 – 7 K 6272/01,EFG 2003, 1755, 1756 begründet dies mit Art. 19 Abs. 4 GG und dem daraus abgeleiteten Grundsatz<strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes; gegen ein solches Vollstreckungsmoratorium Hoffmann EFG2003, 1758


- 78 - 78unverzüglich beim FG ein Antrag nach § 69 FGO gestellt werden, darin beschriebenwerden, warum man gehindert ist, sofort diesen mit zu begründen sowie die unverzüglicheNachreichung der Begründung ankündigen, wegen Abschn. 5 Abs. 4 Satz5 VollstrA sodann sofort das Finanzamt darüber informiert werden und alsdann dieBegründung <strong>des</strong> beim FG gestellten Antrages nach § 69 FGO nachgeholt werden. 349)Das FG entscheidet dann über den bei ihm gestellten Antrag eigenständig; es gehtnicht um die Überprüfung der ablehnenden Entscheidung <strong>des</strong> Finanzamtes. 350) Lehntdas FG eine AdV ab, so ist eine Beschwerde dagegen zum BFH nur möglich, wenndas FG - nicht der BFH 351) - sie zugelassen hat (§ 128 Abs. 3 FGO). Hat das FG eineBeschwerde nicht zugelassen, so ist dagegen eine Nichtzulassungsbeschwerde nichtmöglich. 352) Wohl aber ist bei Annahme eines Zulassungsgrun<strong>des</strong> gemäß § 115 Abs. 2FGO eine Gegenvorstellung 353) bzw. eine außerordentliche Beschwerde zulässig, wennein Fall greifbarer Gesetzwidrigkeit gegeben ist 354) Der Unterschied zwischen Gegenvorstellungund außerordentlicher Beschwerde 355) ist darin zu sehen, dass die Gegenvorstellungbeim FG einzulegen ist, das darüber zu entscheiden hat, während die außerordentlicheBeschwerde beim FG oder BFH einzulegen wäre und von diesem zuentscheiden wäre. 356)349)350)351)352)353)354)355)356)So die Empfehlung von Hoffmann EFG 2003, 1758BFH 12.05.2000 - VI B 266/98, BStBl II 2000, 536BFH 22.08.2001 – III B 71/01, BFH/NV 2002, 195, 197BFH 03.02.2000 - XI B 66/99, BFH/NV 2000, 963; BFH 16.03.2000 - III S 5/99, BFH/NV 2000,1122; BFH 12.04.2000 - IV B 14/00, BFH/NV 2000, 986; BFH 13.04.2000 - II B 19/00, BFH/NV2000, 987; BFH 05.06.2003 – I B 35/03, BFH/NV 2003, 1431BFH 22.08.2001 – III B 71/01, BFH/NV 2002, 195, 197 u. H. a. BFH 10.10.1991 – XI B 18/90,BStBl. II 1992, 301BFH 16.03.2000 - III S 5/99, BFH/NV 2000, 1122; BFH 06.04.2000 - II B 141/99, n.V.; BFH07.03.2002 – VIII B 165/01, BFH/NV 2002, 1162, 1163; BFH 27.05.2002 – XI B 204/01,BFH/NV 2002, 1322; BFH 26.10.2005 – X B 95/05, BFH/NV 2006, 343.Zur Definition der greifbaren Gesetzwidrigkeit BFH 02.03.2011 – IX B 144/10, BFH/NV 2011,1367Ob eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit in den Fällen <strong>des</strong> § 128Abs. 3 Satz 1 FGO auch nach der Neuregelung der Revisionszulassungsgründe statthaft ist, hatder BFH in BFH 21.12.2001 – VII B 216/01, BFH/NV 2002, 923, BFH 17.09.2002 – IV B108/02, BGH/NV 2003, 73 offen gelassen, dagegen der BFH 08.01.2002 – X B 164/01, BFH/NV2002, 926 für den Fall abgelehnt, wenn die greifbare Gesetzwidrigkeit in einer Verletzung rechtlichenGehörs zu sehen ist. Bejahend bei greifbarer Gesetzeswidrigkeit: BFH 07.08.2002 – I B83/02, BFH/NV 2003, 61 f.. Dagegen hält BFH 17.09.2002 – IV B 108/02, BFH/NV 2003, 73;BFH 05.12.2002 – IV B 190/02, DStR 2003, 287, 288 bei greifbarer Gesetzwidrigkeit statt eineraußerordentlichen Beschwerde nur eine Gegenvorstellung für zulässig.BFH 05.12.2002 – IV B 190/02, DStR 2003, 287, 289; Gräber/Ruban, FGO, § 128 Rdn.16m.w.N.


- 79 - 79241Inzwischen tendiert jedoch der BFH dazu, seit dem Zeitpunkt <strong>des</strong> Inkrafttretens <strong>des</strong>§ 321a ZPO im Hinblick auf § 155 FGO 357) bzw. seit Inkrafttreten <strong>des</strong> § 133a FGOeine außerordentliche Beschwerde zum BFH nicht mehr für zulässig zu erachten, 358) sodass dann nur noch die Möglichkeit der beim FG zu erhebenden Gegenvorstellungbleibt, 359) wobei allerdings der BFH eine Umdeutung einer unstatthaften außerordentlichenBeschwerde in eine Gegenvorstellung ablehnt. 360) Der Beschluss über eine Gegenvorstellunggemäß §§ 155 FGO, 321a ZPO ist allerdings unanfechtbar. 361) Nichtnachvollziehbar ist es jedoch, wenn der BFH 362) ausführt, seit Einführung der Anhörungsrüge(§ 133a FGO) sei eine außerordentliche Beschwerde auch in Fällen greifbarerGesetzwidrigkeit nicht mehr statthaft, 363) hat doch das eine mit dem anderen nichtszu tun. Der VII. Senat <strong>des</strong> BFH bezeichnet es denn auch als offen, ob nicht in Fällengreifbarer Gesetzwidrigkeit doch eine außerordentliche Beschwerde statthaft ist. 364)Die Anhörungsrüge gem. § 133a FGO steht in Fällen der Rechtswegerschöpfung fürGehörsrügen betreffend Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG zur Verfügung, greifbareGesetzwidrigkeit ist jedoch ein Fall <strong>des</strong> Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG oder<strong>des</strong> Art. 3 Abs. 1 GG. Allerdings kann eine darauf gestützte greifbare Gesetzwidrigkeitmit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG ebenfalls im Anhörungsrügeverfahren357)358)359)360)361)362)363)364)BFH 26.02.2003 – X B 148/02, BFH/NV 2003, 813; BFH 14.03.2003 – IX B 93/02, BFH/NV2003, 818; BFH 04.06.2003 – III B 63/03, BFH/NV 2003, 1211; BFH 30.07.2003 – I B 16/03,BFH/NV 2003, 1601; BFH 29.08.2003 – III B 109/03, BFH/NV 2004, 71, 72; BFH 22.10.2003 –I B 140/03, BFH/NV 2004, 350; BFH 29.12.2004 – V B 215/04, BFH/NV 2005, 1312; BFH30.11.2005 – VIII B 181/05, ZSteu 2006, R-20, R-21; BFH 13.06.2006 – XI B 75/05, BFH/NV2006, 1691; BFH 21.06.2006 – II B 93/05, BFH/NV 2006, 1157, 1158; BFH 08.01.2007 – XI B141/06, BFH/NV 2007, 933; BFH 14.03.2007 – IV S 13/06, BFH/NV 2007, 1041, 1042BFH 10.05.2007 – VIII B 132/05, BFH/NV 2007, 1681, 1682; BFH 09.05.2007 – IV B 10/07,BFH/NV 2007, 2118; BFH 11.05.2007 – V B 48/06, BFH/NV 2007, 1682 f.BFH 17.09.2002 – IV B 108/02, BGH/NV 2003, 73; BFH 11.11.2002 – VII S 20/02, BFH/NV2003, 322; BFH 05.12.2002 – IV B 190/02, DStR 2003, 287, 288; BFH 11.12.2002 – X S 09/02,BFH/NV 2003, 495; BFH 12.12.2002 – V B 185/02, BFH/NV 2003, 417; BFH 16.12.2002 – VIIB 157/02, BFH/NV 2003, 633; BFH 17.12.2002 – X B 81/02, BFH/NV 2003, 499; BFH17.12.2002 – IV B 162/02, BFH/NV 2003, 634; BFH 05.06.2003 – I B 35/03, BFH/NV 2003,1431; BFH 29.09.2003 – IV B 146/03, BFH/NV 2004, 211; BFH 30.10.2003 – VI B 117/02,BFH/NV 2004, 355; 22.03.2004 – VIII B 134/03, BFH/NV 2004, 1117; BFH 06.05.2004 – I S13/03, NJW 2004, 2853; BFH 29.12.2004 – V S 23/04, BFH/NV 2005, 1104; BFH 30.11.2005 –VIII B 181/05, ZSteu 2006, R-20, R-21; a.A. offen gelassen bei , BFH 27.11.2002 – VIII B179/02, BFH/NV 2003, 489; BFH 10.11.2004 – X B 110/04, BFH/NV 2005, 239; BFH27.06.2006 – X S 08/06, BFH/NV 2006, 1696; und bejahend bei greifbarer Gesetzeswidrigkeit:BFH 07.08.2002 – I B 83/02, BFH/NV 2003, 61 f., jedoch aufgegeben in BFH 29.01.2003 – I B114/02, BFH/NV 2003, 713; BFH 20.02.2003 – I B 193/02, BFH/NV 2003, 1064; BFH20.03.2003 – XI B 21/03, BFH/NV 2003, 1067; BFH 30.07.2003 – VIII B 210/02, DStRE 2004,55; BFH 01.08.2005 – X S 16/05, BFH/NV 2005, 2040BFH 07.10.2005 – VIII B 197/05, BFH/NV 2006, 763BFH 27.01.2004 – IV B 218/03, BFH/NV 2004, 659; BFH 01.04.2004 – IX B 133/03, BFH/NV2004, 1118; BFH 23.02.2005 – IX B 177/04, BFH/NV 2005, 1128BFH 21.02.2006 – V S 25/05, BFH/NV 2006, 1128; BFH 21.06.2006 – X B 101/06, BFH/NV2006, 1695; BFH 22.06.2006 – IX B 108/06, BFH/NV 2006, 1696BFH 18.01.2007 – V B 176/06, BFH/NV 2007, 1668BFH 15.12.2005 – VII B 268/05, BFH/NV 2006, 767


- 80 - 80242243244(§ 133a FGO) geltend gemacht werden, wenn zugleich auch ein Verstoß gegen Art.103 Abs. 1 GG zu beanstanden ist.Hat sich jedoch das FG ausdrücklich eine Überzeugung von der Rechtmäßigkeit seinesVerfahrens gebildet, stellt die Gegenvorstellung beim FG keinen wirksamenRechtsschutz dar. In einem solchen Fall ermöglicht der BFH zwecks Wahrung effektivenRechtsschutzes nach wie vor die außerordentliche Beschwerde beim Beschwerdegericht.365)Bei dieser Rechtsprechungsentwicklung <strong>des</strong> BFH wird aber übersehen, daß derGesetzgeber aus Anlaß <strong>des</strong> am 01.01.2005 in Kraft getretenen Anhörungsrügengesetzes(hier § 133a FGO) in der Gesetzesbegründung 366) folgen<strong>des</strong> ausführte, soweit esum die Verletzung anderer Grundrechte als der Anhörungsrüge geht:„Damit trifft der Entwurf keine Aussage zu der Frage, wie die Gerichte künftig mit derVerletzung etwa <strong>des</strong> Willkürverbotes umgehen sollen; insbesondere die bisher in diesen Fällenzur Anwendung gekommenen außerordentlichen Rechtsbehelfe wie die außerordentliche Beschwerdeoder die Gegenvorstellung sollen durch die Beschränkung dieses Entwurfs auf eineErweiterung der Rügemöglichkeiten bei Anhörungsverstößen nicht ausgeschlossen werden.“In welchem verfassungsrechtlichen Verhältnis mithin nunmehr die außerordentlicheBeschwerde und Gegenvorstellung stehen, insbesondere wenn es um Grundrechtsverletzungengeht, die keine Anhörungsrüge gem. § 133a FGO erfordern, ist nicht mehreindeutig auszumachen. Dem Gebot <strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes, insbesondere derRechtsmittelklarheit, ist vor dem Hintergrund <strong>des</strong> Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügegetan, denn eine gesetzliche Grundlage dafür fehlt. 367) In diese Lücke stößt die Entscheidung<strong>des</strong> IV. Senates <strong>des</strong> BFH vom 08.09.2005. 368) Denn dieser hielt gerade inAnbetracht <strong>des</strong> § 133a FGO, der sich ja nur auf Anhörungsrügen bezieht, die außerordentlicheBeschwerde für statthaft, wenn z.B. im Anschluß an eine abgelehnte AdVgerügt wird, das FG habe bewußt und objektiv greifbar gesetzwidrig das Prozeßrechtangewendet. Demgegenüber geht der VII. Senat <strong>des</strong> BFH 369) von der Zulässigkeit einerGegenvorstellung in diesen Fällen aus. Inzwischen hat sich dem der IV. Senat <strong>des</strong>BFH angeschlossen. 370) Er beruft sich dafür aber ebenfalls auf Art. 19 Abs. 4 GG alsRechtsgrundlage, da Art. 19 Abs. 4 GG mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 371) zwarkeinen Schutz gegen den Richter sondern nur durch den Richter gewähre, aber nachdem Willen <strong>des</strong> Gesetzgebers (BR-<strong>Dr</strong>ucks. 663/04, Seite 13) Rechtsschutz durch dieGegenvorstellung gegeben sein solle, insbesondere bei gravierenden Rechtsverletzungen.365)366)367)368)369)370)371)BFH 13.05.2004 – IV B 230/02, BFH/NV 2004, 1320, 1321; offen gelassen bei BFH 26.01.2005– VII B 332/04, BFH/NV 2005, 905 und BFH 28.06.2005 – X B 78/05, BFH/NV 2005, 1624BT-<strong>Dr</strong>ucks. 15/3706, Seite 14; dazu Bloching/Kettinger NJW 2005, 860Bloching/Kettinger NJW 2005, 860, 863BFH 08.09.2005 – IV B 42/05, ZSteu 2005, R-793, R-794; offen gelassen bei BFH 19.10.2005 –X S 22/05, BFH/NV 2006, 336BFH 06.07.2005 – VII S 30/05, BFH/NV 2005, 2028 f.. Ähnlich BFH 01.08.2005 – X S 16/05,BFH/NV 2005, 2040BFH 13.10.2005 – IV S 10/05, HFR 2006, 174 f.BVerfG 16.01.1987 – 1 BvR 1113/86, BVerfGE 76, 93, 98


- 81 - 81245246247Ein Fall greifbarer Gesetzwidrigkeit ist dann gegeben, wenn der die AdV ablehnendeBeschluss dazu geführt hat, dass Verfahrensvorschriften schwerwiegend verletzt wordensind oder der angefochtene Beschluss auf einer Gesetzesauslegung beruht, dieoffensichtlich dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck widerspricht und dadurchzu einer Gesetzesanwendung führt, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossenwerden sollte. 372) Auch gilt es zu bedenken, dass für die Zulassung der Beschwerdegemäß § 128 Abs. 3 FGO der neugefaßte § 115 Abs. 2 FGO Maßstab ist. 373)§ 115 Abs. 3 FGO wird allerdings nicht angesprochen. 374)Dies alles könnte ab sofort bei Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte durch das FGaufgrund der neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> Plenums <strong>des</strong> BVerfG 375) sich als gegenstandsloserweisen. Es hat nämlich entschieden, dass Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte(Art. 103 Abs. 1, 101 Abs. 1 Satz 2 GG) überprüfbar sein müßten und esden verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rechtsmittelklarheit nicht genüge,wenn sich solches nicht aus der geschriebenen Rechtsordnung ergebe. AußerordentlicheRechtsbehelfe erfüllten solche Anforderungen nicht, weswegen das BVerfG esdem Gesetzgeber aufgegeben hatte, bis zum 31.12.2004 eine Lösung zu finden. Zwarerging diese Entscheidung zur ZPO, diese Grundsätze stellen sich aber in gleichemMaße dann, wenn das FG in einem Verfahren nach § 69 FGO entscheidet, es dabei zueinem Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte kommt und das FG die Beschwerde zumBFH nicht zuläßt (§ 128 Abs. 3 FGO). Für den Fall von Verstößen gegen die Verfahrensgrundrechteder Art. 103 Abs. 1, 101 Abs. 1 Satz 2 GG wäre bisher Gegenvorstellungmöglich gewesen. 376) Es ist jedoch fraglich, ob der außerordentliche Rechtsbehelfder Gegenvorstellung noch eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlagehat. 377)Für eine nach § 128 Abs. 3 FGO vom FG zugelassene Beschwerde wie auch für eineaußerordentliche Beschwerde, 378) die beim FG (§ 129 Abs. 1 FGO) oder beim BFH(§ 129 Abs. 2 FGO) eingelegt werden kann, ist für beide Fälle die 2-Wochenfrist <strong>des</strong>§ 129 Abs. 1 FGO zu beachten. 379)372)373)374)375)376)377)378)379)BFH 18.01.2000 - I B 119/99, BFH/NV 2000, 858; BFH 06.04.2000 - II B 153/99, n.V.; BFH22.08.2001 – III B 71/01, BFH/NV 2002, 195, 197; BFH 05.11.2001 – II B 148/01, BFH/NV2002, 811, 812; BFH 15.05.2002 – I B 42/02, BFH/NV 2002, 1318BFH 22.08.2001 – III B 71/01, BFH/NV 2002, 195, 197; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 Rdn.60BFH 22.08.2001 – III B 71/01, BFH/NV 2002, 195, 197 u.H.a. die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitdieser gesetzlichen Regelung gemäß BVerfG 06.10.1977 – 2 BvR 502/77, n.V.BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1928BFH 21.04.1997 – V R 22, 23/99, BFH/NV 1998, 32; BFH 13.04.2000 – V S 03/00, BFH/NV2000, 1132; BFH 20.03.2003 – IX S 01/03, BFH/NV 2003, 937Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2198Nach BFH 05.12.2002 – IV B 190/02, DStR 2003, 287, 288 seit Inkrafttreten <strong>des</strong> § 321a ZPO imHinblick auf § 155 FGO nicht mehr zulässig; s.o. Rdn. 189BFH 22.08.2001 – III B 71/01, BFH/NV 2002, 195, 197; BFH 05.11.2001 – II B 148/01,BFH/NV 2002, 811, 812


- 82 - 82248249250251252Sachlich zuständig ist das Gericht der Hauptsache, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenmithin der BFH. 380) Dies gilt auch für das Revisionsverfahren. 381) Zwar kannder Rechtsschutz bezgl. § 69 FGO nicht weiter reichen, als das im Hauptsacheverfahrenverfolgte Begehren, es muß aber nicht unbedingt auf die gleichen Rechtsgründegestützt werden. 382)Die AdV kann ein prozessstrategisches Instrument sein, um in verhältnismäßig kurzerZeit „auszutesten“, ob auch beim FG Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angegriffenenVerwaltungsakts bestehen. 383) Und soweit der AdV ganz oder teilweise vom FGnicht stattgegeben wird, erhält man Anhaltspunkte dafür, ob dafür Gründe maßgebendsind, die man im Hauptsacheverfahren „nachbessern“ kann. Im Hinblick auf neuereRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG empfiehlt es sich, im Antrag auf AdV nicht nur und nichtin erster Linie die Erfolgsaussicht <strong>des</strong> eigenen Begehrens für den Fall eines Hauptsacheverfahrensin den Vordergrund zu rücken, sondern auch die Beschreibung einerFolgenabwägung vorzunehmen. 384)Wird Klage gegen die Untersagung eines Gewerbebetriebes oder der Berufsausübungerhoben, so wird die Vollziehung <strong>des</strong> angefochtenen Verwaltungsaktes gehemmt (§ 69Abs. 5 Satz 1 FGO). Diese Hemmung kann die Behörde unter den Voraussetzungen<strong>des</strong> § 69 Abs. 5 Satz 2 FGO wieder beseitigen. Und dagegen kann die Wiederherstellungder hemmenden Wirkung durch gerichtliche Entscheidung begehrt werden (§ 69Abs. 5 Satz 3 FGO). Bei letzterem geht das FG in folgenden Schritten vor, 385) was manals Steueranwalt bei Abfassung eines entsprechenden Antrags- und Begründungsschriftsatzesberücksichtigen sollte:Zunächst ist zu prüfen, ob die Behörde den Sofortvollzug (§ 69 Abs. 5 Satz 2 FGO)bezüglich <strong>des</strong> öffentlichen Interesses ausreichend begründet hat. Falls nein, ist bereitsan dieser Stelle die hemmende Wirkung wieder herzustellen, ohne dass es auf die weitereFrage der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> Verwaltungsaktes ankommt. 386)Falls ja, ist erst in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ernstliche Zweifel an derRechtmäßigkeit <strong>des</strong> Verwaltungsaktes bestehen. 387)380)381)382)383)384)385)386)387)BFH 12.04.2000 - III S 4/00, n.V.BFH 09.02.2000 - VIII S 4/99, BFH/NV 2000, 970BFH 17.01.2000 - II S 6/99, BFH/NV 2000, 1100Nach BVerfG 04.07.2001 – 1 BvR 165/01, DStR 2002, 322 gehört zum Grundrecht <strong>des</strong> Art. 19Abs. 4 GG, vorläufigen Rechtsschutz in angemessener Zeit zu erhalten.In der Entscheidung BVerfG 04.07.2001 – 1 BvR 165/01, DStR 2002, 322 heißt es u.a.: „Aus derRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG zu Art. 19 Abs. 4 GG folgt, dass die Gerichte im einstweiligenRechtsschutzverfahren wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nichtvertiefend behandeln müssen. Sie können ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einerFolgenabwägung treffen (BVerfG NVwZ 1997, 479, 480).“FG Niedersachsen 14.09.2001 – 6 V 425/01, EFG 2002, 929, 930FG Niedersachsen 14.09.2001 – 6 V 425/01, EFG 2002, 929, 931FG Niedersachsen 14.09.2001 – 6 V 425/01, EFG 2002, 929, 930


- 83 - 83253254Als Steueranwalt muß man wissen, dass der Gegenstandswert für AdV-Verfahren inaller Regel nur auf 10 % <strong>des</strong> Gegenstandswertes <strong>des</strong> rückgeforderten Betrages festgesetztwird (str.), 388) ohne daß der durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eingeführteMin<strong>des</strong>tstreitwert (§ 52 Abs. 4 GKG) Anwendung findet. 389) Daran auszurichtendeAnwaltshonorare gemäß RVG sind der Bedeutung <strong>des</strong> AdV-Verfahrens undder dafür aufgewandten Tätigkeit in aller Regel nicht angemessen. Es empfiehlt sichdaher für den Steueranwalt oder den das AdV-Verfahren betreibenden Steuerberater inaller Regel, eine freie Honorarvereinbarung zu treffen.Verjährungsmäßig gilt es folgen<strong>des</strong> zu beachten: Grundlagenbescheide unterbrechenweder den Erlass eines Feststellungsbeschei<strong>des</strong> noch die AdV eines Feststellungsbeschei<strong>des</strong>die Verjährung <strong>des</strong> Steueranspruches. 390) Erst dann, wenn aufgrund § 361Abs. 3 AO auch die Vollziehung <strong>des</strong> Folgebeschei<strong>des</strong> ausgesetzt wird, unterbrichtdiese Aussetzung <strong>des</strong> Folgebeschei<strong>des</strong> die Zahlungsverjärung <strong>des</strong> Steueranspruches.391) Und diese Unterbrechung der Zahlungsverjährung <strong>des</strong> Folgebeschei<strong>des</strong> dauertso lange, bis die AdV <strong>des</strong> Folgebeschei<strong>des</strong> abgelaufen ist (§ 231 Abs. 2 AO), was erstdann der Fall ist, wenn die AdV <strong>des</strong> Folgebeschei<strong>des</strong> aufgehoben worden ist oder einein der AdV enthaltene auflösende Bedingung eingetreten ist. 392) Folglich endet dieUnterbrechungswirkung einer Verjährung aufgrund einer AdV <strong>des</strong> Folgebeschei<strong>des</strong>nicht automatisch durch eine Klagerücknahme <strong>des</strong> betr. den Grundlagenbescheid. 393)255V. Aufbau einer Klageschrift1. AllgemeinesDie Klageschrift muß den Anforderungen den § 65 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO entsprechen.Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> VI. Senates <strong>des</strong> BFH 394) ist der Gegenstand <strong>des</strong>Klagebegehrens bereits dann ausreichend bezeichnet, wenn aus dem Antrag <strong>des</strong> Klägerseindeutig erkennbar sei, dass er den Ablehnungsbescheid dem Grunde nach angreife.Aus nachfolgenden Gründen wird verdeutlicht, dass es einer sachgerechten388)389)390)391)392)393)394)BFH 27.03.2000 - VII B 223/99, BFH/NV 2000, 1120; BFH 26.04.2001 – V S 24/00, DStR 2001,1246; BFH 14.12.2007 – IX E 17/07, BFH/NV 2008, 307; BFH 04.05.2011 – VII S 61/10, ZSteu2011, R-1190, R-1191; BFH 17.11.2011 – IV S 15/10, Rdn. 13 - 16; FG Baden-Württemberg13.12.2011 – 2 V 441/11, EFG 2012, 1189; Skerhut DStZ 2001, 630. - Nach FG Düsseldorf25.05.2005 – 11 V 5884/03 A (E), EFG 2005, 1285; FG Düsseldorf 14.11.2011 – 11 V 1531/11,EFG 2012, 266, 267; Sächsisches FG 14.06.2006 – 2 V 1992/04, (Juris); FG Münster 30.01.2007– 11 V 4418/05, EFG 2007, 1109; FG Hamburg 31.10.2007 – IV 169/05, DStRE 2008, 1038m.w.N. dagegen 25 %. Die Verfahrensgebühr im vorläufigen Rechtsschutz vor dem FG gem. VVNr. 3200 RVG 1,6: Sächsisches FG 27.03.2006 – 3 Ko 243/06, EFG 2006, 1103, 1104; FG Köln05.02.2007 – 10 Ko 275/07, EFG 2007, 793, 794BFH 14.12.2007 – IX E 17/07, BFH/NV 2008, 307BFH 23.06.1998 – VII R 119/97, BFH/NV 1998, 1322; FG Bremen 13.07.2006 – 1 K 180/05,EFG 2007, 647FG Bremen 13.07.2006 – 1 K 180/05, EFG 2007, 647FG Bremen 13.07.2006 – 1 K 180/05, EFG 2007, 647FG Bremen 13.07.2006 – 1 K 180/05, EFG 2007, 647, 648BFH 17.01.2002 – VI B 114/01, DStRE 2002, 656; dazu Schellerten DStR 2002, 1119


- 84 - 84256257258259260261262263Interessenvertretung nicht entspricht, wenn man sich lediglich mit der Frage befassenwollte, was min<strong>des</strong>tens vorzutragen ist, um § 65 Abs. 1 FGO zu entsprechen. 395)Vielmehr sollte Maßstab sein, alles das vorzutragen, was notwendig ist, um nicht nurvor dem FG die Klägerinteressen optimal zu vertreten, sondern auch stets im Auge zuhaben, dass dieser Rechtsstreit noch den BFH, EuGH, BVerfG oder ein LVerfG beschäftigenkönnte.Indem die Klagebegründung und die erforderlichen Beweismittel gemäß § 65 Abs. 1Satz 3 FGO nur vorgetragen werden „sollen“, ist es möglich, fristwahrend zunächstdie Klage ohne Begründung und Beweismittel einzureichen und diese dann in einemgesonderten Schriftsatz nachzureichen. Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 4 FGO soll der Klageauch die Urschrift oder eine Abschrift <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong> sowie der angefochtenenEinspruchsentscheidung beigefügt werden.Ziel einer Klageschrift ist es nicht nur, den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen, sondern- das Finanzgericht vom eigenen Standpunkt zu überzeugen und- zugleich damit schon die Weichen für ein eventuelles Revisionsverfahren bzw.ein Vorlageverfahren nach Art. 234 EG bzw. Art. 100 Abs. 1 GG oder ein sichnach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges anschließen<strong>des</strong> Verfassungsbeschwerdeverfahrenzu stellen.Folglich gilt es, bereits in der Klageschrift unter Berücksichtigung <strong>des</strong> bekanntenStandpunktes <strong>des</strong> Finanzamtes tatsächlich und rechtlich umfassend vorzutragen. Dafürkann der Aufbau einer Klageschrift ein hilfreicher Wegweiser sein.Mit folgenden Eckpunkten läßt sich dies erleichtern:- Erhebung der Klage gemäß §§ 64, 65 Abs. 1 FGO, 396) jedoch zunächst noch ohneBegründung, die ja gem. § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO noch nicht mit enthalten seinmuß.- Alsdann Geltendmachung <strong>des</strong> Akteneinsichtsrechts in die Amtsakten (§ 78 Abs. 1FGO).- Sodann Fertigung und Einreichung der Klagebegründung.Um bezüglich der Klagebegründung nichts zu übersehen und zugleich dem Gerichtdas Lesen zu erleichtern, kann es sich empfehlen, ein Inhaltsverzeichnis voranzustellen,mit Überschriften zu arbeiten, in einer Vorbemerkung die sogenannte „rote Linie“aufzuzeigen und zum Schluß die Klagebegründung nochmals zusammenzufassen. Beiden Normen, auf die man sich bezieht, kann es mitunter empfehlenswert sein, dieNorm und ihre Wirkungsdauer zu verdeutlichen, was durch Beifügung eines JURIS-Ausdrucks als Anlage der Klagebegründung erfolgen kann.395)396)Schellerten DStR 2002, 1119BFH 28.01.1997 - VII R 33/96, BFH/NV 1997, 585


- 85 - 85264265Ich selbst habe mit folgendem Aufbau einer Klagebegründung gute Erfahrungen gemacht:Wiederholung der Anträge aus der Klageschrift 397)InhaltsverzeichnisA. VorbemerkungB. SachverhaltI. VerfahrensablaufII.Der für die materiellrechtliche Einordnung relevante SachverhaltIII. BeweislastC. ProzessualesI. Zu den KlageanträgenII.Zu HilfsanträgenIII. Zu § 6 Abs. 1 FGOD. Rechtliche BegründungI. Verfahrensfragen (AO)II. Materiellrechtliche BegründungIII. Hilfsweise gestellter RevisionszulassungsantragE. ZusammenfassungAnlagenZu einer ordnungsgemäßen Klageerhebung i.S.d. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört nebender korrekten Bezeichnung <strong>des</strong> Klägers auch, <strong>des</strong>sen ladungsfähige Anschriftanzugeben. 398) Hat eine <strong>iur</strong>istische Person keine Geschäftsräume mehr, dann kannausnahmsweise auf eine ladungsfähige Anschrift der <strong>iur</strong>istischen Person verzichtetwerden, wenn die Zustellung über deren Prozessbevollmächtigten sichergestellt ist. 399)2662. AnträgeDas FG hat nur über den Klageantrag zu entscheiden, der klägerseits (in der mündlichenVerhandlung) gestellt wurde. 400) Daran richtet sich später auch die Beantwortungder Frage aus, ob durch einen Gerichtsbescheid oder ein Urteil <strong>des</strong> FG eine Beschwervorliegt, die nämlich nur dann gegeben ist, wenn die Entscheidung vom klägerischenAntrag zu seinen Lasten abweicht. Es kann sich ergeben, daß das Klagebegehren auslegungsbedürftigist. In solchen Fällen ist die Klageschrift nach den §§ 133, 157 BGB397)398)399)400)Dazu gehört auch der hilfsweise gestellte Revisionsantrag bzw. der (hilfsweise) gestellte Antragder Vorlage zum EuGH (Art. 134 Abs. 2 EG) oder zum BVerfG (Art. 100 Abs. 1 GG).BFH 18.08.2011 – V B 44/10, BFH/NV 2011, 2084 Rdn. 7; BFH 20.12.2012 – I B 38/12,BFH/NV 2013, 746BFH 18.08.2011 – V B 44/10, BFH/NV 2011, 2084 Rdn. 12 ff.BFH 09.02.2006 – X B 140/05, BFH/NV 2006, 973


- 86 - 86267268geltenden Grundsätzen auszulegen. Dabei sind alle dem FG und dem Finanzamt erkennbarenUmstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen, wobei nachden Grundsätzen der rechtsschutzgewährenden Auslegung im Zweifel anzunehmenist, das das Rechtsmittel eingelegt werden sollte, das zulässig ist, selbst wenn der Klägerdurch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten wurde. 401)Wurde der Klageantrag im Urteil unzutreffend wiedergegeben, so ist Tatbestandsberichtigunggeboten und die Unrichtigkeit <strong>des</strong> Klageantrages nicht zum Gegenstandeiner Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu machen. 402)Da die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigtenfür das Vorverfahren erst im Kostenfestsetzungsverfahren <strong>des</strong> FG ergeht, 403)scheint es nicht notwenig zu sein, dies bereits mit den Klageanträgen zusammen zubeantragen. Sicherheitshalber sollte man dies jedoch sowohl mit den Klageanträgenund im Obsiegensfalle dann nochmals im Kostenfestsetzungsverfahren beantragen.269270271a) KlageartenIm Wege der Anfechtungsklage wird die Aufhebung oder Abänderung eines Verwaltungsaktesin der Fassung der Einspruchsentscheidung begehrt (§ 40 Abs. 1 Satz 1FGO). Dazu muß bereits im Klageantrag der angefochtene Verwaltungsakt und dieEinspruchsentscheidung konkret bezeichnet werden (§ 65 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO).Und nur über den durch diesen Antrag konkretisierten Verwaltungsakt hat das Finanzgerichtzu entscheiden. 404)Diese Konkretisierung ist auch <strong>des</strong>halb notwendig, weil Klageänderungen bei fristgebundenenAnfechtungs- bzw. Verpflichtungsklagen nur innerhalb der Klagefristzulässig sind 405) und man auf diese Weise vorab deutlich macht, was das Ziel der Klageist. Eine Einspruchsentscheidung kann dann eigenständig Gegenstand einer Anfechtungsklagesein, wenn sie selbst einen Verwaltungsakt darstellt (§ 118 AO),wodurch eine belastende Wirkung ausgeht. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Einspruchsentscheidungim Wege der Verböserung eine über den belastenden Verwaltungsakthinausgehende belastende Regelung enthält. Da die Feststellungsklage subsidiärist (§ 41 Abs. 2 Satz 2 FGO), geht die Anfechtungsklage vor. 406) Aber es kannspäter von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangenwerden.Mit der Verpflichtungsklage wird die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten 407)oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt (§ 40 Abs. 1 FGO). Auch die Verpflichtungsklagebedarf eines erfolglos durchlaufenen Vorverfahrens, sofern es sich nicht401)402)403)404)405)406)407)BFH 23.04.2009 – IV R 24/08, BFH/NV 2009, 1427 f.; BFH 23.04.2009 – X B 43/08, BFH/NV2009, 1443BFH 31.01.2006 – XI B 18/05, BFH/NV 2006, 1113BFH 13.04.2006 – XI B 12/06, BFH/NV 2006, 1335BFH 24.08.1999 - VIII B 52/98, n.V.BFH 19.05.1999 - IV B 71/98, BFH/NV 1999, 1449; Gräber/von Groll, FGO § 67 Rdn. 11BFH 09.09.1999 - VII B 279/98, BFH/NV 2000, 324; BFH 13.10.1999 - IV B 8/99, BFH/NV2000, 458; BFH 11.11.1999 - XI B 47/99, BFH/NV 2000, 675BFH 09.09.1999 - VII B 279/98, BFH/NV 2000, 324


- 87 - 87272273274um eine Sprungklage (§ 45 FGO) oder eine Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) handelt. 408)Der Klageantrag hat unter Aufhebung der konkret bezeichneten ablehnenden Einspruchsentscheidungden zu erlassenden Verwaltungsakt als Gegenstand <strong>des</strong> Klagebegehrenskonkret zu bezeichnen (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO). Und auch hier ist eine Klageänderungder Verpflichtungsklage nur innerhalb der Klagefrist zulässig. 409) Auch beider Verpflichtungsklage ist die Feststellungsklage subsidiär (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO),so dass es keinen Anspruch darauf gibt, dass eine Behörde die Rechtswidrigkeit einesvon ihr erlassenen Verwaltungsakts feststellt. 410)Eine Leistungsklage ist dann zu erheben, wenn zuvor der Zahlungsanspruch durch Bescheidi. S. <strong>des</strong> § 218 Abs. 1 oder 2 AO festgesetzt worden ist 411) und zusätzlich ineinem Vorverfahren der Auszahlungsanspruch festgestellt worden ist, so dass nur nochdie Auszahlung aussteht. 412)Im übrigen bedarf die Leistungsklage keines Vorverfahrens nach § 44 FGO. 413) EineLeistungsklage kann auch in einem (vorbeugenden) Unterlassungsbegehren gegenüberdem Finanzamt begründet sein, 414) z.B. wenn das Finanzamt rufschädigende Meinungengegenüber <strong>Dr</strong>itten äußert. 415) Ferner kann ein Leistungsbegehren auf fehlerfreieErmessensausübung durch Versagung oder Unterlassung einer (anderen) Leistung <strong>des</strong>Finanzamtes gerichtet sein. 416) Die Leistungsklage ist gegenüber der Anfechtungsklagesubsidiär. 417) Umgekehrt ist die Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage subsidiär(§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO). 418) Es ist offen, ob von einer Leistungsklage zu einerFortsetzungsfeststellungsklage übergegangen werden kann. 419)Ein Feststellungsantrag kann auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnissesoder die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes gerichtet sein (§ 41 Abs. 1FGO). Dazu kann auch die Feststellung <strong>des</strong> Rechtsscheins der ordnungsgemäßen Bekanntgabe<strong>des</strong> "angefochtenen" Verwaltungsaktes gehören. 420)408)409)410)411)412)413)414)415)416)417)418)419)420)BFH 05.05.1999 - II R 44/96 , BFH/NV 2000, 8; S.o. Rdn. 143 ff.BFH 19.05.1999 - IV B 71/98, BFH/NV 1999, 1449BFH 09.09.1999 - VII B 279/98, BFH/NV 2000, 324BFH 12.06.1986 – VII R 103/83, BStBl. II 1986, 702; BFH 29.01.1991 - VII R 45/90, BFH/NV1991, 791; BFH 07.07.1998 - VII B 312/97, BFH/NV 1999, 150; BFH 30.11.1999 - VII R 97/98,BFH/NV 2000, 412BFH 13.09.1988 - V R 207/83, BFH/NV 1989, 353; BFH 21.02.1992 - V B 75/91, BFH/NV1992, 678BFH 24.07.1990 - VII R 75/89, BFH/NV 1991, 604BFH 04.04.1984 - I R 269/81, BStBl II 1984, 563 u.H.a. BFH 13.09.1972 - I R 189/70, BStBl II1973, 119: „Begehrt ein Kläger, der Betriebsprüfungsstelle zu untersagen, bestimmte Unterlagenbei den Prüfungsfeststellungen zu verwerten, so ist dieser Antrag als sonstige Leistungsklage i.S.<strong>des</strong> § 40 Abs. 1 FGO statthaft.“ (JURIS-Orientierungssatz). Zur Zulässigkeit einer vorbeugendenUnterlassungsklage BFH 27.10.1993 - I R 25/92, BStBl II 1994, 210BFH 16.10.1986 - V B 3/86, BStBl II 1987, 30BFH 12.04.1994 - VII R 67/93, BFH/NV 1995, 77BFH 13.03.1986 - IV R 304/84, BStBl II 1986, 509BFH 20.02.1991 - VII B 242/90, n.V.BFH 12.01.1988 - VII R 55/84, BFH/NV 1988, 453BFH 25.02.1999 - IV R 36/98, BFH/NV 1999, 1117


- 88 - 88275Beklagte kann nur die Behörde sein, der gegenüber diese Feststellung begehrt werdenkann (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 FGO). 421) Es muß ein Feststellungsinteresse vorhanden sein(§ 41 Abs. 1 FGO), 422) wie auch deren Subsidiarität bezüglich Anfechtungs-, Verpflichtungs-und Leistungsklage zu beachten ist (§ 41 Abs. 2 FGO). 423) Die Feststellungsklagebedarf nicht der Durchführung eines Vorverfahrens. 424) Unter den Voraussetzungen<strong>des</strong> § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist auf Antrag die Fortsetzungsfeststellungsklagezulässig. Dazu kann gehören, feststellen zu lassen, die angefochtene inzwischenerledigte Prüfungsanordnung sei rechtswidrig gewesen. 425)276277278b) Senat oder Einzelrichter§ 6 Abs. 1 FGO geht von dem Grundsatz aus, dass der Senat <strong>des</strong> Finanzgerichts fürdie erhobene Klage zuständig ist und unter den dort genannten Voraussetzungen denRechtsstreit an den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen kann. 426)De facto wird dies aber darauf hinaus laufen, dass dies der Regelfall sein wird. BeimSenat werden folglich nur noch die Fälle verbleiben, die besondere Schwierigkeitentatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen bzw. von grundsätzlicher Bedeutung sind.Es empfiehlt sich daher, bereits in der Klagebegründung zu den Voraussetzungen <strong>des</strong>§ 6 Abs. 1 FGO Stellung zu nehmen. Wer z.B. den Hilfsantrag auf Zulassung der Revisionstellt und diesen folglich auch gesondert begründet, kann diese Begründungzudem dazu verwenden, zugleich damit zu begründen, warum dieserhalb im Hinblickauf § 6 Abs. 1 FGO auch der Senat <strong>des</strong> Finanzgerichts zuständig bleiben sollte. Sorgfaltbei der diesbezüglichen Begründung ist angezeigt, andernfalls man damit rechnenmuß, dass der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen wird. Dabeigeht es darum, den Senat zu überzeugen, dass und warum der Rechtsstreit besser beiihm bleiben sollte, nicht jedoch um die Frage einer Zustimmung einer Prozesspartei,da die Übertragung auf den Einzelrichter nicht von einer Anhörung oder gar Zustimmungabhängig ist. 427)Eine andere Einzelrichterentscheidung ist die <strong>des</strong> § 79a Abs. 2 Satz 1 FGO. Danachkann der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (§ 90aFGO) entscheiden. Der Gerichtsbescheid wirkt dann als Urteil (§ 90a Abs. 3 FGO).Gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid kann binnen eines Monats nach421)422)423)424)425)426)427)BFH 06.03.2000 - II B 48/99, BFH/NV 2000, 1112Diese ist nicht mehr vorhanden, wenn das FA einen Änderungsbescheid erläßt, dieser gemäß § 68FGO zum Gegenstand <strong>des</strong> Klageverfahrens geworden ist: BFH 12.05.1999 - I B 138/98, BFH/NV1999, 1487BFH 09.09.1999 - VII B 279/98, BFH/NV 2000, 324BFH 15.04.1999 - VII B 179/98, BFH/NV 1999, 1471BFH 15.12.1999 - X B 86/99, BFH/NV 2000, 681Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit <strong>des</strong> § 6 Abs. 1 FGO siehe den Überblick bei Sauer/Schwarz,Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 21 f.BFH 06.11.1997 - VII S 25/97, BFH/NV 1998, 560; BFH 16.11.1999 - XI R 97/97, BFH/NV2000, 585; BFH 18.01.2000 - VII R 2/99, BFH/NV 2000, 599; BFH 21.09.2000 - XI B 94/00,n.V.


- 89 - 89279280281282283284Zustellung <strong>des</strong> Gerichtsbeschei<strong>des</strong> mündliche Verhandlung vor dem Senat 428) beantragtwerden (§ 79a Abs. 2 Satz 2 FGO). Dann gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen(§ 90a Abs. 3 FGO).Die Prozessparteien können sich ferner damit einverstanden erklären, dass an Stelle<strong>des</strong> Senates der Vorsitzende alleine entscheidet (§ 79a Abs. 3 FGO). Es müssen folglichdas Einverständnis der Prozessparteien und die Bereitschaft <strong>des</strong> Vorsitzendenzusammentreffen. Es handelt sich dabei um keinen Fall von § 6 Abs. 1 FGO. Diesselbst dann, wenn es sich um einen Fall von tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeitoder von grundsätzlicher Bedeutung handelt. 429)Und schließlich kann im vorgenannten Fall dann, wenn ein Berichterstatter bereits bestelltwar, statt <strong>des</strong> Vorsitzenden der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligtenals Einzelrichter entscheiden (§ 79a Abs. 4 FGO). 430) Verzichten die Beteiligten aufmündliche Verhandlung, kann der Berichterstatter als Einzelrichter durch Urteil entscheiden.431) Das Einverständnis zur Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß §79a Abs. 4 FGO ist nicht zugleich ein Einverständnis <strong>des</strong> Verzichts auf mündlicheVerhandlung gemäß § 90 Abs. 2 FGO. 432)In allen vorgenannten Fällen ist der Einzelrichter das Gericht und hat folglich dieWahl, ob er- nach mündlicher Verhandlung (§§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch Urteil (§ 95FGO),- im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2FGO) durch Urteil (§ 95 FGO), 433)- ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 1 FGO– in diesem Fall kann gemäß § 90a Abs.2 FGO Antrag auf mündliche Verhandlunggestellt werden, das Finanzgericht kann aber auch die Revision zulassen –oder- ohne mündliche Verhandlung per Gerichtsbescheid gemäß § 79a Abs. 2 Satz 1bzw. Abs. 4 FGO – in diesem Fall ist dagegen kein Rechtsmittel sondern gemäߧ 79a Abs. 2 Satz 2 FGO nur der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig, 434)selbst wenn fehlerhafter Weise die Revision zugelassen wurde 435) -entscheidet.428)429)430)431)432)433)434)435)Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 106Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, C Rdn. 17BFH 03.02.2000 - XI B 65/99, BFH/NV 2000, 875BFH 11.07.2000 - XI B 121/99, BFH/NV 2000, 1470BFH 18.02.1999 - I R 127-129/97, BFH/NV 1999, 1464BFH 11.07.2000 - XI B 121/99, BFH/NV 2000, 1470BFH 03.11.1993 - II R 77/93, BStBl II 1994, 118; BFH 03.11.1993 - II B 126/93, n.V.; BFH06.07.1999 - XI R 75/98, BFH/NV 1999, 1624BFH 25.05.1999 - XI R 76/98, BFH/NV 1999, 1617; BFH 29.06.1999 - XI R 67/98, n.V.


- 90 - 90285286Dort, wo außerhalb <strong>des</strong> § 6 Abs. 1 FGO die Übertragung auf den Einzelrichter vomEinverständnis der Beteiligten abhängt, sollte man sich als Kläger nur dann zu einemEinverständnis bereit erklären, wenn man den Einzelrichter bzw. <strong>des</strong>sen Arbeitsweisekennt. 436)Von dem entscheidenden Einzelrichter ist der <strong>des</strong> vorbereitenden Verfahrens betreffenddie in § 79a Abs. 1 FGO aufgezählten Vorbereitungshandlungen zu unterscheiden.Dies kann der Vorsitzende sein (§ 79a Abs. 1 FGO) oder wenn ein Berichterstatterschon bestellt worden ist, der Berichterstatter (§ 79a Abs. 4 FGO). Dazu ist keinEinverständnis der Beteiligten erforderlich.287288289290c) BeiladungsantragZweck der Beiladung (§ 60 FGO) ist, <strong>Dr</strong>itte, die nicht Kläger oder Beklagte sind, amFinanzgerichtsprozess zu beteiligen, um ihnen gegenüber aus bestimmten Gründeneine Bindungswirkung herbeizuführen. 437) Der Beigeladene wird zum Verfahrensbeteiligten(§ 57 Nr. 3 FGO). Die einfache Beiladung kann von Amts wegen oder aufAntrag erfolgen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 FGO), während es bei der notwendigen Beiladungeine Pflicht <strong>des</strong> Gerichts zur Beiladung und demzufolge kein Antragsrecht <strong>des</strong> Klägersgibt (§ 60 Abs. 3 FGO). 438)Folglich gilt es bereits bei Klageerhebung zu bedenken, ob die einfache Beiladungbedeutsam sein kann und man diesbezüglich vom eigenen Antragsrecht Gebrauchmachen sollte. 439)Die Beiladung setzt allerdings eine zulässige Klage voraus 440) wie auch der/die Beizuladende(n)klagebefugt (§ 48 FGO) sein müssen, wozu auch gehört, dass für dieseein Rechtsschutzbedürfnis besteht. 441)Anders als bei der im Steuerprozess unbekannten Streitverkündung – gemäß § 59FGO sind die §§ 59 – 63 ZPO über die Streitverkündung bei der Beiladung nur entsprechendanzuwenden – ist es dem Beigeladenen nicht untersagt, seine Rechte unabhängigvom Vorgehen <strong>des</strong> Klägers geltend zu machen. Auf § 67 letzter Halbsatz ZPOwird in § 59 FGO nicht hingewiesen.436)437)438)439)440)441)Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 105Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, Rdn. 297; Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess?Rdn. 617BFH 05.06.2000 - VIII B 37/00, n.V.: Richtet sich eine Klage gegen einen negativen (Gewinn-)Feststellungsbescheid, sind alle an der angeblichen Gesellschaft bzw. Gemeinschaft Beteiligten,die nicht selbst Klage erhoben haben, notwendig beizuladen. Gemäß BFH 28.07.2004 – IX B27/04, HFR 2004, 999 ist der im Klageverfahren beigeladene auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenbeizuladen, selbst wenn er keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat.BFH 31.08.1999 - VIII R 22/98, BFH/NV 2000, 420: atypisch stille Gesellschafter einer GmbH& Still sind in einem Klageverfahren betreffend Gewerbesteuermeßbescheid nicht nach § 60 Abs.3 FGO notwendig beizuladen, können folglich nur nach § 60 Abs. 1 FGO einfach beigeladenwerden.BFH 27.01.2000 - VII B 42/99, BFH/NV 2000, 1105BFH 23.07.1999 - IX B 71/99, BFH/NV 1999, 1638


- 91 - 91291292293294295d) AussetzungsantragOb mit Klageerhebung ein Antrag auf Aussetzung gemäß § 74 FGO gestellt werdensollte, sollte man nicht nur nach den rechtlichen Voraussetzungen entscheiden, sondernauch unter dem Gesichtspunkt, dass in der Regel Verfahren vor dem Finanzgerichtbis zur ersten mündlichen Verhandlung 5 Jahre und länger dauern und in dieserZeit sich ohnehin vorgreifliche Dinge erledigen können. Aber es kann auch sachlicheGründe geben, einen Aussetzungsantrag zu stellen, immer unter der Voraussetzung,dass das eigene Klagebegehren nicht von vornherein erfolglos scheint. 442) Dazu könnenz.B. gehören:- Das Finanzamt hat einen belastenden Folgebescheid erlassen, ohne zuvor denGrundlagenbescheid abzuwarten. In der nach erfolglosem Einspruchsverfahrendagegen eingereichten Klage zum Finanzgericht kann ein Aussetzungsantrag biszum Ergehen <strong>des</strong> Grundlagenbescheids gestellt werden. 443)- Bezüglich der Verfassungswidrigkeit einer Norm, die auch im Klageverfahrenbedeutsam ist, wegen der aber in einem anderen Verfahren Verfassungsbeschwerdeerhoben wurde, kann bis zur Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG Aussetzungsantraggem. § 74 FGO gestellt werden. 444)- Dem EuGH sind, einen anderen Rechtsstreit betreffend, in einem VorabentscheidungsverfahrenRechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt worden, die mit hinreichenderWahrscheinlichkeit zur Klärung von bisher ungeklärten Rechtsfragenführen. 445)Setzt das FG von sich aus per Beschluss aus, so ist dagegen die Beschwerde (§ 128Abs. 1 FGO) möglich, weil es sich nicht um eine prozeßleitende Verfügung i.S.d. §128 Abs. 2 FGO handelt. 446) Gegen eine den Aussetzungsbeschluss bestätigende Entscheidung<strong>des</strong> BFH ist eine Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. 447)296e) RevisionszulassungsantragWenn man in einer Klage hilfsweise den Antrag auf Zulassung der Revision stellt,dann sollte man in der Klagebegründung diesen hilfsweise gestellten Antrag auchbegründen. Denn für die Zulassung der Revision ist zunächst das FG zuständig; dieNichtzulassungsbeschwerde, über die der BFH zu entscheiden hat, stellt sich ja erstdann, wenn das FG die Revision nicht von sich aus ausdrücklich 448) zugelassen hat442)443)444)445)446)447)448)BFH 05.07.1999 - VIII B 28/99, BFH/NV 1999, 1623BFH 03.08.2000 - III B 179/96, DStRE 2000, 1224BFH 02.09.1999 - IV R 50/98, BFH/NV 2000, 187. Dagegen kein Aussetzungsgrund, wenn ineiner vergleichbaren Rechtsfrage vor dem BFH ein Musterprozess anhängig ist: BFH 31.08.1999- V B 20/98, BFH/NV 2000, 245BFH 30.01.1997 - V R 27/95, DStR 1997, 614; BFH 14.10.1998 - VII R 56/97, BFH/NV 1999,840; Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 571Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl. 2002, § 74 Rdn. 20BVerfG 08.10.2003 – 2 BvR 1309/03, NJW 2004, 501, 502BFH 26.05.1988 – VIII R 09/88, BFH/NV 1990, 381


- 92 - 92297298299300301302303304(§ 115 Abs. 1 FGO) und <strong>des</strong>halb diese Nichtzulassung mit der Nichtzulassungsbeschwerdeangefochten worden ist (§ 116 Abs. 1 FGO). 449)Damit erreicht man zweierlei:- Zum einen schärft man den Blick <strong>des</strong> Gerichts dafür, dass und warum einer derRevisionsgründe <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 FGO gegeben sein könnte, so dass das Gerichtgehalten ist, mit den dazu vorgetragenen Gründen sich auch in den Entscheidungsgründenauseinanderzusetzen.- Zum anderen verdeutlicht man damit auch, dass und warum für den Fall grundsätzlicherBedeutung im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Nr. 2 FGO der Senat <strong>des</strong> FG zuständigbleiben sollte.Hat man in Anbetracht <strong>des</strong> Verlaufs der mündlichen Verhandlung den Hilfsantrag aufZulassung der Revision erst in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, sosollte man ihn in der mündlichen Verhandlung auch begründen und die mündlicheBegründung schriftlich nachreichen.Der Hilfsantrag auf Zulassung der Revision sollte auch für den Fall gestellt werden,dass zugleich ein Vorlageantrag zum EuGH gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV und Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG gestellt wurde. Zwar hat der BFH 450) folgen<strong>des</strong> entschieden:„Es steht dem FG frei, ob es zu einer entscheidungserheblichen Auslegungsfrage <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtseine Vorabentscheidung <strong>des</strong> EuGH einholt oder davon absieht. Die Entscheidung<strong>des</strong> FG darüber wird vom BFH nicht überprüft. Dies gilt auch für die Erwägungen und Gründe,die das FG veranlaßt haben, von der Einholung einer Vorabentscheidung abzusehen.“Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und die Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG 451) vom09.01.2001 dürfte es aber zweifelhaft sein, ob diese Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH Bestandhaben wird.Der hilfsweise gestellte Revisionszulassungsantrag könnte diesbezüglich auf folgen<strong>des</strong>abgestellt werden:- § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO: Klärung einer entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichenFrage im Interesse der Allgemeinheit. 452)- § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO: Fortbildung <strong>des</strong> Rechts, insbesondere wenn es um Fragender richtlinienkonformen Auslegung gehen sollte und das FG sich dem verschließensollte. 453)Insoweit gibt § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n.F. mit der „Fortbildung <strong>des</strong> Rechts“ alsneuem Revisionsgrund, auch insoweit einen Hilfsantrag der Revisionszulassungzu stellen.449)450)451)452)453)Beermann DStZ 2001, 155, 159 f.BFH 02.04.1996 - VII R 119/94, EuZW 1996, 668BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749, 751; dazu Voßkuhle JZ 2001, 924BFH 09.01.1995 – VII B 169/95, BFH/NV 1996, 652; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte fürSteuerrecht, 1999, Seite 555, 560 f.W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555, 560


- 93 - 93305- § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO: Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für den Fallder Nichtvorlage an den EuGH. 454)306f) KostenantragDer unterliegende Beteiligte trägt die Kosten <strong>des</strong> Verfahrens (§ 135 Abs. 1 FGO),Beigeladene nur, soweit sie Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt haben (§ 135Abs. 3 FGO). Aber Kosten können unter den Voraussetzungen <strong>des</strong> § 137 FGO aucheinem obsiegenden Beteiligten auferlegt werden. In der Praxis der Finanzgerichtestellt man inzwischen vermehrt fest, dass auch über den Wortlaut <strong>des</strong> § 137 FGO hinausbzw. in „analoger Anwendung“ Kläger selbst im Obsiegensfalle mit Kosten belastetwerden, insbesondere wenn der Rechtsstreit für erledigt erklärt wird. 455)307308g) BefangenheitsantragDie gesetzlichen Voraussetzungen ergeben sich aus §§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m.42 ZPO. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist ein Befangenheitsantrag dann begründet, wennein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richterszu rechtfertigen. Ungeachtet dieser eindeutigen gesetzlichen Regelung hat diePraxis der Rechtsprechung von BFH und der FGs, bestärkt durch eine noch restriktivereRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG, seit langem dazu geführt, begründete Befangenheitsanträgezu einer Rarität werden zu lassen, obwohl die Vielzahl von Befangenheitsanträgenzeigen, dass die Akzeptanz richterlicher Unparteilichkeit sich in einemrapiden Verfall befindet. So trägt es nicht zur Akzeptanz bei, wenn Richter, gegen diesich Befangenheitsanträge richten, an der Entscheidung darüber mit der Begründungmitwirken, der Befangenheitsantrag sei rechtsmissbräuchlich. 456) Die Maßstäbe fürgegen Richter gerichtete Befangenheitsanträge sind in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFHeinerseits und <strong>des</strong> BVerfG andererseits unterschiedlich.Diese gilt es vor folgendem Hintergrund zu sehen:Das 2. FGOÄndG hat mit Wirkung zum 01.01.2001 die Möglichkeit der Beschwerdegegen zurückweisende Ablehnungsentscheidungen abgeschafft (§ 128 Abs. 2FGO). 457) Dies rechtfertigt es auch nicht, im Anschluß daran das BVerfG oder einLan<strong>des</strong>verfassungsgericht per Verfassungsbeschwerde u.H.a. den gesetzlichen Richter(Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG) anzurufen, weil man dann riskiert, die mangelnde Erschöpfung<strong>des</strong> Rechtsweges entgegengehalten zu bekommen (§ 90 Abs. 2 Satz 1BVerfGG).454)455)456)457)BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749, 751; a. A. noch BFH 25.06.1991 - VII B33/91, BFH/NV 1992, 286 und W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite555, 559FG München 01.07.1998 - 1 K 1286/98, EFG 1998, 1424; FG Mecklenburg-Vorpommern27.08.1998 - 1 K 124/94, n.V.; Kerath BB 2003, 937BFH 07.12.1999 - IV S 10/99, BFH/NV 2000, 594Vollkommer NJW 2001, 1827


- 94 - 94309310Denn nach der Gesetzesbegründung <strong>des</strong> 2. FGOÄndG soll ein zu Unrecht abgelehntesAblehnungsgesuch einen Verfahrensfehler darstellen, welches Revisionszulassungsgrundi.S.d. §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 Abs. 3 Satz 2 FGO ist, so dass dieserhalb dieAufhebung <strong>des</strong> angefochtenen Urteils gemäß § 116 Abs. 6 FGO angestrebt werdenkönne. 458) Damit steht es im Widerspruch, wenn der BFH iudiziert, ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenkönne grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchseines FG gestützt werden, es sei denn die Ablehnung sei greifbargesetzwidrig und willkürlich gewesen. 459) Folglich sind die nachfolgend beschriebenenMaßstäbe aus der Rechtsprechung von BFH und BVerfG nur Begründungshilfen fürein Ablehnungsgesuch gegen den entsprechenden Richter am FG, sie sollen jedochnicht als Begründungshinweise für eine Beschwerde zum BFH oder einer Verfassungsbeschwerdeverstanden werden.Wird ein Befangenheitsantrag abgewiesen und auch der Klage nicht stattgegeben,dann kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Fehlerhaftigkeit <strong>des</strong> die Befangenheitablehnenden Beschlusses im Rahmen der §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 Abs. 3Satz 2 FGO vorgetragen werden. 460) Hinzu kommen muß aber die Begründung, warumdas klageabweisende Urteil <strong>des</strong> FG auf diesem Verfahrensfehler beruht. 461) Insoweitist darzulegen, dass und warum nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil <strong>des</strong>FG auf diesem Verfahrensfehler beruht. 462)311aa)BFHBeabsichtigt man, einen Befangenheitsantrag zu stellen, so ist dies nur zulässig, solange man sich nicht zur Sache eingelassen hat und Anträge gestellt hat. 463) Ein "Einlassen"in eine Verhandlung bedeutet je<strong>des</strong> prozessuale und der Erledigung einesStreitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung <strong>des</strong> Richters, ohne nach Stellung<strong>des</strong> Befangenheitsantrages und <strong>des</strong>sen Zurückweisung den Befangenheitsantrag aufrechterhalten zu haben und dies zu Protokoll gegeben zu haben. 464) Hierzu gehörtauch das Einreichen eines Schriftsatzes. 465) Ein Grund, der geeignet ist, Misstrauengegen die Unparteilichkeit <strong>des</strong> Richters zu rechtfertigen, ist gegeben, wenn ein Beteiligtervon seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objekti-458)459)460)461)462)463)464)465)Vollkommer NJW 2001, 1827 u.H.a. BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061, Seite 11 f.BFH 25.07.2005 – VII B 02/05, BFH/NV 2005, 2035; BFH 28.07.2005 – II B 81/04, BFH/NV2005, 2221; BFH 19.05.2006 – II B 78/05, BFH/NV 2006, 1620; BFH 19.05.2006 – II B 79/05,BGH/NV 2006, 1622; BFH 19.05.2006 – II B 88/05, BFH/NV 2006, 1625; BFH 16.01.2006 -VIII B 35/04, BFH/NV 2006, 957 958; BFH 14.12.2011 – VIII B 26/10, BFH/NV 2012, 591;BFH 25.05.2012 – VIII B 155/11, BFH/NV 2012, 1610BFH 19.08.2002 – VIII B 112/02, BFH/NV 2003, 65Vollkommer NJW 2001, 1827, 1830Vollkommer NJW 2001, 1827, 1830BFH 11.05.2000 - I B 60/99, n.V.BFH 24.04.2002 – I B 134/01, BFH/NV 2002, 1310BFH 29.03.2000 - I B 90/99, BFH/NV 2000, 1221


- 95 - 95312313314ven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommenentscheiden. 466)Gemäß § 44 Abs.2 ZPO sind die das Mißtrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigendenUmstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen.Geschieht das nicht, ist der Antrag unzulässig. 467) Ein Befangenheitsantrag gegenden gesamten Spruchkörper <strong>des</strong> FG ist dann zulässig, wenn dies im Hinblick aufkonkrete Anhaltspunkte in einer Entscheidung dieses Richterkollegiums erfolgt undaufgrund <strong>des</strong> Beratungsgeheimnisses sich nicht ausmachen läßt, wem im Richterkollegiumdiese konkreten Anhaltspunkte zugeordnet werden können. 468)Unrichtige Rechtsansichten und Verfahrensverstösse sind kein Grund für die Besorgnisder Befangenheit, wenn nicht zugleich Anhaltspunkte für unsachliche Erwägungen– gegenüber Beteiligten <strong>des</strong> Rechtsstreites - oder Willkür vorliegen. 469)Eine Befangenheit i.S.d. § 51 Abs. 2 FGO ist nur dann gegeben, wenn ein Richter indem konkreten Vorgang, der Gegenstand <strong>des</strong> Steuerprozesses ist, zuvor als Mitglied<strong>des</strong> Finanzamtes tätig war, nicht aber dass er unabhängig davon Mitglied <strong>des</strong> beklagtenFinanzamtes war oder zwar in einer Verwaltungsangelegenheit <strong>des</strong> Klägers, eineandere Steuerart betreffend, tätig war. 470) In letzterem Fall gilt es nunmehr zusätzlich§ 51 Abs. 3 FGO zu prüfen. 471)315bb)BVerfGIn der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG mußte für das vor ihm weiterverfolgte Befangenheitsbegehrenmehr vorgetragen werden, als vorgenannte einfachrechtliche Gründe.Anders als in der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR, wonach gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRKein Anspruch auf ein „unparteiisches Gericht“ besteht und die Befangenheit einesRichters gegen das Gebot <strong>des</strong> fairen Verfahrens verstößt, 472) stellte sich in der Recht-466)467)468)469)470)471)472)BFH 15. 05. 1997- XI B 125/96, BFH/NV 1997, 791; BFH 12.04.2000 - II B 167/99, n.V.BFH 20.01.1999 - XI E 4/98, BFH/NV 1999, 952BFH 03.08.1999 - III B 30/99, BFH/NV 2000, 202; BFH 29.11.1999 - XI B 41/99, BFH/NV2000, 593BFH 14.01.2000 - V B 67/99, BFH/NV 2000, 956; BFH 14.06.2000 - IV B 26/99, n.V.; BFH20.06.2003 – XI R 25/03, BFH/NV 2003, 1342; BFH 20.06.2003 – XI B 62/03, BFH/NV 2003,1433BFH 24.07.2000 - VIII B 44/00, n.V.Vollkommer NJW 2001, 1827EGMR 23.05.1991 - Nr. 6/1990/197/257, NJW 1992, 613, 614. Da Verstöße gegen den Grundsatzfairen Verfahrens von den Tatbestandsvoraussetzungen leichter nachzuweisen sind, als willkürlichesVerhalten (BVerfG 28. 09. 1999 - 2 BvR 1897/95, NJW 2000, 273, 274; BVerfG07.04.2000 - 1 BvR 2205/99, NJW 2000, 2494), bleibt der nationale Grundrechtsschutz hinterdem internationalen zurück. Bedenkt man, dass gemäß Art. 13 EMRK die Konventionsstaaten –wozu auch die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland gehört – die Pflicht haben, gegen Verletzungen derKonvention auf nationaler Ebene wirksamen Rechtsschutz zu gewähren und bedenkt man ferner,dass die EMRK integrierender Bestandteil der nationalen Rechtsordnung jeden Konventionsstaatesist, so dass die einzelnen grundrechtsbezogenen Artikel der EMRK unmittelbar anwendbarsind (EGMR .... EuGRZ 1975, 308) , dann ist der im Zusammenhang mit Befangenheit von Richterdurch das BVerfG gewährte nationale Grundrechtsschutz geringer ausgebildet, als der internationale.


- 96 - 96316317318319sprechung <strong>des</strong> BVerfG bezüglich der Befangenheit die Frage nach dem gesetzlichenRichter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Über die vorgenannten einfachrechtlichenGründe mußte zudem die <strong>des</strong> richterlich willkürlichen Verhaltens (Art. 3 Abs. 1 GG)hinzutreten, 473) was früher 474) jedoch nicht erstmals vor dem BVerfG geltend zu machenwar, sondern schon zuvor vor dem FG; denn zur Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtswegesgehörte, alles erforderliche unternommen zu haben, um eine Grundrechtsverletzung zuverhindern, wozu auch gehört, von einem Befangenheitsantrag Gebrauch zu machen.475)Während mithin die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR aufgrund Art 6 Abs. 1 EMRK alsMaßstab das unparteiische Verhalten von Richtern nimmt, stellt das BVerfG im Hinblickauf Art. 3 Abs. 1 GG auf das willkürliche Verhalten ab. Hält man es folglich fürerforderlich, gegen einen Richter <strong>des</strong> FG einen Befangenheitsantrag zu stellen undbeabsichtigt man, im Ablehnungsfall dies letztlich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrengemäß §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 FGO als Verfahrensfehlerzu rügen, dann sollte bereits beim Befangenheitsantrag gegen den Richter <strong>des</strong> FGzweierlei vorgetragen werden:- Zum einen Gründe gemäß §§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. 42 ZPO gemessen ander Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH,- zum anderen zusätzlich Gründe , aus denen ersichtlich ist, warum das beanstandeteVerhalten <strong>des</strong> Richters richterliche Willkür im Sinne der Rechtsprechung <strong>des</strong>BVerfG 476) darstellt, damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und <strong>des</strong>halb nach derRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG der für befangen zu erklärende Richter nicht gesetzlicherRichter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sein kann.- Aber da es auch den Subsidiaritätsgrundsatz <strong>des</strong> § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zubedenken gilt, kann grundsätzlich nicht im unmittelbaren Anschluss an ein erfolglosesBefangenheitsverfahren gegen einen Richter <strong>des</strong> FG dagegen Verfassungsbeschwerdeerhoben werden, vilemehr muß das zuvor Ausgeführte zunächst zumGegenstand <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahren gemacht werden.477)473)474)475)476)477)BVerfG 28. 09. 1999 - 2 BvR 1897/95, NJW 2000, 273, 274: „Gegen den Gleichheitssatz wirdallerdings nicht schon dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazueingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendungoder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher derSchluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungenberuht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen und setzt schuldhaftes Handeln <strong>des</strong> Richtersnicht voraus.“ So auch BVerfG 07.04.2000 - 1 BvR 2205/99, NJW 2000, 2494Zur neuen Rechtslage s.o. Rdn. 199 ff.BVerfG 16.02.1990 - 1 BvR 103/89, HFR 1990, 579BVerfG 28.09.1999 - 2 BvR 1897/95, NJW 2000, 273, 274; BVerfG 07.04.2000 - 1 BvR2205/99, NJW 2000, 2494BVerfG 18.12.2007 – 1 BvR 1273/07, BVerfGK 13, 72, 75


- 97 - 97320321322323324h) Vorlageantrag zum EuGHaa)AllgemeinesStellt sich in einem finanzgerichtlichen Verfahren eine gemeinschaftsrechtliche Frage,so ist für die Frage der materiellrechtlichen Entscheidungserheblichkeit derselbenzunächst die Rechtslage nach nationalem Recht einschließlich Verfassungsrecht darzustellen.478) Nur dann, wenn nicht bereits das nationale Recht das Klagebegehrenrechtfertigt, kann sich die Frage der Entscheidungserheblichkeit einer gemeinschaftsrechtlichenFrage stellen, wobei dann zudem zu thematisieren ist, ob das FG von Amtswegen besagte entscheidungserhebliche Rechtsfrage entscheiden muß oder sich allenfallsdie Vorlagefrage stellt (Art. 267 Abs. 2 AEUV).Vereinfacht bedeutet dies:- Ist eine materiellrechtliche Rechtsfrage für den Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreites entscheidungserheblich,die einen Bezug zum EU-Gemeinschaftsrecht hat ?- Falls ja: Dann muß das nationale Gericht (Instanzgericht und BFH) von Amtswegen diese materiellrechtliche Rechtsfrage prüfen.- Wenn es dabei zum Ergebnis kommt, daß das EU-Gemeinschaftsrecht incl. derRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH dem nationalen Gericht eine Beantwortung dieser materiellrechtlichenRechtsfrage selbst ermöglicht, dann muß es das nationale Rechti.S.d. EU- gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (z.B. durch richtlinienkonformeAuslegung <strong>des</strong> nationalen Rechts oder aufgrund Anwendungsvorrangs <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts) zur Grundlage seiner eigenen Entscheidung machen. 479)Der EuGH ist nicht befugt, die Bedeutung einer nationalen Bestimmung und dieArt und Weise ihrer Anwendung zu beurteilen. 480)- Kommt das nationale Gericht aufgrund seiner Prüfungspflicht von Amts wegenzum Ergebnis, daß das EU-Gemeinschaftsrecht incl. der Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH dem nationalen Gericht eine Beantwortung dieser materiellrechtlichenRechtsfrage nicht ermöglicht, weil eine Regelung in einer EU-Richtlinie der Inhaltsbestimmungbedarf, die sich aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung dazunicht ergibt, dann darf es diese Inhaltsbestimmung nicht selbst vornehmen, sondernmuß dem EuGH vorlegen (sog. Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267AEUV), um den EuGH als gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) dieseInhaltsbestimmung vornehmen zu lassen. 481) Die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidungwie auch die Erheblichkeit der dem EuGH vorzulegenden Fragenstehen mithin in der Verantwortung <strong>des</strong> mit dem Rechtsstreit befassten nationalenGerichts. Der EuGH ist dann grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. 482)478)479)480)481)482)Anschaulich BFH 18.09.2003 – X R 02/00, DStRE 2004, 33, worin der BFH die Erhebung derdeutschen Gewerbesteuer als verfassungs- und EU-rechtlich unbedenklich bezeichnete.BFH 17.07.2008 – X R 62/04, BStBl. II 2008, 976, 977 f.EuGH 10.01.2006 – Rs. C-222/04 (Cassa di Risparmio di Frenze), Slg. 2006, I- 289 Rdn. 63EuGH 10.01.2006 – Rs. C-222/04 (Cassa di Risparmio di Frenze), Slg. 2006, I- 289 Rdn. 63;EuGH 11.10.2007 – Rs. C-443/06 (Hollmann), Slg. 2007, I-8491 Rdn. 18; Callies NJW 2013,1905 f.EuGH 11.10.2007 – Rs. C-443/06 (Hollmann), Slg. 2007, I-8491 Rdn. 19


- 98 - 98325326327328Dabei kann der EuGH die ihm vorgelegte Frage so umformulieren, daß er einesachdienliche Anwort gegeben kann. 483) An <strong>des</strong>sen Vorgaben ist dann nicht nurdas vorlegende Gericht sondern es sind alle nationalen Gerichte in vergleichbarenFällen gebunden.- Wurde im finanzgegrichtlichen Verfahren ein EU-gemeinschaftsrechtlicher Bezughergestellt, den das FG anders bzw. als nicht entscheidungserheblich beurteilt,so ist es nicht alleine <strong>des</strong>halb verpflichtet, die Revision wegen grundsätzlicherBedeutung zuzulassen, weil im finanzgerichtlichen Verfahren EU- gemeinschaftsrechtlicheFragen vorgetragen worden waren. 484) Allerdings ist dem BFHnicht zu folgen, daß alleine für den BFH als letztinstanzliches Gericht eine Vorlagenpflichtbestehen könne, 485) weil dabei verkannt wird, daß ungeachtet <strong>des</strong> Art.267 Abs. 2 AEUV aus verfassungsrechtlichen Gründen <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz2 GG eine Vorlagepflicht für das FG bestehen kann.Für diesen Fall ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach Maßgabe dergesetzlichen Zulassungsgründe erneut die Entscheidungserheblichkeit der EU-Gemeinschaftsrechtlichen Frage zu thematisieren und die Vorlagenotwendigkeitzu begründen, um dann, wenn gleichwohl auch dies nicht berücksichtigt wird,sich die Option der Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 101Abs. 1 Satz 2 GG offen zu halten.Zum Europarecht gehört nicht nur das EU-Gemeinschaftsrecht, sondern auch die EuropäischeMenschenrechtskonvention (EMRK), auf die an anderer Stelle eingegangenwird. 486) Das Gemeinschaftsrecht schafft kein eigenständiges Prozessrecht, es kannaber bei der Durchführung eines Finanzgerichtsprozesses sehr wohl Bedeutung haben,wenn etwa eine gemeinschaftsrechtliche Frage in einem Finanzgerichtsprozess,Nichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahren oder einem gerichtlichen Aussetzungsverfahren(§ 69 FGO) entscheidungserhebliche Bedeutung hat. 487)329bb)Gemeinschaftsrechtliche BegründungWenn gemeinschaftsrechtliche Begründungen nicht schon im Einspruchsverfahrenvorgebracht wurden, weil bereits das Finanzamt solche hätte berücksichtigen müssen,488) dann sollte sie aber möglichst früh und umfassend in das finanzgerichtlicheVerfahren eingebracht werden und die Entscheidungserheblichkeit aufgezeigt werden.489) Ferner sollte in diesem Zusammenhang verdeutlicht werden, ob bei der entscheidungserheblichengemeinschaftsrechtlichenThematik es sich um eine solche han-483)484)485)486)487)488)489)EuGH 11.10.2007 – Rs. C-443/06 (Hollmann), Slg. 2007, I-8491 Rdn. 21BFH 27.03.2007 – VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335, 1336BFH 27.03.2007 – VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335, 1336Redeker AnwBl 2004, 71 zu vergleichbaren Besonderheiten im Verwaltungsprozess.Zur deutschen Unternehmensbesteuerung und europäischen Grundfreiheiten siehe CordewenerDStR 2004, 6; ferner <strong>Wagner</strong> GmbHR 2003, 684<strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 168Cordewener DStR 2004, 6, 11


- 99 - 99330delt, die das FG von Amts wegen berücksichtigen muß, ohne dass sich die Vorlagefragezum EuGH stellt oder ob und warum eine Vorlage zum EuGH geboten ist, dieim Hinblick auf Art. 267 Abs. 2 AEUV das FG vornehmen könnte aber nicht müßte,es sei denn, dies wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG) geboten. 490)Nicht jede im Schriftsatz vorzunehmende Erörterung europarechtlicher Fragen mußeinen Vorlageantrag zum EuGH zum Ziel haben. Nach ständiger Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH ist es zunächst einmal Sache <strong>des</strong> FG, die Erheblichkeit europarechtlicher Fragenselbst zu beantworten und ggf. aufgrund richtlinienkonformer Auslegung selbst zuentscheiden. 491) Auch kann es darum gehen, das FG zu veranlassen, vorhandenes europäischesRecht oder bereits bekannte Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH anzuwenden. 492)Denn Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bezüglich der sich aus einer Richtlinie ergebendenVerpflichtungen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Artzu treffen, dass alle Träger öffentlicher Gewalt – wozu auch Finanzämter und Gerichtegehören -, die Ziele der Richtlinie verwirklichen. 493) Dabei müssen solche Träger öffentlicherGewalt sich soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinieausrichten, damit der Zweck der Richtlinie erreicht werden kann. 494) Insoweit handeltes sich um eine fortwährende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. 495) Dazugehört auch, seitens <strong>des</strong> Mitgliedstaates mit seinen Institutionen (darunter auch Gerichtenund Verwaltung) das gesamte nationale Recht an Hand <strong>des</strong> Wortlautes undZwecks der Richtlinie richtlinienkonform so auszulegen, daß das in der Richtlinievorgegebene Ergebnis erreicht werden kann. 496) Und diese Pflicht zur richtlinienkonformenAuslegung betrifft das gesamte Recht, einerlei, ob es vor oder nach Inkrafttretender Richtlinie erlassen wurde. 497) Auf diese Weise – so der EuGH – werde es nationalenGerichten ermöglicht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die volle Wirksamkeit<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. 498) Und weil dem so ist, kann sich der Klägerin seinem finanzgerichtlichen Verfahren darauf berufen, dass das FG bzw. derBFH das nationale Recht im Wege richtlinienkonformer Auslegung möglichst nachzuvor genannten Maßstäben auslegt, 499) was noch nichts mit einer europarechtlichenBegründung zwecks einer Vorlage zum EuGH zu tun hat. Denn die Rechtsprechungmuß die Umsetzung einer Richtlinie und deren vollständige Anwendung gewährlei-490)491)492)493)494)495)496)497)498)499)<strong>Wagner</strong> ZSteu, 2004, 168EuGH 19.09.2000 – C-454/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 33, 35EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/96, HFR 1999, 419EuGH 26.09.1996 – Rs. C-168/95, Slg. I-4705 Rdn. 41; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilagezu BFH/NV 10/2002, 144, 146; Roth EWS 2005, 385EuGH 13.11.1990 – Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135 Rdn. 8; EuGH 16.12.1993 – Rs. C-334/92,Slg. 1993, I-6911 Rdn. 20; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144,146EuGH 18.12.1997 – Rs. C-129/96 (Inter-Enviroment-Wallonie), Slg. 1997, I-7411 Rdn. 40; RothEWS 2005, 385EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 108EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 108EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 109EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 146


- 100 - 100331sten. 500) Dies insbesondere dann, wenn den die Richtlinie entweder nicht oder nur unzureichendoder nur in einer Weise umgesetzt wurde, dass als Folge davon die mit derRichtlinie verfolgten Ziele nicht ausreichend erreicht wurden. 501) Und in diesem Zusammenhangkann auch vor dem FG gerügt werden, dass das Finanzamt das nationaleRecht in einer Weise angewandt hat, dass der Pflicht <strong>des</strong> Finanzamtes zur Durchsetzungder Ziele der Richtlinie nicht entsprochen wurde. 502)Aber die Frage der Anwendung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts kann sich nicht nur in denvorgenannten Fällen der Pflicht zu <strong>des</strong>sen Anwendung stellen. So kann eine Anwendungvon Gemeinschaftsrecht im Rahmen richtlinienkonformer Auslegung oder imHinblick auf ein Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH sich auch dann stellen,wenn es (nur) um die Berechtigung der Anwendung von Gemeinschaftsrecht geht.Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn eine Richtlinie schon in Kraft getreten war,der Mitgliedstaat aber (zulässigerweise) sie aufgrund einer Umsetzungsfrist noch nichtin nationales Recht umgesetzt hatte. Für den Zeitraum bis zum Ablaufen der Umsetzungsfristist z.B. ein Finanzamt oder Finanzgericht durchaus berechtigt, gleichwohlschon die Richtlinie zu berücksichtigen und im Hinblick darauf bezüglich <strong>des</strong> nationalenRechts eine richtlinienkonforme Auslegung vorzunehmen oder seitens <strong>des</strong> FGein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten. 503)332(1.) Anwendungsbereich <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts(1.1) PrimärrechtZum primären Gemeinschaftsrecht gehören die Gründungsverträge 504) - sogenannte„Verfassung“ der Gemeinschaftsrechtsordnung 505) -, die Protokolle zu den Verträgenals deren Bestandteile, die (ungeschriebenen) Allgemeinen Rechtsgrundsätze <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts,die Regelung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendungvon zur Gemeinschaftsrechtsordnung gehörenden Bestimmungen eines internationalenÜbereinkommens, das die Gemeinschaft geschlossen hat (sog. gemischteÜbereinkunft). 506) Die alleinige Auslegungskompetenz der Verträge steht – je nachZuständigkeit – alleine dem EuGH bzw. dem EuG zu (Art. 344 AEUV). Die dadurchverfaßte Rechtsordnung der Gemeinschaft hat Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaatenund entfaltet gegenüber Mitgliedstaaten und bezüglich der die Staatsangehörigenvon Mitgliedstaaten betreffenden Bestimmungen unmittelbare Wirkung, 507) ohne500)501)502)503)504)505)506)507)EuGH 09.09.1999 – Rs. C-217/97, Slg. 1999, I-5087 Rdn. 31; EuGH 16.11.2000 – Rs. C-214/98,Slg. 2000, I-9601 Rdn. 49; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144,146EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 146EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 146EuGH 07.01.2003 – Rs. C-306/99, DStRE 2003, 69 Rdn. 78, 88 ff., 94Zuletzt Vertrag über die Europäische Union i.d.F. <strong>des</strong> Vertrages von Nizza vom 26.02.2001EuGH 14.12.1991 – Gutachten 01/91, Slg. 1991, I-6079 Rdn. 21EuGH 30.05.2006 – Rs. C-459/=3 (Kommission/Irland), EuZW 2006, 464 Rdn. 82 f.EuGH 14.12.1991 – Gutachten 01/91, Slg. 1991, I-6079 Rdn. 21


- 101 - 101333dass es eines Umsetzungsaktes bedarf, was von den innerstaatlichen Organen der Mitgliedstaaten(Behörden, Gerichte) zwingend zu beachten ist. 508)Der EuGH hat unter Rückgriff auf gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaatenund der Gewährleistung der EMRK allgemeine Rechtsgrundsätze bezüglichgemeinschaftlicher Grundrechtsstandards entwickelt. 509) Das BVerfG 510) attestiertdiesem gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz ein Maß, das„nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweisen dem Grundrechtsstandard <strong>des</strong> Grundgesetzesim wesentlichen gleichzuachten ist,“so dass es eine Überprüfung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts am Maßstab <strong>des</strong> GG so langenicht vornimmt, solange dieser gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsstandard anhalte.511)334335336(1.2) SekundärrechtHierzu zählen Verordnungen, 512) Richtlinien und Entscheidungen.Verordnungen haben unmittelbare und verbindliche Geltungswirkung in allen Mitgliedstaaten(Art. 288 Abs. 1, 2 AEUV). Besteht zwischen den Erwägungsgründeneiner Verordnung und den einzelnen Verordnungsvorschriften eine Diskrepanz, sokann lt. BFH 513) Vorordnungsvorschriften nicht gegen deren Wortlaut ausgelegt werden.Richtlinien dagegen richten sich an die Mitgliedstaaten und sind für diese bezüglich<strong>des</strong> mit einer Richtlinie verfolgten Ziels verbindlich (1. Stufe), wobei die Wahl vonForm und Mittel der Richtlinie dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen bleibt (2. Stufe- Art. 288 Abs. 3 AEUV). Die Umsetzung einer Richtlinie muß dem Gebot effektiver514) Umsetzung entsprechen. Folglich muß der Mitgliedstaat eine Richtlinie so umsetzen,dass er„tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weisegewährleistet, dass – soweit die Richtlinie Ansprüche <strong>des</strong> Einzelnen begründen soll – die Begünstigtenin der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfallsvor den nationalen Gerichten geltend zu machen.“ 515)508)509)510)511)512)513)514)515)Herdegen, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rdn. 167Nachweise bei Herdegen, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rdn. 170 f.BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 378BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 387Grundverordnungen <strong>des</strong> Rates und Durchführungsverordnungen der KommissonBFH 23.06.2009 – VII R 11/07, BFH/NV 2009, 1851, 1852Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1, 10 m.w.N.EuGH 11.08.1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/Bun<strong>des</strong>republik Deutschland), Slg. 1995, I-2303Rdn. 18; so auch EuGH 20.10.2005 – Rs. C-06/04 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg.2005, I-9017 Rdn. 21 m.w.N.


- 102 - 102337338339340Ein Mitgliedstaat hat folglich als Adressat der Richtlinie die Verpflichtung, in seinernationalen Rechtsordnung alle Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeitder Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu erreichen. 516) Mithin muß der Mitgliedstaatdie Transformation einer Richtlinie in nationales Recht so vornehmen, daß tatsächlichdie vollständige Anwendung der Richtlinie gewährleistet ist, so daß sich daraus dieRechtslage für die Adressaten hinreichend klar erkennbar ergibt, um im Hinblick daraufsolche Rechte vor Gericht geltend machen zu können. 517) Zu allgemein gehalteneRechts- bzw. Verwaltungsvorschriften <strong>des</strong> nationalen Rechts bergen mithin das Risiko,daß eine vollständige Anwendung der Richtlinie nicht gewährleistet ist und folglichkeine effektive Umsetzung der Richtlinie gegeben ist. 518) Das Vorhandensein nationalerVorschriften macht eine Transformation nur dann entbehrlich, wenn dieseVorschriften die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die Verwaltung garantieren.519) Es ist mithin den Mitgliedstaaten nicht gestattet, bei der Transformation innationales Recht hinter den Vorgaben der Richtlinie zurückzubleiben, es ist ihnen abersehr wohl gestattet, strengere nationale Bestimmungen als die per Richtlinie vorgegebenenfestzulegen. 520)Dies bedeutet mit oben Ausgeführtem, dass nach dieser 2. Stufe alsdann quasi in einer3. Stufe Gerichte und Behörden <strong>des</strong> jeweiligen Mitgliedstaates das in nationales Rechttransformierte Gemeinschaftsrecht anwenden müssen. Dabei muß das nationale Rechtrichtlinienkonform ausgelegt werden. 521)Während eine europäische Verordnung in jedem Mitgliedstaat unmittelbare Geltunghat (Art. 288 Abs. 2 AEUV), sind bei einer europäischen Richtlinie die Mitgliedstaatenverpflichtet, ihr innerstaatlich Geltung zu verschaffen, wobei es ihnen überlassenbleibt, in welcher Form und mit welchen Mitteln sie dies tun wollen (Art. 288 Abs. 3AEUV). Richtlinien können dabei unterschiedliche Ziele verfolgen:- Bestimmte Richtlinien erfordern es, dass gesetzgeberische Maßnahmen auf nationalerEbene getroffen werden und ihre Einhaltung einer gerichtlichen oder behördlichenÜberprüfung unterliegt. 522)516)517)518)519)520)521)522)EuGH 17.06.1999 – Rs. C-336/97 (Kommission/Italien), Slg. 1999, I-3771 Rdn. 19; EuGH18.03.2001 - Rs. C-97/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-2053 Rdn. 9; EuGH 07.05.2002– Rs. C-478/99 (Kommission/Schweden), Slg. 2002, I-4147 Rdn. 15; EuGH 24.06.2003 – Rs. C-72/02 (Kommission/Portugal), Slg. 2003, 6597 Rdn. 18EuGH 14.09.2004 – Rs. – C-168/03 (Kommission/Spaniern), Slg. 2004, I-8227 Rdn. 36 m.w.N.;EuGH 05.07.2007 – Rs. C-321/05 (Kofoed), Slg. 2007, I-5795 Rdn. 41EuGH 20.10.2005 – Rs. C-06/04 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 2005, I-9017 Rdn.27 f.EuGH 29.04.2004 – Rs. C-194/01 (Kommission/Österreich), Slg. 2004, I-4579 Rdn. 39; EuGH07.10.2004 – Rs. –C-103/02 (Kommission/Italien), Slg. 2004, I-9127 Rdn. 33; EuGH 20.10.2005– Rs. C-06/04 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 2005, I-9017 Rdn. 24EuGH 02.06.2005 – Rs. C-282/02 (Kommission/Irland), Slg. 2005, I-4653 Rdn. 10Ruffert in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl. 2002, EG Art.24 9 Rdn. 108 ff. m.w.N. zur Frage <strong>des</strong> Vorrangs der richtlinienkonformen Auslegung vor nationalenAuslegungsmethoden.EuGH 18.06.2002 – Rs. C-60/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2002, I-5679 Rdn. 26 m.w.N.


- 103 - 103341342343344345- Andere Richtlinien geben Mitgliedstaaten vor, erforderliche Maßnahmen zu treffen,um zu gewährleisten, „dass bestimmte allgemein ausgedrückte und nichtquantifizierbare Ziele erreicht werden, wobei sie den Mitgliedstaaten ein Ermessenbei der Frage belassen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind.“ 523)- Und wiederum andere Richtlinien verlangen von Mitgliedstaaten, nach einer bestimmtenFrist sehr genaue und konkrete Ziele erreicht zu haben. 524)Je nachdem, welche Ziele eine Richtlinie verfolgt, ist daran zu messen, ob ein Mitgliedstaatsich entsprechend den Vorgaben der Richtlinie verhalten hat oder nicht, alsoeine richtliniengemäße Umsetzung erfolgte oder nicht.Der verbindliche Charakter, den Richtlinien gemäß Art. 288 AEUV gegenüberMitgliedstaaten haben, hat nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH folgende Konsequenzen:Eine Richtlinie begründet keine Verpflichtungen <strong>des</strong> Einzelnen, so dass sie auch nichtgegenüber solchen Personen in Anspruch genommen werden kann. 525) Dies ist auchder Grund, warum eine Richtlinie keine horizontale Wirkung zwischen Einzelnenentfalten kann, so dass sich ein Einzelner gegenüber einem anderen nicht auf eineunmittelbare Wirkung der Richtlinie berufen kann, 526) weil dies gegenüber dem anderenbelastend wirkt. Aber auch eine Behörde kann sich gegenüber einem Einzelnennicht auf eine unmittelbare Anwendung Richtlinie berufen, deren Umsetzung nichterfolgt ist; 527) denn auch ein Mitgliedstaat, der entgegen seiner Verpflichtung zur effektivenUmsetzung nicht entsprochen hat, soll nicht Vorteile aus dieser Untätigkeit zuLasten <strong>des</strong> Einzelnen ziehen können. 528) Der EuGH begründet dies damit, dass derGrundsatz der Rechtssicherheit der Begründung von Verpflichtungen für den Einzelnendurch Richtlinien entgegenstehe. Denn Richtlinien würden gegenüber dem Einzelnennur Rechte begründen. 529)523)524)525)526)527)528)529)EuGH 18.06.2002 – Rs. C-60/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2002, I-5679 Rdn. 27 m.w.N.EuGH 18.06.2002 – Rs. C-60/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2002, I-5679 Rdn. 28 m.w.N.EuGH 14.07.1994 – Rs. C-91/92 (Facini Dori), Slg. 1994, I-3325 Rdn. 24; EuGH 07.03.1996 –Rs. C-192/94 (El Corte Ingles), 1996, I-1281 Rdn. 20; EuGH 14.09.2000 – Rs. C-343/98 (Colliniund Chiappero), Slg. 2000, I-6659 Rdn. 20; EuGH 05.07.2007 – Rs. C-321/05 (Kofoed), Slg.2007, I-5795 Rdn. 42; Generalanwalt Leger in EuGH 25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells),Nr. 66Generalanwalt Leger in EuGH 25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Nr. 66Generalanwalt Leger in EuGH 25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Nr. 66Generalanwalt Leger in EuGH 25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Nr. 69EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Rdn. 56 u.H.a. EuGH 26.02.1986 – 152/84(Marshall), Slg. 1986, 723 Rdn. 48


- 104 - 104346347348349Umgekehrt bedeutet dies aber sehr wohl, dass sich der Einzelne gegenüber dem Gerichtoder einer Behörde 530) auf eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie berufenkann, wenn diese nicht fristgemäß oder nicht effektiv umgesetzt wurde, und der Einzelnezu dem Personenkreis gehört, dem durch die Richtlinie Rechtspositionen eingeräumtwurden. 531) Man nennt dies die vertikale unmittelbare Wirkung einer Richtlinie.532)Dies könne der Einzelne selbst dann, wenn sich daraus negative Auswirkungen auf dieRechte <strong>Dr</strong>itter ergeben können. 533)Für die Maßstäbe und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung sind unterschiedlicheAuffassungen vorhanden:- Einerseits wird vertreten, bei dem einer Richtlinie entgegenstehenden nationalenRecht hätten die Institutionen <strong>des</strong> Mitgliedstaates (Behörden und Gerichte) sichüber dieses gegebenenfalls mittels Normensubstitution hinwegzusetzen.- Andererseits wird die Meinung vertreten, das nationale Gericht könne bei einerrichtlinienkonformen Auslegung wegen Art. 20 Abs. 3 GG sich über den Gesetzeswortlauteines nationalen Gesetzes nicht hinwegsetzen, so daß eine richtlinienkonformeAuslegung gegen den eindeutigen Wortlaut eines nationalen Gesetzesnicht möglich sei, 534) es sei denn, es sei ein Fall zulässiger richterlicherRechtsfortbildung gegeben. 535) Die richtlinienkonforme Auslegung sei nicht ausdruckeines Vorranges <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts, sondern nur ein Gebot, nationalesRecht gemeinschaftsfreundlich anzuwenden. 536)530)531)532)533)534)535)536)Nach EuGH 04.12.1997 – Rs. C-253/96 – C-258/96 (Kampelmann u.a.), Slg. 1997, I-6907 Rdn.46 besteht diese vertikale unmittelbare Wirkung einer Richtlinie gegenüber allen Einrichtungenund Organisationen, die dem Staat oder seiner Aufsicht unterstehen. Dazu gehören auch Einrichtungen,denen durch Hoheitsakte die Erbringung von dienstleistungen im öffentlichen Interesseunter Aufsicht <strong>des</strong> Staates übertragen worden sind; so auch Generalanwalt Leger in EuGH25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Nr. 68 i.V.m. FN. 50. Ferner EuGH 22.06.1989 – Rs.103/88 (Fratelli Constanzo), Slg. 1989, 1839 betreffend die Rechte eines Bieters in einem Ausschreibungsverfahren,sich auf eine Richtlinie berufen zu dürfen; ferner EuGH 12.11.1996 – Rs.C-201/94 (Smith & Nephew und Primecrown), Slg. 1996, I-5819 betreffend das Recht einesWirtschafstteilnehmers, sich auf eine Richtlinie berufen zu könne, der sich im Wege der Anfechtunggegen die einem Konkurrenten erteilte Genehmigung gewandt hatte.Generalanwalt Leger in EuGH 25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Nr. 72Generalanwalt Leger in EuGH 25.09.2003 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Nr. 68EuGH 22.06.1989 – Rs. 103/88 (Fratelli Constanzo), Slg. 1989, I-1839 Rdn. 28 – 33; EuGH30.04.1996 – Rs. C- 1994/94 (CIA Security International), Slg. 1996, I-2201 Rdn. 40 – 45; EuGH12.11.1996 – Rs. C-201/94 (Smith & Nephew und Primecrown), Slg. 1996, I-5819 Rdn. 33 – 29;EuGH 26.09.2000 – Rs. C-443/98 (Unilever), Slg. 2000, I-7535 Rdn. 45 – 52; EuGH 07.01.2004– Rs. C-201/02 (Delena Wells), Rdn. 57Herdegen WM 2006, 1921, 1928Herdegen WM 2006, 1921, 1925 f., 1928Herdegen WM 2006, 1921, 1928; s.o. Rdn. 277


- 105 - 105350351352(1.2.1) TransformationsmängelIst eine Richtlinie innerhalb der Umsetzungsfrist nicht so vollständig in nationalesRecht umgesetzt worden, wie es dem Gebot effektiver Umsetzung entsprochen hätte,so muß das nationale Gericht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung das nationaleRecht „soweit wie möglich“ in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrechtauslegen und gegebenenfalls der Richtlinie eine unmittelbare Wirkung im Mitgliedstaatzuordnen:„Die Auslegungsregel läßt sich jedoch nicht zu einer eigentlichen Umformulierung der nationalenRechtsvorschriften anwenden,“ 537)wenn dies unter Verstoß gegen Art. 288 AEUV zu einer unmittelbaren Wirkung solcherRichtlinienbestimmungen führen würde, die für Bürger Verpflichtungen schaffen.538) Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Richtlinienbestimmungen entwederdann unmittelbare Wirkung entfalten, wenn bei einer entgegen dem Gebot effektiverUmsetzung transformierten Richtlinie dem Bürger die Rechte verschafft werden sollen,die in der Richtlinie zu seinen Gunsten angesprochen sind oder das nationaleRecht entsprechend richtlinienkonform ausgelegt werden muß. Denn das Anliegen,Einzelnen per Richtlinie Rechtspositionen zu verleihen, könnte sonst beeinträchtigtbzw. vereitelt werden, wenn es Mitgliedstaaten möglich wäre, das Gebot effektiverUmsetzung zu ignorieren. 539)Generalanwalt Leger beschreibt zudem die Möglichkeit der Normensubstitution:„Es [das nationale Gericht] hat vielmehr sein innerstaatliches Recht kritisch zu würdigen, umsich vor <strong>des</strong>sen Anwendung zu vergewissern, dass es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbarist. Hält es eine mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbare Auslegung seines innerstaatlichenRechts nicht für möglich, so hat es <strong>des</strong>sen Anwendung auszuschließen und sogar an Stelleseines innerstaatlichen Rechts im Wege einer Normensubstitution die Bestimmung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsanzuwenden, es sei denn - wiederum -, daraus ergibt sich eine Verschlechterungder Rechtsstellung <strong>des</strong> Einzelnen.“ 540)Ist eine Richtlinie inhaltlich unbedingt, hinreichend genau, aber nicht fristgemäß odernur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt worden, kann sich dann der Einzelnevor einem nationalen Gericht dem Staat gegenüber darauf berufen. 541) Denn schließ-537)538)539)540)541)Generalanwalt Elmer in EuGH 26.09.1996 – Rs. C- 168/95 (Arcaro), Slg. 1996, I- 4705 Nr. 39EuGH 26.09.1996 – Rs. C- 168/95 (Arcaro), Slg. 1996, I- 4705 Rdn. 36Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Das Recht der europäischen Union, Bd. II (Stand: 08/2002), EGVArt. 249 Rdn. 157 und 159; Ruffert in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl. 2002, EG Art. 24 9 Rdn. 68 ff., 74Schlussanträge Generalanwalt Leger vom 08.04.2003 in EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich),Nr. 59; in diesem Sinne auch Schlussanträge Generalanwalt Geelhoed vom03.06.2003 in EuGH Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Nr. 66. Zur Bedeutung <strong>des</strong> Vorrangsund der Durchführung von EG-Recht für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung sieheferner Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1EuGH 19.01.1982 – Rs. 08/81 (Becker); Slg. 1982, 53 Rdn. 25; EuGH 22.06.1989 – Rs. 103/88(Fratelli Constanzo), Slg. 1989, 1839 (Rdn. 29; EuGH 01.06.1999 – Rs. C-319/97 (Kortas), Slg.1999, I-3143 Rdn. 21; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325Rdn. 25


- 106 - 106lich kommt es darauf an, dass in Umsetzung einer Richtlinie deren vollständige Anwendungtatsächlich gewährleistet ist. 542)353354355(1.2.2) AnwendungsdefiziteJeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegendas Gemeinschaftsrecht zu beheben. 543) Diese Pflicht trifft auch Behörden eines Mitgliedstaatesin ihrer jeweiligen Zuständigkeit. 544)Dazu gehört auch, entstandene Schäden zu ersetzen 545) wobei dies sich nach innerstaatlichemVerfahrensrecht richtet. Die Durchsetzung solcher Ansprüche nach innerstaatlichemRecht darf nicht ungünstiger sein als bei gleichgelagerten Fällen innerstaatlicherArt (Äquivalenzprinzip) und die Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich begründeterRechte darf nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwertwerden (Effektivitätsprinzip). 546) Folglich muß ein nationales Gericht sein nationalesVerfahrensrecht so anwenden, daß die volle wirksamkeit <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsgewährleistet ist.„Letzteres kann das Gericht dazu veranlassen, falls erforderlich, eine Vorschrift, die dem entgegensteht,außer Acht zu lassen oder eine nationale Vorschrift, die nur im Hinblick auf eineninnerstaatlichen Sachverhalt ausgearbeitet worden ist, auszulegen, um sie auf den betreffendengrenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden.“ 547)Umgekehrt verstößt es gegen den Effektivitätsgrundsatz, wenn eine nationale Verfahrensvorschriftdie Anwendung <strong>des</strong> Gmeinschaftsrechts unmöglich macht oderübermäßig erschwert. 548)542)543)544)545)546)547)548)EuGH 09.09.1999 – Rs. C-217/97 (Kommission/Deutschland), Slg. 1999, I-5087 Rdn. 31; EuGH16.11.2000 – Rs. C-214/98 (Kommission/Griechenland), Slg. 2000, I-9601 Rdn. 49; EuGH11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 26EuGH 16.12.1960 – Rs. 06/60 (Humblet), Slg. 1960, 1163, 1185; EuGH 19.11.1991 – Rs. C-06/90 und C-09/90 (Francovich u.a.), Slg. 1991, I-5357 Rdn. 36; EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Rdn. 64EuGH 12.06.1990 – Rs. C-08/88 (Deutschland/Kommission), Slg. 1990, I-2321 Rdn. 31; EuGH07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Rdn. 64EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Rdn. 66EuGH 14.12.1995 – Rs. C-312/93 (Peterbroek), Slg. 1995, I-4599 Rdn. 12; EuGH 16.05.2000 –Rs. C-78/98 (Preston u.a.) Slg. 2000, I-3201 Rdn. 31; EuGH 02.10.2003 – Rs. C-147/01 (WebersWine World Handels-GmbH u.a./Beta-Leasing GmbH), HFR 2004, 65 Rdn. 102 f.; EuGH07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Slg. 2004, I-723 Rdn. 67; EuGH 08.11.2005 – Rs. C-443/03 (Leffler), Slg. 2005, 9611 Rdn. 50; EuGH 06.10.2009 – Rs. C-40/08 (Asturcom), EWS20009, 476 Rdn. 39, 50EuGH 08.11.2005 – Rs. C-443/03 (Leffler), Slg. 2005, 9611 Rdn. 51 m.w.N. (ständige Rechtsprechung)EuGH 07.06.2007 – Rs. C-225/05 (van der Weerd u.a.), Slg. 2007, 4233-I Rdn. 33


- 107 - 107356357358(1.2.3) Wirkungen einer RichtlinieRichtlinien sind grundsätzlich europäisch-autonom auszulegen. 549) Die Erwägungsgründegeben dabei Aufschluss über die Vorstellungen <strong>des</strong> Richtliniengebers als sog.Interpretationsdirektiven 550) sowie die Ziele einer Richtlinie. 551)Ist eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht effektiv umgesetzt worden bzw. legendie Richtlinienbestimmungen Rechte <strong>des</strong> Einzelnen gegenüber dem Staat fest, so kannsich der Einzelne unmittelbar auf die Regelungen der Richtlinie gegenüber dem Finanzamtberufen, wenn die Regelungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichendgenau sind. 552) Die Regelungen der Richtlinie haben dann gegenüber allen nichtrichtlinienkonformen Bestimmungen <strong>des</strong> nationalen Rechts Vorrang. 553) Also bedarfes bei einer nicht fristgerechten oder ineffektiven Umsetzung einer Richtlinie zunächsteiner Klärung, ob man mittels einer richtlinienkonformen Auslegung nationaler Vorschriftender Richtlinie zum Erfolg verhelfen kann.Die Gesetzesbindung <strong>des</strong> Art. 20 Abs. 3 GG erfaßt EU-Richtlinien als Auslegungsmaßstab,wie die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung per Gesetzesauslegungoder Rechtsfortbildung besteht. 554) Dieses basiert auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG bzw.auf der deutschen Zustimmung zum EG-Vertrag (Art. 288 Abs. 3 AEUV). 555)359(2) Zum Vorrang <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts vor nationalem RechtDer Vorrang <strong>des</strong> europäischen Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht – nicht dieNichtigkeit nationalen Rechts 556) - verpflichtet die Mitgliedstaaten 557) und ihre Organezu zweierlei: Einerseits das mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbare nationaleRecht nicht anzuwenden 558) und andererseits dem Gemeinschaftsrecht im nationalenRecht zum Durchbruch zu verhelfen. 559) Der Vorrang kann sich wie folgt stellen: Ei-549)550)551)552)553)554)555)556)557)558)559)Zur Auslegung von EU-Recht Schroeder JuS 2004, 180<strong>Dr</strong>ygala ZIP 1997, 968, 970; Pfeiffer in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. III(Stand: 05/1999), RL 93/13/EWG A 5 Vorbem. Rdn. 20, 22EuGH 23.03.2000 – Rs. C-208/98 (Berliner Kindl Brauerei/Siepert), ZIP 2000, 574 Rdn. 20;<strong>Dr</strong>ygala ZIP 1997, 968, 970; <strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 168EuGH 06.11.2003 – Rs. C-45/01 (Christoph-Dornier-Stiftung), HFR 2004, 70 Rdn.78; EuGH17.02.2005 – Rs. C-462/02 (Linneweber und Arkritidis), slg 2005, I-1131 Rdn. 33 m.w.N.EuGH 06.11.2003 – Rs. C-45/01 (Christoph-Dornier-Stiftung), HFR 2004, 70 Rdn.81Herdegen WM 2006, 1921, 1925 f.Herdegen WM 2006, 1921, 1926Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1, 4: Durch den Anwendungsvorrang bleibt das nationale Recht wirksamund gilt für die Fälle weiter, die nicht im Konflikt mit dem Gemeinschaftsrecht stehen. FernerCordewener DStR 2004, 6, 9Herdegen WM 2006, 1921, 1926Cordewener DStR 2004, 6, 10; Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1, 4 f.; a.A. Herdegen WM 2006,1921, 1926, wonach damit die Gesetzesbindung <strong>des</strong> Art. 20 Abs. 3 GG verlassen wird und diesich aus Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG ergebende Verteilung der Rechtssetzungshoheit im VerhältnisEU und Bun<strong>des</strong>republik Deutschland verlassen wird.Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1


- 108 - 108360361nerseits im Falle der unmittelbaren Anwendung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts im nationalenRechtskreis (Anwendungsvorrang i.e.S.) 560) und andererseits im Falle der richtlinienkonformenAuslegung <strong>des</strong> nationalen Rechts (Anwendungsvorrang i.w.S.). 561) Demnationalen Gericht ist es verwehrt, die Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorganein Zweifel zu stellen, da für deren Rechtmäßigkeit eine Vermutungspricht, so lange solche Rechtsakte nicht zurückgenommen wurden, im Rahmen einerNichtigkeitsklage für nichtig erklärt worden sind oder aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchensoder einer Rechtswidrigkeitseinrede für ungültig erklärt wordensind. 562) Ausnahmsweise gilt nur dann etwas anderes, wenn Fehler von Rechtsaktender Gmeinschaftsorgane so offensichtlich sind, daß sie von der Gemeinschaftsordnungnicht geduldet werden können, was aber auf außergewöhnliche Fälle beschränktbleibt. 563)Bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht muß man unterscheiden zwischen derAmtspflicht nationaler Gerichte, Gemeinschaftsrecht anzuwenden und der getrenntdavon zu sehenden Frage, ob bzw. wann dem EuGH vorzulegen ist. 564) NationaleGerichte – auch Instanzgerichte 565) – sind von Amts wegen verpflichtet, europäischemRecht zur Geltung zu verhelfen. 566)Ist eine Richtlinie vom Mitgliedstaat ordnungsgemäß umgesetzt worden, dann ist gesetzlicheErmächtigungsgrundlage z.B. für einen Verwaltungsakt die deutsche Transformationsnorm.Der Einzelne kann sich dann zwar nicht direkt auf die Richtlinieberufen. 567) Aber der Mitgliedstaat ist verpflichtet, mit allen Trägern öffentlicher Gewalt,wozu neben Behörden auch die nationalen Gerichte gehören, dafür zu sorgen,dass die mit einer Richtlinie verfolgten Ziele in den Mitgliedstaaten zu erreichen. 568)Folglich muß sich ein nationales Gericht bei der Auslegung und Anwendung nationa-560)561)562)563)564)565)566)567)568)BVerfG 08.04.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; BFH 11.06.1997 – XI R 65/95, BStBl. II1999, 420; BFH 23.11.2000 – V R 49/00, BStBl. II 2001, 266; BFH 01.07.2004 – V R 64/02,BFH/NV 2005, 252; BFH 17.07.2008 – X R 62/04, BStBl. II 2008, 976, 977 f.; FG Hamburg04.04.2006 – III 105/05, DStR 2006, 1367, 1370; Cordewener DStR 2004, 6, 9; Nach Jarass/BeljinNVwZ 2004, 1, 3 f. ist dafür Voraussetzung: Die Rechtswirksamkeit von Gemeinschaftsrechtund nationalem Recht, zugleich aber ein Widerspruch zwischen beidem oder eineAnwendungskollision.Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1, 2 f.EuGH 05.10.2004 – Rs. C-475/01 (Kommission/Griechenland), HFR 2005, 70 Rdn. 18EuGH 05.10.2004 – Rs. C-475/01 (Kommission/Griechenland), HFR 2005, 70 Rdn. 19 f.Zur Vorlagebefugnis unterinstanzlicher Gerichte Pache/Knauff NVwZ 2004, 16 m.w.N..Nach Tramon/Tüllmann NVwZ 2004, 43, 45 wurden z.B. in 1998 3/4 aller Vorlagefragen an denEuGH von unterinstanzlichen Gerichten gestellt.Jarass/Beljin NVwZ 2004, 1, 9; <strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 168EuGH 19.01.1982 – Rs. 08/81, Slg. 1982, 53 ff. Rdn. 17 ff:.; BVerfG 08.04.1987 – 2 BvR 687/85,BVerfGE 75, 223, 238 f.EuGH 06.07.1995 – Rs. C-62/93 (BP Soupergaz), Slg. 1995, I-1883 Rdn. 35; EuGH 26.09.1996 –Rs. C-168/95 (Arcaro), Slg. 1996, I-4705 Rdn. 41); EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks &Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24, 27


- 109 - 109len Rechts daran ausrichten, entsprechend dem Wortlaut und dem Zweck der Richtlinieden mit der Richtlinie verfolgten Zweck umzusetzen. 569)362363364365366(2.1) Zur Amtspflicht von Behörden und Gerichten zur Nichtanwendung <strong>des</strong>EU-Gemeinschaftsrechts entgegenstehendem nationalen RechtVerstößt eine nationale Vorschrift offensichtlich gegen EU-Gemeinschaftsrecht, sodürfen weder das Finanzamt noch das FG bzw. der BFH die nationale Vorschrift anwenden.Vielmehr kann sich in solchen Fällen der betroffene Steuerpflichtige gegenüberdem Finanzamt bzw. dem FG/BFH aufgrund <strong>des</strong> schon beschriebenen Anwendungsvorrangesi.e.S. direkt z.B. auf die einschlägige Richtlinie berufen. 570)Der Anwendungsvorrang <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts gegenüber dem entgegenstehendendeutschen Recht führt nicht dazu, daß die entgegenstehende deutsche Vorschriftverfassungswidrig ist, sondern nur zu deren Unanwendbarkeit. 571) Dies jedenfallsdann, wenn das nationale Recht bezgl. <strong>des</strong> Gesetzeswortlautes unter Berücksichtigung<strong>des</strong> gesamten nationalen Rechts und aller Auslegungsmethoden eine richtlinienkonformeAuslegung zuläßt. 572) Ein eindeutiger deutscher Gesetzeswortlaut kannjedoch einer richtlinienkonformen Auslegung entgegenstehen. 573) Wenn aber einerichtlinienkonforme Auslegung wegen der Eindeutigkeit <strong>des</strong> dem entgegenstehendenGesetzeswortlautes und aufgrund ineffektiver Umsetzung der Richtlinie in deutschesRecht nicht möglich ist, so kann sich der Einzelne vor dem Gericht auf Bestimmungender Richtlinie direkt berufen, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:- Bestimmungen der Richtlinie sind inhaltlich unbedingt und hinreichend genau.- Die Richtlinie wurde nicht fristgemäß bzw. nur unzulänglich in nationales Rechtumgesetzt. 574)Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so bleibt für den davon Betroffenen nurdie Möglichkeit, gegen die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland seinen dadurch bedingten569)570)571)572)573)574)EuGH 13.11.1990 – Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135 Rdn. 8; EuGH 16.12.1993 –Rs. C-334/92 (<strong>Wagner</strong> Miret), Slg. 1993, I-6911 Rdn. 20; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00(Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24Sehr anschaulich FG Hamburg 04.04.2006 – III 105/05, DStR 2006, 1367, 1370FG Hamburg 04.04.2006 – III 105/05, DStR 2006, 1367, 1370EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2002, 2465 Rdn. 111EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2002, 2465 Rdn. 110: „Die Verpflichtung<strong>des</strong> nationalen Richters, bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften <strong>des</strong> innerstaatlichenRechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, waird zwar durch die allgemeinen Rechtsgrundsätzeund insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbotbegrenzt; auch darf es sich nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem <strong>des</strong> nationalenRechts dienen.“EuGH 19.11.1991 – Rs. C-06/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357 Rdn. 11; EuGH 11.07.2002 –Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 25; EuGH 05.10.2004 – Rs. C-403/01(Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835 Rdn. 103; EuGH 17.07.2008 – Rs. C-226/07 (Flughafen Köln/BonnGmbH), Beilage zu BFH/NV 10/2008, 265 Rdn. 23; Hummel EuZW 2007, 268, 270


- 110 - 110367368Nachteil im Wege <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches geltendzu machen, wenn <strong>des</strong>sen Voraussetzungen im übrigen gegeben sind. 575)Zur Frage, ab wann deutsche Gerichte und die Finanzverwaltung die volle Wirksamkeiteiner Richtlinie gewährleisten müssen, gilt folgen<strong>des</strong>: So hat der EuGH u.H.a.seine frühere Rechtsprechung nochmals iudiziert, daß alle Träger öffentlicher Gewaltder Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die volle Wirksamkeit <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtszu garantieren. 576)„Daraus folgt, daß die Gerichte der Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt <strong>des</strong> In-Kraft-Tretenseiner Richtlinie es so weit wie möglich unterlassen müssen, das innerstaatliche Recht auf eineWeise auszulegen, die die Erreichung <strong>des</strong> mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles nach Ablaufder Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde.“ 577)Da eine Richtlinie ab ihrem Inkrafttreten verbindlich ist und zu einem Bestandteil nationalenRechts ist, müssen Gerichte sie nicht erst ab dem Transformationszeitpunkt<strong>des</strong> nationalen Gesetzgebers sondern auch für die Zeit zwischen Inkrafttreten undTransformation der Richtlinie beachten und folglich auch für diese Zeit das nationaleRecht richtlinienkonform auslegen, zumin<strong>des</strong>t wenn andernfalls die mit der Richtlinieverfolgten Ziele gefährdet würden. 578)369370(2.2) Zur Amtspflicht von Behörden und Gerichten zur Durchsetzung vonEU-Gemeinschaftsrecht gegen nationales RechtNormadressat der Richtlinie ist der Mitgliedstaat (Art. 288 Abs. 3 AEUV) mit allenseinen Institutionen, wozu auch die Gerichte gehören. Für diese sind die mit der Richtlinieverfolgten Ziele verbindlich. 579) Mithin hat der Mitgliedstaat mit allen seinen Institutionen(wozu Behörden und Gerichte gehören) die Verpflichtung, in seiner nationalenRechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeitder Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten. 580)Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH 581) ist bereits das Finanzamt verpflichtet, bei einembelastenden Verwaltungsakt, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung,Gründe dafür anzugeben, warum die getroffene Entscheidung auch unter Berücksichtigungvon Gemeinschaftsrecht negativ bleibt. Dabei ist bereits im Verwaltungsverfahrendie zu treffende Entscheidung am gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeits-575)576)577)578)579)580)581)EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 112: Voraussetzungenmüssen sein: (1) Richtlinie muß dem Einzelnen Rechte verleihen. (2) Inhalt dieser Rechte mußsich aus der Richtlinie ergeben. (3) Kausalzusammenhang zwischen Verstoß <strong>des</strong> Mitgliedstaatesund dem entstandenen Schaden.EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 122EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 123 f.Hofmann ZIP 2006, 2113, 2114 f.EuGH 08.05.2008 – Rs. C-491/01 (Danske Svineproducenter), EuZW 2008, 411 Rdn. 27EuGH 08.05.2008 – Rs. C-491/01 (Danske Svineproducenter), EuZW 2008, 411 Rdn. 28 m.w.N.EuGH 15.10.1987 – Rs. 222//86, NJW 1989, 657, 658; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilagezu BFH/NV 10/2002, 144, 146; dazu auch Iglesias NJW 2000, 1889, 1893


- 111 - 111371372373374grundsatz abzugleichen. 582) Dies gehört zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten583) und verdeutlicht die Notwendigkeit, bereits bei Abgabe der Steuererklärung,jedenfalls aber im Einspruchsverfahren, eigene gemeinschaftsrechtliche Gründe vorzutragen.584)Damit im offensichtlichen Widerspruch steht folgende Auffassung der Finanzverwaltung:585)Ein Urteil <strong>des</strong> EuGH sei angeblich für die Finanzverwaltung nur bindend, wenn undsoweit ein BMF-Schreiben dazu Regelungen enthalte und wenn das BFH-Urteil imBStBl. II veröffentlicht worden sei oder wenn das dem EuGH-Urteil folgende BFH-Urteil im BStBl. veröffentlicht worden sei.Da der EuGH von einer Amtspflicht <strong>des</strong> Finanzamtes und nicht der Finanzverwaltungspricht und vorgenannte Einschränkungen nicht Gegenstand der EuGH- Rechtsprechungsind, läuft diese Meinung der Finanzverwaltung auf eine offene Missachtung<strong>des</strong> Anwendungsvorrangs der EU-Gemeinschaftsrechts und der EuGH- Rechtsprechunghinaus. Dies stellt für ein Finanzamt dann eine Amtspflichtverletzung dar, wenndieses sich nicht an diesem Anwendungsvorrang sondern davon abweichend an derhier beanstandeten Meinung der Finanzverwaltung orientiert. Daraus können sichAmtshaftungsansprüche gegen das Bun<strong>des</strong>land ergeben, dem ein solches dissentieren<strong>des</strong>Finanzamt angehört.EuGH-Urteile erzeugen Bindungswirkung für vorlegende nationale Gerichte aufgrund<strong>des</strong> von diesen jeweils angestrengten Vorabentscheidungsverfahrens (Wirkung interpartes). 586) Dabei ist der Urteilstenor im Lichte der Entscheidungsgründe zu verstehenund auszulegen, 587) womit die Entscheidungsgründe eine mittelbare Bindungswirkungfür das vorlegende Gericht entfalten. 588) Über das vorlegende Gericht hinaus sind aberauch alle anderen nationalen Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet,das Gemeinschaftsrecht einheitlich anzuwenden und in diesem ZusammenhangEuGH-Entscheidungen zu beachten. 589) Davon macht jedoch der EuGH 590) eine Ausnahme:Richter bzw. Gerichte sind nicht verpflichtet, von Amts wegen Gemeinschaftsrechtanzuwenden, wenn dies zur Folge hätte, das im nationalen Verfahrensrechtniedergelegte Prinzip <strong>des</strong> Verbots der reformatio in peius zu durchbrechen,weil dies sonst gegen die Verteidigungsrechte, die Rechtssicherheit und den Vertrau-582)583)584)585)586)587)588)589)590)EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 116, 121; EuGH11.07.2002 – Rs. C-210/00 (Käserei Champignon Hofmeister GmbH & Co. KG), Beilage zuBFH/NV 1/2004, 25 Rdn. 59Iglesias NJW 2000, 1889, 1893<strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 168; S.o. Rdn. 26OFD Hannover Vfg. 28.07.2004 – StEd 2004, 667, nachlesbar auch in Wissenschaftlicher BeiratErnst & Young USt in DB 2004 Beilage Nr. 3, Seite 2 f.EuGH 03.02.1977 – Rs. 52/76 (Benedetti/Munari), Slg. 1977, 163, 183, BeckRS 2004, 73265Rdn. 26, 27; Looks DStR 2009, 513, 514EuGH 14.07.1977 – Rs. 01/77 (Bosch/Hauptzollamt Hil<strong>des</strong>heim), Slg. 1977, 1473, 1481 =BeckRS 2004, 70563 Rdn. 2 ff.; Looks DStR 2009, 513, 514Looks DStR 2009, 513, 514Looks DStR 2009, 513, 514 f.EuGH 25.11.2008 – Rs. C-455/06 (Heemskerk BV), EWS 2010, 486 Rdn. 46 - 47.


- 112 - 112375376377378379ensschutz verstoßen würde. Denn dadurch würde der Kläger der Gefahr ausgesetzt,sich aufgrund seiner Klage in eine ungünstigere Lage zu geraten, als es der Fall gewesenwäre, wenn er von der Klage abgesehen hätte.Wird bei Stellung eines Vorlageantrages vor dem Finanzgericht darauf hingewiesen,dass das Finanzamt dem nicht entsprochen hat – obwohl bei Abgabe der Steuererklärungbzw. im Einspruchsverfahren gemeinschaftsrechtliche Bezüge aufgezeigt wurden-, dann kann das FG, statt über den Vorlageantrag zu entscheiden, analog § 100 Abs. 3FGO den angefochtenen Verwaltungsakt samt Einspruchsentscheidung, ohne in derSache selbst zu entscheiden, aufheben und das Finanzamt anhalten, unter Berücksichtigung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts neu zu entscheiden; denn das FG als angerufenes Gerichtkann vom Finanzamt eine Begründung unter Einbezug gemeinschaftsrechtlicherAspekte verlangen. 591) Sieht das FG von der Möglichkeit der entsprechenden Anwendung<strong>des</strong> § 100 Abs. 3 FGO für diesen Fall ab, so hat es über einen gestellten Vorlageantragzu entscheiden. 592)Dies geschieht dadurch, dass es sich um einen zweistufigen Antrag handelt:- Antrag auf Aussetzung gemäß § 74 FGO und- Antrag auf Vorlage gemäß Art. 267 AEUV oder im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG. 593)Wird seitens <strong>des</strong> FG dem EuGH vorgelegt, dann allerdings ist es auch gehalten, für dieDauer der Vorlage einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, der im Hinblick auf dieseRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH zugleich mit beantragt werden sollte. 594)Wird (bereits) eine Aussetzung gemäß § 74 FGO abgelehnt, so ist dagegen die Beschwerdezulässig 595) (diese ist im Hinblick auf § 74 FGO in § 128 Abs. 2 FGO nichtausgeschlossen). Da aber die Frage der Aussetzung gem. § 74 FGO eine Ermessensentscheidung<strong>des</strong> Gerichts ist, ist eine Beschwerde nicht sinnvoll, wenn eine Vorlageauch gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV nur im Ermessen <strong>des</strong> Gerichts steht. Eine Beschwerdekann sich daher nur dann empfehlen, wenn einer der dargestellten Gründefür eine Vorlagepflicht gegeben ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), 596) weil sich dann dasErmessen in § 74 FGO auf Null reduziert. Hinzu kommen muß die Darlegung, dassdie Nichtvorlage bei einer Ermessenreduzierung auf Null mißbräuchlich ist. 597) DieseGründe sind in der Beschwerde auszuführen. 598)591)592)593)594)595)596)597)598)EuGH 15.10.1987 – Rs. 222//86, NJW 1989, 657, 658Landry, FS 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft Fachanwälte für Steuerrecht e.V., Seite 577, 585Vorlage, z.B.: BFH 27.09.2001 – V R 32/00, BFH/NV 2002, 143 ff.; BFH 23.01.2002 – V R84/99, BFH/NV 2002, 881; BFH 21.03.2002 – V R 33/01, BFH/NV 2002, 886EuGH 19.06.1990 – Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433 = NJW 1991, 2271; Oexle NVwZ 2002,1328, 1380Seer in: Tipke/Kruse, FGO, § 74 Rdn. 24BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50.Jahre Fachanwälte fürSteuerrecht e.V., Seite 555, 557; Nowak NVwZ 2002, 688In BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR 2305/02, NJW 2003, 418, 419 wird ausgeführt, Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG biete nur Schutz gegen eine objektiv willkürliche Nichtbefolgung von Vorlagepflichten.BFH 07.08.2000 - VII B 90/00, n.V.


- 113 - 113380381382Würde trotz Vorlagepflicht auch der Beschwerde nicht entsprochen, so wäre eine Verfassungsbeschwerdezur Klärung <strong>des</strong> gesetzlichen Richters wegen fehlender Erschöpfung<strong>des</strong> rechtsweges wohl nicht zulässig. Denn hat ein FG seiner Vorlagepflichtaufgrund seines Vorlageermessens gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV nicht entsprochen,so besteht für den Fall eines negativen Urteils für den Kläger immer noch die Möglichkeitder Nichtzulassungsbeschwerde, worin die Gründe für eine Vorlagenotwendigkeitgeltend gemacht werden können. Der BFH wäre dann, wenn er nichtwegen der vom FG nicht behandelten europarechtlichen Frage der Nichtzulassungsbeschwer<strong>des</strong>tattgeben würde und in der Revisionsentscheidung <strong>des</strong>wegen das Urteil<strong>des</strong> FG aufheben und zurückverweisen würde, 599) im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerdevorlagepflichtig gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV, 600) um eine richtige Anwendungund eine einheitliche Auslegung europäischen Rechts sicherzustellen. 601)Und würde er dies ablehnen, bestünde dagegen die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerdewegen Vorenthaltung <strong>des</strong> EuGH als gesetzlichen Richter im Sinne <strong>des</strong> Art.101 Abs. 2 Satz 1 GG. 602)Das FG wird nämlich für den Fall der Nichtstattgabe der Nichtzulassungsbeschwerdenicht nachträglich rückwirkend zum vorlagepflichtigen Gericht im Sinne <strong>des</strong> Art. 267Abs. 3 AEUV, 603) weil in Anbetracht der Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerdedie Entscheidung <strong>des</strong> FG nicht endgültiger Art ist. 604)383(2.3) Missbrauch <strong>des</strong> GemeinschaftsrechtsIm Gemeinschaftsrecht gibt es einen allgemeinen Grundsatz, wonach ein missbräuchlichessich berufen auf die Normen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts nicht gestattet ist. 605)599)600)601)602)603)604)605)EuGH C-99/00, Schlussantrag <strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn. 43EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 148, 150; so auch EuGH C-99/00, Schlussantrag <strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn. 43, 46Zur Zuständigkeit <strong>des</strong> EuGH nebst Vorlagepflicht <strong>des</strong> BFH zum deutschen Steuerbilanzrechtsiehe EuGH 07.01.2003 – Rs. C-306/99 (BIAO), DB 2003, 181 Rdn. 93; BFH 08.11.2000 – I R06/96, DB 2001, 410; Schütz DB 2003, 688; a.A. nach wie vor Weber-Grellet DB 2003, 67, 69EuGH C-99/00, Schlussantrag <strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn. 70BVerfG 31.05.1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 156, 194 f.; BVerfG09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749; Schütz DB 2003, 688, 690EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 148, 150EuGH C-99/00, Schlussantrag <strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn. 36 f.EuGH 09.03.1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 24; EuGH 21.02.2006 – Rs.C-255/02 (Halifax), Slg. 2006, I-1609 Rdn. 68, 69; EuGH 06.04.2006 – Rs. C-456/04 (Agip Petroli),Slg. 2006, I-3395 Rdn. 19, 20; EuGH 12.09.2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes),Slg. 2006, I-7995 Rdn. 35; EuGH 05.07.2007 – Rs. C-321/05 (Kofoed), Slg. 2007, I- 5795 Rdn.38


- 114 - 114(3) Aufbau einer schriftsätzlichen Begründung bei Verstößen gegen EU-Gemeinschaftsrechtohne Vorlageantrag zum EuGH384Sind in einer Klageschrift gemeinschaftsrechtliche Fragen von Bedeutung, dann gilt esnicht nur, diese darzustellen, sondern insbesondere auch darzulegen, dass und warumder eigene Klagevortrag dem Postulat entspricht, einer einheitlichen Auslegung <strong>des</strong>Gemeinschaftsrechts zu entsprechen. 606) Dabei ist einerseits das nationale Recht - soweitmöglich - einer richtlinienkonformen Auslegung zu unterwerfen 607) und andererseitsdie entsprechende Richtlinie als abgeleitetes Gemeinschaftsrecht ihrerseits soauszulegen, dass es mit dem EG-Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsvereinbar ist. 608) Dazu gehört nicht nur, den Wortlaut der Richtlinieauszulegen, sondern auch den Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, diemit der entsprechenden Regelung verfolgt werden 609) wenngleich diese richtlinienkonformeAuslegung durch deutsche Gerichte sich innerhalb der Grenzen halten muß, diedeutsche Gerichte wegen Art. 20 Abs. 3 GG beachten müssen. 610) Auch muß einerichtlinienkonforme Auslegung <strong>des</strong> nationalen Rechts durch Behörden und Gerichtestets so vorgenommen werden, daß sie nicht mit den durch die Gemeinschaftsordnunggeschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts(z.B. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) kollidiert. 611) Sind mithin unterschiedlicheAuslegungen denkbar, so ist derjenigen der Vorzug zu geben, die zueinem mit dem Gemeinschaftsrecht vereibarenden Ergebnis führt. 612) Weiter muß ein606)607)608)609)610)611)612)EuGH 29.04.1999 – Rs. C-311/97, HFR 1999, 587, 588: Danach fallen direkte Steuern zwar indie Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, aber diese „müssen ihre Befugnisse .... unter Wahrung <strong>des</strong>Gemeinschaftsrechts ausüben und <strong>des</strong>halb jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeitunterlassen ...“ So auch EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97, NZG 1999, 1044, 1048; EuGH06.02.2000 – Rs. C-35/98, WM 2000, 1862, 1865; EuGH 13.12.2005 – Rs. C-446/03 (Marks &Spencer), EuZW 2006, 85; EuGH 19.11.2009 – Rs. C-540/07 (Kommission/Italien), EuZW 2010,18 Rdn. 28. Albath/Wunderlich EWS 2006, 205, 206; Montag NJW 2001, 1613, 1617EuGH 14.09.1999 – Rs. C-275/97, DStR 1999, 1645, 1647. Wie eine richtlinienkonforme Auslegung„technisch“ vorzunehmen ist, kann recht anschaulich in der Heininger-Entscheidung <strong>des</strong>BGH 09.04.2002 – XI ZR 91/99, NJW 2002, 1881 nachgelesen werden.EuGH 22.01.2001 – C-393/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 105, 107; EuGH 06.06.2000 – Rs. C-35/98, WM 2000, 1862, 186: „Nach ständiger Rechtsprechung kann ein rein wirtschaftliches Zielkeinen zwingenden Grund <strong>des</strong> Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung einer durchden Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen könnte...“ Ferner heißt aaO S. 1867: „....dass nach ständiger Rechtsprechung eine steuerliche Benachteiligung, die gegen die Grundfreiheitenverstößt, nicht durch das etwaige Bestehen anderweitiger Steuervorteile gerechtfertigt werdenkann...“ Zur Auslegung <strong>des</strong> EU-Rechts Schroeder JuS 2004, 180EuGH 14.10.1999 – Rs. C-223/98 (Adidas), Slg. 1999, I-7081 Rdn. 23; EuGH 14.06.2001 – Rs.C-191/99 (Kvaerner), Slg. 2001, I-4447 Rdn. 30; EuGH 16.01.2003 – Rs. C-315/00 (Maierhofer),Beilage BFH/NV 4/2003, 104 Rdn. 27; EuGH 18.06.2002 – Rs. C-60/01 (Kommission/Frankreich),Slg. 2002, I-5679 Rdn. 26 – 28 m.w.N.; EuGH15.07.2004 – Rs. C-321/02(Harbs), Beilage zu BFH/NV 2004, 371 Rdn. 28 m.w.N.; Herdegen WM 2006, 1921, 1926m.w.N.Herdegen WM 2006, 1921, 1926 m.w.N. und aaO Seite 1928 f. zu den verfassungsrechtlichenGrenzen <strong>des</strong> Art. 20 Abs. 3 GG.EuGH 06.11.2003 – Rs. C-101/01 (Lindqvist), Slg. 2003, I-12971 Rdn. 87; EuGH 12.01.2006 –Rs. C-504/04 (Agrarproduktion Staebelow), Slg. 2006, I-679 Rdn. 35EuGH 09.12.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), EWS 2003, 276 Rdn. 33


- 115 - 115385386387Finanzamt oder ein nationales Gericht für die richtlinienkonforme Auslegung einernationalen Rechtsvorschrift bei der zuvor vorzunehmenden Bestimmung der Bedeutungder entsprechenden Vorschrift <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts von deren Wortlaut, Zusammenhangund Ziele ausgehen. Ferner erfordert es die einheitliche Anwendung <strong>des</strong>Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz, daß bezüglich der Ermittlung von Bedeutungund Sinn einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, daß nicht auf auf dasRecht <strong>des</strong> Mietgliedstaates verwiesen wird, sofern die gemeinschaftsrechtliche Vorschriftnicht ausdrücklich darauf verweist. Vielmehr erfordert die Bestimmung derBedeutung und <strong>des</strong> Sinns der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, daß eine gemeinschaftsrechtlichautonome Auslegung unter Berücksichtigung <strong>des</strong> Regelungszusammenhangsund <strong>des</strong> mit der gemeinschaftsrechtlichen Regelung verfolgten Zweckserfolgt. 613) Eine zu enge Auslegung darf allerdings nicht dazu führen, daß damit denBefreiungen die ihnen intendierte Wirkung genommen wird. 614) Bei alledem ist einerichtlinienkonforme Auslegung keine Surrogat für die Transformationsnotwendigkeitder Richtlinie in nationales Recht nach den Grundsätzen <strong>des</strong> effet utile. 615)Diese Unterscheidung zwischen Auslegung <strong>des</strong> nationalen Rechts nach Maßgabe derRichtlinie (sog. richtlinienkonforme Auslegung) einerseits und Auslegung der Richtlinieselbst ist bei der Schriftsatzbegründung aus folgenden Gründen von Bedeutung:Ein FG bzw. der BFH haben Bestimmungen <strong>des</strong> nationalen Rechts soweit wie möglichanhand <strong>des</strong> Wortlautes und Zweckes der einschlägigen Richtlinie auszulegen, umdas mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, um damit Art. 288 Abs. 3 AEUVnachzukommen. 616) Geht es um Gegenstand und Grenzen der richtlinienkonformenAuslegung, so ist schriftsätzlich darzulegen, daß und warum diese geboten ist (Entscheidungserheblichkeit),wie diese vorzunehmen ist bzw. ob eine solche an Grenzenstößt. Eine solche Grenze kann z.B. gegeben sein, wenn der Wortlaut und die Intensionder nationalen Norm ganz eindeutig einer Richtlinienvorgabe zuwider läuft undeine richtlinienkonforme Auslegung in Anbetracht dieser Eindeutigkeit ausgeschlossenerscheint. Dann sind 2 Alternativen denkbar, die in der schriftsätzlichen Begründunganzusprechen sind:- Entweder das FG läßt das nationale Recht unbeachtet und wendet die Richtliniedirekt an. Hier stellt sich die noch nicht anschließend geklärte Frage, ob den nationalenGericht in anbetracht der Gesetzesbindung <strong>des</strong> Art. 20 Abs. 3 GG diesgestattet ist. Eine entsprechende gemeinschafsrechtliche/verfassungsrechtlicheAuseinandersetzung mit dieser noch nicht abschließend geklärten Frage ist imSchriftsatz geboten.- Oder – wenn man in Anbetracht <strong>des</strong> zuvor Angesprochenen nicht zu demErgebnis gelangt, das FG könne nationales Recht wegen dem entgegenstehendenGemeinschaftsrecht unbeachtet lassen - man regt gegenüber dem FG/BFH dieVorlage zum EuGH (Art. 267 AEUV) an, um auf diese Weise durch den EuGHfeststellen zu lassen, daß die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland die Richtlinie nicht o-613)614)615)616)EuGH 15.07.2004 – Rs. C-321/02 (Harbs), Beilage zu BFH/NV 2004, 371 Rdn. 28 m.w.N.;EuGH 18.11.2004 – Rs. C-284/03 (Temco Europe SA), Beilage zu BFH/NV 4/2005, 87 Rdn. 16EuGH 18.11.2004 – Rs. C-284/03 (TemcoEeurope SA), Beilage zu BFH/NV 4/2005, 87 Rdn. 17Herdegen WM 2006, 1921, 1926 f.EuGH 13.11.1990 – Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135 Rdn. 8; EuGH 20.05.2003 –Rs. C-139/01 (Österreichischer Rundfunk u.a.), Slg. 2003, I-4989 Rdn. 93


- 116 - 116388389390der nicht fristgerecht bzw. nicht effektiv in deutsches Recht umgesetzt hat, indemdie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen wurden. Diesum auf diese Weise die Grundlagen zu legen, um für den Fall <strong>des</strong> legislativenUnrechts die Grundlagen für einen u.U. denkbaren gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruch zu schaffen. Auch dies wäre schriftsätzlich im einzelnenzu begründen. Dabei kann u.U. darauf hingewiesen werden, daß die Bun<strong>des</strong>republikDeutschland eine nicht effektive Umsetzung einer Richtlinie nicht mit derständige Rechtsprechung seiner Gerichte, Praktiken oder andere Umstände der internenRechtsordnung rechtfertigen kann. 617)Geht es dagegen um die Auslegung der Richtlinie, so wäre schriftsätzlich gegenüberdem FG/BFH zu begründen, welche entscheidungserheblichen Probleme sich dieserhalbstellen und daß dafür alleine der EuGH zuständig ist. 618) Für diesen Fall müßtemithin die schriftsätzliche Begründung auf eine Vorlage (Art. 267 AEUV) zielen.Denn Begriffe der Gemeinschaftsrechtsordnung sind grundsätzlich nicht in Anlehnungeiner oder mehrer nationaler Rechtsordnungen zu definieren, es sei denn, dies wäre inder Richtlinie – z.B. in deren Anhang - ausdrücklich vorgesehen. 619)U.U. kann europäisches Recht sogar in Deutschland unmittelbar gelten<strong>des</strong> Rechtsein 620) , worauf zusätzlich einzugehen ist.Von der Frage, ob und wann eine europäische Richtlinie in Deutschland unmittelbargelten<strong>des</strong> Recht sein kann, ist der Sachverhalt zu unterscheiden, dass eine europäischeRichtlinie Eingang in innerstaatliches Recht genommen hat und sich dort die richtlinienkonformeAuslegung bzw. Vorlagepflicht auch bei innerstaatlichem Recht stellenkann. Hat der nationale Gesetzgeber im übrigen innerstaatliche Regelungen, die vonder Richtlinie nicht erfaßt werden, dazu gleich behandelt, so müssen in einem solchenFall auch die innerstaatlichen Sachverhalte, die nicht von der Richtlinie erfaßt werdenund die unter die Richtlinie fallenden Sachverhalte gleich behandelt werden. 621) Indiesem Fall kann sich eine Vorlagepflicht an den EuGH auch im Hinblick auf daseigentlich nicht der Richtlinie unterfallende Recht dahingehend stellen, inwieweitdieses in Anbetracht der staatlichen Gleichbehandlungspflicht mit dem der Richtlinieunterfallenden nationalen Recht geboten ist. Da in einem solchen Fall das vorlegendeFG zu bestimmen hat, wie weit der EuGH die Tragweite <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts617)618)619)620)621)EuGH 13.06.2002 – Rs. C-286/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2002, I-5463 Rdn. 13; EuGH15.05.2003 – Rs. C-484/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2003, I-4975 Rdn. 21. In Abgrenzungdazu EuGH 05.07.2007 – Rs. C-321/05 (Kofoed), Slg. 2007, I-5795 Rdn. 44, wonach die Umsetzungeiner Richtlinie nicht unbedingt ein gesetzgebrisches Tätigwerden <strong>des</strong> Mitgliedstaates erfordere,„soweit die sich aus den nationalen Umsetzungsmaßnahmen ergebende Rechtslage so hinreichendbestimmt und klar ist, dass die betroffenen Einzelnen Kenntnis vom Umfang ihrer Rechteund Pflichten erlangen können.EuGH 06.05.2003 – Rs. C-104/01 (Libertel), Slg. 2003, I-3793 Rdn. 26EuGH 14.01.1982 – Rs. 64/81 (Corman), Slg. 1982, 13 Rdn. 8; EuGH 02.04.1998 – Rs. – C-296/95 (EMU Tabac u.a.), Slg. 1998, I-1605 Rdn. 30; EuGH 22.05.2003 – Rs. C-103/01 (Kommission/Deutschland),Slg. 2003, I- 5369 Rdn. 33EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97, NZG 1999, 1044, 1046 (mit Anm. <strong>Wagner</strong>) betreffend dieNiederlassungsfreiheit, so dass Gemeinschaftsangehörige, die von ihrer NiederlassungsfreiheitGebrauch machen, „im Aufnahmestaat wie Inländer behandelt werden.“EuGH 17.07.1997 – Rs. C-28/95, HFR 1997, 856; EuGH 17.07.1997 – Rs. C-130/95, HFR 1997,788; EuGH 15.01.2002 – Rs. C-43/00, DB 2002, 822, 823 f.; Vorlagebeschluß <strong>des</strong> FG Hamburg22.04.1999 – II 23/97, EFG 1999, 1022, 1023


- 117 - 117beurteilen soll, 622) empfiehlt es sich, für einen solchen Fall in der KlagebegründungAnhaltspunkte zu beschreiben.391(4.) Vorlageantrag zum EuGH 623)(4.1) AllgemeinesEs empfiehlt sich, bei Abfassung einer Klage 624) zum Finanzgericht mit zu überprüfen,ob die nach deutschem Steuerrecht zu beurteilende Rechtslage bei Gemeinschaftsbezugauch mit europäischem Gemeinschaftsrecht übereinstimmt. 625) Wäre dies nämlichnicht der Fall und wäre aufgrund einer Abweichung davon der Kläger dadurch individuellund unmittelbar betroffen, dann bietet es sich an, neben den üblichen Klageanträgenbeim FG zusätzlich in der Klageschrift beim FG einen Vorlageantrag zumEuGH zu stellen und zu begründen, zumal einem Verfahrensbeteiligten kein eigenes622)623)624)625)EuGH 18.10.1990 – Rs. C-297/88 und C-197/89 (Dzodzi), Slg. 1990, I-3763; EuGH 15.12.1995 –Rs. C-415/93, Slg 1995, I-4921 Rdn. 59; EuGH 22.01.2002 – Rs. C-218/00, Slg. 2002, I-691 Rdn.18; EuGH 25.04.2002 – Rs. C-183/00, Slg. 2002, 3905 Ziff. 1; EuGH 07.01.2003 – Rs. C-306/99(BIAO), DStRE 2003, 69 Rdn. 88 auf den Vorlagebeschluss <strong>des</strong> FG Hamburg; so auch SchlußanträgeGeneralanwalt Jocobs vom 15.11.2001 – Rs. C-306/99 Rdn. 44, 46 i.H.a. Vorlagebeschluß<strong>des</strong> FG Hamburg 22.04.1999 – II 23/97, EFG 1999, 1022, 1023. Ferner Bärenz DStR 2003, 492,493; Lohse EWS 2003, 129;Beispiele: BFH 07.05.2002 – VII R 39/01, BFH/NV 2002, 1117; AnwBl 1999, Beilage 7: „EuropäischerGerichtshof und Europäisches Gericht erster Instanz – Hinweise für die Prozessvertreter-“; zur Auslegung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts und Vorlagepflicht nach Art. 234 EG siehe GrohEuZW 2002, 460Bei Zweifeln über die EG-Konformität einer deutschen gesetzlicher Regelung kann im AdV-VerfahrenAussetzung der Vollziehung gewährt werden, es ist im AdV-Verfahren jedoch keine Vorabentscheidung<strong>des</strong> EuGH einzuholen, so: EuGH 21.02.1991 – Rs. C-143/88 und C-92/89, NVwZ1991, 460; BFH 30.12.1996 - I B 61/96, BStBl II 1997, 466; BFH 21.06.2001 – I B 141/00, DB2001, 1648, 1650; Iglesias NJW 2000, 1889, 1893; a. A. Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwältefür Steuerrecht, 1999, Seite 565, 566 hält ausnahmsweise auch das FG in einem Verfahren nach§ 69 FGO für aussetzungsberechtigt (§ 74 FGO) und vorlageberechtigt. Zur Verneinung europarechtlicherZweifel als Aussetzungsgrund BFH 29.03.2001 – III B 79/00, BFH/NV 2001, 1244,1246 f.Nach Iglesias NJW 2000, 1889, 1893 kann u.H.a. EuGH 09.11.1995 – Rs. C-466/93, EuZW1995, 836 einstweiliger Rechtsschutz durch nationale Gerichte bei auf einer Gemeinschaftsverordnungberuhendem Abgabenbescheid aber nur unter folgenden engen Voraussetzungen durchnationale Gerichte gewährt werden, um dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller GemeinschaftsbürgerRechnung zu tragen:„- wenn sie [nationale Gerichte] erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlung der Gemeinschafthaben und diese Gültigkeitsfrage dem EuGH vorlegen,- wenn die Entscheidung dringlich in dem Sinne ist, dass der vorläufige Rechtsschutz erforderlichist, um zu vermeiden, dass die ihn beantragende Partei einen schweren und nicht wiedergutzumachendenSchaden erleidet;- dass die nationalen Gerichte bei ihrer Prüfung das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigenund- dass sie die einschlägige Rechtsprechung [<strong>des</strong> EuGH] beachten.“Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 568; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555, 559; Cordewener DStR 2004, 6, 10 f... GemäßEuGH 11.03.1980 – Rs. 104/99, EuGHE 1980, 745 Rdn. 10 keine zulässige Vorlage, um eineeinvernehmliche Interpretation <strong>des</strong> EG-Rechts bestätigen zu lassen.


- 118 - 118392Vorlagerecht zum EuGH zusteht. 626) In einem Schriftsatz eine Vorlagenotwendigkeitdarzulegen bedeutet aber, daß auszuführen ist, daß und warum das FG bzw. der BFHentscheidungserheblich darauf angewiesen ist, daß der EuGH Hinweise zur Beurteilung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts geben kann, die dem FG bzw. dem BFH bei der Beurteilungeiner nationalen Rechtsvorschrift nützlich sein kann, 627) weil sich dies wederaus der Richtlinie selbst noch aus der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH beantworten läßt. Dadas nationale Gericht bei einer Vorlage zum EuGH nicht nur klärungsbedürftige, klärungsfähigeund entscheidungserhebliche Fragen an den EuGH zu richten hat, sondernauch den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen zu beschreiben hat, der für die gestelltenFragen bedeutsam ist, 628) sollte auch der Anwalt in dem Schriftsatz, in welchem ereine Aussetzung <strong>des</strong> laufenden Rechtsstreites samt Vorlage zum EuGH anregt, demGericht quasi eine Vorlage beschreiben. Und da ein vorlegen<strong>des</strong> Gericht mit seinenAngaben bei der Vorlage nicht nur eine Vorlageentscheidung <strong>des</strong> EuGH ermöglichensoll, sondern zudem auch den Regierungen von Mitgliedstaaten und anderen Beteiligteneröffnen soll, zur Tragweite der unterbreiteten Fragen Erklärungen abzugeben, 629)sollte der Anwalt <strong>des</strong> Steuerpflichten bei der von ihm dem FG/BFH schriftsätzlichangeregten Vorlagefrage dies ebenfalls mit berücksichtigen. Denn was seitens <strong>des</strong>nationalen Gerichts für ein Vorabentscheidungsverfahren per Vorlage zum EuGHdann für notwendig und entscheidungserheblich erachtet wird, gehört alleine zumVerantwortungsbereich <strong>des</strong> nationalen Gerichts. 630) Ist dann vom nationalen Gerichteine Vorlage erst einmal vorgenommen worden, besteht dann für den EuGH die Vermutungder Entscheidungserheblichkeit, deren Richtigkeit der EuGH nicht mehr überprüft.631) Denn der EuGH ist nur befugt, auf der Grundlage <strong>des</strong> vom nationalen Gerichtunterbreiteten Sachverhaltes sich zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschriftzu äußern. 632)Prozessual kann ein solcher Vorlageantrag beim FG – Senat oder Einzelrichter (§ 6Abs. 1 FGO bzw. § 79a FGO) 633) - auf zweierlei gestützt werden:- Gemäß Art 267 Abs. 2 AEUV kann das FG – gemäß Art 267 Abs. 3 AEUV mußder BFH – in Auslegungsfragen für eine Vorabentscheidung <strong>des</strong> EuGH diesemvorlegen, wenn eine Frage im Sinne <strong>des</strong> Art. 267 Abs. 1 AEUV gestellt worden626)627)628)629)630)631)632)633)Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 566; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555, 556 f.EuGH 13.01.2000 – Rs. C-254/98 (TK Heimdienst), Slg. 2000, I-151 Rdn. 12; EuGH 05.03.2002– Rs. C-515/99 u.a. (Reisch u.a), Slg. 2002, I-2157 Rdn. 22; EuGH 15.05.2003 – Rs. C-300/01(Salzmann), Slg. 2003, I-4899 Rdn. 28EuGH 12.04.2005 – Rs. C-145/03 (Keller), Slg. 2005, I-2529 Rdn. 29EuGH 12.04.2005 – Rs. C-145/03 (Keller), Slg. 2005, I-2529 Rdn. 30EuGH 16.02.2006 – Rs. C-500/04 (Proxxon), Slg. 2006, I-1545 Rdn. 17 m.w.N.; EuGH08.05.2008 – Rs. C-491/06 (Danske Svineproducenter), EuZW 2008, 411 Rdn. 23EuGH 01.12.2005 – Rs. C-213/04 (Burtscher), Slg. 2005, 10309 Rdn. 35EuGH 08.05.2008 – Rs. C-491/06 (Danske Svineproducenter), EuZW 2008, 411 Rdn. 23W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555, 557, wobei der EuGH05.06.1997 – Rs. C-105/94, Slg. 1997, I-2971 nicht prüft, ob die Vorlageentscheidung <strong>des</strong> nationalenGerichts den nationalen Gerichtsverfassungs- und Prozessvorschriften entspricht.


- 119 - 119393394ist und das FG bzw. der BFH eine Entscheidung darüber für das von ihm zu treffendeUrteil für erforderlich hält. 634)- Es gilt der Grundsatz „in dubio praesentatione“. 635) Legt ein FG vor, so istdagegen nach nationalem Recht kein Rechtsmittel gegeben. Legt es dagegen nichtvor, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nur ein Vorlagerecht, nicht aber eineVorlagepflicht, gegeben ist, so kann für das FG immer noch eine Vorlagepflichtnach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gegeben sein, wenn andernfalls Willkür anzunehmenwäre, 636) was aber gesondert zu begründen ist. In der Praxis kann diesfolgende Auswirkungen haben: Legt das FG nicht vor und entscheidet z.B. durchUrteil ohne Vorlage, so kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde oderRevision zweierlei geschehen: Einerseits kann beim BFH der Entzug <strong>des</strong> gesetzlichenRichters durch das FG gerügt werden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 115Abs. 2 Nr. 3 FGO), wenn aus zuvor genannten Gründen eine Vorlage gebotengewesen wäre, andererseits kann gegenüber dem BFH im Nichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahrenerneut die Vorlage beantragt werden, weil gemäßArt. 267 Abs. 3 AEUV, 101 Abs. 1 Satz 2 GG für den BFH – auch imNichtzulassungsbeschwerdeverfahren 637) - eine Vorlagepflicht besteht. Würde derBFH dem nicht entsprechen, könnte Verfassungsbeschwerde wegen Entzugs <strong>des</strong>gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erhoben werden, um übereine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde den BFH doch noch zu Vorlage an denEuGH anhalten zu können, wobei die Begründung der willkürlich verweigertenVorlage 638) in Anbetracht der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUVleichter gelingen sollte als bei einem Vorlageermessen gemäß Art. 267 Abs. 2AEUV.Verstößt nämlich ein nationales Gericht dagegen, an den EuGH als gesetzlichemRichter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vorzulegen, in einer „offensichtlich unhaltbarenWeise,“ dann kann dieserhalb nach Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen RechtswegesVerfassungsbeschwerde zum BVerfG eingelegt werden. 639) Mit diesem Begriff„offensichtlich unhaltbare Weise“ möchte das BVerfG erreichen, nicht überjeden Vorlagefehler eines letztinstanzlichen Gerichts entscheiden zu müssen. 640)Mithin sollte der Anwalt alles tun, um zu verdeutlichen, daß und warum der Verstoßin „offensichtlich unhaltbarer Weise“ gegeben ist, was im Falle von Willkürim verfassungsrechtlichen Sinne immer gegeben ist, aber auch unterhalb der verfassungsrechtlichenWillkür gegeben sein dürfte. So bejaht das BVerfG „offensichtlichunhaltbare Weise“ z.B. dann, wenn wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegerichtentweder entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Fragen634)635)636)637)638)639)640)Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 570; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555, 557.Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 571; Schütz DB 2003,688, 690BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR 2305/02, NJW 2003, 418, 419EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 148, 150; Schütz DB 2003, 688,690BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR 2305/02, NJW 2003, 418, 419BVerfG 14.07.2006 – 2 BvR 264/06, ZIP 2006, 1486, 1487BVerfG 14.07.2006 – 2 BvR 264/06, ZIP 2006, 1486


- 120 - 120395396überhaupt nicht in Erwägung zieht, 641) oder von Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH bewußtabweicht und gleichwohl nicht vorlegt. 642) Auch dann, wenn über eine gemeinschaftsrechtlicheFrage seitens <strong>des</strong> EuGH noch nicht entschieden wurde,liegt eine offensichtliche Unhaltbarkeit vor, wenn – so das BVerfG – Gegenmeinungengegenüber der <strong>des</strong> Gerichts vorzuziehen sind. 643) Und da mit demBVerfG 644) das letztinstanzliche nationale Gericht in seiner Entscheidung verdeutlichenmuß, daß es sich mit dem Gemeinschaftsrecht ausreichend kundig gemachthat, um dem BVerfG eine Kontrolle zu ermöglichen, sollte der Anwaltauch darauf seinen Augenmerk richten, wenn es um die Beurteilung der Fragegeht, ob eine versagte Vorlage durch ein letztinstanzliches Gericht mit einer Verfassungsbeschwerdeim Hinblick auf Art. 101 abs. 1 Satz 2 GG angegangen werdensollte. Lehnt dann das BVerfG, obwohl ihm solche Gründe im Hinblick aufmangelnde Vorlagebereitschaft vorgetragen wurden, es gleichwohl ab, sich damitzu befassen, ist der nationale Rechtszug incl. BVerfG erschöpft, so daß dieseformalen Voraussetzungen erfüllt sind, um im Nachgang einen gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruch gerichtlich geltend zu machen, wenn ansonsten<strong>des</strong>sen Voraussetzungen erfüllt sind.Eine Beschränkung der Vorlagepflicht <strong>des</strong> BFH ist allenfalls dann gegeben, wenneine gleichlautende Frage bereits in einem anderen Verfahren entschieden wurdeoder zur streitigen Rechtsfrage bereits Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH vorliegt. 645)Ferner besteht keine Vorlagepflicht, wenn die zutreffende Anwendung von Gemeinschaftsrechtso offenkundig ist, dass keine vernünftigen Zweifel an der Entscheidungder gestellten Frage bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn sowohl fürden EuGH wie auch für Gerichte anderer Mitgliedstaaten eine einheitliche Beantwortungder gestellten Frage offenkundig ist, was unter Berücksichtigung <strong>des</strong>Gemeinschaftsrechts zu beurteilen ist. 646)- Für den BFH besteht als letztinstanzlichem Gericht eine Vorlagepflicht gem. Art.267 Abs. 3 AEUV auch dann, wenn bezüglich <strong>des</strong> bei ihm rechtshängigen Verfahrenseine gemeinschaftsrechtliche Frage zu klären ist, wegen dieser Frage dieKommission aber auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens verzichtethat. 647) Für den BFH als letztinstanzliches Gericht besteht eine Vorlagepflichtauch dann, wenn der EuGH eine Frage nach der Gültigkeit der Bestimmungeiner Verordnung zu entscheiden hat, die er in einem anderen Verfahren zueiner entsprechenden Bestimmung einer vergleichbaren Verordnung schon entschiedenhat. 648)641)642)643)644)645)646)647)648)BVerfG 06.05.2008 – 2 BvR 2419/06, NVwZ-RR 2008, 658 Rdn. 17BVerfG 06.05.2008 – 2 BvR 2419/06, NVwZ-RR 2008, 658 Rdn. 17BVerfG 14.07.2006 – 2 BvR 264/06, ZIP 2006, 1486, 1487; BVerfG 06.05.2008 – 2 BvR2419/06, NVwZ-RR 2008, 658 Rdn. 17BVerfG 14.07.2006 – 2 BvR 264/06, ZIP 2006, 1486, 1487EuGH 06.10.1982 – Rs. 283/81 (C.I.L.F.I.T.), Slg. 1982, 3415 Rdn. 13 ff. ; Schütz DB 2003, 688,690EuGH 06.10.1982 – Rs. 283/81 (C.I.L.F.I.T.), Slg. 1982, 3415 Rdn. 16 ff. ; Schütz DB 2003, 688,690EuGH 22.02.2001 – C-393/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 105, 107EuGH 06.12.2005 – Rs. C-461/03 (Douane-expediteur), EWS 2006, 238 Rdn. 21


- 121 - 121397398399400Fraglich war, ob ein FG, das gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat,dadurch zum letztinstanzlichen Gericht würde, so dass es kein Vorlageermessengemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV sondern eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs.3 AEUV hätte. Indem nunmehr die Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH einzulegenist, wird man wohl mit der neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH 649) sagenmüssen, dass in diesem Fall für das FG keine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs.3 AEUV gegeben ist. Eine andere Frage ist eine Vorlagepflicht für ein solchesFG gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. 650)- Das FG bzw. der BFH muß dem EuGH als gesetzlichem Richter im Sinne vonArt. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorlegen, wenn„zu einer entscheidungserheblichen 651) Frage <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts einschlägigeRechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofes noch nicht vorliegt oder wenn eine vorliegendeRechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nichterschöpfend beantwortet hat.“ 652)Ungeachtet <strong>des</strong>sen besteht nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH 653) auch für nicht letztinstanzlicheGerichte eine Vorlagepflicht, wenn die Gültigkeit einer gemeinschaftsrechtlichenNorm in Frage steht und das vorlageberechtigte Gericht die Vorschrift fürungültig hält. 654) Umgekehrt besteht auch eine Vorlagepflicht für Instanzgericht, wennes eine vom EuGH bereits als ungültig erklärte Vorschrift als gültig ansehen möchte.655) Und schließlich besteht eine Vorlagepflicht dann, wenn ein deutsches (Finanz-)Gericht einer bereits vorliegenden Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH nicht folgen möchte, umklären zu lassen, ob der EuGH unter Berücksichtigung neuer Argumente nicht vonfrüheren Urteilen abrücken sollte. 656)Indem das nationale Gericht Gemeinschaftsrecht durchzusetzen hat, um damit demEinzelnen die Rechte zu gewährleisten, die ihm nach dem Rechtsschutzsystem <strong>des</strong>Gemeinschaftsrechts zustehen, ist im Grunde das nationale Gericht auch erstinstanzlichesGemeinschaftsgericht im funktionellen Sinne. 657) Gleichzeitig ist der EuGH in649)650)651)652)653)654)655)656)657)EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00, EuZW 2002, 476, 478 = Beilage zu BFH/NV 10/2002, 148, 150S.u. Rdn. 311Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage siehe insbesondere Clausnitzer, FS 50 JahreFachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 569 f.BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749, 751. Kursivsetzungen durch den Autor. Soauch Cremer EuZW 2001, 453, 456; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999,Seite 555, 557. Wenn W. <strong>Wagner</strong> (aaO) meint, ein FG könne vorlegen, müsse aber nicht vorlegen,so betrifft dies nur Art. 234 Abs. 2 EG, nicht aber Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.EuGH 22.10.1987 – Rs. 314/85, NJW 1988, 1451; EuGH 17.07.1997 – Rs. C-334/95, EuZW1997, 629Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 570EuGH 27.03.1963 – Rs. 28 – 30/62, EuGHE 1963, 63, 81; Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwältefür Steuerrecht, 1999, Seite 565, 569 f.; Iglesias NJW 2000, 1889, 1891EuGH 17.10.1990 – RS. C-10/89, NJW 1991, 626; Iglesias NJW 2000, 1889, 1891Groh EuZW 2002, 460, 462; Pache/Knauff NVwZ 2004, 16, 17


- 122 - 122401402403Fragen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts gesetzlicher Richter im Sinne <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG. 658)Vorsorglich sollte in der Begründung eines Vorlageantrages mit angesprochen werden,dass das FG zur Vorlage nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet sein kann.Dieser Vortrag sollte auch im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfolgen, weildann, wenn das FG nicht vorlegt, die Revision nicht zugelassen wird und ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenerfolglos bleibt, Rechtswegerschöpfung eingetretenist, die es im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt, wegen Entzugs <strong>des</strong> gesetzlichenRichters Verfassungsbeschwerde zum BVerfG zu erheben. 659)Für den Fall eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) wendet der EuGHnicht Normen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts auf einen konkreten Fall an und beurteilt auchnicht die Vereinbarkeit von nationalen Normen mit dem Gemeinschaftsrecht, 660) ergibt im Falle der Anrufung durch ein nationales Gericht diesem aber Hinweise, wiedas Gemeinschaftsrecht auszulegen ist, 661) wobei der EuGH aus den vorgelegten Fragenund dem vorgetragenen Sachverhalt aber das herausschälen kann, was die Auslegung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts betrifft und dem vorlegenden Gericht eine Lösung seinerRechtsfrage ermöglicht. 662) Die Auslegung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts ist folglich658)659)660)661)662)BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749, 751. Zwar hatte das BVerfG nur im Hinblickauf eine Vorlagepflichtverletzung <strong>des</strong> letztinstanzlichen Gerichts entschieden, es lassen sichaber aus dieser Entscheidung Andeutungen entnehmen, dass der Entzug <strong>des</strong> gesetzlichen Richtersauch bei einer unterlassenen Vorlage <strong>des</strong> Instanzgerichts relevant werden könnte. Siehe auchClausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 575. Sollte auch dieseVerfassungsbeschwerde erfolglos bleiben, bliebe dann nur noch die Möglichkeit, mittels einerBeschwerde durch die EG-Kommission gem. Art. 226 EG ein Vertragsverletzungsverfahren derBun<strong>des</strong>republik Deutschland vor dem EuGH anzuregen. Dazu Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwältefür Steuerrecht, 1999, Seite 565, 574. Denkbar wäre auch statt <strong>des</strong>sen ein gemeinschaftsrechtlicherStaatshaftungsanspruch, wenn einem Einzelnen ein schaden <strong>des</strong>halb entsteht, wenn einFinanzamt einen belastenden Verwaltungsakt unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht erläßt undgleichwohl das Finanzgericht bzw. der BFH dem EuGH nicht vorgelegt haben und das BVerfGeine Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht annehmen würde(analog EuGH 28.06.2001 – Rs. C-118/00, EuZW 2001, 477, 479 f.EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 60EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 41EuGH 03.03.1994 – Rs. C-332/92, C-333/92 und C-335/92 (Eurico Italia u.a.), Slg. 1994, I-711Rdn. 19; EuGH 13.01.2000 – Rs. C-254/98 (TK Heimdienst), Slg. 2000, I-151 Rdn. 12; EuGH05.03.2002 – Rs. C-515/99 u.a. (Reisch u.a), Slg. 2002, I-2157 Rdn. 22; EuGH 15.05.2003 – Rs.C-300/01 (Salzmann), Slg. 2003, I-4899 Rdn. 28; EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich),NJW 2003, 3539. Rdn. 60; EuGH 15.07.2004 – Rs. C-365/02 (LINDFORS), Slg.2004, I-7183 Rdn. 32 m.w.N.; EuGH 07.09.2004 – Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004,. I-7573Rdn. 38 m.w.N.; EuGH 21.02.2006 – Rs. C-152/03 (Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 29m.w.N.; EuGH 04.07.2006 – Rs. C-212/04 (ADENELER), NJW 2006, 2465 Rdn. 42


- 123 - 123404405Sache <strong>des</strong> EuGH, die Frage der Erheblichkeit einer Vorlagefrage und die Erforderlichkeiteines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) ist dagegen Sache <strong>des</strong>nationalen Gerichts. 663)Kommt es zu Fragen, ob die Umsetzung richtlinienkonform erfolgte, ist das FG bzw.der BFH gehalten, entweder richtlinienkonform auszulegen oder im Vorabentscheidungsverfahrendem EuGH (Art. 234 EG) vorzulegen. 664) Ist dagegen die europäischeRichtlinie nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden, sokann sich der Einzelne im gerichtlichen Verfahren dem Mitgliedstaat gegenüber –nicht <strong>Dr</strong>itten gegenüber – direkt auf die Richtlinie berufen. 665) Dieses Verhältnis Bürger/Staatist im finanzamtlichen bzw. finanzgerichtlichen Verfahren gegeben. Das FGbzw. der BFH müssen in diesem Fall die Richtlinie ihrem Wortlaut bzw. entsprechendden Vorgaben der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH anwenden oder, wenn man davon abweichenmöchte, dem EuGH vorlegen. Ziel der Vorlage ist mithin einerseits die Wahrungder Einheitlichkeit <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts, 666) andererseits aber auch, die nationalenGerichte bei der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht in der jeweiligen nationalenRechtsordnung zu unterstützen 667) und durch Verwirklichung dieser beiden Zieleden Schutz individueller Rechtspositionen zu erreichen. 668) Der EuGH ist zur Auslegung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zuständig, das nationale Gericht zu <strong>des</strong>sen Anwendung.669) Folglich gilt es bei einer finanzgerichtlichen Klage zu bedenken, welche dervorgenannten Fallkonstellationen gegeben sein könnten. 670) Denn Art. 234 EG sprichtnicht nur die Auslegungskompetenz <strong>des</strong> EuGH sondern auch die Vorlagekompetenzvon FG und BFH an. 671)Ob im Rahmen einer finanzgerichtlichen Klage ein Vorlage-„Antrag“ gestellt wird,der ja nur eine Anregung gegenüber dem FG ist, seinerseits eine Vorlage zum EuGHvorzunehmen, sollte wohl bedacht werden.663)664)665)666)667)668)669)670)671)EuGH 18.04.1989 – Rs. 128/88 (Di Felice), Slg. 1989, 923 Rdn. 7; EuGH 06.06.2002 – Rs. C-159/00 (Sapod Audic), Slg. 2002, I-5031 Rdn. 69; EuGH 09.07.2002 – Rs. C-181/00 (Flightline),Slg. 2002, I-6139 Rdn. 20 f.; EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 30; EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Delena Wells), Rdn. 35; EuGH 14.10.2004 –Rs. C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 19 m.w.N.; EuGH 21.02.2006 – Rs. C-152/03(Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 14BFH 22.11.2001 – V R 61/00, BFH/NV 2002, 734; grundlegend zu Art. 234 EG Oexle NVwZ2002, 1328 betreffend das nationale VerfahrensrechtEuGH 19.01.1982 – Rs. 08/81, Slg. 1982, 53 ff. Rdn. 17 ff:.; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00(Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 27; BVerfG 08.04.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE75, 223, 238 f.EuGH 6.11.1997 – Rs. C-337/95, Slg. 1997, I-6013 Rdn. 23; Groh EuZW 2002, 460, 461EuGH 27.6.1991 – Rs. C-348/99, Slg. 1991, I-3277 Rdn. 43; EuGH 3.3.1994 – Rs. C.310/93,Slg. 1994, I-763 Rdn. 13Groh EuZW 2002, 460, 461EuGH 15.12.1995 – Rs. C-515/93 (Bosmann), Slg. 1995, I-4921 Rdn. 59; EuGH 24.09.2002 –Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 30; Groh EuZW 2002, 460, 461W. <strong>Wagner</strong>, FS 50. Jahre Fachanwälte für Steuerrecht e.V., Seite 555, 556W. <strong>Wagner</strong>, FS 50. Jahre Fachanwälte für Steuerrecht e.V., Seite 555, 557


- 124 - 124406Über die Dauer finanzgerichtlicher Verfahren 672) wurde oben das Erforderliche bereitsgesagt. Wird ein Vorlageantrag gestellt und macht das FG von § 100 Abs. 3 FGO Gebrauchbzw. entspricht dem Vorlageantrag oder muß für den Fall der Zurückweisung<strong>des</strong> Vorlageantrages eine Beschwerde gemäß § 128 Abs. 2 FGO ins Auge gefaßt werden,dann verlängert sich dadurch die Verfahrensdauer eines ohnehin langwierigenfinanzgerichtlichen Verfahrens nochmals erheblich. 673) Die durchschnittliche Dauereines Vorabentscheidungsverfahrens beträgt nämlich inzwischen 17,1 Monate. 674)Diese Verfahrensdauer ist zu der vor dem FG bzw. dem BFH hinzuzurechnen.407(4.1.1) Vorlagepflicht <strong>des</strong> FGGemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV ist das FG berechtigt, nicht verpflichtet, dem EuGHvorzulegen. Eine Vorlagepflicht besteht allerdings auch für das FG dann, wenn Sekundärrechtsakteder EU als primärechtswidrig erachtet werden bzw. beim FG Bedenkengegen die Gültigkeit von EU-Recht besteht, ohne daß eine Überzeugung der Nichtigkeitgegeben sein muß. Dies <strong>des</strong>halb, damit die Wahrung der Rechtseinheit undRechtssicherheit <strong>des</strong> EU-Rechts gesichert bleibt. 675)408409410(4.1.2) Vorlagepflicht <strong>des</strong> BFHFür den BFH als letztinstanzliches Gericht besteht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV eineVorlagepflicht. Dies in Fällen entscheidungserheblicher Fragen- der Auslegung der Verträge oder- der über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungenoder sonstigen Stellen der Union,- und falls der BFH von einer Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH abweichen möchte. 676)672)673)674)675)676)Nach BVerfG 28.03.1996 - 1 BvR 1622/89, HFR 1996, 827 stellt überlange Verfahrensdauerkeine Grundrechtsverletzung i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG dar; a. A. im Hinblick auf einen Verstoßgegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, wogegen aber die deutsche Gerichtsbarkeit incl. der <strong>des</strong> BVerfG resistentzu sein scheint: EGMR 16.09.1996 – 57/1995/563/649, EUGRZ 1996, 514; EGMR01.07.1997 – 48-1996-667-853, NJW 1998, 2961; EGMR 01.07.1997 – 125/1996/744/943, NJW1997, 2809; EGMR 25.02.2000 – 29357/95, NJW 2001, 211; EGMR 27.02.2000 – 33379/96,NJW 2001, 213Iglesias NJW 2000, 1889, 1894NJW-Aktuell 2010, Heft 13, Seite 12 - Zur Verfahrensdauer vorheriger Jahre: Groh EuZW 2002,460, 462 u.H.a. Jahresbericht der Gemeinschaftsgerichte 2000, Seite 261; Pache/Knauff NVwZ2004, 16Callies NJW 2013, 1905, 1906 m.w.N.Callies NJW 2013, 1905, 1906 m.w.N.


- 125 - 125411412(4.2) Voraussetzungen <strong>des</strong> Art. 267 AEUV (= Art. 234 EG a.F.)(4.2.1) Begründung eines Vorlageantrages im finanzgerichtlichen VerfahrenGeht es nicht um Fragen der Auslegung von Normen <strong>des</strong> nationalen Rechts sondernum Fragen der Auslegung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts, für die nicht ein nationales Gerichtsondern der EuGH zuständig ist, so stellt sich dann – aber auch erst dann – dieVorlagefrage. 677) Denn das Vorlageverfahren soll verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaateine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit Normen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsnicht in Einklang steht. 678) Alleine das nationale Gericht hat über dieVorlageerheblichkeit zu entscheiden. 679)Folglich ist es wichtig, in einer Klageschrift mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug herauszuarbeiten,welches die gemeinschaftsrechtlichen Bezüge sind, 680) warum die gemeinschaftsrechtlicheFrage entscheidungserheblich ist, warum das FG diese im Rahmenrichtlinienkonformer Auslegung (nicht) selbst beantworten kann 681) /muß bzw.warum das FG die Grenzen richtlinienkonformer Auslegung überschreiten würde undsich <strong>des</strong>halb die Vorlagefrage stellt. 682) Denn das zur Vorlage ersuchte Gericht müßtefür den Fall der Vorlage die Gründe aufzeigen, die für eine Vorlage entscheidungserheblichsind. Es müßte folglich die Gründe für die Wahl von Gemeinschaftsbestimmungenerläutern und ausführen, welcher Bezug zu Bestimmungen der nationalenRechtsordnung besteht. 683) Dann sollte sich ein Prozeßbevollmächtigter es sich zurAufgabe machen, dem auch bereits in seinen schriftsätzlichen Ausführungen zu entsprechen,wenn er eine Vorlage für notwendig und entscheidungserheblich hält. Dabeigilt es zu beachten, dass bei der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschriftnicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen ist, sondern auch die Zusammenhänge undZiele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. 684) Folglich bietet es677)678)679)680)681)682)683)684)EuGH 19.09.2000 – C-454/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 33, 35Beispiele für Vorlagen durch den BFH: BFH 30.11.2000 – V R 30/00, BB 2001, 292; BFH14.12.2000 – V R 54/98, BFH/NV 2001, 565; BFH 21.02.2001 – XI R 29/00, BStBl II 2001, 582;BFH 22.02.2001 - V R 26/00, BFH/NV 2001, 992; BFH 24.04.2001 – VII R 01/00, BFH/NV2001, 1093; BFH 17.05.2001 – V R 34/99, BFH/NV 2001, 1356; BFH 27.09.2001 – V R 32/00,BFH/NV 2002, 143EuGH 24.05.1977 – 107/76, Slg. 1977, 957 Rdn. 5; EuGH 27.10.1982 – 35/82 und 36/82, Slg.1982, 3723 Rdn. 8; EuGH 22.01.2001 – C-393/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 105, 107EuGH 15.05.2003 – Rs. C-300/01 (Salzmann), Slg. 2003, I-4899 Rdn. 30s.u. Rdn. 402 ff.z.B. weil der EuGH bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidunggewesen ist: EuGH 27.03.1963 – Rs. 28 bis 30/62, Slg. 1963, 65, 80; EuGH C-99/00, Schlussantrag<strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn.58Zur Berechtigung bzw. Verpflichtung nationaler Gerichte, dem EuGH von Amts wegen oder aufAnregung von Parteien Fragen nach der Auslegung oder Gültigkeit <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts vorzulegenund der Bindung <strong>des</strong> vorlegenden Gerichts an ein Urteil <strong>des</strong> EuGH im Vorabentscheidungsverfahren:EuGH 14.12.2000 – C-446/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 40, 43EuGH 21.01.2003 – Rs. C-318/00 (Bacardi Martini), EWS 2003, 130 Rdn. 44; EuGH 15.07.2004– Rs. C-315/02 (Lenz), Beilage zu BFH/NV 10/2004, 351 Rdn. 52EuGH 17.11.1983 – 292/82, Slg. 1983, 3781 Rdn. 12; EuGH 21.02.1984 – 337/82, Slg. 1984,1051 Rdn. 10; EuGH 19.09.2000 – C-156/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 98, 101


- 126 - 126413414415416417sich für den Prozeßbevollmächtigten an, schriftsätzlich gegenüber dem FG/BFH einenVorlageantrag auszuformulieren, wobei folgende Angaben zu beachten sind: 685)- Beschreibung <strong>des</strong> tatsächlichen und rechtlichen Rahmens der entscheidungserheblichenFrage sowie Erläuterung, warum das vorlegende Gericht annimmt, aufdie als entscheidungserheblich angesehene Frage komme es für den Ausgang <strong>des</strong>Rechtsstreites an.- Bezüglich <strong>des</strong> rechtlichen Rahmens müssen die maßgeblichen Bestimmungen <strong>des</strong>nationalen Rechts „hinreichend klar und vollständig“ beschrieben werden.- Bezüglich <strong>des</strong> tatsächlichen Rahmens muß die Beschreibung alle die Angabenenthalten, die es dem EuGH ermöglichen soll, dem vorlegenden Gericht einesachdienliche Antwort geben zu können, ob und inwieweit dieser Sachverhaltaufgrund EU-Gemeinschaftsrecht zu würdigen ist.Soll ein Vorlageantrag ferner eine zeitliche Beschränkung <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> EuGH zumGegenstand haben, so sollte dies in dem Antrag zum Ausdruck kommen und auchentsprechend begründet werden. 686)Entspricht das FG oder der BFH dem Vorlageantrag, weil es einer gemeinschaftsrechtlichenKlärung einer Rechtsfrage bedarf, dann ist der EuGH - ggf. in auslegenderÄnderung <strong>des</strong> Vorlageantrages 687) - grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. 688)Denn es besteht zunächst einmal die Vermutung, daß das nationale Gericht die Entscheidungserheblichkeitder Vorlagefrage(n) in dem ihm gegebenen sachlichen undrechtlichen Rahmen richtig beurteilt hat. 689) Und in diesem Zusammenhang kann derEuGH auch auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften eingehen, die in der Vorlagefragenicht angesprochen sind 690) wie es auch Aufgabe <strong>des</strong> EuGH ist, dem nationalenGericht Hinweise zur Auslegung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zu geben, die bei der Entscheidung<strong>des</strong> nationalen Gerichts nützlich sein können, selbst wenn das vorlegende685)686)687)688)689)690)EuGH 17.02.2005 – Rs. C-134/03 (Genova-Voltri), Beilage zu BFH/NV 4/2005, 81 Rdn. 22 f.Dazu Düsterhaus EuZW 2006, 393; Kokott/Henze NJW 2006, 177 m.w.N.EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 146; EuGH 11.07.2002 –Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 32Im Rahmen <strong>des</strong> Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG entscheidet alleine das vorlegendenationale Gericht, welche dem EuGH vorzulegen sind: EuGH 15.12.1995 – Rs. C-415/93(Bosman), Slg. 1995, I-4921 Rdn. 59; EuGH 17.07.1997 – Rs. C-183/95, EuZW 1997, 730;EuGH 06.06.2002 – Rs. C-159/00 (Sapod Audic), Slg. 2002, I-5031 Rdn. 69; EuGH 25.06.2002 –Rs. C-66/00 (Bigi), Slg. 2002, I-5917 Rdn.18; EuGH 10.12.2002 – Rs. C-153/00, WM 2003, 237Rdn. 31; EuGH 09.07.2002 – Rs. C-181/00 (Flightline), Slg. 2002, I-6139 Rdn. 21; EuGH21.01.2003 – Rs. C-318/00 (Bacardi Martini), EWS 2003, 130 Rdn. 41; EuGH 15.05.2003 – Rs.C-300/01 (Salzmann), Slg. 2003, I-4899 Rdn. 29; EuGH 22.05.2003 – Rs. C-18/01 (Korhonen),Slg. 2003, 5321 Rdn. 19; EuGH 04.12.2003 – Rs. C-448/01 (EVN AG, Wienstrom GmbH/ Österreich),NVwZ 2004, 201 Rdn. 74. Aber: Dabei ist der EuGH nicht an die vom vorlegenden Gerichtformulierte Vorlagefrage gebunden, sondern kann sie ggf. umformulieren: EuGH 28. 11.2000 – Rs. C-88/99, NJW 2001, 741, 742EuGH 07.09.1999 – Rs. C-355/97 (Beck und Bergdorf), Slg. 1999, I-4977 Rdn. 22 – 24; EuGH15.05.2003 – Rs. C-300/01 (Salzmann), Slg. 2003, I-4899 Rdn. 31EuGH 12.10.2004 – Rs. C-60/03 (Wolf & Müller), Slg. 2004, I-9553 Rdn. 24; EuGH 07.07.2005– Rs. C-153/03 (Weide), Slg. 2005, I-0000 Rdn. 25; EuGH 23.02.2006 – Rs. C-513/03 (van Hilten-vander Heijden), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 229 Rdn. 26


- 127 - 127418419420Gericht bei der Vorlagefrage darauf nicht eingegangen ist. 691) Eine Zurückweisungeines Vorlageantrages erfolgt nur dann, wenn der EuGH der Meinung ist,- dass es sich um einen konstruierten Rechtsstreit handelt, um den EuGH zu einerEntscheidung zu veranlassen 692) oder- er solle in Wirklichkeit nur dazu veranlaßt werden, Gutachten zu allgemeinenoder hypothetischen Fragen abzugeben 693) oder- er verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für einezweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind 694)oder- wenn das Gemeinschaftsrecht auf den konkreten Sachverhalt weder unmittelbarnoch mittelbar angewandt werden kann, 695)691)692)693)694)695)EuGH 04.03.1999 – Rs. C-87/97 (Gorgonzola), Slg. 1999, I-1301 Rdn. 16; EuGH 07.09.2004 –Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573 Rdn. 38; EuGH 21.02.2006 – Rs. C-419/02 (BUPAHospitals Ltd.), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 273 Rdn. 42; EuGH 23.02.2006 – Rs. C-471/04(Keller Holding), Beilage zu BFH/NV 7/2006, Seite 241 Rdn.26EuGH 25.06.2002 – Rs. C-66/00 (Bigi), Slg. 2002, I-5917 Rdn.19; EuGH 15.07.2004 – Rs. C-315/02 (Lenz), Beilage zu BFH/NV 10/2004, 351 Rdn. 52; EuGH 14.10.2004 – Rs. C-36/02(OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 20 m.w.N.EuGH 06.06.2002 – Rs. C-159/00 (Sapod Audic), Slg. 2002, I-5031 Rdn. 69; EuGH 25.06.2002 –Rs. C-66/00 (Bigi), Slg. 2002, I-5917 Rdn.18; EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana),Slg. 2002, I-8003 Rdn. 31; EuGH 21.11.2002 – Rs. C-436/00 (Riksskatteverk), DStRE2003, 400 Rdn. 27; EuGH 21.01.2003 – Rs. C-318/00 (Bacardi Martini), EWS 2003, 130 Rdn.41; EuGH 22.05.2003 – Rs. C-18/01 (Korhonen), Slg. 2003, 5321 Rdn. 20; EuGH 04.12.2003 –Rs. C-448/01 (EVN AG, Wienstrom GmbH/Österreich), NVwZ 2004, 201 Rdn. 75; EuGH15.07.2004 – Rs. C-315/02 (Lenz), Beilage zu BFH/NV 10/2004, 351 Rdn. 52; EuGH 14.10.2004– Rs. C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 20 m.w.N.; EuGH 21.02.2006 – Rs. C-152/03(Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 15EuGH 16.12.1981 – Rs. 244/80, Slg. 1981, 3045 Rdn. 18; EuGH 15.12.1995 – Rs. C-415/93, Slg.1995, I-4921 Rdn. 61; EuGH 16.01.1997 – Rs. C-134/95, Slg. 1997, I-195 Rdn. 12; EuGH06.06.2002 – Rs. C-159/00 (Sapod Audic), Slg. 2002, I-5031 Rdn. 69; EuGH 25.06.2002 – Rs. C-66/00 (Bigi), Slg. 2002, I-5917 Rdn.18; EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg.2002, I-8003 Rdn. 31; EuGH 10.12.2002 – Rs. C-153/00, WM 2003, 237Rdn. 32 f.; EuGH21.01.2003 – Rs. C-318/00 (Bacardi Martini), EWS 2003, 130 Rdn. 41; EuGH 07.01.2003 – Rs.C-306/99, DStRE 2003, 69 Rdn. 89; EuGH 22.05.2003 – Rs. C-18/01 (Korhonen), Slg. 2003,5321 Rdn. 20; EuGH 14.10.2004 – Rs. C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 20 m.w.N.EuGH 17.07.1997 – C-28/95, Slg. 1997, I-4161 Rdn. 26; EuGH 17.07.1997 – C-130/95, Slg.1997, I-4291 Rdn. 22; EuGH 11.01.2001 – C-1/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 147, 149; EuGH11.01.2001 – C-403/98, Beilage zu BFH/NV 11/2001, 167, 169; EuGH 13.03.2001 – Rs. C-379/98 (Preussen Elektra), Slg. 2001, I-2099 Rdn. 39; EuGH 25.04.2002 – Rs. C-183/00, Slg.2002, 3905 Ziff. 1; EuGH 06.06.2002 – Rs. C-159/00 (Sapod Audic), Slg. 2002, I-5031 Rdn. 69;EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 31; EuGH21.11.2002 – Rs. C-473/00, EuZW 2003, 27, 28; EuGH 21.01.2003 – Rs. C-318/00 (Bacardi Martini),EWS 2003, 130 Rdn. 43; EuGH 07.01.2003 – Rs. C-306/99, DStRE 2003, 69 Rdn. 89;EuGH 15.05.2003 – Rs. C-300/01 (Salzmann), Slg. 2003, I-4899 Rdn. 32; EuGH 04.12.2003 –Rs. C-448/01 (EVN AG, Wienstrom GmbH/Österreich), NVwZ 2004, 201 Rdn. 76; SchlußanträgeGeneralanwalt Jocobs vom 15.11.2001 – Rs. C-306/99 Rdn. 44


- 128 - 128421422423424425weil die mit der Vorlagefrage verfolgte Auslegung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts offensichtlichin keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand <strong>des</strong> Ausgangsverfahrenssteht. 696)Eine Vorlage eines FG zum EuGH setzt jedoch voraus, dass das vorlegende FG füreine zweckdienliche Auslegung von Gemeinschaftsrecht durch den EuGH Gründedafür darlegt, dass eine Beantwortung seiner Frage für die Entscheidung <strong>des</strong> Rechtsstreiteserheblich ist, 697) andernfalls auch daran die Zulässigkeit einer Vorlage scheiternkann. 698) Die Entscheidungserheblichkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Fragefür den Ausgang <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Verfahrens darzulegen, ist daher auch für denProzeßbevollmächtigten anzuraten, um nicht bereits daran eigene Bemühungen imHinblick auf eine in´s Auge gefaßte Vorlage scheitern zu lassen. Dabei muß verdeutlichtwerden, dass die Entscheidungserheblichkeit <strong>des</strong>halb gegeben ist, weil aus imeinzelnen darzulegenden Gründen- es auf eine bestimmte gemeinschaftsrechtliche Frage zwingend ankommt;- eine gemeinschafts- bzw. richtlinienkonforme Auslegung durch das FG zwingendausgeschlossen ist;- nicht mehrere sondern nur eine Auslegung, nämlich die vom EuGH im Zuge derVorlage angestrebte, möglich ist. 699)Von der Frage, ob eine deutsche Norm mit europäischem Gemeinschaftsrecht übereinstimmtund dieserhalb bei Erlass eines belastenden deutschen Steuerverwaltungsaktesim finanzgerichtlichen Verfahren vom FG richtlinienkonform auszulegen ist oder imfinanzgerichtlichen Verfahren eine Vorlage zum EuGH zu beantragen ist, ist die völligandere Frage zu trennen, ob ein Steuerpflichtiger durch eine Scheinrichtlinie oder„echte“ Richtlinie – also nicht durch einen deutschen Steuerverwaltungsakt - selbstunmittelbar und individuell betroffen ist. Hier wird derzeit diskutiert, ob in einem solchenFall der solchermaßen Betroffene nicht zulässigerweise eine Klage direkt zumEuGH bzw. EuGH führen kann. 700)Dieser Komplex hat folglich scheinbar mit der Vorlagefrage im finanzgerichtlichenVerfahren nichts zu tun. Aber es gilt zu bedenken, dass z.B. das Recht, die Unanwendbarkeiteiner Verordnung geltend zu machen, keinen selbständigen Rechtswegzum EuGH begründet, sondern nach <strong>des</strong>sen Rechtsprechung nur einen Inzidentein-696)697)698)699)700)EuGH 22.05.2003 – Rs. C-18/01 (Korhonen), Slg. 2003, 5321 Rdn. 20; EuGH 14.10.2004 – Rs.C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 20 m.w.N.; EuGH 21.02.2006 – Rs. C-152/03 (Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 15EuGH 12.06.1986 – Rs. 98/85 und 258/85, Slg. 1986, 1885 Rdn. 6; EuGH 16.07.1992 – Rs. C-343/90, Slg. 1992, I-4673 Rdn. 19; EuGH 10.12.2002 – Rs. C-153/00, WM 2003, 237Rdn. 34;EuGH 04.12.2003 – Rs. C-448/01 (EVN AG, Wienstrom GmbH/Österreich), NVwZ 2004, 201Rdn. 78EuGH 10.12.2002 – Rs. C-153/00, WM 2003, 237Rdn. 39; EuGH 21.02.2006 – Rs. C-152/03(Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 15EuGH 10.12.2002 – Rs. C-153/00, WM 2003, 237Rdn. 38Dies bejahend Cremer EuZW 2001, 453 u.H.a.


- 129 - 129426427wand in einem anderen Verfahren ermöglicht. 701) Etwas anderes gilt nur dann, wenneine Privatperson durch eine Verordnung unmittelbar und individuell betroffen ist;dann kann besagte Privatperson gemäß Art. 263 Abs. 3 AEUV dagegen vorgehen. 702)Es spricht daher einiges dafür, auch für den Fall einer Scheinrichtlinie bzw. der Frage,ob man selbst und unmittelbar von einer Richtlinie betroffen ist, nur eine Inzidentprüfungzuzulassen, was wiederum in einem Steuerprozess einen Vorlageantrag erfordernwürde, um auf diesem Wege solche Fragen prüfen zu lassen. Denn der EuGH verweistdarauf, Art. 263 AUEV (= Art. 241 EG a.F.) sei Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes,mittels nationaler Gerichte durch ein Vorabentscheidungsverfahren dieFrage der Gültigkeit von Gemeinschaftshandlungen überprüfen zu lassen. 703) EineAusnahme bilde nur Art. 263 Abs. 3 AEUV, wonach eine natürliche Person oder juristischePerson gegen sie ergangene Entscheidungen der Gemeinschaft direkt beimEuGH anfechten kann/muß. 704) Es bedarf folglich einer sorgfältigen Prüfung, ob manauf ein Vorabentscheidungsverfahren mit Vorlageantrag beim FG oder BFH angewiesenist oder ob eine direkte Klagebefugnis zum EuGH wegen Art. 263 Abs. 3 AEUVgegeben ist.Die Anregung an das FG, dem EuGH vorzulegen, könnte schriftsätzlich in der Weiseaufgebaut werden, wie sie auch Gegenstand eine Vorlage und Vorlagebegründungdurch das FG sein könnte: 705)428(4.2.2) Begründung eines Vorlageantrages im NichtzulassungsbeschwerdeverfahrenEntgegen der Meinung <strong>des</strong> BFH 706) ist dieser bei Zugrundelegung der Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH 707) auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zur Vorlage gemäß Art.267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, wenn eine vom EuGH zu klärende gemeinschaftsrechtlicheFrage entscheidungserheblich ist, sofern er nicht die Revision zuläßt, um701)702)703)704)705)706)707)EuGH 14.12.1962 – 31/62 und 33/62, Slg. 1962, 1029, 1042; EuGH 16.07.1981 – 33/80, Slg.1981, 2141 Rdn. 17; EuGH 11.07.1985 – 87/77, 130/77, 22/83, 09/84, 10/84, Slg. 1985, 2523Rdn. 36; EuGH 28.06.1993 – C-64/93, Slg. 1993, I-3595, Rdn. 19; EuGH 15.02.2001 – C-239/99,Beilage zu BFH/NV 8/2001, 150, 153EuGH 25.07.2002 – Rs. C-50/00 P (Union de Pequenos agricultores/Rat), Slg. 2002, I-6677;Lindner NVwZ 2003, 569EuGH 27.09.1983 – 216/82, Slg. 1983, 2771 Rdn. 10 und 12; EuGH 15.02.2001 – C-239/99, Beilagezu BFH/NV 8/2001, 150, 153EuGH 15.02.2001 – C-239/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 150, 153Beispiele: BFH 28.04.2004 – I R 39/04, ZSteu 2004, R-249, R-250 f.; FG Köln 24.06.2004 – 2 K2241/02, ZSteu 2004, R-273, R-274 f.BFH 14.05.2002 - VII B 76/01, n.V. kommt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde eineAussetzung <strong>des</strong> Verfahrens und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nicht in Betracht,weil insoweit nur über den Zugang zum BFH entschieden werde. Nach BFH 12.12.2002 - VII B115/02, BFH/NV 2003, 513 kann aber die Vorlagewürdigkeit ein Revisionszulassungsgrund gemäߧ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (Einheitlichkeit der Rechtsprechung) sein.EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00 (Kenny Roland Lyckeskog) Rdn. 14 – 18: „Stellt sich aber eineFrage nach der Auslegung oder der Gültigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, so istdas oberste Gericht nach Artikel 234 Absatz 3 EG verpflichtet, dem Gerichtshof entweder imStadium der Zulassungsprüfung oder in einem späteren Stadium eine Vorabentscheidungsfragevorzulegen.“


- 130 - 130dort dann die Vorlage zum EuGH vorzunehmen. Dann aber müßte der BFH bereits imNichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Amts wegen prüfen, ob Vorlagegeründe fürihn gegeben sind, auch wenn dazu vom Beschwerdeführer in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründungnichts vorgetragen wurde. Vorsichtshalbe sollte jedoch der Prozessbevollmächtigte<strong>des</strong> Beschwerdeführers bereits in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründungdie für eine Vorlage sprechenden Gründe aufzeigen. 708) Ausreichendist allerdings, daß der Beschwerdeführer in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründungdie Gemeinschaftsnorm und deren Entscheidungserheblichkeit für den Rechtsstreitbenennt. 709) Es ist dann Sache <strong>des</strong> BFH aufgrund <strong>des</strong> Vorrangs <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsund der Prüfungspflicht <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts von Amts wegen 710)auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von sich aus zu prüfen, ob eine Vorlagezum EuGH geboten ist oder die Revision zuzulassen ist. wenn seitens <strong>des</strong> FG gegenGemeinschaftsrecht verstoßen wurde,429430(4.3) AdV für den Fall einer Vorlage zum EuGHDer zum FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung – AdV - (§ 69 FGO)setzt zwar gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO als Zulässigkeitsvoraussetzung 711) voraus,dass das Finanzamt zuvor einen Antrag auf AdV ganz oder teilweise abgelehnt hat.Das finanzgerichtliche AdV-Verfahren gemäß § 69 FGO ist aber kein Rechtsmittelwegen der durch das Finanzamt abgelehnten AdV. Hat das FG einen Antrag auf Aussetzungder Vollziehung - ohne die Beschwerde zuzulassen - abgelehnt, kann einehiergegen erhobene "Beschwerde" nicht als Nichtzulassungsbeschwerde ausgelegtwerden, da die Nichtzulassung der Beschwerde im Gegensatz zur Nichtzulassung einerRevision nicht selbständig angefochten werden kann. 712) In solchen Fällen unterliegenmithin ablehnende Entscheidungen <strong>des</strong> FG keiner weiteren gerichtlichen Kontrolle.713)Im Hinblick auf die Entscheidung <strong>des</strong> EuGH vom 11.01.2001 kann sich folglich dieFrage stellen, ob darin nicht ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Verfassungsgrundsatz<strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes bestehen könnte, denn ein Vorabentscheidungsverfahrengemäß Art. 267 AEUV kann sich auch in Fragen <strong>des</strong> nationalenVerfahrensrechts stellen: 714)„Das Erfordernis der gerichtlichen Überprüfbarkeit aller Entscheidungen einer nationalen Behör<strong>des</strong>tellt nämlich einen allgemeinen Grundsatz <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts dar, der sich ausden gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergibt und in den Artikeln 6 und13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankertist (Urteile vom 15. Oktober1987 in der Rechtssache 222/86, Heylens u. a., Slg. 1987,708)709)710)711)712)713)714)BFH 12.12.2002 - VII B 115/02, BFH/NV 2003, 513Vorwerk FS f. Thode, 2005, Seite 645, 651Vorwerk FS f. Thode, 2005, Seite 645, 651BFH 03.09.1996 - XI S 32/96, BFH/NV 1997, 56; BFH 18.08.1998 - XI S 7/98, BFH/NV 1999,210 BFH 23.05.2000 - IX S 4/00, n.V.BFH 12.02.1996 - III B 47/95, BFH/NV 1996, 753Zur Möglichkeit der außerordentlichen Beschwerde s.o. Rdn. 152 ff.Oexle NVwZ 2002, 1328


- 131 - 1314314324334344354364097, Randnr. 14, und vom 3. Dezember 1992 in der Rechtssache C-97/91, Oleificio Borelli/Kommission,Slg. 1992, I-6313, Randnr. 14).“ 715)Das zuvor zur Überprüfbarkeit behördlicher Entscheidungen ausgeführte muß erstRecht für die Überprüfbarkeit gerichtlicher Entscheidungen gelten. Im Falle <strong>des</strong> § 69FGO gilt es zudem folgen<strong>des</strong> zu bedenken:- Die finanzgerichtliche Verfahrensdauer bis zu einem Urteil <strong>des</strong> FG kann sich auf4 –6 Jahre erstrecken. Eine versagte AdV ohne Rechtsmittelmöglichkeit kann eineaußerordentlich weitgehende belastende Wirkung für den Betroffenen haben.- Die Richter deutscher Finanzgerichte „entstammen“ nahezu ausschließlich ausder Finanzverwaltung. Die richterliche Unparteilichkeit ist vorbelastet. die Zulassungeiner Beschwerde gegen eine abgelehnte AdV ist der Ausnahmefall.Andererseits wird darauf hingewiesen, dass eine Vorlage zum EuGH in einem Verfahren<strong>des</strong> einstweiligen Rechtsschutzes mit dem summarischen Charakter dieses Verfahrensnoch vereinbar sein müsse, was sich jedoch nicht als ernstes Hindernis für eineVorlage im Rahmen eines Verfahrens nach § 69 FGO darstellen dürfte. 716) Dies zusammengenommenführt zu der Frage, ob bei nicht vorgenommener Vorlage und mitdem Ausschluß von Rechtsmitteln gegen ablehnende Beschlüsse <strong>des</strong> FG gem.§ 69 FGO nicht gegen vorgenannte Grundsätze verstoßen wird.Eine ganz andere Frage ist, ob ein Finanzgericht eine AdV gewähren darf, wenn esZweifel hat, ob der angefochtene Bescheid sich mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklangbringen läßt oder das Gemeinschaftsrecht als Grundlage <strong>des</strong> angefochtenenVerwaltungsaktes bedenkenfrei ist. Hier sind die Maßstäbe der Entscheidung <strong>des</strong>EuGH in <strong>des</strong>sen Entscheidung vom 21.02.1991 zu beachten:Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 717) ist es in einem Eilverfahren nicht geboten,die zu entscheidenden Fragen abschließend zu prüfen, vielmehr reicht eine Folgenabwägung.Folglich ist in diese Folgenabwägung mit einzubeziehen, ob und inwieweitdie dem angegriffenen Bescheid zugrunde liegende nationale oder gemeinschaftsrechtlicheNorm vor dem Hintergrund <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts frei von Bedenken ist.Da Problem besteht darin, ob mit einer durch ein FG gewährten AdV (§ 69 FGO) dasFG befugt ist, die Auswirkungen von Gemeinschaftsrecht z.B. bis zum Ende <strong>des</strong>Hauptsacheverfahrens zu suspendieren. Denn dies wäre normalerweise dem EuGHvorbehalten. Der EuGH 718) bejahte eine solche Befugnis <strong>des</strong> FG für den Fall, wennz.B. die Wirksamkeit einer Gemeinschaftsverordnung bestritten werde, die Grundlage<strong>des</strong> nationalen Verwaltungsaktes war. Dann aber muß vergleichbares gelten, wenn esum erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit einer Richtlinie oder um Zweifel an derWirksamkeit einer nationalen Norm im Hinblick auf Gemeinschaftsrecht geht. 719) Gehtes dagegen „nur“ um die Frage, ob ein auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhender715)716)717)718)719)EuGH 11.01.2001 – Rs. C-226/99, n.V.Cordewener DStR 2004, 6, 11BVerfG 04.07.2001 – 1 BvR 165/01, DStR 2002, 322EuGH 21.02.1991 – Rs. C-143/88 und C- 92/89, NVwZ 1991, 460EuGH 21.02.1991 – Rs. C-143/88 und C- 92/89, NVwZ 1991, 460; BFH 30.12.1996 - I B 61/96,BStBl II 1997, 466; BFH 05.02.2001 - I B 140/00, BStBl II 2001, 598; BFH 21.06.2001 – I B141/00, BFH/NV 2001, 1169; FG Niedersachsen 13.07.2004 – 5 V 71/04, DStRE 2005, 725; JannaschNVwZ 1999, 495, 499 f.


- 132 - 132437438439440441442443nationaler Verwaltungsakt gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, dann soll mit demBVerfG das mit der AdV befaßte nationale Gericht darüber entscheiden, ob es demEuGH vorlegt, da es im einstweiligen Rechtsschutz selbst für ein letztinstanzlichesGericht keine Vorlagepflicht gebe. 720)Voraussetzung ist aber mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH, 721) dass das nationale Gericht(FG) davon überzeugt ist, dass aus denen vom Antragsteller genannten Gründenvorgenannte Zweifel zu Recht bestehen.Und hinzu kommen muß, dass- die AdV dringend ist, weil der Antragsteller sonst einen nicht wieder gut zu machendenSchaden erleidet, der kein reiner Geldschaden sein darf, 722)- dem Gemeinschaftsrecht nicht jede Wirksamkeit genommen wird, wenn es nichtsofort angewendet wird,- die AdV nur so lange gewährt werden darf, bis der EuGH selbst abschließendentschieden hat,- weshalb das FG im Hauptsacheverfahren dem EuGH vorzulegen hat.Dieselben Maßstäbe, gelten im Grundsatz auch für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung.723)Hat das FG im Verfahren <strong>des</strong> einstweiligen Rechtsschutzes eine Vorlage verneint (dasFG ist ja gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV nur zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet),die Aussetzung der Vollziehung oder eine einstweilige Anordnung abgelehnt,gegen diese Entscheidung aber die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 FGO zugelassen,dann stellt sich die Frage, ob in Anbetracht der den BFH an sich gemäß Art.267 Abs. 3 AEUV treffenden Vorlagepflicht er prozessual zur Vorlage an den EuGHverpflichtet ist, wenn die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer entscheidungserheblichenVorlagefrage gegeben sind. Dies wird abgelehnt, weil eine Überprüfungder Sach- und Rechtslage im Hauptsacheverfahren möglich sei. 724) Davon macht derBFH Gebrauch. 725)720)721)722)723)724)725)BVerfG 07.12.2006 – 2 BvR 2428/06, NJW 2007, 1521, 1522EuGH 21.02.1991 – Rs. C-143/88 und C- 92/89, NVwZ 1991, 460, 461Von FG Niedersachsen 13.07.2004 – 5 V 71/04, DStRE 2005, 725, 726 für den Fall einer Insolvenzgefahrund zwecks Abwendung von Verrechnungen mit anderen Steuerforderungen bejaht.EuGH 09.11.1995 – Rs. C- 465/93, NJW 1996, 1323Cordewener DStR 2004, 6, 11 u.H.a. eine nicht näher bezeichnete EuGH-Rechtsprechung.BFH 30.12.1996 - I B 61/96, BStBl II 1997, 466; BFH 17.12.1997 – I B 108/97, DStR 1998, 847;BFH 21.06.2001 – I B 141/00, DStR 2001, 1290; BFH 05.02.2001 – I B 140/00, BStBl. II 598;Cordewener DStR 2004, 6, 11


- 133 - 133444445(4.4) HinweiseDie Anregung an das FG bzw. den BFH, einen Vorlageantrag zum EuGH zu stellen,kann entsprechend folgendem Gliederungsschema abgefaßt werden: 726)I. SachverhaltII.III.IV.Widergabe der nationalen und gemeinschaftsrechtlichen NormenEinfachrechtliche Würdigung: Deutsche Norm ist nicht zu beanstandenVerfassungsrechtliche Würdigung: Deutsche Norm ist nicht zu beanstanden,auch verfassungskonforme Auslegung führt nicht zum ZielV. Auf welche bestimmte Frage <strong>des</strong> primären bzw. sekundären Gemeinschaftsrechtskommt es warum zwingend an?VI.VII.VIII.IX.Warum ist eine Normensubstitution bzw. eine gemeinschafts- bzw. richtlinienkonformeAuslegung durch das FG bzw. den BFH zwingend ausgeschlossenist?Warum sind/ist nicht mehrere sondern nur eine - aus der Sicht <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsautonome - Auslegung, nämlich die im Zuge der Vorlage vomEuGH angestrebte, möglich. 727)Entscheidungserhebliche Norm <strong>des</strong> primären/sekundären Gemeinschaftsrechtsund dazu bisher vorhandene Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGHVoten der Generalanwälte zu bisherigen Entscheidungen <strong>des</strong> EuGHX. Auffassung im SchrifttumXI.XII.Folgen für den nationalen Sachverhalt bei Zugrundelegung <strong>des</strong> primären bzw.sekundären Gemeinschaftsrechts unter Berücksichtigung der Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH.Falls Verstoß gegen primäres/sekundäres Gemeinschaftsrecht, Frage derRechtfertigung:Nationale Maßnahmen, die europäische Grundfreiheiten behindern oder wenigerattraktiv machen, können unter folgenden Voraussetzungen zulässig sein:sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewendet werden;sie müssen zwingenden Gründen <strong>des</strong> Gemeinwohls entsprechen; sie müssen zur Erreichung <strong>des</strong> verfolgten Ziels geeignet sein; 728)726)727)728)sehr anschaulich die Vorlageentscheidungen BFH 13.11.2002 – I R 13/02, DStR 2003, 685; BAG06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), DB 2003, 556EuGH 10.12.2002 – Rs. C-153/00, WM 2003, 237 Rdn. 38; zur Auslegung von EU-Recht SchroederJuS 2004, 180EuGH 13.11.2003 – Rs. C-42/02 (Lindmann), Slg. 2003, I-13519 Rdn. 25; EuGH 15.05.2008 –Rs. C-414/06 (Lidl), EuZW 2008, 402 Rdn. 27


- 134 - 134446447448449450sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zielserforderlich ist (Verhältnismäßigkeit). 729)Dabei müssen aber alle aus dem nationalen Recht abgeleiteten Rechtfertigungsgründeauch den Voraussetzungen der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechteentsprechen. 730)Folglich kann ein hinreichend qualifierter Verstoß in folgenden Fällen gerechtfertigtsein:1. Sonderregelung für Ausländer aus Gründen der öffentlichen Ordnung,Sicherheit oder Gesundheit. Der Schutz wirtschaftlicher Interessen fälltnicht unter den Begriff der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit. 731)2. Keine Berufung auf Gemeinschaftsrecht bei mißbräuchlicher oder betrügerischemsich Berufen darauf. 732) Die Wahrnehmung der Möglichkeiten<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zum eigenen Nutzen ist kein Mißbrauch. 733)Mitgliedstaaten haben das Recht, Abhilfe gegen und Schutz vor Missbrauchzu ergreifen, wenn konkrete Anhaltspunkte dazu im Einzelfall gegebensind; abstrakte Wertungen aufgrund eines Gesetzes reichennicht. 734)3. Zwingende Gründe <strong>des</strong> Gemeinwohls. Dazu kann der Schutz von Gläubigerinteressengehören. 735) Dazu kann aber unter engen Voraussetzungenauch gehören, die Kohärenz <strong>des</strong> nationalen Steuersystems zu erhalten. 736)Die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) kann nur aus Gründen <strong>des</strong> Allgemeininteresseseingeschränkt werden. 737)729)730)731)732)733)734)735)736)737)EuGH 31.03.1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rdn. 32; EuGH 30.11.1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rdn. 37; EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg.1999, I-1459 Rdn. 34; EuGH 26.11.2002 – Rs. C-100/01 (Oteiza Olazabal), Slg. 2002, I-10981;EuGH 13.11.2003 – Rs. C-42/02 (Lindmann), Slg. 2003, I-13519 Rdn. 25; EuGH 12.01.2006 –Rs. C-504/04 (Agrarproduktion Staebelow), Slg. 2006, I-679 Rdn. 35; EuGH 05.07.2007 – Rs. C-522/04 (Kommission/Belgien), Slg. 2007, I-5701 Rdn. 47; EuGH 08.05.2008 – Rs. C-491/06(Danske Svineproducenter), EuZW 2008, 411 Rdn. 31; EuGH 15.05.2008 – Rs. C-414/06 (Lidl),EuZW 2008, 402 Rdn. 27Zorn/Twadosz DStR 2007, 2185,2187EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 34EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 24.EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 27EuGH 10.07.1986 – Rs. C-79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375Rdn. 17; EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 24.EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 32 ff.Iüngst: EuGH 18.09.2003 – Rs. C-168/01 (Bosal), Slg. 2003, I-9409 Rdn. 29. Weniger strengEuGH 07.09.2004 – Rs. C-319/02 (Manninen), slg. 2004, I-7477 Rdn. 45, wo er nicht mehr aufder Identität <strong>des</strong> Steuerpflichtigen besteht. Ferner Darstellung m.w.N. bei Albath/WunderlichEWS 2006, 205, 206 f.EuGH 15.05.2008 – Rs. C-414/06 (Lidl), EuZW 2008, 402 Rdn. 27


- 135 - 135451452453454455XIII.Entscheidungserheblichkeit1. Zu erwartende Entscheidung <strong>des</strong> FG/BFH für den Fall der Bejahung derVorlagefrage durch den EuGH.2. Zu erwartende Entscheidung <strong>des</strong> FG/BFH für den Fall der Verneinungder Vorlagefrage durch den EuGH.Für den Fall der Vorlage durch das FG bzw. den BFH zum EuGH gilt es zu beachten,daß beim EuGH seit dem 01.11.2012 eine neue Verfahrensordnung gilt. 738) U.a. istfolgen<strong>des</strong> von Interesse:- Der EuGH kann durch Beschluss die maximale Länge von Schriftsätzen oder vonEingaben, die bei ihm eingereicht werden, festlegen (Art. 58 VerfO).- Der EuGH kann auf mündliche Verhandlung verzichten (Art. 76 Abs. 2 VerfO).Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art. 76 Abs. 1 VerfO)sind daher bezüglich ihrer Notwendigkeit gesondert zu begründen.- Der „unerläßliche Min<strong>des</strong>tgehalt“ eines jeden Vorabentscheidungserduchens – zubeachten von Gerichten, die vorzulegen beabsichtigen – umfaßt:(a) Eine kurze Darstellung <strong>des</strong> Sachverhaltes. (b) Den Wortlaut der einschlägigennationalen Vorschriften und ggf. die einschlägige nationale Rechtsprechung. (c)Eine Darstellung der Gründe, die für das vorlegende Gericht „Zweifel bezüglichder Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften <strong>des</strong> Unionsrechts“begründen.Es könnte sich mithin für den Prozessbevollmächtigten einer Partei, der in einemRechtsstreit vor dem FG bzw BFH die Vorlage zum EuGH anregt, empfehlen, zweierleizu tun: Einerseits dies gegenüber dem FG bzw. BFH zu begründen und andererseitsquasi eine Mustervorlage als Entwurf mit beizufügen.456i) Vorlageantrag zum BVerfGaa)AllgemeinesDurch immer häufigere Änderungen von Steuergesetzen, teilweise sogar von nochnicht in Kraft getretenen, und der damit einhergehenden Belastungssituation gewinnenverfassungsrechtliche Argumente eine immer stärkere Bedeutung. 739) Dies führt dazu,dass es für den Prozeßanwalt lohnenswert sein kann, dann, wenn man mit einer einfachrechtlichenBetrachtungsweise nicht mehr weiter kommt, zu prüfen, ob die gesetzlicheErmächtigungsgrundlage <strong>des</strong> angegriffenen belastenden Steuerverwaltungsaktesverfassungsgemäß ist. 740) Dies vor dem Hintergrund, in dem eigenen schriftsätzlichenVorbringen gegenüber dem FG zu verdeutlichen, warum zur Überzeugung <strong>des</strong>FG die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage als verfassungswidrig angesehen werden738)739)740)29.09.2012 ABl. 2012 L 265/1. Dazu Karpenstein/Eckart AnwBl 2013, 249Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 4*Nach BVerfG 05.05.2003 – 1 BvR 2357/02, NJW 2003, 2738 f. gebietet es der Grundsatz derSubsidiarität, verfassungsrechtliche Einwände bereits im Ausgangsverfahren vorzutragen, selbstwenn es sich um verfassungsrechtliche Einwände gegen eine Norm handelt.


- 136 - 136sollte und <strong>des</strong>halb dieserhalb dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt werdensollte. Immerhin hat sich in der Finanzgerichtsbarkeit inzwischen eine größereAufgeschlossenheit für verfassungsrechtliche Fragen eingestellt, als dies früher derFall war. 741) Dabei erstreckt sich eine solche verfassungsrechtliche Prüfung nicht nurauf eine verfassungsrechtliche Inhaltskontrolle der entscheidungserheblichen gesetzlichenErmächtigungsgrundlage, sondern auch auf einer Verfahrenskontrolle, ob nämlichdas entsprechende Gesetz auch in verfassungsgemäßer Weise zustande gekommenist. 742)457458459460bb)Kriterien für einen VorlageantragBei einem Vorlageantrag zum BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG handelt es sich umkeinen Antrag, den der Kläger beim FG oder BFH stellen könnte, sondern es handeltsich um einen Antrag, den nur das FG oder der BFH selbst gegenüber dem BVerfGstellen könnte. Folglich kann es aus Sicht <strong>des</strong> Klägers nur darum gehen, schriftsätzlichanzuregen, dass im finanzgerichtlichen Verfahren das FG oder im Revisionsverfahrender BFH einen Vorlageantrag zum BVerfG wegen Verfassungswidrigkeit der Norm,auf die es bezüglich <strong>des</strong> streitgegenständlichen Verwaltungsaktes ankommt, stellt.Dazu reicht es aber nicht aus, lediglich verfassungsrechtliche Bedenken zu äußern,vielmehr ist mit großer Sorgfalt vorzugehen, wobei es ratsam sein kann, den angeregtenVorlageantrag samt Begründung quasi vorzuformulieren. Dies hat zugleich die„erzieherische Wirkung“, dass man sich mit all dem befassen muß, mit dem sich auchdas Gericht für den Fall der Vorlage befassen muß. Zu diesem Zweck ist darzulegen,- die konkrete einfachrechtliche Rechtsfrage, um die es geht,- der verfassungsrechtliche Bezug 743) und- Darlegung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur, 744) insbesonderewer aus welchen verfassungsrechtlichen Gründen dieserhalb einen Verstoßgegen das GG annimmt. 745)- Hinzu kommt die Darlegung, warum eine Vorlage <strong>des</strong> BFH zum BVerfG für denvorliegenden Fall entscheidungserheblich sein soll.741)742)743)744)745)Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 4*Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 5* f.z.B. BVerfG 14.01.2004 – 1 BvL 08/03, WM 2004, 339, 340, wonach Gründe anzuführen waren,daß und warum ein gesetzliches Verbot außerhalb einer dem Gesetzgeber überantworteten Regelungsmachtzur Bestimmung von Inhalten und Schranken <strong>des</strong> Eigentums liegen sollten.BVerfG 14.01.2004 – 1 BvL 08/03, WM 2004, 339BFH 02.09.1999 – V B 135/98, BFH/NV 2000, 312; BFH 15.07.2002 – VIII B 65/02, BFH/NV2003, 49


- 137 - 137461462463Wird die Klage darauf gestützt, dass eine entscheidungserhebliche deutsche Norm 746)- auf das Recht der europäischen Gemeinschaft incl. dem sekundären Gemeinschaftsrechtist Art. 100 Abs. 1 GG nicht anwendbar 747) -, auf der der angefochtene Bescheidaufbaut, verfassungswidrig sein soll, so scheint die Erfolgsaussicht der Klage davonabhängig zu sein, dass das FG bzw. der BFH dieserhalb gemäß Art. 100 Abs. 1 GGdem BVerfG die Prüfung der Verfassungswidrigkeit besagter Norm vorlegt. 748) Diessetzt aber voraus, dass das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit derNorm überzeugt ist und nicht nur Zweifel hat 749) und keine verfassungskonforme Auslegungmöglich ist. 750) Ob ein Vorlageantrag schriftsätzlich vorzutragen und zu begründenist, sollte vom Prozeßbevollmächtigten nach folgenden Kriterien beurteiltwerden:(1) Zunächst gilt es, die einfachrechtliche Rechtslage zu beschreiben. Dazu gehörtdie Darlegung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die Gesetzesmaterialien,die einfachrechtliche Rechtsprechung, die Meinung der Finanzverwaltungund das Fachschrifttum. Auch gilt es darzulegen, warum einfachgesetzliche Auslegungen751) oder Analogien auszuscheiden haben, die zu einem anderen Ergebnisführen könnten. 752) Es muß deutlich werden, warum unter Auswertung dieserGrundlagen der streitgegenständliche belastende Verwaltungsakt wohl nicht mitErfolg anzugreifen ist.(2) Sodann gilt es herauszuarbeiten, aufgrund welcher verfassungsrechtlichenGründe das einfachrechtliche Ergebnis zu beanstanden ist. Wird z.B. ein Verstoß<strong>des</strong> angewendeten Steuergesetzes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gerügt,bedarf es einer eingehenden Darlegung, dass und warum der Gesetzgeber seineGestaltungsfreiheit überschritten hat. 753) Dazu ist zusätzlich die Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG und das verfassungsrechtliche Schrifttum auszuwerten. Da eine Vorlagedann nicht möglich ist, wenn eine verfassungskonforme Auslegung derstreitgegenständlichen Norm durch das FG bzw. den BFH möglich ist, 754) hat man746)747)748)749)750)751)752)753)754)BVerfG 22.11.1983 – 2 BvL 5 bis 22/81, BVerfGE 65, 265, 277 m.w.N. . Sehr lesenswert DaraganDStR 2004, 170 f. zur Vorlage <strong>des</strong> BFH 22.05.2002 – II R 61/99, BStBl. II 2002, 598 betreffendweite Teile <strong>des</strong> ErbschaftssteuerrechtsBVerfG 13.03.2007 – 1 BvF 01/05, WM 2007, 1478, 1479; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art.100 Rdn. 1aBeispiel: BFH 18.07.2001 – I R 38/99, BFH/NV 2002, 148BVerfG 08.01.1999 - 1 BvL 14/98, BStBl II 1999, 152; BVerfG 24.08.2000 - 1 BvL 32/94, n.V.;Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Rdn. 10; Sachs/Sturm, GG, Art. 100 Rdn. 14BVerfG 18.12.1984 – 2 BvL 22/82, BVerfGE 68, 337, 344; Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Rdn.10; Sachs/Sturm, GG, Art. 100 Rdn. 14; Lüdemann JuS 2004, 27BVerfG 12.04.1996 - 2 BvL 18/93, NJW 1996, 2086BVerfG 14.03.1996 - 2 BvL 19/94, HFR 1996, 430BFH 06.05.2003 – II B 73/02, BFH/NV 2003, 1185BVerfG 18.12.1984 – 2 BvL 22/82, BVerfGE 68, 337, 344; BVerfG 24.02.1988 – 1 BvL 23/86,BVerfGE 78, 20, 24; BVerfG 14.03.1996 - 2 BvL 19/94, HFR 1996, 430


- 138 - 138464465466467sich an dieser Stelle mit der Frage der verfassungskonformen Auslegung gesondertzu befassen, zu der das FG bzw. der BFH befugt sind. 755)Ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich, so ist dem FG bzw. dem BFHgegenüber darzulegen, dass und warum diese geboten ist. Aber:„Im Wege der Auslegung darf es [das Gericht] allerdings nicht das gesetzgeberische Zielder Norm selbst in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen, an die Stelle derGesetzesvorschrift inhaltlich eine andere setzen oder den Regelungsinhalt erstmals schaffen...“ 756)Der Prozeßbevollmächtigte ist mithin gehalten, die Frage der verfassungskonformenAuslegung schriftsätzlich nach gleichen Kriterien zu behandeln. 757) Kommter zu dem Ergebnis, eine verfassungskonforme Auslegung sei möglich, so scheideteine Vorlage zum BVerfG aus. Kommt er dagegen aus im einzelnen darzulegendenGründen zum Ergebnis, eine verfassungskonforme Auslegung kommenicht in Betracht, so gilt es dann – aber auch erst dann -, sich schriftsätzlich derweiteren Voraussetzungen für eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG anzunehmen.(3) Alsdann gilt es, im einzelnen unter Auswertung der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfGund <strong>des</strong> verfassungsrechtlichen Schrifttums darzulegen, warum die streitgegenständlicheNorm verfassungswidrig sein soll. Vergleichbares kann unter engenVoraussetzungen auch für den Fall gesetzgeberischen Unterlassens gelten. 758) Dabeibietet es sich an, die Begründung nach gleichen Maßstäben vorzunehmen, wiesie das zur Vorlegung angerufene Gericht gegenüber dem BVerfG einhalten müßte(§ 80 Abs. 2 BVerfGG). Der für die rechtliche Beurteilung relevante Sachverhaltund die rechtlichen Erwägungen sind erschöpfend darzulegen. Es ist nichtausreichend, diesen eigenen Vortrag durch Hinweise auf Ausführungen andererGerichte in anderen Verfahren zu ersetzen, es sei denn es handelt sich um allgemeingeteilte Einschätzungen eines anderen Bun<strong>des</strong>gerichtes. 759)(4) Schließlich gilt es, die Entscheidungserheblichkeit der Verfassungswidrigkeit derstreitgegenständlichen Norm für den Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreits darzulegen. Es istfolglich schriftsätzlich darzulegen, warum das Gericht zwingend 760) bei der Verfassungswidrigkeitder Norm bei seiner Entscheidung zu einem anderen Ergebnis755)756)757)758)759)760)BVerfG 18.12.1984 – 2 BvL 22/82, BVerfGE 68, 337, 344; BVerfG 17.08.1995 - 1 BvL 17/85,HFR 1995, 748; FG Baden-Württemberg 19.03.2002 – 1 K 63/00, EFG 2002, 701, 702; FG Niedersachsen16.04.2003 – 7 K 723/98, EFG 2003, 1250, 1251 f.BVerfG 24.02.1988 – 1 BvL 23/86, BVerfGE 78, 20, 24Zur verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen Lüdemann JuS 2004, 27BVerfG 14.03.1996 - 2 BvL 19/94, HFR 1996, 430BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 132; Sachs/Sturm, GG, Art. 100 GG Rdn.20Solange die Möglichkeit besteht, dass das vorlegende Gericht den Rechtsstreit in dem von ihmgewünschten Sinne entscheiden kann, ohne die für verfassungswidrig gehaltene Rechtsnorm anzuwenden,fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Norm: BVerfG,28.06.1983 - 1 BvL 31/82, BVerfGE 64, 251, 254; BVerfG 14.03.1996 - 2 BvL 19/94, HFR 1996,430


- 139 - 139468469470kommen müßte, als im Falle der Gültigkeit der Norm. 761) Dabei kommt es für dieEntscheidungserheblichkeit auf die Entscheidungsformel der anstehenden Entscheidungan. 762) Ausnahmsweise kann es dann auf die Entscheidungsgründe ankommen,wenn diese für die Entscheidungsformel und die sich daraus ergebendenrechtlichen Wirkungen der Entscheidung von Bedeutung sein können. Diesist dann der Fall, wenn die Begründung der anstehenden Entscheidung,„soweit sie ihrerseits von der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Norm abhängt, - unabhängigvom Wortlaut <strong>des</strong> Tenors – für Inhalt und Wirkung der Entscheidung rechtliche Bedeutungzukommt.“ 763)Im letzteren Fall kann mithin eine Entscheidungserheblichkeit der Vorlage wegenvom BVerfG festzustellender Nichtigkeit der Norm auch dann möglich sein,wenn sich am Tenor der anstehenden Entscheidung – ob mit oder ohne Vorlage –nichts ändern würde. Denn in einem solchen Ausnahmefall dürfte das FG bzw.der BFH die Klageabweisung nicht mit der Verfassungswidrigkeit einer Normbegründen. 764)BeispielErgibt erst die Begründung einer Klageabweisung, ob diese auf einer Beachtung der uneingeschränktenBerufsfreiheit abhängt und hängt die Beantwortung dieser Frage von derGültigkeit oder Ungültigkeit der beanstandeten Norm ab, dann ist nicht die Entscheidungsformelfür die Vorlage entscheidungserheblich, sondern in Verbindung mit diesersind es die Entscheidungsgründe. 765)BeispielIm Falle der Gültigkeit einer Norm müßte die Klage als unbegründet, im Falle der Verfassungswidrigkeitdagegen als unzulässig abgewiesen werden, weil dann die klagende Parteials rechtlich nicht existent und nicht als prozeßfähig zu behandeln wäre. 766)471cc)Aussetzung <strong>des</strong> RechtstreitesIst die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG angeregt worden, hat aber das FG bzw. derBFH dem unter Aussetzung <strong>des</strong> Rechtsstreites (§ 74 FGO) nicht Folge geleistet, dannist dies nur dann ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Entscheidung<strong>des</strong> Gerichts willkürlich war. 767)761)762)763)764)765)766)767)BVerfG 06.11.1957 – 2 BvL 12 – 15/56, BVerfGE 7, 171, 173 f.; BVerfG 27.06.1991 – 2 BvL03/89, BVerfGE 84, 233, 236; Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Rdn. 11; Sachs/Sturm, GG, Art. 100Rdn. 15BVerfG 19.04.1977 – 1 BvL 25/76, BVerfGE 44, 297, 301; Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Rdn.12; Sachs/Sturm, GG, Art. 100 Rdn. 15BVerfG 19.04.1977 – 1 BvL 25/76, BVerfGE 44, 297, 301; Jarass/Pieroth, GG, Art. 100 Rdn. 12BVerfG 19.06.1985 – 1 BvL 57/79, BVerfGE 70, 191, 198; BVerfG 17.07.1961 – 1 BvL 44/55,BVerfGE 13, 97, 103BVerfG 17.07.1961 – 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97, 103 f.BVerfG 19.06.1985 – 1 BvL 57/79, BVerfGE 70, 191, 198BVerfG 03.10.1961 – 2 BvR 04/60, BVerfGE 13, 132, 144


- 140 - 140472dd)HinweiseAls Gliederungsschema für eine im Nichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahrenin einem Schriftsatz anzuregende Vorlage zum BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1GG könnte sich nachfolgende Gliederung empfehlen. 768) Dabei sollte man als Prozessanwaltzwecks Arbeitserleichterung für das Gericht in seinem schriftsätzlichen Vortragsich an dem orientieren, was auch das Gericht für den Fall seiner Vorlage gegenüberdem BVerfG beachten müßte. 769) Das vorlegende Gericht muß nämlich die Entscheidungserheblichkeit<strong>des</strong> Sachverhaltes und der tragenden Erwägungen in der Vorlagebegründungohne Hinweis auf beizuziehende Akten verständlich darlegen. 770) DieAnforderungen <strong>des</strong> BVerfG an eine Vorlage durch ein Gericht sind nämlich sehrstreng, da damit einhergeht eine Aussetzung <strong>des</strong> Verfahrens und keine Erledigung <strong>des</strong>Rechtsstreites. 771)A. Benennung der vorlagebedürftigen NormBIGegenstand der Vorlage - Formulierung der VorlagefrageII.Vorlagerelevanter SachverhaltVerfahrensgangIII. Entscheidung <strong>des</strong> FGIV. Vorlagenotwendigkeit aus Sicht <strong>des</strong> Beschwerdeführer/RevisionsklägersC. Begründung (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG)I. Rechtsentwicklung der im Streitfall maßgeblichen Norm – Erwägungen <strong>des</strong>Gesetzgebers 772)II. Einfachrechtliche Rechtslage in Rechtsprechung und Fachschrifttum 773)III. Grenzen der einfachrechtlichen Auslegungsmöglichkeiten, bezogen auf diestreiterhebliche Rechtsfrage 774)IV. Verfassungsrechtliche Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum 775)768)769)770)771)772)773)774)775)BVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48; BFH 16.07.2002 – IX R62/99, BStBl. II 2003, 74; BFH 06.11.2002 – XI R 42/01, BStBl. II 2003, 257Dazu BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466, 467BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466, 467BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466, 467BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466, 467BVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48, 56: Dazu zählt auch: „Richtensich die Bedenken gegen eine Vorschrift, von deren Anwendung die Entscheidung nicht alleineabhängt, müssen die weiteren mit ihr im Zusammenhang stehenden Bestimmungen in die rechtlichenErwägungen einbezogen werden, soweit dies zum Verständnis der zur Prüfung gestelltenNorm oder zur Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit erforderlich ist (BVerfGE 89, 329[337]; stRspr.).“BVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48, 56; BVerfG 20.02.2002 – 2BvL 05/99, BVerfGE 105, 61, 67; BFH 06.11.2002 – XI R 42/01, DStRE 2003, 287,289 f.


- 141 - 141V. Verfassungsrechtliche Rechtsansicht <strong>des</strong> Beschwerdeführers / RevisionsklägersVI. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 776)1. Warum keine verfassungskonforme Auslegung, bezogen auf die streiterheblicheRechtsfrage? 777)2. Warum keine Billigkeitsmaßnahmen? 778)3. Verfassungsrechtliche Entscheidungserheblichkeit 779)4. Überzeugung – nicht nur Zweifel - betreffend Verfassungswidrigkeit derNorm 780)D. Verfahrensaussetzung wegen Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 781)4734744753. Vorbemerkung zur KlagebegründungWie dem Wort „soll“ in § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO zu entnehmen ist, gehört die Klagebegründungnicht zum notwendigen Inhalt einer Klage. Folglich kann seitens <strong>des</strong> FGdem Kläger auch keine Ausschlussfrist nach § 79b FGO zur Einreichung der Klagebegründunggesetzt werden. 782) Eine Klagebegründung entspricht lediglich einer prozessualenMitwirkungspflicht <strong>des</strong> Klägers, ohne deren Einhaltung das FG seiner Sachverhaltserforschungspflicht(76 FGO) nicht nachkommen kann. 783)In der Vorbemerkung der Klagebegründung sind die Schwerpunkte der nachfolgendenKlagebegründung, auf die es ankommt, quasi vor die Klammer zu ziehen. Damit sollfür das Gericht quasi der „rote Faden“ aufgezeigt werden, so dass die nachfolgendeKlagebegründung der Vertiefung <strong>des</strong>sen dient. Das Gericht wird bereits in der Vorbemerkungin verkürzter Form mit den Schwerpunkten der Klagebegründung unddamit <strong>des</strong> eigenen Standpunktes vertraut gemacht.Damit soll Transparenz geschaffen werden. Unter Beibehaltung der oben vorgeschlagenenGliederung der Klageschrift erleichtert sich der Verfasser der Klagebegründungdie Arbeit, wenn er die einzelnen Gliederungspunkte in folgender Reihenfolge ausfülltbzw. ausarbeitet:776)777)778)779)780)781)782)783)BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466, 467BVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48, 56; BFH 06.11.2002 – XI R42/01, DStRE 2003, 287,288 f.BFH 06.11.2002 – XI R 42/01, DStRE 2003, 287,289BVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48, 56; BVerfG 20.02.2002 – 2BvL 05/99, BVerfGE 105, 61, 67: Die Entscheidung <strong>des</strong> vorlegenden Gerichts muß von der Gültigkeitder Norm abhängen; BFH 06.11.2002 – XI R 42/01, DStRE 2003, 287,293BVerfG 03.02.2003 – 1 BvL 11/02 – 13/02, 16/02 und 17/02, NvWZ 2003, 466, 467BFH 06.11.2002 – XI R 42/01, DStRE 2003, 287,293BFH 19.01.2007 – VII B 50/06, BFH/NV 2007, 946, 947BFH 19.01.2007 – VII B 50/06, BFH/NV 2007, 946, 947


- 142 - 142A. Anträge: Als sechstes formulieren.B. Inhaltsverzeichnis Als letztes bearbeiten.C. Vorbemerkung: Als viertes bearbeiten.D. Sachverhalt: Als erstes bearbeiten.E. Prozessuales: Als zweites bearbeiten.F. Materiellerechtliche Begründung: Als drittes bearbeiten.G. Zusammenfassen<strong>des</strong> Ergebnis: als fünftes bearbeiten.4764774784794. SachverhaltDem Finanzamt obliegt die Ermittlung <strong>des</strong> Sachverhaltes von Amts wegen (§ 88 Abs.1 AO), auch bezüglich der dem Kläger günstigen Umstände (§ 88 Abs. 2 AO). DieserGrundsatz wird durch Mitwirkungspflichten der Beteiligten ergänzt (§ 90 AO).Will der Kläger nicht riskieren, im Klageverfahren entgegengehalten zu bekommen, erhabe seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt, 784) ist er gut beraten, den Anforderungenbereits im Vorfeld eines belastenden Verwaltungsaktes und im Einspruchsverfahrenzu entsprechen. In der Darstellung <strong>des</strong> Sachverhaltes einer Klageschrift ist diesaufzuzeigen und zugleich zu verdeutlichen, ob und inwieweit das Finanzamt damitumgegangen ist.Bei der Sachverhaltsaufklärung ist zwischen § 90 Abs. 1 AO einerseits und § 90 Abs.2 AO andererseits zu unterscheiden: Bei § 90 Abs. 1 AO wird der Sachverhalt durchdas Finanzamt bzw. Finanzgericht aufgeklärt. Die sonstigen Verfahrensbeteiligtensind nur zur Mitwirkung bei der Ermittlung <strong>des</strong> Sachverhalts verpflichtet (§ 90 Abs. 1Satz 2 AO). Anders im Fall <strong>des</strong> § 90 Abs. 2 AO. Bezüglich der Vorgänge außerhalbder AO hat der Kläger und nicht das Finanzgericht den Sachverhalt aufzuklären unddie erforderlichen Beweismittel zu beschaffen, andernfalls das Finanzamt von demSachverhalt als wahrscheinlich ausgehen darf, wie er sich ihm unter Berücksichtigungvorliegender Beweismittel darstellt. 785) Diese Unterscheidung ist nicht auf das finanzamtlicheVerfahren begrenzt, da § 90 Abs. 2 AO gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO auchim finanzgerichtlichen Verfahren gilt.In der Darstellung <strong>des</strong> Sachverhaltes sollte unterschieden werden zwischen der Darstellung<strong>des</strong> steuerlich relevanten Sachverhaltes und der Beschreibung der bisherigenVerfahrensabläufe. Bei der Beschreibung <strong>des</strong> Sachverhaltes gilt es nicht nur, diesenaus eigener Sicht vollständig und unter Benennung von Beweismitteln 786) zu beschrei-784)785)786)BFH 11.12.2003 – V B 102/03, BFH/NV 2004, 649BFH 14.01.2000 - VIII B 72/99, n.V.; BFH 09.05.2006 – XI B 104/05, BFH/NV 2006, 1801,1803Ungeachtet der Amtsermittlungspflicht <strong>des</strong> FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) muß im finanzgerichtlichenVerfahren schriftsätzlich nicht nur der Sachverhalt dargestellt werden und ein eventuellerVorwurf fehlerhafter oder unterlassener Sachverhaltsaufklärung <strong>des</strong> Finanzamtes verdeutlichtwerden, es müssen vielmehr auch gebotene Beweisanträge gestellt werden: BFH 25.02.2002 – XB 124/01, BFH/NV 2002, 784, 785


- 143 - 143480481482483ben, sondern auch darum, aufzuzeigen, warum die Sachverhaltsdarstellung <strong>des</strong> Finanzamtesoder <strong>des</strong> Betriebsprüfungsberichtes unzutreffend bzw. unvollständig ist. 787)Denn seiner Aufklärungspflicht wird ein Gericht in der Regel nur dort nachkommen,wo es Anhaltspunkte geliefert bekommt. 788) Hinzu kommt, im einzelnen darzulegen,dass der Kläger bereits im Vorfeld <strong>des</strong> belastenden und angegriffenen Verwaltungsaktessowie im Einspruchsverfahren das Finanzamt über die für die Besteuerung erheblichenTatsachen vollständig und wahrheitsgemäß unterrichtet hat und dazu Beweismittelangegeben hat (§§ 90, 200 AO), 789) das Finanzamt aber gleichwohl imRahmen seines pflichtgemäßen Ermessens von diesen angebotenen Beweismittelnnicht davon Gebrauch gemacht hat (§ 92 AO), womit die Pflichtwidrigkeit bzw. derErmessensfehlgebrauch darzulegen ist.Das Finanzamt trifft für alle belastenden und entlastenden Umstände eine Amtsermittlungspflicht(§ 88 AO). Es kann sich daher empfehlen, im Anschluß an das zuvorAusgeführte darzulegen, ob und inwieweit das Finanzamt seiner diesbezüglichenAmtspflicht nicht nachgekommen ist. Mit dem oben ausgeführten sollte bereits imEinspruchsverfahren die Sachverhaltsfrage umfassend thematisiert werden und dasFinanzamt an seine Amtsermittlungspflichten erinnert werden. War dies geschehen,dann fällt es um so leichter, in der Klagebegründung darauf Bezug zu nehmen und zuverdeutlichten, dass und inwieweit sich das Finanzamt dem gleichwohl entzogen hat.Und dann ist das FG auch gehalten, auf Grund <strong>des</strong> ihn treffenden Untersuchungsgrundsatzesdiesen offen gebliebenen Fragen nachgehen zu müssen, ohne sich demmit der vom BFH gebilligten Begründung entziehen zu können, der Steuerpflichtigehabe es an der ihn treffenden Mitwirkungshandlung fehlen lassen. 790) Unabhängig vondem zuvor Ausgeführten empfiehlt es sich, in einem eigenen Abschnitt vorzutragen,wie die objektive Beweislast = Feststellungslast verteilt ist.Auf diese kommt es nämlich dann an, wenn trotz Sachverhaltserforschung durch dasGericht Unklarheiten verbleiben und daher der Sachverhalt nach wie vor nicht sicherfeststeht. 791) Die Feststellungslast regelt folglich, wer den Nachteil der Unsicherheitbei der Sachverhaltsaufklärung zu tragen hat.- Zunächst muß das Finanzamt bzw. das FG von Amts wegen den Sachverhalt aufklären(§ 88 AO) und muß sich dabei der in der AO geregelten Möglichkeiten bedienen(§ 76 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO). 792)787)788)789)790)791)792)Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 29 f.Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 30BFH 10.05.2001 - I S 3/01, BFH/NV 2001, 957. Zur erweiterten Mitwirkungspflicht eines Steuerpflichtigenbei Sachverhalten, die sich im Ausland abspielen (§ 90 Abs. 2 AO), siehe BFH07.11.2002 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861, 864BFH 09.12.1998 - IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900; BFH 25.11.1999 - VII S 19/99, BFH/NV2000, 551BFH 22.01.1985 – VIII 29/82, BStBl. II 1985, 344; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht,Seite 31BFH 23.03.2011 – X R 44/09, BFH/NV 2011, 1607 Rdn. 18


- 144 - 144484485486- Gelingt dies nicht (gänzlich), muß das FG überlegen, ob es nicht bei demjenigen,dem die Beweislast obliegt, das Beweismaß auf die „größt mögliche Wahrscheinlichkeit“reduziert. 793)- Und als ultima ratio steht eine Entscheidung <strong>des</strong> FG unter Berücksichtigung derFeststellungslast an. 794)- Das Finanzamt trägt die Feststellungslast für steuerbegründende bzw. steuererhöhendeTatsachen, 795) wobei allerdings vor dem Hintergrund <strong>des</strong> § 90 Abs. 2 AObei Sachverhalten mit Auslandsbezug durchaus eine Umkehr der Feststellungslasteintreten kann. 796) Eine solche Umkehr der Feststellungslast bei Auslandsbezug<strong>des</strong> Sachverhaltes wird allerdings verneint, wenn ein Fall der Unzumutbarkeit gegebenist. 797) Nicht ausreichend wird in dieser Rechtsprechung allerdings berücksichtigt,dass, soweit die Erhebung der Steuern vom Einkommen und Vermögensowie der Umsatzsteuer und der harmonisierten Verbrauchsteuern betroffen ist,eine Amtshilfe innerhalb der EG auf der Grundlage einer Gemeinschaftsrichtlinie(EG-Amtshilfe-Richtlinie) 798) stattfindet, die in Deutschland durch das EG-Amtshilfe-Gesetz (EG-AmtshilfeG) umgesetzt wurde. 799) Vor diesem Hintergrundist es zunächst einmal Sache <strong>des</strong> Finanzamtes, der eigenen Amtsermittlungspflicht<strong>des</strong> § 88 AO unter Berücksichtigung <strong>des</strong>sen zu entsprechen.Dieserhalb hat der BFH 800) dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt, ob ein Finanzamt– insbesondere wegen § 90 Abs. 2 AO – die Amtshilfe nur in Anspruch nehmenkann oder muss.793)794)795)796)797)798)799)800)BFH 23.03.2011 – X R 44/09, BFH/NV 2011, 1607 Rdn. 19f.BFH 15.02.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH 16.12.1992 – X R 77/91, BFH/NV 1993,547; BFH 09.06.2005 – IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; BFH 21.12.2004 – I B 128/04,BFH/NV 2005, 994; BFH 23.03.2011 – X R 44/09, BFH/NV 2011, 1607 Rdn. 17BFH 10.06.1999 - IV R 21/98, BStBl II 1999, 715; BFH 20.07.1999 - VII R 111/98, BStBl II1999, 803; BFH 23.07.2003 – I R 29/02, BStBl. II 2003, 930BFH 07.07.1983 – VII R 43/80, BStBl. II 1983, 760, 761; BFH 09.07.1986 – I B 36/86, BStBl. II1987, 487; BFH 07.11.2002 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861, 864BFH 07.11.2002 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861, 864Richtlinie 77/799/ EWG <strong>des</strong> Rates v. 19.12.1977, ABlEG 1977 Nr. L 336/15, geändert durchRichtlinie 79/1070/ EWG v. 6.12.1979, ABlEG 1979 Nr. L 331/8, und Richtlinie 92/12/ EWG v.25.2.1992, ABlEG 1992 Nr. L 76/1 (13) über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigenBehörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern.Art. 2 <strong>des</strong> Steuerbereinigungsgesetzes 1986 v. 19.12.1985, BGBl. I, 2436, 2441; geändert durchArt. 4 Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz v. 25.8.1992, BGBl. I, 1548, 1560, geändert durchArt. 10 Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz v. 21.12.1992, BGBl. I, 2150, 2205, geändert durchGesetz v. 12.7.1996, BGBl. I, 962, 976, zuletzt geändert durch das JStG 1997 v. 20.12.1996,BGBl. I, 2049.BFH 09.06.2007 – XI R 56/05, ZSteu 2007, R-620, R-623 f.


- 145 - 145487488489490- Der Steuerpflichtige trägt die Feststellungslast für steuermindernde bzw. steuereinschränkendeUmstände. 801)Es ist folglich sinnvoll, sicherheitshalber sich zu Fragen der objektiven Beweislast(Feststellungslast) zu äußern. So trägt z.B. das Finanzamt die objektive Beweislast(Feststellungslast), wenn es einen bestandskräftigen Steuerbescheid nachträglich gemäߧ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert hat. Dies bezieht sich sowohl darauf, dassdie für die Änderung <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungenvorgelegen haben und die Ursächlichkeit dieser neuen Tatsachen 802) gegeben ist – dasFA also bei Kenntnis dieser neuen Tatsachen schon damals anders entschieden hätte803) - wie auch darauf, dass dem Finanzamt die entsprechenden Tatsachen erst nachträglichbekannt geworden sind. 804) Dies ist nämlich auch <strong>des</strong>halb wichtig, weil für denFall eines non liquet das Finanzamt, wenn es seiner ihn treffenden Feststellungslast indiesen zwei Punkten nicht entsprochen hat, die Änderung nicht hätte vornehmen dürfen.805)Mit der Frage der Feststellungs- bzw. Beweislast sollte man sich gesondert aber auchbefassen, um aufzuzeigen, wer diese im vorliegenden Fall hat, und welche Folgendaraus zu ziehen sind. Dies aus zwei Gründen:- Es ist auf diese Weise herauszuarbeiten, was die Entscheidungserheblichkeit<strong>des</strong> Falles ausmacht. Ist es eine Sachverhaltsfrage, bei der die Beweis- bzw. Feststellungslasteine entscheidende Rolle spielt oder ist es eine Auslegungsfrage betreffendeine bestimmte Norm?- Die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH zur Frage, ob die Verkennung der Beweis- bzw.Feststellungslast einen Verfahrensfehler im Sinne <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGOdarstellt, scheint nicht einheitlich zu sein. So wird einerseits vom BFH 806) vertreten,eine Verkennung der Feststellungs- bzw. Beweislast durch das FG sei keinVerfahrensfehler, sondern ein materiellrechtlicher Fehler, der keinen Nichtzulassungsbeschwerdegrundgemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist und keine Revisionszulassungeröffne. Wenn also das FG die angebotenen Beweise unzutreffend gewürdigtoder die Grundsätze der Verteilung der Beweislast fehlerhaft angewandthabe, handele es sich nach dieser Rechtsprechung um einen materiellrechtlichenFehler. Andererseits wird iudiziert, es handele sich um eine Verletzung der801)802)803)804)805)806)BFH 07.12.1999 - VIII R 8/98, BFH/NV 2000, 825; BFH 03.08.2000 - VI B 72/00, n.V.BFH 12.05.2009 – IX R 45/08, BFH/NV 2009, 1856 f.: Die Feststellung der Verfassungswidrigkeiteines Steuergesetzes durch das BVerfG soll keine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO sein.BFH 31.01.2006 – II B 33/05, BFH/NV 2006, 911BFH 19.05.1998 – I R 140/97, BStBl. II 1998, 599; BFH 23.01.2002 – XI R 55/00, BFH/NV2002, 1009, 1010BFH 23.01.2002 – XI R 55/00, BFH/NV 2002, 1009, 1010BFH 19.02.2002 - V B 52/01, BFH/NV 2002, 956, 957


- 146 - 146491492Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bzw. Beweiserhebung, 807) wenn es sich umentscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel handele. 808) Dies könneauch dann der Fall sein, wenn das FG bei Anwendung einer Norm <strong>des</strong> Gerichtsverfahrensrechtsdie Beweislastverteilung verkannt habe. 809) Wenn es letztlich beieinem Rechtsstreit auf die Frage der Beweislastverteilung ankommen könnte,lohnt es sich, sich mit dieser Streitfrage bereits in der Klagebegründung zu befassen,um für den Fall der hilfsweise Beantragung der Zulassung der Revision inder Begründung eines solchen Hilfsantrages diese Thematik auch vor dem Hintergrund<strong>des</strong> § 115 Abs. 2 FGO abzuhandeln.Dies alles insbesondere auch <strong>des</strong>halb, um gegebenenfalls zu verdeutlichen, ob abweichendvon dem zuvor Dargelegten ein Ausnahmefall der Umkehr der Feststellungslastgegeben sein kann. 810)Unabhängig von der Feststellungslast sollte jedoch stets bedacht werden, dass derKläger die Pflicht <strong>des</strong> vollständigen und wahrheitsgemäßen Vortrages sowie die derAngabe von Beweismittel hat (§ 90 AO) wie auch umgekehrt das Finanzamt diePflicht hat, angegebenen Beweisen nachzugehen (§ 92 AO). Die Feststellungslaständert an diesen Vorgaben nichts, sondern wirkt sich erst dann aus, wenn der besteuerungsrelevanteSachverhalt sich nicht endgültig klären läßt.4934944955. Verfahrensrechtliche BegründungSoweit dem Finanzamt Verfahrensfehler unterlaufen sind, die auch nicht im Einspruchsverfahrenbehoben wurden, wären diese hier gegliedert darzustellen. Dabei istzwischen solchen zu unterscheiden, die zur Rechtswidrigkeit und solchen, die zurNichtigkeit <strong>des</strong> angegriffenen Verwaltungsaktes führen.Ob man in einer Klagebegründung Verstöße gegen steuerliches Verfahrensrecht rügt,kann von vielerlei Fragen abhängig sein.- Zunächst einmal davon, ob ein Verstoß gegen einfachrechtliche Normen vorliegt.Denn sowohl die Finanzverwaltung wie auch die Finanzgerichte sind an die Gesetzegebunden (Art. 20 Abs. 3 GG).807)808)809)810)BFH 06.06.2001 – II R 07/98, BFH/NV 2002, 28, 30; BFH 13.09.2001 – III B 26/01, BFH/NV2002, 208; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125. Nach BFH05.09.2001 – XI B 04/01, BFH/NV 2002, 65 verlangt die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflichteine Darlegung, warum sich dem FG die Heranziehung eines entsprechenden Beweismittelshätte aufdrängen müssen. So auch BFH 23.10.2001 – XI B 64-67/01, BFH/NV 2002,371, 372. - Und bei Rüge <strong>des</strong> Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht soll nach BFH14.09.2001 – XI B 39/01, BFH/NV 2002, 209, ausgehend vom Standpunkt <strong>des</strong> FG – „mag dieserRechtsstandpunkt richtig oder falsch sein“ - die Entscheidungserheblichkeit <strong>des</strong> Verfahrensmangels„näher“ dargelegt werden.Die fehlerhafte Beweiswürdigung ist eine Frage <strong>des</strong> materiellen Rechts und nicht <strong>des</strong> Prozessrechts:BFH 23.10.2001 – XI B 64-67/01, BFH/NV 2002, 371, 372BFH 20.12.2001 – X B 91/01, BFH/NV 2002, 775; BFH 27.06.2002 – VII B 268/01, BFH/NV2002, 1595BFH 21.12.2001 – VIII B 132/00, BFH/NV 2002, 661; a.A. BFH 19.02.2002 - V B 52/01,BFH/NV 2002, 956, 957BFH 23.02.1999 - IX R 19/98, BStBl II 1999, 407; BFH 02.03.1999 - VII B 190/98, BFH/NV1999, 1183


- 147 - 147496497498499- Sodann, ob ein Verstoß gegen Grundrechte gegeben ist. Denn nicht nur dasBVerfG bzw. Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichte sind dafür zuständig, Grundrechtsverletzungenzu korrigieren, sondern auch die Finanzgerichte selbst.- Und schließlich sind bezüglich <strong>des</strong> steuerlichen Verfahrensrechts auch die Verfahrensvorgaben<strong>des</strong> Art. 6 EMRK zu beachten, bei deren Nichtbeachtung ebenfallsdie Finanzgerichte zur Korrektur aufgerufen sind.Es geht folglich an dieser Stelle der Klagebegründung (noch) nicht darum, aufzuzeigen,welche Möglichkeiten der Nichtzulassungsbeschwerde, Revision, Verfassungsbeschwerdezum BVerfG und/oder dem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht und der Klage zumEGMR bestehen, sondern es geht um etwas anderes: Dem Finanzgericht aufzuzeigen,warum Verfahrensverstöße gerügt werden und warum das Finanzgericht gehalten ist,diese zu korrigieren. Derzeit wird bezüglich der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR für nationaleGerichte keine Bindungswirkung beigemessen, aber werden solche Verstößegerügt, durch die nationalen Gerichte nicht behoben und später vom EGMR beanstandet,kann dies zu einem Schadensersatzanspruch gegen die Bun<strong>des</strong>republik Deutschlandführen. 811) Es ist folglich nicht wertlos, bei Verstößen gegen die EMRK oder dieRechtsprechung <strong>des</strong> EGMR diese auch im finanzgerichtlichen Verfahren zu rügen.Soweit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK von „zivilrechtlichen Ansprüchen“ spricht, fallendarunter nach dem Verständnis <strong>des</strong> EGMR alle Ansprüche, die ein Vermögensrechtoder einen Eingriff in ein Vermögensrecht betreffen, ohne dass es darauf ankommt, obein Beteiligter Träger öffentlicher Gewalt ist und welchem Rechtsgebiet die streitigeNorm angehört. 812)811)812)Hahn DStZ 2001, 453, 454 f.EGMR 28.06.1978 – C (78) 31, NJW 1979, 477: „ ... Ob ein Rechtsanspruch als zivilrechtlich imsinne dieses Ausdrucks der Konvention anzusehen ist, bestimmt sich zwar nicht nach seiner juristischenBezeichnung im inländischen recht, aber in der Tat nach dem materiellen Gehalt und denRechtsfolgen, die dieser Anspruch im Recht <strong>des</strong> betroffenen Staates hat. ... Zum Anwendungsbereichvon Art. 6 I hat der Gerichtshof im Ringeisen-Urteil vom 16.07.1971 entschieden, dass esfür die Anwendbarkeit von Art. 6 I auf einen Streitfall „nicht erforderlich ist, dass die beiden Parteien<strong>des</strong> Rechtsstreites Privatpersonen sind ... “ Der EGMR (aaO Seite 478) ließ bezüglich <strong>des</strong>vor dem Verwaltungsgericht geführten Rechtsstreites offen, „ob der Begriff „zivilrechtliche Ansprücheoder Verpflichtungen“ im Sinne dieser Vorschrift über Rechte privater Natur hinausgeht.“die Kommission vertrat die Auffassung, dass der Begriff der „zivilrechtlichen Ansprücheund Verpflichtungen“ nicht alleine unter Bezug auf das inländische Recht <strong>des</strong> belangten Staatesinterpretiert werden könne.Hahn DStZ 2001, 453, 456; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971 f.


- 148 - 148500501502Folglich war streitig, ob auch das Steuerrecht dem Begriff „zivilrechtliche Ansprüche“i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK unterfiel. 813) Soweit, dem entgegenstehend, Teile derRechtsprechung und Teile <strong>des</strong> Fachschrifttums meinten, Art. 6 Abs. 1 EMRK sei aufdas Steuerverfahrensrecht nicht anwendbar, weil dort der Begriff „zivilrechtliche Ansprüche“verwandt werde, 814) hatte man sich ersichtlich nicht mit dem HinweisHahn´s 815) befaßt, dass diese im deutschen Recht eindeutige Terminologie im Kontextder EMRK eine andere Bedeutung hat, nämlich die zuvor dargelegte. 816)Inzwischen scheint diese Frage aber durch eine neuere Entscheidung <strong>des</strong> EGMR geklärt.Demnach seien Steuerstreitigkeiten keine Streitigkeiten über „zivilrechtlicheAnsprüche und Verpflichtungen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK, so daß Art. 6Abs. 1 EMRK weder im Steuer- noch im Steuerverfahrensrecht anwendbar wäre. 817)Allerdings verweisen 6 Richter <strong>des</strong> EGMR in ihrer dissenting opinion darauf, daß ananderer Stelle der EGMR abweichend entschieden habe:„So hat der Gerichtshof im Fall Building Societies/Vereinigtes Königreich (EGMR, Slg. 1997-VII, S. 2325) entschieden, dass Verfahren über die Rückzahlung von Steuern, die auf Grundaufgehobener Steuervorschriften gezahlt worden waren, im Hinblick auf den finanziellen Aspekt„zivilrechtlich“ seien und hinzugefügt: „dieser Schluss wird nicht dadurch in Frage gestellt,dass die in jenen Verfahren geltend gemachten Ansprüche ihren Ursprung in Steuergesetzenhaben und in der Steuerpflicht der klagenden Unternehmen nach diesen Gesetzen“ (s.EGMR, Slg. 1997-VII, Nr. 97 – Building Societies/Vereinigtes Königreich).“ 818)Und weiter führen besagte 6 Richter <strong>des</strong> EGMR in ihrer dissenting opinion aus:„Art. 6 EMRK ist eine Verfahrensgarantie, die vorrangig das Recht auf Zugang an ein Gerichtund das Recht auf gerichtliche Entscheidung in einem fairen Verfahren und innerhalb angemessenerFrist gewährleistet. In dieser Hinsicht haben tatsächlich im Bereich <strong>des</strong> Steuerwesens813)814)815)816)817)818)Eher bejahend: BFH 13.09.1991 - IV B 105/90, BStBl II 1992, 148; BFH 09.11.1998 - III B63/98, BFH/NV 1999, 642; Hahn DStZ 2001, 453, 456 f.; Hahn DStZ 2001, 501, 502 f. Lansnikker/SchwirtzekNJW 2001, 1969, 1971. Offen gelassen in BFH 12.12.1995 - VIII R 59/92, BStBlII 1996, 219: „Der Senat läßt offen, ob und unter welchen Voraussetzungen aus Art.6 Abs.1 derMenschenrechtskonvention (MRK) i.V.m. Art.103 Abs.1 GG und § 96 Abs.2 FGO sich nicht nurein Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern auch ein Anspruch auf rechtzeitiges Gehör ableitenläßt (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469, BStBl II1992, 148, und vom 20. Mai 1994 XI B 63/93, BFH/NV 1994, 605; ggf. auch Beschluß <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts--BVerfG-- vom 7. Januar 1992 1 BvR 1490/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung--HFR-- 1992, 727).“ Offen gelassen ferner in: BFH 31.07.1991 - I R 143/90,BFH/NV 1992, 431; FG Niedersachsen 25.01.1995 - VI 631/90, n.V.BFH 13.12.1995 - XI R 43-45/89, BStBl II 1996, 232; BFH 21.03.1996 - XI R 82/94, BStBl II1996, 518; BFH 29.07.1996 - V B 56/96, BFH/NV 1996, 924; BFH 25.11.1998 - IV B 10/98,BFH/NV 1999, 655; BFH 31.07.2003 – IX E 06/03, BFH/NV 2003, 1603; BFH 01.04.2004 – XB 62/03, n.V.; BFH 09.05.2007 – X B 33/05, BFH/NV 2007, 1466, 1468; HessFG 16.07.1998 - 4K 2594/94, EFG 1999, 486; Gräber/von Groll, FGO, § 76 Anm. 5; Suhrbier-Hahn DStR 2001,467, 471Hahn DStZ 2001, 453, 456 f.; Hahn DStZ 2001, 501, 502 f.Dazu, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK im Steuerhinterziehungsverfahren gilt, siehe EGMR 03.05.2001– 31 827/96, NJW 2002, 499, 501EGMR 12.07.2001 – 44759/98, NJW 2002, 3453, 3454 mit abweichenden Meinungen der RichterLorenzen, Rozakis, Bonello, Straznicka, Birsan, FischbachAbweichenden Meinungen der Richter Lorenzen, Rozakis, Bonello, Straznicka, Birsan, FischbachNJW 2002, 3453, 3456


- 149 - 149503erhebliche Entwicklungen seit der Ausarbeitung der Konvention stattgefunden. Während esdamals in einigen Rechtsordnungen zweifelhaft war, inwieweit Verwaltungsakte in steuerlichenAngelegenheiten durch ein Gericht überprüft werden konnten – wenn überhaupt -, istheute zumin<strong>des</strong>t in der großen Mehrheit der Vertragsstaaten anerkannt, dass Streitigkeiten inSteuersachen in einem ordentlichen Verfahren von einem Gericht entschieden werden können.Daher ist es schwer einzusehen, weshalb es immer noch notwendig sein soll, dem Staat indiesem Bereich ein besonderes Vorrecht im Rahmen der Konvention einzuräumen und so demBürger in Steuersachen die elementaren Verfahrensgarantien <strong>des</strong> Art. 6 I EMRK zu versagen.Wie unter anderem Richter Ress in seiner Zustimmenden Meinung aufzeigt, besteht die klareNotwendigkeit, solch einen Schutz zu gewähren – nicht zuletzt gegen langdauernde Verfahrenverbunden mit der Pflicht, Steuern zu zahlen, bevor eine Streitigkeit über die Rechtmäßigkeit<strong>des</strong> Steuerbescheids schließlich entschieden ist. Meiner Ansicht nach gibt Art. 1 Zusatzprotokollnichts her für die Annahme, dass die Absicht bestanden hätte, dem Staat das Recht zugeben, dem Einzelnen jeden verfahrensrechtlichen Schutz in Steuersachen zu verweigern. Wiesoll es gerechtfertigt sein, der Kontrolle <strong>des</strong> Gerichtshofs die in Art. 6 I EMRK garantiertenVerfahrensrechte für eine Streitigkeit zu entziehen, deren Gegenstand in direkter Verbindungzu einem zivilrechtlichen Aspekt steht (in diesem Fall der Schutz <strong>des</strong> Eigentums)? Eine solcheAuslegung wiederliefe auch der sich ständig entwickelnden Rechtsprechung <strong>des</strong> Gerichtshofs,wonach materielle Vorschriften der Konvention, wie Art. 2, 3 und 8, dahin auszulegen sind,dass sie dem Staat auch verfahrensrechtliche Verpflichtungen auferlegen.Darüber hinaus ist es schwierig zu erklären, weshalb eine ausdehnende Auslegung von Art. 6 IEMRK, bezogen auf seinen „zivilrechtlichen“ Aspekt, wegen der Notwendigkeit unmöglichist, dem Staat Vorrechte in Steuerfragen zu erhalten, während der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung,wonach Steuerstreitigkeiten unter den „strafrechtlichen“ Aspekt in den Geltungsbereichvon Art. 6 I EMRK fallen, recht weit gegangen ist. Seit seinem Urteil im Fall Bendenoun/Frankreich(EGMR, 1994, Serie A, Bd. 284) hat der Gerichtshof ständig Verfahren überSteuerstreitigkeiten als „strafrechtlich“ („criminal“/„caractère pénal“) angesehen, wenn Bußgelderin Steuerstrafverfahren, Steuererhöhungen oder –aufschläge usw. zum Zweck der Abschreckungoder Bestrafung verhängt worden waren, oder sogar dann, wenn nur die Gefahrbestand, dass es zu solchen Maßnahmen kam (s. zuletzt EGMR, NJW 2002, 499 – J.B./Schweiz, nicht rechtskräftig). Das Ergebnis ist nicht anders, wenn das Verfahren auch dieSteuerfestsetzung als solche betrifft (s. EGMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 16. 5. 2000, Beschw.Nr. 40042/98 – Georgiou/Vereinigtes Königreich). Dies bedeutet, dass der Umfang <strong>des</strong>Schutzes nach Art. 6 I EMRK unterschiedlich ist, je nachdem, wie der rechtliche Rahmen fürdie Steuerverfahren in den verschiedenen Rechtsordnungen geregelt ist. Selbst in ein und demselbenRechtssystem mag es eine Frage reinen Zufalls sein, ob Strafverfahren und Steuerfestsetzungsverfahrenmiteinander verbunden sind oder nicht. Eine Auslegung der Konvention,die zu derart zufälligen Ergebnissen führt, ist weit davon entfernt, zu befriedigen.9. Aus diesen Gründen komme ich zu dem Schluss, dass es keine überzeugenden Argumentedafür gibt, die derzeitige Rechtsprechung <strong>des</strong> Gerichtshofs beizubehalten, wonach in Steuersachennicht über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ („civil rights and obligations“/„droitset obligations de caractère civil“) entschieden wird. Daher bin ich der Auffassung,dass Art. 6 I EMRK im vorliegenden Fall anwendbar ist.“ 819)Bei so vielen substantiellen Argumenten von 6 Richtern <strong>des</strong> EGMR und demaufzeigen einer uneinheitlichen Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR zu der streitigen Fragekann nicht nicht davon ausgegangen werden, es als gesichert anzusehen, daß Art. 6Abs. 1 EMRK im Steuer- und Steuerverfahrensrecht nicht anwendbar sei. Dies beläßtmithin dem Steueranwalt die Möglichkeit, in Steuerprozessen Art. 6 Abs. 1 EMRK819)Abweichenden Meinungen der Richter Lorenzen, Rozakis, Bonello, Straznicka, Birsan, FischbachNJW 2002, 3453, 345 7 f.


- 150 - 150argumentativ zu bemühen, wenn es zu hier dargelegten Verstößen gekommen seinsollte bzw. kommen sollte, denen Art. 6 Abs. 1 EMRK begegnen möchte.5046. Materiellrechtliche BegründungGetrennt von verfahrensrechtlichen Mängeln sind materiellrechtliche Einwände zu erheben.Es empfiehlt sich, aufzuzeigen, inwieweit der dargestellte Sachverhalt gegenwelche Normen verstößt, ihn also unter solche Normen zu subsumieren. Dabei solltevorangestellt werden, in welcher Fassung die relevante Norm im steuerrelevantenZeitraum gegolten hat, welches Normverständnis nicht nur das beklagte Finanzamtsondern die Finanzverwaltung bun<strong>des</strong>weit hat(te) und ob es zu dieser Norm unterschiedlicheRechtsprechung der FG und <strong>des</strong> BFH gibt. Die materiellrechtliche Begründungsollte von der einfachrechtlichen Begründung ausgehen, alsdann sich mitverfassungsrechtlichen Fragen befassen und schließlich - soweit für den Fall ein Gemeinschaftsbezuggegeben ist – dem gemeinschaftsrechtliche Erörterungen anschließen.505506a) Einfachrechtliche Begründungaa)Zivilrechtliche / strafrechtliche RechtslageEhe man mit der steuerlichen Subsumtion beginnt, empfiehlt es sich, den streiterheblichenSachverhalt zivilrechtlich 820) bzw. strafrechtlich darzustellen. Nur dadurch läßtsich verdeutlichen, ob und inwieweit die steuerliche Würdigung damit übereinstimmtoder davon abweicht. Weicht sie nämlich davon ab, so kann damit dokumentiert werden,dass und warum ein Verstoß gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnunggegeben sein kann, was dazu führen kann, dass eine Rechtssache bereits <strong>des</strong>halbgrundsätzliche Bedeutung haben kann, 821) zumal wenn aufgezeigt werden kann, dasses sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitlicheRechtsanwendung wichtige Frage handelt, 822) die klärungsbedürftig und imStreitfall klärungsfähig ist. 823)Liegt bereits ein Strafurteil vor, so kann das FG sich die Feststellungen aus dem strafgerichtlichenUrteil zu eigen machen, sofern nicht seitens <strong>des</strong> Steuerpflichtigen substantiiertEinwendungen vorgetragen werden und entsprechende Beweisanträge gestelltwerden. 824) In jedem Fall empfielt es sich für den Prozeßbevollmächtigten <strong>des</strong>Klägers, sich schriftsätzlich mit den Gründen <strong>des</strong> Strafurteils auseinanderzusetzenund820)821)822)823)824)BFH 08.08.2002 – II B 157/01, BFH/NV 2002, 1548, 1549: Ergeht ein zivilrechtliches LeistungsoderFeststellungsurteil, das einen zuvor verwirklichten Sachverhalt nicht verändert, sondern lediglichdiesbezüglich rückwirkend eine andere rechtliche Bewertung vornimmt, dann kommt demgemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO keine steuerliche Rückwirkung zu.BFH 08.02.1980 - III R 104/78, BStBl II 1980, 474; BFH 16.10. 1986 - V B 64/86, BStBl II1987, 95; BFH 26.09.1991 - VIII B 41/91, BStBl II 1991, 924; BFH 03.02.2000 - V B 129/99,BFH/NV 2000, 997; BFH 08.11.2000 - XI B 38/00, BFH/NV 2001, 478BFH 27.02.1991 – II B 27/90, BStBl. II 1991, 465BFH 08.11.2000 - XI B 38/00, BFH/NV 2001, 478BFH 17.09.2003 – XI B 220/02, BFH/NV 2004, 345; BFH 25.01.2006 – X B 125/05, BFH/NV2006, 806


- 151 - 151im einzelnen darzulegen, welches die Hintergründe <strong>des</strong> Strafurteils waren und warumdie tatsächlichen Feststellungen dort unzureichend oder unzutreffend sein sollen bzw.den rechtlichen Begründungen nicht zwingend zu folgen ist..507508509510bb)Steuerliche WürdigungWährend die einen es für ausreichend bezeichnen, die Klagebegründung als „schlagwortartigeGrobbegründung“ abzufassen 825) wird andererseits eine substantiierte Darlegung<strong>des</strong>sen gefordert, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig seiund warum der Kläger in seinen Rechten verletzt sei; schließlich sei es nicht Sache <strong>des</strong>Gerichts, das Klagebegehren zu ermitteln. 826) Der BFH 827) spricht von einer „ausreichendenBezeichnung <strong>des</strong> Klagebegehrens“. Nach diesseitigem Verständnis ist diesaus Sicht <strong>des</strong> Klägers insgesamt unzureichend.Dessen Interessen ist seitens <strong>des</strong> prozessführenden Bevollmächtigten nur dann gedient,wenn nicht nur das zuvor Ausgeführte umfassend dargelegt wird, sondern auchbei der Subsumtion <strong>des</strong> Sachverhaltes unter die streiterhebliche materiellrechtlicheNorm umfassend ausgeführt wird, warum das Klagebegehren auch materiellrechtlichberechtigt ist.Der Prozessbevollmächtigte sollte sich mithin bei Abfassung der Klagebegründungnicht mit der im Schrifttum diskutierten Frage befassen, welches die Min<strong>des</strong>tanforderungenan eine hinreichende Bestimmung <strong>des</strong> Klagebegehrens sind, sondern was ermaximal alles vortragen kann. Dazu kann sogar gehören, sich mit der Darstellung <strong>des</strong>Hintergrun<strong>des</strong> <strong>des</strong> streitrelevanten Sachverhaltes bzw. mit den Gesetzesmaterialiender streiterheblichen Norm zu befassen. Vor allen Dingen sollte die Rechtsprechungund das Fachschrifttum umfassend aufbereitet und vorgetragen werden, sofern diesnicht schon im Einspruchsverfahren geschehen ist, worauf man dann verweisen könnte.Ein weiteres kommt hinzu:Die in der Regel überlange Verfahrensdauer vom Beginn <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens biszur mündlichen Verhandlung im Finanzgerichtsprozess wurde schon angesprochen. Esempfiehlt sich, nach Einreichung der Klagebegründung im Jahrestakt die vorgetragenerechtliche Begründung jeweils darauf hin zu überprüfen, ob inzwischen eine Rechtsprechungsänderungeingetreten ist und wie sich diese auf den Stand der Klagebegründungauswirkt. Dies gilt nicht nur bezüglich der einfachrechtlichen Rechtsprechungsondern auch bei der Rechtsprechung von EuGH und BVerfG sowie im Hinblickauf die Auswirkungen von Rechtsprechungsänderungen zwischen BFH, EuGHund BVerfG und umgekehrt. In einem weiteren Schriftsatz sollte dann gegenüber demFG dargestellt werden, welche Schlussfolgerungen die Klägerseite aus einer solchenRechtsprechungsänderung für das laufende Klageverfahren zieht.825)826)827)Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 352Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 94BFH 17.05.2000 - IV B 87/99, BFH/NV 2000, 1354


- 152 - 152511512Da sich in einem länger dauernden Finanzgerichtsverfahren die Rechtsprechungsänderungmehrfach ergeben kann – sei es bei unterschiedlichen Senaten <strong>des</strong> BFH oder beidemselben Senat, sei es aufgrund von Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH und BVerfG -, darfman als Kläger nicht gleich verzagen, wenn man eine schlüssige Klage erhoben hatund sich danach durch eine Rechtsprechungsänderung <strong>des</strong> BFH die Position <strong>des</strong> Klägersnachteilig verändert.Bis zur Jahre später stattfinden mündlichen Verhandlung kann sich dies bereits wiedergeändert haben 828) wie es auch gilt, diesbezüglich stets § 176 AO im Auge zu behalten.513514b) Europarechtliche BegründungNationale Gerichte – auch Instanzgerichte – sind von Amts wegen verpflichtet, europäischemRecht zur Geltung zu verhelfen. Gemeinschaftsrecht geht dem nationalemRecht vor. 829) Denn die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland ist als Mitgliedsstaat verpflichtet,mit allen Trägern öffentlicher Gewalt, und dazu zählen nationalen Gerichte ebensowie auch Behörden, dafür zu sorgen, dass die mit einer Richtlinie verfolgten Ziele inden Mitgliedsstaaten erreicht werden. 830)Folglich müssen sich alle Träger öffentlicher Gewalt bei der Auslegung und Anwendungnationalen Rechts daran ausrichten, entsprechend dem Wortlaut und dem Zweckeiner Richtlinie den mit der Richtlinie verfolgten Zweck umzusetzen. 831) In der Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH 832) ist entschieden, dass der Staat dem Einzelnen für solcheSchäden zu haften hat, die ihre Ursache in solchen dem Staat zuzurechnenden Verstößengegen das Gemeinschaftsrecht haben. Auch Art. 10 EG verpflichtet die Mitglied-828)829)830)831)832)Beispiel: Bis 1984 wurde die Vorsteuerabzugsberechtigung bei Bauherrenmodellen aufgrund derGesetzeslage von der Finanzverwaltung anerkannt. Aufgrund der danach beginnenden Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH zu § 42 AO gingen Jahre später Finanzämter dazu über, rückwirkend sie wiederabzuerkennen. Dort wo, Verjährung bereits eingetreten war, wurde die Korrektur über § 15aUStG versucht, was Mitte der 90iger Jahre vom BFH abgesegnet wurde. Und nun steht in derDiskussion, ob diese Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH zu §§ 42 AO und 15a UStG in Anbetracht derneueren Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH überhaupt hält.EuGH 13.11.1990 – Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135 Rdn. 8; EuGH 16.12.1993 –Rs. C-334/92 (<strong>Wagner</strong> Miret), Slg. 1993, I-6911 Rdn. 20; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00(Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24; BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001,749EuGH 06.07.1995 – Rs. C-62/93 (BP Soupergaz), Slg. 1995, I-1883 Rdn. 35; EuGH 26.09.1996 –Rs. C-168/95 (Arcaro), Slg. 1996, I-4705 Rdn. 41); EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks &Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24, 27; <strong>Wagner</strong> ZSteu 2004, 168EuGH 13.11.1990 – Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135 Rdn. 8; EuGH 16.12.1993 –Rs. C-334/92 (<strong>Wagner</strong> Miret), Slg. 1993, I-6911 Rdn. 20; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00(Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Rdn. 33; EuGH05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996, I-1029,Rdn. 31 – 32; EuGH 01.06.1999 – Rs. C-302/97 (Konle), Slg. 1999, I-3099 Rdn. 62; EuGH04.07.2000 – Rs. C-424/97 (Haim), Slg. 2000, I-5123 Rdn. 27; EuGH 28.06.2001 – Rs. C-118/00(Larsy), 2001, I-5063 Rdn. 35; EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Schlussanträge <strong>des</strong> GeneralanwaltesLeger vom 08.04.2003, Nr. 64, 104


- 153 - 153515516517staaten, rechtswidrige Folgen von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben.833)Derzeit ist z.B. der EuGH mit der Frage befasst, ob und inwieweit der einzelne Mitgliedstaatdem einzelnen für Schäden einzustehen hat, die ihm <strong>des</strong>halb entstandensind, weil das höchste 834) bzw. ein Instanz-Gericht 835) gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenbzw. dies nicht angewandt hat. Dies impliziert die Amtspflicht nationaler Gerichteund von Behörden, einen vorgetragenen Fall nicht nur nach nationalem Recht,sondern auch nach Gemeinschaftsrecht zu würdigen. Dies kann entweder durch Substitutionnationaler gesetzlicher Regelungen durch das Gemeinschaftsrecht oder durchrichtlinienkonforme Auslegung geschehen, wenn das nationale Recht im Widerspruchzum Gemeinschaftsrecht steht. Die europarechtliche Begründung eines Schriftsatzessollte folglich zunächst diese Amtspflicht deutscher Behörden und Gerichte ansprechenund hat zunächst noch nichts mit der Vorlagefrage zu tun.Die europarechtliche Begründung in einer finanzgerichtlichen Klagebegründung kannentweder in Verbindung mit einem Vorlageantrag oder ohne einen solchen erfolgen.Sie sollte so ausführlich wie möglich dargestellt werden, um das FG von der Vorlagenotwendigkeitzu überzeugen 836) oder um das FG zu einer eigenen richtlinienkonformenAuslegung ohne Vorlagenotwendigkeit zu veranlassen. Schließlich kann man beieiner Vorlage durch das FG das ohnehin langwierige finanzgerichtliche Verfahrendamit kürzer gestalten, als wenn die Vorlage erst durch den BFH oder gar erst im Anschlußdaran aufgrund positiv durchlaufenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens erfolgenwürde.Das Ziel der Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage kann nicht nur sein, eineBelastung unter Hinweis auf Gemeinschaftsrecht zu verhindern, sondern kann letztlichauch darauf gerichtet sein, klären zu lassen, dass erhobene und vereinnahmte Steuernunter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vereinnahmt worden seien, 837) so dass dieser-833)834)835)836)837)EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Rdn. 36; EuGH Rs.C-224/01 (Köbler/Österreich), Schlussanträge <strong>des</strong> Generalanwaltes Leger vom 08.04.2003, Nr.32; Cole/Haus JuS 2003, 760, 766 f.. Zur Frage, ob ein solcher gemeinschafstrechtlich begründeterHaftungsanspruch neben dem innerstaatlichen Haftungsanspruch besteht oder zu diesem subsidiärist, siehe ferner Detterbeck AöR 125 (2000), 202, 239 ff. (neben nationalem Haftungsanspruchbestehend); Schoch Jura 2002, 837, 839 (im nationalen Haftungsrecht inkorporiert).EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), dazu Schlussanträge <strong>des</strong> Generalanwaltes Leger vom08.04.2003, Nr. 15, bejahend in Nr. 25, 40.Mitgeteilt in EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Schlussanträge <strong>des</strong> Generalanwaltes Legervom 08.04.2003, Nr. 3. u. H. a. Rs. C-129/00 (Kommission/Italien) und Nr. 41 ff.. Dass ein Mitgliedstaatsicherstellen muß, dem Einzelnen den Schaden zu ersetzen, der ihm wegen Verstoßesgegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, einerlei welche staatliche Stelle für diesen Verstoß verantwortlichist, siehe bereits EuGH 04.07.2000 – Rs. C-424/97 (Haim), Slg. 2000, I-5123 Rdn.27; EuGH 28.06.2001 – Rs. C-118/00 (Larsy), 2001, I-5063 Rdn. 35Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 571; Iglesias NJW 2000,1889: „Jeder nationale Richter ist auch Richter <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts.“EuGH 08.06.2000 – C-396/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 15; EuGH 08.06.2000 – C-400/98,Beilage zu BFH/NV 5/2001, 20; EuGH 19.09.2000 – C-454/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 33EuGH 18.01.2001 – Rs. C-113/99, HFR 2001, 384: „Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> Gerichtshofesist die Qualifizierung einer Steuer, Abgabe oder Gebühr nach Gemeinschaftsrecht vom Gerichtshofnach den objektiven Merkmalen der Steuer unabhängig von ihrer Qualifizierung im nationalenrecht vorzunehmen ...“


- 154 - 154halb ein Erstattungsanspruch besteht. 838) Umgekehrt kann auch die europäische Kommissionin einem gegen einen Mitgliedstaat geführten Verfahren sich darauf berufen,dieser habe eine Richtlinie nicht umgesetzt, wodurch Steuern entgehen würden, 839)was während eines laufenden Finanzgerichtsverfahrens zwischen einem Steuerpflichtigenund einem Finanzamt plötzlich bekannt wird. In einem solchen Fall gilt es imlaufenden Finanzgerichtsprozess abzugleichen, ob diese Thematik Auswirkungen aufden Ausgang <strong>des</strong> geführten Rechtsstreites haben kann.„Nach der ständigen Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denenBestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor demnationalen Gericht gegenüber dem Staat 840) auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Staatdie Richtlinie nicht fristgemäß oder unrichtig in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. insbesondereUrteile vom 23.02.1994 in der Rechtssache C-236/92, Comitato di coordinamento per ladifesa della cava u.a., Slg. 1994, I-483 Rd. 8; 05.03.1998 in der Rechtssache C-347/96, Solred,Slg. 1998, I-937, Rdn. 28 und Mondelo I, Rdn. 33).“ 841)518aa)Mit VorlageantragDem nationalen Gericht (FG bzw. BFH) obliegt es, über die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrenszu entscheiden und die rechtserheblichen Fragen zu stellen.842) Dies insbesondere dann, wenn es um einen eigenständigen Begriff einer Richtlinie<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts geht, der eine gemeinschaftsrechtliche Definition erfordert.843) Aufgrund einer Vorlage eines nationalen Gerichts besteht für den EuGH dieVermutung der Entscheidungserheblichkeit, deren Richtigkeit der EuGH aber nichtüberprüft. 844)838)839)840)841)842)843)844)EuGH 02.02.1988 – Rs. 309/85 (Barra), Slg. 1988, 355 Rdn. 17; EuGH 06.07.1995 – Rs. C-62/93(BP Soupergaz), Slg. 1995, I-1883 Rdn. 40; EuGH 09.02.1999 – Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg.1999, I-579 Rdn. 23; EuGH 08.03.2001 – Rs. C-397/98 und C-410/98 (Metallgesellschaft), Slg.2001, I-1727 Rdn. 84; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325Rdn. 30 f.; EuGH 17.06.2004 – Rs. C-30/02 (Recheio-Cash & Carry SA), Beilage zu BFH/NV2004, 358 Rdn. 15; S.o. Rdn. 116Vergleichbar etwa der durch Großbritannien nicht gesetzlich festzulegen gewesenen MwSt. aufStraßenbenutzungsgebühren (Maut): EuGH 12.09.2000 – C-359, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 25Kursivsetzung durch den AutorEuGH 26.09.2000 – C-134/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 95, 98EuGH 18.10.1990 – C-297/88 und C-197/89, Slg. 1990, I-3763 Rdn. 33 f.; EuGH 08.11.1990 –C-231/89, Slg. 1990, I-4003 Rdn. 18f.; EuGH 15.12.1995 – Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 Rdn.59; EuGH 11.01.2001 – C-403/98, Beilage zu BFH/NV 11/2001, 167, 169; EuGH 13.03.2001 –Rs. C-379/98 (Preussen Elektra), Slg. 2001, I-2099 Rdn. 38; EuGH 22.01.2002 – Rs. C-218/00,Slg. 2002, I-691 Rdn. 18; EuGH 07.01.2003 – Rs. C-306/99, DStRE 2003, 69, Rdn. 88; EuGH05.06.2003 – Rs. C-438/01 (Design Cocept/Flanders Expo), Beilage zu BFH/NV 10/2003, 213Rdn. 14; EuGH 01.12.2005 – Rs. C-213/04 (Burtscher), Slg. 2005, 10309 Rdn. 34EuGH 12.09.2000 – Rs. C-358/97 (Kommission/Irland), Slg. 2000, I-6301 Rdn. 51; EuGH16.01.2003 – Rs. C-315/00 (Maierhofer), Slg. 2003, I-0000 Rdn. 25; EuGH 12.06.2003 – Rs. C-275/01 (Sinclair Collis), Beilage zu BFH/NV 10/2003, 216 Rdn.22EuGH 01.12.2005 – Rs. C-213/04 (Burtscher), Slg. 2005, 10309 Rdn. 35; EuGH 17.04.2008 – Rs.C-404/06 (Quelle), NJW 2008, 1433 Rdn. 19 - 20 m.w.N. (ständige Rspr.)


- 155 - 155519Wird einem Vorlageantrag nicht entsprochen, obwohl gemeinschaftsrechtlich entscheidungserheblicheFragen durch den EuGH zu entscheiden sind, so stellt dies denEntzug <strong>des</strong> EuGH als gesetzlichen Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG dar, weswegennach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges Verfassungsbeschwerde erhoben werdenkann. 845) Kommt es zur Vorlage zum EuGH, so ist der EuGH an die Vorlageentscheidung<strong>des</strong> nationalen Gerichts gebunden, sofern sie nicht aufgrund eines nationalenRechtsbehelfs aufgehoben worden ist. 846) Ferner obliegt dem EuGH die Auslegungeuropäischen Rechts, nicht <strong>des</strong> nationalen Rechts. Dabei nimmt der EuGH die Auslegungder Gemeinschaftsvorschrift nicht nur aufgrund <strong>des</strong> Wortlautes vor, sondernauch aufgrund <strong>des</strong> Zusammenhangs, in dem die Gemeinschaftsvorschrift steht und„die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört.“ 847) Er entscheidetin einem Vorabentscheidungsverfahren daher auch nicht, wie eine nationale Norm vordem Hintergrund <strong>des</strong> europäischen Rechts auszulegen oder anzuwenden ist 848) bzw.wie eine Norm <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden ist, 849) sonderner entscheidet, welche Auslegung eine Regelung <strong>des</strong> EU-Vertrages oder z.B.eine Regelung in einer europäischen Richtlinie zuläßt, 850) wodurch dem nationalenGericht für die Auslegung von Gemeinschaftsrecht Kriterien an die Hand gegebenwerden. 851) Dies gilt selbst dort, wo wie bei den direkten Steuern, die in die Zuständigkeitender Mitgliedstaaten fallen, 852) diese Befugnisse unter Wahrung <strong>des</strong> Gemein-845)846)847)848)849)850)851)852)BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749. Diese Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG nimmtmit der deutschen Verfassungsbeschwerde wegen unterlassener Vorlage zum EuGH einen Gedankenvorweg, den der Deutsche Anwaltsverein (DAV) in anderer Weise im Zuge der gemeinsamenAnhörung der Europaausschüsse <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>tages und Bun<strong>des</strong>rates am 05.04.2000 imHinblick auf eine Europäische Grundrechtscharta vorgeschlagen hatte: Nämlich nach Erschöpfung<strong>des</strong> innerstaatlichen Rechtsweges eine Individualbeschwerde als Nichtvorlagebeschwerde anden EuGH für den Fall vorzusehen, dass ein letztinstanzliches Gericht trotz grundsätzlicher Vorlagepflichtdie Vorlage an den EuGH ablehnt, die mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH nicht zurechtfertigen ist (dazu siehe Hellwig AnwBl 2000, 361, 362)EuGH 01.12.2005 – Rs. C-213/04 (Burtscher), Slg. 2005, 10309 Rdn. 32EuGH 09.03.2006 – Rs. C-114/05 (Gillan Beach Ltd.), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 278 Rdn. 21u.H.a. EuGH 07.06.2005 – Rs. C-17/03 (VEMW), Slg. 2005, I-4983 Rdn. 41EuGH 23.11.1977 – Rs. 38/77, EuGHE 1977, 2203, Rdn. 20; EuGH 01.12.2005 – Rs. C-213/04(Burtscher), Slg. 2005, 10309 Rdn. 33; Clausnitzer, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht,1999, Seite 565, 567EuGH 12.07.2001 – C-262/99, Beilage zu BFH/NV 11/2001, 194, 198EuGH 29.09.1999 – Rs. C-56/98, NZG 1999, 1049, 1050 mit Anm. <strong>Wagner</strong>; EuGH 08.06.2000– C-396/98, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 15; EuGH 12.07.2001 – C-262/99, Beilage zu BFH/NV11/2001, 194, 198EuGH 24.09.1987 – 37/87, Slg. 1987, 3589 Rdn. 8; EuGH 14.07.1998 – C-385/96, Slg. 1998, I-4431 Rdn. 15; EuGH 12.07.2001 – C-262/99, Beilage zu BFH/NV 11/2001, 194, 198EuGH 26.09.1996 – Rs. C-287/94, Slg. 1996, I-4581 Rdn. 17 und 21; EuGH 18.01.2001 – Rs. C-113/99, ZIP 2001, 197, 198


- 156 - 156520521522schaftsrechts ausgeübt werden müssen. 853) Dabei kann die Grenze zwischen den Entscheidungsbefugnissen<strong>des</strong> EuGH und denen der deutschen Finanzgerichtsbarkeitfließend sein, indem der EuGH sich mitunter das Recht herausnimmt, auch in denBereichen Aussagen zu tätigen, die normalerweise der nationalen Gerichtsbarkeit vorbehaltensind. 854)Es ist dann Sache <strong>des</strong> nationalen Gerichts, dieses vom EuGH gefundene Auslegungsergebnismit dem nationalen Recht in Einklang zu bringen. 855)Iglesias 856) spricht davon, nationale Gerichte würden ihre Rolle als Gemeinschaftsgerichtein Form innerstaatlicher Organe ausüben. 857) Folglich geht es bei der europarechtlichenBegründung einer zum FG eingereichten Klagebegründung um folgen<strong>des</strong>:- Zunächst ist darzulegen, ob und warum für den Ausgang <strong>des</strong> Finanzrechtsstreiteseine Frage entscheidungserheblich ist, die einen europarechtlichen Bezug hat.Dies kann entweder <strong>des</strong>halb der Fall sein, weil es um Rechtsfragen mit grenzüberschreitenderRelevanz geht oder weil es um Rechtsfragen geht, die auf nationalenGesetzen beruhen, welche z.B. das Ergebnis der Transformation einer eu-853)854)855)856)857)EuGH 14.02.1995 – C-279/93, Slg. 1995, I-225 Rdn. 21; EuGH 11.08.1995 – Rs. C-80/94, Slg.1995, I-2493 Rdn. 16; EuGH 16.07.1998 – Rs. C-294/96, Slg. 1998, I-4695 Rdn. 19; EuGH19.04.1999 – Rs. C-311/97, Slg. 1999, I-2651 Rdn. 19; EuGH 06.06.2000 – Rs. C-35/98, NZG2000, 877, 878; EuGH 19.09.2000 – C-156/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 98, 103; EuGH14.12.2000 – C-141/99, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 1, 3; EuGH 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 6, 10Iglesias NJW 2000, 1889, 1890EuGH 16.01.1974 – Rs. 166/73, EuGHE 1974, 33 Rdn. 3; EuGH 18.06.1991- Rs. C-369/89,EuGHE 1991, 2971 Rdn. 7; EuGH 06.02.1997 – C-247/95, BStBl. II 1999, 426, 428; Clausnitzer,FS 50 Jahre; Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 565, 568; Iglesias NJW 2000, 1889 f., wonachfolgende 3 Grundsätze zu beachten sind:- Prinzip der unmittelbaren Wirkung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts;- Prinzip <strong>des</strong> Vorrangs <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts;- Grundsatz der Haftung <strong>des</strong> Staates für Schäden, die Einzelnen als Folge eines Verstoßes gegendas Gemeinschaftsrecht entstanden sind.Das nationale Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass dem Prinzip <strong>des</strong> Vorrangs <strong>des</strong> GemeinschaftsrechtsGeltung verschafft wird und dort, wo der Staat dem nicht nachgekommen ist,Grundsätze der Haftung <strong>des</strong> Staates für Schäden [gemäß innerstaatlichen Verfahrensvorschriften]anzuwenden, „die den Einzelnen als Folge eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht entstandensind“ [u.H.a. EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und 9/90, NJW 1992, 165; EuGH05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93, NJW 1996, 1267]. Iglesias (aaO Seite 1893) verweistferner u.H.a. EuGH .... Slg. 1986, 1651 auf den „Anspruch auf Gewährung effektiven gerichtlichenRechtsschutzes im Hinblick auf durch Gemeinschaftsrichtlinien geschaffene subjektiveRechte“. Diese Gewährleistung müsse so wirksam sein, dass die Ziele der Richtlinie erreicht würdenund dass Betroffene die ihnen dadurch verliehenen Rechte auch tatsächlich vor innerstaatlichenGerichten geltend machen können.Iglesias NJW 2000, 1889, 1892Insoweit stellt sich das Thema nicht, dass auch gemeinschaftsrechtlich das Recht besteht, einenwirksamen Rechtsbehelf vor einem zuständigen Gericht zu haben. Dazu betreffend individuelleBetroffenheit bei Klage gegen eine EG-Verordnung EuG 03.05.2002 – Rs. T-177/01, NJW 2002,2088, 2089 m.w.N. (dazu siehe auch Schneider NJW 2002, 2927) und EuGH 25.07.2002 – Rs. C-50/00, NJW 2002, 2935, 2936


- 157 - 157523524ropäischen Richtlinie sind 858) oder gegen eine Regelung <strong>des</strong> EG-Vertrages odereiner europäischen Richtlinie 859) verstößt bzw. von dieser abweicht und dahergeeignet ist, die Ausübung einer der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheitenauszuschließen oder einzuschränken. 860) Es kann aber auch der Fall gegeben sein,dass eine Richtlinie nicht oder nicht zutreffend oder nur unvollständig in nationalesRecht umgesetzt wurde und <strong>des</strong>halb der rechtlich zu beurteilende Fall einereuropäischen Richtlinie unterliegt. 861)Umgekehrt kann auch die Klärung einer Frage bedeutsam sein, ob ein zu beurteilenderVorgang nicht unter den Anwendungsbereich von Regelungen einer europäischenRichtlinie fällt und daher ausschließlich nach nationalem Recht zu beurteilenist. 862) Als denkbares Ergebnis kann in der Begründung für eine Vorlagefrageauch angesprochen werden, dass der EuGH eine von ihm zu beantwortendeRechtsfrage davon abhängig machen könnte, dass das nationale Gericht vorab relevanteVorfragen selbst prüft, von deren Beantwortung die europarechtliche Beantwortungabhängig ist, 863) weshalb dem FG nahegelegt wird, diese Vorprüfungvor einer Vorlage selbst durchführen sollte. Deshalb ist mit oben ausgeführtemdas FG gehalten, bei einem gestellten Vorlageantrag u.U. zuvor den Rechtsstreitan das Finanzamt zurückzuverweisen, um dieses anzuhalten, unter Berücksichtigungeuropäischen Rechts zu bescheiden.- Sodann ist auszuführen, ob das FG die aufgeworfene Rechtsfrage mit europarechtlichemBezug im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung selbst entscheidenkann 864) oder ob die Grenzen für eine richtlinienkonforme Auslegungüberschritten würden. 865)858)859)860)861)862)863)864)865)EuGH 14.09.1999 – Rs. C-275/97, DStR 1999, 1645, 1646 f.; a.A. Weber-Grellet DStR 1999,1648, wonach der EuGH sich zu Fragen nicht harmonisierten Steuerrechts sich nicht hätte äußerndürfen. Dazu Hoffmann DStR 1999, 1686, der anschaulich darstellt, wie unterschiedlich nationaleGerichte einerseits und der EuGH andererseits die Frage der Vorlagepflicht sehen.EuGH 21.03.2000 – Rs. C-110/98 bis – C-147/98, BB 2000, 2454; EuGH 06.06.2000 – Rs. C-35/98, NZG 2000, 877EuGH 26.01.1999 – Rs. C-18/95, HFR 1999, 417, 418; EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97, NZG1999, 1044, 1047 mit Anm. <strong>Wagner</strong>EuGH 12.11.1998 – Rs. C-399/96, WM 1999, 346, 348EuGH 27.10.1998 – Rs. C-152/97, WM 1999, 343, 345; EuGH 12.11.1998 – Rs. C-399/96, WM1999, 346, 348; EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/97, HFR 1999, 420, 421EuGH 12.11.1998 – Rs. C-399/96, WM 1999, 346, 349; EuGH 28.04.1999 – Rs. C-31/98, HFR1999, 587; EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97, NZG 1999, 1044, 1046; EuGH 08.06.2000 – Rs. C-98/98, BB 2000, 2454EuGH 12.09.1996 – Rs. C-58 u.a./96, Slg. 1996, I-4345; EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/96, HFR1999, 419; <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555. Zur Auslegung einerGemeinschaftsvorschrift ist nicht nur ihr Wortlaut, sondern es sind auch ihr Zusammenhangund die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung , zu der sie gehört, verfolgt werden: EuGH17.11.1983 – 292/82, Slg. 1983, 3781 Rdn. 12; EuGH 21.02.1984 – 337/82, Slg. 1984, 1051 Rdn.10; EuGH 19.09.2000 – Rs. C-156/98, BStBl. II 2001, 47, 51EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/96, HFR 1999, 419: Zu diesen Grenzen Herdegen WM 2006,1921, 1928 f.


- 158 - 158525526527528- Für den letzteren Fall ist zu verdeutlichen, dass und warum das FG gehalten ist,aus oben genannten Gründen das finanzgerichtliche Verfahren auszusetzen (§ 74FGO) und dem EuGH vorzulegen.Die in der Klagebegründung gegebene Begründung zum Vorlageantrag sollte auch<strong>des</strong>halb sehr ausführlich sein, weil es durchaus vorkommen kann, dass das FG demVorlageantrag zwar entspricht, die Vorlage aber auf andere Schwerpunkte abstützt.Der Kläger kann dann im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH darauf hinweisen,dass er selbst die Gewichtung anders sieht wie in seiner Vorlagebegründungdargelegt. Der EuGH ist nämlich befugt, eine Umformulierung der Vorlagefragen <strong>des</strong>nationalen Gerichts vorzunehmen und damit sich auch der Aspekte anzunehmen, dieman im Rahmen der Vorlagebegründung für wesentlich angesehen hat, die aber dasFG anders gewichtet hat. 866)Zudem erleichtert eine ausführliche Vorlagebegründung <strong>des</strong> FG die Arbeit, einen zulässigenVorlagebeschluss samt Vorlagebegründung zum EuGH abzufassen. 867)Hat der Kläger in seinem schriftsätzlichen Vorlageantrag zum Ausdruck gebracht, dasFG möge für den Fall einer Vorlage zum EuGH mit zum Ausdruck bringen, dass jedenfallsdie zeitlichen Wirkungen eines Urteils <strong>des</strong> EuGH beschränkt sein sollten,dann empfiehlt es sich für den Kläger, in seinem diesbezüglichen Begründungsschriftsatzdem FG Argumente dazu an die Hand zu geben. 868) Denn die Möglichkeit zeitlicherBeschränkung seiner Urteile durch den EuGH gilt auch für das Vorabentscheidungsverfahren.869) Im Grundsatz sind Richtlinien durch Gerichte in ihrer vollenTragweite seit ihrem Inkrafttreten anzuwenden und nicht erst ab einer Entscheidung<strong>des</strong> EuGH. Urteile <strong>des</strong> EuGH haben mithin in Vorlagesachen ex tunc-Wirkung. 870)Dies hat zur Folge, daß Gerichte Richtlinien auch auf Sachverhalte anzuwenden haben,die sich nach ihrem Inkrafttreten aber vor Ergehen eines EuGH-Urteiles ereignethaben. 871) Und <strong>des</strong>halb entspricht es der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH, dass zeitlicheBeschränkungen der Wirkungen <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> EuGH der absolute Ausnahmefall sindund nur dann in Frage kommen, wenn die Gefahr von schweren Folgen bei einer großenAnzahl von Rechtsverhältnissen bestehen, die im guten Glauben sich anders aus-866)867)868)869)870)871)EuGH Slg. 1965, XI-3, 1, 8: „Er [der EuGH] kann jedoch aus der Fassung <strong>des</strong> Vorlagebeschlusseseines innerstaatlichen Gerichts diejenigen Fragen der Auslegung <strong>des</strong> Vertrages herausschälen,die Vorfragen für die Entscheidung <strong>des</strong> Rechtsstreites sind;“ EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 146; Siehe auch Iglesias NJW 2000, 1889, 1891. Dassder EuGH zunächst die Vorlageprämisse <strong>des</strong> vorlegenden nationalen Gerichts prüft, siehe EuGH17.05.2001 – C-119/99, Beilage zu BFH/NV 11/2001, 215, 216Iglesias NJW 2000, 1889, 1892 verweist darauf, dass eine zulässige Vorlage durch ein nationalesGericht eine Aufbereitung <strong>des</strong> Sachverhaltes und der rechtlichen Problematik durch das vorlegendeGericht erfordert, womit zu verdeutlichen ist, warum es auf die Auslegung von Gemeinschaftsrechtankommt.Dazu insbesondere Albath/Wunderlich EWS 2006, 205, 210 f.; Forsthoff DStR 2005, 1840Albath/Wunderlich EWS 2006, 205, 210Albath/Wunderlich EWS 2006, 205, 210EuGH 17.02.2005 – Rs. C-462/02 (Linneweber und Akritidis), Slg. 2005, I-1131 Rdn. 41 m.w.N.


- 159 - 159529530gerichtet hatten. 872) Es empfiehlt sich folglich, sich mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGHzu solchen Ausnahmefällen explizit und eingehend auseinanderzusetzen und darzulegen,warum ein solcher Ausnahmefall gegeben sein kann. Dies sollte auch belegt werden.Die Behauptung eines Ausnahmefalles alleine reicht nicht. Vielmehr hat man sichals Prozeßbevollmächtigter bei seiner schriftsätzlichen Begründung <strong>des</strong> empfohlenenVorlageantrages und einer dort mit angesprochenen Beschränkung der zeitlichen Wirkungder EuGH-Entscheidung für den Fall, daß das FG bzw. der BFH vorlegen undder EuGH über den Vorlageentrag entscheidet, an den gleichen hohen Anforderungenzu orientieren, an denen sich letztlich auch der EuGH orientiert. Und solche Ausnahmenwären:- „Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen.“ 873)- Hinzu kommen muß beim betroffenen Mitgliedstaat ein schützenswertes Vertrauen,seine Rechtlage sei europarechtskonform, obwohl dies nicht der Fallsei. 874)Sollten diese Voraussetzungen nicht überzeugend begründet werden können, bleibtnoch die Möglichkeit, für den angeregten Vorlageantrag begründungsmäßig daraufhinzuweisen, der EuGH könnte dem Mitgliedstaat unter Fristsetzung aufgeben, seinenationale Rechtslage dem EU-Gemeinschaftsrecht anzugleichen.531532bb)Ohne VorlageantragUmgekehrt kann bei der europarechtlichen Begründung ohne Vorlageantrag im Vordergrundstehen, dass und warum das FG eine Frage mit europarechtlichem Bezugdurch richtlinienkonforme Auslegung selbst zu beantworten hat, 875) ohne vorlegen zumüssen. Es kann ferner verdeutlicht werden, dass die Notwendigkeit einer Vorlagesich nur bei einer bestimmten Sachverhaltskonstellation stellt, die hier aus darzulegendenGründen nicht gegeben ist und gegebenenfalls vom FG vorab zu klären ist. 876)Und es kann in der Klagebegründung zum FG vorgetragen werden, dass der Klägersich <strong>des</strong>halb zu seinen Gunsten direkt auf Regelungen einer europäischen Richtlinie,deren Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, berufen kann,wenn/weil der deutsche Staat die entscheidungserhebliche Richtlinie nicht fristgemäßoder unrichtig in nationales Recht umgesetzt hat 877) oder weil der EuGH einer Richtli-872)873)874)875)876)877)EuGH 04.10.2001 – Rs. C-294/99, Beilage zu BFH/NV 4/2002, 1, 4; EuGH 17.02.2005 – Rs. C-462/02 (Linneweber und Akritidis), Slg. 2005, I-1131 Rdn. 42EuGH 15.03.2005 – Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119 Rdn. 69; Albath/Wunderlich EWS2006, 205, 210Albath/Wunderlich EWS 2006, 205, 210 m.w.N.EuGH 12.09.1996 – Rs. C-58 u.a./96, Slg. 1996, I-4345; EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/96, HFR1999, 419; BFH 17.05.2001 – V R 38/00, BFH/NV 2001, 1513; W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwältefür Steuerrecht, 1999, Seite 555EuGH 12.11.1998 – Rs. C-399/96, WM 1999, 346, 349; EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/96, HFR1999, 419, 420EuGH 23.02.1994 – C-236/92, Slg. 1994, I-483 Rdn. 8; EuGH 29.09.1999 – Rs. C-56/98, NZG1999, 1049, 1050


- 160 - 160533nie unmittelbare Wirkung zuerkannt hat, 878) obwohl Richtlinien normalerweise – andersals Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV) – nur für jeden Mitgliedsstaat und damitnicht in jedem Mitgliedstaat unmittelbar wirken. 879) Jedenfalls kann sich ein Mitgliedstaatnicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnungberufen, um damit eine nicht fristgemäße Umsetzung einer Richtlinie rechtfertigenzu wollen. 880)Eine europarechtliche Begründung ohne Vorlageantrag kann sich aber auch ausfolgendem Grund anbieten: So kann z.B. eine nationale gesetzliche Regelung zurSteuerpflicht führen (z.B. § 14 Abs. 3 Satz 1 UStG), während die Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH unter Hinweis auf eine europäische Richtlinie zu einem gegenteiligen Ergebniskommt. 881) In einem solchen Fall kann im Hinblick auf die europarechtliche Begründungein Erstattungsanspruch bezüglich der bereits gezahlten Steuer gemäß § 227 AObegründet sein. 882)534535536cc)Gemeinschaftsrechtlich zu prüfende FragenZu den gemeinschaftsrechtlich zu prüfenden Fragen können nachfolgende allgemeineRechtsgrundsätze gehören, welche den Rang ungeschriebenen Primärrechts haben undRechtmäßigkeitsmaßstab für das Sekundärrecht sind. 883) Geht es um die Verletzungvon Grundfreiheiten, ist in folgenden Stufen eine Prüfung vorzunehmen:- Auf der Tabestandsebene, ob eine Verletzung von Grundfreiheiten gegeben istund- auf der Rechtsfertigungsebene, ob die Verletzung von Grundfreiheiten ausnahmsweisegerechtfertigt sein kann. 884)- Falls dies zu bejahen, ist dem die Prüfung anzuschließen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatzgewahrt wurde. 885)878)879)880)881)882)883)884)885)So EuGH 23.02.1995 – Rs. C-358/93 und C-416/93, Slg. 1995, I-361 Rdn. 33, wonach der EuGHim Hinblick auf Art. 1 I der RiL 88/361/EWG alle Mitgliedstaaten verpflichtete, Beschränkungen<strong>des</strong> Kapitalverkehrs zu beseitigen und <strong>des</strong>halb dieser Bestimmung der Richtlinie unmittelbareWirkung zuerkannte. Siehe auch EuGH 06.06.2000 – Rs. C-35/98, NZG 2000, 877, 879 mit Anm.LuttermannW. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555EuGH 08.03.2001 – Rs. C-276/98 (Kommission/Portugal), Slg. 2001, I-1699 Rdn. 20; EuGH07.11.2002 – Rs. C-352/01 (Kommission/Spanien), Slg. 2002, I.10263 Rdn. 8EuGH 19.09.2000 - Rs. C-454/98, UR 2000, 470BFH 17.05.2001 – V R 77/99, BFH/NV 2001, Beilage 9, 1168Looks DStR 2009, 513, 515EuGH 15.05.2008 – Rs. C-414/06 (Lidl), DStR 2008, 1030 Rdn. 39 – 41; Weber-Grellet DStR2009, 1229, 1230 weist auf folgende Rechtfertigungsgründe in der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGHhin: Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, Schutz geistigen Eigentums, sozialer Schutz von Arbeitnehmern,Verbraucherschutz, Berufs- und Stan<strong>des</strong>regeln, abweichende technische regeln, kulturpolitischeBelange, Kohärenz notionaler Steuersysteme, finanzielles Gleichgewicht <strong>des</strong> Systemsder sozialen Sicherheit, guter Ruf <strong>des</strong> nationalen Finanzsektors, wirksame steuerliche Kontrolle,Schutz vor sozialschädlichen Lotterien.EuGH 15.05.2008 – Rs. C-414/06 (Lidl), DStR 2008, 1030; Weber-Grellet DStR 2009, 1229,1232


- 161 - 161537538539540541542(1.) DiskriminierungDer Grundsatz der Gleichbehandlung hat in dem Diskriminierungsverbot eine besondereAusprägung erfahren. 886) Dieses Diskriminierungsverbot umfaßt- jede Diskriminierung aufgrund Staatsangehörigkeit und- jede verschleierte Form der Diskriminierung aufgrund anderer Merkmale, die zumgleichen Ergebnis führen. 887)In Art. 18 Abs. 1 AEUV ist ein allgemeines Diskriminierungsverbot geregelt, zu demdas Diskriminierungsverbot <strong>des</strong> Art. 157 AEUV hinzutritt. 888) Dies bedeutet, dassMitgliedstaaten keine Schlechterstellung aufgrund der Staatsangehörigkeit vornehmendürfen. 889) Dazu gehört auch das Verbot mittelbarer (versteckter) Diskriminierung,wovon man spricht, wenn eine Differenzierung nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft,sondern an Kriterien, die typischerweise nur Ausländer oder nur Inländer erfüllen.890) Ferner: Vergleichbare Sachverhalte dürfen nicht unterschiedlich behandeltund unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern eine Differenzierungnicht objektiv gerechtfertigt ist. 891)Für Fragen steuerlicher Ungleichbehandlung von Ausländern im Inland wird manzwei Fragen auseinanderhalten müssen: Für die Frage steuerlicher Inländerbegünstigung892) und damit verbundener Ausländerdiskriminierung ist der EuGH zuständig.Für die Frage steuerlicher Inländerdiskriminierung 893) ist dagegen vor dem Hintergrund<strong>des</strong> Art. 3 Abs. 1 GG nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges das BVerfG zuständig.894)Folglich kann der Fall von Inländerdiskriminierung nicht Gegenstand einer europarechtlichenBegründung für eine Vorlage zum EuGH oder für eine richtlinienkonformeAuslegung durch das FG sein, 895) sondern gehört zur Begründung eines Ver-886)887)888)889)890)891)892)893)894)895)EuGH 01.07.2004 – Rs. C-65/03 (Kommission/Belgien), Slg. 2004, I-6427 Rdn. 28; EuGH13.10.2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585 Rdn. 48; Weber-Grellet DStR2009, 1229EuGH 01.07.2004 – Rs. C-65/03 (Kommission/Belgien), Slg. 2004, I-6427 Rdn. 28 m.w.N.Montag NJW 2001, 1613, 1617EuGH 07.07.2005 – Rs. C-147/03 (Kommission/Österreich), EuZW 2005, 465 Rdn. 31; BFH22.07.2003 – XI R 05/02, HFR 2003, 1056 (Vorlagebeschluss)EuGH 07.07.2005 – Rs. C-147/03 (Kommission/Österreich), EuZW 2005, 465 Rdn. 41; BFH22.07.2003 – XI R 05/02, HFR 2003, 1056 (Vorlagebeschluss)EuGH 17.07.1997 – Rs. C-354/95 (National Farmers´ Union), Slg. 1997, I-4559 Rdn. 61; EuGH11.07.2002 – Rs. C-210/00 (Käserei Champignon Hofmeister GmbH & Co. KG), BFH/NV Beilagezu 1/2004, 25 Rdn. 71EuGH 14.12.2000 – C-141/99, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 1, 3; EuGH 08.03.2001 – C-397/98und C-410/98, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 6, 10; Luttermann NZG 1999, 706, 707; <strong>Wagner</strong>NZG 1999, 1048Hammerl, Inländerdiskriminierung, 1996; Riese/Noll NVwZ 2007, 516; <strong>Wagner</strong> NZG 1999, 1048<strong>Wagner</strong> NZG 1999, 1048BFH 22.07.2003 – XI R 05/02, HFR 2003, 1056 f. (Vorlagebeschluss), wonach grundsätzlicheuroparechtlich die Schlechterstellung eigener Staatsangehöriger nicht ausgeschlossen ist.


- 162 - 162543544545stoßes gegen deutsches Verfassungsrecht (Art. 3 Abs. 1 GG), was vom FG bereits vonsich aus zu berücksichtigen ist. Da aber Finanzgerichte sich nur mit großer Zurückhaltungmit deutschem Verfassungsrecht beschäftigen, sollte dies bereits in der Klagebegründungmit vorgetragen werden; denn andernfalls könnte für den Fall einer Verfassungsbeschwerdenach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges das BVerfG die mangelndeErschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges damit begründen, zwar den Instanzenzug erschöpft zuhaben, nicht aber zuvor alle verfassungsrechtlichen Argumente vorgetragen zu haben,um bereits im fachgerichtlichen Instanzenzug zu versuchen, Grundrechtsverletzungenanzugreifen. 896)Für die Frage nationalstaatlicher Inländerbegünstigung bzw. Ausländerdiskriminierungkann sich in der Klagebegründung folgen<strong>des</strong> Darstellungsraster empfehlen: 897)- Zunächst ist das für die zu entscheidende Frage relevante Gemeinschaftsrechtdarzustellen. 898)- Sodann ist das nationale Recht darzustellen und zu verdeutlichen, inwieweit sichdiese vom Gemeinschaftsrecht unterscheidet. Immerhin müssen Mitgliedstaatenselbst bei direkten Steuern, die in ihre Zuständigkeit fallen, ihre Befugnisse „unterWahrung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts ausüben und <strong>des</strong>halb jede Diskriminierungaufgrund der Staatsangehörigkeit unterlassen.“ 899) Dies basiert auf Art. 18 AEUV,und Art. 49 AEUV, wonach Beschränkungen <strong>des</strong> Niederlassungsrechts in einemMitgliedstaat verboten sind und der in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbarist. 900)- Weiter ist darzustellen, inwieweit in dem zu entscheidenden Fall Ausländerdiskriminierunggegeben ist, Ausländer bzw. ausländische Unternehmen folglich ungleichanders bzw. schlechter als Inländer behandelt werden. Dabei geht es nichtnur um offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder<strong>des</strong> Sitzes eines Unternehmens, sondern„um alle versteckte Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmaletatsächlich zu dem gleichen Ergebnis gelangen.“ 901)896)897)898)899)900)901)BVerfG 02.12.1987 - 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275, 282; BVerfG 13.12.1994 - 2 BvR894/94, WM 1995, 234; BVerfG 25.08.1995 - 2 BvR 228/94, StE 1995, 613; BVerfG 23.08.1999- 1 BvR 2164/98, NJW 1999, 3478Siehe z.B. EuGH 08.06.2000 – C-396/98, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 15 f. ;EuGH 18.01.2001 –C-113/99, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 4 f. ; EuGH 21.11.2002 – Rs. C-436/00 (Riksskatteverk),DStRE 2003, 400 Rdn. 33 ff.;EuGH 21.11.2002 – Rs. C-436/00 (Riksskatteverk), DStRE 2003, 400 Rdn. 33 f.EuGH 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 6, 10EuGH 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98, BFH/NV Beilage zu 5/2001, 6, 10; EuGH21.11.2002 – Rs. C-436/00 (Riksskatteverk), DStRE 2003, 400 Rdn. 38 ff.EuGH 19.09.2000 – C-156/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 98, 103 u.H.a. EuGH 13.07.1993 –C-330/91, Slg. 1993, I-4017 Rdn. 14.


- 163 - 163546547548549Eine Diskriminierung ist etwa dann gegeben, wenn unterschiedliche Vorschriftenauf gleiche Sachverhalte oder dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Sachverhalteangewandt wird. 902)- Falls ja: Wirkt diese Ungleichbehandlung diskriminierend, weil sachlich nicht gerechtfertigt?903) Dies ist der Fall, wenn aufgrund von Vorschriften eine Ungleichbehandlungan der Staatsangehörigkeit festmacht bzw. durch andere Unterscheidungsmerkmalegleiche Ergebnisse erzielt werden ("„versteckte Formen")? 904)- Ist die unterschiedliche Behandlung nach dem EU-Vertrag gerechtfertigt? 905)Dazu sind für jeden Einzelfall Gründe vorzutragen und nachzuweisen, die ersehenlassen, daß die Regelung im Hinblick auf das verfolgte Ziel notwendig undverhältnismäig sind. 906)- Und schließlich sollte(n) die Vorlagefrage(n) ausformuliert werden.902)903)904)905)906)EuGH 29.04.1999 – Rs. C-311/97, HFR 1999, 587, 588 f.; EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97,NZG 1999, 1044; EuGH 19.09.2000 – C-156/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 98, 103; EuGH28.11.2000 – Rs. C-88/99, 2001, 741, 742: „20. Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelungauf dem Gebiet der Erstattung zu Unrecht erhobener nationaler Abgaben sind die Bestimmungder zuständigen Gerichte und der Ausgestaltung <strong>des</strong> Verfahrens für die Klagen, die denSchutz der den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts erwachsenenRechte gewährleisten sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten;dabei dürfen freilich diese Bedingungen nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechendenur nationales Recht betreffende Klagen, und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübungder Rechte, die die nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglichmachen (Slg. 1976, 1989 = NJW 1977, 495 Rdnr. 5 - Rewe, und Slg. 1976, 2043 Rdnrn. 13 u. 16- Comet, Slg. 1980, 1205 = NJW 1980, 2008 Rdnr. 25 - Denkavit Italiana, und Slg. 1988, 3513Rdnr. 12 - Deville).21. Der EuGH hat insbesondere entschieden, dass die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaatenfestgelegten formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechendenRechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit),und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren,die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität) (Slg. 1997, I-4025 = EuZW1997, 538 = NZA 1997, 1041 Rdnr. 27 = NJW 1997, 2588 - Palmisani). Diese Grundsätze geltenauch im Bereich der Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge.“ Ähnlich EuGH10.09.2002 – Rs. C-216/99 (Ricardo Prisco) und C-222/99 (CASER), EuZW 2003, 237 Rdn. 77 f.EuGH 19.09.2000 – C-156/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 98, 103; EuGH 21.11.2002 – Rs. C-436/00 (Riksskatteverk), DStRE 2003, 400 Rdn. 47 f., 51EuGH 19.09.2000 – C-156/98, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 98, 103EuGH 21.11.2002 – Rs. C-436/00 (Riksskatteverk), DStRE 2003, 400 Rdn. 72 f.; <strong>Wagner</strong> NZG1999, 1048EuGH 07.07.2005 – Rs. C-147/03 (Kommission/Österreich), EuZW 2005, 465 Rdn. 63


- 164 - 164550551(2.) EffektivitätFehlt eine Gemeinschaftsregelung betreffend die Erstattung rechtsgrundlos erhobenernationaler Abgaben, 907) so muß die innerstaatliche Rechtsordnung die Verfahrensmodalitätenund die Zuständigkeit von Gerichten regeln, damit der Einzelne zu seinemauf europarechtlicher Grundlage basierenden Recht kommt. 908)Die Regelungen dürfen aber nicht so ausgestaltet sein, dass die Geltendmachung derdurch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich oder übermäßigerschwert wird (Effektivitätsgrundsatz) 909) oder nachteilhafter ausgestaltet wirdals öffentlichrechtliche Erstattungsansprüche/-klagen nach nationalem Recht (Äquivalenzgrundsatz).910) Ein Mitgliedstaat ist dabei nicht daran gehindert, gesetzlich zuregeln, dass der Berechtigte die Erstattung irrtümlich zu hoch entrichteter Zahlungenbinnen einer Frist von 3 Jahren verlangen kann, wobei die Frist am Tag der Mitteilungder Ablehnung zu laufen beginnt. 911) Aber der Effektivitätsgrundsatz verbietet es, beifür einen Erstattungsanspruch anzuwendendem nationalem Recht bei gemeinschaftswidrigerhobenen nationalen Abgaben rückwirkend kürzere bzw. restriktivere Fristenfür die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen vorzusehen, als es üblicherweiseder Fall ist. 912) Dies dann, wenn die rückwirkende Festsetzung kürzerer Fristen unan-907)908)909)910)911)912)z.B. zu hoch erhobene Handelsregistergebühren (EuGH 02.12.1997 – Rs. C-188/95, Slg. 1997, I-6783; EuGH 26.09.2000 – Rs. C-134/99, WM 2000, 2542; EuGH 24.02.2002 - C- 45/00, n.V.)oder Notarkosten bei beamteten Notaren in Baden (EuGH 21.03.2002 – Rs. C-264/00, DB 2002,834) und Baden-Württemberg (EuGH 30.06.2005 – Rs. C-165/03, 981, DStRE 2005, 980), dieder EuGH als gegen europäisches Recht verstoßende verdeckte Abgaben ansieht. In EuGH11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 147 betont der EuGH u.H.a. EuGH14.01.1997 – Rs. C-192/95 – C-218/95, Slg. 1997, I-165 Rdn. 20 nochmals, dass Mitgliedstaatenverpflichtet sind, unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobene Abgaben zu erstattenEuGH 17.11.1998 – Rs. C-228/96 (Aprile), Slg. 1998, I-7141 Tenor Nr. 1.; EuGH 09.02.1999 –Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg. 1999, I-579 Tenor Nr. 1.; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00, Beilagezu BFH/NV 10/2002, 144, 146; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg.2002, I-6325 Rdn. 34; EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003Rdn. 16 f., 33; EuGH 17.06.2004 – Rs. C-30/02 (Recheio-Cash & Carry SA), Beilage zuBFH/NV 2004, 358 Rdn.17EuGH 17.11.1998 – Rs. C-228/96, Slg. 1998, I-7141 Rdn. 18; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00,Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 146; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer),Slg. 2002, I-6325 Rdn. 35; EuGH 17.06.2004 – Rs. C-30/02 (Recheio-Cash & Carry SA), Beilagezu BFH/NV 2004, 358 Rdn.17EuGH 10.09.2002 – Rs. C-216/99 und C-222/99, NZG 2002, 1121, 1127. Jedoch keine rückwirkendeVerkürzung der Frist von 6 Jahren auf 3 Jahre: EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks &Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 37; EuGH 17.06.2004 – Rs. C-30/02 (Recheio-Cash & CarrySA), Beilage zu BFH/NV 2004, 358 Rdn.17; EuGH 07.01.2004 – Rs. C-201/02 (Wells), Slg.2004, I-723 Rdn. 67EuGH 10.09.2002 – Rs. C-216/99 und C-222/99, NZG 2002, 1121, 1126; EuGH 24.09.2002 – Rs.C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 18 f., 34; EuGH 10.09.2002 – Rs. C-216/99(Ricardo Prisco) und C-222/99 (CASER), EuZW 2003, 237 Rdn. 12, 67EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 35 f.; EuGH17.06.2004 – Rs. C-30/02 (Recheio-Cash & Carry SA), Beilage zu BFH/NV 2004, 358 Rdn.18


- 165 - 165552gemessen ist und keine Übergangsregelung vorsieht. 913) Die Frist für eine Übergangsregelungkann bei 6 Monaten liegen. 914)Ein Mitgliedstaat ist nicht daran gehindert, die Verzinsung von Erstattungsansprüchenniedriger auszugestalten als bei Erstattungsklagen von Privaten untereinander, sofernzwischen Erstattungsklagen nach nationalem und Gemeinschafts-Recht kein Unterschiedgemacht wird. 915)553(3.) Gleichwertigkeit <strong>des</strong> Verfahrens„Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH setzt die Wahrung <strong>des</strong> Grundsatzes der Gleichwertigkeitvoraus, dass das nationale Verfahren in gleicher Weise für auf die Verletzung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtswie für auf die Verletzung <strong>des</strong> innerstaatlichen Rechts gestützte Klagen gilt, sofernes sich um dieselbe Art von Abgaben oder Gebühren handelt.“ 916)554555(4.) RückwirkungsverbotEin Richter im nationalen Rechtsstreit muß eine vom EuGH ausgelegte Vorschrift <strong>des</strong>EU-Gemeinschaftsrechts auch auf Rechtsverhältnisse anwenden, die vor der EuGH-Entscheidung entstanden sind, 917) wenn sie zu jener Zeit schon in Kraft getreten war.Dies darf nicht verwechselt werden mit den Grundsätzen,daß i.d.R. Verfahrensvorschriften auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigenRechtsstreitigkeiten anwendbar sind,daß aber materiellrechtliche Vorschriften i.d.R. so ausgelegt werden müssen, daßsie nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten. 918) EineAusnahme gilt hier nur dann, wenn aus dem Wortlaut der Gemeinschaftsvorschrifthervorgeht, daß eine solche Rückwirkung möglich sein soll 919) und dadurchnicht die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und<strong>des</strong> Vertrauensschutzes verletzt werden, wenn eine solche Rückwirkung für Betroffenenicht vorhersehbar ist. 920)913)914)915)916)917)918)919)920)EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 37 u.H.a. EuGH11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 38 f.EuGH 24.09.2002 – Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003 Rdn. 40EuGH 10.09.2002 – Rs. C-216/99 und C-222/99, NZG 2002, 1121, 1127EuGH 28.11.2000 – Rs. C-88/99, NJW 2001, 741, 742EuGH 02.02.1988 – Rs. 24/86 (Blaizot), Slg. 1988, 379 Rdn. 27; EuGH 15.12.1995 – Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921 Rdn. 141; EuGH 30.03.2006 – Rs. C-184/04 (Uudenkaupungin),Beilage zu BFH/NV 7/2006, 286 Rdn. 53EuGH 14.11.2002 – Rs. C-251/00 (Iluitro´nica), Slg. 2002, I-10433 Rdn. 29; EuGH 23.02.2006 –Rs. C-201/04 (Molenbergnatie NV/Belgien), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 323, 31 m.w.N.EuGH 24.09.2002 – Rs. C-74/00 und C-75/00 (Falck und Bolzano), Slg. 2002, I-7869 Rdn. 119;EuGH 09.03.2006 – Rs. C-293/04 (Beemsterboer), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 332 Rdn. 21m.w.N.EuGH 09.03.2006 – Rs. C-293/04 (Beemsterboer), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 332 Rdn. 24m.w.N.


- 166 - 166556Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH ist folglich das Rückwirkungsverbot Ausdruck<strong>des</strong> Vertrauensschutzgrundsatzes, wonach die Geltungsdauer eines Rechtsaktes derGemeinschaft nicht auf einen Zeitpunkt bezogen werden darf, der vor der Veröffentlichungdieses Rechtsaktes liegt. 921) Ausnahmsweise kann dies nur dann anders sein,wann das angestrebte Ziel dies erfordert und der Vertrauensschutz Betroffener beachtetwurde. 922) Ein solcher Vertrauensschutz ist wiederum nur dann gegeben, wenn dieöffentliche Gewalt selbst eine Lage geschaffen hatte, welche Berechtigtes Vertrauenhervorrufen konnte. 923)557558(5.) VertrauensschutzAus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt der Grundsatz <strong>des</strong> Vertrauensschutzes.Auf diesen können sich Privatpersonen bzw. Wirtschaftsteilnehmer berufen, wennstaatliche Stellen Vertrauen geweckt haben. Folglich können sich Regierungen bzw.Mitgliedstaaten nicht auf den Grundsatz <strong>des</strong> Vertrauensschutzes berufen, um den Folgeneiner Vertragsverletzung bzw. einer Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH zu entgehen. 924)Dabei ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation zu beurteilen,in der sich ein Mitgliedstaat zum Ablauf der Frist befand, die ihm für die Abgabe einerStellungnahme durch die EU-Kommission gesetzt wurde, ohne daß spätere Veränderungenzu berücksichtigen wären. 925)Der Grundsatz <strong>des</strong> Vertrauensschutzes ist Teil der Gemeinschaftsordnung und mußvon den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Gemeinschaftsregelungen beachtetwerden. 926) Zu diesem Grundsatz <strong>des</strong> Vertrauensschutzes gehört, dass einem Steuerpflichtigennicht durch eine Änderung nationalen Rechts rückwirkend ein aufgrund921)922)923)924)925)926)EuGH 25.01.1979 – Rs. 99/79, Slg. 1979, 101. Zu einem darauf bezogenen Vorlageantrag <strong>des</strong>BFH siehe BFH 30.11.2000 – V R 30/00, BB 2001, 292, 294EuGH 15.07.2004 – Rs. C-459/02 (Gerekens und Procola), Slg. 2004, I-7315 Rdn. 23 f. m.w.N.EuGH 15.07.2004 – Rs. C-459/02 (Gerekens und Procola), Slg. 2004, I-7315 Rdn. 29EuGH 18.01.2001 – C-83/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 124, 125EuGH 30.01.2002 – Rs. C.103/00 (Kommission/Griechenland), Slg. 2002, I-1147 Rdn. 23; EuGH20.11.2003 – Rs. C-296/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2003, I-13909 Rdn. 43; EuGH01.07.2004 – Rs. C-65/03 (Kommission/Belgien), Slg. 2004, I-6427 Rdn. 20; EuGH 07.07.2005 –Rs. C-147/03 (Kommission/Österreich), Slg. 2005, I-5969 Rdn. 23; EuGH 12.07.2005 -–Rs. C-6263 (Kommission/Frankreich), Slg. 2005, I-6263 Rdn. 30; EuGH 14.07.2005 – Rs. C-135/03(Kommission/Spaniern), Slg. 2005, 6909 Rdn. 31; EuGH 14.07.2005 – Rs. C-433/05 (Kommission/Deutschland),Slg. 2005, I-6985 Rdn. 28, 32; EuGH 15.09.2005 – Rs. C-372/03 (Kommission/Deutschland),Slg. 2005, I-8109 Rdn. 51EuGH 26.04.1988 – Rs. 316/86 (Krücken), Slg. 1988, 2213 Rdn. 22; EuGH 01.04.1993 – Rs. C-31/91 – C-44/91 (Lageder), Slg. 1993, I-1761 Rdn. 33; EuGH 03.12.1998 – Rs. C-381/97 (Belgocodex),Slg. 1998, I-8153 Rdn. 26; EuGH 08.06.2000 – Rs. C-396/98, Slg. 2000, I-4279 Rdn. 44;EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 44; EuGH29.04.2004 – Rs. C-487/01 und C-07/02 (Gemeente Leusden und Staatssecretaris Financien),BFH/NV Beilage 3, 2004, 250 Rdn. 59 m.w.N.; EuGH 07.06.2005 – Rs. C-17/03 (VEMW U.A.),Slg. 2005, I-4983 Rdn. 73; Looks DStR 2009, 513, 515 m.w.N.


- 167 - 167einer Richtlinie erworbenes Recht genommen wird. 927) Aber es widerspricht nicht demGemeinschaftsrecht,„wenn das nationale Recht im Bereich der Rücknahme von Verwaltungsakten und der Rückforderungvon zu Unrecht gewährten öffentlichen Geldleistungen neben dem Grundsatz derRechtmäßigkeit der Verwaltung auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und <strong>des</strong> Vertrauensschutzesberücksichtigt, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind.“ 928)559560(6.) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 EUV)Ergibt die europarechtliche Begründung, dass das FG entweder die entscheidungserheblicheeuroparechtliche Frage per richtlinienkonformer Auslegung selbst beantwortenmuß oder Anlaß für eine Vorlage an den EuGH nebst Vorabentscheidungsverfahrendurch diesen sein könnte, 929) sollte das gefundene Ergebnis stets noch zusätzlichdarauf überprüft werden, ob es mit dem gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzvereinbar ist. 930) Auch das Handeln von Gemeinschaftsorganen kannam Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemessen werden. 931) Die Überprüfung <strong>des</strong> Verhältnismäßigkeitsgrundsatzeshat zum Gegenstand, ob die mit einer gemeinschaftsrechtlichenNorm oder Entscheidung verfolgten Ziele erforderlich und geeignet sindund diese Ziele zu keinen übermäßigen Beeinträchtigungen führen. 932) Liegt ein Verstoßgegen den gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor, so ist diedagegen verstoßende Norm bzw. Entscheidung unwirksam. 933)Oftmals kann sich die Frage stellen, ob für den Fall eines vom EuGH zu treffendenUrteils die zeitlichen Wirkungen eines solchen Urteils zu beschränken sind, in derRegel keine Rückwirkung entfalten sollen. 934) Wenn diese Frage entscheidungserheblichsein sollte, so sollte man sie bereits in der Begründung <strong>des</strong> Vorlageantrages mitansprechen. 935) Dazu muß man allerdings wissen, dass eine zeitliche Beschränkung inder Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH nur ganz ausnahmsweise vorkommt,927)928)929)930)931)932)933)934)935)EuGH 08.06.2000 – Rs. C-396/98, Slg. 2000, I-4279 Rdn. 47; EuGH 11.07.2002 – Rs. C-62/00,Beilage zu BFH/NV 10/2002, 144, 147EuGH 19.09.2002 – Rs. C-336/00 (Österreich/Huber), EWS 2003, 83 Rdn. 55 u.H.a. EuGH21.09.1983 – Rs. 205/82 – 215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, 2633 Rdn. 30; EuGH01.04.1993 – Rs. C-31/91 – C-44/91 (Lageder), Slg. 1993, I-1761 Rdn. 33; EuGH 09.10.2001 –Rs. C-80/99 – C-82/99 (Flemmer), Slg. 2001, I-7211 Rdn. 60W. <strong>Wagner</strong>, FS 50 Jahre Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, Seite 555, 556EuGH 05.07.1977 – 114/76, Slg. 1977, 1211 Rdn. 7; EuGH 11.07.1989 – 265/87, Slg. 1989, 2237Rdn. 21; EuGH 11.06.1998 – C-361/96, Slg. 1998, I-3495 Rdn. 30; EuGH 28.01.1999 – Rs. C-181/96, HFR 1999, 419, 420; EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilage zu BFH/NV8/2001, 116, 119; EuGH 13.12.2005 – Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), DStR 2005, 2168 Rdn.4; Iglesias NJW 2000, 1889, 1891; Looks DStR 2009, 513, 515; Weber-Grellet DStR 2009, 1229,1232EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 116, 119EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 116, 119. Zu einemdarauf bezogenen Vorlageantrag <strong>des</strong> BFH siehe BFH 30.11.2000 – V R 30/00, BB 2001, 292,294. Ferner: EuGH 06.12.2005 – Rs. C- 453/03 u.a. (ABNA U.A.), Slg. 2005, 10423 Rdn. 68EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 116, 119EuGH 12.09.2000 – C-359/97, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 25, 30Zur Rückwirkung von EuGH-Entscheidungen de Weerth DB 2005, 1407


- 168 - 168561562- wenn nämlich die Gefahr schwer wirkender wirtschaftlicher Auswirkungen besteht,die für eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen bedeutsam werden kann, welchegutgläubig auf anderer Rechtsgrundlage begründet wurden und- Einzelne bzw. nationale Behörden über die Ungewissheit gemeinschaftsrechtlicherBestimmungen durch Verhalten von Mitgliedstaaten oder durch die Kommissionveranlaßt wurden. 936)Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist, wenn man sich auf sie berufen sollte, exaktzu begründen. Das Vorliegen solcher Voraussetzungen nur zu behaupten ist untauglich.937) Auch muß man sich dann mit der Frage befassen, warum eine zeitliche Beschränkungder Entscheidung <strong>des</strong> EuGH dem gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzipgenügen soll. 938)563(7.) RechtssicherheitZu den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätzen gehört auch das Gebotder Rechtssicherheit. 939)564565c) Verfassungsrechtliche Begründung am Maßstab von GG undBVerfG 940)In einer Klagebegründung verfassungsrechtliche Gründe einer Grundrechtsverletzungvorzutragen, kann sich aus folgenden Überlegungen anbieten:- Zum einen <strong>des</strong>halb, um der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG zur materiellen RechtswegerschöpfungRechnung zu tragen. Denn eine Rechtswegerschöpfung im Sinne<strong>des</strong> § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist auch dann nicht gegeben, wenn verfassungsrechtlicheFragen erstmals in einer Verfassungsbeschwerde vorgetragen werdenund der Beschwerdeführer nicht bereits vorher alles versucht hat, Grundrechtsver-936)937)938)939)940)EuGH 11.08.1995 – C-367/93 bis C-377/93, Slg. 1995, I-2229 Rdn. 43; EuGH 12.09.2000 – C-359/97, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 25, 30; EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilagezu BFH/NV 8/2001, 116, 121EuGH 12.09.2000 – C-359/97, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 25, 30 f.EuGH 19.09.2000 – C-177/99 und C-181/99, Beilage zu BFH/NV 8/2001, 116, 121EuGH 22.03.1966 – Rs. 30/65 (MacciorlatiDalmas e Figli), Slg. 1966, 103, 149 ff. = BeckRS2004, 73054; Looks DStR 2009, 513, 515BVerfG 01.03.2000 – 2 BvR 2017 u. 2039/94, NStZ 2000, 489; Rogall: Zur Notwendigkeit <strong>des</strong>substantiierten Vortrages <strong>des</strong> angeblich verletzten Rechts und <strong>des</strong> Vorganges und warum dadurchdas gerügte Grundrecht verletzt worden ist.BVerfG 27.04.2000 – 2 BvR 75/94, NStZ 2000, 489; Zur Notwendigkeit, in den Vorinstanzen erschöpfendRügen, die die Anwendung materiellen Rechts betreffen, vorzutragen, weil sonst keineRechtswegerschöpfung (§ 90 II 1 BVerfGG) gegeben ist. Ferner bedarf die Verfassungsbeschwerdeeiner Auseinandersetzung mit der Revisionsentscheidung und deren konkreter Begründung.


- 169 - 169566567568569letzungen zu verhindern. 941) Folglich sind sie spätestens im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenvorzutragen. 942) Dazu gehört auch, als Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GGüberlange Verfahrensdauer bereits vor der Instanzgerichtsbarkeit zu rügen, z.B. ineinem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gem. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. 943)Fraglich ist, ob sich daran etwas geändert hat, weil das BVerfG in seiner Entscheidungvom 09.11.2004 944) ausgeführt hat, daß die Rechtswegerschöpfung es nichterfordere, daß der Beschwerdeführer von Beginn <strong>des</strong> fachgerichtlichen Verfahrensan verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vortragen müsse. Es wärefalsch, darin eine Änderung der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG verstehen zu wollen,es könnten nunmehr erstmals im Verfassungsbeschwerdeverfahren Grundrechtsrügenvorgetragen werden, vielmehr wird man weiterhin von dem Grundsatz ausgehenmüssen, daß Grundrechtsrügen schon im Instanzenzug vorgetragen wordensein müssen, halt nur nicht von Anbeginn an. 945)- Steht die Verfassungswidrigkeit einer Norm in Frage, wozu in der Klagebegründungvorgetragen wird, so ist zugleich darauf zu verweisen, dass dieserhalb es beider Zuständigkeit <strong>des</strong> Senats bleiben sollte (§ 6 Abs. 1 FGO). Auch sollte daraufhingewiesen werden, dass der Rechtsstreit nicht dem Einzelrichter gemäß § 79aAbs. 3 und 4 FGO zu übertragen ist, weil dem Einzelrichter nicht die Befugniszusteht, gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorzulegen. 946) Wir haben damitdas merkwürdige Ergebnis, dass der Einzelrichter zwar dem EuGH im Rahmeneines Vorabentscheidungsverfahren vorlegen darf, nicht aber dem BVerfG aufgrundArt. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.- Normalerweise ist eine Verfassungsbeschwerde nicht statthaft, wenn eine Nichtzulassungsbeschwerdeals unzulässig zurückgewiesen wird. 947)Daher ist in der Praxis immer wieder festzustellen, dass Finanzgerichte sich mitvorgetragenen verfassungsrechtlichen Gründen nicht befassen und der BFH solchendann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erneut vorgetragenen Gründendadurch aus dem Wege geht, dass er die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässigbezeichnet. Gleiches gilt für eine unzulässige Revision. 948) Diese Art derRechtsverweigerung gelingt dann aber nicht, so dass die Verfassungsbeschwerde941)942)943)944)945)946)947)948)BVerfG 02.12.1987 - 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275, 282; BVerfG 23.10.1992 - 2 BvR51/92; HFR 1993, 126; BVerfG 31.10.1992 - 2 BvR 739/91, HFR 1993, 327; BVerfG07.06.1993 - 2 BvR 1767/92, HFR 1993, 541; BVerfG 27.09.1993 - 2 BvR 829/91, HFR 1994,348; BVerfG 13.12.1994 - 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839; BVerfG 25.08.1995 - 2 BvR 228/94,n.V.; Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509, 514BVerfG 07.02.1992 - 2 BvR 129/92, HFR 1992, 652BVerfG 09.12.1991 - 1 BvR 1175/88, BVerfG 07.01.1992 - 1 BvR 1490/89, NJW 1992, 1497;s.u. Rdn. 752BVerfG 09.11.2004 – 1 BvR 684/98, NJW 2005, 1413Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509, 514BVerfG 05.05.1998 - 1 BvL 23/97, NJW 1999, 274BVerfG 07.05.1991 - 2 BvR 1418/90, HFR 1991, 722; BVerfG 01.07.1991 - 1 BvR 1478/89,n.V.; BVerfG 02.07.1991 - 1 BvR 1600/89, HFR 1992, 423BVerfG 20.02.1991 - 2 BvR 39/91, HFR 1991, 722


- 170 - 170570571572gleichwohl zulässig sein kann, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde nicht offensichtlichunzulässig ist.Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde aufErwägungen gestützt wird, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei dieMöglichkeit eröffnet, dass das Revisionsgericht seine bisher vertretene Auffassungüberprüft 949) oder die Nichtzulassung der Revision ihrerseits auf Grundrechtsverletzungenberuht. 950) Es ist daher auch aus diesen Gründen erforderlich,bezüglich vorgetragener verfassungsrechtlicher Gründe sich hierauf einzustellen.951)Grundrechtsverletzungen können aus folgenden Gründen gegeben sein:aa)Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG – Informationelle SelbstbestimmungIn der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG ist bislang offen geblieben, ob juristische Personensich auf dieses Grundrecht berufen können, insbesondere wenn es nicht um eigeneDaten sondern um Kundendaten geht. 952) Eingriffe in dieses Grundrecht werden dannnicht beanstandet, wenn diese auf einer „hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage(§ 93 Abs. 1 AO 1977)“ beruhen. 953)573bb)Art. 3 Abs. 1 GG – AllgemeinesDer Gleichheitssatz reicht auch im Steuerrecht vom Willkürverbot bis zum Verhältnismäßigkeitsprinzip.954) Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, „wenn sich ein vernünftiger,sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtenderGrund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt.“Dazu gehört auch, dass Gruppen von Normadressaten untereinander unterschiedlichbehandelt werden, obwohl keine Unterschiede solcher Art bestehen, die eine solchunterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. 955)574cc)Art. 3 Abs. 1 GG - BelastungsgleichheitSteuerpflichtige müssen durch Steuergesetze bei gleicher Leistungsfähigkeit rechtlichund tatsächlich gleich belastet werden. 956)949)950)951)952)953)954)955)956)BVerfG 14.06.1994 - 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93BVerfG 24.04.1990 - 2 BvR 177/90, n.V.BVerfG 14.06.1994 - 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93BVerfG 10.04.2000 – 1 BvR 422/00, ArztR 2000, 168, 170; BVerfG 15.11.2000 – 1 BvR1213/00, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 67BVerfG 15.11.2000 – 1 BvR 1213/00, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 67BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, DB 2002, 557; BVerfG 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR1735/00, NJW 2003, 2079, 2080BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, DB 2002, 557Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 8*


- 171 - 171575576577„Der Gleichheitssatz ist um so strikter, je mehr er den einzelnen als Person betrifft und so mehrfür gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugänglicheLebensverhältnisse geregelt werden (vgl. BVerfGE 96, 1, 5 f.; 99, 88, 94).“ 957)Die Belastungsgleichheit muß nicht nur vom Steuergesetz tatsächlich und rechtlichausgehen, sondern auch im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung <strong>des</strong> Erhebungsverfahrensgegeben sein. Es gilt folglich insoweit das Gebot gleicher Steuerbelastungdurch Gesetzesvollzug. 958)Auch verbietet es sich, seitens <strong>des</strong> Gesetzgebers alleine nach der Rechtsform einesUnternehmens unterscheidende Steuerbefreiungen vorzusehen. 959) Dabei ist dasBVerfG bei Vorlage durch ein Gericht (Art. 100 Abs. 1 GG) nicht darauf festgelegt,die Verfassungsmäßigkeit einer Norm ausschließlich aus dem Blickpunkt der Vorlagefragezu prüfen, sondern kann eigenständig eine umfassende verfassungsrechtlicheWürdigung vornehmen. 960)„Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung <strong>des</strong> Erhebungsverfahrensprinzipiell verfehlt, so kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlagenach sich ziehen und die Steuerpflichtigen in ihrem Grundrecht auf Besteuerungsgleichheitverletzen...... Im Steuerrecht müssen von Verfassungs wegen sowohl die steuerbegründendenVorschriften als auch die Regelungen ihrer Anwendung dem Prinzip einermöglichst gleichmäßigen Belastung der Steuerpflichtigen besonders sorgfältig Rechnung tragen.“961)Der Steuergesetzgeber muß mithin zunächst versuchen, eine Belastungsgleichheit inder Bemessungsgrundlage herzustellen. Dazu gehört auch das Steuererhebungsverfahren.962) Gelingt dies nicht, muß er die Gleichheit im Belastungserfolg gewährleisten(„Belastungsgleichheit“), 963) wobei die verfassungsrechtlichen Schranken derBesteuerung bei der Einkommenssteuer durch die Ertragsfähigkeit <strong>des</strong> Vermögensvorgegeben sind. 964)957)958)959)960)961)962)963)964)BVerfG 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151; BVerfG 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2BvR 1735/00, NJW 2003, 2079, 2080BVerfG 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, WM 2004, 571, 572BVerfG 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151; Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3Seite 9 *BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655, 660BVerfG 27.06.1991 – 2 BvR 1489/89, BVerfGE 84, 239, 268 f.; so auch BVerfG 19.03.1991 – 2BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271 ff.; BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655,660Nach BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457 muß „die Bemessungsgrundlage – inEinnahmen und Aufwand – den wirtschaftlichen Vorgang sachgerecht aufnehmen und realitätsgerechtabbilden.“ So auch BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 459. Zur Belastungsgleichheitim Steuerrecht siehe ferner BVerfG 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, DB 1999,2397, 2398; BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 458BVerfG 30.09.1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 95; BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95,NJW 1999, 1457; BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 511; BVerfG04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, NJW 2003, 2079, 2080; Mellinghoff DStR 2003,Beilage 3 Seite 9*BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655, 661


- 172 - 172578579580581„Verfolgt ein Steuergesetz zulässigerweise auch Lenkungsziele, so muß der Lenkungszweckmit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet und gleichheitsgerecht ausgestaltetsein.“ 965)Der Gesetzgeber hat zwar im Steuerrecht bei der Auswahl <strong>des</strong> Steuergegenstan<strong>des</strong> undbei der Bestimmung <strong>des</strong> Steuersatzes einen weiten Gestaltungsspielraum.„Er kann sich dabei von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischenErwägungen leiten lassen. ... Es können auch sonstige ordnungspolitische Nebenzweckeeinfließen, soweit sie auf sachlichen Erwägungen beruhen.“ 966)Aber er muß die einmal getroffene Belastungsentscheidung im Sinne der Belastungsgleichheitumsetzen (Gebot der Folgerichtigkeit); 967) Abweichungen bedürfen einessachlichen Grun<strong>des</strong>. 968) Und der Gesetzgeber muß„einfache, für den Betroffenen verständliche Regelungen wählen, die verläßlich und effizientvollzogen werden können.“ 969)Die Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung in Belastungsgleichheitbetrifft sowohl den Gesetzesvollzug wie auch die Rechtsprechung, wenn„für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmaledurch Auslegung zu konkretisieren sind. 970)Der BFH relativiert diese Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG, wenn er ausführt:„a) Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung <strong>des</strong> Erhebungsverfahrensprinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlagennach sich ziehen und die Steuerpflichtigen in ihrem Grundrecht auf Besteuerungsgleichheitverletzen. Eine prinzipielle Verfehlung der Belastungsgleichheit liegt nach demUrteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 allerdings nicht schon bei einer solchen Belastungsungleichheitvor, die durch Vollzugsmängel hervorgerufen wird, wie sie immer wiedervorkommen können und sich auch tatsächlich ereignen. Maßgebend ist vielmehr, ob sich eineErhebungsregelung gegenüber dem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufigauswirkt, dass der Besteuerungstatbestand weitgehend nicht mehr durchgesetzt werdenkann (Bun<strong>des</strong>finanzhof --BFH--, Beschluß vom 11. März 1992 II R 129/88, BFHE 167, 266,965)966)967)968)969)970)BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655, 665; ähnlich BVerfG 06.03.2002 – 2BvL 17/99, DB 2002, 557, 558BVerfG 03.05.2001 – 1 BvR 624/00, HFR 2001, 709, 711. Ähnlich zuvor schon BVerfG27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 274BVerfG 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271; BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL37/91, BVerfGE 93, 121, 134; BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457; BVerfG30.09.1999 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 95; BVerfG 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, DB1999, 2397, 2398; BVerfG 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, 155; BVerfG06.03.2002 – 2 BvL 17/99, DB 2002, 557, 562; Kirchhof StuW 2000, 316; Mellinghoff DStR2003, Beilage 3 Seite 8*BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 290; BVerfG 30.09.1999 – 2 BvR1818/91, BVerfGE 99, 88, 95BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457 u.H.a. BVerfG 10.04.1997 – 2 BvL 77/92,BVerfGE 96, 1, 7BVerfG 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, DB 1999, 2397, 2398; BVerfG 10.11.1999 – 2 BvR2861/93, BB 2000, 183, 185


- 173 - 173582583584BStBl II 1992, 707, und Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II1997, 499, 508, a.E.).“ 971)Verstoßen Steuergesetze gegen Art. 3 Abs. 1 GG, muß aber beachtet werden, dassgrundsätzlich eine Nichtigerklärung der Norm (§ 78 BVerfGG) durch das BVerfG beiVerstößen <strong>des</strong> Gesetzgebers gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Betracht kommt, wenndem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, diesen Verstoß zubeseitigen. 972)Das BVerfG hat dann verschiedene Möglichkeiten: 973)- Es stellt für die Zukunft die Verfassungswidrigkeit der Norm fest, ohne sie fürnichtig zu erklären (Unvereinbarkeitserklärung). 974) Der Gesetzgeber kann fürdie Zukunft seitens <strong>des</strong> BVerfG – ggf. unter Fristsetzung – aufgefordert werden,eine gleichheitskonforme Regelung zu schaffen. 975)„Werden Normen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, hat dies grundsätzlich zurFolge, dass sie in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang von Gerichten und Verwaltungsbehördennicht mehr angewendet werden dürfen (vgl. BVerfGE 73, 40 [101] =NJW 1986, 2487 m.w. Nachw.). Die Verpflichtung <strong>des</strong> Gesetzgebers, eine der Verfassungentsprechende Rechtslage herzustellen, erstreckt sich grundsätzlich auf den gesamtenvon der Unvereinbarerklärung betroffenen Zeitraum und erfaßt zumin<strong>des</strong>t alle nochnicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf den für verfassungswidrig erklärten Regelungenberuhen (vgl. BVerfGE 87, 153 [178] = NJW 1992, 3153).“ 976)- Die Erklärung der Verfassungswidrigkeit einer Norm alleine für die Zukunftwürde aber keine Entscheidungserheblichkeit für einen im finanzgerichtlichenVerfahren angegriffenen Steuerbescheid begründen, <strong>des</strong>sen gesetzliche Ermächtigungsgrundlagein der Vergangenheit liegt. Anders wäre dies dort, wo die Nichtigerklärungeiner für verfassungswidrig erachteten Norm durch das BVerfG damiteinhergehen würde, die auf die Zukunft bezogene Nichtigerklärung einerNorm mit einer Aufforderung <strong>des</strong> BVerfG an den Gesetzgeber zu verbinden, diein die Zukunft gerichtete Neuregelung „rückbezogen“ vorzunehmen, 977) und zwarauf den in der Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG genannten Zeitpunkt. 978) Die Folge wäredann, dass Gerichte und Verwaltungsbehörden die Norm, soweit sie für verfas-971)972)973)974)975)976)977)978)BFH 19.02.1999 – VI R 43/95, BStBl. II 1999, 361, 362BVerfG 29.09.1998 – 2 BvL 64/93, BVerfGE 99, 69, 83; BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95,NJW 1999, 1457 f.BVerfG 29.10.2002 – 1 BvL 16/95, 1 BvL 17/95, 1 BvL 16/97, Beilage BFH/NV 4/2003, 126,129BVerfG 15.01.1968 – 1 BvR 723/65, BVerfGE 25, 101, 111; BVerfG 03.11.1982 – 1 BvR620/78, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, 356; BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99,DB 2002, 557, 564; BFH 21.07.2004 – X R 73/01, NJW 2005, 93; Isensee/Kirchhof, Handbuch<strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. II, 1987, § 56 Rdn. 6 b) Siemers/Waldens/Dimova BB 2003, 611BVerfG 29.09.1998 – 2 BvL 64/93, BVerfGE 99, 69, 83; BVerfG 30.09.1998 – 2 BvR 1818/91,BVerfGE 99, 88, 99; BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457, 1460; BFH24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 465BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457, 1460BVerfG 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, NJW 2003, 2079, 2083; BFH 24.02.1999 –X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 465BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, DB 2002, 557, 564


- 174 - 174585586sungswidrig erklärt wurde, nicht mehr anwenden dürften und laufende Verfahrenauszusetzen wären. 979) Folglich sollte schriftsätzlich mit angesprochen werden,dass und warum solches „nicht schlechthin ausgeschlossen“ erscheint. 980) Selbstwenn das BVerfG eine Norm aufgrund einer Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz1 GG nur für die Zukunft für verfassungswidrig erklären würde, könnte damit dieAussage verbunden werden, den Kläger <strong>des</strong> finanzgerichtlichen bzw. Revisions-Verfahrens, in welchem die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erfolgensoll, bezüglich der streitgegenständlichen - in der Vergangenheit liegenden - Veranlagungszeiträumeso zu stellen, dass sich die verfassungsrechtlichen Vorgabenfür den Kläger auswirken. Und dies könnte dann durch Billigkeitsmaßnahmengemäß §§ 163, 227 AO erfolgen. 981) Auch diese Möglichkeiten sollten mithinschriftsätzlich angesprochen werden, um zu begründen, warum eine Vorlage gemäßArt. 100 Abs. 1 Satz 1 GG geboten wäre.Statt <strong>des</strong>sen kann das BVerfG eine Norm für die Zukunft für verfassungswidrigerklären und iudizieren, sicherzustellen, dass dem Kläger auch für seine in derVergangenheit liegende Situation die vorgesehene Entlastung zugute kommensolle. 982) Dann wäre das FG bzw. der BFH daran gebunden 983) und selbst gehalten,diese verfassungsrechtlichen Vorgaben umzusetzen, ohne auf ein gesondertesVerfahren gemäß §§ 163, 227 AO verweisen zu dürfen 984) und ohne dass es aufdie im Klage- und Revisionsverfahren gestellten Anträge ankommt. 985) dies zumaldann, wenn das Finanzamt bewußt eine vom BVerfG angeregte Billigkeitsprüfungunterlassen hat. 986) Auch diese Möglichkeit und deren Voraussetzungen wärenim Schriftsatz, mit welchem eine Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG „beantragt“wird, anzusprechen. Denn damit könnte die Entscheidungserheblichkeit derVorlage für einen in der Vergangenheit befindlichen belastenden und streitgegenständlichenVerwaltungsakt begründet werden.- Für die Vergangenheit kann dagegen der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zurNichtigerklärung der Norm durch das BVerfG führen. Dies muß nicht nur imFalle verfassungsrechtlich zu beanstandender Rückwirkung <strong>des</strong> Gesetzes der Fallsein. 987) Dies kann auch dann der Fall sein, wenn das BVerfG eine Norm für nich-979)980)981)982)983)984)985)986)987)BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, DB 2002, 557, 564BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 465BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 466 u.H.a. BVerfG 10.11.1998 – 2 BvL42/93, FR 1999, 139 (unter C. III.) und BVerfG 10.11.1999 – 2 BvR 1220/93, FR 1999, 145 (unterB. II.); BFH 03.07.2002 – VI R 87/99, DStR 2002, 1659z.B. BVerfG 10.11.1998 – 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, 245 f. = BStBl. II 1999,182, 192; BVerfG 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, NJW 2003, 2079, 2083BFH 26.03.2002 – VI R 26/00, BFH/NV 2002, 1085; BFH 03.07.2002 – VI R 87/99, BStBl. II2002, 857, 858BFH 03.07.2002 – VI R 87/99, NJW 2002, 3422; BFH 03.07.2002 – VI R 79/99, BFH/NV 2002,1557; BFH 03.07.2002 – VI R 118/99, BFH/NV 2002, 1558BFH 03.07.2002 – VI R 79/99, BFH/NV 2002, 1557; BFH 03.07.2002 – VI R 87/99, BStBl. II2002, 857BFH 03.07.2002 – VI R 87/99, BStBl. II 2002, 857, 858BVerfG 30.09.1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 99


- 175 - 175tig erklären würde und die Nichtigkeitsfeststellung <strong>des</strong> BVerfG ex tunc erfolgt. 988)Die Folge wäre dann, dass für einen angegriffenen belastenden Steuerbescheidfür die Vergangenheit <strong>des</strong>sen gesetzliche Ermächtigungsgrundlage entfallen würde,weshalb die Frage der verfassungswidrigkeit der Norm entscheidungserheblichwäre.587dd)Art. 3 Abs. 1 GG - ChancengleichheitSteuerliche Normen müssen diesen Verfassungsgrundsatz beachten. 989)588ee)Art. 3 Abs. 1 GG – SteuergerechtigkeitDiesen Grundsatz hat das BVerfG aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeitabgeleitet. 990) die Umsetzung dieses Grundsatzes durch den Gesetzgeberhat den Grundsätzen der Belastungsgleichheit zu folgen. 991) Das BVerfG sprichtinsoweit davon, im Rahmen der „horizontalen Steuergerechtigkeit“ müßten Steuerpflichtigebei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch besteuert werden, während in„vertikaler“ Richtung „die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit derSteuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muß.“ 992)589ff)Art. 6 GG - FamilieDieses Grundrecht verbietet es, Ehegatten im Vergleich zu ledigen alleine <strong>des</strong>halbschlechter zu stellen, weil sie verheiratet sind. 993) Auch muß der Gesetzgeber vermeiden,in die freie Entscheidung der Ehegatten über die Aufgabenverteilung in der Eheeinzugreifen, wobei der verfassungsrechtliche Schutz <strong>des</strong> Art. 6 Abs. 1 GG sich sowohlauf die „Alleinverdienerehe“ wie auch auf die „Doppelverdienerehe“ erstreckt.994)988)989)990)991)992)993)994)Siemers/Waldens/Dimova BB 2003, 611BVerfG 29.09.1998 – 2 BvL 64/93, BVerfGE 99, 69, 80; BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl.II 1999, 450, 458BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 511; BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99,DB 2002, 557, 562; BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 458; BFH 21.05.1999 –VII R 25/97, HFR 1999, 919, 920BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 511BVerfG 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, DB 2002, 557, 562BVerfG 12.03.1985 – 1 BvR 571/81, BVerfGE 69, 188, 205; Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3,Seite 12*BVerfG 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, NJW 2003, 2079, 2082


- 176 - 176590591592gg)Art. 12 Abs. 1 GG - BerufGrundrechtsträger kann auch eine juristische Person sein. Dieses Grundrecht umschließtauch die Freiheit, das Entgelt für die berufliche Leistung selbst festzusetzen,es sei denn, ein Eingriff in dieses Recht ist gesetzlich geregelt und das Gesetz beruhtauf Gründen <strong>des</strong> Gemeinwohls und ist verhältnismäßig. 995)„... die Erhebung von Steuern und sonstigen Abgaben greift ... in den Schutzbereich <strong>des</strong> Art. 12Abs. 1 GG ein, wenn sie in engem Zusammenhang mit der Ausübung <strong>des</strong> Berufs steht und –objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen läßt.“ 996)Für einen solchen Eingriff bedarf es gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichenRegelung. Diese muß verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen.Eine Steuernorm kann ferner dann in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen,„wenn die Steuer ihrer objektiven Gestaltung und Höhe nach es in aller Regel unmöglichmacht, den angestrebten Beruf ganz oder teilweise zur wirtschaftlichen Grundlage der Lebensführungzu machen (vgl. BVerfGE 31, 8 ; 38, 61 ).“ 997)593594hh)Art. 14 Abs. 1 GG – Eigentum /VermögenZu Art. 14 GG als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)gehört auch die Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis bezüglich <strong>des</strong> vermögensrechtlichenBereichs <strong>des</strong> Steuerpflichtigen. Dieses Freiheitsrechts darf – auch durchsteuerliche Zugriffe - nur so weit beschränkt werden, dass Eingriffe in den„Kernbestand <strong>des</strong> Erfolgs eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck dergrundsätzlichen Privatnützigkeit <strong>des</strong> Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnisüber die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten wird. ... die Zuordnung dervermögenswerten Rechtsposition zum Eigentümer und die Substanz <strong>des</strong> Eigentums müssengewahrt bleiben.“ 998)Dem hat allerdings der BFH 999) die Gefolgschaft verweigert und ausgeführt, der vomBVerfG in seiner Entscheidung 22.06.1995 1000) vorangestellte Leitsatz 3., der einenallgemeinen Grundsatz (sog. Halbteilungsgrundsatz) zum Ausdruck brachte, binde<strong>des</strong>halb nicht nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, weil er zur Vermögenssteuer ergangen seiund daher keine Bindungswirkung in Sachen Einkommen- und Gewerbesteuer ent-995)996)997)998)999)1000)BVerfG 28.08.2000 – 1 BvR 1821/97, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 68, 69BVerfG 03.05.2001 – 1 BvR 624/00, HFR 2001, 709BVerfG 03.05.2001 – 1 BvR 624/00, HFR 2001, 709BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 137 u.H.a. BVerfG 25.09.1992 – 2 BvL 5,8, 14/91, BVerfGE 87, 153, 169 und BVerfG 08.07.1976 – 1 BvL 19 und 20/75, 1 BvR 148/75,BVerfGE 42, 163, 295 und BVerfG 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78,BVerfGE 50, 290, 341; Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 10* f.BFH 11.08.1999 – XI R 77/97, BStBl. II 1999, 771, 773 f.; Ebenfalls BFH 28.06.2000 – I R89/99, BStBl II 2001, 261 bei einer mehr als 50%-igen Körperschaftsteuerbelastung, mit der Begründung<strong>des</strong> Anrechnungsverfahrens.BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121


- 177 - 177595falte. Dabei verkennt allerdings der BFH, dass dieser allgemeine Grundsatz nicht zurVermögenssteuer erging sondern aus Anlaß der Vermögenssteuer, was nicht dasselbeist, weswegen allgemeine Grundsätze sehr wohl Bindungswirkung entfalten. Es mußdaher mehr als bedenklich erscheinen, wenn nunmehr der VII. Senat <strong>des</strong> BFH 1001) mitgerade einem Satz ohne jede weitere Begründung eine auf Art. 14 Abs. 1 GG gestützteArgumentation in einem Nichtzulassungsbeschwerde damit abtat, es gebe keinenRechtssatz <strong>des</strong> Verfassungsrechts, der es dem Gesetzgeber verböte, eine Steuer um20% oder auch um einen noch wesentlich höheren Prozentsatz von einem Jahr auf dasandere zu erhöhen bzw. Steuern dürften nur „maßvoll“ erhöht werden. Um all diesgeht es nicht, vielmehr geht es um die verfassungsrechtliche Berücksichtigung <strong>des</strong>sogenannten Halbteilungsgrundsatzes, wenn es zu erheblichen Steuererhöhungen undderen Auswirkungen auf den Beschwerdeführer gekommen ist, die einer grundsätzlicherenAuseinandersetzung bedürfen. Der BFH setzt sich damit unnötiger Weise demVerdacht aus, nicht nur Verfassungsrechtsprechung nicht mehr würdigen zu wollen,sondern sich auch noch zum verlängerten Arm von Fiskalinteressen zu machen.Der BFH 1002) hält mithin nach wie vor und ungeachtet der vorgenannten neuen Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG zu Art. 14 GG bei steuerlichen Belastungen an der herkömmlichenRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG zu Art. 14 GG fest. Allerdings scheint auch dieneuere Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG inzwischen wieder zur früheren weiten Eingriffsbefugnis<strong>des</strong> Staates zurückzukehren. 1003) Und in seiner Entscheidung vom 18.01.20061001)1002)1003)BFH 04.02.2002 – VII B 62/01, BFH/NV 2002, 815; BFH 04.02.2002 – VII B 63/01, BFH/NV2002, 815BFH 11.08.1999 – XI R 77/97, BStBl. II 1999, 771, 773: „Diese Begrenzung der Steuerbelastungergibt sich nicht aus Art. 14 Abs. 1 GG.Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet das Eigentum allgemein (BVerfG-Beschluß vom 3. Juli 1985 1BvL 55/81, BVerfGE 70, 219, 230). Zwar reicht der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz insoweitweiter als der zivilrechtliche, als er sich auch auf dinglich nicht gesicherte vermögenswerteRechtspositionen erstreckt. Kein Eigentum in diesem Sinne ist aber das Vermögen an sich, dasselbst kein Recht verkörpert, sondern den Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person darstellt(BVerfG-Urteil vom 8. April 1997 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, 300). Steuertatbestände begründeneine allgemeine Geldleistungspflicht, da sie dem Steuerschuldner unspezifisch die Zahlungeines Geldbetrags auferlegen, der aus beliebigen Einnahmequellen, etwa aus gewerblichenEinkünften, Arbeitseinkommen oder Verkaufserlösen erbracht werden kann. Sie berühren nichtdie Eigentumsgarantie <strong>des</strong> Art. 14 GG (BVerfG-Urteil vom 20. Juli 1954 1 BvR 459, 484, 584,555, 623, 651, 748, 783, 801/52, 5, 9/53, 96, 114/54, BVerfGE 4, 7, 17; BVerfG-Beschlüsse vom17. Juli 1974 1 BvR 51, 160, 285/69, 1 BvL 16, 18, 26/72, BVerfGE 38, 61, 102; vom 31. Mai1988 1 BvL 22/85, BVerfGE 78, 232, 243; vom 23. Juni 1993 1 BvR 133/89, BVerfGE 89, 48,61).Eine Steuerpflicht kann die Eigentumsgarantie ausnahmsweise nur berühren, wenn sie den Pflichtigenübermäßig belastet und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt (BVerfG-Urteil vom 24. Juli 1962 2 BvL 15, 16/61, BVerfGE 14, 221, 241; BVerfG-Beschluß in BVerfGE70, 219, 230). Davon ist nur auszugehen, wenn die Belastung über je<strong>des</strong> Maß ansteigt (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 78, 232, 243; vom 31. Mai 1990 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87,BVerfGE 82, 159, 190) und damit zu einer Existenzgefährdung führen würde ("Erdrosselung").Diese Grundsätze hat das BVerfG im Urteil in BVerfGE 95, 267, 300 bestätigt und darauf hingewiesen,dass ihnen auch die "Vermögensteuerentscheidung" <strong>des</strong> BVerfG in BVerfGE 93, 121,137 folge; bei der dort vorgenommenen Prüfung von § 10 Nr. 1 <strong>des</strong> Vermögensteuergesetzes steheohnehin Art. 3 Abs. 1 GG im Vordergrund.“BVerfG 05.02.2002 – 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 151


- 178 - 178hat das BVerfG 1004) sich gänzlich von seiner Halbteilungs-Rechtsprechung abgewandtund ist dem BFH gefolgt. Man kann sich über diese Flexibilität <strong>des</strong> BVerfG nur wundern.596Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – Gewaltenteilungs-ii)prinzipGerichte dürfen sich nicht der normanwendenden Pflicht entziehen und zur normsetzendenInstanz werden. Davon zu trennen ist Rechtsfortbildung <strong>des</strong> Rechts, was aberinnerhalb dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes geschehenmuß. Das BVerfG prüft insoweit nur, ob ein Gericht bei der Rechtsfortbildung„die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methodender Gesetzesauslegung gefolgt ist.“ 1005)597598599jj)Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – RückwirkungBei der Rückwirkung muß man unterscheiden zwischen der Rückwirkung höchstrichterlicherRechtsprechung und der getrennt davon zu sehenden Rückwirkung gesetzlicherRegelungen. Für letzteres ist auf folgen<strong>des</strong> zu achten:Basiert die Belastungswirkung eines Steuerverwaltungsaktes darauf, dass <strong>des</strong>sen gesetzlicheErmächtigungsgrundlage zu Lasten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen rückwirkend geändertwurde, ist im Zuge der Abfassung der Klagebegründung zu prüfen, ob man denbelastenden Verwaltungsakt damit angreift, auf die Verfassungswidrigkeit dieser gesetzlichenRegelung hinzuweisen. Dies, um damit einen Antrag an das FG zu verbinden,gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Überprüfung der Verfassungswidrigkeit demBVerfG vorzulegen, 1006) denn das FG hat keine Verwerfungskompetenz wegen Verfassungswidrigkeiteiner Norm. Bei Prüfung dieser Vorgehensweise muß man als Beraterfolgen<strong>des</strong> bedenken:Zunächst ist einfachrechtlich zu prüfen, inwieweit sich verfahrensrechtlich eine Rückwirkungauf den relevanten Sachverhalt auswirken kann. 1007) Denn wenn schon einfachrechtlicheNormen als Konkretisierung <strong>des</strong> Rechtsstaatsprinzips eine Rückwirkungvon Gesetzen auf den streiterheblichen Sachverhalt ausschließen können, kommtes auf verfassungsrechtliche Fragen der Rückwirkung nicht mehr an. 1008) Sodann ist zuklären, ob nicht das FG selbst einen verfassungsrechtlich zu beanstandenden Verstoßgegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot mittels verfassungskonformerAuslegung der beanstandeten Norm in den Griff bekommen kann. 1009) Dies ist vomProzeßanwalt schriftsätzlich darzulegen. Wenn auch dies aus darzulegenden Gründen1004)1005)1006)1007)1008)1009)BVerfG 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191; dem zustimmend Sacksofsky NVwZ2006, 661BVerfG 28.08.2000 – 1 BvR 1821/97, Beilage zu BFH/NV 5/2001, 68, 70z.B. Vorlagebeschluss <strong>des</strong> FG Köln 25.07.2002 – 13 K 460/01, EFG 2002, 1236 mit Anm.SchaumburgBVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48, 56BVerfG 20.02.2002 – 1 BvL 19 – 21/97, 11/98, BVerfGE 105, 48, 56 f.FG Köln 18.12.2002 – 4 K 4737/99, EFG 2003, 498


- 179 - 179600nicht gelingen sollte, ist alsdann die Entscheidungserheblichkeit (§ 80 Abs. 2 BVerfGG)in dem Sinne aufzuzeigen, dass der Klage aus im einzelnen aufzuzeigendenGründen stattzugeben sei, wenn sich die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage <strong>des</strong>belastenden Verwaltungsaktes als verfassungswidrig erweisen würde. Aus diesemGrunde ist gegenüber dem FG vergleichend darzustellen, wie sich die Rechtslage beiVerfassungsgemäßheit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage darstellt und wie beiVerfassungswidrigkeit:Von einer „echten Rückwirkung“ einer Norm spricht man, wenn ihr zeitlicher Anwendungsbereichauf einen Zeitpunkt zurückbezogen wird, zu welchem bezüglich einerNorm ein Gesetzesbeschluß gefaßt worden ist. 1010) Folglich ist der Gesetzgeber nichtberechtigt, den zeitlichen Anwendungsbereich einer gesetzlichen Regelung auf einenZeitpunkt vor dem Gesetzesbeschluss zu erstrecken, 1011) wohl aber ist er berechtigt,den zeitlichen Anwendungsbereich auf einen Zeitpunkt zwischen Gesetzesbeschlußbis zur Verkündung <strong>des</strong> Gesetzes rückzubeziehen. 1012) Eine weitere Rückbeziehung imWege echter Rückwirkung ist nur zulässig, wenn dies der sofortigen Abwehr von öffentlichenGefahren oder Mißständen dient. 1013) Insoweit muß die Rechtsprechung <strong>des</strong>BFH 1014) auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen, wenn sie die Rückwirkung nochvor den Tag <strong>des</strong> Gesetzesbeschlusses zuläßt, nur weil zu einem früheren ZeitpunktGesetzespläne der Bun<strong>des</strong>regierung bekanntgeworden waren und bereits eine Rechtsprechung<strong>des</strong> Großen Senates BFH vorhanden war, die sich in einem späteren Gesetzwiederfindet. 1015) Belastende Gesetze mit „echter Rückwirkung“ sind „grundsätzlichunzulässig.“ 1016) Aus Gründen der Rechtssicherheit und <strong>des</strong> Vertrauensschutzes sollman grundsätzlich bis zur Verkündung einer Neuregelung auf den bisherigen Rechtszustandvertrauen dürfen. 1017) Dies hat das BVerfG inzwischen relativiert, indem sogareine Rückwirkung bis zum dem Tag möglich ist, an dem ein Gesetzesbeschluss gefaßtworden ist, da ab dann mit dem Inkrafttreten der Neuregelung zu rechnen ist. 1018)1010)1011)1012)1013)1014)1015)1016)1017)1018)Hummel DStR 2003, 1, 2BFH 27.08.2002 – XI B 94/02, DStR 2002, 1985, 1987. Nach BFH 06.03.2002 – XI R 81/00,HFR 2002, 876, 877 ist abzustellen auf den Tag, zu dem die Verkündung <strong>des</strong> Gesetzes in dermaßgeblichen Aufgabe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gesetzblattes erfolgt und nicht, wann das Bun<strong>des</strong>gesetzblattausgeliefert worden ist. BFH 27.08.2002 – XI B 94/02, DStR 2002, 1985, 1986Da § 52 Abs.39 Satz 1 EStG i.d.F. <strong>des</strong> StEntlG dagegen verstößt, hat das FG Köln 25.07.2002 –13 K 460/01, EFG 2002, 1236 gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorgelegtBVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79; BVerfG 03.07.2001 – 1 BvR 382/01,DB 2001, 1650BVerfG 29.10.1999 – 1 BvR 1996/97, VIZ 2000, 150; Hummel DStR 2003, 1, 2BFH 08.10.2001 – VIII B 08.10.2001, BFH/NV 2002, 333; BFH 17.12.2001 – IX B 56/01,BFH/NV 2002, 492; BFH 27.08.2002 – XI B 94/02, BStBl. II 2003, 18, 20; a.A. BFH 06.03.2002– XI R 81/00, HFR 2002, 876Ebenso Hummel DStR 2003, 1, 3BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79; Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3Seite 13*BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79BVerfG 03.07.2001 – 1 BvR 382/01, DB 2001, 1650. Schaumburg DB 2000, 1884, 1888 weistzutreffend darauf hin, es widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn der Steuerpflichtigealleine wegen der Ankündigung von Gesetzesinitiativen durch die Exekutive nicht mehr auf denFortbestand geltenden Rechts vertrauen dürfe. Rechtssicherheit gebe es erst, wenn ein Gesetz imBGBl. verkündet und publiziert worden sei.


- 180 - 180601602603Soweit das BVerfG 1019) in einer früheren Entscheidung iudizierte, der Gesetzgeber seiberechtigt, die ursprünglichen Rechtsfolgen auch gegen Jahresende mit Wirkung fürden gesamten Veranlagungszeitraum zu ändern, hat das BVerfG dies in einer späterenEntscheidung allerdings dies wieder relativiert. 1020)Von einer „unechten Rückwirkung“ bzw. „tatbestandlichen Rückanknüpfung“ sprichtman dagegen, wenn ein Gesetz zeitlich zwar erst nach Verkündung in Kraft tritt, aberbereits Sachverhalte erfaßt, die vor der Verkündung „ins Werk gesetzt worden sind,“ohne abgeschlossen gewesen zu sein. Solche gesetzliche Regelungen „unterliegenweniger strengen Beschränkungen.“ 1021) Fraglich ist nur, ob als Unterscheidungsmerkmalder Sachverhalt abgeschlossen sein muß oder auch seine steuerliche Zuordnung.Der BFH 1022) meint, ein vor Verkündung <strong>des</strong> Gesetzes abgeschlossener Sachverhalt seidann noch nicht abgeschlossen, wenn für das Jahr <strong>des</strong> abgeschlossenen Sachverhaltesdie zum Jahresende erst eintretende Veranlagung als Rechtsfolge noch nicht erfolgt seiund ordnet daher rückwirkende Eingriffe in <strong>des</strong>halb nicht abgeschlossene Sachverhalteder unechten Rückwirkung zu. Der vom BFH in diesem Zusammenhang zitiertenRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG läßt sich dies so nicht entnehmen. 1023) So geht dasBVerfG für den zeitlichen Anwendungsbereich einer Norm davon aus, damit die zeitlicheZuordnung der normativ angeordneten Rechtsfolgen im Hinblick auf den Zeitpunktder Verkündung der Norm in Betracht zu ziehen. Es geht folglich bei der echtenRückwirkung um eine solche von Rechtsfolgen bis zum Zeitpunkt der Gesetzesverkündung,während die tatbestandliche Rückanknüpfung die unechte Rückwirkungausmacht. 1024)Schutzwürdiges Vertrauen entfällt aber ab dem Zeitpunkt <strong>des</strong> endgültigen Gesetzesbeschlussesüber die Neuregelung, da man ab diesem Zeitpunkt mit dem Inkrafttretender Neuregelung rechnen muß. Folglich kann der Gesetzgeber für Neuregelungen denZeitraum vom Gesetzesbeschluss bis zur Gesetzesverkündung mit einbeziehen. 1025)Rückwirkungsverbote darf der Gesetzgeber durchbrechen, wenn zwingende Gründe<strong>des</strong> gemeinen Wohls oder wegen eines nicht mehr schutzwürdigen Vertrauens <strong>des</strong>1019)1020)1021)1022)1023)1024)1025)BVerfG 14.05.1986 – 2 BvL 02/83, BVerfG 72, 200BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 67, 80; Kirchhof StuW 2000, 221, 223; MellinghoffDStR 2003, Beilage 3 Seite 13*BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79; BVerfG 03.07.2001 – 1 BvR 382/01,DB 2001, 1650; BFH 09.05.2001 – XI B 151/00, BStBl II 2001, 552; BFH 27.08.2002 – XI B94/02, DStR 2002, 1985, 1986BFH 27.08.2002 – XI B 94/02, DStR 2002, 1985, 1986Siehe etwa BVerfG 14.05.1986 – 2 BvL 02/83, BVerfGE 72, 200, 240BVerfG 14.05.1986 – 2 BvL 02/83, BVerfGE 72, 200, 242BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79


- 181 - 181604Einzelnen es gebieten und dadurch nicht in den „grundrechtlichen Schutz <strong>des</strong> Lebenssachverhaltes“eingegriffen wird, was von Fall zu Fall zu prüfen ist. 1026)„Der Steueranspruch entsteht gemäß § 38 i.V.m. § 37 Abs. 1 AO grundsätzlich, sobald derTatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Das Einkommensteuergesetzallerdings bestimmt in § 36 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1, dass die Einkommensteuerin der Regel mit Ablauf <strong>des</strong> Kalenderjahres als Veranlagungszeitraum entsteht. Nach diesergesetzlichen Vorgabe finden die Regeln der tatbestandlichen Rückanknüpfung Anwendung,wenn nicht schon der gesamte gesetzliche Steuertatbestand vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes verwirklichtworden ist (vgl. BVerfGE 72, 200 ; ebenso Bun<strong>des</strong>finanzhof, BStBl II1993 S. 151 ).Bietet aber ein Steuergesetz dem Steuerpflichtigen eine Verschonungssubvention an, die er nurwährend <strong>des</strong> Veranlagungszeitraums annehmen kann, so schafft dieses Angebot für diese Dispositionin ihrer zeitlichen Bindung eine Vertrauensgrundlage, auf die der Steuerpflichtigeseine Entscheidung über das subventionsbegünstigte Verhalten stützt. Er entscheidet sich um<strong>des</strong> steuerlichen Vorteils willen für ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten, das er ohne densteuerlichen Anreiz so nicht gewählt hätte.Mit dieser Entscheidung ist die Lenkungs- und Gestaltungswirkung <strong>des</strong> Subventionsangebotsabschließend erreicht. Diese Dispositionsbedingungen werden damit vom Tag der Entscheidungan zu einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage.“ 1027)Möchte man folglich die Verfassungswidrigkeit einer Norm wegen rückwirkenderBelastungswirkung angreifen, so muß folglich in der Klagebegründung dargelegt werden,- ob ein Fall echter oder unechter Rückwirkung gegeben ist,- ob die Rückwirkung auf die Zeit vor den Tag <strong>des</strong> Gesetzesbeschlusses zurückreicht,- dass es keine zwingenden Gründe <strong>des</strong> gemeinen Wohls gibt,- dass das schutzbedürftige Vertrauen <strong>des</strong> Einzelnen durchbrochen wurde,- dass dadurch in einen grundrechtlich geschützten Lebenssachverhalt (z.B. Art. 2Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 GG 1028) ) eingegriffen wurde.1026)1027)1028)BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79. Ähnlich BFH 05.03.2001 – IX B90/00, BStBl II 2001, 405: „Schutzwürdig ist jedenfalls --vom Tag der Dispositionsentscheidungan-- das betätigte Vertrauen, d.h. eine hinreichend gewichtige Investition oder wirtschaftlicheDisposition <strong>des</strong> Steuerpflichtigen, die auf dem Vertrauen in das zu diesem Zeitpunkt geltendeRecht beruht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 5. Mai 1987 1 BvR 724, 1000, 1015/81; 1 BvL 16/82und 5/84, BVerfGE 75, 246, 280 und in BVerfGE 97, 67, 80). Entscheidet sich der Steuerpflichtigewegen eines vom Gesetzgeber als Subvention angebotenen steuerlichen Vorteils für ein bestimmteswirtschaftliches Verhalten, das er ohne den steuerlichen Anreiz so nicht gewählt hätteund nimmt der Gesetzgeber die Verschonungssubvention für die in der Vergangenheit begründeteDisposition <strong>des</strong> Steuerpflichtigen zurück, kann darin eine Verletzung verfassungsmäßig geschützterRechte liegen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67, 80). Ist es aber dem Gesetzgeberdem Grunde nach verwehrt, das betätigte Vertrauen <strong>des</strong> Steuerpflichtigen auf einmal geschaffeneDispositionsgrundlagen durch rückwirkende Streichung von begünstigenden Subventionsnormenzu enttäuschen, muss es ihm erst recht von Verfassungs wegen verwehrt sein, ein vergleichbaresVertrauen durch Ausweitung einer Eingriffsnorm zu enttäuschen.“ Dazu Pleyer NJW 2001, 1985;Schaumburg DB 2000, 1884BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79BVerfG 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79


- 182 - 182605kk)Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – Normenwahrheitund NormenklarheitSteuerbegründende Tatbestände müssen so bestimmt sein, dass der Steuerpflichtigedie ihn treffenden Belastungen vorausberechnen kann (Nomenklarheit). 1029) Insoweitkann sich die Abgrenzungsfrage stellen, wann ein noch zulässiger unbestimmterRechtsbegriff gegeben ist und wann die vorgenannte Vorgabe verlassen ist. 1030) Darüberhinaus muß das Steuergesetz an dem mit ihm verfolgten Zweck messen lassen(Normenwahrheit). 1031)606607608609ll)Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Rechtsstaatsprinzip – VertrauensschutzDieser aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz bedeutet, der Staatsbürgermüsse die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechendeinrichten können. 1032) Folglich hat ein Steuerpflichtiger insbesonderedann Anspruch auf Vertrauensschutz – auch unabhängig von § 176 AO -,- wenn bisher eine für die Meinung <strong>des</strong> Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassungbestand und die Rechtslage nicht zweifelhaft erschien,- sich die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH verschärft oder von einer allgemein geübtenVerwaltungspraxis abweicht- und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionengetroffen hat. 1033)Wenn ein solcher Anspruch auf Vertrauensschutz besteht, dann muß die Fianzverwaltungdurch allgemeine Billigkeitsregelunge oder Übergangsregelungen oder dasFinanzamt durch eine Einzelmaßnahme (§ 163 AO) reagieren. 1034)610mm)Art. 100 Abs. 1 GG 1035) - VorlageantragBevor man über einen Vorlageantrag und eine Vorlagebegründung i.S.d. Art. 100 Abs.1 Satz 1 GG nachdenkt, gilt es zu bedenken, ob die von einem belastenden Steuerbescheidausgehende Wirkung, die auf einer als verfassungswidrig empfundenenNorm beruht, nicht dadurch abgemildert werden kann, dass bereits im AnfechtungsklageverfahrenBilligkeitserwägungen gemäß §§ 163, 227 AO weiterhelfen können,ohne auf die Zweigleisigkeit eines gesonderten Verfahrens gemäß §§ 163, 227 AO1029)1030)1031)1032)1033)1034)1035)BVerfG 14.12.1965 – 1 BvR 571/60, BVerfGE 19, 253, 267; BVerfG 12.10.1978 – 2 BvR154/74, BVerfGE 49, 343, 362Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 14* f.Mellinghoff DStR 2003, Beilage 3 Seite 14* f.BFH 13.03.2001 – VIII R 37/00, BStBl II 2001, 430BFH 26.09.2007 – V B 08/06, BFH/NV 2008, 320, 322BFH 26.09.2007 – V B 08/06, BFH/NV 2008, 320, 322Zu einem solchen durch ein FG siehe BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509


- 183 - 183611612abstellen zu müssen. 1036) § 163 Abs. 1 Satz 3 AO gibt dafür eine gesetzliche Grundlage.1037) Vorsorglich sollte dies im finanzgerichtlichen Verfahren und auch vor demBFH u.H.a. § 163 Abs. 1 Satz 3 AO vorgetragen werden. Der Vorlageantrag wäredann nur ein Hilfsantrag für den Fall, dass das FG bzw. der BFH dem nicht entsprechenwürde, eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich wäre und die rückwirkendeVerfassungswidrigkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zur Überzeugung<strong>des</strong> Gerichts vorgetragen werden kann.Ein Vorlageantrag nach Art. 100 Abs. 1 GG setzt für den Steueranwalt folgendeÜberlegungen voraus:- Zunächst gilt es zu bedenken, ob das BVerfG über die Frage der Vereinbarkeiteiner Norm mit höherrangigem Recht nicht bereits entschieden hat - dann wäreeine Vorlage nämlich unzulässig, vielmehr wäre dann das FG an eine solche Entscheidunggebunden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG), 1038) worauf hinzuweisen wäre - o-der man nicht verfassungswidrige Aspekte einer Norm aufzeigen kann, bei denendem FG die Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung verbleibt. 1039) Zumeinen <strong>des</strong>halb, weil die Möglichkeit und Notwendigkeit verfassungskonformerAuslegung 1040) durch das FG eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ausschließt.Zum anderen <strong>des</strong>halb, weil bei verfassungskonformer Auslegung durch das FGdie mit einem Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG verbundene Verlängerung<strong>des</strong> Verfahrens vermieden werden kann. Bejaht man die verfassungskonformeAuslegungsmöglichkeit, dann sollte der Vorlageantrag nach Art.100 Abs. 1 GG nur hilfsweise gestellt werden und zuvörderst die verfassungsrechtlicheSeite bezüglich der Verfassungswidrigkeit und ihrer Behebungsmöglichkeitper verfassungskonformer Auslegung sehr ausführlich aufbereitet werden.Denn die Praxis zeigt, dass Finanzrichter ob ihrer Herkunft als Finanzbeamte sichverfassungsrechtlichen Fragen nur mit großer Zurückhaltung annehmen.- Zielt man in seiner verfassungsrechtlichen Begründung vor dem FG auf die Nichtigkeitder Norm, die nur durch das BVerfG erklärt werden könnte, dann mußvorrangiges Ziel sein, beim FG nicht nur verfassungsrechtliche Zweifel zu wekken,da dies für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht ausreicht. Das FGmuß für eine Vorlage vielmehr von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugtsein. 1041) Zudem ist zu verdeutlichen, warum für den Fall der Vorlage gemäßArt. 100 Abs. 1 GG das BVerfG gehalten sein sollte, die Verfassungswidrigkeitder beanstandeten Norm nicht nur für die Zukunft festzustellen, sondernauch für die Vergangenheit; 1042) denn beabsichtigt man, eine Norm im Rahmender Inzidentprüfung als verfassungswidrig erklären zu lassen, um damit diese als1036)1037)1038)1039)1040)1041)1042)BFH 14.03.2006 – VIII R 45/03, BFH/NV 2006, 1448, 1449So auch die Anfrage im Beiladungsbeschluß in BFH 29.01.1999 – VI R 176/90, BStBl. 1999, 233BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 510BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457BFH 15.12.1998 – VIII R 06/98, BStBl II 1999, 138BVerfG 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, NJW 1999, 1457. Zu einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GGdurch den BFH siehe auch BFH 24.02.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450, 464; BFH18.07.2001 - I R 38/99, DB 2001, 2582; BFH 18.07.2001 - I R 38/99, DB 2001, 2582BFH 02.12.1998 – X R 48/97, BFH/NV 1999, 1192; BFH 16.12.1998 – X R 68/98, BFH/NV1999, 1194


- 184 - 184613614gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den angegriffenen Steuerbescheid inWegfall geraten zu lassen, kann dies ja nur gelingen, wenn zugleich die Notwendigkeitverdeutlicht wird, die Verfassungswidrigkeit sei vom BVerfG auch für dieVergangenheit festzustellen.Folglich muß die Begründung <strong>des</strong> Steueranwalts dann, wenn aufgezeigt wurde,dass und warum eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist, daraufausgerichtet sein, das FG von der Verfassungswidrigkeit der Norm so zu überzeugen,das diese Überzeugung <strong>des</strong> Gerichts es zu Vorlage veranlaßt, 1043) weil dievorzulegende Frage für die Entscheidung <strong>des</strong> FG „unerläßlich ist.“ 1044) Hat dasBVerfG über die Vereinbarkeit einer Norm mit höherrangigem Rechts bereitsentschieden und wird gleichwohl eine Vorlage angestrebt, so ist dies ausnahmsweisezulässig,„wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage derfrüheren Entscheidung berühren und deren Überprüfung nahelegen. Jedoch sind an dieBegründung einer zweiten Vorlage gesteigerte Anforderungen zu stellen. Sie muß von derEntscheidung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts ausgehen und darlegen, inwiefern sich diefür die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgebliche Lage verändert haben soll (vgl.BVerfGE 33, 199 ; 39, 169 ; 65, 179 ; 78, 38 ; 87, 341). Stützt sich das vorlegende Gericht auf Veränderungen der einfachrechtlichen Lageoder auf offenkundige und allgemein bekannte Tatsachen, so genügt es, wenn derenBedeutung im Zusammenhang mit dem Gedankengang der früheren Entscheidung <strong>des</strong>Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts gewürdigt wird (vgl. BVerfGE 39, 169 ; 78, 38 ;87, 341 ). Soll sich hingegen die Veränderung der verfassungsrechtlichen Lage ausdem Eintritt neuer Umstände ergeben, die nicht als allgemein bekannt gelten können, somuß die Vorlage zumin<strong>des</strong>t erkennen lassen, auf welche Weise das vorlegende Gerichtdie Feststellungen getroffen hat, auf die es seine verfassungsrechtlichen Bedenken gründet(BVerfGE 87, 341 ).“ 1045)Der Begründungsaufwand für eine Vorlagefrage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GGin einer Klagebegründung ist nicht unerheblich und setzt über dem Durchschnittliegende verfassungsrechtliche Kenntnisse, insbesondere auch der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG, voraus.1043)1044)1045)BVerfG 25.06.1974 – 1 BvL 13, 23, 25/69, BVerfGE 37, 328, 333 f.; BVerfG 20.04.1984 – 1BvL 23/83, BVerfGE 66, 265, 269 f.; BVerfG 24.04.1991 – 2 BvL 6/90, BVerfGE 84, 160, 165;BVerfG 07.04.1992 – 1 BvL 19/91, BVerfGE 86, 52, 57; BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91,BVerfGE 93, 121, 131; BVerfG 07.06.2000 – 2 BvL 1/97, WM 2000, 1661, 1662Im Grundsatz gemäß BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 510 keine Vorlagean das BVerfG zulässig, wenn das BVerfG „über die Frage der Vereinbarkeit der vorgelegtenNorm mit höherrangigem Recht bereits entschieden hat.“ Denn insoweit ist das vorlegende Gerichtan eine Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden, die gemäß § 31Abs. 2 Satz 1 BVerfGG Gesetzeskraft entfaltet. Ergeben sich neue Umstände, so sind diese „imZusammenhang mit dem Gedankengang der früheren Entscheidung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtszu würdigen.“BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 512; BFH 26.11.1998 – IV B 150/97,BFH/NV 1999, 657BVerfG 17.11.1998 – 1 BvL 10/98, BStBl. II 1999, 509, 510


- 185 - 185615616617- Sollte man mit dem Vorlagebegehren bezüglich Art. 100 Abs. 1 GG Erfolg haben,1046) verlängert dies den Steuerprozess erheblich. Dies gilt es insbesonderedann zu bedenken, wenn das gesamte steuerliche Umfeld in Anbetracht <strong>des</strong>senins Stocken geraten könnte.Eine Vorlage kann im Hinblick auf Art. 100 Abs. 1 GG im Regelfall nicht damit begründetwerden, eine Grundrechtsverletzung sei durch sekundäres Gemeinschaftsrechtangezeigt. Denn ob der deutsche Gesetzgeber EU-Recht in deutsches Recht im Rahmenseines Umsetzungsspielraumes transformiert hat oder diesen überschritten hat, istzunächst einmal durch die Fachgerichte zu klären, 1047) das ggf. eine Vorlage an denEuGH gem. Art. 267 AEUV zu erwägen hat. 1048)Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass man zur Überzeugung <strong>des</strong> FG darlegen könnte,dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGHnach Ergehen der Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG vom 22.10.1986 („Solange II“) 1049) unterden erforderlichen deutschen Grundrechtsstandard abgesunken sei 1050) bzw. ob dasUnionsrecht dem nationalen Gesetzgeber einen eine verfassungsrechtliche Prüfungermöglichenden Spielraum belassen hat. 1051) Kann man diesbezüglich den Begründungsanforderungender BVerfG nicht entsprechen, wird man auch das FG für eineVorlage kaum gewinnen können. Man sollte dann eher darüber nachdenken, ob mannicht statt <strong>des</strong>sen eine Vorlage zum EuGH anregen sollte.618619nn)Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – Gesetzlicher RichterDer EuGH ist gesetzlicher Richter i.S. <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. 1052)Soweit der BFH 1053) iudiziert, die Abweichung <strong>des</strong> FG von einer Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH sei kein Revisionszulassungsgrund, ist dies unzutreffend. Im Gegenteil ist diesmit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 1054) der Entzug <strong>des</strong> EuGH als gesetzlichen Richterund daher nach §§ 116 Abs. 3 Satz 2, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sehr wohl ein Zulassungsgrund,mit der Folge, dass dann, wenn auch der BFH von der Rechtsprechung<strong>des</strong> EuGH abweichen möchte, er nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (= Art. 234 Abs. 3 EG1046)1047)1048)1049)1050)1051)1052)1053)1054)Nach BVerfG 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 133 beschränkt sich beim BVerfGeine gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorgelegte Frage nicht auf die vom vorlegenden Gerichtvorgetragenen Gründe. „Vielmehr ist die Norm insoweit, als sie zulässigerweise zur Prüfung gestelltworden ist, unter allen denkbaren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Gegenstand <strong>des</strong>Verfahrens (vgl. BVerfGE 26, 44, 58; 67, 1, 11).“BVerfG 04.10.2011 – 1 BvL 03/08, DStR 2011, 2141 Rdn. 44BVerfG 04.10.2011 – 1 BvL 03/08, DStR 2011, 2141 Rdn. 47 f., 51 f.BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 378 - 381Zu den Begründungsanforderungen im einzelnen siehe BVerfG 07.06.2000 – 2 BvL 1/97, WM2000, 1661BVerfG 04.10.2011 – 1 BvL 03/08, DStR 2011, 2141 Rdn. 45 ff.BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 366 ff.BFH 11.02.2000 – V B 135/99, BFH/NV 2000, 1107BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 705; BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 21


- 186 - 186620a.F.), 101 Abs. 2 Satz 1 GG dem EuGH vorlegen muß. Wenn der BFH 1055) meint, einFG sei nicht verpflichtet, dem EuGH vorzulegen, dann ändert dies an zuvor Ausgeführtemnichts. Denn zwar ist das FG gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV (= Art. 234 Abs.2 EG a.F.) nicht zur Vorlage verpflichtet, wohl aber nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG. 1056) Würde man nämlich sich mit der fehlenden Vorlagepflicht <strong>des</strong> FG zufriedengeben und die Revision nicht zulassen, dann könnte je<strong>des</strong> FG europäisches Recht auchabweichend vom EuGH schaffen und es würde genau das eintreten, was dasBVerfG 1057) nicht als zulässig erachtet:„Denn der Grundrechtsschutz der Beschwerdeführerin liefe ins Leere, wenn das Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtmangels Zuständigkeit keine materielle Prüfung anhand der Grundrechte vornehmenkann und der Europäische Gerichtshof mangels Vorabentscheidungsersuchens nicht dieMöglichkeit erhält, sekundäres Gemeinschaftsrecht anhand der für die Gemeinschaft entwikkeltenGrundrechtsverbürgungen zu überprüfen.“Es gilt allerdings zu bedenken, dass man sich auf einen Grundrechtsverstoß gegen Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG nur berufen kann, wenn dieser Verstoß willkürlich erfolgte 1058)oder unter Berücksichtigung der Auslegung/Anwendung einfachen Rechts schlechthinunvertretbar ist. 1059) Hierzu hatte das BVerfG 1060) für Fälle einen Maßstab vorgegeben,in denen dem EuGH nicht vorgelegt wird, obwohl geboten:„Offensichtlich unhaltbar und daher verfassungswidrig gehandhabt wird die Vorlagepflichtinsbesondere in den Fällen, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlagetrotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichenFrage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlichder richtigen Beantwortung der Frage hegt. Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzlicheHauptsachegericht in seiner Entscheidung bewußt von der Rechtsprechung <strong>des</strong>Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nichtoder nicht neuerlich vorlegt. Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtseinschlägige Rechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oderhat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise nochnicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung <strong>des</strong>Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 21055)1056)1057)1058)1059)1060)BFH 17.02.2000 – V B 144/99, BFH/NV 2000, 999BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 705: „Es ist geklärt, dass der Europäische Gerichtshofgesetzlicher Richter im Sinne <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist und es einen Entzug <strong>des</strong>gesetzlichen Richters darstellt, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung <strong>des</strong> EuropäischenGerichtshofs im Wege <strong>des</strong> Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (vgl. BVerfGE73, 339 ; 82, 159 ; s. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer <strong>des</strong> ErstenSenats vom 21. August 1996 - 1 BvR 866/96 -, NVwZ 1997, S. 481; BVerfG, Beschluss der 2.Kammer <strong>des</strong> Ersten Senats vom 5. August 1998 - 1 BvR 264/98 -, DB 1998, S. 1919). Danachwird die Vorlagepflicht i n s b e s o n d e r e in solchen Fällen unhaltbar gehandhabt, in denenein letztinstanzliches Gericht seine Vorlageverpflichtung grundsätzlich verkennt.“ Aus dem Wort„insbesondere“ folgt, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht – alsp unabhängig von Art. 234 Abs.2 EG - eine Vorlagepflicht nicht nur für letztinstanzliche Gerichte gilt. Ferner <strong>Wagner</strong> ZSteu2004, 168BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 705BVerfG 03.11.1992 - 1 BvR 137/92, BVerfGE 87, 282, 285; BVerfG 24.10.1999 - 2 BvR1919/99, n.V.; BFH 21.10.1999 – VII R 15/99, BStBl. II 2000, 88; BFH 13.01.2003 – III B 51/02,BFH/NV 2003, 641, 642BVerfG 20.09.2006 – 2 BvR 799/04, WM 2006, 2084BVerfG 22.12.1992 - 2 BvR 557/88, NVwZ 1993, 883. So auch immer noch BVerfG 05.01.2011– 1 BvR 2870/10, NJW 2011, 1131 Rdn. 7


- 187 - 187621622623624GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällennotwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dieskann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichenFrage <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinungeindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 ).“Die Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG läßt sich wie folgt zusammenfassen: 1061)- Hat der EuGH eine entscheidungserhebliche Frage bereits entschieden und möchteder BFH davon abweichen, dann muß er an den EuGH als gesetzlichen Richter(Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vorlegen (Art. 267 Abs. 3 AEUV = Art. 234 Abs. 3EG a.F.).- Hat der EuGH eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht entschiedenbzw. noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung derRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH möglich und legt der BFH gleichwohl dem EuGHnicht vor, so wird gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, wenn diese Beurteilung<strong>des</strong> BFH unvertretbar gewesen ist. 1062)- Hat der BFH als letztinstanzliches Gericht dem EuGH nicht vorgelegt, obwohlgeboten, dann war dies ein Entzug <strong>des</strong> EuGH als gesetzlichem Richter (Art. 101Abs. 1 Satz 2 GG), 1063) was eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nahe legte.Aber das BVerfG hat solche Verfassungsbeschwerden nur in den seltenen Fällen alserfolgreich angesehen, wenn die Vorlage zum EuGH willkürlich unterblieb. Daranwurde kritisiert, daß das BVerfG nicht etwa prüfte, ob ein letztinstanzliches Gerichtwillkürlich nicht vorlegte, sondern ob die materiellrechtliche Prüfung <strong>des</strong> Unionsrechtswillkürlich war. 1064) Inzwischen scheint das BVerfG seine diesebzügliche Haltungüberdacht zu haben wie seiner iüngst ergangenen Rechtsprechung zu entnehmenist: 1065)- Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kommt es nichtauf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung <strong>des</strong> materiellen Unionsrechtsim Streitfall an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflichtnach Art. 267 Abs. 3 AEUV. 1066)1061)1062)1063)1064)1065)1066)BVerfG 18.12.2006 – 1 BvR 2868/06, Beilage zu BFH/NV 4/2007, 259; BVerfG 21.11.2011 – 2BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 24 - 25BVerfG 16.05.2012 – 1 BvR 96/09 u.a., AG 2012, 625, 627; Bäcker NJW 2011, 270 m.w.N.BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 23; BVerfG16.05.2012 – 1 BvR 96/09 u.a., AG 2012, 625, 627; Britz NJW 2012, 1313Roth NVwZ 2009, 345; Bäcker NJW 2011, 270Dazu Bäcker NJW 2011, 270, 271; Callies NJW 2013, 1905, 1907 f.BVerfG 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, Rdn. 92; BVerfG 10.11.2010 – 1 BvR 2065/10, Rdn. 23;BVerfG 21.12.2010 – 1 BvR 506/09, Rdn. 16; BVerfG 05.01.2011 – 1 BvR 2870/10, NJW 2011,1131 Rdn. 7; BVerfG 16.05.2012 – 1 BvR 96/09 u.a., AG 2012, 625, 627; Britz NJW 2012,1313, 1314


- 188 - 188625626627628629630- Fachgerichte müssen Gründe angeben, die zeigen, ob man sich hinsichtlich <strong>des</strong>europäischen Rechts ausreichend kundig gemacht hat. Dies, um dem BVerfG eineKontrolle am Maßstab <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu ermöglichen. 1067)- Aus dem Schweigen <strong>des</strong> letztinstanzlichen Gerichts zum Unionsrecht ist es demBVerfG nicht möglich, nachzuvollziehen, ob das letztinstanzliche Gericht von einervertretbaren Handhabung der Vorlagepflicht ausgegangen ist. 1068)Wurde mithin im Nichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahren entscheidungserheblichesUnionsrecht vorgetragen, ohne daß sich der BFH damit befaßt hat und wurdeferner die Vorlagenotwendigkeit an den EuGH vorgetragen, ohne daß sich der BFHauch damit befaßt hat, dann dürfte mit dieser Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG eine auf dieVerletzung <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerde Aussichtauf Erfolg haben. 1069)Allerdings hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 21.11.2011 1070) erneut am darzulegendenWillkürerfordernis – auch im Falle <strong>des</strong> Art. 267 Abs. 3 AEUV - festgehalten.Eine solche Willkür sei dann gegeben, wenn die Auslegung und Anwendung vonZuständigkeitsnormen „bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmendenGedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbarsind.“ 1071)Eine Vorlagepflicht an den EuGH gem. Art. 267 AEUV kann aber für das nationaleGericht nicht nur im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gegeben sein, weil/wennder EuGH gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist, sondern auch aufgrund<strong>des</strong> grundrechtlichen Gebotes <strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4GG). 1072)Ein nationales Gericht darf jedoch nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG nicht voneiner strikten Bindung an Gemeinschaftsrecht ausgehen und dabei gleichzeitig deutscheGrundrechte ausblenden. Vielmahr muß dann zunächst dem EuGH vorgelegtwerden, um klären zu lassen, ob das Gemeinschaftsrecht eine Verdrängung deutschenGrundrechtsschutzes gebiete oder ob das Gemeinschaftsrecht nicht doch Umsetzungsspielräumelasse, die grundgesetzkonform ausgefüllt werden könnten. 1073)1067)1068)1069)1070)1071)1072)1073)BVerfG 21.12.2010 – 1 BvR 506/09, Rdn. 17 m.w.N. ; BVerfG 05.01.2011 – 1 BvR 2870/10,NJW 2011, 1131 Rdn. 8; Britz NJW 2012, 1313, 1315BVerfG 21.12.2010 – 1 BvR 506/09, Rdn. 18BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 21 zur Begründungspflichtbetr. eine Vorlagepflicht im Nichtzulassungsbeschwerde- nicht aber im Revisionsverfahren.BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn.23 f.BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 23; Britz NJW 2012,1313, 1314BVerfG 13.03.2007 – 1 BvF 01/05, BVerfGE 118, 79, 97; Britz NJW 2012, 1313, 1315 f.BVerfG 18.07.2005 – 2 BvR 2236/04, BVerfGE 113, 273, 300; Britz NJW 2012, 1313, 1316


- 189 - 189631632633634635d) Lan<strong>des</strong>verfassungsrechtliche Begründung am Maßstab von Lan<strong>des</strong>verfassungsrechtÜberlegt man als Steueranwalt im finanzgerichtlichen Verfahren, ob man – wo gegeben– auch gegen eine Lan<strong>des</strong>verfassung verstoßende Grundrechtsverletzungen oderAbweichungen gegenüber Entscheidungen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht vortragensoll, dann ist von der damit verbunden Zwecksetzung her wie folgt zu differenzieren:Finanzgerichte eines Lan<strong>des</strong> sind auch an die Vorgaben der Lan<strong>des</strong>verfassung samtdort geregelter Grundrechte sowie an Entscheidungen ihres übergeordneten Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtesgebunden. Hierauf kann und sollte bei Schriftsätzen Bezug genommenwerden, indem man solche Bezüge aufzeigt und sie begründet. Man solltedabei aber stets bedenken, dass sich darin in den meisten Fällen aber die damit verbundeneZwecksetzung erschöpft. Denn wie nachfolgend aufgezeigt wird, sind in derüberwiegenden Zahl aller Fälle, wo ein FG dem nicht Rechnung trägt, nach derzeitigerRechtslage zulässige Verfassungsbeschwerden zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht kaummöglich. Für die wenigen Fälle, für die man sich die Erhebung einer zulässigen Verfassungsbeschwerdezu einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht vorbehalten möchte, gilt esdas unten dazu Ausgeführte zu beachten:Im finanzgerichtlichen Verfahren vor dem FG – nicht im NichtzulassungsbeschwerdeoderRevisionsverfahren - können verfassungsrechtliche Gründe auch auf Lan<strong>des</strong>verfassungsrechtgestützt werden. Dies kann sich insbesondere dann anbieten, wenn esum Lan<strong>des</strong>steuerrecht geht (Art. 105 Abs. 2a GG). 1074) Denn die Finanzgerichtsbarkeitist gehalten, im Falle von Lan<strong>des</strong>steuerrecht die Verletzung von Lan<strong>des</strong>recht nachzuprüfen.1075)Aber es kann auch sein, dass der angegriffene Bescheid <strong>des</strong> Finanzamtes oder dasVerfahren <strong>des</strong> FG Grundrechte <strong>des</strong> Klägers verletzt. In diesem Fall ist zunächst derfachgerichtliche Rechtsweg zu erschöpfen, ehe eine Grundrechtsklage erhoben werdenkann. 1076) In einer sich anschließenden Grundrechtsklage sind dann der entscheidungserheblicheSachverhalt und die Grundrechtsverletzungen durch den angegriffenen Aktöffentlicher Gewalt substantiiert aufzuzeigen. 1077)Und bei Grundrechtsklagen unmittelbar gegen ein Gesetz„ist die Antragsbefugnis zur Wahrung <strong>des</strong> allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatzes und <strong>des</strong> Beachtungder Entscheidung <strong>des</strong> Gesetzgebers, nur einem bestimmten, eng umgrenzten Kreis dieAntragsbefugnis im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (§ 39 HessStGH) zuzuerkennen,sowie zur Vermeidung von Popularklagen auf die Fälle beschränkt, in denen eine eigene,gegenwärtige und unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit durch die gesetzliche Bestimmung,deren Verfassungswidrigkeit behauptet wird,“ 1078)1074)1075)1076)1077)1078)HessStGH 14.09.2000 – P.St. 1314, NVwZ 2001, 670BFH 21.02.1990 - II B 93/89, BFH/NV 1991, 204; BFH 21.09.1990 - II B 98/89, BStBl II 1990,510HessStGH 12.12.2005 – P.St. 1914, NVwZ 2006, 685. 686HessStGH 12.12.2005 – P.St. 1914, NVwZ 2006, 685HessStGH 12.12.2005 – P.St. 1914, NVwZ 2006, 685 f.


- 190 - 190636637638639640641substantiiert darzulegen. Dazu gehört auch die substantiierte Darlegung der eigenenund gegenwärtigen Betroffenheit, durch auf der angegriffenen Norm beruhenden Folgenbzw. Maßnahmen in eigenen Grundrechten betroffen zu sein. 1079)- Mit dem Darlegungserfordernis der eigenen Betroffenheit soll Popularklagenbegegnet werden. 1080)- Und mit den Darlegungserfordernis der gegenwärtigen Betroffenheit soll ein konkreterzeitlicher Bezug zwischen Grundrechtsklage und möglicher Grundrechtsbetroffenheitdurch das angegriffene Gesetz sichergestellt werden. 1081)Es kann sein, daß es sich auch um Grundrechtsverletzungen gegen die jeweilige Lan<strong>des</strong>verfassunghandelt, die einer Grundrechtsverletzung nach dem GG entspricht. Ineinem solchen Fall empfiehlt es sich, bereits im finanzgerichtlichen Verfahren, angefangenvon der Klagebegründung über Folgeschriftsätze bis hin zur mündlichen Verhandlung,nicht nur die Grundrechtsverletzungen nach dem GG aufzuzeigen, sondernzugleich auch die nach der entsprechenden Lan<strong>des</strong>verfassung, um keine Rechtsnachteilezu erleiden. 1082) In diesem Zusammenhang ist auch aufzuzeigen, ob und inwieweitdie verfassungsrechtliche Würdigung auf der Grundlage der jeweiligen Lan<strong>des</strong>verfassungzu demselben Ergebnis führt wie auf der Grundlage <strong>des</strong> GG oder ob es unterschiedlicheBeurteilungsmaßstäbe gibt. 1083)Auch kann es sich empfehlen, schriftsätzlich nicht nur für den Streitfall relevanteRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG aufzuzeigen und, soweit diese Bindungswirkung für dasFG hat (§ 31 BVerfGG), diese herauszuarbeiten, sondern Vergleichbares auch bezüglichvorhandener Rechtsprechung <strong>des</strong> für das FG zuständigen Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichteszu tun. Denn FG´s sind auch an Entscheidungen der für sie „zuständigen“ Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtegebunden. 1084)Findet dagegen vor einem FG ein Rechtsstreit statt und beanstandet der Kläger, der einemanderen Bun<strong>des</strong>land angehört als dasjenige <strong>des</strong> FG, die Verletzung eines Lan<strong>des</strong>grundrechts„seines" Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong>, 1085) dann hat das einem anderen Bun<strong>des</strong>landzugehörige FG daran sich zwar nicht zwingend zu orientieren, aber der Kläger kannbeantragen, das finanzgerichtliche Verfahren auszusetzen, um seitens <strong>des</strong> FG eine Entscheidung<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtes <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong> über die Frage der Verletzungeines Lan<strong>des</strong>grundrechtes einzuholen, dem der Kläger angehört. 1086)Ob diese in einer Entscheidung <strong>des</strong> HessStGH am 08.11.1989 angesprochene denkbareMöglichkeit von FG´s ebenso gesehen wird und ob andere Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtediese ältere Rechtsprechung überhaupt teilen, ist höchst ungewiss.1079)1080)1081)1082)1083)1084)1085)1086)HessStGH 12.12.2005 – P.St. 1914, NVwZ 2006, 685. 686 f.HessStGH 12.12.2005 – P.St. 1914, NVwZ 2006, 685. 686HessStGH 12.12.2005 – P.St. 1914, NVwZ 2006, 685. 687BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296; s.u. Rdn. 725 f.z.B. § 47 Abs. 1 HessStGHZur Zuständigkeit <strong>des</strong> BerlVerfGH bei Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen gemeinsamerObergerichte Berlins und Brandenburgs siehe BerlVerfGH 19.12.2006 – VerfGH 45/06,NVwZ 2007, 813HessStGH 08.11.1989 – P.St. 1079, NVwZ 1990, 552:


- 191 - 191642643e) Verfassungsrechtliche Begründung am Maßstab europäischen VerfassungsrechtsMan muß bei einer Klagebegründung unterscheiden zwischen der nationalen einfachrechtlichenBegründung am Maßstab europäischen Gemeinschaftsrechts einerseits -incl. der dazu ergangenen Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH - und dem Abgleich nationalerSteuerverwaltungsakte, Gesetze, Verordnungen und Rechtsprechung am Maßstabnationalen und europäischen Verfassungsrechts andererseits. Zu ersterem wurde obenschon ausgeführt. 1087)Zu letzterem gilt es folgen<strong>des</strong> zu bedenken:Fällt eine nationale Regelung nicht in den Anwendungsbereich <strong>des</strong> EU- Gemeinschaftsrechts,dann spielen Grundrechte bzw. Grundsätze <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechtskeine Rolle 1088) und das nationale Gericht hat eine Übereinstimmung der nationalenRegelung mit Grundrechten bzw. Grundsätzen <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts bezüglich<strong>des</strong> nicht vorhandenen Anwendungsbereichs zu prüfen. Fällt dagegen eine nationaleRegelung in den Anwendungsbereich <strong>des</strong> EU- Gemeinschaftsrechts, dann muß siezunächst einmal mit den Grundrechten bzw. Grundsätzen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsvereinbar sein, deren Wahrung der EuGH zu sichern hat. 1089) Denn der Anwendungsvorrang<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts gilt auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht.1090) Der EuGH hat den Gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz aus dergemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten, 1091) aus völkerrechtlichenVerträgen zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der EMRK, 1092) abgeleitet.Nunmehr gehört dazu auch Art. 47 GRCh. 1093) Dazu gehören z.B. der Gleicheitsgrundsatz,Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Freizügigkeit 1094)und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, wonach eine unterschiedliche Behandlungnur dann zulässig ist, wenn die Differenzierung objetiv gerechtfertigt ist, 1095)Dieser bindet nicht nur die Organe der Gemeinschaft, sondern auch die Mitgliedstaatenbei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht, 1096) so daß nationale Normen, die1087)1088)1089)1090)1091)1092)1093)1094)1095)1096)S.o. Rdn. 402 ff.EuGH 06.10.2005 – Rs. C-328/04 (Vajnai), Slg. 2005, I-8577 Rdn. 12EuGH 12.12.2002 – Rs. C-442/00 (Caballero), Slg. 2002, I-11915 Rdn. 31 m.w.N.); EuGH07.09.2006 – Rs. C-81/05 (Alonso), Slg. 2006, I-..... Rdn. 35; Papp EWS 2009, 216, 217Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185EuGH 17.12.1970 – 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), NJW 1971, 343; EuGH14.05.1974 – 04/73 (Nold), NJW 1975, 518; EuGH 13.12.1979 – Rs. C-44/79 (Hauer), NJW1980, 505; Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185, 2186. Zum Stand <strong>des</strong> Grundrechtsschutzes in Europa RudolfAnwBl 2011, 153, 154 f.Jarass NJW 2011, 1393Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185, 2191EuGH 07.09.2006 – Rs. C-81/05 (Alonso), Slg. 2006, I-..... Rdn. 37, 41; Zorn/Twardosz DStR2007, 2185, 2186EuGH 13.07.1989 – 05/88 (Wachauf), Slg. 1989, 2609; Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185, 2186


- 192 - 192644645646647gegen Gemeinschaftsgrundrechte verstoßen, wegen <strong>des</strong> Anwendungsvorranges derGemeinschaftsgrundrechte nicht angewandt werden dürfen. 1097)Diese Prüfung der für den Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreites entscheidungserheblichen nationalenNorm darauf, ob sie mit den Grundrechten bzw. Grundsätzen <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechtsvereinbar ist, hat seitens <strong>des</strong> nationalen Gerichts auch dann zu erfolgen,wenn diese nationale Norm nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG im Einklangmit dem GG steht, 1098) was zugleich eine weitere Prüfung erfordert, ob letzteres derFall ist (doppelte „verfassungsrechtlichtliche“ Prüfung). 1099) Stellt das nationale Gerichtbei dieser doppelten Prüfung fest, daß die in den Anwendungsbereich <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrecht fallende nationale Regelung 1100) mit Grundrechten bzw. Grundsätzen<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts nicht vereinbar ist, wohl aber mit dem GG, so mußdas nationale Gericht aufgrund <strong>des</strong> Anwendungsvorranges <strong>des</strong> EU- Gemeinschaftsrechtsdie diskriminierende nationale Vorschrift „außer Anwendung lassen“, ohne dievorherige Aufhebung durch den nationalen Gesetzgeber abwarten oder betreiben zumüssen und zwar unabhängi davon, ob letzteres nach nationalem Recht überhauptmöglich wäre. 1101)Folglich tut der Prozeßbevollmächtigte <strong>des</strong> Klägers gut daran, in gleicher Weiseschriftsätzlich aufzubereiten und vorzutragen,- ob die entscheidungserhebliche nationale Regelung in den Anwendungsbereich<strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts fällt und- ob sie gegen Grundrechte bzw. Grundsätze <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts verstößt,um dann daraus die zuvor angesprochenen Schlussfolgerungen zu ziehen und entsprechendschriftsätzlich vorzutragen.Damit hat der EuGH über den zuvor beschriebenen EU-gemeinschaftsrechtlichenAnwendungsvorrang die aus deutscher Sicht nach wie vor problematische Frage geklärt,wer denn verfassungsrechtlich quasi das letzte Wort habe, wenn eine deutscheVorschrift zu einer Grundrechtsverletzung führen kann: Der EuGH oder das BVerfG ?Mit der vom EuGH iudizierten Lösung mischt er sich nicht in deutsches Verfassungsrechtein und berührt auch nicht die Zuständigkeit <strong>des</strong> BVerfG. Der EuGH entscheidetfolglich nicht darüber, ob eine deutsche Norm zu einer Grundrechtsverletzung gemessenam GG führt und tangiert insoweit nicht die Zuständigkeit <strong>des</strong> BVerfG. Sondernder EuGH befaßt sich alleine mit der Frage der Grundrechtsverletzung nach EU-Gemeinschaftsrechtunter den vogenannten Voraussetzungen mit der möglichen Folgeder Einschlägigkeit <strong>des</strong> Anwendungsvorranges <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts im Falleeiner Verletzung EU-gemeinschaftsrechtlicher Grundrechte/Grundsätze. Und Anwendungsvorrangbewirkt wie der Begriff deutlich zeigt, keine Verfassungswidrigkeit derdeutschen Norm gemessen am am GG.1097)1098)1099)1100)1101)BFH 17.07.2008 – X R 62/04, BStBl. II 2008, 976, 977 f.EuGH 07.09.2006 – Rs. C-81/05 (Alonso), Slg. 2006, I-..... Rdn. 41Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185, 2190Jarass NJW 2011, 1393, 1394: „Art. 47 GRCh kommt nur zum Tragen, soweit es (unmittelbaroder mittelbar) um die Durchführung von EU-Recht geht.“EuGH 07.09.2006 – Rs. C-81/05 (Alonso), Slg. 2006, I-..... Rdn. 46; BFH 17.07.2008 – X R62/04, BStBl. II 2008, 976, 977 f.


- 193 - 193648649650651Dies hat widerum zur Folge, daß das nationale Gericht nicht nur von Amts wegen zuprüfen hat, ob einfachrechtlich Vertragsklauseln oder deutsche Bestimmungen gegenEU- Gemeinschaftsrecht verstoßen, um die Frage für sich zu beantworten, ob das nationaleGericht eine nationale Vorschrift per richtlinienkonformer Auslegung zurBeurteilungsgrundlage machen muß bzw. dem EU-Gemeinschaftsrecht Rechnungtragen muß oder andernfalls dem EuGH vorlegen muß. Vielmehr muß das nationaleGericht den streitgegenständlichen Fall von Amts wegen auch daraufhin überprüfen,ob die entscheidungserhebliche nationale Norm gemessen an den zuvor beschriebenenMaßstäben mit den Gundrechten bzw. Grundsätzen <strong>des</strong> EU-Gemeinschaftsrechts inEinklang steht, um ggf. zur Klärung dieser Frage <strong>des</strong>halb dem EuGH vorzulegen.Und weil dem so ist, tut auch diesbezüglich der Prozeßbevollmächtigte <strong>des</strong> Klägersgut daran, entsprechend schriftsätzlich vorzutragen, um das Gericht bezüglich <strong>des</strong>senzuvor beschriebenen Amtspflichten entsprechend zu sensibilisieren.Zur Erinnerung:Gemessen an diesem eleganten und überzeugenden verfassungsrechtliche Lösungsansatz<strong>des</strong> EuGH ist die bisherige Herangehensweise <strong>des</strong> BVerfG schwerfällig und passtnicht zum EU-gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz <strong>des</strong> Anwendungsvorranges:Die römischen Verträge und Nachfolgeverträge enthalten Rechtsvorschriften (primäresGemeinschaftsrecht) und ermächtigen zur Setzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht.1102) Diese Verträge sind <strong>des</strong>halb quasi die „Verfassungsurkunde einerRechtsgemeinschaft. 1103) Folglich hat dieses Gemeinschaftsrecht unmittelbare Wirkungin den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Kollidiert Gemeinschaftsrecht mitnationalem Recht, so hat Gemeinschaftsrecht unterhalb dem Verfassungsrecht Vorrang.1104)„a) Wird die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland Mitglied einer zu eigenem hoheitlichen Handeln befähigtenStaatengemeinschaft und wird dieser Staatengemeinschaft die Wahrnehmung eigenständigerHoheitsbefugnisse eingeräumt - bei<strong>des</strong> wird durch das Grundgesetz für die Verwirklichungeines vereinten Europas ausdrücklich zugelassen (Art. 23 Abs. 1 GG) -, kann insoweitdemokratische Legitimation nicht in gleicher Form hergestellt werden wie innerhalb einerdurch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung. Werdensupranationalen Organisationen Hoheitsrechte eingeräumt, verliert das vom Volk gewählteRepräsentationsorgan, der Deutsche Bun<strong>des</strong>tag, und mit ihm der wahlberechtigte Bürger notwendigan Einfluß auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß. Jeder Beitrittzu einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft hat zur Folge, dass das Mitglied einer solchenGemeinschaft an deren Entscheidungen gebunden ist. Der Mitgliedstaat - und mit ihm seineBürger - gewinnt freilich auch Einflußmöglichkeiten durch die Beteiligung an einer Willensbildungder Gemeinschaft zur Verfolgung gemeinsamer - und damit auch eigener - Zwecke,deren Ergebnis für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist und <strong>des</strong>halb auch die Anerkennung dereigenen Bindung voraussetzt.Diese Offenheit für Bindungen in der Völkerrechtsgemeinschaft und in dem engeren Rechtsverbundeiner zwischenstaatlichen Gemeinschaft ist in einem demokratischen Staat angelegt,der - wie es die Präambel <strong>des</strong> Grundgesetzes voraussetzt und die Art. 23 und 24 GG ausdrücklichregeln - als gleichberechtigtes Glied in zwischenstaatlichen Einrichtungen und insbesonderebei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirken will. Die Mitgliedstaaten sind an1102)1103)1104)Hirsch NJW 2000, 1817Hirsch NJW 2000, 1817, 1818Hirsch NJW 2000, 1817, 1818


- 194 - 194652653654der Willensbildung <strong>des</strong> Staatenverbun<strong>des</strong> nach <strong>des</strong>sen Organisations- und Verfahrensrechtbeteiligt, dann aber an die Ergebnisse dieser Willensbildung gebunden, unabhängig davon, obsich diese Ergebnisse gerade auf ihre eigene Beteiligung zurückführen lassen oder nicht. DieEinräumung von Hoheitsbefugnissen hat zur Folge, dass deren Wahrnehmung nicht mehr stetsvom Willen eines Mitgliedstaates allein abhängt ............Im Zustimmungsgesetz zum Beitritt zu einer Staatengemeinschaft ruht die demokratische Legitimationsowohl der Existenz der Staatengemeinschaft selbst als auch ihrer Befugnisse zuMehrheitsentscheidungen, die die Mitgliedstaaten binden.“ 1105)Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass der EuGH in gemeinschaftsrechtlichenFragen quasi nationaler gesetzlicher Richter i.S.d. Art 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist. 1106)Geht es dagegen um das Verfassungsrecht der Gemeinschaft im Verhältnis zum nationalenVerfassungsrecht, so gilt es folgen<strong>des</strong> zu beachten:In seiner Entscheidung vom 29.05.1974 1107) hatte das BVerfG noch iudiziert, es selbstkönne angerufen werden, wenn eine Vorschrift <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts in einer vomEuGH – nach <strong>des</strong>sen vorheriger Anrufung gem. Art. 177 EGV [heute Art. 267 AEUV]- vorgegebenen Auslegung mit dem deutschen GG kollidiere. Dies gelte jedenfalls solange, wie das europäische Parlament keinen europäischen Grundrechtskatalog inKraft gesetzt habe, der dem GG adäquat wäre. Dies wurde vom BVerfG damals damitbegründet, Art. 24 GG gestatte es nicht vorbehaltlos, den Grundrechtsteil <strong>des</strong> GG zurelativieren, zumal wenn noch kein von einem europäischen Parlament verabschiedeter/kodifizierterGrundrechtskatalog vorliege. 1108) Damit sollte zunächst der EuGHüber europäisches Gemeinschaftsrecht entscheiden, wofür deutsche Fachgerichte ggf.in Zweifelsfragen gem. Art. 267 AEUV dem EuGH vorzulegen hatten, ehe erst dann<strong>des</strong>sen europarechtliches Auslegungsergebnis dem BVerfG per Verfassungsbeschwerdewegen Grundrechtsverletzung zwecks Überprüfung <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichenGrundrechtsstandards am Maßstab <strong>des</strong> deutschen Grundrechtsstandards vorgelegtwerden konnte. 1109) Das BVerfG wollte auf diese Wiese nicht Gemeinschaftsrechtbei Verfassungsverstößen für nichtig erklären können – dies hätte die Kompetenz <strong>des</strong>EuGH berührt -, sondern es wollte sich nur vorbehalten, es in Deutschland für nichtanwendbar zu erklären, wenn es gegen nationales Verfassungsrecht verstieße. 1110)Damit war vermieden, dass das BVerfG nach eigenem Verständnis über Gemeinschaftsrechtentschied und es wurde sichergestellt, dass das BVerfG auch nur Akte derdeutschen Staatsgewalt überprüfte. 1111) Und es stellt folglich eine Fortführung diesesGrundgedankens der Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG vom 29.05.1974 dar, wenn dasBVerfG jüngst nochmals als in seiner Rechtsprechung geklärt feststellt, dass nicht nurnationale Gerichte sondern auch der EuGH gesetzlicher Richter im Sinne <strong>des</strong> Art. 101Abs. 1 Satz 2 GG ist und es einen Entzug <strong>des</strong> gesetzlichen Richters darstellt, wenn ein1105)1106)1107)1108)1109)1110)1111)BVerfG 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155, 182 fBVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 366 f.BVerfG 29.05.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271- Solange IBVerfG 29.05.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 280 - Solange IBVerfG 29.05.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 281 - Solange IHirsch NJW 2000, 1817, 1818BVerfG 29.05.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 282 f. - Solange I; Nicolaysen/NowakNJW 2001, 1233


- 195 - 195655656nationales Gericht – insbesondere der letzten Instanz - seiner Pflicht zur Anrufung <strong>des</strong>EuGH im Wege <strong>des</strong> Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt. 1112)Eine Vorlage zum EuGH als gesetzlichem Richter 1113) fordert das BVerfG auch undgerade dann, wenn es zu einer entscheidungserheblichen Frage <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsnoch keine (erschöpfende) Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH gibt. 1114) Dies hat zugleichzur Folge, dass gem. § 90 Abs. 2 BVerfGG der Rechtsweg zum BVerfG nochnicht erschöpft ist, wenn bei behauptetem Verstoß eines Aktes deutscher Staatsgewaltgegen europäisches Gemeinschaftsrecht - und seien es europäische Grundrechtsstandards- nicht zuvor der EuGH angerufen wurde, ehe vor <strong>des</strong>sen Auslegungsergebnisdann im Rahmen einer nationalen Verfassungsbeschwerde dargelegt wird, dieses unterschreitedeutschen Grundrechtsstandard. 1115) Da es aber für den Fall einer durch eindeutsches Gericht unterlassenen Vorlage zum EuGH eine Individualbeschwerde imSinne einer Nichtvorlagebeschwerde zum EuGH (noch) nicht gibt, verbleibt für einensolchen Fall nur die Möglichkeit, nach Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen Rechtsweges Verfassungsbeschwerdezum BVerfG zu erheben, um unter Hinweis auf Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG die unterbliebene einer gebotenen Vorlage als Entzug <strong>des</strong> gesetzlichenRichters zu rügen.Das BVerfG hat auch in der Folgezeit daran festgehalten, dass eine Verfassungsbeschwerdezum ihm zulässigerweise nicht mit dem Ziel erhoben werden könne, dieVereinbarkeit primären Gemeinschaftsrechts mit deutschem Verfassungsrecht überprüfenzu lassen, da das BVerfG sich nicht als zuständig für die Frage primären Gemeinschaftsrechtsansieht. 1116) Zudem stellte das BVerfG in seiner Entscheidung vom22.10.1986 fest, der Europäische Grundrechtsstandard sei nach Konzeption, Inhalt undWirkungsweise dem Grundrechtsstandard <strong>des</strong> GG im wesentlichen gleich zu achten.1117) Alle Hauptorgane würden sich in ihrem Handeln von den Grundsätzen derEMRK leiten lassen und dies sei durch die Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH sichergestellt.1118) Es sei daher eine Absenkung <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandardunter den <strong>des</strong> GG nicht mehr zu erwarten, 1119) wozu auch die vom EuGH vorgenommeneInbezugnahme der EMRK sowie der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR beitrage.1120)1112)1113)1114)1115)1116)1117)1118)1119)1120)BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 366 ff. – Solange II; BVerfG 31.05.1990– 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159, 194 ff.; BVerfG 21.08.1996 – 1 BvR866/96, NVwZ 1997, 481; BVerfG 05.08.1998 – 1 BvR 264/98, DB 1998, 1919; BVerfG09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, ZIP 2001, 350Zur künftigen europäischen Gerichtsbarkeit nach Nizza siehe Sack EuZW 2001, 77BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, ZIP 2001, 350BVerfG 29.05.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 283 - Solange IBVerfG 25.07.1979 – 2 BvL 6/77, BVerfGE 52, 187, 199 f.BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 378 – Solange II; Nicolaysen/NowakNJW 2001, 1233BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 378 – Solange IIBVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 385 – Solange IIBVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 386 – Solange II


- 196 - 196657658Dadurch wurde zwangsläufig die Meßlatte für eine Verfassungsbeschwerde zumBVerfG mit der Behauptung, der europäische Grundrechtsstandard unterschreite dendeutschen, angehoben, weshalb auch das BVerfG judizierte, bezüglich <strong>des</strong> abgeleitetenGemeinschaftsrechts Verfassungsbeschwerden zu ihm für unzulässig zu erklären1121) mit der Folge, dass Beschwerdeführer und Gerichte an den EuGH verwiesenwerden. 1122)Damit setzte sich das BVerfG in seiner Maastricht-Entscheidung vom 12.10.1993 ineinen gewissen Widerspruch, 1123) als es unter Bezug auf vorgenannte Fundstelle 1124)plötzlich doch wieder betonte, auch bei abgeleitetem Gemeinschaftsrecht sichere dasBVerfG, „dass ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlandsauch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt werde“und zwar in einem „Kooperationsverhältnis“ zum EuGH. 1125)1121)1122)1123)1124)1125)BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 387 – Solange II; Nicolaysen/NowakNJW 2001, 1233BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, ZIP 2001, 350So auch Schmid NVwZ 2001, 249, 253; Nicolaysen/Nowak NJW 2001, 1233BVerfG 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155, 175 u.H.a. BVerfG 22.10.1986 –2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 386 – Solange IIBVerfG 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155, 174 f.: „„Die in der Präambel <strong>des</strong>Grundgesetzes angelegte und in Art. 23 und 24 GG geregelte Offenheit für eine europäische Integrationhat zur Folge, dass grundrechtserhebliche Eingriffe auch von europäischen Organen ausgehenkönnen und ein Grundrechtsschutz dementsprechend für das gesamte Geltungsgebiet dieserMaßnahmen gewährleistet werden muß; dadurch erweitert sich insbesondere der räumliche Anwendungsbereichder Freiheitsrechte und die Vergleichsperspektive bei der Anwendung <strong>des</strong>Gleichheitssatzes.Eine ins Gewicht fallende Minderung der Grundrechtsstandards ist damit nicht verbunden. DasBun<strong>des</strong>verfassungsgericht gewährleistet durch seine Zuständigkeit (vgl. BVerfGE 37, 271 ; 73, 339 ), dass ein wirksamer Schutz der Grundrechte für die Einwohner Deutschlandsauch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell sichergestellt und dieserdem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtsichert so diesen Wesensgehalt auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft (vgl.BVerfGE 73, 339 ). Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaatengeschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigtenin Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen <strong>des</strong> Grundgesetzes und dieAufgaben <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweitnicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung vonBVerfGE 58, 1 ). Allerdings übt das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit überdie Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem "Kooperationsverhältnis"zum Europäischen Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof denGrundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaftengarantiert, das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht sich <strong>des</strong>halb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbarenGrundrechtsstandards (vgl. BVerfGE 73, 339 ) beschränken kann.“ 1125)Kritisch dazu Nicolaysen/Nowak NJW 2001, 1233, 1234, wonach diese Rechtsprechung <strong>des</strong>BVerfG im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH stand, der für sich seineLetztentscheidungskompetenz ableitete aus dem Vorrang <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts auch gegenübermitgliedstaatlichem Verfassungsrecht.


- 197 - 197659660661Es kehrte allerdings in seinem Bananenbeschluss vom 07.06.2000 1126) wieder zu denGrundzügen seiner Rechtsprechung vom 22.10.1986 zurück, wonach eine Verfassungsbeschwerdeoder Vorlage unzulässig sei, die auf die Verletzung <strong>des</strong> GG durchsekundäres Gemeinschaftsrecht gestützt werde, ohne dass begründet werde, dassdie europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH zeitlichnach der Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG vom 22.10.1986 1127) generell unter denGrundrechtsstandard <strong>des</strong> GG abgesunken sei. 1128) Dabei sei „ein deckungsgleicherSchutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen <strong>des</strong> Grundgesetzes durch das europäischeGemeinschaftsrecht und die darauf fußende Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH nichtgefordert.“ 1129)Die vom BVerfG in seinem Bananenbeschluss gestellten Anforderungen sind allerdingsso hoch, dass eine Verfassungsbeschwerde oder Vorlage zu ihm, die diesen Anforderungengenügen könnte, kaum noch zu bewältigen sein wird und es de facto nurunzulässige Verfassungsbeschwerden geben wird, 1130) wovon das BVerfG schon inseiner Solange II Entscheidung ausgegangen war. 1131) Das BVerfG hat damit den Wegzu ihm per Verfassungsbeschwerde erschwert, 1132) es hat aber nicht eine eigene Kontrollbefugnisgenerell aufgegeben. 1133)Dies bedeutet, dass bei einer Klage zum FG die Klagebegründung sich auch daraufstützen kann, einen Abgleich nationaler Steuerverwaltungsakte, Gesetze, Verordnungenund Rechtsprechung am Maßstab nationalen und europäischen Verfassungsrechts(primäres Gemeinschaftsrecht) vorzunehmen. 1134) Und hierbei läßt sich folgende weitereneue Entwicklung feststellen, die mit berücksichtigt werden könnte:1126)1127)1128)1129)1130)1131)1132)1133)1134)BVerfG 07.06.2000 – 2 BvL 1/97, NJW 2000, 3124; Nicolaysen/Nowak NJW 2001, 1233, 1234 f.BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 378 – 381 – Solange IISo vorher schon Grimm RdA 1996, 66, 68. Kirchhof EuR 1991, Beiheft 1, S. 24 nennt Beispiele:Der Individualrechtsschutz über Art. 173 EGV ( = Art. 230 EG)reiche nicht aus, wenn bestimmteGrundrechtstypen fehlten; der Grundrechtsschutz werde durch den EuGH generell nicht mehr gewährleistet.Dazu auch Schmid NVwZ 2001, 249, 253; Nicolaysen/Nowak NJW 2001, 1233, 1235Zur Kritik an dieser Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG vor dem Hintergrund <strong>des</strong> Art. 23 GG NettesheimNVwZ 2002, 932BVerfG 07.06.2000 – 2 BvL 1/97, NJW 2000, 3124, 3125. Zur Kritik, dass nach dieser Entscheidungauch strukturelle Verletzungen einzelner Rechtsgüter nicht mehr ausreichen, sondern dasvorlegende Gericht „die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH seit 1986“ insgesamt beurteilen und dazu eine umfangreiche Gegenüberstellung <strong>des</strong>Grundrechtsschutzes nach nationalem und europäischem Recht vornehmen müsse, siehe SchmidNVwZ 2001, 249, 253So auch die Einschätzung von Schmid NVwZ 2001, 249, 254; Nicolaysen/Nowak NJW 2001,1233, 1236BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 387 – Solange IINettesheim NVwZ 2002, 932So hat das BVerfG 17. 2. 2000 - 2 BvR 1210/98, NJW 2000, 2015, 2016 iudiziert: „........... DieFrage nach einem ausbrechenden Rechtsakt im Sinne <strong>des</strong> Maastricht-Urteils <strong>des</strong> BVerfG (vgl.BVerfGE 89, 155 [187f.] = NJW 1993, 3047) stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht.“ unddamit zu erkennen gegeben, dass die Überprüfung ausbrechender Rechtsakte keineswegs aufgegebenwurde, worauf Nicolaysen/Nowak NJW 2001, 1233, 1236 zutreffend hinweisen. Siehe auchBVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749Hirsch NJW 2000, 1817, 1820


- 198 - 198662663664Unter der deutschen Ratspräsidentschaft hatte der Europäische Rat in Köln am 03./04.06.1999 einen „Beschluß zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der EU“ gefaßt1135) . Auf dem Sondergipfel von Tampere vom 15./16.10.1999 hatte der EuropäischeRat daraufhin einen sog. Konvent als „Grundrechte-Gremium“ ins Leben gerufen1136) . Und am 07.12.2000 wurde Text dieser "Charta der Grundrechte der EuropäischenUnion" in Nizza feierlich verabschiedet. 1137) Inzwischen hat dies in Art. 6 EUVi.V.m. GRCh zur Grundrechtsbindung der Union geführt, so daß man sich neben demdeutschen Grundrechtsschutz auch auf den per Anwendungsvorrang <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsrelevanten gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz berufen kann.Und so bleibt abzuwarten, wie das BVerfG die Alonso-Entscheidung <strong>des</strong> EuGH 1138)einordnen würde. Dies alles wird neu zu überdenken sein, nachdem am 01.12.2009 derVertrag von Lissabon in Kraft getreten ist und die Union in Art. 6 Abs. 1 EUV dieRechte, Freiheiten und Grundsätze anerkannt hat, die in der Charta der Grundrechteder Europäischen Union vom 07.12.2000 i.d.F. vom 12.12.2007 niedergelegt sind 1139)und die Grundrechts-Charta (GrCh) in das primäre Unionsrecht einbezogen hat. 1140)Damit wird seitens der Union Grundrechtsschutz gegen eigene Hoheitsakte gewährt(Art 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh „ausschließlich bei der Durchführung <strong>des</strong> Rechts der Union“).1141) Hinzu kommt, daß die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR aufgrundArt. 52 Abs. 1, 53 GrCh verbindlicher Grundrechtsmin<strong>des</strong>tstandard wird unddurch den Beitritt der zur EMRK die Unionsgrundrechte und EMRK-Rechte weiterangeglichen werden. 1142)Dies hat inzwischen dazu geführt, zu beschreiben, in welchem Verhältnis der Grundrechtsschutz- nach der EMRK durch den EGMR,- nach der GrCh durch den EuGH und- nach dem GG durch das BVerfGstehen. 1143)1135)1136)1137)1138)1139)1140)1141)1142)1143)Zur gesamten Problematik der Entstehung der Grundrechtscharta, siehe Strawe/Zuegg „In derAuseinandersetzung um eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ ZPR 9/2000, 365ff.Der Konvent ist am 17.12.1999 in Brüssel erstmals unter dem Vorsitz <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>präsidenten a.D.Roman Herzog zusammengetreten – vergl. Busse „Die Geltung der EMRK für Rechtsakte derEU“, NJW 2000, S. 174 ff. m.w.N. und Internet links.Zum Text <strong>des</strong> Entwurfes der Grundrechtscharta siehe NJW 2000, Beilage; ferner Knöll NJW2000, 1845; Kenntner ZRP 2000, 423; Schwarze EuZW 2001, 517; Tettinger NJW 2001, 1010EuGH 07.09.2006 – Rs. C-81/05 (Alonso), Rdn. 35, 41Dazu Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011Huber NJW 2011, 2385; Schroeder EuZW 2011, 462, 463EuGH 01.03.2011 Rs. C-457/09 (Claude Chartry/État), BeckRS 2011, 80315 Rdn. 23Schroeder EuZW 2011, 462, 463 f.F. Kirchhof NJW 2011, 3681


- 199 - 1996656667. Begründung von Anträgen auf RevisionszulassungWird neben Klageanträgen hilfsweise beantragt, die Revision zuzulassen, empfiehlt essich, einen solchen Hilfsantrag auch zu begründen, um das FG dafür zu sensibilisieren.Die Begründung eines solchen Hilfsantrages sollte in 2 Stufen vorgenommenwerden:- Zum einen sollten zu den prozessualen Voraussetzungen <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 FGOStellung genommen werden. Damit wird dem FG zugleich verdeutlicht, dass fürden Fall der Nichtzulassung der Revision – sofern der Klage nicht entsprochenwerden sollte – damit dann die Nichtzulassungsbeschwerde begründet würde(§ 115 Abs. 3 FGO), was zugleich für den Prozessbevollmächtigten eine gute Eigenkontrollefür die prozessuale Erfolgsaussicht darstellt.- Zum anderen sind die § 115 Abs. 2 FGO zuzuordnenden materiellrechtlichenFragen für den Fall einer hilfsweise begehrten Revisionszulassung darzustellen;auch dies eine gute Eigenkontrolle für die materiellrechtliche Erfolgsaussicht.6676688. ErgebnisDie Vorbemerkung der Klagebegründung dient dazu, gerade bei umfangreichenKlagebegründungen dem Gericht bzw. Richter vorab eine Orientierung für das zugeben, was nachfolgend ausgeführt wird, worauf mithin die Schwerpunkte der Klagebegründunggestützt werden. Es empfiehlt sich, gerade bei einer umfangreichen Klagebegründungdieselbe mit vorab dazustellenden Schwerpunkten verständlich zu machen,indem quasi in Thesenform vorab Nachfolgend detailliert Vorgetragene zusammengefaßtwird. Eine Klagebegründung soll überzeugen. Dazu muß sie aber geradedann, wenn sie umfänglich ist, transparent, verständlich und überschaubar sein. Währenddie eigentliche Klagebegründung mithin in die Tiefe geht, soll die Darstellung<strong>des</strong> Ergebnisses vorab gerade letztere Aspekte betonen.Eine solchermaßen aufgebaute Klagebegründung hat zudem den Vorteil, dass sie fürden Prozessbevollmächtigten zugleich ein gutes Manuskript für die mündliche Verhandlungund dort insbesondere das Plädoyer abgibt, indem mit Hilfe von Vorbemerkungund Ergebnis angestrebt werden kann, den (ehrenamtlichen) Richtern in verständlicherForm die Problematik der Klagebegründung nahe zu bringen.669VI.Änderungsbescheide während <strong>des</strong> Steuerprozesses1. Grundlagen-/FeststellungsbescheideWird eine Klage gegen einen belastenden Einkommensteuerbescheid gerichtet, derEinkünfte betrifft, über deren Vorliegen mit Bindungswirkung für die Einkommensteuerim Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung gemäß §§ 180Abs. 1 Nr. 2a, 179 Abs. 2 Satz 2 AO zu befinden ist, so ist das Klageverfahren auszusetzen(§ 74 FGO), bis das Feststellungsbescheidsverfahren geklärt ist. Dies ist z.B.dann der Fall, wenn es um die Einkommenbesteuerung eines GbR-Gesellschafters


- 200 - 200670geht, während das Gewinnfeststellungsverfahren der Gesellschaft noch nicht beendetist. 1144)Anders ist es dagegen, wenn es um die Frage geht, ob ein Gesellschafter der GbR beisich eine Rückstellung wegen eines seitens der Gesellschaft gegen ihn gerichtetenSchadensersatzanspruches bilden darf. Denn dafür wäre ein Gewinnfeststellungsverfahrender Gesellschaft nicht vorgreiflich. 1145) Folglich ist für eine solche Konstellationein Gewinnfeststellungsbescheid weder ein Aussetzungsgrund noch ein sich auf denRückstellungsprozess auswirkender Änderungsbescheid.6716726732. Prüfung von ÄnderungsbescheidenErgeht nach Einspruchsentscheidung und nach Klageerhebung ein den streitgegenständlichenVerwaltungsakt ändernder Bescheid, so wird dieser neue Verwaltungsaktautomatisch Gegenstand <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 68 Satz 1 FGO). Estritt folglich ein Fall gesetzlicher Klageänderung ein. 1146) Das FG darf dann nur überden Änderungsbescheid entscheiden. 1147) Ein Einspruch kann gegen diesen Änderungsbescheidnicht eingelegt werden (§ 68 Satz 2 FGO). Dabei ist es einerlei, ob derstreitgegenständliche Bescheid als rechtswidrig oder als nichtig und unwirksam angegriffenwurde (§ 68 Satz 4 Nr. 2 FGO). Gleiches gilt, wenn der streitgegenständlicheBescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO berichtigt wurde (§ 68 Satz 4Nr. 1 FGO).Erledigt sich damit das Klagebegehren, so sollte die Klage nicht zurückgenommenwerden, weil sonst die Kosten <strong>des</strong> Verfahrens beim Kläger verbleiben (§ 136 Abs. 2FGO), vielmehr sollte der Rechtsstreit für erledigt erklärt werden, verbunden mit demAntrag, dem Finanzamt die Kosten <strong>des</strong> Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 FGO)und die Kosten <strong>des</strong> Vorverfahrens für notwendig erklären zu lassen (§ 139 Abs. 1FGO). Erledigt sich das Klagebegehren damit nicht, ist der Klageantrag entsprechendanzupassen.Ergeht nach Einspruchsentscheidung aber vor Klageerhebung ein Änderungsbescheid,so ist derzeit streitig, ob § 68 FGO dann ebenfalls gilt. Dürr bejaht dies. 1148) Dafürspricht, dass § 68 Satz 1 FGO in seinem Wortlaut nur davon ausgeht, dass der Änderungsbescheidnach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ergeht, dort ist nichtdavon die Rede, dass § 68 FGO eine bereits eingereichte Klage voraussetzt. Der Änderungsbescheidwäre dann mithin zum Gegenstand der Klage zu machen, ein Einspruchwäre nicht zulässig (§ 68 Satz 2 FGO). Dagegen wenden sich Sauer/Schwarz. 1149) Diese meinen, § 68 FGO setze voraus, dass der Änderungsbescheid nachKlageerhebung ergehe. Denn er könne nur Gegenstand <strong>des</strong> Finanzgerichtsverfahrenswerden, wenn ein solches bereits anhängig sei. Folgt man dieser Meinung, dürfte auf-1144)1145)1146)1147)1148)1149)BFH 26.04.1994 – VIII B 89/93, BFH/NV 1995, 43, 44 – Zum Gewinnfeststellungsbescheid alsteilbarer Verwaltungsakt siehe BFH 16.10.2012 – VIII B 42/12, BFH/NV 2013, 381BFH 26.04.1994 – VIII B 89/93, BFH/NV 1995, 43, 44Leingang-Ludolph/Wiese DStR 2001, 775BFH 23.12.2004 – XI B 60/03, BFH/NV 2005, 1311, 1312Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 2. Aufl. 2001, Seite 132Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? 5. Aufl. 2001, Rdn. 678


- 201 - 201674675676677grund eines nach Einspruchsentscheidung aber vor Klageerhebung ergangen belastendenÄnderungsbeschei<strong>des</strong> gegen diesen nicht Klage zum FG erhoben werden, sondernes müßte gegen ihn Einspruch eingelegt werden. Die Rechtsfolgen dieser unterschiedlichenAuffassungen sind daher erheblich und nicht ungefährlich.Seer 1150) vertritt die gleiche Meinung wie Dürr. Er verweist darauf, dass § 68 Satz 1FGO davon spricht, dass ein Änderungsbescheid nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungergehe und nicht wie etwa in § 96 Abs. 1 SGG nach „Klageerhebung“.Zudem ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien, 1151) dass der Gesetzgeber mitdem Gesetzeswortlaut <strong>des</strong> § 68 Satz 1 FGO eine Rechtschutzlücke zwischen Einspruchsentscheidungund Klageerhebung habe schließen wollen. 1152) § 68 Satz 1 FGOregele folglich gesetzlich eine Dispens der Notwendigkeit, nochmals ein Einspruchsverfahrenführen zu müssen, wenn nach der Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidungund vor angestrengter Klageerhebung ein belastender Änderungsbescheid ergehe.Die derzeit bestehende Unsicherheit besteht mithin darin, dass es unterschiedliche Literaturmeinungenaber keine klärende Rechtsprechung gibt und die Rechtsfolgen jenach vertretener Meinung erheblich auseinandergehen. So lange folglich keine Klarheitbesteht, empfiehlt es sich, bei einem nach Bekanntgabe ergangenen belastendenÄnderungsbescheid vorsorglich sowohl Einspruch einzulegen wie auch Klage zu erheben,um nach Klärung der Rechtslage eines von beidem zurückzunehmen. 1153)Erhebt man bei einem nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung und vor Klageerhebungergangenen Änderungsbescheid Klage zum FG, sollte allerdings im Klageantragnicht nur der Änderungsbescheid sondern auch der davor ergangene belastendeVerwaltungsakt in der Fassung der Einspruchsentscheidung angegriffen werden. Dennes ist zu vermeiden, dass sonst bei Stattgabe der Klage gegen den Änderungsbescheidder davor ergangene belastende Verwaltungsakt in der Fassung der Einspruchsentscheidungweiter bestehen bleibt. 1154)Unklar ist, ob die in § 68 FGO angelegte gesetzliche Klageänderung eine zulässigeKlage voraussetzt, die sich noch nicht erledigt hat. 1155) Würde man dies fordern undwürde um die Zulässigkeit einer Klage bzw. ihrer Erledigung Streit bestehen oderspäter entstehen, so würde dies zur Verfristung der Einspruchsmöglichkeit betreffendden Änderungsbescheid führen, wenn gegen den Änderungsbescheid kein Einsprucheingelegt wurde, was sonst wegen § 68 Satz 2 FGO ja nicht möglich wäre. Wenn solchesdrohen könnte, sollte, so lange der BFH diese Frage nicht entschieden hat, ungeachtet<strong>des</strong> § 68 Satz 2 FGO vorsorglich gegen den Änderungsbescheid gleichwohlEinspruch eingelegt werden.1150)1151)1152)1153)1154)1155)Seer in: Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, (10/2010), FGO § 68 Rdn. 16; so auch Stöcker in: Beermann/Gosch,AO FGO, (05/2007), § 68 Rdn. 39BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061, Seite 8So bereits BFH 15.10.1997 - VIII B 91/97, BFH/NV 1998, 479 für eine vergleichbare Rechtslagebei § 68 FGO a.F.so auch Stöcker in: Beermann/Gosch, AO FGO, (05/2007), § 68 Rdn. 40BFH 15.10.1997 - VIII B 91/97, BFH/NV 1998, 479; FG Rheinland-Pfalz 19.12.2002 – 4 K2618/00, DStRE 2003, 942In diesem Sinne Leingang-Ludolph/Wiese DStR 2001, 775, 776


- 202 - 202678679680Gleiches soll gelten, wenn während eines Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheidergeht. Denn es wird die Auffassung vertreten, durch § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO seieine Klageänderung ausgeschlossen, also auch die gesetzliche Klageänderung <strong>des</strong> § 68FGO; denn § 123 FGO enthalte keine Regelung, wonach § 68 FGO unberührt bleibe.1156) Dabei wird jedoch übersehen, dass der Fall eines Änderungsbeschei<strong>des</strong> während<strong>des</strong> Revisionsverfahrens der § 68 FGO in § 127 FGO ausdrücklich angesprochenwird. Indem es dort heißt, der BFH könne das angefochtene Urteil aufheben und zurückverweisen,wird damit deutlich, dass § 68 FGO auch im Revisionsverfahren giltund statt <strong>des</strong>sen der BFH durchaus auch in Anbetracht <strong>des</strong> Änderungsbeschei<strong>des</strong>durchentscheiden kann. 1157) Für die Anwendbarkeit <strong>des</strong> § 68 FGO ist es unerheblich,ob Revisionskläger der Steuerpflichtige oder das Finanzamt ist und ob der Änderungsbescheidbegünstigend oder verbösernd ist. 1158) Ergeht folglich ein Änderungsbescheidwährend <strong>des</strong> Revisionsverfahrens, so tritt dieser in vollem Umfang an die Stelle<strong>des</strong> angegriffenen Beschei<strong>des</strong> in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Die Folge ist,dass unabhängig von einer Anpassung <strong>des</strong> Rechtsbehelfsbegehrens das angefochtenUrteil <strong>des</strong> FG aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben und zurückzuverweisenist. Denn das Urteil <strong>des</strong> FG hatte sich nur mit dem ursprünglichen streitgegenständlichenBescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung befaßt, aber nicht mit demÄnderungsbescheid. Eine Anpassung <strong>des</strong> Rechtsbehelfs im Revisionsverfahren ist nurdort geboten, wo dem Rechtsbehelf teilweise entsprochen wurde. 1159) Entsprechen<strong>des</strong>gilt im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. 1160)Bedenkt man, dass finanzgerichtliche Verfahren eine ohnehin lange Verfahrensdauerhaben, dann ist ein verbösernder Änderungsbescheid, der erstmals im Revisionsverfahrenergeht und die vorgenannten prozessualen Konsequenzen hat, ein weiterer denfinanzgerichtlichen Prozess verlängernder Umstand. Es ist dann für den Anwalt <strong>des</strong>Steuerpflichtigen angeraten, zu prüfen, ob dieserhalb nicht die Geltendmachung vonSchadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung auf dem Zivilrechtswegmöglich ist und zwar aus folgendem Grund:Würde sich der Änderungsbescheid letztlich als rechtmäßig erweisen, dann wäre dervorangegangene Bescheid rechtswidrig gewesen. Der Erlaß <strong>des</strong> ursprünglichen Verwaltungsaktesmit unzutreffender Begründung wäre dann als Amtspflichtverletzung zuwerten. Dieser könnte dann allerdings nur zu einer Ersatzpflicht für solche Schädenführen, die dem Steuerpflichtigen dadurch entstanden sind, dass der Verwaltungsaktnicht sogleich die zutreffende Begründung erhalten hat. 1161) Umgekehrt wird ähnlichesgelten müssen: Wird letztlich - z.B. nach Zurückverweisung an das FG - die Rechtswidrigkeit<strong>des</strong> Änderungsbeschei<strong>des</strong> durch das FG festgestellt, dann wäre in diesemFall ein Änderungsbescheid im Revisionsverfahren ein rechtswidriger Verwaltungsaktund damit eine Amtspflichtverletzung. Der davon ausgehende Primärschaden wärezwar durch eine für den Steuerpflichtigen positive Entscheidung <strong>des</strong> FG vermieden,1156)1157)1158)1159)1160)1161)In diesem Sinne Leingang-Ludolph/Wiese DStR 2001, 775, 779So inzwischen BFH 26.02.2002 – X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409, 1410; BFH 14.01.2004 – IXR 55/03, BFH/NV 2004, 656BFH 26.02.2002 – X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409, 1410BFH 26.02.2002 – X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409, 1410BFH 18.12.2003 – II B 31/00, BStBl. II 2004, 237, 238 f.BGH 21.09.1989 - III ZR 226/88, n.V.


- 203 - 203681682683684685nicht aber ein durch einen solchen späten Änderungsbescheid eingetretene Verzögerungsschaden,der im Amtshaftungsverfahren geltend gemacht werden könnte. 1162)Folglich ist ein verbösernder Änderungsbescheid erst im Revisionsverfahren auch fürdas Finanzamt ein zweischneidiges Schwert, da das Finanzamt zwar sich damit einezusätzliche Chance für ein Obsiegen im Finanzgerichtsprozess eröffnet, sich aber zugleichauch das Risiko eines Amtshaftungsprozesses z.B. wegen Verzögerungsschädeneinhandeln kann.Änderungsbescheide sind daher für den Prozeßanwalt <strong>des</strong> Steuerpflichtigen immerAnlass für eine Doppelprüfung: Einerseits, welche Folgen hat der Änderungsbescheidverfahrensrechtlich, materiellrechtlich und prozessual 1163) und andererseits, ist dieMöglichkeit/Notwendigkeit gegeben, dieserhalb Amtshaftungsansprüche geltend zumachen? In den zuvor aufgezeigten Grenzen kann daher das Finanzamt trotz obsiegendemFinanzgerichtsprozess bei späten Änderungsbescheiden Amtshaftungsansprücheauslösen, erst Recht auch bei zu Unrecht spät ergangenen rechtswidrigen Änderungsbescheiden.§ 68 FGO ist auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren anwendbar. Voraussetzungfür eine Verfahrensänderung aufgrund § 68 FGO ist jedoch, dass das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenselbst zulässig ist. 1164)Damit erschöpft sich aber die Prüfung von Änderungsbescheiden für den Prozessbevollmächtigtennicht. Denn dann, wenn es sich bei dem angefochtenen Verwaltungsaktum einen Ermessensverwaltungsakt handelt (z.B. Haftungsbescheid), ist umstritten,ob dort § 68 Satz 1 FGO anwendbar ist, obwohl der Wortlaut nicht dagegenspricht. 1165) Da folglich unsicher ist, ob bei einem Ermessensverwaltungsakt § 68 Satz1 FGO anwendbar ist, ist mithin auch unsicher, ob ein Einspruch ausgeschlossen ist (§68 Satz 2 FGO). Es sollte mithin in diesen Fällen vorsorglich gegen einen Änderungsbescheidzu einem Ermessensverwaltungsakt Einspruch eingelegt werden und seitens<strong>des</strong> Prozessbevollmächtigten vorsorglich beim FG nachgefragt werden, ob das FG von§ 68 Satz 1 FGO ausgeht oder nicht. 1166)Die Frage, ob bei einem Ermessensverwaltungsakt § 68 Satz 1 FGO einschlägig ist, istgetrennt zu sehen von der Frage, ob, wenn das FG § 68 Satz 1 FGO bejaht, dann § 102Satz 2 FGO einschlägig ist.Dort, wo § 68 Satz 1 FGO auch bei einem Änderungsbescheid zu einem Ermessensverwaltungaktals zulässig angesehen wird, gilt es ferner folgen<strong>des</strong> zu beachten: Hattebis dahin das Finanzamt in dem vorangegangenen Ermessensverwaltungsakt oder inder vorangegangenen Einspruchsentscheidung zum Ermessensverwaltungsakt keine –1162)1163)1164)1165)1166)<strong>Wagner</strong> ZSteu 2006, 384; <strong>Wagner</strong> ZSteu 2007, 186FG Baden-Württemberg 17.09.2002 – 4 K 495/01, EFG 2003, 64, 65: Zwar kann gemäß § 126AO das Finanzamt bis zum Abschluss es finanzgerichtlichen Verfahrens bestimmte VerfahrensundFormfehler noch heilen, Ermessenserwägungen im Hinblick auf § 102 Satz 2 FGO aber allenfallsergänzen, nicht jedoch vollständig nachholen oder gar auswechseln.BFH 13.03.2003 – VII B 153/02, BFH/NV 2003, 1065Zum Meinungsstand siehe FG Niedersachsen 06.03.2008 – 11 K 300/01, EFG 2008, 1051 f.m.w.N. mit Anm. ClaßenClaßen EFG 2008, 1053, 1054


- 204 - 204686und nicht nur unzureichende – Ermessenserwägungen angestellt, dann liegt der Fall<strong>des</strong> § 102 Satz 2 FGO nicht vor. Dies aus folgenden Gründen nicht:- Denn dann geht es nicht darum, Ermessenserwägungen in der Tatsacheninstanz zuergänzen, sondern erstmals anzustellen. Da dies § 102 Satz 2 FGO nicht zuläßt,muss das FG in einem solchen Fall die neuen Ermessenserwägungen im Änderungsbescheidim Gerichtsverfahrens gegen den Änderungsbescheid unberücksichtigtlassen. 1167) Übrigens können auch nicht angestellte Ermessenserwägungentotal ausgewechselt werden. Auch dies würde nicht § 102 Satz 2 FGO unterfallenund müßte vom FG ebenfalls unberücksichtigt bleiben. 1168)- Da § 102 Satz 2 FGO nur für die Tatsacheninstanz gilt, ist es bei einem erstmalsim Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren erfolgenden Änderungsbescheidzu einem Ermessensverwaltungsakt nicht möglich, Ermessenserwägungenzu ergänzen geschweige denn erstmals anzustellen oder vorhandeneErmessenserwägungen auszuwechseln. Mangels Einschlägigkeit <strong>des</strong> § 102 Satz 2FGO in diesen Fällen müßte der BFH solches unberücksichtigt sein lassen.6876886893. EinspruchsentscheidungGemäß § 367 Abs. 2a Satz 1 AO kann die Finanzbehörde über Teile <strong>des</strong> Einspruchsentscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Die ist dann nicht der Fall, wenn der Einspruchinsgesamt entscheidungsreif ist. 1169) Wurde ungeachtet <strong>des</strong>sen eine Teil-Einspruchsentscheidungerlassen, dann begründet dies eine Beschwer, dies im Klagewegeanzugreifen. 1170)Dass während eines Klageverfahrens einer Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklageeine Einspruchsentscheidung ergeht, ist in Anbetracht <strong>des</strong> § 44 Abs. 1 FGO nur möglich,wenn es sich um eine Untätigkeitsklage (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO) handelt. DieErhebung der Untätigkeitsklage versagt dem Finanzamt nicht, eine Einspruchsentscheidungnachzuschieben. Und so lange eine Einspruchsentscheidung nicht ergangenist, bleibt das Finanzamt ungeachtet einer Untätigkeitsklage Herrin <strong>des</strong> Verwaltungsverfahrens.Folglich kann das Finanzamt bis zur Einspruchsentscheidung ungeachtetder Untätigkeitsklage von denen in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO gegebenen Möglichkeiteneiner Verböserung Gebrauch machen, denn das Verböserungsverbot richtet sich nur andas Gericht, nicht aber an das Finanzamt bei einem noch nicht abgeschlossenen Einspruchsverfahren.1171)Wird eine Einspruchsentscheidung nach Klageerhebung durch ein anderes Finanzamterlassen als das, das den streitgegenständlichen Verwaltungsakt erlassen hat, dannkommt es zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel und das „neue“ Finanzamt wird„neue“ Beklagte. 1172)1167)1168)1169)1170)1171)1172)Claßen EFG 2008, 1053Claßen EFG 2008, 1053FG Niedersachsen 16.09.2008 – 4 K 220/08, EFG 2008, 1931FG Niedersachsen 16.09.2008 – 4 K 220/08, EFG 2008, 1931BFH 11.08.1992 - III B 147/92, BFH/NV 1993, 311; BFH 25.06.1993 - III B 133/92, BFH/NV1994, 815BFH 20.12.2000 - III R 17/97, BFH/NV 2001, 914


- 205 - 205690Wird nach negativer Einspruchsentscheidung eine Klage erhoben und diese während<strong>des</strong> Klageverfahrens aufgehoben, dann stellt dies weder einen Aussetzungsgrund (§ 74FGO) noch einen Fall <strong>des</strong> § 68 FGO dar. 1173) Das Klagebegehren ist vielmehr weiterhingegen den streitgegenständlichen belastenden Änderungsbescheid gerichtet. 1174)Der Klageantrag ist lediglich dahingehend zu ändern, dass er nicht mehr in der Fassungder besagten Einspruchsentscheidung angegriffen wird.691692VII.1. VerzichtDie mündliche VerhandlungDer Normalfall eines finanzgerichtlichen Verfahrens ist die Durchführung einermündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO), es sei denn, es wird durch Gerichtsbescheidentschieden (§ 90a Abs. 1 FGO). Die Beteiligten können übereinstimmendauf mündliche Verhandlung verzichten (§ 90 Abs. 2 FGO). 1175) Im Regelfallsollte nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet werden. 1176) Ob dies auch für denFall eines ohne mündliche Verhandlung ergangen Gerichtsbeschei<strong>des</strong> gilt, wo dasRecht auf Beantragung einer mündlichen Verhandlung mit der Folge eines nicht ergangenenGerichtsbeschei<strong>des</strong> besteht (§ 90a Abs. 2 und 3 FGO), ist von Fall zu Fallzu entscheiden.Beim erklärten Verzicht auf mündliche Verhandlung besteht einerseits das Problem,dass man davon kaum wieder los kommt, andererseits ist das Gericht an eine Verzichterklärungnicht gebunden. 1177) Auch dies spricht dafür, auf eine mündliche Verhandlungnicht zu verzichten, es sei denn, man strebt einen Gerichtsbescheid an.6936942. VorbereitungIst folglich auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet worden und hat man schriftsätzlichzum Ausdruck gebracht, das Gericht möge nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden,so ist zu unterscheiden zwischen der Vorbereitung und der Durchführungder mündlichen Verhandlung. Und bei der Vorbereitung der mündlichen Verhandlungist zu unterscheiden, was als Prozeßvertreter zu veranlassen ist, weil Vorbereitungshandlungen<strong>des</strong> Gerichts getroffen wurden bzw. weil man sich als Prozeßvertreterauch unabhängig davon selbst auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten hat.1173)1174)1175)1176)1177)BFH 09.01.2001 - II B 36/00, BFH/NV 2001, 800BFH 28.10. 1988 - III B 184/86, BStBl II 1989, 107; BFH 17. 04. 1991 - II R 142/87, BStBl II1991, 527BFH 12.02.2007 – XI B 123/06, BFH/NV 2007, 1152 f.: Haben bei gemeinsam veranlagtenEhegatten, die gemeinsam gegen einen zusammengefassten ESt-Bescheid Klage erhoben haben,nur einer der Ehegatten sein Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlungerklärt, darf diesem Ehegatten gegenüber nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.Wird gleichwohl auch diesem gegenüber ohne mündliche Verhandlung entschieden, liegt darinein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor (§ 119 Nr. 3 FGO).Bilsdorfer NJW 2001, 331, 333 f.BFH 08.06.1994 - IV R 9/94, BFH/NV 1995, 129; Bilsdorfer NJW 2001, 331, 334


- 206 - 206695696697698Von denen in § 79 Abs. 1 FGO normierten Möglichkeiten der Vorbereitung der mündlichenVerhandlung oder gar der gütlichen Beilegung <strong>des</strong> Rechtsstreites ohne mündlicheVerhandlung durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter wird in der Praxisnur selten Gebrauch gemacht. 1178)Dies hat mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 1179) zur Folge, dass dort, wo von § 79 FGOkein Gebrauch gemacht wurde, es als ermessensfehlerhaft angesehen wird, wenn z.B.nachgereichte Steuererklärungen seitens <strong>des</strong> FG zurückgewiesen werden. ErfolgenVorbereitungshandlungen <strong>des</strong> Gerichts doch, so kann man als Prozeßvertreter aus derArt solcher Vorbereitungshandlungen entnehmen, in welche Richtung das Gerichttendieren wird.Die oft überlange Verfahrensdauer vor Finanzgerichten – 4 bis 6 Jahre bis zur erstenmündlichen Verhandlung sind keine Seltenheit 1180) – bringt es mit sich, dass bis zurmündlichen Verhandlung der Rechtsstreit schriftsätzlich nahezu ausgeschrieben ist.Gerade aber in Anbetracht einer solchen langen Verfahrensdauer empfiehlt es sich fürden Prozeßvertreter, sich auf eine dann endlich erfolgende mündliche Verhandlungbesonders vorzubereiten. Dies vor dem Hintergrund, dass Sachverhalte sich entwickelthaben, die Finanzverwaltung ihre Meinung z.B. durch Anwendungsschreiben oderErlasse über den konkreten Fall hinaus artikuliert haben könnte und neuere veröffentlichteoder nicht veröffentlichte Rechtsprechung vorhanden ist.Der von Bilsdorfer 1181) mitgeteilte Fall, dass die Prozeßbeteiligten vor mündlicher Verhandlungeine gedrängte Sachverhaltsdarstellung vom Berichterstatter erhalten, umsich auf gleicher Grundlage auf die mündliche Verhandlung vorbereiten zu können,wie die Finanzrichter einschließlich der ehrenamtlichen Richter, wäre zwar begrüßenswert,ist aber in der Praxis kaum anzutreffen.Wie auch immer: Für den Prozeßvertreter empfiehlt es sich ferner, in Vorbereitung dermündlichen Verhandlung sich nicht nur selbst vorzubereiten, sondern auch nochmalsein Gespräch mit dem Kläger – und <strong>des</strong>sen Steuerberater, sofern dieser nicht zugleichder Prozeßvertreter ist – zu führen, um sich zu vergewissern, ob es bezüglich <strong>des</strong>Streitgegenstan<strong>des</strong> inzwischen eingetretene Besonderheiten zu berücksichtigen gilt.Dies empfiehlt sich nicht nur dann, wenn der Kläger persönlich geladen wurde, 1182)sondern auch unabhängig davon.1178)1179)1180)1181)1182)Bilsdorfer NJW 2001, 331, 332BFH 09.09.1998 - I R 31/98, BStBl II 1999, 26Die von Bilsdorfer NJW 2001, 331 bemühte Statistik, wonach bereits nach 1 Jahr 76 % allerKlagefälle erledigt sein sollen, hat mit der Realität nicht viel zu tun. Und was man von offiziellenStatistiken halten kann, wird der Öffentlichkeit spätestens seit denen in 2002 bekannt gewordenenVorgängen um die Bun<strong>des</strong>anstalt für Arbeit bewußt. Immerhin verweist auch Bilsdorfer darauf,dass die durchschnittliche Verfahrensdauer 30 Monate betrage – was immer noch sehr niedrig gegriffenist – und die Zahl der Verfahren, die nach mehr als 5 Jahren noch nicht erledigt sei, beijährlich 3.000 liege.Bilsdorfer NJW 2001, 331, 334Bilsdorfer NJW 2001, 331, 335


- 207 - 2076997007017023. DurchführungDie mündliche Verhandlung wird vom Vorsitzenden oder dem Einzelrichter eröffnetund geleitet. 1183) Sie beginnt mit dem Vortrag <strong>des</strong> wesentlichen Inhalts der Aktendurch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter (§ 92 Abs. 2 FGO). Für den Prozessbevollmächtigten<strong>des</strong> Klägers ist es sinnvoll, dem mit großer Aufmerksamkeit zufolgen. Einerseits, um zu prüfen, ob wesentlicher Sachvortrag ausgelassen wurde,<strong>des</strong>sen Ergänzung alsdann beantragt werden sollte. Andererseits, weil man bereits ausder Art <strong>des</strong> Sachvortrages heraushören kann, welche Schwerpunkte das Gericht zusetzen beabsichtigt, da in aller Regel der Berichterstatter bereits ein Votum erarbeitethat, dem er den von ihm vorgetragenen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat. 1184)In der Regel sind solche Voten bereits mit dem vom Gericht präferierten Ergebnisidentisch und bei mündlichen Verhandlungen hat man mitunter das ungute Gefühl,dass diese nicht dazu dient, aufgrund derselben zu einem Ergebnis zu kommen, sondernein schon vorgefaßtes Ergebnis unter Berücksichtigung der mündlichen Verhandlungnur noch abzusichern. 1185) Dies ist wichtig, um sich für das eigene sich anschließendePlädoyer darauf einstellen zu können 1186) und sich gerade auch an die ehrenamtlichenRichter wenden zu können, die oft den Sachverhalt zum ersten Mal hören.1187) Sodann schließen sich mitunter Hinweise <strong>des</strong> Vorsitzenden gemäß § 76 Abs. 2FGO an. Diese dienen in erster Linie der Gewährleistung eines fairen Verfahrens,entfallen folglich nicht <strong>des</strong>halb, weil Beteiligte durch sachkundige Prozeßbevollmächtigtevertreten werden. 1188) .Alsdann schließt sich das Plädoyer der Prozessbevollmächtigten an (§ 92 Abs. 3FGO). Dieses sollte verständlich und nicht zu langatmig sein. Es sollte die Schwerpunkteherausarbeiten. Schließlich gilt es, auch die ehrenamtlichen Richter zu überzeugen,die keine detaillierten Vorkenntnisse haben, weder tatsächlich noch rechtlich.Hat man die Klagebegründung in der oben dargestellten Weise aufgebaut, dann kanndie dortige Vorbemerkung und das Ergebnis dazu sehr hilfreich sein. Hinzu kommensollte, dass man sich auf Besonderheiten einläßt, die man aus dem Sachvortrag <strong>des</strong>Berichterstatters heraus zu hören glaubt und deren Vertiefung bezüglich der tatsächlichenund rechtlichen Aspekte in der mündlichen Verhandlung angestrebt werden.Dem Plädoyer der Prozessbevollmächtigten <strong>des</strong> Klägers schließen sich Ausführungen<strong>des</strong> Vertreters <strong>des</strong> Finanzamtes an (§ 92 Abs. 3 FGO). Da es im finanzgerichtlichenVerfahren kein Versäumnisurteil gibt, häufen sich die Fälle, dass das Finanzamt keinenVertreter zur mündlichen Verhandlung entsendet. In solchen Fällen übernimmt esder Vorsitzende bzw. der Einzelrichter, die Position <strong>des</strong> Finanzamtes vorzutragen.Dies, um bei Verhandlungen vor dem Senat den ehrenamtlichen Richtern die Position<strong>des</strong> Finanzamtes zu verdeutlichen.1183)1184)1185)1186)1187)1188)Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung im einzelnen Bilsdorfer NJW 2001, 331, 3345 f.Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001, Seite 121Bilsdorfer NJW 2001, 331, 336; Streck, Der Steuerstreit, Rdn. 951Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001, Seite 121Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001, Seite 121BFH 28.11.2003 – III B 07/03, BFH/NV 2004, 645


- 208 - 208703704705706Entweder im Anschluß hieran oder nach Erörterung der Sach- und Rechtslage (§ 93Abs. 1 FGO) werden die Anträge gestellt, wobei es nicht ungewöhnlich ist, dass derVorsitzende oder Berichterstatter bzw. der Einzelrichter in der beim FG üblichen Weisedie Anträge aufgrund der vorliegenden Schriftsätze bereits vorformuliert vorschlägt.1189) Denn das Gericht ist an die Fassung gestellter Anträge nicht gebunden(§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Zu den gestellten Anträgen können auch Beweisanträgegehören, sofern sie nicht schon vor der mündlichen Verhandlung gestellt wurden. 1190)Wenngleich das FG an die Fassung gestellter Anträge nicht gebunden ist, ist es aberan das Klagebegehren gebunden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), so daß es nicht über einenanderen Sachverhalt entscheiden darf, als dem im streitgegenständlichen Steuerbescheiderfaßten Sachverhalt. 1191)Alsdann wird zwischen Gericht und den Beteiligten die Streitsache tatsächlich undrechtlich erörtert. 1192)Je tiefergehend die schriftsätzlichen Ausführungen in der Klagebegründung waren, umso tiefergehender kann die Erörterung sein. Während der mündlichen Verhandlung bestehtzudem die Möglichkeit, Verfahrensrügen und sonstige Anträge (z.B. Befangenheitsantrag)zu Protokoll zu erklären, was nach Schluß der mündlichen Verhandlung(§ 93 Abs. 3 Satz 1 FGO) nicht mehr möglich ist. 1193) Wird folglich erkennbar vomGericht ein Beweisantrag übergangen, so muß die entsprechende Verfahrensrüge zuProtokoll erklärt werden. Und sollte sich das Gericht weigern, einen Beweisantrag zuProtokoll zu nehmen, so muß eine entsprechende Protokollberichtigung beantragt werden.1194) Ein rügeloses Einlassen kann zum Verlust <strong>des</strong> Rügerechts führen. 1195) Dies istnicht ganz ungefährlich, wenn nämlich keine Fortsetzung der mündlichen Verhandlungoder Beweisaufnahme nachfolgen sollte, wo man die Verfahrensrüge noch zuProtokoll geben könnte. 1196)Die Erörterung <strong>des</strong> Sach- und Streitstan<strong>des</strong> ist auch <strong>des</strong>halb wichtig, weil daran sichmessen läßt, ob eine unzulässige Überraschungsentscheidung vorliegt. 1197) Denn voneiner Überraschungsentscheidung ist dann die Rede, wenn ein Gericht1189)1190)1191)1192)1193)1194)1195)1196)1197)Bilsdorfer NJW 2001, 331, 336; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001,Seite 122Bilsdorfer NJW 2001, 331, 336BFH 19.02.2009 – II R 49/07, BFH/NV 2009, 1291Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001, Seite 122BFH 29.04.1988 – VII S 20/87, BFH/NV 1989, 112; BFH 31.01.1989 – VII B 162/88, BStBl. II1989, 372; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 127BFH 04.03.1992 – II B 201/91, BStBl. II 1992, 562; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht,Seite 128BFH 29.09.1988 – V R 53/83, BStBl. II 1988, 1027BFH 31.01.1989 – VII B 162/88, BStBl. II 1989, 372; BFH 15.07.1997 – VIII R 56/93, BStBl. II1998, 152; BFH 25.07.2000 - VII B 2/00, n.V.BFH 23.09.1999 - VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448; BFH 15.03.2002 – X B 175/01, BFH/NV2002, 944; BFH 10.12.2002 – V B 263/02, BFH/NV 2003, 494; BFH 18.08.2006 – IV B 101/05,BFH/NV 2007, 202, 204


- 209 - 209707708709„seine Entscheidung auf einen bis zur Entscheidung nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichenGesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch eingewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf <strong>des</strong> Prozessesnicht rechnen mußte.“ 1198)Hinzu kommen muß, daß der Betroffene die Umstände, die er als ihm vorenthaltenrügt, „nicht bereits anderweitig hat kennen können und müssen.“ 1199)Dies bedeutet:- Das, was erörtert worden ist, muß seitens <strong>des</strong> FG auch verarbeitet werden undfolglich auch Eingang in Tatbestand und Entscheidungsgründe <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FGfinden.- Das, was nicht erörtert wurde, darf seitens <strong>des</strong> FG nicht zur Entscheidungsgrundlagegemacht werden. Denn: Gemäß § 96 Abs. 2 FGO darf ein Urteil nurauf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligtenäußern konnten. 1200) Auch müssen Beteiligte sich zu maßgeblichen rechtlichenErwägungen äußern können. 1201) Geschieht dies nicht und wird die gerichtlicheEntscheidung auf Erwägungen gestützt, mit denen Verfahrensbeteiligte nach demVerlauf <strong>des</strong> Rechtsstreites nicht rechnen mußten, dann liegt ein Verstoß gegenArt. 103 Abs. 1 GG in Form einer unzulässigen Überraschungsentscheidungvor. 1202)„Der Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen ist daher nicht schon dannverletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht imVordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt (Beschluß <strong>des</strong>BVerfG vom 14. April 1978 2 BvR 238/78, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Grundgesetz,Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 160; BFH-Urteil vom 14. März 1989 I R 105/88,BFHE 157, 72, BStBl II 1989, 741). Ein Verstoß kommt allerdings dann in Betracht,wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunktzur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat und damit dem Rechtsstreit eineWendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf <strong>des</strong> Verfahrensnicht zu rechnen brauchten (Urteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts vom 19. Juli 19854 C 62/82, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 445; BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 19961198)1199)1200)1201)1202)BFH 06.08.2004 – II B 69/03, BFH/NV 2004, 1666; so auch BFH 28.10.2004 – VII B 298/03,BFH/NV 2005, 1021; BFH 15.12.2005 – IX B 131/05, BFH/NV 2006, 904; BFH 18.08.2006 – VB 178/05, BFH/NV 2007, 62, 63; BFH 14.09.2006 – II B 100/05, BFH/NV 2007, 79; BFH07.07.2008 – II B 09/07, BFH/NV 2008, 1811; BFH 15.03.2011 – VI B 151/10, BFH/NV 2011,1003BFH 21.02.2013 – X B 53/11, BFH/NV 2013, 972 Rdn. 27BVerfG 11.10.1978 - 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325; BFH 23.09.1999 - VI R 106/98, BFH/NV2000, 448BVerfG 19.05 1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 144; BFH 21.03.1995 XI R 85/93, BStBlII 1995, 732, 734; BFH 23.09.1999 - VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448BFH Urteile vom 21. August 1997 V R 65/94, BFH/NV 1998, 971; vom 17. Juni 1998 II R 29/97,BFH/NV 1999, 185; Beschlüsse vom 2. Dezember 1998 II B 60/98, BFH/NV 1999, 792; vom 1.Juli 1998 IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; BFH 15.03.2002 – X B 175/01, BFH/NV 2002,944; BFH 27.05.2002 – XI B 87/01, BFH/NV 2002, 1464; BFH 10.12.2002 – V B 263/02,BFH/NV 2003, 494; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 93 FGO Tz. 3, § 96 FGO Tz. 114


- 210 - 210710711712713714VIII B 37/95, BFH/NV 1997, 124; vom 31. Juli 1997 III B 31/95, BFH/NV 1998, 325; inBFH/NV 1998, 1511; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 119 Rz. 10 a).“ 1203)Die Erörterung <strong>des</strong> Sach- und Streitstan<strong>des</strong> ist folglich für das Gericht eine Möglichkeit,es zu einer solchen Überraschungsentscheidung nicht kommen zu lassen. Stellensich Überraschungen ein, kann zudem beantragt werden, dazu noch gesondert in einemweiteren Schriftsatz vorzutragen bzw. die mündliche Verhandlung neu zu eröffnen.Zum Schluß der mündlichen Verhandlung haben der Prozeßbevollmächtigte <strong>des</strong> Klägersund der Vertreter <strong>des</strong> Finanzamtes – in dieser Reihenfolge – dann die Möglichkeiteines Schlußplädoyers, in welchem thesenartig die zu entscheidenden Sach- undRechtsfragen nochmals zusammengefaßt werden. Hier empfiehlt es sich auch, nochmalsweitergehende Verfahrensanträge – auch solche auf hilfsweise Zulassung derRevision – kurz zu begründen. 1204)Alsdann erklärt der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen (§ 93Abs. 3 Satz 1 FGO).Nach Schluß der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 1 FGO) eingehendeSchriftsätze nötigen das Gericht nicht, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen,sofern nicht neues zum Streitgegenstand vorgetragen wird 1205) oder Verfahrensfehlervorgelegen haben. 1206)ABER: Das Abgrenzungsproblem i.S. Überraschungsentscheidung besteht darin, daßdas Gericht nicht verpflichtet ist, seine rechtlichen Überlegungen mit den Beteiligtenumfassend zu erörtern und im Voraus im einzelnen anzudeuten, worauf das Gerichtseine Entscheidung zu stützen gedenkt. 1207)715VIII.Die Beweisaufnahme1. SachverhaltsermittlungNach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis<strong>des</strong> Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dazu gehört auch der gesamteAkteninhalt. 1208) Folglich muß zu dem, was bereits Gegenstand <strong>des</strong> Akte ist,kein gesonderter Beweisantrag gestellt werden. Aber dieser Akteninhalt ist Grundlagefür das FG, eigene Sachverhaltsermittlung zu betreiben (§ 76 Abs. 1 Satz 1), 1209) ohne1203)1204)1205)1206)BFH 23.09.1999 - VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448. So auch BFH 14.11.2002 – XI B 69/02,BFH/NV 2003, 293; BFH 18.08-2006 – IV B 101/05, BFH/NV 2007, 202, 204; BFH 02.11.2006– VIII B 64/06, BFH/NV 2007, 262, 263Bilsdorfer NJW 2001, 331, 336 f.Dabei kommt es nicht darauf an, dass schuldhaft nicht vorher vorgetragen wurde: BFH26.02.1975 – II R 120/73, BStBl. II 1975, 489; Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5.Aufl. 2001, Seite 124BFH 15.03.2000 - IV B 79/99, BFH/NV 2000, 12121207) BFH 15.03.2011 – VI B 151/10, BFH/NV 2011, 1003; BFH 06.03.2013 – X B 139/12, BFH/NV2013, 978 Rdn. 111208)BFH 09.05.1996 - V R 24/95, BFH/NV 1997, 36; BFH 13.03.1996 - II R 28/94, BFH/NV 1996,6281209)BFH 19.12.2005 – VI R 82/04, BFH/NV 2006, 1076, 1077


- 211 - 211716717an Vortrag der Beteiligten und deren Beweisangebote gebunden zu sein (§ 76 Abs. 1Satz 5 FGO). Damit ist folgen<strong>des</strong> nicht nachvollziehbar: Nach eindeutigem Wortlaut<strong>des</strong> § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Sachverhaltsermittlung Amtspflicht <strong>des</strong> Gerichts.Es ist unerklärlich, warum in Anbetracht <strong>des</strong>sen ein Verfahrensbeteiligter auf die Einhaltungdieser Amtspflicht <strong>des</strong> Gerichts soll verzichten können. 1210) Dies vertritt derBFH contra legem nur <strong>des</strong>halb, um daraus zu konstruieren, dass bei einer unterlassenenRüge eine Rügeverlust <strong>des</strong> Verfahrensbeteiligten die Folge sei. 1211) Trotz der gesetzlichgeregelten Amtspflicht <strong>des</strong> Gerichts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) steigert derBFH dies zudem mit einer Rechtsprechung, die dem Betroffenen sogar den Grundrechtsschutz<strong>des</strong> Art. 103 Abs. 1 GG abspricht, wenn der Betroffene selbst nicht alleprozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft habe, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.1212) Dies verstößt nicht nur eklatant gegen das Gesetzesbindungsgebot <strong>des</strong>Art. 20 Abs. 3 GG und die Effektivität <strong>des</strong> Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), sondernschafft auf diese Weise eigenmächtig qua BFH-Rechtsprechung die Amtspflichtvon Gerichten im Hinblick auf § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ab, wofür dem BFH jeglicheKompetenz fehlt.Unabhängig davon bleibt das Finanzamt gem. §§ 88, 89 AO zu Sachverhaltsermittlungenverpflichtet (§ 76 Abs. 4 FGO). Es ist ein weiterer Mißstand, dass § 76 Abs. 4FGO weitgehend negiert wird. So kommt es immer wieder vor, dass aufgrund einesAdV-Verfahrens erkennbar wird, welchen tatsächlichen Vortrag samt Beweismittelndas FG im Hauptsacheverfahren noch für erforderlich hält. Wird dem dann im HauptsacheverfahrenRechnung getragen, reagiert das Finanzamt nicht. Statt von Amts wegenweiter zu ermitteln wie dies § 76 Abs. 4 FGO fordert, um dadurch das Gericht zuentlasten, ist immer wieder eine Verweigerungshaltung anzutreffen, nach dem Motto,möge das Gericht doch nun ermitteln. Erst wenn es zu Telefongesprächen zwischenBerichterstatter bzw. Einzelrichter und Finanzamt kommt, von denen der Prozessbevollmächtigtemitunter vereinzelt und zufällig erfährt, bequemt man sich seitens <strong>des</strong>Finanzamtes, gelegentlich eigenen Ermittlungspflichten nachzukommen und gegebenenfallsden belastenden Verwaltungsakt aufzuheben. Finanzämtern ist anscheinendoft nicht bewußt, dass Passivität während <strong>des</strong> laufenden finanzgerichtlichen Verfahrensin Anbetracht <strong>des</strong> § 76 Abs. 4 FGO eine Amtspflichtverletzung darstellt.Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO).Das Gericht ist an das Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden(§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Der Vorsitzende bzw. der Berichterstatter kann schon vorder mündlichen Verhandlung Zeugen und Sachverständige laden (§ 79 Abs. 1 Satz 2Nr. 6 FGO) und einzelne Beweise erheben (§ 79 Abs. 2 Satz 1 FGO). Auch insoweitermittelt folglich das Gericht bzw. der Vorsitzende oder Berichterstatter ungeachtetgestellter Beweisanträge oder angebotener Beweise. Und gleichwohl schränkt derBFH 1213) diesen gerichtlichen Amtsermittlungsgrundsatz ein und betreibt Rechtsschutzverkürzungcontra legem, wenn iudiziert wird, ein Gericht sei nicht verpflichtet,einen Sachverhalt ohne bestimmten Anlass zu erforschen bzw. durch unterlasseneRüge <strong>des</strong> Übergehens eines Beweisantrages könnten Prozessbeteiligte gar auf die1210)1211)1212)1213)So BFH 22.07.2008 – II B 18/08, BFH/NV 2008, 1866, 1868BFH 22.07.2008 – II B 18/08, BFH/NV 2008, 1866, 1868 m.w.N.BFH 22.07.2008 – II B 18/08, BFH/NV 2008, 1866, 1868 m.w.N.BFH 22.08.2006 – I B 21/06, BFH/NV 2007, 10, 11


- 212 - 212718719Amtsermittlungspflicht <strong>des</strong> Gerichts verzichten. 1214) Und obwohl § 76 Abs. 1 Satz 5FGO ausdrücklich regelt, daß das Gericht bei seiner gesetzlichen Sachverhaltserforschungspflichtan das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden ist, macht derBFH 1215) die Sachverhaltserforschungspflicht <strong>des</strong> Gerichts vom Vorbringen der Beteiligtenabhängig.Einem in´s Blaue hinein gestellten Ausforschungsbeweisantrag muß das Gericht allerdingsnicht nachgehen. 1216)Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erfordert, daß Zeugen zuvernehmen sind. Schriftliche Äußerungen <strong>Dr</strong>itter aus anderen Verfahren dürfen mithindann nicht vom FG verwertet werden, wenn das FG besagte Personen selbst hättevernehmen können. 1217)7202. Übergangene BeweisanträgeAuf in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisanträge kommt es mithin nur dortan, wo z.B. in Schriftsätzen gestellte Beweisanträge vom FG übergangen wurden,obwohl entscheidungserheblich. 1218) In einem solchen Fall muß die Rüge mangelnderSachaufklärung wegen Verletzung <strong>des</strong> Amtsermittlungsgrundsatzes durch das FG (§76 FGO) erhoben werden und u.a. schlüssig dargelegt werden, warum das FG einemgesondert gestellten und zu Protokoll erklärten Antrag 1219) auf Erhebung weiterer Beweiseoder Vornahme bestimmter weiterer Ermittlungen entsprochen werden sollte.1220) Ferner ist darzulegen, dass die Nichterhebung <strong>des</strong> Beweises gerügt worden istbzw. warum sie nicht erhoben werden konnte, 1221) was sich bei weiterer Sachaufklärungund Beweiserhebung voraussichtlich ergeben hätte und inwieweit das Unterlassenweiterer Sachaufklärung und Beweiserhebung entscheidungserheblich wäre. 1222)Ob dann aus einem vom FG übergangenen Beweisantrag rechtliche Folgerungen gezogenwerden können, wird davon abhängig sein, ob bei einem negativen Urteil dieserBeweisantrag entscheidungserheblich war. 1223) Schließlich darf das FG auf die von1214)1215)1216)1217)1218)1219)1220)1221)1222)1223)BFH 10.10.2008 – VIII B 20-22/08, BFH/NV 2009, 183, 184BFH 18.07.1996 – III R 90/95, BFH/NV 1997, 139; BFH 17.09.2003 – I B 18/03, BFH/NV 2004,207; BFH 22.08.2006 – I B 21/06, BFH/NV 2007, 10, 11; BFH 10.10.2008 – VIII B 20-22/08,BFH/NV 2009, 183, 184BFH 15.05.2007 – I B 120/06, BFH/NV 2007, 1686, 1687 m.w.N.BFH 27.07.2009 – I B 219/08, BFH/NV 2010, 45 f.BFH 19.03.2001 - VII B 231/00, n.V.BFH 20.02.2001 - IV B 75/00, n.V.; BFH 28.11.2003 – III B 07/03, BFH/NV 2004, 645: DerAmtsermittlungsgrundsatz <strong>des</strong> Gerichts entbindet eine fachkundig vertretene Partei nicht davon,gebotene Beweisanträge zu stellen.BFH 07.12.1995 - VIII B 28/95, BFH/NV 1996, 425; BFH 02.03.2001 - III B 108/00, n.V.; BFH19.03.2001 - VII B 231/00, n.V.BFH 14.10.2002 – VII B 78/02, BFH/NV 2003, 322, 323; BFH 21.04.2006 – VIII B 55/05,BFH/NV 2006, 1467BFH 01.10.2002 – IV B 91/01, BFH/NV 2003, 304, 305; BFH 19.11.2002 – VII B 123/02,BFH/NV 2003, 294; BFH 27.01.2003 – II B 194/01, BFH/NV 2003, 792; BFH 28.01.2003 – VI B161/00, BFH/NV 2003, 793, 794; BFH 29.01.2003 – XI B 186/01, BFH/NV 2003, 794, 795BFH 08.03.2001 - III B 94/00, n.V.


- 213 - 213721einem Beteiligten beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur verzichten, wenn dasBeweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Fragestehende Tatsache zugunsten <strong>des</strong> Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann,wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oderabsolut untauglich ist. 1224) Unabhängig von der aufgrund Amtsermittlungspflicht <strong>des</strong>FG gebotenen Beweiserhebung hat das FG eine Amtsermittlungspflicht aufgrund ihmvorliegender Steuerakten. 1225) Wenn darüberhinaus der BFH meint, die Amtsermittlungspflicht<strong>des</strong> FG sei relativierbar, indem sie um so geringer sei, je weniger Beteiligteihrer Mitwirkungspflicht nachkämen, 1226) wird dies mit § 76 Abs. 1 Satz 2 und 3FGO begründet. Dies führt zu der bereits beschriebenen Notwendigkeit, vollständigund wahrheitsgemäß vorzutragen sowie sich zu denen vom Finanzamt vorgetragenenTatsachen umfassend zu erklären. Ob man aber seitens <strong>des</strong> BFH 1227) so weit gehenkann, daß der Umfang der Amtermittlungspflicht durch die Mitwirkungspflicht begrenztwerde, sei sogar durch Prozessbeteiligte verzichtbar, weil es sich um eine Verfahrensvorschrifthandele, 1228) ist <strong>des</strong>halb zweifelhaft, weil es dazu an einer gesetzlichenGrundlage fehlt. Insoweit relativiert der I. Senates <strong>des</strong> BFH 1229) , wonach „unbeschadeteiner Mitwirkungspflicht der Beteiligten“ das FG eine Amtsermittlung jedenfallsdann durchzuführen hat, soweit es sich um Festellungen von Sachverhalten mitentscheidungserheblicher Bedeutung geht. 1230)Die Unterscheidung zwischen seitens <strong>des</strong> FG unterlassener Sachaufklärung (§ 76 Abs.1 Satz 1 FGO) einerseits und unterlassenem Beweisantrag in der mündlichen Verhandlungist <strong>des</strong>halb erheblich, weil im Falle einer Nichtzulassungsbeschwerde späterdarzulegen wäre, warum einerseits das FG auch ohne einen förmlichen und zu Protokollgegebenen Beweisantrag hätte ermitteln müssen und warum andererseits der Prozessbevollmächtigteeinen solchen förmlichen Beweisantrag nicht zu Protokoll erklärthat. 1231) Zudem ist darzulegen, wie sich dadurch das Ergebnis der Beweisaufnahmeverändert hätte. 1232) Dazu gehören substantiierte Darlegungen darüber,- warum es erforderlich war, seitens <strong>des</strong> FG den Sachverhalt auch ohne weitereBeweisanträge aufzuklären,1224)1225)1226)1227)1228)1229)1230)1231)1232)BFH 09.02.2001 - II B 9/99, BFH/NV 2001, 933BFH 30.07.2003 – X R 28/99, BFH/NV 2004, 201BFH 03.06.2003 – IX R 46/00, BFH/NV 2004, 46, 47; BFH 30.07.2003 – X R 28/99, BFH/NV2004, 201, 202; BFH 25.09.2003 – XI B 11/01, BFH/NV 2004, 77, 78BFH 30.07.2003 – X R 28/99, BFH/NV 2004, 201, 203; BFH 17.09.2003 – I B 18/03, BFH/NV2004, 207, 208; BFH 28.07.2003 – IV B 214/01, BFH/NV 2004, 56BFH 10.10.2008 – VIII B 20-22/08, BFH/NV 2009, 183, 184BFH 17.09.2003 – I B 18/03, BFH/NV 2004, 207, 208BFH 08.11.2005 – X B 105/05, BFH/NV 2006, 347BFH 18.01.2001 - V B 157/00 , BFH/NV 2001, 926 ; BFH 01.02.2001 - III B 88/00, n.V.BFH 08.03.2001 - III B 94/00, n.V.


- 214 - 214722723724725726727728729730- was sich voraussichtlich dann warum ergeben hätte und- warum sich dann auf der materiellrechtlichen Grundlage <strong>des</strong> FG dann ein anderesErgebnis eingestellt hätte. 1233)Vor diesem Hintergrund hat sich folglich der Prozessbevollmächtigte bereits in dermündlichen Verhandlung aufgrund deren Verlaufs zu vergegenwärtigen, welchenVerlauf der Rechtsstreit ohne oder mit Beweisaufnahme haben könnte und was esbedeuten könnte, wenn bei einer Beweisaufnahme u.U. das FG Beweisangeboten nichtnachgeht, die er angeboten hatte.Wirkt sich dies rechtserheblich aus, so ist er gehalten, vorsorglich entweder weitereSachaufklärung oder Beweisanträge zu Protokoll zu erklären. 1234) Es stellt sich allerdingsdie Frage, ob die zuvor aufgezeigte Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH verfassungskonformist.Denn wenn- das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO),- das Gericht an Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden ist (§ 76 Abs. 1 Satz5 FGO),- der Vorsitzende bzw. der Berichterstatter schon vor der mündlichen VerhandlungZeugen und Sachverständige laden (§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 FGO) und einzelneBeweise erheben kann (§ 79 Abs. 2 Satz 1 FGO),- folglich das Gericht bzw. der Vorsitzende oder Berichterstatter ungeachtet gestellterBeweisanträge oder angebotener Beweise ermittelt bzw. zu ermitteln hatund- das Finanzamt auch während <strong>des</strong> laufenden finanzgerichtlichen Verfahrens zurErmittlung <strong>des</strong> Sachverhaltes verpflichtet bleibt (§ 76 Abs. 4 FGO),dann ist schon die Frage erlaubt, wo verfassungsrechtlich die gesetzliche Grundlage zusehen ist, den Betroffenen Rechtsnachteile tragen zu lassen, wenn seitens FG bzw.Finanzamt dagegen verstoßen wurde, nur weil sich im Gerichtsprotokoll keine diesbezüglichenAnträge finden. Und erst Recht ist es mit dem Gesetz nicht vereinbar, seitens<strong>des</strong> BFH in Verstößen der Finanzverwaltung bzw. der Finanzgerichtsbarkeit gegendie von diesen von Amts wegen vorzunehmende Sachaufklärungspflicht einenRügeverzicht <strong>des</strong> Betroffenen anzunehmen, wenn dies in der mündlichen Verhandlungnicht ausdrücklich zu Protokoll gerügt wurde. 1235) Die FGO regelt einen diesbezüglichenRechtsverlust nicht. Die aufgezeigte Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH entbehrt einerausreichenden gesetzlichen Grundlage. Wenn das Gesetz von den aufgezeigten Pflichten<strong>des</strong> FG und <strong>des</strong> Finanzamtes ausgeht, dann können Verstöße <strong>des</strong> FG bzw. Finanzamtesdagegen nicht zum Rechtsnachteil <strong>des</strong> betroffenen Klägers ausgehen, indemman ihn die Nachteile nicht zu Protokoll gestellter Anträge tragen läßt, die zu stellen1233)1234)1235)BFH 10.09.2002 – X B 42/02, BFH/NV 2003, 70; BFH 01.10.2002 – X B 34/02, BFH/NV 2003,76; Gräber/Ruban, FGO, § 120 Rdn. 70 i.V.m. § 116 Rdn. 50BFH 02.03.2001 - III B 108/00, n.V.; BFH 06.12.2010 – XI B 27/10, BFH/NV 2011, 645 Rdn. 4BFH 26.01.2007 – VIII B 74/06, BFH/NV 2007, 1146; BFH 06.12.2010 – XI B 27/10, BFH/NV2011, 645 Rdn. 8


- 215 - 215die FGO nicht fordert. Dies verstößt gegen Art. 19 Abs. 4 GG, den Grundsatz <strong>des</strong>Vorbehalts <strong>des</strong> Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie den Grundsatz <strong>des</strong> fairen Verfahrens1236) (Art. 6 Abs. 1 MRK 1237) und 3 Abs. 1 GG).731732733734735736737IX.1. UrteilUrteil/Der GerichtsbescheidDas Gericht entscheidet nach freier, aus dem Gesamtergebnis <strong>des</strong> Verfahrens gewonnenerÜberzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) und zwar ungeachtet <strong>des</strong> § 159 AO. 1238)Über eine Klage wird grundsätzlich durch Urteil entschieden (§ 95 FGO).Dies kann aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 90 Abs. 1 FGO) oder im Einverständnisder Beteiligten - also auch von Streitgenossen (§ 59 FGO) und Beigeladenen(§ 60 FGO) - auch ohne mündliche Verhandlung erfolgen (§ 90 Abs. 2 FGO).VorErlass eines Endurteils kann das Gericht folgende Zwischenentscheidungen durchUrteil fällen:- Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage (§ 97 FGO) oder über entscheidungserheblicheSach- oder Rechtsfragen (§ 99 Abs. 2 FGO). 1239)- Teilurteil über einen Teil <strong>des</strong> Streitgegenstan<strong>des</strong> (§ 98 FGO).- Grundurteil in Form einer Vorabentscheidung (§ 99 Abs. 1 FGO). 1240)- Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage, wenndies sachdienlich ist und keine Prozesspartei widerspricht (§ 99 Abs. 2 FGO).Auch der BFH kann durch Zwischenurteil entscheiden (§§ 121 Satz 1, 99 Abs. 2FGO).Insoweit ist – so der BFH – der Rechtsweg erschöpft, so dass dieserhalbVerfassungsbeschwerde möglich sei. 1241)Rechtsmittel dagegen sind Revision, wenn sie zugelassen wurde (§ 115 Abs. 1 FGO),oder Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO). 1242) Ein Rechtsmittelgegen ein Urteil, mit dem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wurde,ist wegen § 56 Abs. 5 FGO nicht statthaft. 1243)Das Urteil wird von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt, welche an dermündlichen Verhandlung mitgewirkt haben (§ 103 FGO). Wenn der BFH weiter iudiziert,die Richter, die das Urteil gefällt hätten, müssten nicht identisch mit den Rich-1236)1237)1238)1239)1240)1241)1242)1243)S.u. Rdn. 878Zur umstrittenen Frage, ob Art. 6 Abs. 1 EMRK auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt, s. o.Rdn. 389 ffBFH 10.01.2007 – VIII B 221/05, BFH/NV 2007, 1079, 1080; BFH 10.01.2007 – VIII B 218/05,BFH/NV 2007, 1086, 1087 f.BFH 17.12.2008 – III R 22/06, BFH/NV 2009, 1087, 1088BFH 17.12.2008 – III R 22/06, BFH/NV 2009, 1087, 1088BFH 01.03.2001 – IV R 90/99, BFH/NV 2001, 904BFH 09.02.2006 – VIII B 52BFH 23.02.1994 - IV B 124/93, BFH/NV 1994, 729; BFH 14.11.1995 - IX R 36/94, BFH/NV1996, 347


- 216 - 216738739740tern sein, die das Urteil verkündet haben, 1244) so ist dies aus sich heraus nicht verständlich.Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) führt allerdings zumVerzicht auf Mitwirkung ehrenamtlicher Richter wie § 5 Abs. 3 Satz 1 FGO zu entnehmenist, sofern der Senat entscheidet.Das FG darf tatsächliche Feststellungen und Beweiswürdigungen eines zum nämlichenSachverhalt ergangenen Strafurteils sich zu eigen machen. Anders ist dies jedochdann, wenn gegen die im strafgerichtlichen Urteil enthaltenen Feststellungen und Beweiswürdigungenim FG-Verfahren substantiiert Einwände erhoben bzw. Beweisanträgegestellt worden sind. 1245)Rechtskräftige Urteile entfalten (nur) insoweit Bindungswirkung wie das FG über denStreitgegenstand tatsächlich entschieden hat (§ 110 Abs. 1 Satz1 FGO). 1246) Also giltes jeweils zu klären, über welchen Lebenssachverhalt das FG entschieden hat und überwelchen Lebenssachverhalt nicht. Folglich ist es möglich, trotz eines rechtskräftigenUrteils <strong>des</strong> FG eine Änderung eines Steuerbeschei<strong>des</strong> z.B. gem. § 173 AO zu begehren,sofern nur das Änderungsbegehren auf einen Sachverhalt gestützt wird, über dendas FG nicht rechtskräftig entschieden hat (§ 110 Abs. 2 FGO). 1247) Wird dies seitens<strong>des</strong> FA verweigert und kommt es zu einem anschließenden fianzgerichtlichen Verfahren,in welchem auch das FG dies verkent, so darin ein wesentlicher Verfahrensmangeli.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. 1248)7417422. GerichtsbescheidFür Gerichtsbescheide gelten für Form, Inhalt, Verkündung die für Urteile geltenden§§ 104, 105 FGO entsprechend. Ob durch Gerichtsbescheid entschieden wird, steht imErmessen <strong>des</strong> Gerichts, ohne dass es einer Zustimmung der Prozessbeteiligten bedarf.Dadurch, dass gegen einen Gerichtsbescheid immer Antrag auf mündliche Verhandlungmöglich ist, wirkt dies zwar wie eine weitere Instanz, 1249) verlängert aber die ohnehinschon lange Verfahrensdauer von Finanzgerichtsverfahren.Für den Prozeßvertreter stellt sich aber die Frage, ob er mit oder nach Einreichung derKlagebegründung erklären soll, auf mündliche Verhandlung zu verzichten und zugleicheinen Gerichtsbescheid zu beantragen. 1250) Dies kann aus Gründen der Beschleunigungdann angeraten sein, wenn nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist. Daaber gegen einen Gerichtsbescheid, einerlei ob gemäß § 79a Abs. 2 FGO oder § 90a1244)1245)1246)1247)1248)1249)1250)BFH 13.12.2000 – X R 67/99, BFH/NV 2001, 635; BFH 30.01.2003 – XI B 144/02, BFH/NV2003, 797; BFH 09.05.2006 – XI B 104/05, BFH/NV 2006, 1801, 1803BFH 14.11.2003 – VIII B 70/02, BFH/NV 2004, 513BFH 08.06.2000 – IV R 65/99, BStBl. II 2001, 89; BFH 24.08.2005 – VIII B 36/04, BFH/NV2006, 86; BFH 14.03.2006 – VIII R 45/03, BFH/NV 2006, 1448, 1449BFH 14.03.2006 – VIII R 45/03, BFH/NV 2006, 1448, 1449BFH 24.08.2005 – VIII B 36/04, BFH/NV 2006, 86; BFH 14.03.2006 – VIII R 45/03, BFH/NV2006, 1448, 1449Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 158Bilsdorfer NJW 2001, 331, 334


- 217 - 217FGO, eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht möglich ist, 1251) verbleibt die Frage, obman für den Fall eines negativen Gerichtsbeschei<strong>des</strong> so viel Zeit gewinnt; denn dagegenmüßte man dann doch zum Antrag auf mündliche Verhandlung greifen.743744a) § 79a Abs. 2, 4 FGODer Vorsitzende oder an <strong>des</strong>sen Stelle der bereits bestellte Berichterstatter kann ohnemündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Gegen diesen Gerichtsbescheidist nur der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben (§ 79a Abs. 2 Satz 2FGO), jedoch keine Nichtzulassungsbeschwerde wie auch keine Revisionszulassungmöglich ist. 1252)Diese Gerichtsbescheide stehen folglich einem Urteil nicht gleich. 1253) Diese Wirkungerlangt man bei dieser Art <strong>des</strong> Gerichtsbeschei<strong>des</strong> erst dadurch, dass gegen einen negativenGerichtsbescheid gem. § 79a Abs. 2, 4 FGO mündliche Verhandlung beantragtwird, um ein mit einer Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision angreifbares Urteilzu erlangen.745746747748b) § 90a FGOIn geeigneten Fällen kann das Gericht (Senat oder Einzelrichter) ohne mündliche Verhandlungdurch Gerichtsbescheid entscheiden (§ 90a Abs. 1 FGO).Anders als bei Urteilen ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) wirken anGerichtsbescheiden durch den Senat die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§ 5 Abs. 3Satz 2 FGO). Zeichnet sich ab, dass durch einen solchen Gerichtsbescheid entschiedenwerden soll und die Verfassungswidrigkeit einer Norm in Frage steht, sollte durch denSenat entschieden werden, weil dem Einzelrichter nicht die Befugnis zusteht, gemäßArt. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorzulegen. 1254)Dagegen kann wie folgt vorgegangen werden:- Antrag auf mündliche Verhandlung, selbst wenn die Revision zugelassen wurde(§ 90a Abs. 2 Satz 3 FGO). Dann gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen(§ 90a Abs. 3 FGO).- Revision, wenn sie zugelassen wurde (§ 90a Abs. 2 Satz 2 FGO).1251)1252)1253)1254)BFH 27.01.2006 – II B 116/04, BFH/NV 2006, 908BFH 29.01.1999 – VI R 85/98, BFH/NV 1999, 875; ob nach der Neufassung <strong>des</strong> § 90a Abs. 2FGO eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen einen Gerichtsbescheid „noch statthaft“ ist, hat derBFH 13.03.2002 – VII B 07/02, BFH/NV 2002, 943 offengelassen und in BFH 25.07.2002 – IXB 75/02, BFH/NV 2002, 1490 verneint.Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 158BVerfG 05.05.1998 - 1 BvL 23/97, NJW 1999, 274


- 218 - 218749750751752- Streitig ist, ob dann, wenn die Revision nicht zugelassen wurde, Nichtzulassungsbeschwerdemöglich ist. 1255) So lange der BFH diese umstrittene Frage nicht entschiedenhat, sollte als sicherer Weg bei einem Gerichtsbescheid ohne RevisionszulassungAntrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden. Entscheidet danndas FG nach mündlicher Verhandlung zu Lasten <strong>des</strong> Kläger, ohne die Revisionzuzulassen, ist dann die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zulässig. 1256)Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Revisionszulassung wird erfolgen,wenn der Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreites durch die Entscheidung einer Rechtsfrage bestimmtwird. Dagegen wird man nur dann Antrag auf mündliche Verhandlung stellen,wenn der Gerichtsbescheid für den Kläger ungünstig ist und man als Steueranwalt derMeinung ist, dass das FG den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt hat, was man ineiner mündlichen Verhandlung nochmals klarstellen kann. Dies ist dann bedeutsam,wenn es bei zutreffender Würdigung <strong>des</strong> Sachverhaltes auf die vom FG für klärungsbedürftigangesehene Rechtsfrage überhaupt nicht ankommt. 1257)Diesen Weg sollte man wählen, selbst wenn zu erwarten steht, dass das FG seine Meinungnicht ändern wird, um für den Fall eines negativ verlaufenden Rechtsstreitesohne Revisionszulassung und negativ verlaufenem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenin einer eventuell einzulegenden Verfassungsbeschwerde die Rüge der Versagungrechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) erheben zu können. 1258)Weil dem so ist, wird man als Steueranwalt in einem solchen Fall schon vor Ergeheneines Gerichtsbescheids auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung dringen unddies damit auch begründen. Dem hat das FG zu entsprechen, 1259) wobei das FG vorErgehen eines Gerichtsbeschei<strong>des</strong> ohnehin zunächst rechtliches Gehör im schriftlichenVerfahren zu gewähren hat, 1260) so dass die Gründe gegen einen Gerichtsbescheidohne mündliche Verhandlung vorgetragen werden können.1255)1256)1257)1258)1259)1260)Bejahend: Beermann DStZ 2000, 773, 777Verneinend: Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 157; Jesse, Einspruch undKlage im Steuerrecht, C Rdn. 369; Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess?Rdn. 509; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 951; Spindler DB 2001, 61,65; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90a FGO Rdn. 15Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001, Seite 157Suhrbier-Hahn DStR 2001, 467, 470Daher ist Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, 5. Aufl. 2001, Seite 157 nicht zu folgen,bei negativem Gerichtsbescheid mit Revisionszulassung auf den Antrag auf mündliche Verhandlungzu verzichten und gleich ins Revisionsverfahren überzugehen, wenn zu erwarten steht, dassdas FG seine Meinung auch aufgrund mündlicher Verhandlung nicht ändern werde.BFH 23.01.2001 - XI R 20/00, n.V., womit die anders lautende Entscheidung <strong>des</strong> HessFG16.07.1998 - 4 K 2594/94, EFG 1999, 486 aufgehoben wurde. a.A. BFH 01.03.2001 - IV R 90/99,BFH/NV 2001, 904, wonach trotz begehrter mündlicher Verhandlung das FG nach § 90a FGOa.F. durch Gerichtsbescheid entscheiden darf, wenn ausschließlich über Rechtsfragen zu entscheidenwar und die Beteiligten hinreichend Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme hatten. Sieheaber BFH 28.06.2000 - V R 55/98, BStBl II 2001, 31, wonach das FG einen Gerichtsbescheiderlassen darf, wenn ersichtlich ist, dass der Kläger auf eine mündliche Verhandlung nicht verzichtenwill. Es darf dem Kläger aber nicht durch die Zulassung der Revision in dem Gerichtsbescheiddie Möglichkeit nehmen, sein Klagebegehren in einer mündlichen Verhandlung weiter zuerläutern.BFH 25.02.1999 - IV R 48/98, BStBl II 1999, 531


- 219 - 219753c) Missbrauch durch Finanzverwaltung ?In der Praxis ist immer wieder anzutreffen, dass dann, wenn zu Lasten <strong>des</strong> FA ein Gerichtsbescheidergeht, dann mündliche Verhandlung beantragt wird und gleichzeitigdie Hauptsache für erledigt erklärt wird, nachdem ein Abhilfebescheid entsprechenddem Gerichtsbescheid erlassen wurde. Dies <strong>des</strong>halb, weil mit der Beantragung dermündlichen Verhandlung der als Urteil wirkende Gerichtsbescheid als nicht ergangengilt (§ 90a Abs. 3 FGO). Finanzämter vermeiden auf diese Weise gegen sie ergangenenachteilige Urteile. Dies hat die Frage aufgeworfen, ob eine solche Verfahrensweise<strong>des</strong> FA missbräuchlich ist. Der BFH hat dies verneint. 1261)754755756757X. Analyse <strong>des</strong> Urteils1. AllgemeinesHat man im Urteil obsiegt, besteht noch immer die Möglichkeit, dass das FinanzamtNichtzulassungsbeschwerde oder - im Falle der Zulassung - Revision einlegt. Erfolgtdies, so betrifft dies dann aber nicht mehr die 1. Instanz, sondern eine gesonderte Instanz,die eine gesonderte Mandatserteilung an den Prozessbevollmächtigten voraussetzt.Ist man dagegen als Kläger im Urteil unterlegen, dann trifft den Prozessbevollmächtigtenbezüglich der 1. Instanz auch nach Ergehen und nach Zustellung <strong>des</strong> Urteilsnoch eine umfangreiche und verantwortungsvolle Tätigkeit. Gerade dann, wenn dieKlage nicht erfolgreich verlaufen ist, gehört es zu seinen Aufgaben, für den Mandantenund <strong>des</strong>sen Steuerberater eine Einordnung nicht nur <strong>des</strong> Urteilsergebnisses sonderngerade auch der Urteilsgründe vorzunehmen. Ferner gilt es, das Urteil auf Fehler zuüberprüfen und eine Analyse einer Erfolgsaussicht von Rechtsmitteln vorzunehmen.Maßstab sollte dabei nicht sein, was man persönlich für zutreffend oder unzutreffendhält, sondern wie sich die Rechtslage objektiv darstellt. Und dazu gehört auch eineEinschätzung, wie wahrscheinlich - nicht möglich - ein weiteres Vorgehen zu einembesseren Ergebnis führen könnte.Das Mandat eines Anwaltes dauert so lange an, bis er dem Mandanten das Urteil zugesandthat und dem Mandanten mitgeteilt hat, wann ihm - dem Anwalt - das Urteilzugestellt wurde und die Rechtsmittelfrist abläuft. 1262) Ferner ist anerkannt, dass dieBesprechung <strong>des</strong> Urteils mit dem Auftraggeber und die Belehrung über das zulässigeRechtsmittel noch dem abgeschlossenen Rechtszug zuzuordnen sind. 1263)Das gleiche gilt, wenn der Rechtsanwalt dem Mandanten - etwa in Form eineszusammenfassenden Prozessberichts oder auch in einer Besprechung - seine Ansichtüber die Richtigkeit der ergangenen Entscheidung und über die Aussichten einesRechtsmittels mitteilt. 1264) Anerkannt ist ferner, dass die Beratung <strong>des</strong> Auftraggebers1261)1262)1263)1264)BFH 30.03.2006 – V R 12/04, BFH/NV 2006, 1405, 1406 f.. Zu dieser Praxis der FinanzverwaltungEggesiecker/Ellerbeck DStR 2007, 1427; Schmidt DStR 2007, 1996BGH 26.09.1996 - V ZB 25/96, NJW-RR 1997, 55BGH 21.03.1991 - IX ZR 186/90, NJW 1991, 2084BGH 21.03.1991 - IX ZR 186/90, NJW 1991, 2084


- 220 - 220758759760761762über die Frage, welchen Rechtsanwalt er in dem Rechtsmittelverfahren beauftragensoll, durch die Gebühren für die untere Instanz abgegolten wird. Zu dieser Instanzgehört schließlich die Beauftragung <strong>des</strong> vorgeschlagenen Anwalts im Namen <strong>des</strong>Mandanten.Die Zuordnung der aufgeführten Handlungen zum Rechtszug a quo findet ihre Rechtfertigungdarin, dass aus der Sicht <strong>des</strong> Mandanten regelmäßig erst mit der Übernahme<strong>des</strong> Mandats durch den Anwalt der nächsthöheren Instanz der vorausgegangeneRechtszug beendet ist.Deshalb erscheint es gerechtfertigt und geboten, nicht nur die Übermittlung derHandakten, sondern auch andere Tätigkeiten <strong>des</strong> Prozessbevollmächtigten, die in dieZwischenphase zwischen den Erlaß der Entscheidung und die Mandatsübernahmedurch den Rechtsmittelanwalt fallen, als mit den Gebühren für den vorangegangenenRechtszug abgegolten anzusehen. 1265) Der Anwalt muß folglich die Erfolgsaussichtender Rechtsverfolgung sorgfältig prüfen und den Mandanten über das Ausmaß der Prozessrisikosder weiteren Durchführung <strong>des</strong> Rechtsstreits informieren. Ist sicher oder inhohem Maß wahrscheinlich, dass der Mandant kein erfolgreiches Rechtsmittel einlegenkann, muß der Rechtsanwalt hierauf nachdrücklich hinweisen. Solche BeratungsundHinweispflicht besteht von Beginn <strong>des</strong> Mandats an über <strong>des</strong>sen gesamte Dauer.Der Rechtsanwalt muß folglich den rechtsunkundigen Mandanten daher auch noch ineinem späteren Stadium über die zweckmäßigsten prozessualen Möglichkeiten aufklären,um diesem weitere Kostennachteile infolge eines absehbaren Prozessverlustes zuersparen. 1266)Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe <strong>des</strong> Prozessbevollmächtigten, dem Mandantenoder <strong>des</strong>sen Steuerberater nicht nur das ihm zugestellte Urteil zuzusenden und dabeiAussagen zu Fristabläufen und dazu zu tätigen, ob er selbst oder ein anderer Rechtsanwaltbzw. Steuerberater für Rechtsbehelfe / Rechtsmittel zur Verfügung stehen,sondern er muß sich auch mit nachfolgendem befassen und den Mandanten darüberinformieren. Aus Nachweisgründen sollte alles schriftlich erfolgen:Nach Zustellung <strong>des</strong> Urteils sollte dieses zunächst einmal darauf hin untersucht werden,ob eine Urteilsberichtigung gemäß § 107 FGO (Schreibfehler, Rechenfehler, offenbareUnrichtigkeiten) erforderlich ist. Insoweit besteht keine zu beachtende Frist.Hat das FG von der Darstellung von Entscheidungsgründen abgesehen und statt<strong>des</strong>sen auf die Gründe der Einspruchsentscheidung verwiesen (§ 105 Abs. 5 FGO), istzu prüfen, ob einerseits die Einspruchsbegründung ausreichend begründet war und obandererseits dabei nicht seitens <strong>des</strong> FG Klägervortrag übergangen wurde. Letzteres istdann der Fall, wenn im finanzgerichtlichen Verfahren klägerseits Gründe vorgetragenwurden, mit denen sich das FA in der Einspruchsbegründung nicht befaßt hatte. Ineinem solchen Fall wäre das Urteil nicht mit Entscheidungsgründen versehen (§ 105Abs. 2 Nr. 5 FGO), so daß dies als Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGOgerügt werden könnte. 1267)1265)1266)1267)BGH 21.03.1991 - IX ZR 186/90, NJW 1991, 2084OLG Koblenz 12.11.1999 - 10 U 63/99, RuS 2000, 527BFH 20.11.2003 – III B 88/02, BFH/NV 2004, 517


- 221 - 2217637647657662. Tatbestandsberichtigung/Urteilsergänzunga) TatbestandsberichtigungEin für einen Tatbestandsberichtigungsantrag erforderliches Interesse setzt voraus, daßdamit die Grundlage für eine Rechtsmittelentscheidung oder eine Urteilsergänzunggeschaffen werden soll. 1268)Soll beanstandet werden, dass der Urteilstatbestand nicht mit dem Akteninhalt übereinstimmt,so muß dieserhalb ein Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt werden(§ 108 FGO); dies ist folglich kein Nichtzulassungsbeschwerdegrund. 1269) Auch dann,wenn man nach Vorliegen <strong>des</strong> Urteils feststellt, dass Einwendungen gegen die Richtigkeitoder Vollständigkeit zu erheben sind, ist dies durch einen Tatbestandsberichtigungsantragumzusetzen, da auf solche Einwendungen in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrennicht ein Verfahrensmangel gestützt werden kann. 1270) Binnen 2Wochen nach Zustellung <strong>des</strong> Urteils ist Tatbestandsberichtigung auf beim FG zu stellendenAntrag möglich, wenn entweder der Tatbestand oder die EntscheidungsgründeUnrichtigkeiten bzw. Unklarheiten bezüglich Tatsachen enthält. 1271)Statt <strong>des</strong>sen kann nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ein Revisions- 1272) bzw.Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren 1273) eingeleitet werden. Auch findet im Tatbestandeines Revisionsurteils keine Tatbestandsberichtigung statt. 1274) Folglich ist derTatbestand <strong>des</strong> Urteils darauf hin zu prüfen, ob der streiterhebliche Sachverhalt imTatbestand bzw. in den Entscheidungsgründen zutreffend wiedergegeben worden ist.Leider ist in der Praxis immer wieder festzustellen, dass der Streitstoff im Tatbestand<strong>des</strong> Urteils nicht so wiedergegeben wird, wie vorgetragen, sondern so, wie es das Gerichtfür erforderlich hält, um ein bestimmtes Ergebnis – meist Klageabweisung –schlüssig erweisen zu lassen. Der Sachverhalt wird im Urteil „hingebogen“, um dierechtlichen Schlußfolgerungen zwangsläufig erscheinen zu lassen. Geht man dagegenper Tatbestandsberichtigungsantrag vor, so wird dieser abgewiesen; ein solcher Beschlussist dann unanfechtbar (§ 108 Abs. 2 Satz 2 FGO). 1275) Auf diese Weise werdenzugleich Erfolgsaussichten von Nichtzulassungsbeschwerden weiter minimiert. Dennvorhandene Unrichtigkeiten können dann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren1268)1269)1270)1271)1272)1273)1274)1275)BFH 17.03.2010 – X S 25/09, BFH/NV 2010, 1293 Rdn. 16BFH 30.03.2006 – VII B 197/05, BFH/NV 2006, 1487 f.BFH 27.02.2007 – III B 84/06, BFH/NV 2007, 1136, 1137BFH 21.01.2005 – VIII B 93/03, BFH/NV 2005, 894BFH 15.12.2000 - IX B 91/00, BFH/NV 2001, 795; BFH 15.12.2000 - IX B 92/00, n.V.;BFH 17.03.2000 - VII B 1/00, BFH/NV 2000, 1125; BFH 13.12.2000 - IX B 84/00, n.V.; BFH20.02.2001 - IX B 156/00, n.V.; BFH 16.01.2003 - VIII B 60/02, n.V.; BFH 03.04.2003 - IX B173/02, n.V.; BFH 24.07.2003 – IX B 24/03, BFH/NV 2004, 55, 56; BFH 29.07.2003 – V B211/01, BFH/NV 2004, 57, 58BFH 23.10.2000 - V R 105/98, BFH/NV 2001, 467; BFH 27.10.2000 - V R 63/99, n.V.BFH 05.09.2001 – XI B 42/01, BFH/NV 2002, 207: Danach ist gegen einen den Tatbestandsberichtigungsantragabweisenden Beschluß abweichend von § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Beschwer<strong>des</strong>tatthaft, wenn der Antrag als unzulässig verworfen wurde oder der Beschluss unterSchwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist. Aber dasRechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn das Urteil <strong>des</strong> FG durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerderechtskräftig geworden ist.


- 222 - 222767768769770771772nicht mehr geltend gemacht werden. 1276) Und eine Revision (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)kann auf diese rechtswidrige Praxis nicht gestützt werden. 1277)Eine andere in der Praxis festzustellende Unsitte ist es, Sachverhaltsbestandteile nichtim Tatbestand unterzubringen, sondern wertend abgeändert in den Entscheidungsgründen.Dies, um für den Fall eines Tatbestandsberichtigungsantrages denselben mitder Begründung zurückzuweisen, es handele sich um ein Sachverhaltsberichtigungsbegehrenin den Entscheidungsgründen statt im Tatbestand. Auch hier soll wiederumdas negative Urteil dadurch abgesichert werden, dass eine Anfechtung <strong>des</strong> Beschlussesder Zurückweisung <strong>des</strong> Tatbestandsberichtigungsbegehrens nicht möglich ist(§ 108 Abs. 2 Satz 2 FGO). Und auch hier kann darauf eine Nichtzulassungsbeschwerdenicht gestützt werden.Auf all dies ist der Mandant von seinem Prozessbevollmächtigten hinzuweisen.Ergeht für den Kläger ein negatives Urteil, das bei korrekt zugrunde gelegtem Sachverhaltbzw. nicht zurückgewiesenem Tatbestandsberichtigungsantrag so nicht ergangenwäre, so hat der Steueranwalt ferner folgen<strong>des</strong> zu prüfen und den Mandanten darüber– sowie über die statistisch geringen Erfolgsaussichten - zu informieren, damitder Mandant selbst eine Entscheidung treffen kann.- Handelt es sich bei dem zurückgewiesenem Tatbestandsberichtigungsantrag beidem Zurückweisungsbeschluss um einen solchen, der seinerseits unter schwerwiegendenVerfahrensfehlern zustande gekommen ist? Falls ja, so läßt der BFHausnahmsweise und entgegen § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO die Beschwerde gem.§§ 128 ff. FGO dagegen zu. 1278)Wenn allerdings in dem abweisenden Tatbestandsberichtigungsbeschluss dasGrundrecht <strong>des</strong> Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör /Art. 103 Abs. 1 GG)verletzt wurde, 1279) ohne daß eine Beschwerde zugelassen wurde, ist die Anhörungsrügegemäß § 133a FGO statthaft. Ist dagegen ein Verstoß gegen das Willkürverbot(Art. 3 Abs. 1 GG) gegeben ist oder ein Tatbestandsberichtigungsantragzu Unrecht als unzulässig abgewiesen wurde, 1280) so sind die Möglichkeiteneiner Beschwerde auszuloten, um für den Fall einer ins Auge gefaßten Verfassungsbeschwerdedem Postulat der Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges (§ 90 Abs. 2Satz 1 BVerfGG) zu entsprechen.- Weist der Tatbestand <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Urteils oben genannte Mängel aufund wurde der Tatbestandsberichtigungsantrag zurückgewiesen, obwohl mit einerBeschwerde der Verstoß gegen das Willkürverbot gerügt wurde, so ist mit der negativenBeschwerdeentscheidung der Rechtsweg erschöpft. Aus vorgenanntenGründen kann nicht nochmals unter Hinweis auf den in der Beschwerde schongerügten Verstoß gegen das Willkürverbot damit eine Nichtzulassungsbeschwerdebegründet werden. Folglich muß in einem solchen Fall der Steueran-1276)1277)1278)1279)1280)BFH 27.05.2005 – IV B 100/03, BFH/NV 2005, 1809BFH 15.12.2000 - IX B 92/00, n.V.BFH 17.02.1999 - IV B 64/98, n.V.; BFH 31.05.2000 - IX R 79/98, n.V.BFH 31.05.2000 - IX R 79/98, n.V.BFH 17.12.1999 - V B 116/99, BFH/NV 2000, 852; offen gelassen bei BFH 09.09.1999 - VII B269/98, n.V.


- 223 - 223773774775776walt prüfen, ob Verfassungsbeschwerde zum BVerfG oder dem zuständigenLVerfG/ StGH wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG erhoben werden könnte.Verstößt eine solche Verfahrensweise gegen das Willkürverbot <strong>des</strong> Art. 3 Abs. 1GG? Dies wäre der Fall, wenn folgende Voraussetzungen gegeben wären:„Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts erschöpft sich allerdings derGleichheitssatz nicht in dem Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung vonNormadressaten. Vielmehr kommt in ihm ein Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzipzum Ausdruck, das nicht nur der Rechtsprechung, sondern auch der Gesetzgebunggewisse äußerste Grenzen setzt. Diese Grenze wird dann überschritten, wenn eine fehlerhafteRechtsanwendung durch die Gerichte bei verständiger Würdigung der das Grundgesetzbeherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt,dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 42, 64 (72 ff.); Beschlußvom 29. April 1980 - 2 BvR 1441/ 79 - (EuGRZ 1980, S. 377) zur Anwendung von Präklusionsvorschriften).“1281)Allerdings sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, dass selbst bei Einschlägigkeitder rechtlichen Voraussetzungen die statistische Erfolgswahrscheinlichkeitfür eine solche Verfassungsbeschwerde bei etwa 2 % aller eingelegtenVerfassungsbeschwerden liegt. 1282)- Prüfenswert ist ferner, ob die bewußte Veränderung eines Sachverhaltes in einemUrteil samt Zurückweisung eines dies monierenden Tatbestandsberichtigungsantragesnicht strafrechtlich den Fall der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) ausfüllt.Dass der Fall der Verletzung von Verfahrensvorschriften den Fall der Rechtsbeugungausfüllt, wenn dies aus sachfremden Motiven erfolgt, ist in der Rechtsprechungentschieden. 1283)„Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden(RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257 f.; 38, 381, 383, 42, 343 f). Nicht jede unrichtigeRechtsanwendung stellt jedoch eine Beugung <strong>des</strong> Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar;vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element.Erfaßt werden sollen nur elementare Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter bewußt undin schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (ständige Rechtsprechung, BGHSt 32,357; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345).“ 1284)Der Mandant sollte darauf hingewiesen werden, dass es höchst selten vorkommt,dass eine Staatsanwaltschaft Richter wegen Rechtsbeugung anklagt und es nochseltener vorkommt, dass Richter andere Richter wegen Rechtsbeugung verurteilen.Über die Gründe soll hier nicht näher reflektiert werden. Andererseits hat alleineeine Anzeigenerstattung für den Mandanten dauerhafte Nachteile zur Folge.Denn da Finanzrichter nahezu durchgehend aus der Finanzverwaltung kommen,ist es nicht ausgeschlossen, dass die Finanzverwaltung den Mandanten und <strong>des</strong>senSteuerberater sein Vorgehen bei geeigneter Gelegenheit dies fühlen läßt. Solchesist in der Praxis schon bei gegen Finanzrichter gestellten Befangenheitsan-1281)1282)1283)1284)BVerfG 07.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72Lübbe-Wolff AnwBl. 2005, 509BGH 20.09.2000 - 2 StR 276/00, NStZ-RR 2001, 243BGH 20.09.2000 - 2 StR 276/00, NStZ-RR 2001, 243


- 224 - 224777778779780trägen festzustellen, um wieviel mehr kann man sich solches bei einer Strafanzeigevorstellen.Über all dies ist der Mandant und <strong>des</strong>sen Steuerberater aufzuklären.Ein Urteil innerhalb besagter 2-Wochenfrist bezüglich der eventuellen Tatbestandsberichtigungsnotwendigkeitzu überprüfen, gehört zum Pflichtenumfang <strong>des</strong> Prozessbevollmächtigten.Einen Tatbestandsberichtigungsantrag zu stellen, ebenfalls. Die Erfolgsaussichtensolcher Anträge ist jedoch in der Praxis nur sehr begrenzt. Denn wennFinanzrichter sich einmal die Mühe gemacht haben, den Sachverhalt bzw. Tatbestandpassend zu machen, um zu einem für den Kläger nachteilhaften gewünschten Ergebniszu kommen, so gibt es zwar die zuvor dargestellten Möglichkeiten, damit umzugehen.Sehr erfolgversprechend sind sie nicht, worauf der Prozessbevollmächtigte den Mandanteninformieren sollte. Theorie und Wirklichkeit gehen gerade bei der Frage, warumin Urteilen Sachverhalte unzutreffend dargestellt werden, erheblich auseinander.Und der betroffene Kläger ist dem dann in aller Regel wehrlos ausgeliefert.Soweit der BFH 1285) entschieden hat, ein Tatbestandsberichtigungsantrag gegen einBFH-Urteil sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weist Rößler 1286) daraufhin, dass dies jedenfalls für den Fall nicht richtig sein könne, dass gegen das BFH-Urteilz.B. Verfassungsbeschwerde eingelegt worden sei. Im Hinblick auf § 118 Abs. 2FGO sollte aber folgen<strong>des</strong> bedacht werden: Wurde bereits gegen die Tatbestandsfeststellung<strong>des</strong> FG Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt, dieser aber vom FG zurückgewiesen- was fast der Regelfall ist, wobei dafür meist nicht sachliche Gründe maßgebendsind -, wurde die fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung vorsorglich in der Revisionsbegründunggerügt, dann kann der BFH die erforderlichen Feststellungen nichtselbst treffen. 1287) Der BFH müßte dann wegen fehlerhafter Sachverhaltsfeststellungaufheben und an das FG zurückverweisen. Wenn der BFH aber so nicht verfährt undstatt <strong>des</strong>sen einfach die fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung zur Grundlage seiner Entscheidungmacht, dann liegt einerseits in der Entscheidung <strong>des</strong> FG, wo die fehlerhafteSachverhaltsfeststellung ihren Ausgang nahm, ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GGund in der Entscheidung <strong>des</strong> BFH ebenfalls, wenn sie diesem Grundrechtsverstoßnicht abhalf. Dies kann alsdann Ausgangspunkt für ein Anhörungsrügeverfahren (§133a FGO) - nicht eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens wegen Verstoßes gegenArt. 103 Abs. 1 GG - gegen die Entscheidung <strong>des</strong> BFH sein.Soweit der BFH 1288) entschieden hat, ein Tatbestandsberichtigungsantrag bei einemim Einverständnis mit den Beteiligten ergangenen Urteil ohne mündliche Verhandlungsei nicht zulässig, steht dies mit dem Gesetzeswortlaut <strong>des</strong> § 108 Abs. 1 FGO nicht imEinklang. Er begründet dies damit, gem. § 155 FGO i.V.m. § 314 Satz 1 ZPO erbringeder Tatbestand lediglich Beweis für das mündliche Parteivorbringen. Dies läßt aberunberücksichtigt, daß gemäß § 118 Abs. 2 FGO der BFH an die tatsächlichen Feststellungen<strong>des</strong> FG gebunden ist, woraus zu folgern ist, daß der Tatbestand allle tatsächlichenFeststellungen enthalten muß und nicht nur über Parteivorbringen in der mündlichenVerhandlung.1285)1286)1287)1288)BFH 08.05.2003 – IV R 63/99, NJW 2003, 3440Rößler NJW 2004, 266, 267Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl. 2002, § 118 Rdn. 57BFH 27.04.2009 – II B 173/08, BFH/NV 2009, 1272 f. m.w.N.


- 225 - 225781782783Enthält folglich ein ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil nicht alle tatsächlichenFeststellungen und läßt der BFH keine Tatbestandsberichtigung in solchen Fällenzu, dann würde es gegen Art. 19 Abs. 4 GG (= Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz)verstoßen, wenn dadurch ein Verfahrensbeteiligter im Nichtzulassungsbeschwerde-oder Revisionsverfahren Rechtsnachteile erleiden würde. Wohl <strong>des</strong>halbweist der BFH 1289) auf zweierlei hin:(1) Entgegen § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO sei gegen einen solchen Beschluss, mit demdie Tatbestandsberichtigung als unzulässig zurückgewiesen worden sei, die Beschwerdezum BFH gem. § 128 Abs. 1 FGO statthaft. Denn § 108 Abs. 2 Satz 2 FGObeziehe sich nicht auf Beschlüsse, durch die der Tabestandsberichtigungsantrag ohneSachprüfung zurückgewiesen werde.(2) Ferner weist der BFH darauf hin, daß in solchen Fällen der Betroffene im Rahmender Verfahrensrüge (gemäß §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 FGO im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenbzw. gemäß § 120 Abs. 3 Nr. 2 FGO im Revisionsverfahren) dieunzutreffende Darstellung <strong>des</strong> Sach- und Streitstan<strong>des</strong> rügen könne.784785b) UrteilsergänzungWurde ausweislich dem Tatbestand ein Antrag gestellt oder die Kostenfolge ganz oderzum Teil übergangen, so ist auf Antrag das Urteil durch nachträgliche Entscheidung(Urteil 1290) ) zu ergänzen (§ 109 Abs. 1, 113 Abs. 1 FGO). 1291) Dies geschieht auf Antrag,der binnen 2 Wochen nach Zustellung der Entscheidung gestellt werden muß undworüber eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat (§ 109 Abs. 2 FGO). Wird diesversäumt, kann nicht statt <strong>des</strong>sen ein Rechtsmittel eingelegt werden, 1292) vielmehrentfällt dadurch die diesbezügliche Rechtshängigkeit. Einspruch eingelegt oder Klagekann nur erhoben werden, wenn die diesbezüglichen verfahrensmäßigen Voraussetzungengegeben sind. 1293)Der Unterschied zwischen einem übergangenen Antrag (§ 109 Abs. 1 FGO) und einemübergangenen Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel als Verfahrensmangel (§ 115Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt in folgendem:„Ein Verfahrensmangel i.S. <strong>des</strong> § 116 Abs.1 Nr.5 FGO [jetzt § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO] liegtvor, wenn das Gericht seine Entscheidung überhaupt nicht oder jedenfalls zu einem wesentlichenTeil nicht begründet, indem ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mitStillschweigen übergangen wird (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1995 VIII R 26/95,BFH/NV 1996, 427, m.w.N.). Die Begründung soll die Beteiligten in die Lage versetzen, diefür die Entscheidung <strong>des</strong> Gerichts wesentlichen rechtlichen Erwägungen zur Kenntnis zu nehmen,um ihre prozessualen Rechte wahrnehmen zu können.Hat das Gericht in<strong>des</strong>sen einen Sachantrag überhaupt nicht beschieden, fehlt es nicht an einerBegründung, sondern an der Entscheidung selbst. Deshalb ist das Übergehen eines Sachantragesnicht mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs.1 Nr.5 FGO [jetzt § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO],1289)1290)1291)1292)1293)BFH 27.04.2009 – II B 173/08, BFH/NV 2009, 1272, 1273BFH 17.05.1994 - X R 169/93, BFH/NV 1995, 251BFH 27.03.2006 – VIII B 21/05, BFH/NV 2006, 1256, 1257BFH 18.06.1996 - IV R 66/95, BFH/NV 1996, 840; BFH 24.08.1999 - VIII B 52/98, n.V.BFH 10.11.1998 - I B 84, 85/98, BFH/NV 1999, 644


- 226 - 226sondern nur mit dem Antrag nach § 109 FGO auf Ergänzung <strong>des</strong> Urteils zu korrigieren (BFH-Beschluß vom 18. April 1991 VIII R 82-83/89, BFH/NV 1992, 670).Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen einem übergangenen selbständigen Angriffs- undVerteidigungsmittel und einem übergangenen Antrag schwierig sein. So ist für einen demGrunde nach sowie im Hinblick auf den anzuwendenden Steuersatz streitigen, im Rahmen derEinkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigenden Veräußerungsgewinn angenommen worden,dass ein Urteil insoweit ohne Gründe ergangen ist, als es Ausführungen nicht zum Steuersatz,sondern nur zum Grund <strong>des</strong> Veräußerungsgewinns enthält (BFH-Urteil vom 11. Juni 1969I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492). Ganz allgemein soll entsprechen<strong>des</strong> gelten,wenn nur zum Grund, nicht auch zur Höhe <strong>des</strong> Steueranspruchs Stellung genommen wird (vgl.BFH-Urteil vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; Seer in:Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Tz.21; Gräber/Ruban,Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl. 1993, § 119 Rz.25; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentarzur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Anm.16). Andererseits hat derBFH das Übergehen eines Antrags angenommen, wenn ein Antrag auf Aufhebung von Gewinnfeststellungsbescheiden(wegen eines Verfahrensfehlers) und ein weiterer Antrag aufBerücksichtigung zusätzlicher Betriebsausgaben in den Gewinnfeststellungen gestellt wordensind, die Entscheidung sich aber nur mit der Frage der Betriebsausgaben auseinandersetzt(BFH in BFH/NV 1992, 670).“7867877887897907917923. Erfolgsaussichten für Nichtzulassungsbeschwerde/RevisionErwägt ein Betroffener und <strong>des</strong>sen Prozessvertreter nach negativem Urteil und nichtzugelassener Revision, Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen und im Hinblick daraufdas Urteil zu analysieren, so muß man sich folgende Zahlen vergegenwärtigen.Für 2012 ergab sich folgen<strong>des</strong> Bild:- Zu Gunsten Steuerpflichtiger ergangene Entscheidungen 17,6 % (2011: 20,5 %).- Zu Gunsten Steuerpflichtiger ergangene Revisionsentscheidungen 41,7 % (2011:42,9 %).- Zu Gunsten Steuerpflichtiger ergangene Nichtzulassungsbeschwerdeentscheidungen12 % (2011: 15 %).- Dauer der Revisionsverfahren 19 Monate (2011: 17 Monate).- Dauer der Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren 6 Monate (2011: 6 Monate).Die Analyse eines Urteils dahingehend, ob sich die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerdeempfielt, weil vom FG die Revision nicht zugelassen wurde (§ 115 Abs. 1FGO), hat in folgenden Schritten zu erfolgen:- Zunächst gilt es zu klären, ob der Mandant durch das Urteil <strong>des</strong> FG beschwert ist.Denn dafür ist maßgebend der Urteilstenor und nicht die Urteilsbegründung. 1294)- Sodann gilt es zu klären, ob das FG den entscheidungserheblichen Sachverhaltvollständig festgestellt hat. Denn wäre dies nicht der Fall, müßte fristgerecht einTatbestandsberichtigungsantrag gestellt werden. Dies <strong>des</strong>halb, weil auf nicht1294)BFH 23.08.2006 – IV B 114/05, BFH/NV 2007, 66, 67


- 227 - 227793794795796797798festgestellte Sachverhalte Anträge auf Zulassung der Revision wegen grundsätzlicherBedeutung bzw. Rechtsfortbildung nicht gestützt werden können. 1295)- Sollte das FG sein Urteil kummulativ auf mehrere Gründe gestützt haben, so istbei nicht zugelassener Revision zu prüfen, ob für jeden dieser Gründe jeweils einNichtzulassungsbeschwerdegrund gegeben ist. 1296)- Falls eine Beschwer bejaht werden kann, ist eine Analyse vorzunehmen, ob undwarum das Urteil <strong>des</strong> FG rechtsfehlerhaft ist. Dabei darf man aber nicht stehenbleiben, weil Einwände gegen die Richtigkeit <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FG alleine nochkeine Nichtzulassungsbeschwerde rechtfertigen, 1297) es sei denn, es handelt sichum einen solch schwerwiegenden Fehler bei der Anwendung bzw. Auslegung revisiblenRechts, daß von objektiver Willkürlichkeit gesprochen werden kann bzw.ein solcher Fehler unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbarist. 1298)- Sodann gilt es zu klären, ob es zudem Nichtzulassungsbeschwerdegründe gibt (§§116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 FGO), die klärungsbedürftig, klärungsfähig undentscheidungserheblich sind und- ob diese Nichtzulassungsbeschwerdegründe zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidungvoraussichtlich noch vorliegen werden. 1299) Es muß bezweifelt werden,ob die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH mit dem aus Art. 19 Abs. 4 GG ableitbarenGrundrecht auf effektiven Rechtsschutz konform geht, wenn der BFH einenNichtzulassungsbeschwerdegrund zum Zeitpunkt der Zulassungsentschidung verneint,weil der BFH über die entsprechende Rechtsfrage bereits entschieden hat,obwohl dagegen noch eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG anhängigist. 1300)- Und schließlich ist zu klären, ob dies alles überhaupt Einfluß auf das Ergebnishätte, wenn die Revision zugelassen würde, da § 126 Abs. 4 FGO insoweit auchim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren angewandt wird. 1301)Im Vorfeld der gesetzlichen Novellierung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrenwar darüber diskutiert worden, ob die Revision nicht auch dann zugelassenwerden sollte, wenn „überwiegende Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenenEntscheidung bestehen.“ 1302) Dies wurde vom Gesetzgeber nicht umgesetzt. Folg-1295)1296)1297)1298)1299)1300)1301)1302)BFH 02.12.2010 – XI B 23/10, BFH/NV 2011, 614; BFH 27.04.2012 – III B 238/11, BFH/NV2012, 1321BFH 13.07.2011 – X B 117/10, BFH/NV 2011, 2075; BFH 30.08.2011 – IV B 77/10, BFH/NV2011, 2089; BFH 23.02.2012 – X B 91/11, BFH/NV 2012, 1150 Rdn. 4; BFH 09.03.2012 – VI B121/11, BFH/NV 2012, 1157BFH 18.04.2006 – VIII B 141/05, BFH/NV 2006, 1465; BFH 24.09.2008 – IX B 110/08,BFH/NV 2009, 39BFH 01.09.2008 – IV B 04/08, BFH/NV 2009, 35; BFH 14.03.2012 – V B 10/11, BFH/NV 2012,1315BFH 20.12.2006 – I B 141/05, BFH/NV 2007, 928a.A. BFH 20.12.2006 – I B 141/05, BFH/NV 2007, 928BFH 24.07.2006 – VIII B 233/05, BFH/NV 2006, 2110, 2111Spindler DB 2001, 61; Suhrbier-Hahn DStR 2001, 467, 473


- 228 - 228799800801802lich iudiziert der BFH, dass Einwände gegen die materielle Richtigkeit <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong>FG keinen Nichtzulassungsbeschwerdegrund darstellt. 1303) Damit stellt sich aber dieFrage, ob aus nachfolgenden Gründen genau dieser vom Gesetzgeber nicht berücksichtigteAspekt gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen ein ungeschriebenerZulassungsgrund sein könnte:Das Plenum beider Senate <strong>des</strong> BVerfG hatte in seiner Entscheidung vom 11.06.1980 1304) aus Anlaß der verfassungsrechtlichen Würdigung <strong>des</strong> § 554b ZPO a.F. ausgeführt,es liege nach dem GG in der Gestaltungsfreiheit <strong>des</strong> Gesetzgebers, ob er inbürgerlichrechtlichen Streitigkeiten Rechtszüge einrichte, welche Zwecke er damitverfolge und wie er sie im einzelnen regele.Dies dürfte auch für das novellierte Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsrechtin §§ 115 ff. FGO gelten. 1305) Und das Plenum <strong>des</strong> BVerfG 1306) entschied seinerzeitnoch, es habe nicht darüber zu befinden, welche verfassungsrechtlichen „Erfordernissesich für ein vom Gesetzgeber eingeführtes echtes Annahmeverfahren im Hinblick aufZugangsbegehren stellten, die in der Sache selbst Aussicht auf Erfolg besitzen.“ Bereitsmit seiner Entscheidung vom 18.11.1980 entschied der 1. Senat <strong>des</strong> BVerfG, 1307)§ 554b ZPO a.F. sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Annahmeeiner Revision nicht abgelehnt werden dürfe, wenn das Rechtsmittel im EndergebnisAussicht auf Erfolg habe.Das BVerfG hielt mithin die einfachgesetzliche Regelung für verfassungsgemäß,worin die Annahme der Revision nicht für den Fall geregelt worden war, dass dasRechtsmittel im Endergebnis Aussicht auf Erfolg habe. Nicht anders ist es bei demnovellierten Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsrecht in den §§ 115 ff. FGO.Aber das BVerfG nahm ungeachtet dieser gesetzlichen Vorgabe eine verfassungskonformeAuslegung vor, wonach gleichwohl eine Annahme der Revision nicht abgelehntwerden dürfe, wenn das Rechtsmittel im Endergebnis Aussicht auf Erfolg habe. Esstellt sich daher für das novellierte Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrendie Frage, ob der BFH nicht auch insoweit gehalten ist, eine verfassungskonformeAuslegung vorzunehmen, so dass man z.B. eine Nichtzulassungsbeschwerde auch daraufstützen könnte, jedenfalls habe eine Revision für den Fall ihrer Zulassung Aussichtauf Erfolg.Die Antwort auf diese Frage wird man nicht ohne die Erwägungen <strong>des</strong> Plenums <strong>des</strong>BVerfG in seiner Entscheidung vom 11.06.1980 1308) finden können: 1309) Auch in dieserEntscheidung war zum Ausdruck gebracht worden, dass die Annahme der Revisionnicht abgelehnt werden dürfe, wenn die Revision im Endergebnis Erfolg habenkönne. 1310) Dies wurde mit folgenden Überlegungen begründet:1303)1304)1305)1306)1307)1308)1309)1310)BFH 01.03.2006 – VIII B 332/04, BFH/NV 2006, 1313; BFH 29.03.2012 – IX B 120/11,BFH/NV 2012, 1163BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 291So auch List DB 2003, 572, 574BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 293 f.BVerfG 18.11.1980 – 1 BvR 194/78, BVerfGE 55, 205, 206BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277So auch List DB 2003, 572, 574BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 285


- 229 - 229803804805806807808Hauptanliegen der Änderung <strong>des</strong> zivilprozessualen Revisionsrechts war seinerzeit dieWahrung der Rechtseinheit und die einheitliche Rechtsfortbildung. 1311) Dies ist auchbei der Novellierung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren derFGO der Fall gewesen. Aber in §§ 554b Abs. 1 und 2, 555 ZPO a.F. ging es um eineAblehnungsbefugnis, während es in §§ 115, 116 FGO um eine Zulassungsbefugnisgeht.Gleichermaßen wie bei § 561 Abs. 2 ZPO a.F. geht es auch bei §§ 115, 116 FGO umdie „Prüfung der Richtigkeit der rechtlichen Elemente der angefochtenen Entscheidungunter Bindung an die im angegriffenen Urteil festgestellten Tatsachen. Und dasBVerfG iudizierte dazu:„Daraus kann in<strong>des</strong> nicht der Schluß gezogen werden, die Revision diene - verglichen mitihren weiteren Zwecken - nur in zweiter Linie der Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit. DieNachprüfungsbefugnis <strong>des</strong> Revisionsgerichts ist zwar begrenzt; soweit sie aber eröffnet ist, istsie gerade auch zu dem Zweck gegeben, die rechtliche Richtigkeit der Entscheidung <strong>des</strong> Falleszu gewährleisten.Dieser Zweck erhellt unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung selbst, nämlich aus der dargelegtenAusgestaltung der Revision als eines Rechtsmittels der Parteien im Dienste der Entscheidungihres Falles. Und das gilt gleichermaßen für die Zulassungsrevision wie für dieWertrevision.“ 1312)Das Plenum <strong>des</strong> BVerfG sprach folglich mit dem letzten zuvor zitierten Satz ausdrücklichan, dass die rechtliche Richtigkeit <strong>des</strong> zu entscheidenden Falles auch bei derZulassungsrevision bedeutsam sei und die §§ 115, 116 FGO sind Ausdruck einer Zulassungsrevision,zumal die Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH einzulegen undvon ihm zu entscheiden ist.Und das Plenum <strong>des</strong> BVerfG fuhr fort:„Das heißt nicht, dass die übrigen Revisionszwecke nur nachgeordnete Bedeutung hätten.Denn auf dieser Ebene - <strong>des</strong> einmal eröffneten Zugangs zum Revisionsgericht - besteht keinegrundsätzliche Gegenläufigkeit der Zwecke; sie gehen Hand in Hand: aus Anlaß der Einzelfallentscheidungwird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung angestrebtund die Kontrollfunktion gegenüber den Vordergerichten wahrgenommen. Der Weg zu diesemZiel soll nach der gesetzlichen Regelung über die richtige Einzelfallentscheidung führen.“ 1313)Damit wird verdeutlicht, dass Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildungkeinen Wert für sich in der Weise darstellen, dass das Rechtsmittel der Revisionnur dafür da sei, dass Betroffene auf eigene Kosten und eigenes Risiko diese Zieleverfolgen müßten. Vielmehr macht das Plenum <strong>des</strong> BVerfG deutlich, dass Betroffenemit einem solchen Rechtsmittel ihre Einzelfallgerechtigkeit suchen und die Einheitlichkeitder Rechtsprechung und die Rechtsfortbildung aus Anlaß dieser Suche nachEinzelfallgerechtigkeit erfolge.Und vor diesem Hintergrund nimmt das Plenum <strong>des</strong> BVerfG zur gesetzgeberischenEntscheidung, die Einzelfallgerechtigkeit bei Revisionsrecht nicht erwähnt zu habenwie folgt Stellung:1311)1312)1313)BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 285BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 289 f.BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 290


- 230 - 230809810811812„Demgegenüber handelt es sich bei den Vorschriften, die festlegen, gegen welche Arten vonEntscheidungen das Rechtsmittel der Revision eröffnet ist, um eine von Gesichtspunkten derJustizgewährung geprägte Regelung. Durch Zugangsbeschränkungen wird auf dieser Ebene dasAnliegen genereller Gewährleistung verstärkter Einzelfallgerechtigkeit dem Anliegen generellerGewährleistung allgemeiner Revisionszwecke geopfert. Es wäre in<strong>des</strong> ein Fehlschluß, darauszu folgern, dass auch insoweit, als das Rechtsmittel den Beteiligten einmal eröffnet ist, dieGewährleistung der Einzelfallgerechtigkeit den übrigen Rechtsmittelzwecken hintangesetzt seioder hintangesetzt werden dürfe. Die für die gesetzgeberische Wertung bei der Ausgestaltung<strong>des</strong> Revisionszugangs maßgeblichen Kriterien lassen sich nicht auf den durch diese Regelungeinmal eröffneten Rechtszug und zumal nicht auf die Entscheidung <strong>des</strong> Einzelfalles übertragen(vgl. Prütting, aaO, S 93); dies jedenfalls dann nicht, wenn das Rechtsmittel, wie die Revisionder Zivilprozeßordnung, so ausgestaltet ist, dass in seiner Bezugsmitte die rechtlich richtigeEinzelfallentscheidung steht.“ 1314)Es stellt sich folglich die Frage, ob die §§ 115, 116 FGO so ausgestaltet sind, dass inseiner Bezugsmitte ebenfalls die rechtlich richtige Einzelfallentscheidung steht. Dieswird man bejahen müssen.Denn einerseits war es erklärte Absicht <strong>des</strong> Gesetzgebers, in Anbetracht <strong>des</strong> vom BFHbetriebenen Zulassungsformalismus die Zulassung der Revision zu erleichtern undzum anderen ist gerade § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ein deutliches Zeichen dafür, dass dierechtlich richtige Einzelfallentscheidung nach wie vor eine Rolle spielen soll. Schließlichsind Betroffene nicht dafür da, damit der BFH Rechtsfortbildung betreiben kann,sondern die Gerichte und damit auch der BFH sind dafür da, um der Einzelfallgerechtigkeitzu dienen.„Das Grundanliegen, das mit der Einrichtung von gerichtlichen Rechtsbehelfssystemen imweitesten Sinne verfolgt zu werden pflegt, ist zum einen, eine tendenziell bessere Gewähr derEinzelfallgerechtigkeit, das heißt - gemessen am jeweils anzuwendenden Recht - der Richtigkeitgerichtlicher Entscheidungen zu erzielen, und zum anderen, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung,darunter auch der richterlichen Rechtsfortbildung, und dadurch die Einheit derRechtsordnung institutionell zu sichern.“ 1315)Das Plenum <strong>des</strong> BVerfG verdeutlichte, dass es zwar im Gestaltungsermessen <strong>des</strong> Gesetzgebersliege, ob und wie er einen Rechtsmittelzug gestalte. 1316) Aber aus der verfassungskonformenAuslegung durch den 1. Senat <strong>des</strong> BVerfG in seiner Entscheidungvom 18.11.1980 1317) folgt, dass eine gesetzliche Regelung, die die Möglichkeit gibt,die Einzelfallgerechtigkeit wegen Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildungaus dem Auge verliert, dahingehend verfassungskonform auszulegen ist, siewieder zum Ausgangspunkt zu nehmen.So gesehen ist noch nicht das letzte Wort darüber gesprochen, ob die Entscheidung<strong>des</strong> Gesetzgebers zu den §§ 115 ff. FGO verfassungsrechtlich hält, darauf verzichtetzu haben, „überwiegende Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung“in § 115 Abs. 2 FGO ausgespart zu haben. 1318) Und der BFH kann sich nicht sicher1314)1315)1316)1317)1318)BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 290BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 291BVerfG 11.06.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 291BVerfG 18.11.1980 – 1 BvR 194/78, BVerfGE 55, 205, 206Ähnlich Fischer AnwBl. 2002, 139, 143 zur Novellierung <strong>des</strong> Revisionszulassungsrechts der ab01.01.2002 geltenden ZPO


- 231 - 231813814815816sein, dass die Nichtzulassung einer Revision, obwohl ihr bei Würdigung der Einzelfallgerechtigkeitder Erfolg nicht zu versagen wäre, einer verfassungsgerichtlichenPrüfung stand halten wird. Erst recht ist vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlichbedenklich, wenn trotz der durch den Gesetzgeber mit der Novellierung beabsichtigtenRevisionszulassungserleichterung einzelne Senate <strong>des</strong> BFH erneut dazu übergehen,die alten überhohen Zulassungshürden beizubehalten, als ob sich am Gesetz und dengesetzgeberischen Intentionen nichts geändert hätte wie nachfolgend dargelegt wird.Immerhin ist vor dem Hintergrund der Einzelfallgerechtigkeit im Hinblick auf Art. 3Abs. 1 GG auch nicht einsichtig, warum gemäß § 126 Abs. 4 FGO die Revision trotzvorliegender Revisionsgründe dann soll zurückverwiesen werden können, wenn dieangegriffene Entscheidung sich im Ergebnis als richtig darstellt, warum sie aber umgekehrtnicht soll zugelassen werden, wenn die angegriffene Entscheidung sich imErgebnis als unrichtig darstellt.Ungeachtet all <strong>des</strong>sen geht der BFH auch nach der Novellierung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerderechtsdavon aus, dass Einwendungen gegen die materielle Richtigkeiteiner FG-Entscheidung alleine keine Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerdebegründen kann. 1319) Der Anwalt <strong>des</strong> durch FG-Urteil unterlegenen Klägers muß mithinmit seinem Mandanten sehr genau prüfen, ob nur ein Fall materiellrechtlicher Unrichtigkeit<strong>des</strong> Urteils gegeben ist oder ob sich ein Nichtzulassungsbeschwerdegrundanbietet.Sollte sich kein Nichtzulassungsbeschwerdegrund finden, das Urteil <strong>des</strong> FG aber nichtnur materiellrechtlich unrichtig sondern darüberhinaus völlig unhaltbar sein, bleibt zuüberlegen, ob dann nicht Verfassungsbeschwerde zum BVerfG oder Grundrechtsklagezum LVerfG erhoben werden sollte. Dabei könnte man an folgen<strong>des</strong> denken:Im Rahmen der Novellierung der ZPO kann gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Berufungim Beschlusswege zurückgewiesen werden, wenn sie keine Aussicht auf Erfolghat und kein(e) Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsgrund gegeben ist. EineNichtzulassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss war im Gesetz nicht vorgesehenund somit unzulässig. Für den Fall einer gegen einen solchen Berufungszurückweisungsbeschlusseingelegten Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG 1320) eine Verfassungsbeschwerdedann als annahmefähig für denkbar angesehen, wenn ein solcherBeschluss <strong>des</strong> OLG nicht vertretbar sei. Dies sei dann der Fall, wenn die Entscheidung- entweder willkürlich unrichtig oder- offensichtlich unhaltbarsei. Es ist überlegenswert, ob man dann, wenn ein FG-Urteil in einer Weise materiellrechtlichfehlerhaft ist, dass es offensichtlich unhaltbar ist, ohne dass auf der Grundlageder BFH-Rechtsprechung eine Nichtzulassungsbeschwerdegrund gegeben ist,man dann nicht unter Berücksichtigung <strong>des</strong> oben Ausgeführten und in Anlehnung andie Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG vom 05.08.2002 doch erwägen sollte, Verfassungsbeschwerdeeinzulegen. Denn nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH reicht dies nicht, for-1319)1320)BFH 19.08.2002 – VIII B 132/02, BFH/NV 2003, 65; BFH 10.10.2002 – VII B 15/02, BFH/NV2003, 321; BFH 25.11.2002 – I B 02/02, BFH/NV 2003, 488, 489; BFH 09.12.2002 – VII B102/02, BFH/NV 2003, 530, 532BVerfG 05.08.2002 – 2 BvR 1108/02, n.V.


- 232 - 232817818819820821822dert er doch zusätzlich noch, dass durch die Entscheidung <strong>des</strong> FG das Vertrauen in dieRechtsprechung beschädigt worden sein muß. 1321)Die Prüfung der Erfolgsaussichten für ein Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahrenist von der Durchführung eines solchen Verfahrens zu unterscheiden.Mit oben ausgeführtem gehört die Frage der Erfolgsaussichten noch zum Mandat <strong>des</strong>Prozessbevollmächtigten <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Verfahrens. Dabei geht es in beidenFällen darum, ob einer der Fälle <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 1. – 3. FGO mit Erfolg geltendgemacht werden könnte.Hat das FG sein Urteil mit einer Mehrfachbegründung versehen, so ist die Erfolgsaussichtdaraufhin zu überprüfen, ob jeder der Begründungswege für sich gesehen einender Fälle <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 1. – 3. FGO ausfüllt. 1322)Hierbei geht es um- rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO),- Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO),- Rechtsprechungsvereinheitlichung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO),- Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). 1323)In all diesen Fällen gilt es aber mit zu prüfen, ob sich am Ergebnis <strong>des</strong> finanzgerichtlichenUrteils für den Fall der Einlegung eines Rechtsmittels etwas ändern würde. Dabeiist der Mandant darüber aufzuklären, dass im Fachschrifttum der BFH als Rechtsschutzverweigerungsinstanzbezeichnet worden ist, 1324) der mit großem Fleiß immerneue – sich aus dem Gesetz nicht ergebende - Überlegungen anstellt, warum Nichtzulassungsbeschwerdennicht angenommen werden. 1325)Und es muß bezweifelt werden, dass sich daran durch die Neufassung der §§ 115, 116FGO etwas ändern wird. Dem Mandant muß in Anbetracht <strong>des</strong>sen verdeutlicht werden,dass jedenfalls ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, selbst wenn alle nachfolgendbeschriebenen Kriterien erfüllt werden, weiteren Zeitaufwand und Kostenauslösen, die statistische Erfolgswahrscheinlichkeit dagegen gering ist.Allerdings ist nicht außer Acht zu lassen, dass die Praxis <strong>des</strong> BFH, die gesetzlicheNovellierung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerderechts zu negieren und immer weitere imGesetz nicht enthaltene Hürden aufzubauen, auf Kritik stößt. 1326)1321)1322)1323)1324)1325)1326)BFH 09.12.2002 – VII B 102/02, BFH/NV 2003, 530, 532BFH 28.10.1999 - III B 83/98, BFH/NV 2000, 469Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 17Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 8 und 30Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 8 spricht u.H.a. Jahresbericht BFH 2000, 14 von 46,6% unzulässigen, 34,5 % unbegründeten und nur ca. 13 % begründeten Nichtzulassungsbeschwerden;ferner List DB 2002, 1069, 1073List DB 2003, 572


- 233 - 233823824825a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)Die grundsätzliche Bedeutung ist nicht erst dann gegeben, wenn es um eine notwendigeFortbildung <strong>des</strong> Rechts 1327) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH geht, denn diese Kriterien sind bereits für § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGOmaßgebend. 1328) Nach der Gesetzesbegründung 1329) soll damit die Regelung <strong>des</strong> § 74Abs. 2 Nr. 1 GWB übernommen werden. 1330)Weiter heißt es dort:„Damit beschränkt sich die Grundsatzrevision nicht auf Divergenzfälle und auf Fälle derRechtsfortbildung und –vereinheitlichung, sondern bezieht alle Tatbestände ein, in denen sichüber den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung <strong>des</strong>Revisionsgerichts besteht. Fehler bei der Auslegung reversiblen Rechts können über den Einzelfallhinaus auch dann ein allgemeines Interesse nachhaltig berühren, wenn sie zum Beispielvon erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.In diesen Fällen kann es geboten sein, der Rechtspraxis auch dann eine höchstrichterliche Orientierungshilfezu geben, wenn die engen Zulassungsgründe <strong>des</strong> bisherigen Rechts nicht vorliegen.“1331)Von einem allgemeinen Interesse an der zu korrigierenden Entscheidung ist allerdingsnicht schon dann die Rede, wenn eine große Zahl von Personen vom Ausgang <strong>des</strong>Verfahrens betroffen sind. Denn nach dem BFH 1332) kann dies ja auch der Fall sein,wenn der Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreites von einer bestimmten Vertragsauslegung abhängt.1333) Ein Fall grundsätzlicher Bedeutung setzt aber ein Rechtsfrage voraus, diezu klären im allgemeinen Interesse ist 1334) - nicht nur im Interesse für wenige Steuerpflichtigeist 1335) - und keine Würdigung von Tatsachen. 1336) Außerdem muß sich diegrundsätzliche Bedeutung auf eine Rechtsfrage <strong>des</strong> geltenden Rechts beziehen. 1337)Wenn ausnahmsweise eine Rechtsfrage ausgelaufenen Rechts eine grundsätzliche1327)1328)1329)1330)1331)1332)1333)1334)1335)1336)1337)Diese ist ein Unterfall der Grundsatzrevision: BFH 27.01.2003 – II B 194/01, BFH/NV 2003,792Beermann DStZ 2001, 155, 156; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 41; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, 2. Aufl. 2001, Rdn. 1116BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061 vom 11.09.2000BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837Darauf nimmt auch BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837 Bezug. siehe auchBeermann DStZ 2001, 155, 156BFH 23.12.2005 – VIII B 62/05, BFH/NV 2006, 975, 976BFH 25.02.2009 – IX ZR 76/07, BFH/NV 2009, 1268: Die Vertragsauslegung durch das FG mußden Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entsprechend und darf nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätzeverstoßen.BFH 23.12.2005 – VIII B 62/05, BFH/NV 2006, 975, 976 BFH 24.04.2009 – IV B 104/07,BFH/NV 2009, 1398, 1399BFH 26.06.2005 – I B 14/06, BFH/NV 2006, 2094BFH 07.03.2006 – X B 158/05, BFH/NV 2006, 1053, 1054BFH 20.10.2006 – V B 17/06, BFH/NV 2007, 282, 283 f.


- 234 - 234826827828Bedeutung begründen soll, müssen gesondert besondere Gründe dargelegt werden, dieeinen solchen Ausnahmefall einer grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen sollen. 1338)Und von einem schwerwiegenden und offensichtlichen Fehler ist dann die Rede, wenndie Entscheidung <strong>des</strong> FG objektiv willkürlich ist „oder doch jedenfalls so greifbargesetzwidrig, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterlicheKorrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wieder hergestellt werdenkann.“ 1339)Dies bedeutet:Obwohl die „grundsätzliche Bedeutung“ i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht im Lichteder bisherigen Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH auszulegen ist, 1340) sondern im Hinblick aufdie Neuregelung in Abgrenzung zu § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO und die zuvor zitiertenErwägungen <strong>des</strong> Gesetzgebers, 1341) nimmt der BFH dies nicht zur Kenntnis, sondernverfährt so, als ob sich nichts geändert habe. 1342) Sollte daher eine Nichtzulassungsbeschwerdeaus diesen Gründen zurückgewiesen werden, sollte der Prozessbevollmächtigtemit dem Betroffenen überlegen, ob nicht Verfassungsbeschwerde eingelegt werdensollte.Denn es muß schon im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG befremden, dass derGesetzgeber die Zulassungsgründe verbal verändert hat, um die vom BFH ursprünglichaufgestellten Zulassungshürden zu erleichtern, während der BFH daraufhin iudiziert,dies gehe ihn im Grunde nichts an, er könne so weiter verfahren wie bisher. 1343)1338)1339)1340)1341)1342)1343)BFH 17.03.2009 – X B 34/08, BFH/NV 2009, 1141 f.BFH 21.03.2003 – VII B 197/02, BFH/NV 2003, 1103, 1104Beermann DStZ 2001, 155, 156Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 41; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rdn. 1116. Zweifelnd BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837, 839BFH 14..08.2001 – XI B 57/01, n.V.; BFH 17.10.2001 – III B 65/01, BFH/NV 2002, 217; BFH04.12.2001 – III B 90/01, BFH/NV 2002, 649, 650Beermann DStZ 2001, 155 verweist auf die gesetzgeberischen Erwägungen zur Grundsatzrevisionin BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061, Seite 6 und führt aus: „Damit soll „insoweit der berechtigten Kritik anden zu engen Revisionszulassungsgründen <strong>des</strong> geltenden Rechts“ Rechnung getragen werden, denen„für die unvertretbar hohe Zahl unzulässiger Rechtsbehelfe“ beim BFH maßgebende Bedeutungbeigemessen worden ist. Zugleich soll damit „der Rechtsschutz in Steuer- und Abgabenangelegenheitenverbessert“ werden.“Nach BFH 17.10.2001 – III B 65/01, BFH/NV 2002, 217 muß der Zulassungsgrund nach wie vorwie folgt beschrieben werden: „Die Darlegung <strong>des</strong> Zulassungsgrun<strong>des</strong> der grundsätzlichen Bedeutungverlangt demnach eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichendbestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist.Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einerzweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Februar1999 III B 91/98, BFH/NV 1999, 1122, m.w.N.; vom 26. April 2000 III B 47/99, BFH/NV 2000,1451, unter Ziff. 3. der Gründe, m.w.N.; vom 5. Juli 1999 VIII B 7/99, BFH/NV 1999, 1622).Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH, den Äußerungenim Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen.Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eineerneute Entscheidung <strong>des</strong> BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärungder Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtigeEinwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzthat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. August 2001 XI B 57/01, NV; vom 3. April 2000 VIII B


- 235 - 235829830831832Ungeachtet <strong>des</strong>sen muß die darzulegende zu entscheidende Frage (mithin) über denEinzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer Entscheidung durch das Revisionsgerichtzur Voraussetzung haben, 1344) einerlei ob das Verfahrensrecht oder das materielleRecht betreffend 1345) oder ob die Entscheidung <strong>des</strong> Streitfalles auf einer verfassungsrechtlichzweifelhaften Norm beruht. 1346) Und dazu ist in der Beschwerdebegründungeine Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Schrifttum erforderlich.1347) Soweit allerdings im Falle einer als verfassungswidrig bezeichneten Norm,um für den Fall der Zulassung der Revision eine Vorlage <strong>des</strong> BFH an das BVerfG(Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG) zu erreichen, ist es nicht nachvollziehbar, wenn der X.Senat <strong>des</strong> BFH es nicht als ausreichend ansieht, daß die Verfassungswidrigkeit derNorm begründet wird, sondern zusätzlich fordert, daß der Gesetzgeber seine Gestaltungsfreiheitin willkürlicher Weise verletzt habe. 1348)Die grundsätzliche Bedeutung ist unabhängig von dem finanziellen bzw. wirtschaftlichenInteresse <strong>des</strong> einzelnen Beteiligten. 1349) Dies kann schon dann der Fall sein, wennzwischen der Finanzverwaltung und dem Fachschrifttum zu einer entscheidungserheblichenFrage Auffassungsunterschiede bestehen. 1350)Auch bezüglich ausgelaufenem oder auslaufendem Recht kann eine Rechtsfrage vongrundsätzlicher Bedeutung sein, wenn von einer solchen Rechtsfrage weitere gleichartigeFälle anhängig sind oder die umstrittene Rechtsfrage für eine Nachfolgeregelungvon Bedeutung sein kann. 1351) Folglich erfordert dies in solchen Fällen für denProzeßbevollmächtigten einiges an Recherchearbeit.Es reicht aber nicht, diese Unterschiede aufzuzeigen, vielmehr fordert der BFH 1352)folgen<strong>des</strong>:1344)1345)1346)1347)1348)1349)1350)1351)1352)99/99, BFH/NV 2000, 985; vom 16. Mai 1995 III B 119/94, BFH/NV 1996, 9). Ähnlich BFH17.04.2002 – III B 164/01, BFH/NV 2002, 1028Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheiteinzugehen (BFH-Beschluss vom 23. Februar 2001 III B 99/00, BFH/NV 2001, 1033; Lange,a.a.O., § 115 FGO Rz. 78, 92, m.w.N.).“BFH 20.02.2002 – X B 157/01, BFH/NV 2002, 803; BFH 28.02.2002 – III B 155/01, BFH/NV2002, 804; BFH 07.08.2002 – I B 151/01, BFH/NV 2003, 60 f.; BFH 12.10.2005 – XI B 203/04,BFH/NV 2006, 239; Beermann DStZ 2001, 155; ders. DStZ 2001, 312; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1116BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837, 839; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115FGO Rdn. 45BFH 18.11.2005 – III B 87/05, BFH/NV 2006, 1101, 1102BFH 14.12.2005 – XI B 24/05, BFH/NV 2006, 1102 f.; BFH 12.01.2006 – II B 59/05, BFH/NV2006, 920; BFH 12.01.2006 – II B 66/05, BFH/NV 2006, 947; BFH 13.01.2006 – II B 55/05,BFH/NV 2006, 978; BFH 16.02.2006 – X B 126/05, BFH/NV 2006, 1125; BFH 18.04.2006 – IXB 204/05, BFH/NV 2006, 1290BFH 26.11.2008 – X B 187/08, BFH/NV 2009, 411; BFH 13.10.2009 – X B 77/09, BFH/NV2010, 656 f. – a.A. BFH 20.09.2012 III B 63/12, BFH/NV 2013, 67 Rdn. 7, wonach die Verfassungswidrigkeitzu begründen ist.Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 46Beermann DStZ 2001, 312; Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn.819; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1116BFH 18.09.2002 – IV B 110/00, BFH/NV 2003, 186BFH 25.06.2001 - III B 27/01, BFH/NV 2001, 1562


- 236 - 236833834835„Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der angesprochenen Rechtsfrage reichtnicht die bloße Behauptung aus, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung. Vielmehrmuss die Beschwerde, ausgehend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, konkret auf dieRechtsfrage eingehen, ihre über den Streitfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheitdartun und ferner ausführen, warum die Frage zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechungoder für eine Fortentwicklung <strong>des</strong> Rechts höchstrichterlicher Klärung bedürfe.Sofern zu diesem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhandensind, genügt nicht allein der Hinweis darauf, sondern es ist eine grundlegende Auseinandersetzungdamit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>finanzhofs(BFH) die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf.einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (vgl. BFH-Beschluss vom 8. November 1999 IIIB 53/99, BFH/NV 2000, 485, m.w.N.).Die Beschwerde muss dazu substantiiert aufzeigen, dass die Rechtsprechung die Rechtsfragenoch nicht abschließend geklärt hat, weil von den FG und/oder in der Literatur gewichtigeEinwendungen gegen diese Rechtsprechung erhoben worden sind, mit denen sich der BFHnoch nicht auseinander gesetzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 1997 VIII B 68/96,BFH/NV 1998, 29, unter 1. a der Gründe, m.w.N.). Insbesondere reicht der um Quellenzitateflankierte allgemeine Hinweis, die BFH-Rechtsprechung sei auf Kritik gestoßen, allein keinesfallsaus (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1988 VIII B 71/88, BFHE 155, 44, BStBl II1989, 566; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 116FGO Tz. 43).“ 1353)Noch weitergehend fordert der BFH, die maßgebliche Rechtsfrage müsse dasabstrakte Interesse der Gesamtheit an einer einheitlichen Entwicklung <strong>des</strong> Rechtsberühren; „es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame undauch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln.“ 1354)Auch gravierende Fehler eines finanzgerichtlichen Urteils bei der Auslegung reversiblenRechts können nunmehr einen Revisionsgrund darstellen, wenn sie von erheblichemGewicht sind und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.1355)Damit wird § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in gewisser Weise auch individualrechtschützenderCharakter beigemessen. 1356)1353)1354)1355)1356)Ähnlich BFH 05.02.2002 – VIII B 48/01, BFH/NV 2002, 792; BFH 20.02.2002 – X B 157/01,BFH/NV 2002, 803; BFH 21.11.2002 – VII B 58/02, BFH/NV 2003, 485, 488; BFH 18.12.2002 –VII B 110/02, BFH/NV 2003, 659; BFH 15.10.2003 – III B 114/02, BFH/NV 2004, 223BFH 29.07.2002 – XI B 219/01, BFH/NV 2002, 1490; BFH 07.08.2002 – I B 151/01, BFH/NV2003, 60 f.; BFH 29.04.2003 – X B 62/02, BFH/NV 2003, 1087; ähnlich BFH 12.12.2002 – X B99/02, BFH/NV 2003, 496; BFH 12.10.2005 – XI B 203/04, BFH/NV 2006, 239Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1117; Spindler DB 2001, 61; RüskenDStZ 2000, 815Beermann DStZ 2000, 773, 775; Beermann DStZ 2001, 155, 156; Seer in: Tipke/Kruse, AO, §115 FGO Rdn. 41; Suhrbier-Hahn DStR 2001, 467, 472; a.A. Sauer/Schwarz, Wie führe ich einenFinanzgerichtsprozess? Rdn. 817, wonach nur die Interessen der Allgemeinheit berührt sein müssen.Lange DB 2001, 2312, 2315 ordnet schwerwiegende, offensichtliche Fehler eines FG dem § 115Abs. 2 Alt. 2 FGO zu und beschreibt als darzulegen:- schwerwiegende Fehler <strong>des</strong> FG,- deren Offensichtlichkeit,- die Korrekturmöglichkeit im Revisionsverfahren,- die Erforderlichkeit einer Korrektur durch den BFH.


- 237 - 237836837838839840Aber auch hier zeichnet sich ab, dass die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH trotz Novellierung<strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsrechts, womit ja seitens <strong>des</strong> Gesetzgeberseine Zugangserleichterung zum Revisionsverfahren angestrebt wurde, erneutdamit beginnt, sich aus dem Gesetz nicht ergebende Verfahrenshürden aufzustellen.So stellt der BFH 1357) darauf ab, ob das Kriterium <strong>des</strong> Fehlers „von erheblichem Gewicht...“ nur oder erst dann gegeben sei, wenn Fehler vorlägen, die nach der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG als willkürlich zu bezeichnen wäre. Und unter Hinweis aufeine Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG 1358) wird dann ein Fehler von erheblichem Gewichtverneint. Ob unterhalb der Willkürrechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG es ebenfalls Fehler vonerheblichem Gewicht geben kann, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechungzu beschädigen, wird schlicht ausgeblendet und statt <strong>des</strong>sen die vorinstanzlicheEntscheidung für vertretbar bezeichnet, weil sie die Meßlatte der Willkürrechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG nicht erreiche, 1359) was eine höchst subjektive Meßlatte ist.Und der XI. Senat <strong>des</strong> BFH relativiert diesen Revisionszulassungsgrund für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren,indem er iudiziert, dass eine „schlichte Fehlerhaftigkeit“nicht ausreiche.Damit hat es der BFH in der Hand, nach eigenem Gusto die Nichtzulassungsbeschwerdezurückzuweisen, indem er einerseits ausführt, der gerügte Fehler sei zu„schlicht“ oder andererseits iudiziert, er sei nicht willkürlich genug. Der BFH scheintfolglich nach wie vor zu meinen, das Gesetz binde ihn bei den Nichtzulassungsbeschwerdegründennicht, er könne darüber nach freiem Belieben mit verbalen Allgemeinplätzenentscheiden. Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG dem irgendwann einmaleinen Riegel vorschiebt und den BFH nachhaltig an Art. 19 Abs. 4 GG erinnert,so wie der Große Senat <strong>des</strong> BFH in seiner Entscheidung vom 03.09.2001 1360) die einfachenSenate schon einmal daran erinnern mußte.Sollten sich andere Senate <strong>des</strong> BFH dem anschließen und dieserhalb in Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrendie Hürden erneut anheben, obwohl der Gesetzgeber dieHürden niedriger hängen wollte, so wird durch den Prozessbevollmächtigten mit demKläger bei einer darauf sich beziehenden Ablehnung einer Nichtzulassungbeschwerdezu überlegen sein, ob man nicht im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG 1361) dagegen dannVerfassungsbeschwerde einlegt.1357)1358)1359)1360)1361)BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837, 841; BFH 10.10.2002 – I B 147/01,BFH/NV 2003, 197BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837, 841 u.H.a. BVerfG 26.05.1993 – 1 BvR208/93, BVerfGE 89, 1, 14BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2002, 837, 841BFH 03.09.2001 . GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122BVerfG 10. 8. 1999 - 2 BvR 184/99, NJW 2000, 649; BFH 09.06.1986 - IX B 90/85, BStBl II1986, 679


- 238 - 238841842843Ferner soll ein Fall grundsätzlicher Bedeutung gegeben sein, wenn zu einer klärungsbedürftigenRechtsfrage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangenist 1362) oder die Möglichkeit besteht, dass es sich um einen Musterprozess handelnkönnte. 1363) Handelt es sich dagegen um einen Musterprozess, so ist § 115 Abs. 2 Nr. 21. Alt. FGO einschlägig. 1364)Ist seitens <strong>des</strong> FG weder eine angeregte richtlinienkonforme Auslegung vorgenommenworden noch ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH (Art. 267 AEUV) eingeleitetworden, so kann eine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGOauch darauf gestützt werden. 1365)Wird eine Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes gerügt und bestehen erheblicheverfassungsrechtliche Zweifel, so kann auch darauf die grundsätzliche Bedeutung <strong>des</strong>§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützt werden. 1366) Daraus folgt, dass die einfache Grundrechtsverletzung,die von einem finanzgerichtlichen Urteil ausgehen kann, die Voraussetzungen<strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in aller Regel nicht erfüllen wird, es sei denn,man kann z. B. darlegen, dass eine zu einem Grundrechtsverstoß führende gesetzlicheRegelung ihre Ursache darin hat, dass der Gesetzgeber den ihm zustehenden weitenGestaltungsspielraum nicht eingehalten hat. 1367) Insoweit empfiehlt es sich jedoch, zunächsteinmal aufzuzeigen, wie nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG der Gestaltungsspielraum<strong>des</strong> Steuergesetzgebers eingegrenzt ist, 1368) ob der Steuergesetzgebersich noch innerhalb dieser Grenzen gehalten hat und ob er die vorgetragene Grundrechtsverletzungmit erwogen hat. 1369) Bevor man alsdann die Frage der Verfassungswidrigkeitder Norm – gemessen an den Vorgaben <strong>des</strong> GG sowie der dazu ergangenenRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 1370) - wegen Grundrechtsverletzung thematisiert, bedarfes zunächst der Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit nicht eine verfassungskonformeAuslegung weiter hilft.1362)1363)1364)1365)1366)1367)1368)1369)1370)BFH 05.09.2002 – XI B 111/99, BFH/NV 2003, 184, wobei allerdings auch dann eine Auseinandersetzungmit dem wichtigsten Schrifttum und der Rechtsprechung der FG erforderlich ist;Beermann DStZ 2000, 773, 775; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 58. Nach BFH08.12.2006 – VII B 240/05, BFH/NV 2007, 922, 923 ist eine grundsätzliche Bedeutung bei einerbis dahin vom BFH nicht entschiedenen Rechtsfrage nur dann gegeben, wenn sich aus den Ausführungenergibt, in welchem Umfang und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfragezweifelhaft und umstritten ist.Beermann DStZ 2001, 155, 156; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 58Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 65BFH 24.09.1996 - VII B 101/96, BFH/NV 1997, 272; BFH 14.03.2000 - XI B 135/98, BFH/NV2000, 883; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 63BFH 20.03.2006 – II B 147/05, BFH/NV 2006, 1320 f.; BFH 11.01.2013 – I B 96/12, BFH/NV2013, 1236; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 61 f.BFH 30.10.2002 – IX B 129/02, BFH/NV 2003, 328BFH 08.02.2013 – VIII B 122/12, BFH/NV 2013, 952BFH 17.11.2009 – VI B 73/09, BFH/NV 2010, 452BFH 11.01.2013 – I B 96/12, BFH/NV 2013, 1236; BFH 08.02.2013 – VIII B 122/12, BFH/NV2013, 952


- 239 - 239844845846847Neben dem Aufzeigen der grundsätzlichen Bedeutung ist weitere Voraussetzung dieKlärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. 1371) Eine Klärungsbedürftigkeitim Allgemeininteresse ist gegeben, wenn zumin<strong>des</strong>t noch Streitfälle in größererZahl rechtshängig sind. 1372) Dies kann auch bei einer bereits entschiedenen Rechtsfragegegeben sein, wenn neue und gewichtige Bedenken gegen die bisherige Rechtsprechungvorgetragen werden können, die der BFH bisher nicht erwogen hat. 1373)Schließlich ist Voraussetzung, dass die klärungsbedüftige Rechtsfragen von grundsätzlicherBedeutung auch im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist. 1374)Dies ist z.B. dann nicht der Fall, wenn der Beschwerdeführer aus anderen als den vorgetragenenGründen daran gehindert ist, sich auf die klärungsbedürftige Frage zu berufen.Die Voraussetzungen <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerdegrun<strong>des</strong> <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 1FGO müssen nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH zum Zeitpunkt der Nichtzulassungsbeschwerdeentscheidungdurch den BFH gegeben sein, nicht zum Zeitpunkt der Einlegungder Nichtzulassungsbeschwerde. 1375) Dies begründet für den Beschwerdeführerein nicht zu unterschätzen<strong>des</strong> Unsicherheitsmoment. Darauf einstellen kann er sich,indem sein Prozessbevollmächtigter vorher abklärt, ob es zu diesem Nichtzulassungsbeschwerdegrundbereits beim BFH anhängige Verfahren gibt.Die Prüfung der Erfolgsaussicht eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens betreffenddie Frage grundsätzlicher Bedeutung könnte nach folgendem Raster vorgenommenwerden:I. Grundsätzliche Bedeutung1. Allgemeines Interesse an korrigierender Entscheidung und/oder2. gravierende Fehler im Urteil <strong>des</strong> FG, die geeignet sind das Vertrauen inRechtsprechung zu beschädigen und/oder3. fehlende höchstrichterliche Rechtsprechung und/oder4. Musterprozess und/oder5. gebotene Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG und/oder6. Gründe, warum die entscheidungserhebliche Rechtsfrage in Rechtsprechungund Litaratur umstritten ist7. gebotene richtlinienkonforme Auslegung bzw. Vorlage (Art. 234 Abs. 3 EG)8. Formulierung einer konkreten Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung1371)1372)1373)1374)1375)BFH 19.11.2002 – VII B 123/02, BFH/NV 2003, 294; 1371 ) BFH 08.01.2003 – X B 23/02,BFH/NV 2003, 504; BFH 27.01.2003 – II B 194/01, BFH/NV 2003, 792BFH 19.11.2003 – I B 96/03, BFH/NV 2004, 644BFH 19.11.2002 – VII B 123/02, BFH/NV 2003, 294BFH 06.12.2005 – XI B 118/04, BFH/NV 2006, 930, 931BFH 25.06.2008 – X B 210/05, BFH/NV 2008, 1649, 1651


- 240 - 240II. Klärungsbedürftigkeit 1376)III. Klärungsfähigkeit 1377)IV. Entscheidungserheblichkeit848849b) Fortbildung <strong>des</strong> Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO)Bei § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO handelt es sich um eine lex specialis zu § 115 Abs.2 Nr. 1 FGO. 1378) Von Rechtsfortbildung spricht man, wenn die entscheidungserheblicheRechtsfrage höchstrichterlich bisher nicht entschieden wurde 1379) und <strong>des</strong>halb eineEntscheidung <strong>des</strong> BFH erfordert. Dies kann der Fall sein, wenn ein Einzelfall Veranlassunggibt, eine ungeklärte Rechtsfrage <strong>des</strong>halb zu entscheiden, um Hinweise für dieGesetzesauslegung in Fragen <strong>des</strong> materiellen Rechts oder <strong>des</strong> Verfahrensrechts zugeben oder Gesetzeslücken rechtsschöperisch auszufüllen. 1380) Es geht folglich darum,über den Einzelfall hinaus das „ob“ und ggf. „wie“ der Rechtsfortbildung zu klären.1381) Folglich ist vergleichbar wie zur grundsätzlichen Bedeutung 1382) auch darzulegen.warum aufgrund der bisherigen Rechtsprechung und der vorhandenen Gesetzedie entscheidungserhebliche Rechtsfrage nicht beantwortet werden kann. 1383) Es mußfolglich der Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreites von der Rechtsfortbildung <strong>des</strong>halb abhängigsein, weil das Gesetz für den zu entscheidenden Fall eine Regelungslücke aufweist.1384) Dazu kann gehören, eine planwidrige Gesetzeslücke zu schließen. 1385)Der BFH 1386)beschreibt dies wie folgt:„a) Eine Entscheidung <strong>des</strong> BFH zur Fortbildung <strong>des</strong> Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich,in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise,wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen<strong>des</strong> materiellen oder <strong>des</strong> Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferischauszufüllen (vgl. Lange, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2001, 1098,1376)1377)1378)1379)1380)1381)1382)1383)1384)1385)1386)BFH 08.01.2003 – X B 23/02, BFH/NV 2003, 504BFH 08.01.2003 – X B 23/02, BFH/NV 2003, 504; BFH 05.06.2003 – X B 115/02, BFH/NV2003, 1340 (Keine Klärungsfähigkeit, wenn Klage als unzulässig abgewiesen wurde)Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 67BFH 11.06.2007 – XI B 92/06, BFH/NV 2007, 1625 f.; Beermann DStZ 2000, 773, 776; Seer in:Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 66; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rn.1118.BFH 15.07.2005 – I B 252/04, BFH/NV 2006, 67; BFH 11.06.2007 – XI B 92/06, BFH/NV 2007,1625, 1626BFH 11.06.2007 – XI B 92/06, BFH/NV 2007, 1625, 1626BFH 15.07.2005 – I B 252/04, BFH/NV 2006, 67BFH 23.09.2003 – I B 42/03, BFH/NV 2004, 209Beermann DStZ 2001, 155, 157Beermann DStZ 2000, 773, 776; ders. DStZ 2001, 155; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rn. 1119.BFH 17.10.2001 – III B 65/01, BFH/NV 2002, 217, 218


- 241 - 241850851852m.w.N.; Beermann, DStZ 2001, 312; Beschluss <strong>des</strong> BFH vom 14. August 2001 XI B 57/01,NV).Erforderlich ist eine Entscheidung <strong>des</strong> BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über denEinzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "ob" und ggf."wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999,1122, m.w.N. zu den entsprechenden Merkmalen in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F.; Lange inHübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 115 FGO Rz. 154). Es gelten insoweit die zur Darlegungder grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. höchstrichterlichentwickelten strengen Darlegungsanforderungen unverändert fort (vgl. Seer, a.a.O., § 116FGO Tz. 49; Beermann, DStZ 2001, 312, 317; derselbe, Steuerliches Verfahrensrecht, § 116FGO Rz. 71 und 72; ferner Dürr in Schwarz, a.a.O., § 115 Rz. 28, 37).“Aber die Schließung der Regelungslücke darf nicht dazu führen, unabhängig von eineraus der Gesetzessystematik ableitbaren Entscheidung sie nur auf rechtspolitische Erwägungenoder das allgemeine Rechtsstaatsprinzip zu stützen. 1387)Handelt es sich um einen Musterprozess, wäre dieser hierunter zu subsumieren, wennzur Klärung einer ungeklärten Rechtsfrage eine Entscheidung <strong>des</strong> BFH erforderlichist. 1388) Es ist folglich insoweit zu prüfen, aus welchen Gründen eine Rechtsfortbildungnicht nur für den Einzelfall, sondern darüber hinaus Auswirkungen haben kann. 1389)Die Prüfung der Erfolgsaussicht eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens betreffenddie Frage Rechtsfortbildung könnte nach folgendem Raster vorgenommen werden:1390)I. Rechtsfortbildung1. Planwidrige Gesetzeslücke2. Ungeklärte Rechtsfragea) Gesetzeslageb) Bisherige Rechtsprechungc) Meinung der Finanzverwaltungd) Fachschrifttume) Regelungsbedarf3. Allgemeines Interesse – Musterprozess? 1391)4. Durch einfachen Senat oder Großen Senat <strong>des</strong> BFH?II. KlärungsbedürftigkeitIII. KlärungsfähigkeitIV. Entscheidungserheblichkeit1387)1388)1389)1390)1391)Beermann DStZ 2001, 155, 158Beermann DStZ 2000, 773, 776; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 65 f.Beermann DStZ 2001, 155, 158BFH 14.10.2003 – X B 90/03, BFH/NV 2004, 220, 221BFH 06.10.2003 – VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215


- 242 - 242853854c) Vereinheitlichung der Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO)Bevor man als Prozeßbevollmächtigter sich mit der Prüfung der Frage befaßt, ob eineNichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) gestütztwerden könnte, wäre zunächst zu prüfen, ob dem FG nicht ein Verfahrensfehler unterlaufenist, der den Zulassungsgrund <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ausfüllen könnte.Denn wäre dies der Fall, ginge eine solche Rüge im Nichtzulassungsbeschwerde vorund der BFH könnte das angefochtene Urteil aufheben und zur anderweitigen Verhandlungund Entscheidung an das FG zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). 1392) DerBFH kann sogar dann gem. § 116 Abs. 6 FGO wegen Verfahrensfehlers das Urteil <strong>des</strong>FG aufheben und zurückverweisen, wenn außer der Rüge <strong>des</strong> Verfahrensfehlers nochein weiterer Revisionszulassungsgrund gegeben ist und zu erwarten wäre, dass auchnach einer Revisionszulassung zurückzuverweisen wäre. 1393) Dies bedeutet nicht, daßman nicht vorsorglich sich in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung auch aufden Zulassungsgrund <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO berufen sollte, wenn <strong>des</strong>senVoraussetzungen vorliegen, sondern soll nur veranschaulichen, daß zwischen § 115Abs. 2 Nr. 3 FGO und § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO ein Prioritätenverhältnis vorliegt.Hier ist von der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, nicht nur von einereinheitlichen Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit 1394) die Rede. Also fallen hierunteralle Gerichte, nicht nur Finanzgerichte. 1395) Daher wird man hier auch unterbringenmüssen, wenn ein finanzgerichtliches Urteil bei vergleichbarem Sachverhaltin einer entscheidungserhebelichen Rechtsfrage von einer Entscheidung <strong>des</strong>EuGH, 1396) BVerfG, BFH, einem anderen Senat eines Obersten Bun<strong>des</strong>gerichtes oderdem Großen Senat <strong>des</strong> BFH bzw. dem Gemeinsamen Senat der Obersten Bun<strong>des</strong>gerichteabweicht. 1397)1392)1393)1394)1395)1396)1397)BFH 03.02.2005 – VII B 304/03, BFH/NV 2005, 1111, 1112BFH 27.03.2007 – I B 94/06, BFH/NV 2007, 1669, 1670Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung der Finanzgerichte: BFH 30.09.2003 – XI B153/02, BFH/NV 2004, 213 f.BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, BStBl. II 2002, 837, 840; BFH 28.01.2002 – VII B 41/01,BFH/NV 2002, 932; Beermann DStZ 2001, 155, 158; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn.71; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1120BFH 29.05.2002 – VII B 08/02, BFH/NV 2002, 1323BFH 16.04.2002 – X B 140/01, BFH/NV 2002, 1046; BFH 01.10.2002 – IV B 91/01, BFH/NV2003, 304; BFH 12.01.2006 – XI B 43/05, BFH/NV 2006, 1043; BFH 12.01.2006 – XI B 44/05,BFH/NV 2006, 1107, 1108; BFH 12.10.2006 – VI B 154/05, BFH/NV 2007, 51; Gräber/Ruban,FGO, § 115 Rdn. 49; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 68, 71; a.A. Sauer/Schwarz,Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 819, die dies bei § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO unterbringenwollen.BFH 28.02.2002 – V B 63/01, BFH/NV 2002, 806: Keine Revisionszulassung zur Sicherungeiner einheitlichen Rechtsprechung jedoch, wenn das Urteil <strong>des</strong> FG auf einer revisionsrechtlichnicht angreifbaren Einzelfallwürdigung beruht.


- 243 - 243855856857858Die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung kann auch dann erforderlichsein, wenn erst nach dem Ergehen <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FG ein abweichen<strong>des</strong> Urteil <strong>des</strong>BFH ergangen oder bekanntgeworden ist (nachträgliche Divergenz). 1398) Die Abweichungist an Hand konkreter Beispiele darzulegen. 1399)Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kommt auch dann in Betracht,wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung<strong>des</strong> BFH erfolgen kann. Für diesen Fall muß schlüssig vorgetragen werden, dass undwarum künftig unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen zu befürchten sind unddass und warum es erforderlich ist, sie zu verhindern. 1400)Eine Divergenz wird vom BFH jedoch nicht angenommen, wenn unterschiedliche tatsächlicheBeurteilungen <strong>des</strong> nämlichen Sachverhaltes in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFHdadurch bedingt sind, daß unterschiedliche Senate <strong>des</strong> BFH zu unterschiedlichenSteuerarten unterschiedlich iudizieren. 1401)Zur schlüssigen Darlegung der Abweichung wird ferner weiterhin gefordert, dass eindas Urteil <strong>des</strong> FG tragender abstrakter Rechtssatz herausgearbeitet wird, dem eintragender abweichender abstrakter Rechtssatz der Divergenzentscheidung unter Angabevon Datum und Aktenzeichen 1402) gegenübergestellt wird, 1403) auf dem die Divergenzentscheidungberuht. 1404) Die abstrakten Rechtssätze müssen dieselbe Rechtsfragezum Gegenstand haben 1405) und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangensein. 1406) Hat jedoch das FG einen vom BFH aufgestellten abstrakten Rechtssatzlediglich falsch angewandt, so handelt es sich um einen für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren„unbeachtlichen Subsumtionsfehler.“ 1407) Davon zu unterscheidenist jedoch der Fall, daß dem Urteil <strong>des</strong> FG nicht mit hinreichender Deutlichkeit zuentnehmen ist, auf welche Rechtssätze es seine Entscheidung stützt. Dann nämlich ist1398)1399)1400)1401)1402)1403)1404)1405)1406)1407)BFH 31.10.2002 – IV B 126/01, BFH/NV 2003, 291; BFH 17.01.2006 – VII B 326/04, BFH/NV2006, 1108BFH 07.01.2002 – III B 61/01, BFH/NV 2002, 666BFH 11.02.2003 – VII B 244/02, BFH/NV 2003, 833, 834; BFH 17.03.2001 – VII B 269/02,BFH/NV 2003, 825, 826BFH 07.11.2003 – XI B 199/01, BFH/NV 2004, 508BFH 16.02.2006 – X B 126/05, BFH/NV 2006, 1125, 1126BFH 01.10.2002 – IV B 91/01, BFH/NV 2003, 304; BFH 18.12.2002 – VII B 110/02, BFH/NV2003, 659; BFH 19.12.2002 – IX B 79/02, BFH/NV 2003, 501; BFH 20.12.2002 – VII B 66/02,BFH/NV 2003, 592; BFH 20.01.2003 – III B 63/02, BFH/NV 2003, 644; BFH 12.02.2003 – X B122/02, BFH/NV 2003, 803; BFH 06.10.2003 – VII B 67/03, BFH/NV 2004, 214, 215; BFH22.02.2005 – X B 164/04, BFH/NV 2005, 1126; BFH 12.10.2005 – XI B 204/04, BFH/NV 2006,327, 328; BFH 18.06.2008 – V B 173/07, BFH/NV 2008, 1690BFH 20.10.2005 – I B 49/05, BFH/NV 2006, 337BFH 30.01.2006 – X B 116/05, BFH/NV 2006, 969; BFH 25.06.2008 – X B 210/05, BFH/NV2008, 1649; BFH 22.07.2008 – II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846, 1847BFH 27.06.2011 – III B 91/10, BFH/NV 2011, 1664 Rdn. 13; BFH 13.07.2011 – X B 117/10,BFH/NV 2011, 2075; BFH 20.07.2011 – IV B 19/10, BFH/NV 2011, 2077; BFH 13.02.2012 – IIB 12/12, BFH/NV 2012, 772 Rdn. 3BFH 13.12.1002 – XI B 145/99, BFH/NV 2003, 497


- 244 - 244859860861862863lt. BFH zur Wahrung der Rechtseinheit eine klarstellende Entscheidung <strong>des</strong> BFH erforderlich.1408)Voraussetzung ist ferner, dass der Abweichung zu einer Rechtsfrage ein im wesentlichengleichgelagerter Sachverhalt zugrunde liegt. 1409) Hierbei handelt es sich nichtum die bisherige Divergenzrevision, sondern geht über diese hinaus. 1410)Denn auch die Abweichung von einer Entscheidung eines anderen FG unterfällt § 115Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO. 1411) Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Abweichungzu einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung führt. 1412) Der Prozessbevollmächtigteist daher gut beraten, eine JURIS-Recherche durchzuführen, um festzustellen,ob und inwieweit Divergenzrechtsprechung vorhanden ist.Man wird jedoch berücksichtigen müssen, dass auch hier inzwischen der BFH dazuübergeht, auch diesen Nichtzulassungsbeschwerdegrund einzuschränken, ohne dassdas Gesetz dazu eine Handhabe bietet. Auch hier wird man konstatieren müssen, dassder Gesetzgeber durch die Novellierung der FGO im Nichtzulassungsbeschwerde- undRevisionsrecht den Zugang zur Revisionsinstanz erleichtern wollte, während der BFHauch hier entgegen diesem Motiv <strong>des</strong> Gesetzgebers sowie dem Wortlaut <strong>des</strong> Gesetzesdie Rechtsschutzverweigerungsmauern erneut aufbaut:Von § 115 Abs. 1 Nr. 2 FGO sind auch solche Fälle umfaßt, die einen gravierendeFehler eines finanzgerichtlichen Urteils bei der Auslegung reversiblen Rechts zumGegenstand haben, wenn sie von erheblichem Gewicht sind und geeignet sind, dasVertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. 1413) Damit erhält zu Gunsten <strong>des</strong>Betroffenen die grundsätzliche Bedeutung in solchen Fällen eine gewisse Fehlerkontrolle.Bei § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO wird dagegen dieser Aspekt seitens <strong>des</strong>BFH 1414) zum Nachteil von Betroffenen eingesetzt, indem nur solche Fälle unrichtigerRechtsanwendung erfaßt werden, wenn zugleich Fehler von einigem Gewicht vorhandensind, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.1408)1409)1410)1411)1412)1413)1414)BFH 02.03.2004 – III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109BFH 28.08.2001 – X B 60/01, BFH/NV 2002, 347; BFH 27.03.2002 – VII B 190/01, BFH/NV2002, 1275; a. A. Beermann DStZ 2001, 155, 159 wonach es auf die Vergleichbarkeit der Rechtsfrageankommt. „So können Rechtsfragen auch in Fällen übereinstimmen, in denen sie sich ausNormen ergeben, die verschiedenen Gesetzen und Rechtsgebieten angehören.“BFH 28.01.2002 – VII B 41/01, BFH/NV 2002, 932; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn.68BFH 21.10.2001 – IX B 127/01, BFH/NV 2002, 343; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn.68. Anders noch zu § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. BFH 03.08.2001 – IV B 10/01, BFH/NV 2002,42Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1121; offen gelassen bei BFH17.10.2001 – III B 65/01, BFH/NV 2002, 217, 218 m.w.N.BFH 12.08.2003 – IV B 189/01, BFH/NV 2003, 1604, 1605; S.o. Rdn. 481. BFH 03.04.2007 – IB 105/06, BFH/NV 2007, 1629 f.. Nach Beermann DStR 2005, 450, 451 ging die Mehrheit <strong>des</strong>Rechtsausschusses <strong>des</strong> deutschen Bun<strong>des</strong>tages bei ihrer Zielvorstellung zu § 115 Abs. 2 Nr. 2FGO davon aus, dem BFH die Möglichkeit einzuräumen, bei offensichtlichen Fehlern auch dannanzunehmen, wenn es sich nur um einen Einzelfall handelt.BFH 14.02.2002 – VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798; so auch BFH 07.08.2002 – VII B 214/01,BFH/NV 2002, 1606, 1607


- 245 - 245864So iudiziert nunmehr der BFH, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung i.S.d. § 115Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO stehe nur dann in Frage, wenn„dem FG bei der Auslegung und Anwendung <strong>des</strong> Rechts Fehler unterlaufen sind, die von soerheblichem Gewicht sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert,geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, etwa weil Verfahrensgrundrechteverletzt worden sind oder das aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GGabzuleitende Recht eines Beteiligten auf eine willkürfreie gerichtliche Entscheidung durch dasUrteil <strong>des</strong> FG nicht befriedigt wird.“ 1415)Der BFH meint in dieser Entscheidung, es sei nicht seine Aufgabe, Entscheidungenvon FG´s auf ihre Rechtsrichtigkeit zu überprüfen 1416) und verkennt dabei, dass § 115Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherstellen soll. 1417)Mit vorgenanntem Zitat schränkt folglich der BFH den Zulassungs- bzw. Revisionsgrund<strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO entgegen seiner Intention und seinem Wortlautzu Lasten Betroffener ein und begründet dies mit gesetzgeberischen Erwägungenzur Novellierung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsrechts in der ZPO.Diese Art <strong>des</strong> Vorgehens hat mit Rechtsanwendung nichts mehr zu tun, sondern stelltverfahrensrechtliches Richterrecht contra legem dar. 1418) Es ist zu hoffen, dass dieseArt von BFH-Rechtsprechung einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugeführtwird. Denn dies verstößt nicht nur gegen das Gesetzesbindungsgebot <strong>des</strong> Art. 20 Abs.3 GG sondern baut Hürden auf, die Art. 19 Abs. 4 GG kaum ausfüllen dürften.1415)1416)1417)1418)BFH 14.02.2002 – VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798 Leitsatz 2.; so auch BFH 28.06.2002 – III B28/02, BFH/NV 2002, 1474, 1475; BFH 24.07.2002 – III B 54/02, BFH/NV 2002, 1488; BFH19.12.2002 – IX B 79/02, BFH/NV 2003, 501; BFH 20.01.2003 – III B 63/02, BFH/NV 2003,644; BFH 17.03.2003 – VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825, 826; BFH 11.09.2003 – IV B 35/02,BFH/NV 2004, 343, 344; BFH 27.02.2007 – III B 158/06, BFH/NV 2007, 1090, 1091; BFH30.03.2007 – XI B 177/06, BFH/NV 2007, 1340; BFH 18.05.2011 – XI B 57/10, BFH/NV 2011,1704 Rdn. 14 f.BFH 14.02.2002 – VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, 799 BFH 28.06.2002 – III B 28/02,BFH/NV 2002, 1474, 1475. Ähnlich BFH 15.03.2002 – V B 33/01, BFH/NV 2002, 1040, wonachdie Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht schon dann verletzt ist, weil das FGAuslegungsgrundsätze der BFH-Rechtsprechung nicht zutreffend angewandt hat.Zutreffend BFH 22.03.2002 – II B 27/01, BFH/NV 2002, 1043, wonach die Sicherung einereinheitlichen Rechtsprechung schon dann geboten ist, wenn das FG in einer Rechtsfrage von derRechtsprechung <strong>des</strong> BFH abweicht.Mit Hirsch ZRP 2004, 29 darf Richterrecht nur dazu führen, das Gesetz weiter zu denken, nichtaber es umzudenken.


- 246 - 246865866867In eine ähnliche Richtung wie die Rechtsprechung <strong>des</strong> VII. Senates <strong>des</strong> BFH 1419) weistauch die neuere Rechtsprechung <strong>des</strong> IV., 1420) V., 1421) IX., 1422) X. 1423) und XI. 1424) Senates<strong>des</strong> BFH. Auch diese stellen nicht die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in denVordergrund, sondern fordern bei § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO neben einem überden Einzelfall hinausgehenden Interesse einen vorinstanzlichen Fehler von solchemGewicht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen. Soweitin diesen Entscheidungen auf angebliche gesetzgeberische Erwägungen verwiesenwird, die man mit BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061, Seite 9 meint begründen zu können, so findetsich dort gänzlich anderes:Dort wird zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO folgen<strong>des</strong> ausgeführt: 1425)„Nummer 1 und Nummer 2 übernehmen die Regelung <strong>des</strong> § 74 Abs. 2 GWB, die die Zulassungder Rechtsbeschwerde in Kartellangelegenheiten regelt, als Revisionszulassungsgründe.Damit beschränkt sich die Grundsatzrevision nicht auf Divergenzfälle und auf Fälle derRechtsfortbildung und –vereinheitlichung, sondern bezieht alle Tatbestände ein, in denen überden Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung <strong>des</strong> Revisionsgerichtsbesteht. Fehler bei der Auslegung revisiblen Rechts können über den Einzelfallhinaus a u c h 1426) dann allgemeine Interessen nachhaltig berühren, wenn sie z.B. von erheblichemGewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. In diesenFällen kann es geboten sein, der Rechtspraxis a u c h 1427) dann eine höchstrichterlicheOrientierungshilfe zu geben, wenn die engen Zulassungsgründe <strong>des</strong> bisherigen Rechts nichtvorliegen.“Damit wird deutlich, dass diese Gesetzesbegründung das Gegenteil <strong>des</strong>sen zum Ausdruckbringt, was ihr die vorgenannte Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH unterschiebt. Die Gesetzesbegründung1428) möchte die Revisionszulassung bei § 115 Abs. 1 und 2 FGOerweitern, wenn unabhängig von den gesetzlich normierten Zulassungsgründen derFehler <strong>des</strong> FG von solchem erheblichen Gewicht ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechungbeschädigt werden kann. 1429) Vorgenannte Rechtsprechung <strong>des</strong> VII., IX.1419)1420)1421)1422)1423)1424)1425)1426)1427)1428)1429)BFH 14.02.2002 – VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798; BFH 07.08.2002 – VII B 214/01, BFH/NV2002, 1606, 1607BFH 30.08.2001 – IV B 79, 80/01, BStBl. II 2001, 837BFH 15.05.2002 – V B 74/01, BFH/NV 2002, 1279BFH 19.02.2002 – IX B 130/01, BFH/NV 2002, 802; BFH 11.12.2002 – IX B 124/02, BFH/NV2003, 495; BFH 19.12.2002 – IX B 79/02, BFH/NV 2003, 501; BFH 31.01.2003 – IX B 174/02,BFH/NV 2003, 649BFH 18.07.2001 – X B 46/01, BFH/NV 2001, 1596; BFH 12.12.2002 – X B 99/02, BFH/NV2003, 496; BFH 14.03.2006 – X B 172/05, BFH/NV 2006, 1318 f. . Anders in BFH 09.02.2011 –X B 67/10, BFH/NV 2011, Rdn. 9, wo ein schwerwiegender, zur Revisionszulassung führender,Rechtsfehler <strong>des</strong> FG als eigenständiger Revisionszulassungsgrund behandelt wird.BFH 14.08.2001 – XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51, 52BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061, Seite 9 vom 11.09.2000Sperrdruck durch den AutorSperrdruck durch den AutorBT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4061, allgemeine Begründung; BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4549, Seite 10Ruban DStR 2005, 2033, 2034


- 247 - 247868869870871und XI. Senat <strong>des</strong> BFH wollen dagegen besagte Zulassungsgründe einengen, indemsie kumulativ fordern, dass neben den gesetzlichen Zulassungsgründen zusätzlich auchnoch dargelegt werden müsse, dass Fehler <strong>des</strong> FG von solchem erheblichen Gewichtvorhanden seien, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigt werden könne.1430)Dem schien der III. Senat <strong>des</strong> BFH 1431) zunächst nicht zu folgen, wenn er die Alternativitätvon Divergenz einerseits und Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidungvon einigem Gewicht ansprach. Ob der III. Senat <strong>des</strong> BFH daran festhielt, ist unklar.Denn einerseits deutet seine Entscheidung vom 09.08.2002 darauf hin. 1432) Andererseitsstellt er nicht darauf ab, ob das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigt wird,sondern ob objektiv ein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichemGewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entecheidung vorliegt.Und greifbare Gesetzwidrigkeit nimmt er an, wenn- das Urteil an jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder- auf einer offensichtlich dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck widersprechendenGesetzesauslegung beruht. 1433)Dies führt für den Fall einer Nichtzulassungsbeschwerde im Hinblick auf § 115 Abs. 2Nr. 2 Alt. 2 FGO dazu, dass man sich folgen<strong>des</strong> vergegenwärtigen sollte.Kann man die von der Rechtsprechung <strong>des</strong> III., IV., V., VII., IX., X. und XI. Senat <strong>des</strong>BFH zusätzlich geforderten einschränkenden Voraussetzungen der Fehlerhaftigkeitder vorinstanzlichen Entscheidung von einem solchen Gewicht, dass das Vertrauen indie Rechtsprechung beschädigt wird, nicht darstellen, dann sollte man auf die zuvoraufgezeigte Divergenz der Rechtsprechung dieser Senate <strong>des</strong> BFH mit der BT-<strong>Dr</strong>ucks.hinweisen und zudem ausführen, dass diese Einschränkung sich weder aus dem Gesetzeswortlautnoch aus der gesetzgeberischen Intention ergibt. Damit wäre es aber dannnicht getan, vielmehr wäre dann zusätzlich verfassungsrechtlich aufzuarbeiten, welcheKonsequenz es haben würde, wenn der BFH bei dieser Einschränkung von Zulassungsgründenbliebe. Dies <strong>des</strong>halb, um dann, wenn der BFH ungeachtet <strong>des</strong>sen derNichtzulassungsbeschwerde im Hinblick auf seine einschränkende „Auslegung“ <strong>des</strong>§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO nicht stattgeben würde, man exakt dies zum Gegenstandeiner sich anschließenden Verfassungsbeschwerde machen könnte. Und dortmüßte man dann nicht befürchten, seitens <strong>des</strong> BVerfG dem Einwand ausgesetzt zusein, solche verfassungsrechtlichen Gründe nicht bereits dem BFH vorgetragen zuhaben, weshalb sich argumentativ der Rechtsweg nicht erschöpft habe.Die Prüfung der Erfolgsaussicht eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens betreffenddie Frage Vereinheitlichung der Rechtsprechung könnte nach folgendem Rastervorgenommen werden:1430)1431)1432)1433)Ähnlich Ruban DStR 2005, 2033, 2034BFH 28.02.2002 – III B 155/01, BFH/NV 2002, 804BFH 09.08.2002 – III B 34/02, BFH/NV 2002, 1616, 1617BFH 08.02.2006 – III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116, 1117; BFH 16.08.2011 – III B 155/10,BFH/NV 2012, 48 Rdn. 17


- 248 - 248I. Vereinheitlichung der Rechtsprechung1. Abstrakter Rechtssatz <strong>des</strong> FG2. Rechtsprechung und deren abstrakte Rechtssätze, wovon FG abweicht (Beispiele)3. Vergleichbarkeit <strong>des</strong> Sachverhaltes 1434)II. KlärungsbedürftigkeitIII. Klärungsfähigkeit 1435)IV. EntscheidungserheblichkeitV. Sicherheitshalber: Aufzeigen, warum Urteil <strong>des</strong> FG objektiv willkürlich ist und<strong>des</strong>halb geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen872873d) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)Hierbei geht es um die Beachtung gerichtsverfahrensrechtlicher Vorschriften, 1436) diefür die Entscheidung bedeutsam sind, sofern das Urteil <strong>des</strong> FG auf dem Verfahrensmangelberuht. Letzteres ist nicht der Fall, wenn aufgrund Urteils <strong>des</strong> FG der angegriffeneSteuerbescheid zu Gunsten <strong>des</strong> Steuerpflichtigen geändert wurde. 1437) Ansonstenist die Kausalitätsvermutung <strong>des</strong> § 119 Nr. 3 FGO auf der Grundlage der Rechtsauffassung<strong>des</strong> FG zu beurteilen. 1438) Dies führt dazu, bei fehlerhafter oder unzureichenderTatsachenfeststellung <strong>des</strong> FG, wozu auch die im Tatbestand unterlassene Wiedergabevon Angriffs- und Verteidigungsmittel <strong>des</strong> Steuerpflichtigen gehören, fristgerechteinen mit Begründung versehenen Tatbestandberichtigungsantrag zum FG zustellen, um dann, wenn das FG diesen zurückweist, ggf. darauf eine Versagung rechtlichenGehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG) stützen zu können.Fehler, die dem Finanzamt im Besteuerungsverfahren unterlaufen, sind keine Verfahrensmängeli.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. 1439) Auch die fehlerhafte Anwendung<strong>des</strong> Rechts durch das FG stellt keinen Verfahrensmangel dar. 1440) Verstößt ein FGgegen eine zutreffende Sachverhaltswürdigung sowie diesbezügliche Schlussfolgerungen,so wird darin kein Verfahrensfehler gesehen, 1441) es sei denn, es ist in diesemZusammenhang zu Verstößen gegen die Verfahrensordnung oder gegen Denkgesetze1434)1435)1436)1437)1438)1439)1440)1441)BFH 21.03.2003 – VIII B 293/02, BFH/NV 2003, 1192BFH 31.10.2002 – XI B 42/02, BFH/NV 2003, 483BFH 22.08.2005 – V B 168/04, BFH/NV 2006, 308; BFH 12.12.2012 – IX B 03/11, BFH/NV2012, 700 Rdn. 11BFH 07.10.2003 – X B 53/03, BFH/NV 2004, 156Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl. 2002, § 119 Rdn. 1BFH 12.12.2012 – IX B 03/11, BFH/NV 2012, 700 Rdn. 11BFH 16.07.2003 I B 213/02, BFH/NV 2003, 1536; BFH 29.07.2003 – XI B 237/02, BFH/NV2003, 1576; BFH 10.09.2003 – IX B 43/03, BFH/NV 2003, 1582; BFH 13.01.2006 – VIII B07/04, BFH/NV 2006, 914BFH 10.08.2011 – X B 100/10, BFH/NV 2011, 2098 Rdn. 9


- 249 - 249874oder allgemeine Erfahrungssätze gekommen. 1442) Alternativ kann es sich um einenVerstoß handeln, der als materiellrechtlicher Fehler einzuordnen ist. Zu Verfahrensfehlernkönnen die nachfolgenden Mängel gehören, wobei die Tatsachen zu beschreibensind, die den gerügten Verfahrensmangel schlüssig ergeben wie auch zu verdeutlichenist, warum das angegriffene Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, 1443)weshalb die Erfolgsaussichten für den Fall der Zulassung der Revision zu berücksichtigensind: 1444)- Ist das FG von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, so kann es sichum einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten handeln (§ 96 Abs. 1 Satz 1FGO), was einen Verfahrensmangel zum Gegenstand haben kann. 1445)- Grundrechtsverletzungen der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1GG); 1446) wenn diese sich nicht nur auf einzelne nicht entscheidungserheblicheFeststellungen <strong>des</strong> Urteils beziehen. 1447) Die Verletzung dieses Verfahrensgrundrechtsmuß bei anwaltlicher Vertretung spätestens bis zur letzten mündlichenVerhandlung gerügt worden sein. 1448) Die Sicherung dieses Verfahrensgrundrechtsbei erstmaliger Verletzung durch das FG erfolgt auch durch Art. 19 Abs. 4GG. 1449) Indem das BVerfG ausführt, dazu gehöre die zumin<strong>des</strong>t einmalige Kon-1442)1443)1444)1445)1446)1447)1448)1449)BFH 04.03.2009 – VI B 105/08, BFH/NV 2009, 1140; BFH 10.08.2011 – X B 100/10, BFH/NV2011, 2098 Rdn. 9Lange DB 2001, 2312, 2315BFH 03.02.2012 – IX B 106/11, BFH/NV 2012, 768BGH 26.10.2011 – X B 224/10, NFH/NV 2012, 212 Rdn. 9 f.BFH 03.09.2001 . GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122, 124, wonach bei Versagung rechtlichen Gehörsunwiderleglich vermutet wird, dass der Verfahrensmangel für die Entscheidung ursächlichwar. „Die gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich erforderliche Prüfung, ob das angefochteneUrteil auf der Rechtsverletzung beruht, hat mithin im Falle der Versagung rechtlichenGehörs ... zu unterbleiben.“ So auch BFH 07.08.2002 – I R 45/01, BFH/NV 2003, 174, 174.Wenn der BFH 05.09.2001 – XI B 04/01, BFH/NV 2002, 65 meint, eine Versagung rechtlichenGehörs sei nicht gegeben, wenn die Möglichkeit bestanden habe, sich zu entscheidungserheblichenTatsachen zu äußern, so mißachtet er die Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG, wonach eine Versagungrechtlichen Gehörs auch dann gegeben ist, wenn ein Gericht erheblichen Sachvortrag oderrelevante Rechtsausführungen nicht verarbeitet: Sic. z.B. BVerfG 23. 6. 1999 - 2 BvR 762/98,NJW 2000, 131: „Das Gebot <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen derVerfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen(vgl. BVerfGE 11, 218 [220] = 83, 24 [35] = NJW 1991, 1283; st. Rspr.). Grundsätzlich ist davonauszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auchzur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht je<strong>des</strong> Vorbringenin den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Ein Verstoß gegen Art.103 I GG kann nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen <strong>des</strong> Fallsergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 47, 182 [187] =NJW 1978, 989; BVerfGE 86, 133 [146] = NVwZ 1992, 401 = NJW 1992, 2877 ; BVerfGE 96,205 [216f.] = NJW 1997, 2310; st. Rspr.).“Dass bei einer Versagung rechtlichen Gehörs unwiderleglich vermutet wird, dass der Verfahrensmangelfür die Entscheidung ursächlich war, zuvor schon BFH 24.08.2001 – VI B 239/00,BFH/NV 2001, 198. Siehe ferner: BFH 07.08.2002 – I R 45/01, BFH/NV 2003, 173174BFH 04.02.2002 – VII B 63/01, BFH/NV 2002, 815, 816BFH 23.07.2003 – V B 260/02, BFH/NV 2003, 1595BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1926


- 250 - 250875876877878879trolle der Einhaltung dieses Grundrechts, gilt dies auch für eine darauf gestützteNichtzulassungsbeschwerde.Durch das BVerfG thematisiert worden ist allerdings, dass ein Rechtsschutz wegenVerletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das erstmalig damit befaßteGericht nicht zwingend zur Befassung einer höheren Instanz führen muß, „soferndie rechtsstaatlich notwendige Kontrolle <strong>des</strong> behaupteten Verfahrensfehlers anderweitigin hinreichender Weise gesichert werden kann.“ Dem Rechtsstaatsprinzipentspreche es im Hinblick auf die Effektivität <strong>des</strong> Rechtsschutzes durchaus,wenn die Behebung von Gehörsverstößen ohne Umwege durch die Fachgerichteselbst erfolge. 1450) Allerdings verweist das BVerfG darauf, dass dann, wenn einRechtsmittel wegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten aufgrund einer inder Verfahrensordnung vorgesehenen Abhilfemöglichkeit gegeben sei, der ausdem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Justizgewährung 1451) ausreichend Rechnunggetragen sei. Dies ist bei § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO der Fall. Und die Durchsetzungder Überprüfung von Verletzungen von Verfahrensgrundrechten ist nicht auf besonderswichtige Fehler oder auf Situationen existentieller Betroffenheit begrenzt,sondern gilt allgemein. 1452) Es kommt mithin auch nicht auf Fragen grundsätzlicherBedeutung sondern alleine auf die Entscheidungserheblichkeit an. 1453)Das BVerfG weist ferner darauf hin, dass die Rüge der Verletzung von Verfahrensgrundrechten,um den Anforderungen der Rechtsmittelklarheit zu genügen,in der geschriebenen Rechtsordnung ihre Grundlage haben muß und damitfür den Bürger erkennbar sein müsse. Ein Verweis auf außerordentliche Rechtsbehelfreiche nicht. 1454) Dies ist in § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO der Fall, so dass derjenige,der die Verletzung von Verfahrensgrundrechten aufgrund <strong>des</strong> Urteiles <strong>des</strong>FG rügen möchte, sie nicht auf einen außerordentlichen Rechtsbehelf der Gegenvorstellungverweisen lassen muß. Dieser vom BVerfG angesprochene Rechtsschutzwird jedoch vom BFH verkürzt, wenn er pauschal meint, es sei grundsätzlichdavon auszugehen, daß ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zurKenntnis nehme. 1455)- Eine zulässige Klage wird als unzulässig abgewiesen. 1456)- Tatsächliches Vorbringen wurde vom Gericht entweder überhaupt nicht zurKenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen.1457)1450)1451)1452)1453)1454)1455)1456)1457)BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1926Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2196BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1928BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1928BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1928BFH 12.01.2006 – VI B 101/05, BFH/NV 2006, 739; BFH 26.03.2007 – II S 01/07, BFH/NV2007, 1094, 1095BFH 25.03.2011 – II B 141/10, BFH/NV 2011, 1006BFH 26.03.2007 – II S 01/07, BFH/NV 2007, 1094, 1095; BFH 17.03.2010 – X B 62/09,BFH/NV 2010, 1825


- 251 - 251880881882883884885886- Noch nicht erörterte tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte werden seitens<strong>des</strong> FG zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreiteine Wendung gegeben, mit dem die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf <strong>des</strong>Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. 1458)- Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn das FG einen bis zum Ende der mündlichenVerhandlung eingegangen Schriftsatz nicht verarbeitet hat. 1459)- Verstoß gegen das Verbot vorweggenommener Beweiswürdigung. 1460)- Das FG ist substantiierten Beweisanträgen nicht nachgegangen. 1461) Denn ein FGdarf einen Beweisantritt nur dann unberücksichtigt sein lassen, wenn es auf dasBeweismittel für die Entscheidung nicht ankommt, wenn das FG die Richtigkeitder durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen unterstellt, wenn das Beweismittelunerreichbar ist oder wenn es zur Beweiserbringung völlig ungeeignetist. 1462) Dazu ist ferner vorzutragen, warum dies in der mündlichen Verhandlungvor dem FG nicht gerügt wurde bzw. warum dies nicht möglich bzw. nicht zumutbarwar. 1463) Und wenn das FG sich geweigert haben sollte, in der mündlichenVerhandlung einen Beweisantrag zu Protokoll zu nehmen, ist vorzutragen, warumdies in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt wurde bzw. warum dieserhalbkein Protokollberichtigungsantrag gestellt wurde. 1464)- Nichtberücksichtigung von Umständen, die in die Beweiswürdigung hätten einfließenmüssen. 1465)- Das FG hat den Inhalt der Außenprüfer-Handakte berücksichtigt, ohne sie zumGegenstand <strong>des</strong> Verfahrens gemacht zu haben. 1466)- Nichtberücksichtigung von Umständen, die in die Beweiswürdigung hätten einfließenmüssen. 1467)- Nicht vollständige (quantitativ) und nicht einwandfreie (qualitativ) Berücksichtigungvon Parteivorbringen nach Aktenlage. 1468) Für diesen Fall bezeichnet es der1458)1459)1460)1461)1462)1463)1464)1465)1466)1467)1468)BFH 10.12.2009 – X B 107/09, BFH/NV 2010, 662BFH 30.12.2002 – IV B 167/01, BFH/NV 2003, 751, 752BFH 30.09.2005 – XI B 183/04, BFH/NV 2006, 318; BFH 09.01.2006 – XI B 25/05, BFH/NV2006, 1106, 1107BFH 21.12.2005 – I B 249/04, BFH/NV 2006, 780BFH 24.03.2009 – VII ZB 178/08, BFH/NV 2009, 1277BFH 14.12.2005 – XI B 24/05, BFH/NV 2006, 1102 f.BFH 01.03.2006 – VIII B 332/04, BFH/NV 2006, 1313BFH 19.01.2006 – VIII B 113/05, BFH/NV 2006, 803BFH 25.10.2005 – VIII B 174/03, BFH/NV 2006, 749BFH 19.01.2006 – VIII B 113/05, BFH/NV 2006, 803, 804BFH 19.01.2006 – VIII B 113/05, BFH/NV 2006, 803, 804; 20.04.2006 – VIII B 33/05, BFH/NV2006, 1338, 1339; BFH 18.08-2006 – IV B 101/05, BFH/NV 2007, 202, 203; BFH 22.08.2006 –V B 86/05, BFH/NV 2006, 2289


- 252 - 252887888889890891892BFH als erforderlich, die Aktenteile genau zu bezeichnen, die das FG nicht berücksichtigthaben soll. 1469)- Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten. 1470) Dies ist dann der Fall, wenn entwederdas FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der demschriftsätzlichen oder protokollierten Vorbringen der Betiligten nicht entsprichtoder Tatsachen, die sich eindeutig aus der Aktenlage ergeben, unberücksichtigtlässt. 1471)- Versagung <strong>des</strong> Akteneinsichtsrechts zumin<strong>des</strong>tens bei einem dem Klägernaheliegenden Finanzamt. 1472) Da seit dem 01.04.2005 ausschließlich der BFH füreine gerichtliche Entscheidung darüber zuständig ist, wenn das Finanzamt sichweigert, Akteneinsicht zu gewähren (§ 86 Abs. 3 FGO), 1473) dürfte dieser Falldadurch inzwischen entschärft worden sein.- Entscheidung <strong>des</strong> Gerichts vor Ablauf der von ihm eingeräumten Schriftsatzfristbei Nichtberücksichtigung eines fristgerecht eingereichten Schriftsatzes. 1474)- Nichtberücksichtigung eines nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenenSchriftsatzes im Hinblick auf eine Prüfung, ob <strong>des</strong>halb nicht doch diemündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. 1475)- Verkennung <strong>des</strong> Umfangs der Rechtskraft eines Urteils <strong>des</strong> FG im Rahmen einesbegehrten Änderungsbeschei<strong>des</strong>. 1476) Dabei gilt es zu bedenken, daß der sachlicheUmfang der materiellen rechtskraft sich „in erster Linie“ aus der Urteilsformelergibt, zu deren Verständnis ggf. der Tatbestand und die Entscheidungsgründeheranzuziehen sind. 1477)- Unterlassene Aussetzung gem. § 74 FGO trotz Ermessensreduzierung aufNull. 1478)1469)1470)1471)1472)1473)1474)1475)1476)1477)1478)BFH 13.03.2007 – X B 37/06, BFH/NV 2007, 1138BFH 19.01.2006 – VIII B 113/05, BFH/NV 2006, 803, 804; BFH 21.02.2006 – II B 106/05,BFH/NV 2006, 975; BFH 20.04.2006 – VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338, 1339; a.A. BFH22.08.2006 – V B 86/05, BFH/NV 2006, 2289BFH 21.02.2006 – XI B 36/05, BFH/NV 2006, 1846, 1847BFH 26.09.2003 – III B 112/02, BFH/NV 2004, 210BFH 07.12.2006 BStBl. II 2007, 275BFH 07.10.2005 – II B 94/04, BFH/NV 2006, 323BFH 11.12.2006 – IX B 128/06, BFH/NV 2007, 738 f.BFH 14.03.2006 – VIII R 45/03, BFH/NV 2006, 1448, 1449BFH 19.12.2006 – VI R 63/02, BFH/NV 2007, 924, 925 f.BFH 23.03.2006 – V B 55/05, BFH/NV 2006, 1483; BFH 19.05.2008 – V B 29/07, BFH/NV2008, 1501, 1506; BFH 16.07.2008 – VI B 25/08, BFH/NV 2008, 1845; BFH 23.10.2008 – X B168/08, BFH/NV 2009, 187


- 253 - 253893894895896897898- Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn ein Urteil auf rechtliche Gesichtspunktegestützt wird, die weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahrenzur Sprache gekommen sind und auch sonst nicht naheliegend sind (sog.Überraschungsentscheidung). 1479)- Übergehen eines selbständigen Anspruchs bzw. selbständiger Angriffs- bzw.Verteidigungsmittel. 1480)- Vorenthaltung <strong>des</strong> gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). DieSicherung auch dieses Verfahrensgrundrechts bei erstmaliger Verletzung durchdas FG erfolgt durch Art. 19 Abs. 4 GG. 1481) Der BFH fordert jedoch, daß z.B. derVerstoß gegen den Geschäftsverteilungsplan willkürlich erfolgt sein muß, 1482)was nachzuweisen dem Betroffenen kaum gelingen dürfte. Auch die Zurückweisungeines Befangenheitsantrages ist im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GGnur dann ein Zulassungsgrund, wenn die Zurückweisung greifbar gesetzwidrig(willkürlich) gewesen ist. 1483)- Erschwerung oder Verhinderung der Wahrnehmung <strong>des</strong> Instanzenzuges (Art. 19Abs. 4 GG); 1484)- Nichtbeachtung <strong>des</strong> Grundsatzes der Mündlichkeit im Urteilsverfahren 1485) bzw.durch unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Änderung <strong>des</strong> anberaumtenTermins zur mündlichen Verhandlung; 1486)- Nicht vorschriftsmäßige Besetzung <strong>des</strong> erkennenden Gerichts; 1487)1479)1480)1481)1482)1483)1484)1485)1486)1487)BFH 14.05.2003 – X B 168/02, BFH/NV 2003, 1205; BFH 18.11.2005 – II B 169/04, BFH/NV2006, 583, 584 f. ; BFH 11.01.2006 – I B 43/05, BFH 18.08-2006 – IV B 101/05, BFH/NV 2007,202, 204; BFH/NV 2006, 795; BFH 08.09.2006 – V B 108/05, BFH/NV 2007, 245, 246; BFH14.09.2006 – II B 100/05, BFH/NV 2007, 79; BFH 02.11.2006 – VIII B 64/06, BFH/NV 2007,262, 263; BFH 29.12.2006 – IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1085, 1086; BFH 27.06.2011 – III B91/10, BFH/NV 2011, 1664 Rdn. 17BFH 14.11.2005 – X B 106/05, BFH/NV 2006, 580BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1926BFH 19.05.2008 – V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501,1503 f.BFH 15.12.2009 – VIII B 211/08, BFH/NV 2010, 663, 664; BFH 13.06.2012 – V B 36/12, ZSteu2012, R-1201BFH 09.06.1986 - IX B 90/85, BStBl II 1986, 679: „Das Verfahrensgrundrecht <strong>des</strong> Art.19 Abs.4GG garantiert dem Bürger einen effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. DerRechtsweg darf weder ausgeschlossen noch darf er in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehrzu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies gilt für den ersten Zugang zum Gericht undauch für die Wahrnehmung aller Instanzen, die eine Prozessordnung jeweils vorsieht (Beschlüsse<strong>des</strong> Zweiten Senats <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29.Oktober 1975 2 BvR630/73, BVerfGE 40, 272, 274, und vom 4.Mai 1977 2 BvR 616/75, BVerfGE 44, 302, 305).“BFH 14.05.2003 – X R 56/00, BFH/NV 2003, 1588BFH 27.01.2004 – VII B 66/03, BFH/NV 2004, 796Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125


- 254 - 254899900901902- Mitwirkung von Richtern, die von der Ausübung <strong>des</strong> Richteramtes kraft Gesetzesausgeschlossen sind oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehntwurden. 1488) Ist dagegen vor dem FG ein Befangenheitsantrag abgewiesen wordenund war dies greifbar gesetzwidrig bzw. willkürlich, so stellt dies einen Verstoßgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar und kann als Verfahrensmangels geltendgemacht werden; 1489)- keine ordnungsgemäße Prozessvertretung eines Verfahrensbeteiligten; 1490)- Entscheidung ist nicht mit Gründen versehen. 1491)Dies ist bereits dann der Fall, wenn in einem FG-Urteil Entscheidungsgrün<strong>des</strong>elbständige Angriffs- oder Verteidigungsgründe mit Stillschweigen übergangenworden sind 1492) oder wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, das Urteilauf seinen Inhalt und seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen 1493) oder wenndas Urteil hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehenist (§ 119 Nr. 6 FGO). 1494) Letzteres kann schon dann der Fall sein, wenn dieRichtigkeit einer getroffenen Entscheidung <strong>des</strong> FG <strong>des</strong>halb nicht überprüfbar ist,weil nicht erkennbar ist, von welchem Sachverhalt das FG ausgegangen ist bzw.auf welche rechtlichen Erwägungen sich das FG gestützt hat 1495) bzw. im Hinblickauf selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel Entscheidungsgründefehlen oder solche nur aus „inhaltsleeren Floskeln bestehen oder missverständlich1488)1489)1490)1491)1492)1493)1494)1495)Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125. Nach BFH 28.05.2003 – III B87/02, BFH/NV 2003, 1218 kann die Ablehnung eines Befangenheitsantrages durch gesondertenBeschluss nur dann ein Verfahrensverstoß sein, wenn der Beschluss nicht nur fehlerhaft war, sonderngreifbar gesetzwidrig und damit willkürlich.BFH 27.08.2007 – VII B 26/07, BFH/NV 2008, 221, 224; BFH 29.10.2008 – V B 110/07,BFH/NV 2009, 396 f.; BFH 16.06.2009 – I B 174/08, BFH/NV 2009, 1829, 1830 f.Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125Nach BFH 07.01.2002 – III B 61/01, BFH/NV 2002, 666 ist ein fehlen von Gründen nur danngegeben, wenn „jegliche Begründung fehlt“, nicht aber, wenn die Begründung unzureichend ist.Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125BFH 12,06,2001 – VII R 67/00, HFR 2002, 38: „Unter selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittelnsind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittelzu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestaltetenNorm bilden. ...“ Ferner: BFH 02.10.2001 – IX R 25/99, BFH/NV 2002, 363; BFH22.03.2002 – III B 145/01, BFH/NV 2002, 810; BFH 25.03.2002 – VI B 98/01, BFH/NV 2002,810BFH 19.10.2001 – V B 48/01, BFH/NV 2002, 369, 370: Dies ist u.a. dann der Fall, „wenn jeglicheBegründung fehlt oder lediglich inhaltslose oder unverständliche Wendungen niedergeschriebensind, die nicht erkennen lassen, von welchen Erwägungen das Gericht ausgegangen ist unddie eine Überprüfung <strong>des</strong> Rechtsstandpunktes nicht ermöglichen oder wenn ein selbständiges Angriffs-oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist.“BFH 20.06.2000 – VIII R 47/99, BFH/NV 2001, 46; BFH 30.09.2003 – IV B 23/02, BFH/NV2004, 457, 459BFH 02.03.2004 – III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109


- 255 - 255903904und verworren sind.“ 1496) § 119 Nr. 6 FGO kann auch dann gegeben sein, wenndas Urteil nicht innerhalb der Frist <strong>des</strong> § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO nicht vollständigder Geschäftsstelle übergeben wurde und zwar unabhängig davon, ob das Urteilin der Sache richtig sein könnte. 1497) Dem Fehlen von Entscheidungsgründen stehtes gleich, wenn die Entscheidungsgründe so unverständlich und verworren sind,daß nicht mehr erkennbar ist, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebendsind. 1498) Auch das Übergehen von Angriffs- und Verteidigungsmittel durchStillschweigen gehört dazu. 1499) Die Abgrenzung wird schwierig und lässt nichtüberprüfbaren Wertungen Raum, wenn der BFH iudiziert, dass eine zu kurze, lücken-oder fehlerhafte Begründung keinen Verfahrensfehler darstelle. 1500)- Verletzung der Verhandlungsöffentlichkeit; 1501)- Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ) 1502 bzw. Beweiserhebung, 1503)wenn es sich um entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel handelt.1504) Der BFH begrenzt den richterlichen Amtsermittlungsgrundsatz durch dieMitwirkungspflicht der Beteiligten. 1505)1496)1497)1498)1499)1500)1501)1502)1503)1504)1505)BFH 15.12.2005 – IX B 98/05, BFH/NV 2006, 768 Leitsatz 3.. In abgrenzung dazu BFH02.01.2006 – XI B 53/04, wonach eine Kurzbegründung <strong>des</strong> FG u.H.a. eine BFH-Entscheidungnicht unbedingt einen Verstoß gegen den Begründungszwang darstellen muß.BFH 20.10.2005 – I B 75/05, BFH/NV 2006, 337BFH 25.06.2008 – X B 210/05, BFH/NV 2008, 1649BFH 22.07.2008 – II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846, 1848BFH 22.07.2008 – II B 47/07, BFH/NV 2008, 1846, 1848Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125BFH 22.07.2003 – X B 97/02, BFH/NV 2004, 52, 53; BFH 07.02.2006 – IX B 153/05, BFH/NV2006, 1114. Verletzung <strong>des</strong> § 76 FGO: Dazu muß dargelegt werden, welche Tatfragen aufklärungsbedürftigsind, welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG nicht erhoben hat und inwieweiteine unterlassene gerügte Beweisaufnahme zu einer anderen Entscheidung <strong>des</strong> FG hätteführen können: BFH 27.01.2003 – II B 194/01, BFH/NV 2003, 792. Ferner BFH 04.06.2003 – XB 16/02, BFH/NV 2003, 1212; BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; BFH18.12.2003 – I B 146/03, BFH/NV 2004, 651. Außerdem ist vorzutragen, warum sich dem FGaufgrund vorgetragener materiellrechtlicher Auffassung eine weitere Aufklärung <strong>des</strong> Sachverhalteshätte aufdrängen müssen: BFH 07.02.2006 – IX B 153/05, BFH/NV 2006, 1114; BFH21.03.2006 – X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142 f.BFH 06.06.2001 – II R 07/98, BFH/NV 2002, 28, 30; BFH 13.09.2001 – III B 26/01, BFH/NV2002, 208; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1125. Nach BFH05.09.2001 – XI B 04/01, BFH/NV 2002, 65 verlangt die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflichteine Darlegung, warum sich dem FG die Heranziehung eines entsprechenden Beweismittelshätte aufdrängen müssen. So auch BFH 23.10.2001 – XI B 64-67/01, BFH/NV 2002, 371,372. - Und bei Rüge <strong>des</strong> Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht soll nach BFH 14.09.2001 –XI B 39/01, BFH/NV 2002, 209, ausgehend vom Standpunkt <strong>des</strong> FG – „mag dieser Rechtsstandpunktrichtig oder falsch sein“ - die Entscheidungserheblichkeit <strong>des</strong> Verfahrensmangels „näher“dargelegt werden.Die fehlerhafte Beweiswürdigung ist eine Frage <strong>des</strong> materiellen Rechts und nicht <strong>des</strong> Prozessrechts:BFH 23.10.2001 – XI B 64-67/01, BFH/NV 2002, 371, 372; BGH 14.10.2002 – VIII B90/01, BFH/NV 2003, 324BFH 20.12.2001 – X B 91/01, BFH/NV 2002, 775; BFH 27.06.2002 – VII B 268/01, BFH/NV2002, 1595BFH 20.04.2006 – VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338, 1339


- 256 - 256905906907Deshalb fordert der BFH ferner, darzulegen, dass alle prozessualen Möglichkeitenausgeschöpft wurden, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. 1506) Folglichist darzulegen,dass dieser Verfahrensverstoß gerügt wurde und die Rüge aufrecht erhaltenwurde bzw. warum eine Rüge nicht möglich war, 1507)welcher Sachverhalt von Amts wegen auch ohne Beweisantritt seitens <strong>des</strong> FGhätte aufgeklärt werden müssen, 1508)warum sich eine Amtsermittlung ohne Beweisantrag hätte aufdrängen müssen,welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärungoder einer weiteren Beweiserhebung voraussichtlich ergeben hätten1509) undinwiefern sich daraus auf der Grundlage <strong>des</strong> materiellrechtlichen Standpunktes<strong>des</strong> Gerichts eine andere Entscheidung hätte ergeben können. 1510)Wirkt sich die fehlerhafte Sachaufklärung nur auf einen von mehreren Beschwerdegründenaus, kann darauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.1511)- Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht kann auch dann der Fall sein, wenndas FG bei Anwendung einer Norm <strong>des</strong> Gerichtsverfahrensrechts die Beweislastverteilungverkannt hat, 1512) Gesamtergebnisse <strong>des</strong> Verfahrens, die z.B. indie Beweiswürdigung hätten mit einfließen müssen, unberücksichtigt läßt. 1513)1506)1507)1508)1509)1510)1511)1512)1513)BFH 26.06.2003 – XI B 185/02, BFH/NV 2003, 1590; BFH 20.04.2006 – VIII B 33/05, BFH/NV2006, 1338, 1339BFH 14.10.2002 – VII B 78/02, 322, BFH/NV 2003, 322; BFH 29.10.2003 – IV B 98/01,BFH/NV 2003, 326; BFH 28.01.2003 – VIII B 62/02, BFH/NV 2003, 1328; BFH 29.09.2005 –XI B 124/04, BFH/NV 2006, 316; BFH 28.06.2006 – III B 119/05, BFH/NV 2006, 1844, 1845BFH 01.07.2003 – III B 94/02, BFH/NV 2003, 1591; BFH 30.01.2006 – X B 116/05, BFH/NV2006, 969; BFH 28.06.2006 – III B 119/05, BFH/NV 2006, 1844, 1845BFH 28.06.2006 – III B 119/05, BFH/NV 2006, 1844, 1845BFH 26.06.2003 – IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437; BFH 01.07.2003 – III B 94/02, BFH/NV2003, 1591; BFH 28.07.2003 – IV B 214/01, BFH/NV 2004, 56, 57; BFH 05.02.2004 – V B205/02, BFH/NV 2004, 964; BFH 01.08.2005 – X B 24/05, BFH/NV 2005, 2222; BFH16.02.2006 – X B 126/05, BFH/NV 2006, 1125, 1126; BFH 30.03.2007 – XI B 80/06, BFH/NV2007, 1339 f.BFH 18.05.2006 – II B 28/04, BFH/NV 2006, 1849BFH 21.12.2001 – VIII B 132/00, BFH/NV 2002, 661; a.A. BFH 19.02.2002 - V B 52/01,BFH/NV 2002, 956, 957; BFH 30.03.2006 – III B 56/06, BFH/NV 2006, 1485, wonach die unrichtigeVerteilung der Beweislast ein materiellrechtlicher Fehler ist.BFH 22.07.2003 – X B 97/02, BFH/NV 2004, 52, 53


- 257 - 257908909910911912913914915Der sich aus einem materiellrechtlichen Fehler <strong>des</strong> FG ergebende Widerspruchzwischen Urteil und tatsächlichem Sachverhalt wird vom BFH 1514) jedoch nichtals Verfahrensfehler wegen Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht angesehen.- Verstoß gegen prozessuale Fürsorgepflicht. 1515) Dazu gehört u.a., seitens <strong>des</strong>Gerichts, bevor es die Klage als unsubstantiiert zurückweisen möchte, zunächstdarauf hinzuweisen, um welche tatsächlichen Angaben die Klage zu ergänzen ist(§ 76 Abs. 2 FGO). 1516)- Überraschungsentscheidung. Eine solche ist gegeben, wenn ein „Urteil auf einenrechtlichen Gesichtspunkt gestützt (wird), der weder im Besteuerungsverfahrennoch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und <strong>des</strong>sen Heranziehungauch nicht aus sonstigen Gründen nahe lag.“ 1517)- Nicht vorgenommene Übergabe <strong>des</strong> vollständig abgefassten Urteils binnen 5 Monatenseit der mündlichen Verhandlung zur Geschäftsstelle. 1518)- Ablehnung einer Klage zu Unrecht als unzulässig. 1519)- Ablehnung eines Antrages eines Beteiligten auf Aufhebung oder Verlegung einesTermins zur mündlichen Verhandlung zu Unrecht. 1520)- Verletzung <strong>des</strong> Rechts auf ein faires Verfahren. 1521) Dazu zählt der BFH das Rechteines Verfahrensbeteiligten, ausreichend, angemessen und gleiche Gelegenheitzur Stellungnahme in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erhalten und denVortrag der Gegenseite sowie alle Beweisunterlagen zur Kenntnis zu erhalten undsich dazu äußern zu können.- Wenn das FG fehlerhaft es ablehnt, einen anberaumten Termin zur mündlichenVerhandlung zu verlegen, so wird dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen,ohne daß ausgeführt werden muß, inwieweit bei Anwesenheit <strong>des</strong> Beteiligten die-1514)1515)1516)1517)1518)1519)1520)1521)BFH 25.02.2002 – X B 124/01, BFH/NV 2002, 784; BFH 19.06.2002 – IX B 74/01, BFH/NV2002, 1331BFH 01.02.2001 - XI B 11/00, BFH/NV 2001, 811; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rdn. 1125BFH 12.06.2013 – X B 191/12, BFH/NV 2013, 1622 Rdn. 17BFH 07.08.2002 – I R 45/01, BFH/NV 2003, 174, 174; BFH 11.02.2003 – XI B 04/02, BFH/NV2003, 802; BFH 26.06.2003 – IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437; BFH 14.09.2006 – II B 100/05,BFH/NV 2007, 79BFH 23.08.2002 – IV B 89/01, BFH/NV 2003, 177BFH 05.10.2004 – II B 140/03, BFH/NV 2005, 237; BFH 26.06.2006 – II B 99/05, BFH/NV2006, 1860BFH 10.04.2006 – X B 162/05, BFH/NV 2006, 1332, 1333 f.; BFH 30.05.2007 – V B 217/06,BFH/NV 2007, 1695, 1696BFH 09.11.1998 – III B 63/98, BFH/NV 1999, 642; BFH 14.05.2007 – XI B 71/06, BFH/NV2007, 1685, 1686


- 258 - 258916917918919ser eine Entscheidung <strong>des</strong> FG entscheidungserheblich hätte beeinflussen können.1522)- Berücksichtigt das FG im zweiten Verfahrensgang nach Zurückverweisung durchden BFH nicht <strong>des</strong>sen Vorgaben, so ist ein Verfahrensmangel gegeben. 1523)Soweit der BFH 1524) neuerdings bei der Rüge einer Grundrechtsverletzung verlangt, esmüßte u.a. an Hand der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH und BVerfG dargelegt werden, inwieweitdas Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der aufgeworfenen Frage gegebensei, geht dies über die Anforderungen <strong>des</strong>sen hinaus, was - nach Erschöpfung<strong>des</strong> Rechtsweges - sogar für eine Verfassungsbeschwerde erforderlich wäre (sic. § 90Abs. 1 BVerfGG). Sollte der BFH daran festhalten, könnte es sich empfehlen, gegeneine solche überzogene Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH Verfassungsbeschwerde einzulegen.Verfahrensmängel müssen aber nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH in der mündlichenVerhandlung gerügt worden sein und aufrecht erhalten worden sein. 1525)Dies geht sogar so weit, dass bei einer vor dem FG erhobenen Rüge der Verletzung<strong>des</strong> Amtsaufklärungspflicht <strong>des</strong> Finanzamtes dieserhalb zu Protokoll ein Beweisantraggestellt worden sein muß und wenn ein solcher Antrag nicht zu Protokoll genommenwurde, ein Protokollberichtigungsantrag gestellt worden sein muß, der abgelehnt wurde.Aber mit unten Ausgeführtem ist es inzwischen außerordentlich fraglich, ob imHinblick auf die Rechtsprechung <strong>des</strong> Großen Senates <strong>des</strong> BFH vom 03.09.2001 1526)die überzogenen Anforderungen <strong>des</strong> BFH an die Anforderungen einer Rüge der Verletzungrechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch die einfachen Senate <strong>des</strong> BFHfür die Zukunft weiterhin so Bestand haben werden. 1527) Es ist eine rechtsstaatlichtraurige Erkenntnis, dass die einfachen Senate <strong>des</strong> BFH diese Grundaussagen der Entscheidung<strong>des</strong> Großen Senates <strong>des</strong> BFH nicht zur Kenntnis nehmen und schlicht anihrer alten Rechtsprechung - teils unter Hinweis auf diese, statt unter Hinweis auf dieEntscheidung <strong>des</strong> Großen Senates <strong>des</strong> BFH 1528) - festhalten, 1529) mit der Folge, dassweiterhin der Fleiß der einzelnen Senate <strong>des</strong> BFH darin zum Ausdruck kommt, mit1522)1523)1524)1525)1526)1527)1528)1529)BFH 19.10.2012 – VII B 79/12, BFH/NV 2013, 225BFH 21.03.2013 – VI B 155/12, BFH/NV 2013, 1103BFH 25.09.2002 – IX B 19/02, BFH/NV 2003, 192BFH 29.03.1988 - V B 108/87, BFH/NV 1990, 105BFH 03.09.2001 - GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122; dazu List DStR 2002, 1381Ungeachtet der Entscheidung BFH 03.09.2001- GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122, 124 fordern BFH04.09.2001 – I B 14/01, BFH/NV 2002, 203; BFH 05.09.2001 – I B 178/00, BFH/NV 2002, 104nach wie vor, dass Verfahrensrügen sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergebenmüssen. BFH 30.04.2002 – VI B 298/01, BFH(NV 2002, 1166 nach wie vor geht zur Beurteilungeines Verfahrensmangels von der sachlich-rechtlichen Sicht der Vorinstanz aus.z.B. BFH 02.01.2002 – I B 73/00, BFH/NV 2002, 679, 680BFH 13.12.2001 – II B 46/00, BFH/NV 2002, 654; BFH 14.12.2001 – VII B 44/01, BFH/NV2002, 655; BFH 02.01.2002 – I B 73/00, BFH/NV 2002, 679, 680; BFH 12.04.2002 – XI B88/01, BFH/NV 2002, 1026; BFH 16.12.1999 – IV B 32/99, BFH/NV 2002, 1160, 1161; BFH25.04.2002 – II B 24/01, BFH/NV 2002, 1311; BFH 25.06.2002 – X B 199/01, BFH/NV 2002,1332; BFH 10.07.2002 – X B 170/00, BFH/NV 2002, 1481; BFH 18.07.2002 – V B 107/01,BFH/NV 2003, 49; BFH 03.09.2002 – I B 107/01, BFH/NV 2003, 68; BFH 27.01.2003 – II B194/01, BFH/NV 2003, 792; BFH 27.02.2003 – VII B 263/02, BFH/NV 2003, 835, 836 f.


- 259 - 259920921922außergesetzlichen Gründen Rechtsschutz zu verweigern, statt Rechtsschutz zu gewährleisten.In der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH nicht einheitlich wird die Frage behandelt, ob einefehlerhafte Würdigung <strong>des</strong> Sachverhaltes bzw. eine fehlerhafte Beweiswürdigung eineVerfahrensmangel darstellt. 1530) Davon zu trennen ist die Nichtberücksichtigung vonUmständen, die ein die Beweiswürdigung hätte einließen müssen, weil dann nämlichBestandteile für die Überzeugungsbildung <strong>des</strong> Gerichts fehlten. Dies kann verfahrensfehlerhaftsein. 1531) Davon zu trennen sind Unrichtigkeiten im Tatbestand eines finanzgerichtlichenUrteils, die keinen Verfahrensfehler darstellen, sondern mit dem Tatbestandsberichtigungsantraggeltend zu machen sind. 1532)So sehr bezüglich <strong>des</strong> letzteren dem BFH im Grundsatz zuzustimmen ist, so sehr giltes aber auch folgen<strong>des</strong> zu beachten: Tatbestandsberichtigungsanträgen wird weitgehendnicht entsprochen, wohl weniger, weil sie nicht begründet wären, sondern weil inder Regel die Ablehnungen Ausdruck menschlicher Empfindsamkeiten entscheidenderRichter sind. Denn wer gibt schon freiwillig zu, einen Fehler begangen zu haben. Daaber die Fristen für Nichtzulassungsbeschwerden auf Tatbestandsberichtigungsanträgeund die Entscheidungen darüber keine Rücksicht nehmen, empfiehlt es sich, dieNichtzulassungsbeschwerde vorsorglich so abzufassen, als ob dem Tatbestandsberichtigungsantragnicht entsprochen würde. Unrichtigkeiten im Tatbestand könnendann im Einzelfall eine Grundrechtsverletzung gemäß Art. 103 Abs. 1 GG darstellenund entscheidungserhebliche Verstöße können sehr wohl einen Verfahrensmangelrechtfertigen.Soweit der BFH 1533) iudiziert, es stelle keinen Verfahrensmangel dar, wenn ein FG alsnicht letztinstanzliches Gericht weder dem EuGH vorlege noch die Revision zulasse,ist dies so nicht zutreffend, weil folgen<strong>des</strong> verkannt wird: Gemeinschaftsrechtlich istnur das letztinstanzliche Gericht zur Vorlage verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV),nicht jedoch das FG (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Verfassungsrechtlich kann jedoch imHinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch ein Instanzgericht zur Vorlage verpflichtetsein, so daß die Nichtvorlage gegen das Verfahrensgrundrecht <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1GG verstoßen kann, was aber gesondert begründet werden muß. Unabhängig davonstellt sich aber für den BFH im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren als letztinstanzlichemGericht die Frage, ob der BFH nicht selbst vorlegen muß, andernfalls er gegendas Verfahrensgrundrecht <strong>des</strong> Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG verstößt. Dazu schweigt sichder BFH 1534) merkwürdigerweise aus, so als ob es die Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH dazunicht gäbe. Ist dies Unkenntnis <strong>des</strong> BFH von der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH oder einebewußte unausgesprochene Verweigerung der Gefolgschaft bezüglich der Rechtspre-1530)1531)1532)1533)1534)Bejahend: BFH 07.08.2001 – III B 67/00, BFH/NV 2002, 45, 46Verneinend: BFH 26.07.2001 – X B 06/01, BFH/NV 2002, 37; BFH 27.08.2001 – VII B 04/01,BFH/NV 2002, 76; BFH 16.12.1999 – IV B 32/99, BFH/NV 2002, 1160, 1161; BFH 12.03.2002– VIII B 02/01, BFH/NV 2002, 1273; BFH 22.06.2006 – V B 155/05, BFH/NV 2006, 2093BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493BFH 12.03.2002 – VIII B 02/01, BFH/NV 2002, 1273; BFH 08.10.2003 – VII B 321/02,BFH/NV 2004, 499; BFH 24.01.2006 – VI B 60/05, BFH/NV 2006, 805BFH 28.08.2003 – VII B 259/02, BFH/NV 2004, 68, 69; BFH 28.08.2003 – VII B 260/02,BFH/NV 2004, 69, 71BFH 28.08.2003 – VII B 259/02, BFH/NV 2004, 68, 69; BFH 28.08.2003 – VII B 260/02,BFH/NV 2004, 69, 71


- 260 - 260923chung <strong>des</strong> EuGH ? Wie auch immer, in einem solchen Fall wäre nach einem erfolglosenNichtzulassungsbeschwerdeverfahren im Hinblick auf die Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 267Abs. 3 AEUV, 101 Abs. 1 Satz 1 GG möglich. Voraussetzung wäre jedoch, daß bereitsin der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung im einzelnen aufgezeigt wird, daßund warum dann, wenn das FG die Vorlage zum EuGH nicht vorgenommen hat, es fürden BFH als Nichtzulassungsbeschwerdegericht zwingend geboten wäre, vorzulegen,wozu es einer ausführlichen gemeinschaftsrechtlichen und verfassungsrechtlichenBegründung bedarf.Die Prüfung der Erfolgsaussicht eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens betreffendVerfahrensmangel könnte nach folgendem Raster vorgenommen werden:I. Beschreibung <strong>des</strong> VerfahrensmangelsII.Rüge in der mündlichen Verhandlung?1. Zu Protokoll?2. Aufrechterhaltung der RügeIII. Entscheidungserheblichkeit924925e) FazitZu berücksichtigen ist, daß alleine die Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung <strong>des</strong> FGkeinen Zulassungsgrund – auch nicht den eines Verfahrensmangels - darstellt. 1535)Ergibt ferner eine Prüfung durch den Prozeßbevollmächtigten, daß Nichtzulassungsbeschwerdegründegegeben sind, so ist zusätzlich im Hinblick auf den auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahreneinschlägigen § 126 Abs. 4 FGO zu prüfen, ob sichdie Entscheidung <strong>des</strong> FG nicht aus anderen Gründen als denen im Urteil mitgeteiltenals richtig erweisen könnte. 1536) Vor diesem Hintergrund hat der Prozessbevollmächtigteder 1. Instanz den Mandanten und <strong>des</strong>sen Steuerberater darüber zu informieren,ob und inwieweit das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde bzw., wenn zugelassen,die Revision möglich wäre. Da die Intension <strong>des</strong> BFH darauf ausgerichtet ist,die formellen Voraussetzungen für eine Nichtzulassungsbeschwerde außerordentlichhoch anzusetzen und u.U. sogar selbst dann nicht anzunehmen, wenn an sich die Zulassungsvoraussetzungenerfüllt wären, wird man vom 1.-instanzlichen Bevollmächtigtenkeine Aussagen dazu erwarten dürfen, ob und inwieweit mit einer Erfolgswahrscheinlichkeitzu rechnen ist. Ohnehin sind Prognosen betreffend die Erfolgsaussichtvon Gerichtsentscheidungen nicht sehr verläßlich, sagt doch der Volksmund: „VorGericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand.“Dem Mandanten bzw. <strong>des</strong>sen Steuerberater ist seitens <strong>des</strong> Prozessbevollmächtigtenaber zu verdeutlichen, dass es sich bei der Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revisionnicht um eine 2. Instanz handelt, bei der alles in der 1. Instanz vorgetragene erneut zurÜberprüfung gestellt werden kann, sondern dass eine Überprüfung <strong>des</strong> finanzgerichtlichenUrteils nur nach den vorgenannten Maßgaben möglich ist.1535)1536)BFH 28.01.2004 – I B 71, 72/03, BFH/NV 2004, 915; BFH 08.03.2004 – VII B 334/03, BFH/NV2004, 974BFH 10.12.2003 – X B 134/02, BFH/NV 2004, 906


- 261 - 261926927928f) Grundsätzliche ÜberlegungenHat das FG eine Auslegung von Willenserklärungen vorgenommen, die im Hinblickauf die §§ 133, 157 BGB vertretbar ist und weder gegen Denkgesetze noch allgemeineErfahrungssätze verstößt, dann handelt es sich dabei um tatsächliche Feststellungen<strong>des</strong> FG, woran der BFH grundsätzlich gebunden ist. 1537)Der BFH iudiziert, es fülle keinen der Zulassungsgründe <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 FGO aus,wenn das finanzgerichtliche Urteil „nur“ in sich widersprüchlich ist bzw. an materiellenRechtsfehlern leidet, sofern nicht ein über den Einzelfall hinausgehen<strong>des</strong> Interessean der Entscheidung <strong>des</strong> BFH besteht. 1538) Selbst wenn die Entscheidung <strong>des</strong> FG objektivwillkürlich ist, weil sie auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinemrechtlichen Aspekt vertretbar ist, soll dies nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH keinenZulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO begründen. 1539) Es wurde oben schon daraufhingewiesen, dass diese Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH mit der Rechtsprechung <strong>des</strong>BVerfG nicht in Einklang steht. Der BGH verfährt inzwischen in Anbetracht <strong>des</strong> novelliertenNichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsrechts der ZPO nicht mehr vergleichbarzum BFH. 1540)Eine andere grundsätzliche Überlegung ist in folgendem begründet:Obwohl im finanzgerichtlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz <strong>des</strong> FG gilt(§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) 1541) und obwohl das FG an Vortrag und Beweisanträge nichtgebunden ist (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO), soll nach Meinung <strong>des</strong> BFH 1542) das Übergeheneiner beantragten Beweiserhebung als Verfahrensfehler i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3FGO davon abhängig sein, dass hinreichend dargelegt wurde, dass und warum dasangebotene Beweisemittel entscheidungserheblich ist. Wird gar kein Beweisantraggestellt und wird die Unterlassung einer gebotenen Beweiserhebung von Amts wegennicht in der mündlichen Verhandlung gerügt, dann wertet der BFH dies einfach als1537)1538)1539)1540)1541)1542)BFH 25.03.2010 – X B 165/09, BFH/NV 2010, 1461BFH 12.12.2002 – III B 124/01, BFH/NV 2003, 783, 784; BFH 24.02.2003 – III B 117/02,BFH/NV 2003, 810BFH 24.07.2002 – III B 54/02, BFH/NV 2002, 1488; BFH 12.12.2002 – III B 124/01, BFH/NV2003, 783, 784a.A. wonach jedenfalls bei schwerwiegenden Rechtsfehlern eine Zulassung der Revision gebotensein kann: BFH 18.07.2001 – X B 46/01, BFH/NV 2001, 1596; BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, BStBl. II 2001, 837; BFH 17.12.2002 – I B 35/02, BFH/NV 2003, 784Auf die Offensichtlichkeit eines schwerwiegenden und gegen das Willkürvebot verstoßendenRechtsfehlers kommt es nicht an: BGH 11.05.2004 – XI ZB 39/03, WM 2004, 1407; BGH07.10.2004 -–V ZR 328/03, NJW 2005, 153. Maßgebend ist, ob eine gegen die Vorschriften <strong>des</strong>formellen bzw. materiellen rechts verstoßende Entscheidung von Verfassungs wegen einer Korrekturbedarf: BGH 07.10.2004 -–V ZR 328/03, NJW 2005, 153 u.H.a. BGH 27.03.2003 – V ZR291/02, BGHZ 154, 288, 296BFH 27.10.2011 – VI B 79/11, BFH/NV 2012, 235 Rdn. 4, wonach der Amtsermittlungsgrundsatzinsbesondere dort vom FG zu beachten ist, wo es um Fragen von entscheidungserheblicherBedeutung geht. „In diesen Fällen muß es [das FG] jedenfalls solchen tatsächlichen Zweifelnnachgehen, die sich ihm nach Lage der Akten und dem Vortrag der Beteiligten aufdrängen müssen...“BFH 14.02.2006 – II B 30/05, BFH/NV 2006, 1056, 1057


- 262 - 262929930931932933Verzicht auf eine entsprechende Rüge. 1543) Werden ferner Beweisanträge vom FGabgelehnt, so wird die Frage, ob dies verfahrensfehlerhaft war, vom BFH nach Maßgabeder Rechtsauffassung <strong>des</strong> FG beurteilt. 1544) Und die Frage der materiellrechtlichenUnrichtigkeit der Rechtsauffassung <strong>des</strong> FG ist nicht der Verfahrensrüge <strong>des</strong>§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zugänglich, sondern wird vom BFH nur dann gewürdigt,wenn ein Nichtzulassungsbeschwerdegrund gegeben ist. 1545) Bedenkt man, welcheformalen Hürden durch die BFH-Rechtsprechung für eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerdeaufgebaut worden sind, von denen in diesem Buch u.a. berichtetwird, so kann ein FG relativ ungefährdet durch Übergehen von Beweisanträgen mitfehlerhaftem Urteil, das alleine ob seiner Fehlerhaftigkeit einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerdenicht zugänglich ist, den Betroffenen rechtlos stellen, ohnedass dieser sich dagegen wehren kann. Mit effektivem Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4GG) hat diese Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH nicht zu tun.Auch hier stellt sich die Frage, ob dies nicht dem BVerfG gegenüber thematisiert werdensollte. Denn es ließe sich durchaus eine zum BFH gegenteiliger Standpunkt vertreten,der den Rechtsschutz effektiver werden ließe wie folgen<strong>des</strong> zeigt:Man muß nämlich unterscheiden zwischen der Beweiserheblichkeit einer Tatsachenfrage,was eine Frage <strong>des</strong> materiellen Rechts ist und dem Übergehen eines entscheidungserheblichenBeweisantrages, was eine Frage <strong>des</strong> Verfahrensrechts ist (Art. 103Abs. 1 GG).- Ob eine Tatsachenfrage beweiserheblich ist, ist sicherlich eine Frage <strong>des</strong> materiellenRechts. Es ist aber nicht zwingend, zur Beurteilung dieser Frage auf dieMeinung <strong>des</strong> FG ungeachtet der zu beantwortenden Frage abzustellen, ob die vomFG vertretene Auffassung rechtsfehlerhaft ist oder nicht. Ob eine Tatsachenfragebeweiserheblich ist, richtet sich nicht nach der fehlerhaften Auffassung <strong>des</strong> FGsondern nach einer rechtsfehlerfreien Würdigung <strong>des</strong> Sachverhaltes.- Und wird vor diesem Hintergrund ein Beweisantrag fehlerhaft übergangen, dannstellt dies einen Verfahrensfehler i.S.d. Art. 103 Abs. 1 GG dar, der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenim Rahmen <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auch rügefähigsein muß.Die dem entgegenstehende Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH ist ersichtlich auf Verkürzung<strong>des</strong> Rechtsschutzes <strong>des</strong> Einzelnen angelegt, um auf diese Weise arbeitsökonomischmit all den Nichtzulassungsbeschwerden nicht vertieft befassen zu müssen, in welchendas FG materiellrechtlich fehlerhaft entschieden hat und gleichzeitig Beweisanträgeübergangen hat.1543)1544)1545)BFH 08.06.2011 – X B 250/10, BFH/NV 2011, 1711BFH 20.04.2006 – VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338, 1341; BFH 06.07.2006 – IX B 23/06,BFH/NV 2006, 1871, 1872; BFH 12.07.2006 – IX B 183/05, BFH/NV 2006, 2105; BFH24.07.2006 – VIII B 233/05, BFH/NV 2006, 2110, 2111; BFH 21.08.2006 – I B 95/05, BFH/NV2006, 2121; BFH 22.08.2006 – IV B 109/04, BFH/NV 2006, 2288; BFH 18.09.2006 – IX B154/05, BFH/NV 2007, 31, 32; BFH 15.01.2007 – IX B 239/06, BFH/NV 2007, 1088, 1089; BFH30.04.2008 – VI B 131/07, BFH/NV 2008, 1475 f.BFH 03.01.2006 – IX B 56/05, BFH/NV 2006, 954


- 263 - 263934935Wollte man dies beim BVerfG nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges thematisieren,wäre mit anzusprechen, dass- im Finanzrechtsweg nur 1 Tatsacheninstanz zur Verfügung steht,- die durchschnittliche Verfahrensdauer für Einspruchs- und FG-Verfahren zwischen4 ½ Jahren und 7 Jahren liegt und- die Richterbank nahezu ausschließlich mit ehemaligen Finanzbeamten besetzt istund- mit zuvor Ausgeführten durch die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH im Zusammenhangmit Beweisen und Beweisanträgen der Rechtsschutz Betroffener gezielt und contralegem verkürzt wird.Mit effektivem Rechtsschutz i.S. Art. 19 Abs. 4 GG hat diese Kummulation dieserUmstände nichts mehr zu tun.936937XI. Nichtzulassungsbeschwerde 1546)1. AllgemeinesImmer dann, wenn ein FG die Revision nicht ausdrücklich zugelassen hat, ist ein Fallder Nichtzulassung der Revision gegeben. 1547) Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenist lediglich der Antrag zu stellen, die Revision zuzulassen. Ein weiter gestellterRevisionsantrag ist unzulässig. 1548) Auch ist eine Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig,die nur hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Revisionseinlegung erhobenwurde. 1549)Die Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde und die einerRevision unterscheiden sich. Denn eine Nichtzulassungsbeschwerde dient nichtdazu, die Richtigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Urteils zu überprüfen und in diesem Zusammenhangdie Tatsachenwürdigung und Rechtsauffassung <strong>des</strong> FG zu beanstanden; solchesist nur im Revisionsverfahren möglich. 1550) Eine Ausnahme von diesem Grundsatzist nur dann gegeben, wenn das angefochtene Urteil an einem offensichtlichenformellen oder materiellen Fehler im Sinne einer willkürlichen Entscheidung leidet.1551)1546)1547)1548)1549)1550)1551)BFH 30.03.2000 – V B 184/99, BFH/NV 2000, 1223 (Keine Revisionszulassung wg. Rechtsanwendungsfehler);BFH 31.03.2000 – VII B 87/99, BFH/NV 2000, 1224 (Rechtsmitteleinlegungper Telefax); List DB 2002, 1069BFH 27.03.2013 – I R 71/12, BFH/NV 2013, 1108BFH 03.07.2012 – IX B 38/12, BFH/NV 2012, 1824BFH 27.03.2013 – I R 71/12, BFH/NV 2013, 1108BFH 17.01.2006 – VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799; BFH 30.05.2006 – III B 122/05, BFH/NV2006, 1842, 1843; BFH 03.04.2007 – VIII B 110/06, BFH/NV 2007, 1273, 1274; BFH23.05.2008 – IX B 260/07, BFH/NV 2008, 1477; BFH 24.06.2008 – IX B 27/08, BFH/NV 2008,1490BFH 17.01.2006 – VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799


- 264 - 264938939940941942Die Nichtzulassungsbeschwer<strong>des</strong>chrift und –begründung muß von einem postulationsfähigenProzessvertreter stammen. Es reicht nicht, daß dieser sie lediglich unterschriebenhat und später erklärt, sich den Inhalt <strong>des</strong> von ihm Unterschriebenen zu eigen zumachen. 1552) Sie kann an das vorgesehene elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach<strong>des</strong> BFH übermittelt werden, ohne daß eine qualifizierte elektronische Signaturverwendet wurde; denn eine solche Signatur ist für die Einlegung von Rechtsmittelnbeim BFH nicht vorgeschrieben. 1553) Der BFH hat entschieden, daß die in § 52aAbs. 1 Satz 3 FGO enthaltene Vorgabe einer elektronischen Signatur als Adressat denVerordnungsgeber und nicht den Rechtsmittelführer hat, wobei der Verordnungsgeberdiese Vorgabe bisher nicht umgesetzt habe. Denn die Verordnung sehe keine Pflichtzur Verwendung der elektronischen Signatur vor, was vom BFH nicht ersetzt werdenkönne. 1554)Eine Nichtzulassungsbeschwerde muß die Voraussetzungen <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 FGO inklarer Gliederung der Zulassungstatbestände darlegen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), umnicht als unzulässig zurückgewiesen zu werden bzw. bezüglich der Annahme der Revisionerfolgreich zu sein. 1555) Dies bedeutet auch, dann, wenn es zu der im Beschwerdeverfahrenherauszustellenden Rechtsfrage bereits Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH gibt,auch aufzuzeigen, weshalb gleichwohl aufgrund welcher (neuen) Entwicklung derBFH damit erneut befaßt werden soll. 1556) Bei einer Zulassung der Revision dagegenist der Revisionskläger an den Zulassungsgrund nicht gebunden, so dass der Grundsatzder Vollrevision gilt. 1557) Ferner ist bei einer Revisionsbegründung der BFH im Grundean die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden und kann auch aus einemanderen, als dem geltend gemachten, Revisionsgrund zusprechen (§ 118 Abs. 3FGO). 1558)Von der Frage der Erfolgsaussicht einer Nichtzulassungsbeschwerde ist die der Durchführungderselben zu unterscheiden:Wurde vom FG die Revision nicht zugelassen, so kann die Nichtzulassung der Revision– nicht etwa das finanzgerichtliche Urteil als solches – durch Beschwerde angefochtenwerden (§ 116 Abs. 1 FGO). Dies erfordert für den Anwalt, Steuerberaterbzw. Wirtschaftsprüfer ein neues Mandant.Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung <strong>des</strong> vollständigenfinanzgerichtlichen Urteils beim BFH einzulegen (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO) und innerhalbeiner Frist von zwei Monaten nach Zustellung <strong>des</strong> vollständigen Urteils zubegründen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) 1559) - auch die Begründung ist beim BFH einzureichen(§ 116 Abs. 3 Satz 2 FGO) -; eine einmalige Verlängerung um einen Monat ist1552)1553)1554)1555)1556)1557)1558)1559)BFH 29.03.2007 – VII B 297/06, BFH/NV 2007, 1339; BFH 03.05.2007 – V B 180/06, BFH/NV2007, 1676, 1677BFH 30.03.2009 – II B 168/08, DStR 2009, 1091 Rdn. 6BFH 30.03.2009 – II B 168/08, DStR 2009, 1091 Rdn. 11 f.BFH 25.01.2012 – VII B 124/11, BFH/NV 2012, 1458; BFH 26.06.2012 – IV B 34/12, BFH/NV2012, 1621 Rdn. 5; List DB 2003, 572, 573BFH 13.01.2011 – V B 65/10, BFH/NV 2011, 646Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl. 2002, § 115 Rdn. 115 m.w.N.Lange DB 2001, 2312BFH 27.09.2001 – III B 95/01, BFH/NV 2002, 69


- 265 - 265943944945946möglich (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO), 1560) wobei der Verlängerungsantrag zu begründenist. 1561) Die Beschwerdebegründungsfrist bei Gewährung von Prozeßkostenhilfe beträgtdagegen 2 Monate ab Zustellung <strong>des</strong> Beschlusses über die Gewährung der Prozeßkostenhilfe.1562) Folglich besteht bereits insoweit bei der Einlegung der NichtzulassungsbeschwerdeVertretungszwang gemäß § 62a Abs. 1 Satz 2 FGO. Vertretungsberechtigtvor dem BFH sind Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte,Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer(§§ 62a Abs. 1 Satz 1 FGO, 3 Nr. 1 StBerG) sowie die in den §§ 62a Abs. 2 FGO, 3Nr. 2 und 3 StBerG genannten Gesellschaften, wozu auch Rechtsanwaltsgesellschaftenin der Rechtsform einer AG gehören. 1563)Die Nichtzulassungsbeschwerde muß folglich von dem Vertretungsberechtigten selbststammen; es reicht nicht, dass er einen von einer anderen Person verfaßten Nichtzulassungsbeschwer<strong>des</strong>chriftsatznur unterzeichnet. 1564)Aber auch hier gilt: Die Befugnis zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerdequalifiziert noch nicht für die Prozessvertretung. Denn auch hier sollte nur der- oderdiejenige für die Durchführung eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens herangezogenwerden, der/die darin erfahren ist. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerdehemmt die Rechtskraft <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Urteils (§ 116 Abs. 4 FGO).Die Nichtzulassungsbeschwerde – nicht erst die Begründung - muß das angefochteneUrteil, also das <strong>des</strong> FG, das Datum und Aktenzeichen der Entscheidung, bezeichnen(§ 116 Abs. 2 Satz 2 FGO) und es ist eine Ausfertigung bzw. Abschrift <strong>des</strong> Urteils,gegen das Revision eingelegt werden soll, beizufügen (§ 116 Abs. 2 Satz 3 FGO). DieZulassungsgründe (§ 116 Abs. 3 Satz 2 FGO) können in der Nichtzulassungsbeschwerdeoder in einem gesonderten Begründungsschriftsatz aufgezeigt werden. DiePrüfung durch den BFH beschränkt sich auf die in Frist <strong>des</strong> § 116 Abs. 3 FGO vorgetragenenZulassungsgründe. 1565)Mit dem BVerfG 1566) bedeutet dies nicht, daß der Beschwerdeführer die Zulassungsgründeauch zutreffend paragraphenmäßig zugeordnet haben muß. Wenn folglich z.B.die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung ausreichende Gründe der grundsätzlichenBedeutung aufgezeigt hat, ohne daß der Zulassungsgrund der „grundsätzlichen Bedeutung“paragraphenmäßig (z.B. §§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) benanntwurde, ändert dies nichts daran, daß der BFH dann auch die Frage der grundsätzlichenBedeutung als Zulassungsgrund prüfen muß.1560)1561)1562)1563)1564)1565)1566)BFH 21.09.2001 – IV B 118/01, NJW 2002, 168; BFH 27.07.2005 – II B 22/05, BFH/NV 2005,2036, 2037Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 160BFH 13.03.2003 – VII B 196/02, BFH/NV 2003, 1007; BFH 23.02.2004 – XI B 164/02, BFH/NV2004, 969BFH 11.03.2004 – VII R 15/03, BStBl. II 2004, 566; BFH 03.06.2004 – IX B 71/04, BFH/NV2004, 1290; BFH 15.07.2004 – III B 86/03, BFH/NV 2004, 1661; BFH 15.11.2004 – VII B103/04, BFH/NV 2005, 570; BFH 07.12.2004 – X B 44/04, BFH/NV 2005, 573; a.A. FG Köln11.02.2004 – 11 K 5324/02, EFG 2004, 914Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1103 und 1107BFH 30.11.2006 – XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn.31, 32BVerfG 28.06.2012 – 1 BvR 2952/08, Rdn. 20 letzter Satz


- 266 - 266947948949950Die Revisionszulassungsgründe müssen innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist<strong>des</strong> § 116 Abs. 3 Satz 1 oder 4 FGO dargelegt werden. Nachgeschobene Gründe außerhalbdieser Frist bleiben unberücksichtigt. 1567) Wird die Beschwerdebegründungdurch ein sog. Computerfax übermittelt, so ist dies auch dann wirksam, wenn eineeigenhändige Unterschrift fehlt. 1568)Die Begründung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerde ist wie folgt vorzunehmen. Dabeisollten Verweisungen auf Schriftsätze vermieden und statt <strong>des</strong>sen Kopien <strong>des</strong> Schriftsatzes,auf den man sich bezieht, als Anlage dem Nichtzulassungsbeschwerdebegründungsschriftsatzbeigefügt werden. 1569) Zugleich ist aufzuzeigen, dass und inwieweitsich das FG in seinem Urteil damit nicht auseinandergesetzt hat. Beruht das Urteil <strong>des</strong>FG auf mehreren Gründen, von denen jede Begründung für sich gesehen das Urteilträgt, dann muß für jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund schlüssig dargetan werden.1570)Schließlich ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung <strong>des</strong> Rechtsstreites vonder zu beurteilenden Rechtsfrage abhängt. 1571) Dies ist dort von Bedeutung, wo das FGfür sein Urteil auf mehrere kumulativ nebeneinander stehende Begründungen abgestellthat. Dann ist es für eine Revisionszulassung erforderlich, darzulegen, dass fürjede der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund gegeben ist. 1572) Hat das FGdagegen sein Urteil auf alternative Rechtsgründe gestützt, ist eine Zulassung berechtigt,wenn ein Zulassungsgrund nur für einen der Rechtsgründe gegeben ist. 1573)Der BFH ist an den geltend gemachten Nichtzulassungsbeschwerdegrund nicht gebundenund kann folglich auch aus einem anderen Nichtzulassungsbeschwerdegrund(z.B. Verletzung eines Verfahrensfehlers) zulassen. 1574) Hat sich nach Einlegung einerNichtzulassungsbeschwerde ihre Erfolgsaussicht dadurch erledigt, daß der BFH ineiner anderen Sache entschieden hat, darf mit dem BVerfG 1575) der BFH <strong>des</strong>halb dieNichtzulassungsbeschwerde nicht verwerfen. Kommt es während <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenszu einem Änderungsbescheid, so kann der BFH entsprechend§ 127 FGO verfahren, wenn der Änderungsbescheid gegenüber der bisherigenBelastung eine Verböserung enthält und diese Entscheidung streitig ist. 1576)1567)1568)1569)1570)1571)1572)1573)1574)1575)1576)BFH 27.09.2001 – XI B 25/01, BFH/NV 2002, 213BFH 27.01.2003 – VI B 125/99, BFH/NV 2003, 646 m.w.N.BFH 28.04.1987 - VIII R 307/81, BFH/NV 1987, 793; BFH 30.06.1987 - VIII R 104/83,BFH/NV 1988, 306; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 33BFH 01.07.2009 – VII B 78/09, BFH/NV 2009, 1781, 1782Beermann DStZ 2001, 155, 159BFH 20.01.2003 – III B 63/02, BFH/NV 2003, 644; BFH 21.11.2003 – III B 43/03, BFH/NV2004, 371; BFH 09.12.2004 – V B 85/04, BFH/NV 2005, 712; BFH 27.01.2006 – II B 06/05,BFH/NV 2006, 908, 909; Beermann DStZ 2001, 155, 159; Lange DB 2001, 2312, 2313Beermann DStZ 2001, 155, 159BFH 28.05.2003 – VII B 236/02, BFH/NV 2003, 1208, 1209BVerfG 25.07.2005 – 1 BvR 2419, 2420/03, WM 2005, 2014 f.BFH 31.03.2006 – V B 12/04, BFH/NV 2006, 1491; BFH 31.03.2006 – V B 13/04, BFH/NV2006, 1492; BFH 07.02.2008 – X B 39/07, BFH/NV 2008, 965


- 267 - 267951952953Ist eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen worden, dann ist in der Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH unklar, ob eine Gegenvorstellung dagegen grundsätzlich statthaftist. Der VIII. Senat <strong>des</strong> BFH 1577) bejaht dies. Aber die Gegenvorstellung kann sichdann nur auf solche Gründe beziehen, die innerhalb der Begründungsfrist der Nichtzulassungsbeschwerdebereits ordnungsgemäß dargelegt worden waren. Dagegen verneinender IV., V. und VIII. Senat <strong>des</strong> BFH 1578) grundsätzlich, Rechtsausführungen ineiner Nichtzulassungsbeschwerde mit einer Gegenvorstellung anzugreifen, es seidenn, es läge ausnahmsweise ein Fall der Versagung <strong>des</strong> gesetzlichen Richters (Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG), eine greifbare Gesetzwidrigkeit 1579) oder ein Verstoß gegenArt. 19 Abs. 4 GG vor. Der II. Senat <strong>des</strong> BFH bejaht die Zulässigkeit einer Gegenvorstellunggegen eine formell rechtskräftige Entscheidung <strong>des</strong> BFH bei Verletzung vonVerfahrensgrundrechten. 1580) Und der XI. Senat <strong>des</strong> BFH 1581) hält eine Gegenvorstellungnur ausnahmsweise bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen (Art. 103 Abs.1, 101 Abs. 1 Satz 2 GG) oder wenn die angegriffene Entscheidung jeder gesetzlichenGrundlage entbehrt für zulässig. Jedenfalls ist eine außerordentliche Beschwerde gegenden Beschluss der Nichtzulassung der Revision nicht statthaft. 1582) Ob eine Umdeutungin eine Gegenvorstellung möglich ist, hat der BFH offen gelassen. 1583)Diese Thematik hat sich für Verfahrensgrundrechtsverletzungen gemäß Art. 103 Abs.1 GG durch die Möglichkeit der Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO inzwischen erledigt.Nicht erledigt hat sie sich für die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts gemäßArt. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, da für dieses Verfahrensgrundrecht § 133a FGO nichteinschlägig ist.Es hat folglich den Anschein, daß jedenfalls bei der Verletzung <strong>des</strong> vorgenannten Verfahrensgrundrechtesgemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Gegenvorstellung zulässigist. Dies könnte zur Folge haben, daß eine auf Verletzung dieses Verfahrensgrundrechtesgestützte Verfassungsbeschwerde gegen eine formell rechtskräftige Entscheidung<strong>des</strong> BFH nicht zulässig wäre, da der Rechtsweg noch nicht erschöpft wäre, solange die Gegenvorstellung möglich wäre. So lange dies aber noch nicht einheitlicheRehtsprechung aller Senate <strong>des</strong> BFH ist, sollte sicherheitshalber in den Fällen zweispuriggefahren werden, in denen es nur um die Verletzung <strong>des</strong> Verfahrensgrundrechtes<strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geht: Rüge derselben über Gegenvorstelllung bin-1577)1578)1579)1580)1581)1582)1583)BFH 22.01.2003 – VIII S 08/02, BFH/NV 2003, 646. Zur Frage <strong>des</strong> Fristlaufs einer Verfassungsbeschwerdegegen eine zurückgewiesene Nichtzulassungsbeschwerde, wenn eine Gegenvorstellunggegen die Nichtzulassungsbeschwerde statthaft ist. Siehe auch BFH 05.06.2003 – V B183/02, BFH/NV 2003, 1352BFH 24.07.2003 – V B 250/02, BFH/NV 2003, 1596; BFH 18.08.2003 – VIII S 12/03, BFH/NV2003, 1606; BFH 26.11.2004 – IV S 12/04, BFH/NV 2005, 1094, 1095Zur Revisionszulassung wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit BFH 28.07.2003 – V B 72/02,BFH/NV 2003, 1597BFH 22.10.1986 – II B 144/86, BFH(NV 1987, 378; BFH 24.09.2003 – II S 03/03, BFH/NV2004, 210BFH 15.01.2004 – XI S 18/03, BFH/NV 2004, 792BFH 09.02.2007 – XI B 180/06, BFH/NV 2007, 1151BFH 09.02.2007 – XI B 180/06, BFH/NV 2007, 1151, 1152


- 268 - 268954nen einer 2-Wochenfrist (§§ 155 FGO, 321a ZPO) 1584) und gleichzeitig erhobenerVerfassungsbeschwerde binnen einer 4-Wochenfrist (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).Dabei sollte bei der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Frage der Rechtswegerschöpfungdie noch vorhandene Unsicherheit in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH dargelegtwerden und beantragt werden, das Verfassungsbeschwerdeverfahren vorläufigbis zur Entscheidung über die Gegenvorstellung ruhen zu lassen. Die Einlegung derVerfassungsbeschwerde sollte mit der Mitteilung verbunden werden, daß ein Rechtsbehelfder Gegenvorstellung eingelegt wurde und dies mit der Bitte verbunden werden,die Verfassungsbeschwerde <strong>des</strong>halb „einstweilen noch nicht in das Verfahrensregistersondern vorläufig in das Allgemeine Register einzutragen.“ 1585) Auf diese Weisegelange – so Lübbe-Wolff – die Verfassungsbeschwerde, obwohl fristgemäß eingelegt,erst in den Verfahrensgang, wenn der Rechtsweg unzweifelhaft erschöpft ist.Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde ohne Begründung zurückgewiesen (§ 116 Abs.5 Satz 2 HS 2 FGO), liegt darin kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, zumal dieserAblehnungsbeschluss mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar ist. 1586) Ob eine Anhörungsrüge(§ 133a FGO) dagegen statthaft bzw. zulässig ist, hängt von der Beantwortungder Frage ab, ob diese nur statthaft ist, wenn dem BFH selbst ein Verstoßgegen Art. 103 Abs. 1 GG unterlaufen ist oder auch dann, wenn bei nicht begründetemAblehnungsbeschluss nicht feststellbar ist, ob er einen in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründunggerügten Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG verarbeitet hat.9552. Rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 1FGO)a) ZulassungsgrundUm die rechtsgrundsätzliche Bedeutung darzulegen, muß eine bestimmte, zum Zeitpunktder Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde, relevante Rechtsfrageabstrakt und losgelöst vom konkreten Fall dargelegt und ausformuliert werden, die derKlärung durch den BFH bedarf. 1587) Dies, um damit das abstrakte Interesses der Allgemeinheitan einer einheitlichen Rechtsentwicklung und Handhabung <strong>des</strong> Rechts darzulegen.1588) Eine immer wieder anzutreffende Formulierung der grundsätzlichen Bedeutunglautet:1584)1585)1586)1587)1588)BFH 29.09.2003 – IV B 146/03, BFH/NV 2004, 211. Aber BFH 13.10.2005 – IV S 10/05, HFR2006, 174, 175, wonach eine für den Fall gravierender Rechtsverletzung auf Art. 19 Abs. 4 GGgestützte Gegenvorstellung weder fristgebunden noch kostenpflichtig ist.Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509, 514BFH 15.03.2007 – XI S 33/06, BFH/NV 2007, 1180BVerfG 28.02.1979 – 2 BvR 84/79, BVerfGE50, 287; BVerfG 14.11.1989 – 1 BvR 956/89, BVerfGE 81, 97, 106BFH 14.06.1995 - II B 5/95, BFH/NV 1996, 141; BFH 05.09.2001 – VIII B 18/01, BFH/NV2002, 205; BFH 27.09.2001 – XI B 25/01, BFH/NV 2002, 213; BFH 21.11.2001 – VII B 82/01,BFH/NV 2002, 471 f.; BFH 16.04.2002 – X B 102/01, BFH/NV 2002, 1045; BFH 10.04.2003 –X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082; BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; Seer in:Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 41BFH 12.10.2005 – XI B 203/04, BFH/NV 2006, 239; BFH 10.04.2006 – X B 162/05, BFH/NV2006, 1332, 1333


- 269 - 269956957„Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wenn eine Fragezu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärungdas Interesse an der Fortentwicklung und Handhabung <strong>des</strong> Rechtsbetrifft. Sie muß klärungsbedürftigund klärbar sein. Eine Rechtsfrage ist u.a. nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereitsdurch die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind,die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinenlassen.“ 1589)Auch hier ist der BFH anscheinend nicht bereit, sich trotz veränderten Gesetzeswortlautesvon herkömmlichen Anforderungen seiner Rechtsprechung, die sich nicht ausdem Gesetz ergab, zu trennen, wenn er fordert:„Wird die grundsätzliche Bedeutung mit einer Abweichung von einer Entscheidung <strong>des</strong> EuGHbegründet, sind an die Darstellung der Abweichung sinngemäß dieselben Anforderungen zustellen wie an die schlüssige Darstellung der Divergenz zu einer Entscheidung <strong>des</strong> BFH i.S. <strong>des</strong>§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. Es muss ein tragender Rechtssatz aus der angefochtenen Entscheidung<strong>des</strong> FG herausgestellt werden, der zu einem tragenden Rechtssatz in der Entscheidung<strong>des</strong> EuGH in Widerspruch steht (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 V B 129/99,BFH/NV 2000, 997).“ 1590)Insoweit hat sich nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH gegenüber § 115 Abs. 2 Nr. 1FGO a.F. nichts geändert. 1591) Positiv sind die oben dargelegten Voraussetzungen anzusprechen.Negativ ist auszuführen, dass und warum kein Fall der §§ 116 Abs. 3 Satz2, 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gegeben ist. 1592)958b) KlärungsbedürftigkeitEs ist alsdann die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage darzulegen. 1593) Diese ist gegeben,wenn eine Rechtsfrage wegen einer Unklarheit im Gesetz zweifelhaft oderumstritten ist, wobei solche Rechtsfragen Verfahrensrecht, materielles Recht, Verfassungsrechtoder Gemeinschaftsrecht betreffen können. 1594) Eine Klärungsbedürftigkeitkann aber auch dann gegeben sein, wenn Unklarheiten einer Rechtsfrage zu „unter-1589)1590)1591)1592)1593)1594)BFH 14.04.2009 – IV B 104/07, BFH/NV 2009, 1398, 1399 m.w.N.BFH 28.06.2001 – VII B 299/00, BFH/NV 2001, 1592; ähnlich BFH 04.12.2001 – III B 90/01,BFH/NV 2002, 649; BFH 12.12.2001 – III B 103/01, BFH/NV 2002, 652, 653BFH 14.08.2001 – XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51, 52; BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, HFR2002, 35, 36; BFH 17.10.2001 – III B 97/01, BFH/NV 2002, 366, 367; BFH 04.12.2001 – III B90/01, BFH/NV 2002, 649; BFH 12.12.2001 – III B 103/01, BFH/NV 2002, 652, 653Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1116BFH 26.07.2001 – X B 06/01, BFH/NV 2002, 37, 38; BFH 05.09.2001 – VIII B 18/01, BFH/NV2002, 205; BFH 12.11.2001 – VIII B 61/01, 2002, 220; BFH 17.10.2001 – III B 97/01, BFH/NV2002, 366, 367; BFH 26.10.2001 – II B 104/00, BFH/NV 2002, 499; BFH 26.10.2001 – II B107/00, BFH/NV 2002, 500; BFH 21.11.2001 – VII B 82/01, BFH/NV 2002, 471, 472; BFH20.12.2001 – VI B 198/99, BFH/NV 2002, 659; BFH 10.04.2003 – X B 109/02, BFH/NV 2003,1082; BFH 17.07.2003 – X B 19/03, BFH/NV 2003, 1594; BFH 28.08.2003 – VII B 71/03,BFH/NV 2004, 493. Beermann DStZ 2001, 155, 157; Lange DB 2001, 2312, 2313BFH 29.11.2002 – VIII B 127/02, BFH/NV 2003, 746: Wenn eine Rechtsfrage offensichtlich sozu beantworten ist wie vom FG geschehen, ist keine Klärungsbedürftigkeit gegeben.Beermann DStZ 2001, 155, 157; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 47 und § 116 Rdn.42


- 270 - 270959schiedlichen oder nicht mehr hinnehmbaren Rechtsfolgen auch z.B. wirtschaftlicheroder sozialer Art führen kann.“ 1595) Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage solltezu der ausformulierten Rechtsfrage die Gesetzesfassung, die Gesetzesbegründung, dieRechtsprechung – soweit vorhanden bzw. zumin<strong>des</strong>t in einem obiter dictum einer Entscheidung<strong>des</strong> BFH 1596) angesprochen; dabei muß es sich nicht unbedingt um Rechtsprechungvon FG´s bzw. <strong>des</strong> BFH handeln -, die Verwaltungspraxis und das Fachschrifttumunter Angabe der Fundstellen dargelegt werden. 1597) Dabei ist aufzuzeigen,dass und warum Auffassungsunterschiede von wem bestehen 1598) und welche Gesichtspunktenoch nicht berücksichtigt worden sind. 1599) Auch ist darzulegen, warumRechtsprechungsgrundsätze zu ähnlichen bzw. vergleichbaren Sachverhalten auf diezu entscheidende Fallvariante nicht übertragbar sind. 1600) Folglich kann es keine Klärungsbedürftigkeitbei einer eindeutigen Rechtslage geben. Und es ist darzulegen, dassund warum die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftigist. 1601)Ausnahmsweise kann es trotz vorhandener Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH eine Klärungsbedürftigkeiteiner Rechtsfrage geben, wenn z.B. im Fachschrifttum gewichtige Einwändegegen die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH erhoben wurden, mit denen sich der BFHnoch nicht auseinandergesetzt hat. 1602) In einem solchen Fall muß ausführlich undsubstantiiert vorgetragen werden, warum die bisher höchstrichterlich bereits beantwortetenFragen nach wie vor umstritten sind und welche neuen und gewichtigen,vom BFH noch nicht geprüften, Argumente dieserhalb vorhanden sind. 1603) Dies setzteine ausführliche Auseinandersetzung mit der bereits vorhandenen BFH- Rechtsprechungvoraus. 1604)1595)1596)1597)1598)1599)1600)1601)1602)1603)1604)Beermann DStZ 2001, 155, 157Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGO Rdn. 47BFH 28.07.2006 – III B 28/05, BFH/NV 2006, 2273, 2274; BFH 03.08.2006 – VIII B 192/05,BFH/NV 2006, 2118; BFH 24.07.2008 – II B 38/08, BFH/NV 2008, 1817, 1818. Dürr, Der Steuerberatervor dem Finanzgericht, Seite 161.BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, HFR 2002, 35, 36; BFH 17.10.2001 – III B 97/01, BFH/NV2002, 366, 367; BFH 21.11.2001 – VII B 82/01, BFH/NV 2002, 471, 472 BFH 04.12.2001 – III B90/01, BFH/NV 2002, 649; BFH 12.12.2001 – III B 103/01, BFH/NV 2002, 652, 653; BFH14.12.2001 – VII B 44/01, BFH/NV 2002, 655, 656; BFH 10.04.2006 – X B 162/05, BFH/NV2006, 1332, 1333; BFH 06.11.2007 – X B 209/07, BFH/NV 2008, 243 f.BFH 07.01.2002 – III B 61/01, BFH/NV 2002, 666BFH 08.08.2002 – II B 62/01, BFH/NV 2003, 62; BFH 25.01.2005 – I B 84/04, BFH/NV 2005,1315, 1316BFH 01.07.2003 – X B 172/02, BFH/NV 2003, 1439; BFH 10.04.2006 – X B 162/05, BFH/NV2006, 1332, 1333BFH 27.09.2001 – XI B 25/01, BFH/NV 2002, 213, 214; BFH 30.10.2001 – X B 147/01,BFH/NV 2002, 505; BFH 21.11.2001 – VII B 82/01, BFH/NV 2002, 471, 472; BFH 19.11.2002 –VII B 123/02, BFH/NV 2003, 294; BFH 27.09.2005 – XI B 184/04, BFH/NV 2006, 745; BFH17.05.2006 – VIII B 130/05, BFH/NV 2006, 1748, 1749. Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGORdn. 43BFH 19.08.2002 – II B 122/01, BFH/NV 2003, 64 f.; BFH 13.11.2002 – VIII B 35/02, BFH/NV2003, 333; BFH 13.08.2003 – I B 04/03, BFH/NV 2004, 63; BFH 10.10.2003 – IV B 61/02,BFH/NV 2004, 500BFH 24.04.2006 – III B 164/05, BFH/NV 2006, 1468, 1469


- 271 - 271960961962963964965Andererseits kann die grundsätzliche Bedeutung nicht alleine damit begründet werden,dass der BFH über eine Rechtsfrage noch nicht entschieden habe. 1605) Ohne es abschließendzu entscheiden, meint der IV. Senat <strong>des</strong> BFH, 1606) eine Nichtzulassungsbeschwer<strong>des</strong>ei dann zuzulassen,„wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen<strong>des</strong> materiellen oder Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferischauszulegen.“Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so ist eine substantiierteDarlegung erforderlich, die einerseits die Norm an den Vorgaben <strong>des</strong> Grundgesetzesabgleichen muß und andererseits sich mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH und BVerfGauseinandersetzen muß. 1607) Ferner ist darzulegen, dass und warum eine normverwerfendeEntscheidung <strong>des</strong> BVerfG - für den Fall der Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1GG - zu einer rückwirkenden Neuregelung der beanstandeten Norm für alle nochoffenen Fälle führen wird. 1608)Wird ein Verstoß gegen eine Norm <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts gerügt und dies unterdem Aspekt der grundsätzlichen Bedeutung, dann ist zweierlei vorzutragen:- Einerseits ist das Gemeinschaftsrecht sowie die dazu ergangene Rechtsprechungdarzulegen, um zu verdeutlichen, warum eine gemeinschaftsrechtliche Rechtsfrageentscheidungserheblich ist. Und in diesem Zusammenhang ist der Verstoßgegen das Gemeinschaftsrecht aufzuzeigen. 1609)- Sodann sind gesondert die Voraussetzungen der grundsätzlichen Bedeutung aufzuzeigen.1610)Es müssen mithin Gründe vorgetragen werden, die voraussichtlich zur Zulassung derRevision und alsdann voraussichtlich zur Vorlage an den EuGH (Art. 267 Abs. 3AEUV) führen könnten. 1611)Soweit der VII. Senat <strong>des</strong> BFH 1612) iudiziert, eine die Rüge, ein FG habe durch seineRechtsprechung die Gefahr begründet, daß eine fristgerechte Umsetzung einer Richtlinieerschwert oder vereitelt worden sei, so daß ein Verstoß gegen das EU-Gemeinschaftsrechtgegeben sei, betreffe die konkreten Umstände <strong>des</strong> Einzelfalles, so daß1605)1606)1607)1608)1609)1610)1611)1612)BFH 17.10.2001 – III B 97/01, BFH/NV 2002, 366, 367BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, HFR 2002, 35, 36 u.H.a. BGH 12.11.1970 1 StR 263/70,BGHSt 24, 15, 21 = NJW 1971, 389BFH 03.04.2001 – VI B 224/99, BFH/NV 2001, 1138; BFH 03.09.2001 – XI B 154/00, BFH/NV2002, 203; BFH 20.12.2001 – VI B 198/99, BFH/NV 2002, 659, 660; BFH 28.12.2001 – VII B110/01, BFH/NV 2002, 665; BFH 31.01.2005 – III B 59/04, BFH/NV 2005, 1081, 1082 f.; BFH02.05.2006 – II B 145/05, BFH/NV 2006, 1503, 1504; BFH 29.05.2006 – VIII B 191/05,BFH/NV 2006, 1658, 1659; BFH 20.03.2007 – X B 185/06, BFH/NV 2007, 1181 f. ; BFH10.02.2008 – X B 44/07, BFH/NV 2008, 970BFH 13.12.2001 – II B 37/00, BFH/NV 2002, 532BFH 09.11.2007 – IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390, 391; BFH 29.10.2008 – I B 84/08, BFH/NV2009, 191, 192BFH 09.11.2007 – IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390, 391BFH 03.12.2010 – V B 29/10, NFH/NV 2011, 563 Rdn. 3BFH 20.10.2008 – VII B 252/07, BFH/NV 2009, 425


- 272 - 272dem keine grundsätzliche Bedeutung zukommen könne, ist dies nicht nachvollziehbar.Gerade dann, wenn ein FG als Institution <strong>des</strong> Mitgliedstaates Bun<strong>des</strong>republikDeutschland seiner Amtspflicht nicht entspricht, dem Gemeinschaftsrecht zum Durchbruchzu verhelfen, mag dies ein Einzelfall sein. Da aber auch der BFH im Rahmen<strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens – selbst wenn dies im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrennicht gerügt worden wäre – von Amts wegen eigenständig verpflichtetwäre, dem Gemeinschaftsrecht zum Durchbruch zu verhelfen, hat er <strong>des</strong>halbwegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zuzulassen, um durch Revisionsentscheidungdem Gemeinschaftsrecht zum Durchbruch zu verhelfen. 1613)966967968c) KlärungsfähigkeitZur Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage gehört die Rechtserheblichkeit der aufgeworfenenFrage und dass eine Klärung auch erwartet werden kann, 1614) was voraussetzt, daßdie klärungsfähige Rechtsfrage auch entscheidungserheblich ist. 1615) Es muß sich folglichum reversibles Bun<strong>des</strong>recht handeln oder um Lan<strong>des</strong>recht, für das der Finanzrechtswegeröffnet ist (§ 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO). Nicht klärungsfähig ist z.B. irreversiblesRecht oder Vertragsauslegungsfragen. 1616)Im Hinblick auf Vertragsauslegung kann sich aber die Frage stellen, ob und inwieweitder BFH an die vom FG vorgenommene Vertragsauslegung gebunden ist (§ 118 Abs.2 FGO) oder nicht, was u.U. der Klärung der Rechtsfrage vorauszugehen hat. Hier giltes, zwischen Grundsatz und Ausnahme zu unterscheiden:- Grundsatz: Der BFH ist an die Vertragsauslegung <strong>des</strong> FG gebunden (§ 118 Abs. 2FGO), wenn den gesetzlichen Auslegungsregeln entspricht, auch wenn sie nichtzwingend sondern nur möglich ist. 1617)- Ausnahme: Der BFH ist an die Vertragsauslegung <strong>des</strong> FG nicht gebunden undkann sie folglich dieserhalb auch überprüfen, wenn das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln(§§ 133, 157 BGB) nicht beachtet hat bzw. gegen Denkgesetze undErfahrungssätze verstoßen hat. 1618)1613)1614)1615)1616)1617)1618)Zur Parallelproblematik beim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren im Zivilprozess siehe dazuVorwerk in: Kniffka/Quack/Vogel/<strong>Wagner</strong> (Hrsg.), FS f. Thode, 2005, Seite 645; Vorwerk in:Göcken/Remmers/Vorwerk/Wolf (Hrsg.), FS f. Scharf, 2008, Seite 317 jeweils m.w.N.BFH 27.10.1998 - X B 71/98, BFH/NV 1999, 631; BFH 26.07.2001 – X B 06/01, BFH/NV 2002,37, 38; BFH 21.11.2001 – VII B 82/01, BFH/NV 2002, 471 f.; BFH 31.10.2002 – XI B 42/02,BFH/NV 2003, 483; BFH 10.04.2003 – X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082; BFH 17.07.2003 – XB 19/03, BFH/NV 2003, 1594; BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; BFH14.03.2006 – I B 110/05, BFH/NV 2006, 1317 f.. Beermann DStZ 2001, 155, 157; Lange DB2001, 2312, 2313BFH 28.07.2004 – VII B 08/04, BFH/NV 2004, 1680; BFH 12.06.2006 – XI B 122/05, BFH/NV2006, 1789,BFH 29.11.2002 – VIII B 127/02, BFH/NV 2003, 746, 747: An eine Vertragsauslegung <strong>des</strong> FG,die den gesetzlichen Auslegungsregeln entspricht und die nicht offensichtlich gegen Denkgesetzeund allgemeine Erfahrungsgrundsätze verstößt, ist im Gegenteil der BFH sogar gebunden. AberBFH 22.01.2003 – II R 76/01, BFH/NV 2003, 1137, 1138: Eine Vertragsauslegung, die keinenAnhalt im Vertragswortlaut findet, verstößt gegen gesetzliche Auslegungsregeln.BFH 22.11.1994 – VIII R 44/92, BStBl. II 1995, 900BFH 03.03.2004 – X R 12/02, BStBl. II 2004, 722


- 273 - 273969970Bei irreversiblem Recht kann sich, da die Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges beim FGeintritt, die Frage stellen, bereits im Anschluß an die Entscheidung <strong>des</strong> FG Verfassungsbeschwerdezum BVerfG und/oder zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht zu erheben,ohne erst noch Nichtzulassungsbeschwerde erheben zu müssen.Eine Klärungsfähigkeit ist auch dann nicht gegeben, wenn von einem anderenSachverhalt auszugehen wäre, als dem vom FG festgestellten. 1619) Hat folglich das FGden Sachverhalt nicht zutreffend festgestellt, so ist es auch aus diesem Grund wichtig,fristgemäß beim FG einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt zu haben und diesenzu begründen (§ 108 FGO), um dann, wenn das FG diesen zurückweist, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrendie Möglichkeit zu haben, u.H.a. Art. 103 Abs. 1 GGi.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dies zu rügen und auf diese Weise zugleich die Möglichkeitzu eröffnen, im Rahmen der Klärungsfähigkeit doch den Sachverhalt anzusprechen,den das FG rechtsfehlerhaft nicht festgestellt hat, wohl aber hätte feststellenmüssen.971d) EntscheidungserheblichkeitEs ist ferner die Entscheidungserheblichkeit der zu klärenden Rechtsfrage darzulegen,dass und inwieweit sich die vorgenannten Auffassungsunterschiede auf den Ausgang<strong>des</strong> Rechtsstreites auswirken können. 1620) Auf die Frage der Erfolgsaussicht kommt esdabei ebenso wenig an wie auf die Frage der Entscheidungsreife. 1621)972e) Weitergehende BedeutungWeiterhin ist aufzuzeigen, warum der dargelegten streitigen Rechtsfrage über den zuentscheidenden Fall hinaus eine weitergehende Bedeutung zukommt. 1622) Dazu könnengroße wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Entscheidungen gehören. 1623) Esist aber auch darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchenGründen die aufgeworfene Frage umstritten ist. 1624)1619)1620)1621)1622)1623)1624)BFH 28.08.2003 – VII B 359/02, BFH/NV 2004, 153; BFH 08.12.2003 – I B 67/03, BFH/NV2004, 648BFH 26.07.1988 - VII B 82-83/88, BFH/NV 1989, 88; BFH 07.01.2002 – III B 34/01, BFH/NV2002, 665Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 162; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 115 FGORdn. 50BFH 18.02.2003 – X B 121/02, BFH/NV 2003, 623; BFH 14.08.2003 – I B 27/03, BFH/NV2004, 6364; BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; Dürr, Der Steuerberater vordem Finanzgericht, Seite 161; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 44Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 47BFH 18.02.2003 – X B 121/02, BFH/NV 2003, 623


- 274 - 274973974975f) Zur Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUVEs wurde bereits dargelegt, dass der BFH im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerdegemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlagepflichtig sein kann, 1625) um eine richtige Anwendungund eine einheitliche Auslegung europäischen Rechts sicherzustellen. 1626) Undwürde er dies ablehnen und würde auch die Revision nicht zulassen, bestünde dagegendie Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde wegen Vorenthaltung <strong>des</strong> EuGH als gesetzlichemRichter im Sinne <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG. 1627) Dies negierend iudizierender III. Senat 1628) und VII. Senat 1629) <strong>des</strong> BFH, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenhabe der BFH nur über den Zugang zum BFH zu entscheiden, so dass einVorabentscheidungsersuchen nicht in Betracht komme. Dagegen ist folgen<strong>des</strong> einzuwenden:- Der BFH wäre mit dem EuGH 1630) gehalten (gewesen), unabhängig von der Frageder Vorlagepflicht zunächst einmal auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenvon Amts wegen europäischem Gemeinschaftsrecht zum Durchbruch zu verhelfen,es also anzuwenden, da dieses dem nationalen Recht vorgeht. Folglichkann es durchaus geboten sein, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eigenenVortrag auf europäisches Gemeinschaftsrecht abzustützen und einem der Nichtzulassungsbeschwerdegründezuzuordnen. Der BFH darf folglich völlig unabhängigvon der Frage der Vorlagepflicht nicht von vornherein darauf verzichten,zunächst einmal von Amts wegen europäisches Gemeinschaftsrecht seiner Prüfungzugrunde zu legen, auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht. 1631)Geschieht dies doch und wird der Nichtzulassungsbeschwerde nicht entsprochen,so kann dies einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch auslösen.1632)- Die Frage der Vorlagepflicht kann sich mithin nur und erst dann stellen, wenn beiZugrundelegung <strong>des</strong> europäischen Gemeinschaftsrechts für den BFH eine deroben beschriebenen Vorlagevoraussetzungen gegeben ist, weil eine Normensubstitutionbzw. richtlinienkonforme Auslegung ihm nicht möglich ist. Dies giltauch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren.1625)1626)1627)1628)1629)1630)1631)1632)EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00, Beilage zu BFH/NV 10/2002, 148, 150; so auch EuGH C-99/00, Schlussantrag <strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn. 43, 46Zur Zuständigkeit <strong>des</strong> EuGH nebst Vorlagepflicht <strong>des</strong> BFH zum deutschen Steuerbilanzrechtsiehe EuGH 07.01.2003 – Rs. C-306/99 (BIAO), DB 2003, 181 Rdn. 93; BFH 08.11.2000 – I R06/96, DB 2001, 410; Schütz DB 2003, 688; a.A. nach wie vor Weber-Grellet DB 2003, 67, 69EuGH C-99/00, Schlussantrag <strong>des</strong> Generalanwalts Tizzano vom 21.02.2002, Rdn. 70BVerfG 31.05.1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 156, 194 f.; BVerfG09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749; Schütz DB 2003, 688, 690BFH 06.06.2003 – III B 98/02, BFH/NV 2003, 1214, 2115BFH 14.05.2002 – VII B 76/01, n.V.EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00 (Kenny Roland Lyckeskog) Rdn. 14 - 18EuGH 04.06.2002 – Rs. C-99/00 (Kenny Roland Lyckeskog) Rdn. 14 - 18EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), DB 2003, 2331


- 275 - 275976Dies alles negieren der III. und VII. Senat <strong>des</strong> BFH. Würde in einem vergleichbarenFall bei daraufhin eingelegter Verfassungsbeschwerde ein solches Ergebnis vomBVerfG im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht korrigiert werden, könnteder davon Betroffene sodann gegen die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland auf dem Zivilrechtswegeinen Staatshaftungsanspruch <strong>des</strong>halb geltend machen, weil der BFH alshöchstrichterliche Instanz sich geweigert habe, Europäisches Gemeinschaftsrecht zurAnwendung zu bringen. 1633) Auf das hierzu unten Ausgeführte wird verwiesen.9779789799803. Rechtsfortbildung (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO)Diesbezüglich ist darzulegen, dass eine Entscheidung über eine Rechtsfrage bislangungeklärt ist, die für den Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreits erheblich ist, 1634) was in der Regeldann der Fall ist, wenn die betreffende Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschiedenwurde oder eine planwidrige Gesetzeslücke zu füllen ist. 1635) Die Klärungsbedürftigkeitund Klärungsfähigkeit ist mithin auch hier darzulegen, 1636) was voraussetzt,daß die klärungsfähige Rechtsfrage auch entscheidungserheblich ist. 1637) Rechtsfortbildungkann aber auch von einem bereits vorhandenen Stand der Rechtsprechungaus erfolgen.Dann aber ist folgen<strong>des</strong> darzulegen:- Die zu beurteilende Rechtsfrage;- der bisherige Stand der Rechtsprechung und <strong>des</strong> Fachschrifttums, wobei aufzuzeigenist, dass und warum die zuvor angesprochene Rechtsfrage von dieserRechtsprechung nicht erfaßt wird, folglich unter Berücksichtigung der Auslegungvon Gesetzesbestimmungen <strong>des</strong> materiellen bzw. Verfahrensrechts und derRechtsprechung eine Gesetzeslücke vorhanden ist, die rechtsschöpferisch auszufüllenwäre; 1638)- Aufzeigen von Gründen, warum die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH sich damit erneutbefassen sollte. 1639) Solche Gründe können z.B. sein eine Veränderung der gesetzlichenAusgangssituation, eine die zu prüfende Rechtsfrage berührende nachhaltigeRechtsprechungsänderung eines anderen Obersten Bun<strong>des</strong>gerichts, eine Entscheidung<strong>des</strong> EuGH bzw. <strong>des</strong> BVerfG, eine Änderung der Auffassung der Finanzverwaltung,eine Rechtsprechung der FG´s, die dem BFH die Gefolgschaft1633)1634)1635)1636)1637)1638)1639)EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), DB 2003, 2331BFH 12.11.1001 – VIII B 61/01, BFH/NV 2002, 220; Lange DB 2001, 2312, 2314BFH 14.08.2001 – XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51, 52; Beermann DStZ 2001, 773, 776; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1118s.o. Rdn. 523, 529; BFH 26.07.2001 – X B 06/01, BFH/NV 2002, 37, 38; BFH 12.11.1001 – VIIIB 61/01, BFH/NV 2002, 220, 222; BFH 31.10.2002 – XI B 42/02, BFH/NV 2003, 483.BFH 28.07.2004 – VII B 08/04, BFH/NV 2004, 1680; BFH 17.03.2010 – X B 51/09, BFH/NV2010, 1291BFH 27.03.2006 – VIII B 21/05, BFH/NV 2006, 1256; BFH 20.02.2008 – VIII B 53/07, BFH/NV2008, 971BFH 08.03.2000 - VI B 358/98, n.V.; BFH 05.01.2001 - VIII B 118/00, n.V.; BFH 04.11.2002 –VIII B 94/02, BFH/NV 2003, 484


- 276 - 276981982983984verweigert, erheblicher Widerspruch gegen eine BFH-Rechtsprechung durch dasFachschrifttum etc..- Darlegung, warum eine rechtsschöpferische Rechtsfortbildung über den Einzelfallhinaus im allgemeinen Interesse liegt 1640) sowie- Aufzeigen der Klärungsbedürftigekeit und der Klärungsfähigkeit <strong>des</strong> „ob“ undgegebenenfalls „wie“ der Rechtsfortbildung. 1641)- Die Entscheidungserheblichkeit der formulierten Rechtsfrage für den Fall derRechtsfortbildung.Weiterhin ist im einzelnen auszuführen, dass und warum die Rechtsfortbildung im allgemeinenInteresse liegt 1642) und der Streitfall Veranlassung gibt, Leitsätze zur Auslegung<strong>des</strong> Gesetzes zu bilden oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. 1643)9859864. Vereinheitlichung der Rechtsprechung (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2Nr. 2 2. Alt. FGO)Zu den Voraussetzungen wird auf oben bereits ausgeführtes verwiesen. Die Klärungsbedürftigkeitund Klärungsfähigkeit ist auch hier darzulegen, was voraussetzt,daß die klärungsfähige Rechtsfrage auch entscheidungserheblich ist. 1644) In der Nichtzulassungsbeschwerdegilt es diesbezüglich folgen<strong>des</strong> aufzuzeigen:- Entweder das angegriffene finanzgerichtliche Urteil weicht in einem abstraktenRechtssatz von dem tragenden abstrakten Rechtssatz eines höchstrichterlichenUrteils 1645) bei Vergleichbarkeit der Sachverhalte ab. 1646) Es ist folglich eineschlüssige Darlegung der Identität der Rechtsfrage und der Vergleichbarkeit derSachverhalte geboten. 1647) Diese Konstellation ist nicht gegeben, wenn ein FG1640)1641)1642)1643)1644)1645)1646)1647)BFH 20.02.2008 – VIII B 53/07, BFH/NV 2008, 971BFH 27.03.2006 – VIII B 21/05, BFH/NV 2006, 1256 f.; BFH 20.02.2008 – VIII B 53/07,BFH/NV 2008, 971BFH 30.06.2003 – II B 88/02, BFH/NV 2003, 1439; BFH 01.07.2003 – X B 172/02, BFH/NV2003, 1439; BFH 13.08.2003 – I B 04/03, BFH/NV 2004, 63BFH 01.07.2003 – X B 172/02, BFH/NV 2003, 1439; BFH 13.08.2003 – I B 04/03, BFH/NV2004, 63BFH 28.07.2004 – VII B 08/04, BFH/NV 2004, 1680BFH 14.08.2001 – XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51, 52; Lange DB 2001, 2312, 2313; BFH16.04.2002 – X B 102/01, BFH/NV 2002, 1045; BFH 16.04.2002 – X B 140/01, BFH/NV 2002,1046; BFH 05.07.2002 – XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479; BFH 07.08.2002 – VII B 214/01,BFH/NV 2002, 1606; BFH 20.11.2002 – X B 48/01, BFH/NV 2003, 317; BFH 20.12.2002 – VIIB 66/02, BFH/NV 2003, 592; BFH 26.03.2003 – III B 92/02, BFH/NV 2003, 939; BFH07.10.2003 – X B 52/03, BFH/NV 2004, 80; BFH 14.10.2003 – X B 26/03, BFH/NV 2004, 82;BFH 07.12.2006 – VIII B 48/05, BFH/NV 2006, 712, 713; BFH 19.12.2006 – I B 67/06,BFH/NV 2007, 695, 696; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 51, 52BFH 13.12.2005 – VIII B 74/05, BFH/NV 2006, 740; BFH 15.12.2005 – IX B 98/05, BFH/NV2006, 768; BFH 30.05.2006 – III B 122/05, BFH/NV 2006, 1842, 1843; BFH 26.06.2006 – VIIIB 296/04, BFH/NV 2006, 1861; BFH 25.08.2006 – II B 116/05, BFH/NV 2006, 2290 f.; BFH15.04.2011 – III B 140/10, BFH/NV 2011, 1377BFH 13.12.2005 – VIII B 74/05, BFH/NV 2006, 740; BFH 07.03.2006 – XI B 58/05, BFH/NV2006, 1847, 1848


- 277 - 277987988989990zwar von den Grundsätzen der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH ausgeht, sie aber eventuellfehlerhaft auf den Entscheidungsfall angewendet hat. 1648) Denn nicht die Unrichtigkeit<strong>des</strong> angefochtenen Urteils im Einzelfall sondern die Nichtübereinstimmungim Grundsätzlichen ist Gegenstand <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. 1649)Dies kann auch bereits dann der Fall sein, wenn das finanzgerichtliche Urteil einenvom BFH oder einem anderen obersten Bun<strong>des</strong>gericht, dem EuGH oder demBVerfG aufgestellten abstrakten Rechtssatz falsch auslegt oder anwendet 1650)bzw. davon abweicht. 1651)Schwer verständlich ist es, wenn der IV. Senat <strong>des</strong> BFH 1652) meint, das Aufzeigeneiner solchen Abweichung durch Literatur- und Rechtsprechungszitate, genügediesen Anforderungen nicht. Selbst wenn dem so wäre, hätte im Hinblick auf Art.19 Abs. 4 GG die Nichtzulassungsbeschwerde nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.1653) Es zeichnet sich erneut ab, dass der BFH auch nach Novellierung <strong>des</strong> Revisionsrechtsbeginnt, aus dem Gesetz nicht ersichtliche Barrieren aufzubauen, umgebotenen und durch das Gesetz zugelassenen Rechtsschutz zu verhindern. DieEffektivität <strong>des</strong> Rechtsschutzes per Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wirdmit solchen Gründen nachhaltig beeinträchtigt. 1654)- Oder das finanzgerichtliche Urteil weicht unabhängig davon in einer bestimmtenRechtsfrage - nicht bei Tatsachen oder bei der Sachverhaltswürdigung - im Entscheidungsergebnisvon einer einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechungab. 1655)- Bedenkt man, daß auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Grundsatz<strong>iur</strong>a novit curia gilt und auch der BFH über die Möglichkeit der Rechtsprechungsrechercheper EDV verfügt, dann müß es als willkürlich erscheinen, seitens<strong>des</strong> BFH 1656) für die Darelgung <strong>des</strong> Zulassungsgrun<strong>des</strong> einer Divergenzrügedie genaue Angabe von Fundstelle und/oder Aktenzeichen der Divergenzentscheidungmit der Begründung zu fordern, für den BFH bestehe keine Amtspflicht,die vom Beschwerdeführer nicht genau benannte Divergenzentscheidungenoder –verfügungen ausfindung zu machen.1648)1649)1650)1651)1652)1653)1654)1655)1656)BFH 10.01.2006 – X B 67/05, BFH/NV 2006, 742BFH 15.04.2011 – III B 140/10, BFH/NV 2011, 1377BFH 10.05.2002 – VII B 179/01, BFH/NV 2002, 1316, 1317; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116FGO Rdn. 53, 55BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, HFR 2002, 35, 36; BFH 10.05.2002 – VII B 179/01, BFH/NV2002, 1316, 1317BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, HFR 2002, 35, 36BVerfG 10. 8. 1999 - 2 BvR 184/99, NJW 2000, 649. So auch BFH 09.06.1986 - IX B 90/85,BStBl II 1986, 679BVerfG 30.04.97 - 2 BvR 817/90 u.a., NJW 1997, 2163BT-<strong>Dr</strong>ucks. 14/4549, Seite 10 f.; BFH 13.07.2001 – III B 116/00, BFH/NV 2002, 74; RüskenDStZ 2000, 815,819; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 52BFH 07.12.2006 – VI B 103/06, BFH/NV 2007, 735 f.


- 278 - 278991992993994995996997Unklar ist, ob, anders als nach bisherigem Recht, weiterhin erforderlich ist, aus demfinanzgerichtlichen Urteil einerseits und der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH oder eines anderenobersten Bun<strong>des</strong>gerichtes, <strong>des</strong> EuGH bzw. <strong>des</strong> BVerfG andererseits jeweilseinen tragenden abstrakten Rechtssatz herauszuarbeiten und miteinander zu vergleichen.Einerseits wird vertreten, es könnte z.B. schon ausreichen, die abweichendeEntscheidung <strong>des</strong> FG bereits an einem obiter dictum <strong>des</strong> BFH festzumachen. 1657)Andererseits hält der BFH 1658) nach wie vor an der an der Notwendigkeit der Gegenüberstellungabstrakter Rechtssätze fest, 1659) ohne sich mit der Auffassung auseinanderzusetzen,ob das novellierte Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsrecht diesüberhaupt noch gebieten, ganz abgesehen davon, dass auch ein solches Erfordernissich nicht aus dem Gesetzeswortlaut erschließt.Ist das finanzgerichtliche Urteil einer abweichenden Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH, einesanderen obersten Bun<strong>des</strong>gerichtes, <strong>des</strong> EuGH bzw. <strong>des</strong> BVerfG gegenübergestelltworden, ist ferner aufzuzeigen,- daß die abweichende FG-Entscheidung in einem für sie zu bildenden abstraktenRechtssatz von einem für die vorhandene BFH-Rechtsprechung zu bildendenabtsrakten Rechtssatz abweicht; 1660)- welche Auswirkung diese Abweichung auf den streithängigen Fall hat (Entscheidungserheblichkeit)1661) und- welches allgemeines Interesse - über das Individualinteresse hinaus - am Prozessausgangbesteht 1662) und- „dass die angestrebte BFH-Entscheidung geeignet und notwendig sei, künftigeunterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über die betreffende Rechtsfrage zuverhindern“ 1663) und- bei Rechtsanwendungsfehlern <strong>des</strong> FG, dass das Vertrauen der Allgemeinheit indie Rechtsprechung beschädigt worden ist. 1664)1657)1658)1659)1660)1661)1662)1663)1664)Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 54BFH 30.08.2001 – IV B 79,80/01, HFR 2002, 35, 37; BFH 28.11.2001 – I B 181/00, BFH/NV2002, 523; BFH 04.12.2001 – III B 90/01, BFH/NV 2002, 649, 650; BFH 05.12.2001 – IX B85/01, BFH/NV 2002, 529; BFH 28.12.2001 – VII B 109/01, BFH/NV 2002, 663; BFH02.01.2002 – I B 73/00, BFH/NV 2002, 679; BFH 07.01.2002 – III B 61/01, BFH/NV 2002, 666,667; BFH 25.04.2002 – II B 24/01, BFH/NV 2002, 1311; BFH 18.06.2002 – II B 65/01, BFH/NV2002, 1329; BFH 28.06.2002 – III B 28/02, BFH/NV 2002, 1474, 1475BFH 07.08.2002 – VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606; BFH 22.01.2003 – I B 16/02, BFH/NV2003, 789; So auch Lange DB 2001, 2312, 2315BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; BFH 08.03.2004 – VII B 334/03, BFH/NV2004, 974; BFH 17.05.2006 – VIII B 130/05, BFH/NV 2006, 1478, 1479BFH 10.03.2004 – VII B 92/03, BFH/NV 2004, 977BFH 28.08.2001 – X B 60/01, BFH/NV 2002, 347; a. A. Lange DB 2001, 2312, 2315BFH 05.07.2002 – XI B 136/01, BFH/NV 2002, 1479, 1480BFH 07.08.2002 – VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606, 1607; BFH 31.01.2003 – IX B 174/02,BFH/NV 2003, 649.


- 279 - 2799989991000Der BFH hat es dahingestellt sein lassen, ob Abweichungen von anerkannten Auslegungsgrundsätzen,deren Nichtbeachtung zu einem materiellrechtlichen Fehler führen,überhaupt einen Fall <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 2 HS 2 FGO darstellen kann, wenn sie dennvon einem Gewicht wäre. 1665)Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kann die Revision auch ganz oderteilweise zugelassen werden, wenn/soweit die Entscheidung <strong>des</strong> FG an einem offensichtlichenRechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht leidet und objektivwillkürlich ist und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint. 1666)Eine teilweise Zulassung der Revision setzt voraus, daß der Streitgegenstand teilbarist 1667)100110025. Verfahrensmangel (§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)Zu den denkbaren Verfahrensmängeln wird auf oben ausgeführtes verwiesen. DerBFH iudiziert inzwischen, dass sich durch das neue Recht diesbezüglich nichts geänderthabe. 1668) Ist ein Verfahrensmangel gegeben, so ist dieser im Nichtzulassungsbeschwer<strong>des</strong>chriftsatzdarzulegen und zugleich war bisher die Entscheidungserheblichkeitzu verdeutlichen: Welchen Einfluß hat ein solcher Verfahrensmangel auf die materiellrechtlicheRechtslage und das angefochtene Ergebnis 1669) und warum ist miteiner vom Urteil <strong>des</strong> FG abweichenden Entscheidung <strong>des</strong> BFH zu rechnen ? 1670) Außerdemist aufzuzeigen, dass dieser Verfahrensmangel im finanzgerichtlichen Verfahrengerügt wurde bzw. warum eine Rüge nicht möglich war und das FG sich abergleichwohl darüber hinweggesetzt hat. 1671)Der BFH geht von folgender Stufenfolge richterlicher Sachaufklärungspflicht aus:- Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Satz1 FGO). Dazu muß das FG alle für den entscheidungserheblichen Sachverhaltverfügbaren Beweismittel bis zur Grenze <strong>des</strong> Zumutbaren ausschöpfen und sovollständig wie möglich ermitteln und von sich aus Beweis erheben bzw. alle verfügbarenBeweismittel ausnutzen. Der X. Senat <strong>des</strong> BFH iudiziert dazu, daß diesgrundsätzlich unabhängig von denen seitens der Beteiligten gestellten Beweisanträgezu erfolgen hat. Auf Beweismittel eines Beteiligten darf das FG nur verzichten,wenn das FG entweder von der Richtigkeit <strong>des</strong> unter Beweis gestelltenausgeht, das Beweismittel unerreichbar ist oder nicht entscheidungserheblichist. 1672)1665)1666)1667)1668)1669)1670)1671)1672)BFH 26.06.2002 – IX B 119/01, BFH/NV 2002, 1469, 1470BFH 31.01.2006 – III B 57/05, BFH/NV 2006, 1047BFH 13.01.2005 – VII B 147/04, DStRE 2005, 607, 608 m.w.N.BFH 26.07.2001 – X B 29/01, NFH/NV 2002, 38BFH 26.07.2001 – X B 29/01, NFH/NV 2002, 38; BFH 05.09.2001 – XI B 04/01, BFH/NV 2002,65; BFH 16.09.2002 – IX B 20/02, BFH/NV 2003, 186.BFH 10.04.2006 – X B 162/05, BFH/NV 2006, 1332, 1333BFH 14.10.2002 – VII B 78/02, BFH/NV 2003, 322, 323; BFH 16.05.2003 – XI B 118/02,BFH/NV 2003, 1427; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 61BFH 10.10.2007 – X B 45/07, BFH/NV 2008, 96, 97


- 280 - 2801003100410051006- Diese richterliche Amtsermittlungspflicht begrenzt der BFH durch die in § 76Abs. 1 Satz 2 FGO beschriebene Mitwirkungspflicht der Beteiligten, 1673) alsonicht alleine <strong>des</strong> Klägers. Und was in diesem Zusamenhang die Mitwirkungspflicht<strong>des</strong> FA betrifft, ergibt sich diese aus dem, wozu sie gem. § 88 AO verpflichtetist.- Dies relativiert der VIII. Senat <strong>des</strong> BFH 1674) - erheblich restriktiver als der X. Senat<strong>des</strong> BFH 1675) - dann aber sogleich dahingehend, dass die Sachaufklärungsrügenicht dazu diene, Beweisanträge zu ersetzen, die der anwaltlich vertretene Klägerstellen könne. Damit wird auf diese Weise die Amtsermittlungspflicht <strong>des</strong> Gerichtsund <strong>des</strong> FA in dem Moment zu einer solchen <strong>des</strong> Klägers, in dem die Sachaufklärungeine Beweiserhebung erfordern soll, ein eklatanter Verstoß gegen denGesetzeswortlaut. Denn wenn § 76 Abs. 1 Satz 5 FGO ausspricht, dass das Gerichtan Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden sei, sogeht das Gesetz davon aus, dass auch die Beweiserhebung zur Amtsermittlungspflicht<strong>des</strong> Gerichts gehört und zwar unabhängig von dem Vorbringen der Parteienund gestellten Beweisanträgen.- Und die Rechtsschutzverkürzung geht weiter, indem schon dann, wenn das FGaus seiner Sicht eine weitere Sachaufklärung bzw. Beweiserhebung nicht für erforderlichgehalten hat, dies dafür ausreichen soll, dann keinen Verstoß gegenArt. 103 Abs. 1 GG anzunehmen. 1676)- Schließlich und endlich wird die Amtsermittlungspflicht <strong>des</strong> Gerichts (§ 76 Abs.1 Satz 1 FGO) auch dadurch relativiert bzw. abgeschafft, daß für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenu.H.a. §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 Abs. 3 Satz 3 FGO andie Stelle der Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht <strong>des</strong> FG eine Darlegungslast<strong>des</strong> Beschwerdeführers gesetzt wird, die von diesem in der Kummulationder aufzuführenden Gründe kaum je erfüllt werden kann, was zudem gegendas Grundrecht <strong>des</strong> effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) verstößt, wennfolgen<strong>des</strong> gefordert wird: Der Beschwerdeführer müsse darlegen, zu welchen konkreten Tatsachen weitereErmittlungen geboten waren. Der Beschwerdeführer müsse darlegen, welche Beweise zu welchem Beweisthemavom FG hätten erhoben werden müssen. Der Beschwerdeführer müsse darlegen, wo vor dem FG Tatsachen vorgetragenworden seien, aus denen sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungenauch ohne entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen. Der Beschwerdeführer müsse darlegen, welches andere Ergebnis wohl allerVoraussicht nach gehabt hätte, wenn das FG solche Ermittlungsmaßnahmendurchgeführt hätte oder ggf. von sich aus eine Beweisaufnahme durchgeführthätte.1673)1674)1675)1676)BFH 19.06.2006 – VIII B 235/04, BFH/NV 2006, 2091, 2092BFH 19.06.2006 – VIII B 235/04, BFH/NV 2006, 2091, 2092BFH 10.10.2007 – X B 45/07, BFH/NV 2008, 96, 97BFH 18.09.2006 – IX B 154/05, BFH/NV 2007, 31, 32


- 281 - 281100710081009 Die Erheblichkeit eines Verstoßes <strong>des</strong> FG gegen seine Amtsermittlungspflichtsoll, obwohl dies sich nicht aus dem Gesetz ergibt und im finanzgerichtlichenVerfahren auch keine Parteimaxime gilt, ferner davon abhängigsein, daß der Verstoß vom Beschwerdeführer gegenüber dem FG gerügt wurdebzw. warum dies nicht möglich gewesen sein soll. 1677)Der BFH geht sogar so weit, eine Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht alsunbeachtlich zu bezeichnen, wenn der anwaltlich vertretene Steuerpflichtige lt. Protokollkeinen Beweisantrag gestellt hatte 1678) und die beantragte Protokollberichtigungabgelehnt wurde. 1679) Und obwohl das FG kraft Gesetzes (§ 76 Abs. 1 FGO) denSachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat, weicht der BFH auch von diesen gesetzlichenVorgaben ab und iudiziert, Umfang und Intensität der eigenen Amtsermittlungspflichthänge vom Vortrag und Verhalten der Beteiligten ab. 1680) Es hinterläßteinen merkwürdigen Beigeschmack, wenn die Finanzgerichtsbarkeit auf eine solcheWeise eigene Fehler (Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO) zu Fehlern <strong>des</strong> Betroffenenbzw. ihres Prozessbevollmächtigten umfunktioniert.Eine weitere auf Rechtsschutzverkürzung ausgerichtete Fehlleistung <strong>des</strong> BFH 1681) istseine Rechtsprechung, wonach zwar mit der Verfahrensrüge reklamiert werden könne,dass Rechtsschutz nicht in angemessener Zeit gewährt worden sei, aber der davonBetroffene u.a. schlüssig vortragen müsse, wodurch das Gericht seine Prozessförderungspflichtverletzt habe. Denn es wird in aller Regel dem Betroffenen ein solcherVortrag nicht möglich sein. Der BFH verkennt schlicht, dass das Recht auf Rechtsschutzin angemessener Zeit im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ein Grundrecht ist,<strong>des</strong>sen Verletzung gegeben ist, wenn durch überlange Verfahrensdauer kein Rechtsschutzin angemessener Zeit mehr möglich ist, ohne dass dies etwas mit substantiiertemVortrag von Gerichtsinternas über die Gründe überlanger Verfahrensdauer zu tunhat.Und solche bzw. ähnliche unverständliche Entscheidungen <strong>des</strong> BFH sind es dennauch, die ihm den Ruf eingebracht haben, eine Rechtsschutzverweigerungsinstanz zusein. 1682)1677)1678)1679)1680)1681)1682)BFH 21.11.2008 – IV B 150/07, BFH/NV 2009, 358, 360; BFH 23.04.2009 – X B 214/08,BFH/NV 2009, 1270; BFH 08.06.2011 – X B 214/10, BFH/NV 2011, 2073 Rdn. 9BFH 18.03.2003 – I B 98/02, BFH/NV 2003, 1191; BFH 07.04.2003 – V B 28/02, BFH/NV2003, 1195; BFH 19.06.2006 – VIII B 235/04, BFH/NV 2006, 2091, 2092BFH 03.08.2001 – IV B 28/01, BFH/NV 2002, 20. So trotz der Entscheidung BFH 03.09.2001-GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122, 124 nach wie vor BFH 04.09.2001 – I B 14/01, BFH/NV 2002,203; BFH 05.09.2001 – I B 178/00, BFH/NV 2002, 104; BFH 01.10.2002 – X B 34/02, BFH/NV2003, 76; BFH 22.05.2003 – IX B 18/03, BFH/NV 2003, 1207; wonach Verfahrensrügen sich ausdem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergeben müssen oder bis zur letzten mündlichenVerhandlung gerügt worden sein müssen: BFH 16.08.2002 – VII B 211/01, BFH/NV 2003, 86BFH 03.08.2005 – I B 09/05, BFH/NV 2005, 2227 f.; BFH 03.11.2005 – VIII B 12/05, BFH/NV2006, 250, 251; BFH 19.06.2006 – VIII B 235/04, BFH/NV 2006, 2091, 2092BFH 31.01.2006 – IV B 144/04, BFH/NV 2006, 971Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGO Rdn. 8 und 30


- 282 - 28210101011101210131014101510161017Es ist zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH noch weiter Bestand haben kann,seit der Große Senat <strong>des</strong> BFH in seiner Entscheidung vom 03.09.2001 1683) iudizierthat, dass bei Versagung rechtlichen Gehörs unwiderleglich vermutet werde, dass derVerfahrensmangel für die Entscheidung ursächlich war.„Die gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich erforderliche Prüfung, ob das angefochteneUrteil auf der Rechtsverletzung beruht, hat mithin im Falle der Versagung rechtlichen Gehörs....... zu1684) 1685)unterbleiben.“Eine Überspannung der Darlegungsanforderungen sei zudem mit Art. 19 Abs. 4 GGsowie dem aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Zudieser Rechtsprechung paßt es, wenn inzwischen der I. Senat <strong>des</strong> BFH 1686) iudiziert,der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichte Gerichte dazu, in der Begründungauszuführen, dass man auf entscheidungserhebliches Vorbringen eingegangen sei.Der Betroffene müsse folglich nicht (mehr) darlegen, was er vorgetragen hätte undinwieweit das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn es nicht zum Verstoß gegen dasGrundrecht auf rechtliches Gehör gekommen wäre. 1687)Damit nicht in Einklang steht, wenn bei Übergehen eines Beweisantrages einfache Senate<strong>des</strong> BFH ungeachtet der vorgenannten Entscheidung <strong>des</strong> Großen Senates <strong>des</strong>BFH fordern, der Beschwerdeführer habe darzulegen,- welche konkrete Tatfrage aufklärungsbedürftig gewesen sein,- welche bestimmten Beweismittel das FG zu welchen Beweisthemen nicht erhobenhabe,- die genauen Fundstellen, in denen Beweismittel und –themen angeführt wordenseien,- das voraussichtliche Ergebnis einer Beweisaufnahme,- inwieweit das Ergebnis <strong>des</strong> FG aufgrund „der maßgebenden sachlich-rechtlichenAuffassung <strong>des</strong> FG“ auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen könne,1683)1684)1685)1686)1687)BFH 03.09.2001 - GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122, 124; dazu List DStR 2002, 1381So auch BFH 27.11.2001 – VIII R 32/95, BFH/NV 2002, 921, 922Ungerührt der neuen Rechtsprechung in BFH 03.09.2001 - GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122, 127fordern aber BFH 05.09.2001 – VIII B 18/01, BFH/NV 2002, 205 und BFH 14.11.2001 – II B29/01, BFH/NV 2002, 512 und BFH 21.11.2001 – III B 66/01, BFH/NV 2002, 517 und BFH30.11.2001 – III B 107/01, BFH/NV 2002, 526 und BFH 05.12.2001 – IX B 70/01, BFH/NV2002, 528 und BFH 12.12.2001 – V B 132/00, BFH/NV 2002, 531 und BFH 10.07.2002 – X B170/00, BFH/NV 2002, 1481; BFH 03.09.2002 – I B 10/107/01, BFH/NV 2003, 68; BFH01.10.2002 – X B 34/02, BFH/NV 2003, 76; BFH 29.07.2003 – V B 11/02, BFH/NV 2004, 59nach wie vor die Darlegung, dass bei Beachtung <strong>des</strong> Grundsatzes <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs ein anderesErgebnis herausgekommen wäre.BFH 05.09.2001 – I R 101/99, BFH/NV 2002, 493BFH 03.09.2001 - GrS 03/98, BFH/NV 2001, 122, 127; List DStR 2002, 1381, 1383 f.


- 283 - 28310181019102010211022- die Nichterhebung der Beweise durch das FG rechtzeitig vor dem FG gerügt wordensei oder aufgrund welcher Umstände nicht mehr gerügt werden konnte. 1688)Sind die Voraussetzungen der §§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dargetanworden, so dass das Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel beruht, dann muß derBFH <strong>des</strong>halb nicht die Revision zulassen, sondern er kann statt <strong>des</strong>sen per Beschlussdas angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zu anderweitigen Verhandlungund Entscheidung an das FG zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). 1689) Der BFH gehtinzwischen sogar so weit, es müsse dann zurückverwiesen werden und das Revisionsgerichtmüsse sich jeder sachlichen Stellungnahme enthalten, die das FG unter Umständenbinden könne. 1690)Solches bietet sich insbesondere dort an, wo das FG – wie in der Praxis leider häufiganzutreffen – erforderliche Tatsachenfeststellungen nicht getroffen hat, jedenfallssolches in seinem Urteil nicht zum Ausdruck gebracht hat, solches getan zu haben unddadurch gegen seine Begründungspflicht verstoßen hat (§ 96 Abs. 1 Satz 3, 105 Abs. 2Nr. 4 und 5 FGO). Dazu zählt der BFH insbesondere auch das Fehlen einer Herleitungder vom FG „gewonnenen Überzeugung anhand der festgestellten Tatsachen und dererhobenen Beweise einerseits sowie der einzelnen Merkmale der einschlägigen Gesetzestatbeständeandererseits.“ 1691) § 116 Abs. 6 FGO bietet sich damit für den BFHinsbesondere dort an, wo im Urteil <strong>des</strong> FG und dort insbesondere im Tatbestand wesentlicheAuslassungen festzustellen sind, so dass „die tatsächliche Basis für die Urteilsfindungin entscheidenden Punkten nicht zu erkennen ist.“ Denn dadurch werdeden Beteiligten die Möglichkeit entzogen, bezüglich der Entscheidungsgründe dasUrteil auf seine Richtigkeit zu überprüfen.Wenn folglich <strong>des</strong>wegen nicht auszuschließen sei, dass bei vollständiger Erfassung<strong>des</strong> Sachverhaltes aus Sicht <strong>des</strong> FG 1692) das Urteil anders ausgefallen sei, dann beruhedas Urteil <strong>des</strong> FG auf diesem Mangel. 1693) In solchen oder ähnlichen Fällen, in welchennur ein solcher Mangel gerügt worden ist, ist dem Beschwerdeführer über § 116Abs. 6 FGO mithin schneller geholfen, als über ein sich an ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenanschließen<strong>des</strong> Revisionsverfahren.Aber es bleibt folgen<strong>des</strong> Problem: Würde man nur von Vorgenanntem ausgehen, dannwäre einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß §§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 3FGO nur dann schlüssig begründbar, wenn man vom Standpunkt <strong>des</strong> FG ausginge. 1694)1688)1689)1690)1691)1692)1693)1694)BFH 13.01.2003 – III B 51/02, BFH/NV 2003, 640. Ähnlich BFH 28.01.2003 – VII B 148/02,BFH/NV 2003, 661, 663; BFH 05.02.2003 – VII B 227/02, BFH/NV 2003, 651; BFH 26.06.2003– IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437; BFH 28.08.2003 – VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; BFH05.02.2004 – V B 205/02, BFH/NV 2004, 964BFH 21.12.2005 – I B 249/04, BFH/NV 2006, 780, 781BFH 05.09.2001 – I R 101/99, BFH/NV 2002, 493BFH 29.08.2001 – X B 36/01, BFH/NV 2002, 348BFH 06.09.2001 – X B 47/01, BFH/NV 2002, 350: Dies gilt sowohl für das alte wie auch dasneue Zulassungsrecht.BFH 29.08.2001 – X B 36/01, BFH/NV 2002, 348, 349BFH 06.09.2001 – X B 47/01, BFH/NV 2002, 350; BFH 30.04.2002 – VI B 298/01, BFH/NV2002, 1166


- 284 - 284102310241025Nimmt man hinzu, dass nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 1695) das FG im Urteil dasunerörtert lassen darf, das nach seiner Auffassung unerheblich oder unsubstantiiert istund auf eine fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG eine Zulassungwegen Verfahrensmängel nicht gestützt werden kann, dann wäre man in folgenden,in der Praxis immer vorkommenden, Fällen rechtlos gestellt:FG´s neigen mitunter dazu, ein für den Steuerpflichtigen negatives Urteil dadurch „revisionssicher“zu machen, dass wesentliche Sach- und Rechtsausführungen, auf diesich der Kläger stützte, im Urteil nicht erwähnt werden.Statt <strong>des</strong>sen wird ein Tatbestand wiedergegeben, der unter Aussparung wesentlichenKlägervortrages gänzlich anders aussieht. Und an diesem solchermaßen verändertenSachverhalt wird dann konsequent die Klageabweisung rechtlich festgemacht. Diesverstößt eklatant gegen die Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG zu Art. 103 Abs. 1 GG undwürde durch eine Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH zementiert, die alleine auf den Standpunkt<strong>des</strong> FG abstellt und auch bei der Rüge fehlerhafter Tatsachen- und Beweiswürdigungaus vorgenannten Gründen trotz Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG eine Nichtzulassungsbeschwerdegemäß §§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht zulassenwill.Dies wird deutlich wenn man sich folgen<strong>des</strong> vor Augen hält:Das rechtliche Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gebietet nicht nur, dass das FG denKläger anhört, sondern dass das FG den wesentlichen Vortrag (Sachverhalt undRechtsausführungen), auf den der Kläger sein Vorbringen stützt, auch verarbeitet. 1696)1695)1696)BFH 28.09.2001 – V B 77/00, BFH/NV 2002, 359; BFH 26.10.2001 – II B 104/00, BFH/NV2002, 499; BFH 07.11.2001 – II B 119/00, BFH/NV 2002, 510; BFH 16.06.2003 – V B 48/03,BFH/NV 2003, 1341BVerfG 29.11.1996 – 2 BvR 1157/93, BStBl. II 1997, 414, 418: „Auch zu Art. 103 Abs. 1 GGhat das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht bereits entschieden, dass das einfache Recht in seiner Anwendungim Einzelfall von Verfassungs wegen ein Ausmaß an Gehör eröffnen müsse, das sachangemessenist, um dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden (BVerfGE60, 305 ; 67, 208 ; 74, 220 ). In diesen Entscheidungen kommt zum Ausdruck,dass sowohl die Rechtsweggarantie als auch das rechtliche Gehör jeweils dem gleichenZiel, nämlich der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, dienen. Das Gebot derEffektivität gilt danach nicht nur für die Eröffnung <strong>des</strong> Zugangs zum Gericht, sondern auch fürdas Recht, im Verfahren gehört zu werden (BVerfGE 81, 123 ).“ Und dazu, was unter„gehört werden“ zu verstehen ist, hat das BVerfG ausgeführt:BVerfG 07.10.1996 - 1 BvR 520/95, NJW 1997, 122: „...... a) Das Gebot <strong>des</strong> rechtlichen Gehörsverpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen undbei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Daraus folgt allerdings nicht, dass sie auch verpflichtetwären, je<strong>des</strong> Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zubescheiden (vgl. BVerfGE 88, 366 (375f.) = NJW 1993, 2599 m.w.Nachw.). Lediglich die wesentlichen,der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungenmüssen in den Gründen verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 (189) = NJW 1978, 989). Gehtein Gericht auf den wesentlichen Kern <strong>des</strong> Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die fürdas Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so läßt diesauf die Nichtberücksichtigung <strong>des</strong> Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt<strong>des</strong> Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133 (146) =NVwZ 1992, 401).b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.“So auch BFH 07.10.2003 – III B 05/03, BFH/NV 2004, 164


- 285 - 28510261027102810291030Dies verkennt der BFH grundlegend, wenn er iudiziert, es sei Sache <strong>des</strong> Steuerpflichtigen,selbst dafür zu sorgen, sich vor Gericht Gehör zu verschaffen. 1697)Um überprüfen zu können, ob das FG dieser Pflicht auch entsprochen hat, müssenseitens <strong>des</strong> FG im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen <strong>des</strong> Urteils auch diewesentlichen Ausführungen <strong>des</strong> Klägers zu Sachverhalt und Rechtsausführungen ausgeführtund behandelt werden. 1698)Der Vortrag <strong>des</strong> Klägers ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG für die Verarbeitungspflicht<strong>des</strong> FG maßgebend und nicht der Filter <strong>des</strong> FG. 1699) Hinzu kommt, dassdie durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Effektivität <strong>des</strong> Rechtsschutzes nicht mehrgewährleistet ist, wenn das FG im Urteil den vom Kläger vorgetragenen Sachverhaltund die dazugehörigen Rechtsausführungen eigenmächtig so verändern kann, dassletztlich im Urteil über einen anderen Sachverhalt entschieden wird. 1700)Da Gerichte bei Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet sind, die unterlasseneGewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) nachzuholen, sofern die Auslegung<strong>des</strong> Verfahrensrechts dies ermöglicht, 1701) was bei §§ 116 Abs. 3 Satz 2, 115Abs. 2 Nr. 3 FGO ja der Fall ist, würde eine Entscheidung <strong>des</strong> BFH gegen Art. 103Abs. 1 GG verstoßen, wenn sie für die Rüge eine Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GGnur auf den Standpunkt <strong>des</strong> FG zur Unerheblichkeit bzw. Unsubstantiiertheit <strong>des</strong> Vortragesabstellt 1702) und damit die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweist.Für einem solchen Fall ist darauf in der Nichtzulassungsbeschwerde vorsorglich hinzuweisen,zumal wenn man die Absicht hat, bei Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerdeaus solchen Gründen alsdann Verfassungsbeschwerde einzulegen.Es ist allerdings ein Unterschied, ob man seitens <strong>des</strong> BFH 1703) dem FG das Recht einräumt,nach seiner Rechtsauffassung klägerischen Vortrag im Urteil <strong>des</strong>halb unerörtertzu lassen, weil das FG ihn für unerheblich oder unsubstantiiert ansieht und <strong>des</strong>wegen1697)1698)1699)1700)1701)1702)1703)BFH 12.08.2008 – X S 35/08, BFH/NV 2008, 2030, 2034So zutreffend BFH 19.10.2001 – V B 48/01, BFH/NV 2002, 369, 370; BFH 28.06.2002 – III B28/02, BFH/NV 2002, 1474, 1475BFH 02.06.2003 – II B 49/02, BFH/NV 2003, 1340: Danach kann eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht<strong>des</strong> FG vorliegen, wenn es bezüglich unter Beweis gestellter rechtserheblicherTatsachen eine Beweiserhebung unterlässt. Die Ansicht <strong>des</strong> FG, im Hinblick auf von ihm festgestellteUmstände bestünden keine Zweifel, ist eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.BVerfG 29.11.1996 – 2 BvR 1157/93, BStBl. II 1997, 414, 418: „1. Die Rechtsweggarantie <strong>des</strong>Art. 19 Abs. 4 GG sichert nicht nur formal die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gewährleistetauch die Effektivität <strong>des</strong> Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen Anspruch auf einemöglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zum Gericht darf nicht in unzumutbarer,aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 35, 263; 40, 272 ; 77, 275 ).BVerfG 29. 10. 1997 - 2 BvR 1390/95, NJW 1998, 745So BFH 28.09.2001 – V B 77/00, BFH/NV 2002, 359, 361; BFH 26.10.2001 – II B 104/00,BFH/NV 2002, 499; BFH 07.11.2001 – II B 119/00, BFH/NV 2002, 510; BFH 30.04.2002 – VI B298/01, BFH/NV 2002, 166BFH 28.09.2001 – V B 77/00, BFH/NV 2002, 359, 361


- 286 - 2861031eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückweist oder ob man seitens <strong>des</strong> BFH 1704) dieMöglichkeit zuläßt, ausgehend von der materiellrechtlichen Rechtsauffassung <strong>des</strong> FGsehr wohl im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verfahrensfehler aufzeigen zukönnen. Im letzteren Fall wird nämlich die Möglichkeit <strong>des</strong> Aufzeigens entscheidungserheblicherVerfahrensfehler offen gehalten, im ersteren Fall dagegen abgeschnitten.Diese Unterschiede in der Rechtsprechung unterschiedlicher Senate gilt esmithin zu beachten.Werden in einer Nichtzulassungsbeschwerde Verfahrensrügen erhoben, die sich nurauf eine „Hilfsbegründung“ <strong>des</strong> FG beziehen, muß zusätzlich verdeutlicht werden,dass die Hauptbegründung <strong>des</strong> FG ebenfalls einen Nichtzulassungsbeschwerdegrundausfüllt. 1705)10321033103410356. FazitDer BFH kann die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verwerfen (§§ 155FGO, 574 ZPO) oder als unbegründet zurückweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1, 2 und 3FGO).Gibt der BFH der Nichtzulassungsbeschwerde statt, so erfolgt dies durch Beschluss,der begründet werden kann, aber nicht begründet werden muß (§ 116 Abs. 5 Satz 1, 2FGO). Auch wenn die Stattgabe der Nichtzulassungsbeschwerde wegen nur einesbestimmten Zulassungsgrun<strong>des</strong> erfolgt, hat dies zur Folge, dass die Revision danninsgesamt zugelassen ist (sog. Grundsatz der Vollrevision) und nicht nur wegen <strong>des</strong>Grun<strong>des</strong>, <strong>des</strong>sentwegen die positive Beschlussfassung erfolgte. 1706) Mit der Stattgabeder Beschwerde wird das Verfahren vor dem BFH fortgesetzt, so dass keine Revisiongesondert eingelegt werden muß (§ 116 Abs. 7 Satz 1 FGO).Wohl aber beginnt mit Zustellung <strong>des</strong> Stattgabebeschlusses die Revisionsbegründungsfristzu laufen (§§ 116 Abs. 7 Satz 2 , 120 Abs. 2 FGO). Es gilt dann, die Revisionzu begründen, ohne auf den Zulassungsgrund <strong>des</strong> Stattgabebeschlusses eingeengtzu sein.Wird die Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erfolgreich erhoben(§§ 116 Abs. 3 Satz 3, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), kann der BFH entweder die Revisionzulassen oder aber statt <strong>des</strong>sen per Beschluss das finanzgerichtliche Urteil aufhebenund den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen( § 116 Abs. 6 FGO). Läßt er die Revision aufgrund einer Verfahrensrüge zu und1704)1705)1706)BFH 01.10.2001 – II B 116/00, BFH/NV 2002, 361: „Wird gerügt, das FG habe wesentliches Parteivorbringennicht berücksichtigt und insoweit das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt,seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis der Verhandlung zugrunde gelegt (§ 96 Abs.1 Satz 1 FGO) bzw. seine Überzeugung auf der Grundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhaltsgebildet (§ 76 FGO), sind derartige Mängel nur dann schlüssig dargelegt, wenn dargetanwird, dass das angegriffene Urteil ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung <strong>des</strong> FG aufdem Verfahrensmangel beruhen kann (so BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 1993 V B 153/92,BFH/NV 1995, 601, sowie vom 27. Dezember 1993 VII B 82/92, BFH/NV 1995, 398, unter 2.).“(Leitsatz)BFH 05.11.2002 – II B 199/01, BFH/NV 2003, 330BFH 30.01.1970 - IV 2/65, BStBl II 1970, 383; BFH 10.03.1981 - VIII R 195/77, BStBl II 1981,470; BFH 07.11.1991 - IV R 43/90, BStBl II 1992, 398; Seer in: Tipke/Kruse, AO, § 116 FGORdn. 85


- 287 - 287liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen <strong>des</strong> § 115 Abs. 1 und 2 FGO vor, dannentscheidet der BFH nur über die geltend gemachte Verfahrensrüge (§ 120 Abs. 3 Satz1 FGO).103610371038103910401041XII. Revision 1707)Die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil kann nur dann eingelegt werden,wenn das FG die Revision zugelassen hat oder der BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerdedieselbe zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO). Nur im ersteren Fallwird sie eingelegt, während im letzteren Fall das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenals Revisionsverfahren beim BFH fortgeführt wird. 1708)Wird die Revision zugelassen, dann hat dies die sog. Vollrevision zur Folge, mit dersämtliche zulässigen Revisionsgründe (§ 118 Abs. 1 FGO) vorgebracht werden können.1709) Weder ist der Revisionskläger an Nichtzulassungsbeschwerdegründe gebunden,noch muß er von den Erwägungen ausgehen, die das FG zur Revisionszulassungbewogen hatte. 1710) Ist der BFH nach Zurückverweisung in einem zweiten Rechtszugerneut mit dem Vorgang befasst, so ist er an seine rechtliche Beurteilung aus demersten Rechtszug gebunden. 1711)Die Revision kann nur auf die Verletzung von Bun<strong>des</strong>recht gestützt werden (§ 118Abs. 1 Satz 1 FGO). Bei der Auslegung von Lan<strong>des</strong>recht darf der BFH nur prüfen, obdiese Auslegung mit (höherrangigem) Bun<strong>des</strong>recht übereinstimmt und ob die Auslegungdurch das FG bun<strong>des</strong>rechtlichen Auslegungsregeln entspricht. 1712)Die Einlegung der Revision hat binnen eines Monats nach Zustellung <strong>des</strong> vollständigenUrteils <strong>des</strong> FG beim BFH zu erfolgen. 1713) Die Revision muß das angefochteneUrteil bezeichnen und soll eine Ausfertigung oder Abschrift <strong>des</strong> Urteils als Anlagezum Gegenstand haben (§ 120 Abs. 1 FGO). Ist letzteres bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenerfolgt, so ist dies für das Revisionsverfahren nicht nochmalserforderlich (§ 120 Abs. 1 Satz 3 FGO).Die Revisionsbegründungsfrist beträgt 2 Monate nach Zustellung <strong>des</strong> vollständigenUrteils <strong>des</strong> FG (§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO). 1714)Handelt es sich dagegen um eine Revision nach Zulassung der Revision im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren,beträgt die Revisionsbegründungsfrist dagegen nur 1Monat nach Zustellung <strong>des</strong> Revisionszulassungsbeschlusses (§ 120 Abs. 2 Satz 11707)1708)1709)1710)1711)1712)1713)1714)Beermann, Neues Revisionsrecht für das finanzgerichtliche Verfahren ab 01.01.2001? DStZ2000, 773; List, Die permanente Reform der finanzgerichtlichen Revision, DStR 2000, 1499;Spindler DB 2001, 61, 63Spindler DB 2001, 61, 63BFH 02.03.2006 – II R 47/04, BFH/NV 2006, 1509, 1510BFH 02.03.2006 – II R 47/04, BFH/NV 2006, 1509, 1510BFH 02.07.2007 – II B 96/06, BFH/NV 2007, 2126 f.BFH 18.03.2003 – I B 97/02, BFH/NV 2003, 1190Zum Vertretungszwang s.o. Rdn. 734 f., was hier entsprechend gilt.BFH 05.02.2004 – V R 64/03, HFR 2004, 549


- 288 - 28810421043FGO). 1715) Die Revisionsbegründungsfrist kann auf Antrag vom Vorsitzenden <strong>des</strong>BFH-Senates verlängert werden (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).Die Revisionsbegründung muß beim BFH eingereicht werden (§ 120 Abs. 2 Satz 2FGO). Die Begründung muß folgen<strong>des</strong> enthalten, wobei Zulässigkeitsvoraussetzungist, daß in der Revisionsbegründung sich der Revisionskläger mit der Urteilsbegründungsachlich auseinandersetzt und dabei seine bisherige Rechtsauffassung überprüft.1716) Die Wiederholung der Klagebegründung oder die Bezugnahme auf Schriftsätze<strong>des</strong> FG-Verfahrens reicht folglich in der Regel nicht aus: 1717) In der Revisionsbegründungmüssen folglich in ausführlicher Begründung mit den tragenden Gründen<strong>des</strong> FG alle tatsächlichen und rechtlichen Gründe angegeben werden, warum das Urteil<strong>des</strong> FG unrichtig sein soll. 1718) Und in diesem Zusammenhang sind „von vornherein“die Revisionsangriffe klarzustellen. 1719)Während ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht darauf gestützt werden kann,das Urteil <strong>des</strong> FG sei fehlerhaft, sondern Nichtzulassungsbeschwerdegründe i.S.d.§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO aufgezeigt werden müssen, ist dies ineinem Revisionsverfahren anders. Denn in der Revisionsbegründung müssen alleGründe tatsächlicher und rechtlicher Art angegeben werden, die das erstinstanzlicheUrteil unrichtig erscheinen lassen. Und <strong>des</strong>halb muß der Revisionskläger im Hinblickauf die tragenden Gründe <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FG begründen, warum er diese für unrichtighält. 1720) Fehlen tatsächliche Feststellungen im Urteil <strong>des</strong> FG, so ist dies ein vom Revisionsgerichtvon Amts wegen zu beachtender materiellrechtlicher Fehler. 1721)104410451. Revisionsanträge (§ 120 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FGO)Einerlei, ob im Anschluß an ein erfolgreiches Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenoder aufgrund einer vom FG zugelassenen Revision, es sind Revisionsanträge zu stellen,die erkennen lassen, inwieweit das finanzgerichtliche Urteil angefochten und <strong>des</strong>senAufhebung beantragt wird. Revisionsantrag kann auch sein, dass der BFH gemäßArt. 267 Abs. 3 AEUV eine gemeinschaftsrechtlich zu beurteilende Rechtsfrage demEuGH vorlegen möge oder dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Klärung derVerfassungswidrigkeit einer Norm vorlegen möge. Ist die Revision alleine auf einenVerfahrensmangel gestützt worden, so ist im Hinblick auf § 118 Abs. 3 Satz 1 FGOim Antrag zum Ausdruck zu bringen, wie nach Aufhebung <strong>des</strong> finanzgerichtlichenUrteils das FG nach Zurückverweisung alsdann verfahren soll.1715)1716)1717)1718)1719)1720)1721)BFH 24.03.2006 – V R 59/05, HFR 2006, 789BFH 20.10.2003 – VIII R 59/00, BFH/NV 2004, 501; BFH 27.11.2003 – VII R 49/03, BFH/NV2004, 521BFH 24.10.2003 – VIII R 57/01, BFH/NV 2004, 504; BFH 27.11.2003 – VII R 49/03, BFH/NV2004, 521BFH 18.04.2006 – VIII B 141/05, BFH/NV 2006, 1465BFH 23.03.2006 – VI R 13/03, BFH/NV 2006, 1321BFH 20.04.2010 – VI R 44/09, n.V.BFH 30.07.2009 – III R 08/07, BFH/NV 2010, 190; BFH 24.02.2004 – III R 73/07, BFH/NV2010, 1429, 1430


- 289 - 28910461047104810491050Fraglich kann werden, ob der mit der Durchführung <strong>des</strong> Revisionsverfahrens befaßteeinfache Senat <strong>des</strong> BFH immer der gesetzliche Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG ist, wenn man sich folgen<strong>des</strong> vor Augen hält:Die grundsätzliche Bedeutung, 1722) die Rechtsfortbildung und die Sicherung einer einheitlichenRechtsprechung sind einerseits in § 115 Abs. 1 und 2 FGO für den einfachenSenat und andererseits in § 11 Abs. 4 FGO für den Großen Senat <strong>des</strong> BFH vorgegeben.Es stellt sich folglich die Frage, wer gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG) ist. Hinzu kommt, dass die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechungder obersten Gerichtshöfe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> als weiterem gesetzlichem Richter (Art.101 Abs. 1 Satz 2 GG) dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>anvertraut ist. Dies stammt noch aus einer Zeit, als die einfachen Senate <strong>des</strong> BFHbzw. der obersten Gerichtshöfe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> solche übergeordneten Instanzen benötigten,weil sie selbst besagte Rechtsfragen nicht autark entscheiden konnten. Wie aberist es nunmehr nach Einführung <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 und 3 FGO?Diese Abgrenzung von § 115 Abs. 1 und 2 FGO einerseits zu § 11 Abs. 4 FGO bzw.§§ 1 und 2 <strong>des</strong> Gesetzes über die gemeinsamen obersten Gerichtshöfe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>andererseits wird derzeit nicht überzeugend beantwortet. Es ist nicht damit getan, ausder „kann“-Regelung <strong>des</strong> § 11 Abs. 4 FGO die Schlußfolgerung zu ziehen, die Frage,ob vorzulegen ist, unterliege dem Ermessen <strong>des</strong> Fachsenates. 1723) Vielmehr geht esdarum, zu klären, ob § 11 Abs. 4 FGO noch einen eigenständigen Stellenwert hat undab wann er als gesetzlicher Richter angerufen werden muß (Ermessensreduzierung aufnull). Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, ob bzw. ab wann die Anrufung<strong>des</strong> Großen Senates <strong>des</strong> BFH als gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz2 GG Revisionsantrag sein kann.Richtig ist zwar, dass der Einzelne kein Recht auf Anrufung <strong>des</strong> Großen Senateshat, 1724) wenn aber die Anrufung <strong>des</strong> Großen Senates geboten gewesen wäre undgleichwohl unterlassen wurde, ist darin ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter(Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zu sehen, was mit Verfassungsbeschwerde gerügt werdenkann. Folglich kommt es sehr wohl darauf an, wann gemäß § 11 Abs. 4 FGO in Fällengrundsätzlicher Bedeutung der Große Senat zuständig ist und wann gemäß § 115 Abs.1 und 2 FGO der einfache Senat <strong>des</strong> BFH.Für den Fall der grundsätzlichen Bedeutung wegen Rechtsfortbildung wird dieseFrage weder in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH noch im Fachschrifttum für die Zeit abInkrafttreten <strong>des</strong> novellierten Revisionsrechts (01.01.2001) diskutiert. Hier wird manderzeit wohl davon ausgehen müssen, dass die Anrufung <strong>des</strong> Großen Senats durcheinen einfachen Senat, selbst wenn letzterer selbst zur Rechtsfortbildung zuständigwäre, fakultativ ist. 1725)Für den Fall der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wird man jedoch voneiner Vorlagepflicht <strong>des</strong> einfachen Senates ausgehen müssen, wenn er von der Rechtsprechungeines anderen Senates abweichen möchte und der andere Senat erklärt, an1722)1723)1724)1725)Zur Frage der Ausübung <strong>des</strong> Beitrittsrechts innerhalb der Finanzverwaltung in Fällen grundsätzlicherBedeutung siehe BMF 19.03.2004 – IV D 2 – FG 2032 – 6/04, DB 2004, 905Brandis in: Tipke/Kruse, AU, § 11 FGO Rdn. 13; Gräber/Ruban, FGO, § 11 Rdn. 26Gräber/Ruban, FGO, § 11 Rdn. 26Gräber/Ruban, FGO, § 11 Rdn. 1


- 290 - 290seiner Rechtsauffassung festzuhalten (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO). 1726) Strebt man daherals Prozeßbevollmächtigter in einem Revisionsverfahren eine Vorlage zum GroßenSenat <strong>des</strong> BFH an, so sollte man dies im Hinblick auf eine Revisionsbegründung wiefolgt prüfen bzw. in einer Revisionsbegründung wie folgt vortragen: 1727)A. Darstellung <strong>des</strong> streitrelevanten Sachverhaltes, wie er sich aus dem Urteil <strong>des</strong> FGergibt.B. Eigene Stellungnahme <strong>des</strong> Klägers zu der Rechtsfrage, derentwegen die Vorlagezum Großen Senat <strong>des</strong> BFH – bzw. <strong>des</strong> Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> gemäß § 2 RsprEinhG – erfolgen soll.I. Gesetzliche EntwicklungII.III.IV.Bisherige Rechtsprechung.Auffassung im Schrifttum.Auffassung der FinanzverwaltungV. Spezifisch: Auffassung <strong>des</strong> Senates <strong>des</strong> BFH, der für das Revisionsverfahrenzuständig ist bzw. bei dem sie anhängig ist.C. Entscheidungserheblichkeit der zur Vorlage gedachten Rechtsfrage.I. Zu erwartende Entscheidung <strong>des</strong> BFH für den Fall der Bejahung der Vorlagefrage.II.Zu erwartende Entscheidung <strong>des</strong> BFH für den Fall der Verneinung derVorlagefrage.D. Rechtsgrund für eine Vorlage.105110522. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGOIst die Revision aufgrund Verfahrensmangels zugelassen worden (§ 115 Abs. 2 Nr. 3FGO), ohne daß zugleich ein Fall von § 115 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 FGO vorlag, dannentscheidet der BFH auch nur über diesen Verfahrensmangel (§ 118 Abs. 3 Satz 1FGO). Also ist die Revisionsbegründung daran auszurichten.Oftmals sind gerügte Verfahrensmängel zugleich auch Grundrechtsverletzungen. Esempfiehlt sich dann, nicht nur den einfachrechtlichen Verstoß sondern zugleich auchden verfassungsrechtlichen Verstoß zum Gegenstand <strong>des</strong> Revisionsantrages zu machen.Auf diese Weise wird für den Fall einer später zu erhebenden Verfassungsbeschwerdezugleich dokumentiert, dass die verfassungsrechtliche Rüge zuletzt auch vordem BFH gerügt wurde, so dass dieserhalb das BVerfG nicht einwenden kann, derRechtsweg sei nur <strong>des</strong>halb nicht erschöpft, weil die Grundrechtsverletzung nicht auchvor dem BFH gerügt worden sei, so dass eine Verfassungsbeschwerde <strong>des</strong>halb unzulässigsei. 1728)1726)1727)1728)Z.B. nach Inkrafttreten <strong>des</strong> novellierten Revisionsrechts (01.01.2001) BFH 23.01.2001 - VIII R48/98, BStBl II 2001, 395; BFH 17.09.2002 – IX R 68/98, BStBl. II 2003, 2, 8 f.siehe z.B.: BFH 17.09.2002 – IX R 68/98, BStBl. II 2003, 2; BFH 30.10.2002 – IX R 80/98,BStBl. II 2003, 167BVerfG 25.08.1995 - 2 BvR 228/94, StE 1995, 613


- 291 - 29110531054105510563. RevisionsbegründungIn der Revisions-/Revisionsbegründungsschrift muß der Revisionskläger die verletzteNorm bezeichnen. 1729) Der Revisionskläger sollte mithin seine Revisionsbegründungnicht im Aufsatzstil schreiben, sondern die verletzte Norm voranstellen und dann imeinzelnen substantiieren, daß und warum das Urteil <strong>des</strong> FG dagegen verstößt. Dieverletzte Norm kann eine Norm <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rechts bezüglichen <strong>des</strong> Verfahrens- odermateriellen Rechts sein (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). 1730) Ferner ist im Hinblick auf§ 126 Abs. 4 FGO darzulegen, daß und warum sich die Entscheidung <strong>des</strong> FG wederaus diesen noch aus anderen Gründen als richtig darstellt.Soll die Fehlerhaftigkeit <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Urteils gerügt werden, so sind in derRevisionsbegründung alle Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art anzugeben, die das1. instanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Zudem muß sich der Revisionsklägermit den tragenden Gründen <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FG auseinandersetzen und aufzeigen,warum er diese für unrichtig hält. 1731) Alleine ein Hinweis, das Urteil <strong>des</strong> FGstehe zu genau bezeichneten Entscheidungen <strong>des</strong> BFH im Widerspruch, ist nicht ausreichend.1732)Wird ein Revisionsverfahren im Anschluss an ein erfolgreiches Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrendurchgeführt, beginnt die Revisionsbegründungsfrist mit dem aufdie Zustellung <strong>des</strong> Beschlusses über die Revisionszulassung folgenden Tag an zu laufen,selbst wenn dieser ein Sonnabend, Sonntag oder Feiertag ist. 1733)Es ist in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH nicht eindeutig geklärt, ob ausnahmsweise dieBezugnahme auf die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung eine ausreichende Revisionsbegründungsein kann, wenn bereits die Nichtzulassungsbeschwerdebegründungden Anforderungen an eine Revisionsbegründung entsprochen hatte. 1734) Nicht ausreichendist es jedenfalls, nach im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zugelassenerRevision zu meinen, daß die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung als solche auchfür das Revisionsverfahren genüge. 1735) Man sollte sich aber als Revisionskläger sicherheitshalberauch nach einem erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenes nicht ersparen, die Revision nochmals gesondert zu begründen. Dies insbesondereauch <strong>des</strong>halb, weil die Zulassung einer Revision ungeachtet der Gründe, aus denen sieerfolgt, zur "Vollrevision" führt, mit der alle nach § 118 Abs. 1 FGO zulässigen Revi-1729)1730)1731)1732)1733)1734)1735)BFH 25.06.2003 – X R 66/00, BFH/NV 2004, 19, 20BFH 05.06.2012 – I R 51/11, ZSteu 2012, R-1220, R-1221BFH 20.08.2012 – I R 3/12, BFH/NV 2012, 1990 Rdn. 8BFH 20.04.2010 – VI R 44/09, BFH/NV 2010, 1363BFH 29.04.2010 – II R 56/09, BFH/NV 2010, 1833Ausreichend: BFH 30.07.2003 – X R 63/01, BFH/NV 2004, 36; BFH 10.04.2006 – XI R 11/05,BFH/NV 2006, 1334; BFH 26.07.2007 – X R 43/05, BFH/NV 2007, 55, 56; BFH 2. Ausreichend,wenn die Beschwerdebegründung den Anforderungen an eine Revisionsbegründung genügt: BFH20.06.2008 – VII R 46/07, BFH/NV 2008, 1691; BFH 22.01.2009 – II R 09/07, BFH/NV 2009,1096, 1098; BFH 12.05.2011 – IV R 36/09, BFH/NV 2011, 2092. Nicht ausreichend: BFH14.02.2006 – II R 46/05, BFH/NV 2006, 1304 f..BFH 20.06.2008 – VII R 46/07, BFH/NV 2008, 1691


- 292 - 292105710581059106010611062sionsgründe vorgebracht werden können, man also nicht auf die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenvorgetragenen Gründe beschränkt ist. 1736)Der BFH ist grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen <strong>des</strong> FG gebunden (§ 118Abs. 2 Satz 1 FGO). Vier Ausnahmen sind jedoch zu beachten:Der Sachverhalt, der sich aus Schriftsätzen ergibt, auf die das FG in seinem Urteilverwiesen hat (§ 105 Abs. 3 Satz 2 FGO), gehört mit zu dem für das Revisionsverfahrenmaßgeblichen Sachverhalt. 1737) An Stelle einer ausdrücklichen Bezugnahme reichtdie tatsächliche Erwähnung von Schriftstücken. 1738) Sind die Sachverhaltsfeststellungenim Urteil <strong>des</strong> FG widersprüchlich, so stellt dies einen materiellrechtlichen Fehlerdar, was dazu führt, dass sogar ohne darauf bezogene Rügen die Bindungswirkung <strong>des</strong>§ 118 Abs. 2 FGO entfällt. Solche materiellrechtlichen Fehler sind vom Revisionsgerichtvon Amts wegen zu beachten. 1739) Ungeachtet <strong>des</strong>sen empfiehlt es sich, in derRevisionsbegründung die Widersprüchlichkeit von Sachverhaltsfeststellungen <strong>des</strong> FGin dem per Revision angegriffenen Urteil aufzuzeigen und zu verdeutlichen, welchemateriellrechtliche Entscheidungserheblichkeit damit verbunden ist.Eine Vertragsauslegung <strong>des</strong> FG bindet den BFH als Revisionsgericht dann nicht, wennsie anerkannten regeln der Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) verletzt hat, weilz.B. die Auslegung sich nur am Vertragswortlaut orientiert hat und Gesamtumständeaußer Betracht gelassen hat. 1740)Eine weitere Ausnahme ist gegeben, wenn gegen die Feststellungen <strong>des</strong> FG in demangegriffenen Urteil Revisionsgründe vorgetragen werden (§ 118 Abs. 2 Satz 2 FGO).Allerdings können bezüglich der tatsächlichen Feststellungen <strong>des</strong> FG auch Gründe zurÜberprüfung vorgetragen werden, die Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätzezum Gegenstand haben. 1741)Kommt es schließlich während <strong>des</strong> Revisionsverfahrens zu einem Änderungsbescheid,so ist das Urteil <strong>des</strong> FG schon <strong>des</strong>halb aufzuheben, weil ihm ein nicht mehr existierenderBescheid zugrunde liegt. Allerdings ist der BFH nicht gehindert, aufgrund derFeststellungen <strong>des</strong> FG selbst über die Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> Änderungsbeschei<strong>des</strong> zubefinden. 1742)Zu den Anforderungen an eine Revisionsbegründung (§ 120 Abs. 3 Nr. 2a FGO) vertrittder BFH die Auffassung, dass sich gegenüber der früheren Rechtslage nichts geänderthabe. 1743)1736)1737)1738)1739)1740)1741)1742)1743)BFH 05.10.1999 - VII R 25/98, BFH/NV 2000, 235Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl. 2002, § 118 Rdn. 37 m.w.N.BFH 26.11.1995 – VII R 148/81, BFH/NV 1986, 134; Gräber/Ruban, FGO, 5. Aufl. 2002, § 118Rdn. 37BFH 22.04.1998 – X R 101/95, BFH/NV 1998, 1481; BFH 15.02.2001 – III R 130/95, BFH/NV2001, 1041BFH 05.10.2011 – IX R 57/10, NZG 2012, 515 Rdn. 35BFH 10.08.2002 – IX B 179/01, BFH/NV 2003, 138, 139BFH 20.07.2006 – VI R 22/03, BFH/NV 2006, 2109 f.BFH 31.10.2002 – VII R 04/02, BFH/NV 2003, 328, 329


- 293 - 2931063Diese könnte wie folgt aufgebaut werden: 1744)A. RevisionsanträgeB. Darlegung widersprüchlicher Sachverhaltsfeststellungen im Urteil <strong>des</strong> FGC. Darlegung der tragenden Gründe <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FGD. Darlegung der Gründe der Unrichtigkeit der tragenden Grunde <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FGbzw. der VerfahrensmängelE. KlärungsbedürftigkeitF. KlärungsfähigkeitG. Entscheidungserheblichkeit4. Revisionsentscheidung106410651066Die Einzelheiten regelt § 126 FGO.Weist der BFH unter Aufhebung <strong>des</strong> Urteils <strong>des</strong> FG den Rechtsstreit zur anderweitigenVerhandlung und Entscheidung an das FG zurück, dann ist das FG an die Gründeder Aufhebung und Zurückverweisung gebunden, ohne jedoch schon auf ein bestimmtesErgebnis festgelegt zu sein. Auch der BFH ist im zweiten Umlauf an dieGründe seiner Entscheidung aus dem ersten Umlauf gebunden. 1745) Diese Bindungswirkungtritt dann unabhängig davon ein, ob das zurückverweisende Urteil <strong>des</strong> BFHformell bzw. materiell richtig ist oder nicht. 1746)An der Bindungswirkung <strong>des</strong> FG und <strong>des</strong> BFH ändert sich allerdings dann etwas,wenn sich nachträglich- die tatsächlichen maßgeblichen Umstände geändert haben,- einschlägiige gesetzliche Bestimmungen mit Rückwirkung geändert haben,- höchstrichterliche Rechtsprechung geändert hat. 1747)1744)BFH 31.10.2002 – VII R 04/02, BFH/NV 2003, 328, 3291745)BFH 17.05.2006 – VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, 18411746) BFH 17.05.2006 – VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, 18411747)BFH 17.05.2006 – VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839, 1841


- 294 - 29410671068XIII.Anhörungsrüge1. GesetzeslageMit Wirkung ab 01.01.2005 wurde die sog. Anhörungsrüge gemäß § 133a FGOeingeführt. 1748) Es handelt sich um ein gerichtliches Selbstkontrollverfahren beim iudexa quo, für das Vertretungszwang besteht. 1749) Die Folge ist, daß im Falle einesentscheidungserheblichen Verstoßes 1750) einer Entscheidung eines FG oder <strong>des</strong> BFHgegen Art. 103 Abs. 1 GG, die nicht mehr mit einem Rechtsmittel angegriffen werdenkann, statt einer Verfassungsbeschwerde zunächst innerhalb der 2- Wochenfrist <strong>des</strong>§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO die Gehörsrüge beim FG bzw. BFH als jeweiligem iudex aquo einzulegen ist, 1751) sofern die Anhörungsrüge nicht offensichtlich aussichtlosist. 1752) Insoweit ist § 133a FGO ein subsidiärer Rechtsbehelf. 1753) Ziel der Anhörungsrügeist, das Verfahren vor Gericht fortzuführen. 1754) Das im Wege der Anhörungsrügeangerufene Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag Vollstreckungsschutz gewährenoder die Vollziehung der angegriffenen Entscheidung – mit oder ohne Sicherheitsleistung- einstweilen aussetzen (§§ 133a Abs. 6 i.V.m. 131 Abs. 1 Satz 2FGO). 1755) Erst dann, wenn auch im Anhörungsrügeverfahren dem gerügten Grundrechtsverstoßgegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht abgeholfen wurde, ist nach einer Entscheidung<strong>des</strong> iudex a quo der Rechtsweg im Hinblick auf § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGGerschöpft. Eine nochmalige Anhörungsrüge gegen die Zurückweisung der Anhörungsrügeist unzulässig. 1756)Verstößt ein Urteil eines FG gegen Art. 103 Abs. 1 GG, dann ist dies im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenein zu rügender Verfahrensfehler (§§ 116 Abs. 3 Satz 2,115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) mit der gesetzlichen Vermutung <strong>des</strong> § 119 Nr. 3 FGO. Vergleichbaresgilt im Revisionsverfahren, in welchem der Verstoß <strong>des</strong> FG gegen §§ 1161748)1749)1750)1751)1752)1753)1754)1755)1756)Anhörungsrügengesetz vom 09.12.2004, BGBl. I 2004, 3220. Zu Einzelheiten Seer/Thulfaut BB2005, 1085BFH 31.01.2008 – IV S 12/07, BFH/NV 2008, 1166; BFH 23.04.2008 – IX S 11/08, BFH/NV2008, 1497; BFH 25.05.2009 – V B 135/08, BFH/NV 2009, 1450; BFH 30.05.2012 – IX S 5/12,ZSteu 2012, R-931Dazu BFH 08.04.2009 – V S 01/09, BFH/NV 2009, 1442; BFH 29.10.2012 – I S 11/12, BFH/NV2013, 394 Rdn. 15BFH 17.06.2005 – VI S 03/05, BB 2005, 1612; BFH 29.06.2005 – VII S 26/05, BFH/NV 2005,1848; BFH 10.08.2005 – XI S 02/05, BFH/NV 2005, 2232 f.; BFH 22.02.2006 – VII S 08/06,BFH/NV 2006, 1311; BFH 25.05.2009 – V B 135/08, BFH/NV 2009, 1450; BFH 14.10.2010 –XS19/10, BFH/NV 2011, 62Zur Anhörungsrüge bei Ablehnung eines Antrages auf PKH im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren:BFH 16.08.2005 – III S 23/05, BFH/NV 2005, 2234BVerfG 15.03.2006 – 2 BvR 917/05, 2 BvR 2174/05, n.V.Seer/Thulfaut BB 2005, 1085, 1087BFH 21.06.2005 – X S 12/05, BFH/NV 2005, 1845; BFH 30.09.2005 – V S 12, 13/05, HFR2006, 173Schoenfeld DB 2005, 850, 851Schoenfeld DB 2005, 850, 851


- 295 - 295106910701071Abs. 3 Satz 2, 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen § 119 Nr. 3 FGO ein absoluter Revisionsgrundist.Nun kann es aber auch Entscheidungen <strong>des</strong> FG geben, bei denen ein Verstoß gegenArt. 103 Abs. 1 GG gegeben sein kann und gegen die kein Rechtsmittel mehr möglichist (z.B. § 128 Abs. 2 und 3 Satz 1 FGO). 1757) Ferner kann es in Nichtannahmebeschlüssen<strong>des</strong> BFH im Nichtzulassungsbebschwerdeverfahren und in negativ verlaufendenRevisionsurteilen <strong>des</strong> BFH zu Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG kommen.Diesbezüglich ist nunmehr der direkte Weg einer Verfassungsbeschwerde unterBerufung auf einen Grundrechtsverstoß <strong>des</strong> Art. 103 Abs. 1 GG schon <strong>des</strong>halb versperrt,weil wegen § 133a FGO noch keine Rechtswegerschöpfung i.S.d § 90 Abs. 2Satz 1 BVerfGG gegeben wäre. 1758) Es wird mithin zweierlei deutlich:- Die Anhörungsrüge (§ 133a FGO) ist subsidiär und kann erst dann erhoben werden,wenn gegen den Gehörsrügenverstoß – keine Fehlerhaftigkeitsrüge 1759) - keinanderer ordentlicher Rechtsbehelf oder kein anderes ordentliches Rechtsmittelmehr zulässig ist. 1760) Damit keine Missverständnisse entstehen: Es geht hier umden Gehörsrügenverstoß <strong>des</strong> letzinstanzlichen Gerichts (z.B. <strong>des</strong> BFH) und nichtum einen Gehörsrügenverstoß davor (z.B. <strong>des</strong> FG). 1761) Dies hat jetzt auch dasBVerfG klargestellt. 1762) Wenn folglich nicht das letztinstanzliche Gericht gegenArt. 103 Abs. 1 GG verstoßen hat (sekundärer Gehörsrügenverstoß), sondern„nur“ einen vor dem letzinstanzlichen Gericht gerügten Gehörsrügenverstoß derVorinstanz nicht verarbeitet hat (= primärer Gehörsrügenverstoß), dann stellt diesmit dem BVerfG keinen Gehörsverstoß <strong>des</strong> letztinstanzlichen Gerichts dar, so daßdann nicht als nächstes das Anhörungsrügeverfahren durchzuführen ist, denn dieErfolglosigkeit eines Rechtsmittels gegen einen behaupteten Gehörsverstoß derVorinstanz begründet nach dem BVerfG für sich gesehen keinen neuen, eigenenGehörsverstoß. Folglich kann der Betroffene sodann gegen die letztinstanzlicheEntscheidung sofort eine Verfassungsbeschwerde erheben. 1763)- Die Anhörungsrüge (§ 133a FGO) gehört aber für den Fall eines Verstoßes gegendas Grundrecht <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zur Erschöpfung <strong>des</strong>Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), bevor eine Verfassungsbeschwerde erho-1757)1758)1759)1760)1761)1762)1763)Dazu zählen lt. Schoenfeld DB 2005, 850, 851 allerdings nicht Beschlüsse, mit denen Anträge aufVertagung der mündlichen Verhandlung abgeleht wurden oder Befangenheitsgesuche zurückgewiesenwurden. Wie das Beispiel <strong>des</strong> § 128 Abs. 2 und 3 Satz 1 FGO zeigt, ist Schoenfeld DB2005, 850, 851 f. nicht zuzustimmen, die Anhörungsrüge im Anschluß an eine finanzgerichtlicheEntscheidung sei überhaupt nicht eröffnet. Dagegen spricht auch nicht § 69 Abs. 6 FGO, da eindiesbezüglicher nochmaliger Antrag von weiteren, neuen Voraussetzungen abhängig ist und einEntscheidung nach § 69 Abs. 6 FGO keine Rückwirkung hat (BFH 23.11.2004 – IX B 88/04, DB2005, 29).Schoenfeld DB 2005, 850, 851; Zuck NVwZ 2006, 1119BFH 05.09.2012 – VI S 9/12, BFH/NV 2012, 2000 Rdn. 6; BFH 07.09.2012 – V S 24/12,BFH/NV 2012, 2000 Rdn. 5; BFH 12.11.2012 – VI S 8/12, BFH/NV 2013, 400Schoenfeld DB 2005, 850, 851BFH 23.03.2006 – XI S 05/06, BFH/NV 2006, 1483, 1484; BFH 31.01.2008 – IV S 12/07,BFH/NV 2008, 1166 f.BVerfG 05.05.2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635 f. mit Anm. ZuckBVerfG 05.05.2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635, 2636


- 296 - 2961072ben wird. 1764) Gegen den Beschluss, mit welchem eine Anhörungsrüge zurückgewiesenwurde, ist weder eine erneute Anhörungsrüge noch eine Gegenvorstellungzulässig. 1765) Auch eine außerordentliche Beschwerde ist nicht statthaft. 1766) DerBeschluss, mit dem eine Anhörungsrüge zurückgewiesen wird, ist folglich unanfechtsbar.1767)Vor diesem Hintergrund ist die Meinung <strong>des</strong> BFH 1768) schwer nachvollziehbar, die Erhebungeiner Anhörungsrüge habe nicht zur Folge, dass das Verfahren als weiterhinrechtshängig gelte. Es soll also der einfachrechtliche Rechtsweg bei Gehörsrügenverstoßerst nach durchlaufenem Gehörsrügenverfahren erschöpft sein, während zugleichmit dem BFH das einfachrechtliche Verfahren bei Gehörsrügenverstoß schon vor Beginn<strong>des</strong> Gehörsrügenverfahren beendet sein soll ?1073107410752. Rechtsprechung <strong>des</strong> BFHAuch im Anhörungsrügeverfahren gilt Vertretungszwang. 1769)Der Zeitpunkt der Zustellung der vollständigen gerichtlichen Entscheidung ist derfrüheste Zeitpunkt i.S.d. § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO, zu dem von dem GehörsverstoßKenntnis erlangt wird. 1770) Dabei reicht die Tatsachenkenntnis <strong>des</strong> Beteiligten bzw.seines Bevollmächtigten, ohne daß es auf die rechtliche Würdigung dieser Tatsachenankommt. 1771)Wenn der BFH 1772) ausführt, der Gehörsrügenverstoß sei nach den gleichen Grundsätzenzu begründen wie bei einer Nichtzulassungsbeschwerde, 1773) so bedeutet dies zunächsteinmal, daß ein Gehörsrügenverstoß gem. § 133a FGO nicht darauf gestütztwerden kann, das letztinstanzliche Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden. 1774) Hinzukommt, darzulegen, dass der BFH einen vorgetragenen Nichtzulassungsbeschwerdegrundunberücksichtigt gelassen hat und dies im Rahmen der Gehörsrüge<strong>des</strong>halb entscheidungserheblich ist, weil bei Berückichtigung <strong>des</strong>sen der Nichtzulas-1764)1765)1766)1767)1768)1769)1770)1771)1772)1773)1774)Zuck NVwZ 2006, 1119BFH 29.05.2006 – IV S 09/06, BFH/NV 2006, 1684; a. A. BFH 15.09.2006 – VII B 35/06,BFH/NV 2006, 2301. Offengelassen von BFH 27.09.2006 – X S 13/06, BFH/NV 2006, 2304 f.BFH 22.02.2006 – VII B 244/05, BFH/NV 2006, 1311BFH 22.02.2006 – VII B 244/05, BFH/NV 2006, 1311BFH 11.01.2006 – IV S 22/05, BFH/NV 2006, 957BFH 05.12.2006 – V S 22/06, BFH/NV 2007, 920; BFH 27.01.2011 – V S 31/10, BFH/NV 2011,838BFH 20.04.2011 – I S 02/11, BFH/NV 2011, 1882 Rdn. 7BFH 20.04.2011 – I S 02/11, BFH/NV 2011, 1882 Rdn. 10BFH 11.01.2006 – IV S 17/05, BFH/NV 2006, 956Dazu gehört mit BFH 14.03.2006 – IX S 03/06, BFH/NV 2006, 1140 die Entscheidungserheblichkeit<strong>des</strong> Gehörsrügenverstoßes.BFH 21.04.2006 – III S 09/06, BFH/NV 2006, 1500; BFH 29.04.2008 – V S 19/07, BFH/NV2008, 1852; BFH 03.11.2009 – VI S 17/09, BFH/NV 2010, 226; BFH 13.07.2010 – V S 10/10,BFH/NV 2011, 47 Rdn. 6


- 297 - 297107610771078sungsbeschwerde zu entsprechen gewesen wäre. 1775) Alleine der Umstand, dass derBFH der Nichtzulassungsbeschwerde nicht entsprochen hat und dies in seinem Beschlussnicht begründet hat, rechtfertigt nach dem BFH nicht, <strong>des</strong>halb eine Anhörungsrüge(§ 133a FGO) zu erheben. 1776) Auch können mit einer Anhörungsrüge nichtEinwände gegen die inhaltiche Richtigkeit der Entscheidung <strong>des</strong> BFH geführt werden.1777) Dies hat Konsequenzen für den Anlauf der Frist betr. Erhebung einer Verfassungsbeschwerde:Denn wenn der BFH bei einem ohne Begründung versehenen Beschlussüber die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde eine Anhörungsrügenicht als statthaft ansieht, dann beginnt die Frist für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde(§ 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfGG) mit der Zustellung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerdeablehnungsbeschlusseszu laufen. 1778)Möchte man sich die Option einer nachfolgenden Verfassungsbeschwerde offen halten,dann sind im Gehörsrügeverfahren nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG nebendem beanstandeten Verstoß <strong>des</strong> BFH gegen Art. 103 Abs. 1 GG alle Grundrechtsrügenebenfalls vorzutragen, auf die auch eine spätere Verfassungsbeschwerde gestützt würde.Mit dieser Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG steht die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH imWiderspruch, wenn es dort heißt, für Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (beiWillkür) oder andere Grundrechtsverletzungen sei § 133a FGO nicht einschlägig, 1779)dafür sei Gegenvorstellung zu erheben. 1780) Auch die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH stehtmit vorgenannter Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG im Widerspruch, wenn der BFH meint,mit der Gehörsrüge <strong>des</strong> § 133a FGO könne alleine ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1GG gerügt werden. 1781)Eine unzutreffende rechtliche Beurteilung eines Gehörsverstoßes der Vorinstanz stelltkeine nochmalige Gehörsverletzung <strong>des</strong> BFH dar. 1782)Soweit der BFH 1783) iudiziert, die Rüge <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen Nichteinleitungeines Vorlageverfahrens (Art. 267 AEUV) könne im Anhörungsrügeverfahrennicht erfolgen, verstößt auch diese Rechtsprechung gegen die zuvor zitierte Recht-1775)1776)1777)1778)1779)1780)1781)1782)1783)BFH 12.05.2006 – VIII S 12/06, BFH/NV 2006, 1849; BFH 13.07.2010 – V S 10/10, BFH/NV2011, 47 Rdn. 3; BFH 28.11.2011 – III S 09/11, BGH/NV 2012, 433 Rdn. 7; BFH 20.09.2012 –X S 22/12, BFH/NV 2013, 216BFH 28.03.2007 – I S 19/06, BFH/NV 2007, 1670; BFH 04.11.2008 – V S 02/08, BFH/NV 2009,400; BFH 13.07.2010 – V S 10/10, BFH/NV 2011, 47 Rdn. 4BFH 08.04.2010 – IX S 22/09, BFH/NV 2010, 1299BVerfG 15.03.2006 - 2 BvR 917 und 2 BvR 2174/05, BVerfGK 7, 403, 407; BVerfG 09.06.2008– 2 BvR 947/08BFH 17.06.2005 – VI S 03/05, BB 2005, 1612; BFH 05.12.2006 – V S 22/06, BFH/NV 2007,920, 921; BFH 11.05.2007 – V S 06/07, DB 2007, 1682, 1683; BFH 11.03.2009 – VI S 10/08,BFH/NV 2009, 1129; BFH 11.03.2009 – VI S 02/09, BFH/NV 2009, 1131 f.; Schoenfeld DB2005, 850, 853BFH 02.04.2007 – IX S 13/06, BFH/NV 2007, 1340, 1341So z.B. BFH 27.12.2006 – V S 24/06, BFH/NV 2007, 1667, 1668; BFH 11.05.2007 – V S 06/07,DB 2007, 1682, 1683; BFH 29.04.2008 – V S 19/07, BFH/NV 2008, 1852; BFH 09.06.2008 – VS 40/07, BFH/NV 2008, 1854; BFH 19.11.2008 – VIII S 29/08, BFH/NV 2009, 403BFH 25.03.2010 – I S 07/10, BFH/NV 2010, 1297 Rdn. 5BFH 11.05.2007 – V S 06/07, BFH/NV 2007, 1590; BFH 30.08.2007 – IX S 06/07, BFH/NV2007, 2324


- 298 - 298107910801081sprechung <strong>des</strong> BVerfG. 1784) Ferner ist nicht nachvollziehbar, wenn der BFH iudiziert,zwar erfülle das rechtliches Gehör seinen Zweck nur dann, wenn es vom zuständigenRichter gewährt werde, aber das BVerfG habe unter diesem Gesichtspunkt bisher Art.103 Abs. 1 GG nicht geprüft. 1785)Ob und inwieweit in solchen Fällen eine Gegenvorstellung oder außerordentliche Beschwerdegeboten ist, zumal wenn es um die Frage der Rechtswegerschöpfung gem.§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG geht, wird auf oben Ausgeführtes verwiesen. 1786) ErstRecht kann im Verfahren nach § 133a FGO nicht vorgetragen werden, es sei in derSache falsch entschieden worden. 1787)In der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, obgegen einen unanfechtbaren Beschluss <strong>des</strong> FG, mit dem ein Ablehnungsgesuch zurückgewiesenist, eine Anhörungsrüge stattfinden kann. 1788)Für die Entscheidung über eine erfolglose Anhörungsrüge wird eine Gebühr vonEUR 50,00 erhoben. 1789)10823. Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfGDie Anhörungsrüge ist nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges erforderlich, wenn die“neue und eigenständige” Verletzung der letzten in der Prozessordnung vorgesehenenInstanz gerügt wird. 1790) Mit der Anhörungsrüge gegen eine letztinstanzliche Entscheidungkann folglich nicht gerügt werden, das letztinstanzliche Gericht habe einen gerügtenGgehörsverstoß der Vorinstanz nicht verarbeitet; 1791) solche Gehörsrügenverstößegehören in die Verfassungsbeschwerde. Dies gilt auch für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren.1792) Und auch nur darauf kann sich die erhobene Anhörungsrügebeziehen. 1793) Aus dem Fehlen einer näheren Begründung in einem Nichtzulassungsbeschwerdeablehnungsbeschlusssollen nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 1794)1784)1785)1786)1787)1788)1789)1790)1791)1792)1793)1794)BFH 11.05.2007 – V S 06/07, DB 2007, 1682, 1683BFH 11.05.2007 – V S 06/07, DB 2007, 1682, 1683Seer/Thulfaut BB 2005, 1085, 1087 favorisieren die außerordentliche Beschwerde, die analog.§129 FGO binnen 2 Wochen nach Kenntnis der Verletzung eines Justizgrundrechts beim FG oderBFH schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen wäre. Ferner habe das FG in einem solchen Fallanalog § 130 Abs. 1 Satz 1 HS 1 FGO die Möglichkeit der Selbstabhilfe, ehe sodann unverzüglichgem. § 130 Abs. 1 Satz 1 HS 2 FGO seitens <strong>des</strong> FG dem BFH vorzulegen wäre. Liege ein solcherVerstoß beim BFH vor, bliebe die sofortige Verfassungsbeschwerde.BFH 17.06.2005 – VI S 03/05, BB 2005, 1612, 1613; BFH 30.09.2005 – V S 12, 13/05, HFR2006, 173, 174; BFH 03.03.2006 – V S 01/06, BFH/NV 2006, 1314Offen gelassen bei BFH 08.07.2013 – III B 149/12, BFH/NV 2013, 1602 Rdn. 17 f.BFH 13.12.2006 – VII S 39/06, BFH/NV 2007, 740, 741BVerfG 09.07.2007 – 1 BvR 646/06, NJE 2007, 3418 Rdn. 17 letzter Satz; BVerfG 05.05.2008 –1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635, 2636; BVerfG 26.08.2008 – 2 BvR 1516/08BVerfG 05.05.2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635, 2636; BVerfG 26.08.2008 – 2 BvR1516/08BVerfG 05.05.2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635BVerfG 30.05.2008 – 1 BvR 27/08BVerfG 08.01.2004 – 1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371, 1372


- 299 - 29910831084dem Beschwerdeführer keine eigenständigen Nachteile bei der Durchsetzung seinerGrundrechte entstehen.; denn eine Entscheidung über die Nichtzulassung der Revisionbeschränke sich auf die Klärung, dass der Zugang zum Revisionsgericht nicht eröffnetsei (BVerfG 08.01.2004 – 1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371, 1372). Wenn aber dasBVerfG in 2008 1795) beim Anhörungsrügeverfahren im Anschluss an ein erfolglosverlaufenes Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mit zuvor Ausgeführten iudiziert,daß ein eigenständiger neuer Gehörsverstoß <strong>des</strong> letztinstanzlichen Gerichts Gegenstandeines Anhörungsrügeverfahrens sein kann, dann bringt das BVerfG damit zumAusdruck, daß in Anbetracht der Subsidiarität <strong>des</strong> Verfassungsbeschwerdeverfahrens(§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) solche Gehörsverstöße nicht sogleich Gegenstand einesVerfassungsbeschwerdeverfahrens sein können, sondern zunächst Gegenstand einesAnhörungsrügeverfahrens sein müssen. 1796) Vor diesem Hintergrund ist offen, ob dasBVerfG auch heute noch das so iudizieren würde, was zuvor zu BVerfG 08.01.2004 –1 BvR 864/03, NJW 2004, 1371, 1372 ausgeführt wurde. Immerhin hat das BVerfG inseiner Entscheidung vom 09.06.2008 1797) folgende Relativierung vorgenommen:Zwar zwinge Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nicht dazu, je<strong>des</strong> Vorbringen ausdrücklichzu bescheiden, da grundsätzlich davon auszugehen sei, daß das Gericht Vortragder Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe. Allerdingskönne ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dann festgestellt werden, wenn besondereUmstände vorlägen, die den Schluss zuließen, das Gericht habe das Vorbringen <strong>des</strong>Beschwerdeführers bei seiner Entscheidung entweder überhaupt nicht zur Kenntnisgenommen oder nicht erwogen. Und dies sei dann der Fall, wenn das Gericht auf denwesentlichen Kern eines Vortrages der Partei, die für das Verfahren von wesentlicherBedeutung sei, in der Entscheidung nicht eingegangen sei und diese Nichtberücksichtigungden Schluss der Nichtberücksichtigung zulasse und die Anhörungsrügenicht unerheblich oder offensichtlich unzulässig sei. 1798) Von welchem Standpunktaber diese offensichtliche Aussichtslosoigkeit zu beurteilen ist, ist in der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG nicht eindeutig: Denn die rechtliche Würdigung der offensichtlichenAussichtslosigkeit ist mit der Entscheidung der 3. Kammer <strong>des</strong> 2. Senates<strong>des</strong> BVerfG 1799) nach dem Rechtsstandpunkt <strong>des</strong> letztinstanzlichen Gericht vorzunehmen,während die 1. Kammer <strong>des</strong> 1. Senates <strong>des</strong> BVerfG 1800) für die Frage deroffensichtlichen Unzulässigkeit auf die Erkennbarkeit für den Beschwerdeführer abstellt.Das BVerfG 1801) iudiziert, daß eine Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig seinkönne und nicht wirksamkeitserhaltend reduziert werden könne, wenn ein gebotenesAnhörungsrügeverfahren nicht zuvor durchlaufen worden sei. Dies begründet das1795)1796)1797)1798)1799)1800)1801)BVerfG 05.05.2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635, 2636; BVerfG 26.08.2008 – 2 BvR1516/08BVerfG 30.05.2008 – 1 BvR 27/08BVerfG 09.06.2008 – 2 BvR 947/08BVerfG 15.03.2006 -–2 BvR 917 und 2174/05, BVerfGK 7, 403, 407; BVerfG 09.06.2008 – 2BvR 947/08BVerfG 09.06.2008 – 2 BvR 947/08BVerfG 05.05.2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635BVerfG 25.04.2005 – 1 BvR 644/05, NJW 2005, 3059; BVerfG 30.05.2008 – 1 BvR 27/08;BVerfG 09.06.2008 – 2 BvR 947/08


- 300 - 3001085108610871088BVerfG 1802) damit, daß verfassungsrechtlich die Gehörsrüge und sonstige formelle undmaterielle Grundrechtsrügen als prozessuale Einheit anzusehen seien. Folglich istmithin ein Beschwerdeführer schon <strong>des</strong>halb gehalten, ein Anhörungsrügeverfahrendurchzuführen, wenn zuvor beschriebene Voraussetzungen gegeben sind, weil er andernfallsgehindert sein könnte, überhaupt Verfassungsbeschwerde erheben zu könnenund zwar auch im Hinblick auf andere in einer Verfassungsbeschwerde zu rügendeGrundrechtsverletzungen. 1803) Ein vorherige Anhörungsrüge ist nach der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG 1804) nur dann entbehrlich, wenn sie offensichtlich aussichtslos wäre,wozu auf das zuvor schon Ausgeführte verwiesen wird.Ein Anhörungsrügeverfahren im Anschluss an eine Entscheidung <strong>des</strong> BFH selbst istfolglich nur dann geboten, wenn sie sich gegen eine “neue und eigenständige” Verletzung<strong>des</strong> Art. 103 Abs. 1 GG durch den BFH selbst richtet. 1805) Dies bedeutet:- Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG – wie übrigens auch alle anderen Grundrechtsverletzungen– muß aus Gründen der materiellen Subsidiarität bereits imInstanzenzug gerügt worden sein, also spätestens vor dem BFH.- Folglich sind im Revisions- bzw. Nichzulassungsbeschwerdeverfahren alle bisdahin gerügten Grundrechtsverletzungen erneut zu rügen. Ob dann, wenn derBFH diesen gerügten Grundrechtsverletzungen nicht abhilft, sich dem ein Anhörungsrügeverfahrenanzuschließen hat oder nur dann, wenn seitens <strong>des</strong> BFHeine “neue und eigenständige” Verletzung gegen Art. 103 Abs. 1 GG begangenwurde, ist mit dem zuvor Ausgeführten in der Rechtsprechung von BVerfG imletzteren Sinne entschieden.Eine gebotene aber unterlassene Anhörungsrüge (§ 133a Abs. 1 FGO) hat für eineVerfassungsbeschwerde zum BVerfG zur Folge, dann nicht nur die Verfassungsbeschwerdeim Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig wird, sondern insgesamt.1806)Eine ganz andere Frage ist, ob eine Anhörungsrüge die Frist zur Einlegung derVerfassungsbeschwerde hinausschiebt oder nicht. Nach einer Entscheidung <strong>des</strong>BVerfG vom 26.08.2008 1807) kann eine offensichtlich aussichtslose Anhörungsrüge dieFrist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht offen halten. Ist dagegen dieAnhörungsrüge nicht offensichtlich aussichtslos, beginnt die Frist für das Verfassungsbeschwerdeverfahrenerst mit dem Beschluss über die Ablehnung der Anhörungsrügezu laufen. 1808) Wann jedoch eine offensichtlich aussichtslose Anhörungsrügegegeben ist, was eine rechtliche Wertungsfrage ist, bzw. ob dabei auf den Standpunkt<strong>des</strong> Beschwerdeführers oder <strong>des</strong> Gerichts abzustellen ist, ist wie in meinem1802)1803)1804)1805)1806)1807)1808)BVerfG 29.03.2007 - 2 BvR 120/07BVerfG 29.03.2007 - 2 BvR 120/07BVerfG 15.03.2006 -–2 BvR 917 und 2174/05, BVerfGK 7, 403, 407; BVerfG 09.06.2008 – 2BvR 947/08angedeutet in BVerfG 09.07.2007 – 1 BvR 646/06, NJW 2007, 3418 Rdn. 23 – 24; inzwischenentschieden inBVerfG 13.09.2007 – 2 BvR 304//05, Beilage zu BFH/NV 2008, 63BVerfG 26.08.2008 - 2 BvR 1516/08BVerfG 25.04.2005 - 1 BvR 644/05, NJW 2005, 3059, 3060; BVerfG 30.05.2008 - 1 BvR 27/08


- 301 - 3011089109010911092beigefügten Vorschlag nachzulesen ist, selbst in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG widersprüchlichangesprochen. Es bietet sich daher an wie folgt vorzugehen:- Liegen die Voraussetzungen für eine Anhörungsrüge vor, sollte die Anhörungsrügebeim letztinstanzlichen Gericht und zugleich die Verfassungsbeschwerdebeim BVerfG erhoben werden.- Sollte der Anhörungsrüge stattgegeben werden, wäre die Verfassungsbeschwerdezurückzunehmen.- Würde die Anhörungsrüge vom letztinstanzlichen Gericht als offensichtlich aussichtslosabgelehnt werden, wäre die Einlegung der Verfassungsbeschwerde fristgerechterfolgt.- Und würde das letztinstanzliche Gericht statt <strong>des</strong>sen die Anhörungsrüge zurückweisen,ohne sie als offensichtlich aussichtslos zu bezeichnen, würde im Anschlussan einen solchen Beschluss die Verfassungsbeschwerde neu eingelegtwerden (dann incl. der Rügen gem. Art. 103 Abs. 1 GG, die vom letztinstanzlichenGericht im Anhörungsrügeverfahren nicht gewürdigt worden wären) und dieerste bereits eingelegte Verfassungsbeschwerde würde zurückgezogen werdenACHTUNG:Wird z.B. ein Gehörsverstoß <strong>des</strong> FG nicht spätestens im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrengerügt, verstößt dies gegen den vom BVerfG iudizierten Grundsatz dermateriellen Subsidiarität, wonach der Betroffene im Verfahren vor den Fachgerichtenalle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen muß, um die vermeintlicheGrundrechtsverletzung abzuwenden. Wer dies unterläßt, begibt sich der Möglichkeit,diesen etwaigen Grundrechtsverstoß später im Anhörungsrügeverfahren oder mit derVerfassungsbeschwerde noch zu rügen. 1809)10931094XIV. Gegenvorstellung 1810)Wird gegen einen Steuerbescheid Gegenvorstellung erhoben, so kann sich die Fragestellen, ob es sich dabei um einen Einspruch handelt. Dies wird unterschiedlich gesehen.1811)Davon zu trennen ist die rechtliche Würdigung einer Gegenvorstellung gegen eineEntscheidung eines Gerichts. Ist die Entscheidung eines FG anfechtbar, wird eine Gegenvorstellungnicht als zulässig angesehen; es muß dann eben der entsprechendeRechtsbehelf bzw. das entsprechende Rechtsmittel eingelegt werden. 1812) Andernfallskann Gegenvorstellung erhoben werden. 1813) So kann z.B. ein die AdV ablehnender1809)1810)1811)1812)1813)BVerfG 09.07.2007 – 1 BvR 646/06, NJW 2007, 3418 Rdn. 19, 26 m.w.N.; BVerfG 13.09.2007 –2 BvR 304/05, Beilage zu BFH/NV 1/2008, 63BFH 29.03.2000 – II S 2/00, BFH/NV 2000, 1221; BFH 30.08.2001 – IV B 80/01, DB 2001,2429Für Einspruch: FG Rheinland-Pfalz 12.04.1972 - III 127/70, EFG 1972, 515Gegen Einspruch: HessFG 12.05.1976 - VII 24/76, EFG 1977, 90FG Hamburg 17.09.1980 - III 203/78, EFG 1981, 98; FG Rheinland-Pfalz 01.01.1999 - 5 K2975/97, DStZ 1999, 385FG Rheinland-Pfalz 14.01.1997 - 1 Ko 2704/96, n.V. [betreffend Streitwert];


- 302 - 302109510961097Beschluss <strong>des</strong> FG (§ 69 Abs. 3 FGO), bei dem die Beschwerde nicht nach § 128 Abs.3 Satz 1 FGO zugelassen worden ist und bei dem noch nicht die Voraussetzungen <strong>des</strong>§ 69 Abs. 6 FGO gegeben sind, durchaus mit der Gegenvorstellung angegangen werden.1814) Aber eine solche Gegenvorstellung kann nur darauf gerichtet sein, dass dasFG seine ablehnende Entscheidung selbst überprüft, nicht, dass der BFH sie überprüft.1815)Wird eine Gegenvorstellung zurückgewiesen, ist dagegen eine außerordentliche Beschwerdenicht statthaft. 1816)Mit dem Vorbringen, der BFH habe in seiner Entscheidung rechtsfehlerhaft entschieden,kann mit dem BFH keine Anhörungsrüge erhoben werden. Diesbezüglich kannallenfalls eine Gegenvorstellung erhoben werden. 1817) Soll eine Gegenvorstellung gegeneine Entscheidung <strong>des</strong> BFH erhoben werden, so ist zunächst einmal der Vertretungszwangvor dem BFH zu beachten (§ 62a FGO), es sei denn für das Verfahrenbesteht kein Vertretungszwang. 1818) Vom BFH 1819) wird angedeutet, daß an der Statthaftigkeiteiner Gegenvorstellung betreffend seine Entscheidung, welche in materielleRechtskraft erwachsen ist, Zweifel bestehen. Eine solche Ausnahme könne beischwerwiegenden Grundrechtsverletzungen in Betracht kommen oder wenn eine inmaterieller Rechtskraft erwachsene Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehre.1820) Diese vorgenannten Zulässigkeitsvoraussetzungen sind für den Fall einerGegenvorstellung substantiiert darzulegen. 1821) Inzwischen wird jedoch von diversenanderen Senaten <strong>des</strong> BFH iudiziert, daß eine Gegenvorstellung gegen nicht mehr abänderbare– d.h. rechtskräftige – Entscheidungen nicht statthaft sei. 1822)Unklar ist, in welcher Frist eine Gegenvorstellung zu erheben ist: Einerseits wird iudiziert,eine Gegenvorstellung gegen eine Entscheidung <strong>des</strong> BFH sei in der Monatsfristzu erheben, in der auch gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG eine Verfassungsbeschwerde zuerheben wäre. 1823) Andererseits wird iudiziert, die Gegenvorstellung gegen eine Entscheidung<strong>des</strong> FG sei binnen einer 2-Wochen-Frist zu erheben (analog § 321a Abs. 2Satz 2 ZPO). 1824) Diese Frist beginnt mit Bekanntgabe <strong>des</strong> angefochtenen Beschlusses1814)1815)1816)1817)1818)1819)1820)1821)1822)1823)1824)FG Baden- Württemberg 29.04.1998 - 6 V 69/97, StE 1998, 424BFH 26.07.2001 - X B 44/01, n.V.BFH 11.05.2006 – IX B 33/06, BFH/NV 2006, 1506; BFH 15.01.2007 – V S 39/06, BFH/NV2007, 757BFH 17.12.2008 – IX S 23/08, BFH/NV 2010, 43 f.BFH 30.01.2001 - VII S 35/00, BFH/NV 2001, 810; BFH 08.03.2001 - XI S 14/01, n.V.; BFH09.05.2001 - VII B 293, 294/00, VII S 36, 37/00, n.V.; BFH 11.05.2001 - XI S 11/01, n.V.BFH 28.09.2010 – IX S 10/10, BFH/NV 2011, 55 Rdn. 8BFH 13.10.2005 – IV S 10/05, BStBl. II 2006, 76; BFH 28.09.2010 – IX S 10/10, BFH/NV 2011,55 Rdn. 8BFH 28.09.2010 – IX S 10/10, BFH/NV 2011, 55 Rdn. 9BFH 06.10.2010 – X S 25/10, BFH/NV 2011, 276 u.H.a. BVerfG 25.11.2008 – 1 BvR 848/07,BVerfGE 122, 190; BFH 01.07.2009 – V S 10/07, BStBl. II 2009, 824; BFH 19.11.2009 – III S43/09, BFH/NV 2010, 453; BFH 28.05.2010 – III S 11/10, BFH/NV 2010, 1651; BFH14.02.2012 – IV S 1/12, BFH/NV 2012, 967BFH 03.07.2001 - IX S 1/01, n.V.BFH 29.09.2003 – IV B 146/03, BFH/NV 2004, 211


- 303 - 30310981099– wofür analog § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO die dortige 3-Tages-Frist gilt -, ohne daß es<strong>des</strong>sen förmlicher Zustellung bedurft hätte. 1825) Nach einer Entscheidung <strong>des</strong> IV. Senates<strong>des</strong> BFH 1826) ist die Gegenvorstellung sogar nicht fristgebunden, wenn es umeinn Fall gravierender Rechtsverletzung geht und die Gegenvorstellung auf Art. 19Abs. 4 GG gestützt worden ist.Gegenvorstellung gegen eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung <strong>des</strong> BFH ist wegen§ 133a FGO nicht mehr zulässig, wenn die angefochtene Entscheidung das Recht <strong>des</strong>Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt. 1827) Sie ist jedoch zulässig, wenndie angefochtenen Entscheidung gegen das Gebot <strong>des</strong> gesetzlichen Richters verstößtoder im übrigen jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt, 1828) wobei der BFH inzwischensogar zusätzlich fordert, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen das Willkürverbotvorliegt. 1829) Handelt es sich um eine gravierende Rechtsverletzung <strong>des</strong> BFH,dann sieht der BFH für die Zeit ab 01.01.2005 die Rechtsgrundlage der Gegenvorstellungin Art. 19 Abs. 4 GG. 1830)Ist daran gedacht, gegen einen Nichtanahmebeschluss oder ein negatives Revisionsurteil<strong>des</strong> BFH Verfassungsbeschwerde einzulegen, so wird unterschiedliches vertreten.Einerseits wird eine Gegenvorstellung gegen einen ablehnenden Beschluss alsnicht statthaft angesehen. 1831) Soweit man andererseits von einer Statthaftigkeit ausgehenwollte, gilt es vor dem Hintergrund <strong>des</strong> zuvor aufgezeigten folgen<strong>des</strong> zu beachten:1825)1826)1827)1828)1829)1830)1831)BFH 30.09.2004 – IV S 09/03, BFH/NV 2005, 307BFH 13.10.2005 – IV S 10/05, HFR 2006, 174, 175Verneinend: BFH 02.01.2007 – XI S 27/06, BFH/NV 2007, 750; Offen gelassen in BFH13.12.2006 – VII S 39/06, BFH/NV 2007, 740; BFH 21.12.2006 – V S 33/06, BFH/NV 2007, 747BVerfG 28.09.1999 - 2 BvR 1897/95, NJW 2000, 273; BVerfG 09.11.2000 - 1 BvR 933/97,NJW-RR 2001, 860; BFH 28.02.2001 - X R 72/99, BFH/NV 2001, 1127; BFH 10.07.2001 - XI S12, 13/01, BFH/NV 2002, 32; BFH 25.04.2002 – XI S 17/02, BFH/NV 2002, 1165; BFH01.08.2005 – X S 16/05, BFH/NV 2005, 2040; BFH 13.10.2005 – IV S 10/05, HFR 2006, 174 –Offen gelassen bei BFH 02.01.2009 – V S 01/08, BFH/NV 2009, 1127Aber: BFH 11.04.2001 - VIII S 8/97, BFH/NV 2001, 1140 [erfolgreiche Gegenvorstellung gegenRevisionsverwerfungsbeschluss zulässig] – BFH 07.05.2001 - III B 10/01, BFH/NV 2001, 1421[erfolgreiche Gegenvorstellung gegen Revisionsverwerfungsbeschluss nicht zulässig]BFH 06.07.2005 – VII S 30/05, BFH/NV 2005, 2028; BFH 29.03.2006 – I B 53/05, BFH/NV2006, 1484BFH 13.10.2005 – IV S 10/05, HFR 2006, 174 f.BFH 25.08.2006 – V S 03/06, BFH/NV 2006, 2292


- 304 - 30411001101- Die Gegenvorstellung gehört grundsätzlich nicht zum zu erschöpfenden Rechtsweg<strong>des</strong> § 90 Abs. 2 Satz 1 GG. 1832) Die Gegenvorstellung hemmt grundsätzlichdie Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde nicht. 1833) Die Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG anerkennt jedoch dann eine fristenwahrende Gegenvorstellung,wenn mit ihr die Verletzung von Prozeßgrundrechten durch das letztinstanzlicheGericht gerügt werden (z.B. Verletzung rechtlichen Gehörs, Anspruch aufden gesetzlichen Richter aufgrund fachgerichtlicher Selbstkontrolle). 1834) In Anbetracht<strong>des</strong> nachfolgend geschilderten Risikos, dass durch die Einlegung einerGegenvorstellung die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde für denFall ihrer Unzulässigkeit bzw. Unbegründetheit nicht gehemmt sein könnte undüber die Gegenvorstellung eine Verfassungsbeschwerde verfristen könnte, sollteman von der Gegenvorstellung in denen vom BFH gegen seine Entscheidungenfür zulässig erachteten Fällen vorsichtshalber nur dann Gebrauch machen, wennman nicht die Absicht hat, im Falle der Zurückweisung der Gegenvorstellungdann doch Verfassungsbeschwerde einzulegen.- Die Gegenvorstellung ist innerhalb der für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerdezu beachtenden Frist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG) zum BFH zu erheben,wenn dem sich eine Verfassungsbeschwerde soll anschließen können. 1835) DieMonatsfrist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde selbst (§ 93 Abs. 1Satz 1 BVerfGG) beginnt bei einer zulässigen und begründeten Gegenvorstellungmit Zustellung der Entscheidung über diese Gegenvorstellung an zu laufen, 1836)dagegen wird sie bei einer unzulässigerweise erhobenen oder unbegründeten Gegenvorstellungnicht gehemmt. 1837) Ob dieser Grundsatz in der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG bleibt, ist zweifelhaft geworden. Denn die 3. Kammer <strong>des</strong> 1. Senates<strong>des</strong> BVerfG 1838) hat in einer Entscheidung ausgeführt, wegen <strong>des</strong> Grundsatzes der1832)1833)1834)1835)1836)1837)1838)BVerfG 28.09.1999 - 2 BvR 1897/95, NJW 2000, 273; BVerfG 13.11.2001 – 2 BvR 1879/01,NStZ-RR 2002, 109; BVerfG 27.09.2002 – 2 BvR 855/02, NJW 2003, 575. Siehe aber BVerfG15.08.1996 - 2 BvR 662/95, NJW 1997, 46, wonach dem Beschwerdeführer zur Beseitigung grobenprozessualen Unrechts grundsätzlich sehr wohl zumutbar sein soll, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde,Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfsim fachgerichtlichen Verfahren zu suchen. Die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerdewerde dann durch eine auf einen solchen Rechtsbehelf hin ergehende Entscheidungneu in Lauf gesetzt. Zu dem daraus resultierenden Fristendilemma Buchheister NVwZ 2000,1356, der empfiehlt, „Prozessrisiken in einer solchen Situation durch ein zweigleisiges Vorgehenzu vermeiden, indem vor den Fachgerichten auch in ihrer Zulässigkeit zweifelhaft erscheinendeformlose Rechtsbehelfe wie etwa die Gegenvorstellung eingelegt, zugleich aber vorsorglich Verfassungsbeschwerdeerhoben wird, gegebenenfalls verbunden mit der Bitte an das Verfassungsgericht,die Sache zunächst - bis zur abschlägigen Bescheidung der Gegenvorstellung - nur in dasAllgemeine Register einzutragen.“BVerfG 27.09.2002 – 2 BvR 855/02, NJW 2003, 575; BVerfG 25.11.2008 – 1 BvR 848/07, NJW2009, 829BVerfG 13.11.2001 – 2 BvR 1879/01, NStZ-RR 2002, 109; BVerfG 27.09.2002 – 2 BvR 855/02,NJW 2003, 575.BVerfG 24.07.1995 - 1 BvR 1822/94, NJW 1995, 3248BVerfG 22.09.2000 - 1 BvR 1059/00, NJW 2001, 744, 745BVerfG 20.02.1984 - 1 BvR 166/84, StRK BVerfGG § 93 R.17; BVerfG 28.09.1999 - 2 BvR1670/99, NJW 2000, 274, 275BVerfG 28.03.2002 – 1 BvR 229/02, NJW 2002, 3387


- 305 - 30511021103Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) müsse ein Beschwerdeführervon einem Rechtsbehelf grundsätzlich selbst dann Gebrauch machen,wenn <strong>des</strong>sen Statthaftigkeit zweifelhaft sei. Gegen eine unanfechtbare gerichtlicheEntscheidung müssen bei gerügtem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GGzunächst Gegenvorstellung erhoben werden. Und in diesem Zusammenhang führtdas BVerfG aus, der Beschwerdeführer sei gehalten, mit der Einlegung der Verfassungsbeschwerdezuzuwarten, bis über die Gegenvorstellung entschieden wordensei. Allerdings baute diese Aussage <strong>des</strong> BVerfG auf der Aussage auf, dassnach der vom BVerfG zitierten Rechtsprechung der BGH über eine fristgemäßeingelegte Gegenvorstellung gegen eine von ihm erlassene Streitwertfestsetzunggrundsätzlich sachlich entschieden werde. Andererseits soll nach dieser Entscheidung<strong>des</strong> BVerfG auch bei zweifelhaften Rechtsbehelfen Gegenvostellung erhobenwerden. Wie folglich bei Gegenvorstellungen zu verfahren ist, bei denennicht sicher ist, dass das letztinstanzliche Gericht sachlich entscheiden werde undob künftig in jedem Fall zu erhebender Gegenvorstellung die Frist zur Einlegungeiner Verfassungsbeschwerde erst nach Zustellung der Entscheidung über dieGegenvorstellung zu laufen beginnt, 1839) ist offen.Ob die Gegenvorstellung noch eine ausreichende rechtliche Legitimation hat, wenn siewegen Verletzung von Verfahrensgrundrechten gegen letztinstanzliche Entscheidungenerhoben wird, ist allerdings aufgrund der neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> Plenums<strong>des</strong> BVerfG 1840) fraglich geworden. Es hat nämlich entschieden, dass Verstöße gegenVerfahrensgrundrechte überprüfbar sein müßten und es den verfassungsrechtlichenAnforderungen der Rechtsmittelklarheit nicht genüge, wenn sich solches nicht aus dergeschriebenen Rechtsordnung ergebe. Außerordentliche Rechtsbehelfe (wozu die Gegenvorstellunggehört) erfüllten solche Anforderungen nicht, weswegen das BVerfGes dem Gesetzgeber aufgegeben hat, bis zum 31.12.2004 eine Lösung zu finden. Zwarerging diese Entscheidung zur ZPO, diese Grundsätze stellen sich aber hier wegen §155 FGO in gleichem Maße. Es ist folglich fraglich, ob der außerordentliche Rechtsbehelfder Gegenvorstellung bis zum Ablauf der vom BVerfG dem Gesetzgeber vorgegebenenFrist 31.12.2004 noch eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlagehatte. 1841)Erstmals mit seinem Beschluss vom 31.01.2007 hat der V. Senat <strong>des</strong> BFH 1842) die Gegenvorstellungals solche in Frage gestellt, da sie im Hinblick auf die Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG 1843) den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit vonRechtsbehelfen nicht genüge. Er schränkt dies aber sogleich wieder ein, indem dieGegenvorstellung ausnahmsweise dann zulässig sein solle, wenn z.B. eine Entschei-1839)1840)1841)1842)1843)Immerhin wird in BVerfG 11.07.2002 – 1 BvR 226/2002, NJW 2002, 338 nochmals betont, dasses der Subsidiaritätsgrundsatz erfordere, alle prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, „um esnicht zu einem Verfassungsverstoß kommen zu lassen oder um eine geschehene Grundrechtsverletzungzu beseitigen“, ohne dass aber damit etwas zur Frage <strong>des</strong> Beginns <strong>des</strong> Laufs einer Verfassungsbeschwerdefristgesagt ist. Ähnlich in BVerfG 05.08.2002 – 2 BvR 1108/02, BauR 2002,1740, 1741BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, NJW 2003, 1924, 1928Kirchberg BRAK-Mitt. 2003, 179; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2198BFH 31.01.2007 – V S 26/06, BFH/NV 2007, 953, 954BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, BVerfGE 107, 395


- 306 - 306110411051106dung <strong>des</strong> BFH an besonders schwerwiegenden Grundrechtsverstößen leide oder eineEntscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehre. 1844)Diese Entscheidung <strong>des</strong> V. Senates <strong>des</strong> BFH begründet erhebliche Rechtsunsicherheit.Denn wenn sie zutreffend wäre, wäre alleine mit einer Entscheidung <strong>des</strong> BFH im Hinblickauf eine einzulegene Verfassungsbeschwerde jedenfalls in denen vom BFH angesprochenenAusnahmefällen der Rechtsweg i.S.d. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nochnicht erschöpft, so daß zudem die Monatsfrist <strong>des</strong> § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erstmit Zustellung der Entscheidung <strong>des</strong> BFH über eine abgelehnte Gegenvorstellung zulaufen beginnen würde. Es ist folglich unsicher, wann nach einer letztinstanzlichenEntscheidung <strong>des</strong> BFH der Rechtsweg erschöpft ist und die Frist <strong>des</strong> <strong>des</strong> § 93 Abs. 1Satz 1 BVerfGG zu laufen beginnt, zumal auch andere Senate <strong>des</strong> BFH dazu nochkeine einheitliche Meinung haben.Mit Vorlagebeschluss vom 26.09.2007 hat der V. Senat <strong>des</strong> BFH 1845) dem gemeinsamenSenat der obersten Gerichtshöfe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> die Frage zur Entscheidung vorgelegt,ob eine Gegenvorstellung noch statthaft ist. Er hat diese Vorlage im wesentlichendamit begründet, die gesetzlich nicht geregelte Gegenvorstellung erfülle die in derRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 1846) dargelegten Anforderungen an Rechtsmittelklarheitnicht. Diese Vorlage hat der V. Senat <strong>des</strong> BFH unter dem 01.07.2009 zurückgezogen.1847) Dies im Hinblick auf nachfolgende Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG vom25.11.2008.In seinem aus anderem Anlass ergangenen Beschluss vom 25.11.2008 hat dasBVerfG 1848) klargestellt, daß er in seiner früheren Entscheidung nicht habe zum Ausdruckbringen wollen, daß eine Gegenvorstellung gegen gerichtliche Entscheidungengenerell unzulässig sei. Dies hat den 5. Senat <strong>des</strong> BFH 1849) bei Rücknahme seinerVorlage veranlaßt, darauf hinzuweisen, er verstehe diese Entscheidung <strong>des</strong> BVerfGdahingehend, daß eine Gegenvorstellung dann statthaft sei, wenn das Fachgericht nachder maßgebenden gesetzlichen Regelung noch zu einer Abänderung seiner vorangegangenenEntscheidung befugt sei und die Gegenvorstellung ihm Anlass für eine dahingehendePrüfung gebe.1107XV.Verfassungsbeschwerde1. Allgemeines„(Der) Rechtsanwalt (hat) seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, ..... vorFehlentscheidungen durch Gerichte ..... zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigungund staatliche Machtüberschreitung zu sichern“ (§ 1 Abs. 3 Berufsordnung).1844)1845)1846)1847)1848)1849)BFH 31.01.2007 – V S 26/06, BFH/NV 2007, 953, 954BFH 26.09.2007 – V S 10/07, BStBl. II 2008, 60 = NJW 2008, 543BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, BVerfGE 107, 395BFH 01.07.2009 – V S 10/07, BStBl. II 2009, 824BVerfG 25.11.2008 – 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829BFH 01.07.2009 – V S 10/07, BFH/NV 2009, 1752


- 307 - 30711081109111011111112Dies schließt es ein, in Fällen verfassungswidriger Beeinträchtigung und staatlicherMachtüberschreitung bereits im Instanzenzug für den Mandanten Grundrechtsverletzungenzu reklamieren bzw. Verfassungsbeschwerde zu erheben. Die Anwort<strong>des</strong> BVerfG ist der selbstgefällige Hinweis, nur rd. 2% aller Verfassungsbeschwerdenseien erfolgreich. 1850)Hinzu kommt, dass ernst zu nehmende Kritik laut wird, ob denn das BVerfG noch gesetzlicherRichter sei oder ob nicht längst im Gesetz überhaupt nicht vorgesehene wissenschaftlicheMitarbeiter diese Funktion übernommen haben. 1851)Auch Instanzgerichte bis hin zu den Bun<strong>des</strong>gerichten befassen sich mit Grundrechtsverletzungenkaum. 1852) Damit ist der Grundrechtsschutz in Deutschland weitgehendwirkungslos und damit erheblich schwächer ausgebildet, als europäische Vorgaben<strong>des</strong> EGMR und EuGH. Seitens <strong>des</strong> BVerfG den nationalen Grundrechtsstandard zumMaßstab europäischen Grundrechtsschutzes zu machen, ist mithin dort nicht zutreffend,wo europäischer Grundrechtsschutz durch EGMR und EuGH qualitativ undquantitativ erheblich wirkungsvoller ist und umgekehrt von der deutschen (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit zu beachten wäre.Es wird mithin zu zeigen sein, dass bereits nationaler Grundrechtsschutz wirkungsvollsein müßte, wenn die deutsche (Verfassungs-) Gerichtsbarkeit sich nicht nur an denMaßstäben der nationalen Verfassungsrechtsprechung ausrichten würde sondern aucheuropäische Grundrechtsvorgaben <strong>des</strong> EGMR und EuGH einbeziehen würde. Dies<strong>des</strong>halb, weil die Grundrechtsprechung <strong>des</strong> EuGH in weiten Bereichen auf die vomEGMR entwickelten bzw. iudizierten Grundsätze zurückgreift, 1853) und zwar unabhängigdavon, ob z. B. die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR bezüglich Art. 6 Abs. 1 EGMRauch für das Steuerrecht gilt.Der deutsche Grundrechtsschutz ist in der Praxis nicht sehr ausgeprägt. Die Vielzahlvon mehr als 5.000 jährlich erhobener Verfassungsbeschwerden zum BVerfG wegenbehaupteter Grundrechtsverletzungen deutscher Gerichte drückt dieses ebenso aus wieeine sich anschließende, in der Regel ohne Begründung versehene, Nichtannahmepraxis<strong>des</strong> BVerfG. Auch weit weniger als 2% erfolgreiche Verfassungsbeschwerdenwegen gerügter Grundrechtsverletzungen sind nicht Ausdruck eines wirklichenGrundrechtsschutzes. Eine solche Praxis rechtfertigt nicht die Aussage Hirsch´s, 1854)die Grundrechte würden die hoheitliche Gewalt bändigen und den Einzelnen gegen diestaatliche Autorität sichern.1850)1851)1852)1853)1854)Jaeger AnwBl 2000, 475; lt. Huff (NJW 13/2003, XIV) sind in 2002 nur 2,3 % der gegen Entscheidungenvon Bun<strong>des</strong>gerichten eingelegte Verfassungsbeschwerden aufgehoben worden.Lamprecht NJW 2001, 419 u.H.a. Böckenförde ZRP 1996, 281Wenn nach Gieg/Widmaier NStZ 2001, 57 75-80 % aller Revisionen von Angeklagten dasSchicksal <strong>des</strong> § 349 Abs. 2 StPO erleiden, kann man sich vorstellen, dass dabei auch Verfassungsrügenauf der Strecke bleiben.Britz NVwZ 2004, 173, 174Hirsch FAZ vom 12.10.2000, Seite 11


- 308 - 308111311141115Die Praxis zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. 1855)Der deutsche Grundrechtsschutz in der Theorie ist dagegen mehr als umfassend. NebenGrundgesetz und Lan<strong>des</strong>verfassungen sind Europäische Menschenrechtskonvention,das Postulat der Gemeinschafts-Grundrechtsbindung in der Rechtsprechung derEuGH (Richterrecht) und demnächst die Grundrechte-Charta der Europäischen Unionvon Bedeutung.Hier soll nicht der von Hirsch 1856) aufgeworfenen Frage nachgegangen werden, ob diesnicht zuviel <strong>des</strong> Guten sei, sondern es soll der Versuch unternommen werden, aufzuzeigen,in welchem Verhältnis diese Grundrechte zueinander stehen, wenn im Glaubenan diese Theorie unter Ausblendung der zuvor skizzierten Praxis doch der Versuchunternommen werden sollte, eigenen Grundrechten wegen Verletzung derselben zurGeltung verhelfen zu wollen.111611172. Europäische RechtsentwicklungAm 03.09.1953 trat die am 04.05.1950 in Rom unterzeichnete Europäische Menschenrechtskonvention(EMRK) in Kraft. Es handelte sich dabei um einen die Vertragspartnerbindenden völkerrechtlichen Vertrag, der sie verpflichtete, ihren Bürgern und ihrerHoheitsgewalt unterworfenen Menschen die darin beschriebenen Menschenrechte zugewähren und die Einhaltung dieser Verpflichtungen durch internationale Organeüberwachen zu lassen. Die EMRK steht in Deutschland – so das BVerfG 1857) - imRang eines Bun<strong>des</strong>gesetzes unterhalb <strong>des</strong> Grundgesetzes, ist aber bei der Auslegung<strong>des</strong> Grundgesetzes Auslegungshilfe. Kontrollinstanzen sind die Menschenrechtskommission,der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sowie das Ministerkomitee<strong>des</strong> Europarates. 1858)Aufgrund <strong>des</strong> 11. Zusatzprotokolls vom Mai 1994, das am 01.11.1998 in Kraft trat,sind die Vertragsstaaten automatisch der Gerichtsbarkeit <strong>des</strong> EGMR unterworfen undBetroffene können sich nach Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen Rechtsweges direkt an den1855)1856)1857)1858)Immerhin gilt es ferner zu bedenken, dass zuvor bereits auf andere Weise Rechtsschutzverkürzungbetrieben wird: Im Finanzgerichtsverfahren gibt es nur 1 Tatsacheninstanz. Die Revision istim wesentlichen aufgrund nur bei Vorliegen eines gesetzlichen Zulassungsgrun<strong>des</strong> vom FG zuzulassen.Da FG damit äußerst zurückhaltend umgehen, haben Nichtzulassungsbeschwerden Zahlenmäßigein vielfaches von Revisionsverfahren angenommen. Und bei 87% aller Nichtzulassungsbeschwerdenwird vom BFH die Zulassung verweigert (so Handelsblatt vom 17.10.2000,Seite 6). Mit Seer (Handelsblatt vom 17.10.2000, Seite 6) ist die Zulassung einer Revision inzwischenzum Lotteriespiel geworden.Ähnlich die Situation im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wo für nach dem VermG zu beurteilendeVerfahren gem. § 34 Abs. 2 Satz 1 VermG die Berufungsinstanz abgeschafft ist. EineÜberprüfung fehlerhafter Urteile findet auch hier nicht statt, da die Fehlerhaftigkeit eines - wieauch im finanzgerichtlichen Verfahren - Urteiles weder ein Revisions- noch ein Nichtzulassungsbeschwerdegrundist. Eine dies beklagende Verfassungsbeschwerde vom 27.09.2000 (1 BvR1793/00) wurde nicht angenommen.Hirsch FAZ vom 12.10.2000, Seite 11BVerfG 04.05.2011 – 2 BvR 2365/09, NJW 2011, 1931 Rdn. 86 f.Bernhardt [1981-1998 Richter und 1998 Präsident <strong>des</strong> EGMR], FAZ vom 27.09.2000, Seite 10


- 309 - 309111811191120EGMR wenden. 1859) Dies gilt auch nach Erschöpfung <strong>des</strong> finanzgerichtlichen Rechtsweges.In Deutschland wird inzwischen beklagt, dass trotz Art. 53 EMRK 1860) und trotz Art.25 GG 1861) deutsche Gerichte die EMRK bei der Würdigung nationaler Grundrechtezu wenig beachten bzw. zu sehr aus der Perspektive <strong>des</strong> deutschen Rechts gewürdigtwerde und zum Teil nationale Gerichte dem EGMR die Gefolgschaft versagten. 1862)Dazu paßt auch, dass das BVerfG 1863) jüngst nochmals betonte, Verfassungsbeschwerdenund Vorlagen gem. Art. 100 Abs. 1 GG seien unzulässig, wenn Gemeinschaftsrechtzum Maßstab auch für Grundrechte gemacht würden; denn das BVerfG befassesich damit nur dann, wenn dargelegt werde, dass die europäische Rechtsentwicklungeinschließlich der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH unter den „erforderlichen Grundrechtsstandard“abgesunken sei. Dass deutscher Grundrechtsstandard gemäß der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG hinter eine europäische Rechtsentwicklung zurückfalle, hält mananscheinend für ausgeschlossen; hierauf wird noch einzugehen sein.Die EU-Staaten hatten im Juni 1999 einen Konvent, bestehend aus Persönlichkeitender Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen, 1864) ins Leben gerufen, der die Aufgabehatte, eine Grundrechts-Charta der Europäischen Union auszuarbeiten. 1865) Auf derKonferenz von Nizza wurde am 08.12.2000 die unter der Leitung von Herzog erarbeiteteEuropäische Grundrechtscharta proklamiert. Unklar ist derzeit jedoch, welcheRechtsfolgen diese Charta haben soll: Soll sie nur eine politische Absichtserklärungder Mitgliedstaaten sein oder nach Rechtsverbindlichkeit individuellen Grundrechtsschutzsichern? 1866)1859)1860)1861)1862)1863)1864)1865)1866)Laut Bernhardt FAZ vom 27.09.2000, Seite 10 waren im Jahre 2000 beim EGMR 13.771 Verfahrenregistriert, wobei bei fast 10.000 mit der Prüfung noch nicht begonnen worden sei. In derVergangenheit seien 90% und mehr der Verfahren unzulässig gewesen. Laut FAZ vom 27.10.2000, Seite 2 seien 1999 mehr als 20.000 Beschwerden beim EGMR eingegangen, wovon rd.8.000 nach einer Vorprüfung registriert worden seien.Art. 53 EMRK: „Die hohen Vertragschließenden Teile übernehmen die Verpflichtung, sich inallen Fällen, an denen sie beteiligt sind, nach Entscheidung <strong>des</strong> Gerichtshofs zu richten.“ MitGrabenwarter DVBl 2000, 1755, 1756 bleibt weiterreichender nationaler Grundrechtsschutz unberührt(Günstigkeitsprinzip).Art. 25 GG: „Die allgemeinen Regeln <strong>des</strong> Völkerrechts sind Bestandteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rechts. Siegehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner <strong>des</strong>Bun<strong>des</strong>gebietes."Lt. FAZ vom 30.09.2000, Seite 5 Frohwein auf dem 63. Deutschen Juristentag in LeipzigBVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, n.V. u.H.a. BVerfG 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE73, 339, 376-389; BVerfG 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155; BVerfG07.06.2000 – 2 BvL 1/97Lt. Handelsblatt vom 27.09.2000, Seite 11 setzte sich der Konvent zusammen aus 15 Beauftragtender Staats- und Regierungschefs, 30 Vertretern aus den 15 nationalen Parlamenten, 16 Abgeordneten<strong>des</strong> Europaparlaments sowie dem EU-Innen- und Justizkommissar Vitorino, der den EU-Kommissionspräsident Romano Prodi vertrat. Roman Herzog wurde am 17.12.1999 zum Vorsitzenden<strong>des</strong> Konvents ernannt.Busse NJW 2000, 1074, 1075FAZ vom 30.10.2000, Seite 5: Gegen eine individuellen Grundrechtsschutz sind Großbritannienund Irland. Schaffe man neben dem Rechtsschutzsystem den nationalen Grundrechtsschutzesi.V.m. dem EGMR ein konkurrieren<strong>des</strong> Rechtsschutzsystem, dann bestehe die Gefahr unterschiedlicherAuslegungen fundamentaler Rechte.


- 310 - 3101121Im letzteren Fall würde jedoch ein individueller Grundrechtsschutz erst dann gewährtwerden können, wenn die Charta von allen Staaten der EU ratifiziert worden ist. 1867)Welchen Stellenwert sie bis dahin haben wird, ist derzeit noch offen. 1868) Damit einhergehtdie Frage, ob es eine europäische Verfassung geben soll, in welcher europäischesund nationales Verfassungsrecht aufeinander bezogen wären und die materiellrechtlichein einheitliches System wären. 1869) Immerhin begann die Grundrechts-Charta faktische Wirkung zu entfalten, indem bereits im November 2000 der spanischeVerfassungsgerichtshof sich bei einer Urteilsfindung darauf berief und auch imFebruar 2001 Generalanwälte am EuGH sich in ihren Schlußanträgen erstmals daraufberiefen. 1870)11221123112411253. Das Verhältnis von europäischem zu nationalem GrundrechtsschutzDeutsche Bürger können sich auf nationalen Grundrechtsschutz berufen. 1871) Diesen zubeachten, sind nicht erst das BVerfG oder die jeweiligen Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichteverpflichtet, auch die Fachgerichte haben diesen zu beachten. So weit die Theorie. Inder Praxis läuft der nationale Grundrechtsschutz vor Fachgerichten, selbst wenn mansich darauf beruft, weitgehend leer. Wenn Urteile sich überhaupt mit vorgetragenenGründen befassen, dann eher kurz und ablehnend. Dies führt dazu, dass im Regelfallder Rechtsweg zu erschöpfen ist, um alsdann vor dem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht oderdem BVerfG die jeweilige Grundrechtsverletzung vorzutragen. Und bei einer Erfolgsquotevor dem BVerfG von unter 2 % und nahezu durchgängig ohne Begründung versehenenNichtannahmebeschlüssen setzt sich die Verkürzung von Grundrechtsschutzauch dort fort.Dies führt zu der Frage, ob europäischer Grundrechtsschutz helfen kann, diese nationalenDefizite anzugehen. Dies ist in der Praxis nur bedingt der Fall, zumal Gemeinschaftsgrundrechtezuvörderst gegen Maßnahmen der EG schützen sollen: 1872)- Nationale Fach- und Verfassungsgerichte wären bereits in denen vor ihnen anhängigenVerfahren verpflichtet, auch national Grundrechte aufgrund der EMRKbzw. der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR als nationales Recht zu beachten. Dies geschiehtweitgehend nicht.1867)1868)1869)1870)1871)1872)So Mahrenholz in Handelsblatt vom 28.09.2000, Seite 10Lt. Mahrenholz in Handelsblatt vom 28.09.2000, Seite 10 kann sie ein „auslegungskräftigen<strong>des</strong>aber kein auslegungsbegründen<strong>des</strong> Element“ sein. Merz in Handelsblatt vom 29./30.12.2000, Seite2 plädiert für einen Verfassungsvertrag der Europäischen Union.Pernice DVBl 2000, 1753; Huber DVBl 2000, 1754; Lübbe-Wolff DVBl 2000, 1755; GrabenwarterDVBl 2000, 1755Steinbeis Handelsblatt vom 05.03.2001, Seite 6. So habe Generalanwalt Antonio Tizzano in seinenSchlußanträgen vom 08.02.2001 (C-173/99) ausgeführt: „Die maßgeblichen Aussagen der Chartakönnen nicht ignoriert werden.“ Ähnlich Generalanwalt Siegbert Alber am 01.02.2001 im VerfahrenC-340/99.Den Grundrechtsschutz ausländischer <strong>iur</strong>istischer Personen verneinend BFH 24.01.2001 - I R81/99, BStBl II 2001, 290Cole/Haus JuS 2003, 760, 761


- 311 - 3111126- Nach Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen Rechtsweges vor dem EGMR erstrittene Entscheidungensollten die unmittelbar vorangegangene belastende Entscheidung beseitigenbzw. aufheben können. Auch dies ist nicht der Fall.Wer sich als Betroffener auf nationalen und anschließend auf internationalen Grundrechtsschutzberuft, erlebt über Jahrzehnte eine Realität, die nichts mit der nachfolgendenTheorie gemein hat. Zwar ist das nachfolgend Beschriebene durch die Rechtsprechungan Hand von vor sie getragene Fälle entschieden und entwickelt worden, esist aber für die Realität nicht repräsentativ. Es wäre daher wünschenswert, nicht immerweitere Verfeinerungen nationalen und internationalen Grundrechtsschutzes zu diskutierenund zu veröffentlichen, sondern sich endlich einmal damit zu beschäftigen, dassFach- und Verfassungsgerichte dies in der Praxis durchgängig umsetzen.1127112811294. EMRKEs ist umstritten, ob die EMRK und die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR zu den allgemeinenRegeln <strong>des</strong> Völkerrechts i.S.d. Art. 25 Satz 1 GG gehören und zwar Bestandteil <strong>des</strong>Bun<strong>des</strong>rechts sind, aber Gesetzen vorgehen. 1873)Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EUV ist die Ermächtigungsgrundlage, seitens der EU der EMRKbeizutreten. 1874) Hier gilt es, folgen<strong>des</strong> zu beachten:(1) So lange die EU der EMRK noch nicht beigetreten ist/war, ist für den einzelneneine Individualbeschwerde möglich, dies aber erst nach Erschöpfung <strong>des</strong> NationalenRechtsweges (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 EMRK). Dies, ohne daß vorab das nationaleGericht ein Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV zum EuGHeingeleitet haben müßte. 1875)(2) Ab dem Zeitpunkt <strong>des</strong> Beitritts wird die EMRK zu einem integrierenden Bestandteil<strong>des</strong> EU-Rechts. Die EMRK-Grundrechte finden sich im wesentlichen in derGrundrechte-Charta wieder. 1876) Es gilt es die Kompetenzwahrungsklausel <strong>des</strong>Art. 6 Abs. 2 Satz 2 EUV zu beachten. Der EuGH ist ab diesem Zeitpunkt an dieJudikatur <strong>des</strong> EGMR gebunden (Art. 46 Abs. 1 EMRK. 1877)1130a) EMRK und Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR: Art. 25 Satz 1 GGVertritt man die Meinung, bei der EMRK handele es sich um „allgemeine Regeln <strong>des</strong>Völkerrechts“ i.S.d. Art. 25 Satz 1 GG, dann gehen diese allgemeinen nationalenGesetzen vor und werden diese verletzt, so würde über Art. 2 Abs. 1 GG die Möglichkeitder Verfassungsbeschwerde eröffnet. 1878)1873)1874)1875)1876)1877)1878)Für Bestandteil von Art. 25 Satz 1 GG: Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 152. Für den Rang eineseinfachen Gesetzes Benda AnwBl 2005, 602Dazu umfassend Obwexer EuR 2012, 115 ff.Obwexer EuR 2012, 115, 132Obwexer EuR 2012, 115, 148Obwexer EuR 2012, 115, 145Benda AnwBl 2005, 602


- 312 - 31211311132Die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland hat auch die Verpflichtung <strong>des</strong> Art. 53 EMRK alsBestandteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rechts übernommen, sich nach den Entscheidungen <strong>des</strong> EGMRzu richten. Gemäß Art. 25 Satz 2 GG gehen diese Rechte und Pflichten aufgrund derEMRK und über Art. 53 EMRK aufgrund der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR nationalenGesetzen vor 1879) und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar auch für die Bewohnerder Bun<strong>des</strong>republik Deutschland (siehe auch die Gesetzesbindung in Art. 20 Abs.3 GG). Soweit die EMRK im Rang <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rechts gilt, hat sie für die Auslegungnationalen Rechts Bedeutung, was wiederum dazu führt, daß nationale Gesetze imLichte sich daraus ergebender Vorgaben auszulegen sind. 1880) Dies wiederum hat zurFolge, daß auch Finanzämter und Finanzgerichte incl. dem BFH das nationale RechtEMRK-konform auslegen müssen. 1881)Inzwischen ist allerdings durch den EGMR geklärt, daß Steuerstreitigkeiten keineStreitigkeiten über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ im Sinne vonArt. 6 Abs. 1 EMRK seien, 1882) so daß darauf z.B. direkt das Verbot überlanger Verfahrensdauernicht abgestützt werden kann. 1883)1133b) EMRK in Deutschland im Rang eines einfachen GesetzesDie EMRK ist zunächst einmal ein völkerrechtlicher Vertrag, der den völkerrechtlichenAuslegungsregeln der Wiener Vertragsrechtskonvention unterliegt (Art. 31 – 33EMRK). 1884) Es wird jedoch auch vertreten, die EMRK habe in Deutschland den Rangeines einfachen Gesetzes. 1885) Davon geht wohl auch das BVerfG aus, wenn es davonspricht, Regelungen der EMRK wären Bestandteile <strong>des</strong> positiven Rechts. 1886) Dies istaber mit unten Ausgeführtem nicht länger als sicher zu betrachten.1879)1880)1881)1882)1883)1884)1885)1886)Britz NVwZ 2004, 173Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 313, 314 f.; Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 318, 319Britz NVwZ 2004, 173. Zum Streitstand zu der Frage, ob Art. 6 Abs. 1 EMRK im Steuerrecht/SteuerverfahrensrechtAnwendung finden kann, s.o. Rdn. 388 ff.EGMR 12.07.2001 – 44759/98, NJW 2002, 3453, 3454; so auch BFH 15.11.2006 – XI B 17/06,BFH/NV 2007, 474; BFH 17.03.2008 – II S 24/07, BFH/NV 2008, 1176; BFH 22.07.2008 – II B18/08, BFH/NV 2008, 1866, 1868EGMR 08.01.2004 – 47169/99, NJW 2005, 41: Überlange Verfahrensdauer für Verfahren vordem BVerfG, wenn das Ergebnis für den ausgang <strong>des</strong> Streits vor Gerichten über einen zivilrechtlichenAnspruch entscheiden kann. BFH 21.02.2006 – I B 32/05, BFH/NV 2006, 1305, 1306m.w.N.Dazu weitergehend Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 318, 319 f.Benda AnwBl 2005, 602; Herdegen in: Maunz/Dürig, GG, (Stand: 08/2000), Art. 25 Rdn. 22m.w.N.BVerfG 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342, 347; BVerfG 26.03.1987 – 2 BvR589/79, 740/81, 284/85, BVerfGE 74, 358, 370. Zur Entwicklung der Rechtsprechung <strong>des</strong>BVerfG siehe Benda AnwBl 2005, 602, 603


- 313 - 313113411355. Aus der Sicht <strong>des</strong> BVerfGa) BVerfG und Grundsätze <strong>des</strong> EMRK und EGMRSo hat das BVerfG 1887) entschieden, daß alle staatlichen Organe – also auch Finanzämterund deutsches Gerichte - an die Entscheidung <strong>des</strong> EGMR gebunden seien(Art. 20 Abs. 3 GG). Folglich hätten – so das BVerfG – deutsche Gerichte Entscheidungen<strong>des</strong> EGMR zu beachten, denn gemäß Art. 46 EMRK seien die Vertragsstaatenverpflichtet, endgültige Urteile <strong>des</strong> EGMR zu befolgen. Und Urteile <strong>des</strong> EGMR seienfür die beteiligten Parteien <strong>des</strong> Verfahrens verbindlich und hätten eine begrenzteRechtskraft 1888) Inzwischen hat sich hier folgende Neuerung ergeben: Hat ein Betroffenernach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges bis zum BFH und anschließend negativverlaufener Verfassungsbeschwerde den EGMR angerufen und dieser festgestellt, daßdie rechtskräftig gewordene Entscheidung auf einem Verstoß der EMRK beruht, sohat der Betroffene nunmehr die Möglichkeit, ein Restitutionsklage zu erheben (§§ 134FGO, 580 Nr. 8 ZPO). 1889)Unabhängig davon, daß dann, wenn nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges und einer erfolglosenVerfassungsbeschwerde 1890) sowie einer sich daran anschließenden positivenEntscheidung <strong>des</strong> EGMR in einem zweiten Verfahrensgang das deutsche Gericht1891) – wie auch alle anderen staatlichen Organe 1892) - mit dem BVerfG an besagteEntscheidung <strong>des</strong> EGMR gebunden wäre(n), sind deutsche Gerichte mit der neuerenRechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 1893) zudem an die EMRK gebunden, die dank ZustimmungsgesetzTeil der in Deutschland geltenden Rechtsordnung ist. 1894) Denn dieEMRK nebst ihren Zusatzprotokollen steht – so das BVerfG - im Range eines Bun<strong>des</strong>gesetzes.1895) Folglich bezieht sich die in Art. 20 Abs. 3 GG vorgegebene Bindungan Recht und Gesetz auch auf die EMRK und Entscheidungen <strong>des</strong> EGMR dienen derGesetzesauslegung der EMRK. 1896) Und in Art. 1 EMRK haben sich die Vertragsstaa-1887)1888)1889)1890)1891)1892)1893)1894)1895)1896)BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3409 (dazu Sachs JuS 2005, 164);BVerfG 05.04.2005 – 1 BvR 1664/04, NJW 2005, 1765BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3409; ferner Pernice EuZW 2004, 705Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 313, 314Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 313, 315BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3409BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407; BVerfG 28.12.2004 – 1 BvR 2790/04,NJW 2005, 1105; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 17; Pernice EuZW 2004, 705BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407; BVerfG 28.12.2004 – 1 BvR 2790/04,NJW 2005, 1105; Pernice EuZW 2004, 705So schon <strong>Wagner</strong>, Die Praxis <strong>des</strong> Steuerprozesses, 2002, Rdn. 607, 611. Auf die Frage, ob ausden Entscheidungen <strong>des</strong> BVerfG vom 14.10.2004 und 28.12.2004 herausgelesen werden könne/müsse,die Bindung deutscher Gerichte an Entscheidungen <strong>des</strong> EGMR bzw. an die EMRK habenur so lange zu erfolgen, als sie mit der nationalen Rechts- und Verfahrensordnung vereinbarsin, wird hier nicht eingegangen. Dazu siehe Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15, 16 f.BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407, 3408BVerfG 28.12.2004 – 1 BvR 2790/04, NJW 2005, 1105, 1107. Bisher BVerfG 26.03.1987 - 2BvR 589/79, 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358, 370. Dazu kritisch Frowein NVwZ2002, 29


- 314 - 3141136113711381139ten verpflichtet, die EMRK in der Gestalt anzuwenden, wie sie in der Rechtsprechung<strong>des</strong> EGMR konkretisiert worden ist. 1897)Bedenkt man, welche Schwierigkeiten bestehen, die Hürden eines gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruches im Rahmen <strong>des</strong> sekundären Rechtsschutzeserfolgreich zu meistern, so kann es durchaus erwägenswert sein, den primären Rechtsschutz– wenn die Voraussetzungen dies erlauben – bis zum EGMR zu verlängern, umim Falle eines erfolgreichen Urteils vor dem EGMR einen zweiten Verfahrensgangvor einem deutschen Gericht im primären Rechtsschutz mit einem entsprechend dasdeutsche Gericht bindenden Urteil <strong>des</strong> EGMR im Rücken anzutreten. Begleitet werdenkann dies durch eine parallel bei der EU-Kommission zu tätigende Vorlage, fürdie es den Grundsatz der Rechtswegerschöpfung nicht gibt.Insoweit wird sich der BFH in seiner Rechtsprechung umstellen müssen, wenn derBFH 1898) ausländischen <strong>iur</strong>istischen Personen trotz <strong>des</strong> Umstan<strong>des</strong>, dass nach Art. 1Abs. 1 Satz 1 <strong>des</strong> Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention zum Schutzeder Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20.3.1952 1899) jede natürliche und -auch ausländische - juristische Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums hat,keinen daraus herleitbaren Grundrechtsschutz gewährt. Zwar gelten - so der BFH - dieMenschenrechtskonvention und auch das Zusatzprotokoll im Inland mit dem Rangeines - einfachen - Bun<strong>des</strong>gesetzes; sie begründen <strong>des</strong>wegen auch entsprechende individuelleRechte. Aber er verneinte im konkreten Fall den Grundrechtsschutz dadurch,dass er den Verstoß gegen die EMRK an der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG zu Art. 14Abs. 1 GG abglich, wonach das Vermögen als solches nicht geschützt sei. 1900)Weder die EMRK noch die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR beseitigt die Rechtskraft einernationalen Gerichtsentscheidung, die dagegen verstößt. 1901) Dies wird damit begründet,der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR komme eine die innerstaatliche Rechtslage unmittelbargestaltende Wirkung nicht zu. Denn Entscheidungen <strong>des</strong> EGMR hätten im wesentlichenfeststellenden Charakter, so dass es dem betroffenen Staat überlassen bleibe,aus einer solchen Entscheidung die notwendigen Folgerungen zu ziehen. 1902)Zur Bestätigung dieser These wird vom BVerfG 1903) eine Entscheidung <strong>des</strong> EGMRvom 13.06.1979 1904) zitiert, wo sich in der Tat solches, allerdings im Hinblick auf Art.53 EMRK, wiederfindet. 1905) Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass die Bun<strong>des</strong>republikDeutschland wie oben bereits ausgeführt, die eigenen Konsequenzen in Art. 251897)1898)1899)1900)1901)1902)1903)1904)1905)BVerfG 05.04.2005 – 1 BvR 1664/04, NJW 2005, 1765, 1766; Meyer-Ladewig/Petzold NJW2005, 15, 19BFH 24.01.2001 – I R 81/99, BStBl II 2001, 290BGBl II 1956, 1880ABER: EGMR 19.12.2006 – 14385/04 (Oferta Plus SRL/Moldau), NJW 2007, 3409 Rdn. 113:Danach ist eine Forderung aus einem Urteil „Eigentum“ i.S.d. Art. 1 Zusatzprotokoll zur EMRK.die Aufhebung <strong>des</strong> Urteils, nachdem es rechtskräftig geworden ist, ist ein Eingriff in das Rechtauf Achtung <strong>des</strong> Eigentums.BVerfG 11.10.1985 – 2 BvR 336/85, NJW 1986, 1425BVerfG 11.10.1985 – 2 BvR 336/85, NJW 1986, 1425, 1426BVerfG 11.10.1985 – 2 BvR 336/85, NJW 1986, 1425, 1426EGMR 13.06.1979 NJW 1979, 2449EGMR 13.06.1979 NJW 1979, 2449, 2453


- 315 - 3151140114111421143GG beschrieben hat: Nämlich gemäß Art. 25 Satz 2 GG gehen Rechte und Pflichtenauch aufgrund der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR nationalen Gesetzen vor und erzeugenRechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland.Folglich entspricht es dem sich aus Art. 25 Satz 2 GG ergebenden Gesetzesvorrang,1906) wenn das BVerfG im Hinblick auf die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR iudiziert,daß deutsche Gerichte daran gebunden seien.Damit wird in Übereinstimmung gebracht, was nach der Entstehungsgeschichte <strong>des</strong>Art. 25 GG erreicht werden sollte:Nämlich den allgemeinen Regeln <strong>des</strong> Völkerrechts, wozu auch die Rechtsprechung<strong>des</strong> EGMR gehört, Vorrang zu verschaffen. 1907) Es kann daher dahingestellt bleiben,ob sich ein Vorrang vor dem GG und Bun<strong>des</strong>verfassungsrecht mit dem Wortlaut <strong>des</strong>Art. 25 GG vereinbaren läßt, 1908) jedenfalls ist es konsequnet, der Rechtsprechung <strong>des</strong>EGMR im Rahmen <strong>des</strong> Gesetzesvorranges Bindungswirkung gegenüber nationalenGerichten zukommen zu lassen, 1909) sind doch gemäß Art. 20 Abs. 3 GG Gerichte andas Gesetz gebunden, folglich erst Recht an Gesetze mit Gesetzesvorrang.Die EMRK ist ferner in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG eine Auslegungshilfe bei derBestimmung <strong>des</strong> nationalen Grundrechtsschutzes. 1910) Ob allerdings die Überprüfungvon Verletzungen der Menschenrechte durch den EGMR dem Grundrechtsschutz <strong>des</strong>Art. 19 Abs. 4 GG unterfällt, hat das BVerfG bisher offengelassen. 1911)Es wird daher aufgrund der neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 1912) auch folgen<strong>des</strong>neu zu überdenken sein: Einerseits betrachtet das BVerfG die Rechtsprechung <strong>des</strong>EGMR nur als Auslegungshilfe, ohne bei Mißachtung der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR1906)1907)1908)1909)1910)1911)1912)Nach BVerfG 26.03.1987 – 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85, BVerfGE 74, 358, 370 habenGrundsätze der EMRK den Rang eines Bun<strong>des</strong>gesetzes, also keines Gesetzesvorrang, sondern nureinen Gesetzesgleichrang, was mit Art. 25 Satz 2 GG nicht zu vereinbaren wäre. Ferner aber:„Auch Gesetze .... sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bun<strong>des</strong>republikDeutschland auszulegen und anzuwenden .....,“ womit doch wieder mittelbar ein Gesetzesvorrangder EMRK angesprochen ist.Steinberger in: Isensee/Kirchhof, Handbuch <strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. VII 1992, § 173 Rdn. 57Steinberger in: Isensee/Kirchhof, Handbuch <strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. VII 1992, § 173 Rdn. 58 ff.m.w.N.In diese Richtung LG Ravensburg 04.09.2000 – 1 Qs 169/00, NStZ-RR 2001, 115, 116: „DieMenschenrechtskonvention ist als Auslegungshilfe bei der Anwendung <strong>des</strong> nationalen Rechts zuberücksichtigen.“ Eine solche Fragestellung bleibt bei BFH 24.01.2001 – I R 81/99, BStBl II2001, 290 völlig ausgeblendet.BVerfG 26.03.1987 – 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85, BVerfGE 74, 358, 370: „Sie [die Unschuldsvermutung]ist auch kraft Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil <strong>des</strong> positiven Rechts der Bun<strong>des</strong>republikDeutschland im Rang eines Bun<strong>des</strong>gesetzes (vgl. BVerfGE 19, 342 [347]; 22, 254[265]; 25, 327 [331]; 35, 311 [320]). ...... Bei der Auslegung <strong>des</strong> Grundgesetzes sind auch Inhaltund Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen, .......Deshalb dient insoweit auch die Rechtsprechung <strong>des</strong> europäischen Gerichtshofes für Menschenrechteals Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten undrechtsstaatlichen Grundsätzen <strong>des</strong> Grundgesetzes.“ Ähnlich BVerfG 21.08.1996 – 2 BvR 715/96,NJW 1995, 3408BVerfG 12.09.1984 – 2 BvR 977/84, NJW 1985, 105BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, NJW 2004, 3407


- 316 - 3161144zwingend den nationalen Rechtsweg zu eröffnen (Art. 19 Abs. 4 GG), 1913) andererseitsist das BVerfG zur Entscheidung darüber zuständig, ob aufgrund zwingender Vorlagefür den Fall der Vorlage <strong>des</strong> nationalen Fachgerichts im Zweifelsfall eine Regel <strong>des</strong>Völkerrechts gegeben ist, 1914) die dann das nationale Fachgericht beachten soll. Unterläßtein Fachgericht eine gebotene Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG, 1915) so kanndarin der Entzug <strong>des</strong> gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gegebensein, 1916) wenn die angegriffene Entscheidung auf der Unterlassung der Vorlage beruht.1917)Für den Fall der Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG hat der Tenor der Entscheidung <strong>des</strong>BVerfG Gesetzeskraft (Art. 94 Abs. 2 GG, § 13 Nr. 12. und § 31 Abs. 2 BVerfGG).1918)11451146b) BVerfG und europäischer Grundrechtsschutz <strong>des</strong> EuGHInsoweit wird auf oben schon dargelegtes verwiesen. 1919) Indem die EMRK Rechtserkenntnisquelleder Gemeinschaftsgrundrechte ist und für das Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrangfür das nationale Recht besteht, nehmen auf diesem Wege auchGrundrechte der EMRK an diesem Anwendungsvorrang teil. Folglich sind nationaleBehörden und damit auch Finanzämter verpflichtet, Gemeinschaftsrecht zur Anwendungzu bringen und haben folglich dadurch auch Gemeinschafstgrundrechte derEMRK zur Geltung zu verhelfen. 1920)Schwarze 1921) weist darauf hin, daß mitgliedstaatliche Gerichte den Wandel (noch)nicht akzeptiert hätten, wonach das nationale Verfassungsrecht von europäischen Verfassungsgrundsätzenund Prinzipien „überwölbt“ werde. Eine mögliche Vorlage <strong>des</strong>1913)1914)1915)1916)1917)1918)1919)1920)1921)Deshalb ist auch in der Regel Entscheidungsgrundlage die Zulässigkeit einer erfolgten Vorlage:Eine Vorlage kann auch im Rahmen der Beweiserhebung geboten sein, wenn die vorgesehene Beweiserhebungdie Gefahr einer Völkerrechtsverletzung gegenüber einem fremden Staat in sichbirgt. Eine Vorlage ist ferner auch dann zulässig, wenn es nicht um Rechte/Pflichten <strong>des</strong> Einzelnengeht, sondern Staaten bzw. ihre Organe als Normadressaten angesprochen sind: BVerfG13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342, 360 und 362.BVerfG 14.05.1968 – 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288, 316 ff.Objektive Zweifel, und nicht nur subjektive Zweifel <strong>des</strong> Gerichts, über die Tragweite <strong>des</strong> Art. 25GG reichen: BVerfG 30.10.1962 – 2 BvM1/60, BVerfGE 15, 25, 31; BVerfG 30.04.1963 – 2BvM1/62, BVerfGE 16, 27, 32; BVerfG 14.05.1968 – 2 BvR 544/63, 23, 288, 318; BVerfG12.04.1983 – 2 BvR 678, 679, 680, 681, 683/81, BVerfGE 64, 1, 14BVerfG 14.05.1968 – 2 BvR 544/63, 23, 288, 320; BVerfG 12.04.1983 – 2 BvR 678, 679, 680,681, 683/81, BVerfGE 64, 1, 14, 21, wobei das BVerfG jeweils hat dahinstehen sein lassen, obdas Unterlassen der Vorlage zudem willkürlich sein muß.BVerfG 12.04.1983 – 2 BvR 678, 679, 680, 681, 683/81, BVerfGE 64, 1, 21; BVerfG 30.04.1963– 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, 27, 32BVerfG 14.05.1968 – 2 BvR 544/63, 23, 288, 318Ferner Schwarze NJW 2005, 3459, 3462Britz NVwZ 2004, 173, 174Schwarze NJW 2005, 3459, 3462


- 317 - 317114711481149BVerfG zum EuGH finde nicht statt, 1922) weil man anscheinend die Gefahr einer möglichenUnterordnung unter europäische Integrationsvorgaben sehe.Der am 13.12.2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon sieht für den europäischenGrundrechtsschutz u.a. folgen<strong>des</strong> vor:- eine Grundrechtscharta auf der normhierachischen Ebene <strong>des</strong> Primärrechts,- eine primärrechtliche Grundlage für einen Beitritt der EU zur EMRK. 1923)Dies wirft die Frage auf, inwieweit nationales Recht an den Unions-Grundrechten undan der Charta der Grundrechte zu messen ist. 1924) Hierzu hat der EuGH 1925) u.H.a. Art.6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 7 und 51 Abs. 1 GRCh folgen<strong>des</strong> iudiziert:- Der Anwendungsbereich der EU-Grundrechte-Charta gilt gemäß Art. 51 Abs. 1GRCh für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung <strong>des</strong> Rechtsder Union. 1926) Mithin müssen Mitgliedstaaten, wenn sie im Anwendungsbereich<strong>des</strong> Unionsrechts handeln, die Grundrechte der GRCh beachten. Und kommt es zueinem Vorlageverfahren zum EuGH, muß dieser auch prüfen, ob eine Vereinbarkeitmit der GRCh gegeben ist. Und in diesem Zusammenhang muß der EuGHdann dem vorlegenden Gericht Hinweise geben, die notwendig sind, um erkennenzu können, was notwendig ist, um zu einer Vereinbarkeit mit der GRCh zu gelangen.1927)- Unterfällt dagegen eine gesetzliche Regelung eines Mitgliedstaates nicht in denGeltungsbereich <strong>des</strong> Unionsrechts, dann prüft der EuGH eine Vereinbarkeit derselbenmit der GRCh nicht, so daß dieserhalb auch kein Vorlagegrund gemäß Art.267 AEUV gegeben sein kann. 1928) Für diesen Fall sind Betroffene darauf angewiesen,Grundrechtsschutz nach nationalem Verfassungsrecht und ggf. dem derEMRK geltend zu machen. 1929)1922)1923)1924)1925)1926)1927)1928)1929)Anders etwa ÖstVerfGH 10.03.1999 – B 2251/97, n.V. der ein Vorabentscheidungsverfahren vordem EuGH anstrengte (so Schwarze NJW 2005, 3459, 3462 FN 42)Pache/Rösch EWS 2009, 393, 395Dazu Rabe NJW 2013, 1407EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Akllagare/Hans Akerberg Fransson), NJW 2013, 1415EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Akllagare/Hans Akerberg Fransson), NJW 2013, 1415 Rdn.17EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Akllagare/Hans Akerberg Fransson), NJW 2013, 1415 Rdn.19 - 21EuGH 26.02.2013 – Rs. C-617/10 (Akllagare/Hans Akerberg Fransson), NJW 2013, 1415 Rdn.19, 22Rabe NJW 2013, 1407 f.


- 318 - 318115011511152115311546. Aus der Sicht <strong>des</strong> EGMRMit Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen Rechtszuges und nach erfolglosem Anrufen <strong>des</strong>BVerfG bzw. eines LVerfG ist es möglich, den EGMR anzurufen, wenn nicht nur einVerstoß gegen nationale Grundrechte reklamiert wird, sondern zugleich ein solchergegen die Grundsätze der EMRK. 1930) Aber:Art. 66 EMRK erlaubt einen Beitritt zur EMRK nur Staaten. Die EU hat die EMRKbisher nicht unterzeichnet und ist auch kein Staat. 1931) Immerhin sind die Mitgliedstaatender EU für sich die Verpflichtung eingegangen, die EMRK zu (be) achten. 1932)Folglich ist bei Anrufung <strong>des</strong> EGMR wegen Verletzung in der EMRK genannter Menschenrechtenur die EMRK Maßstab. Werden dagegen in einem beim EuGH anhängigenVerfahren Grundrechtsverletzungen gerügt, so sind diese an der Grundrechtsrechtsprechung<strong>des</strong> EuGH zu messen der seinerseits in seiner Rechtsprechung zusätzlichGrundsätze der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR sowie der EMRK berücksichtigt.BeispielDer Grundsatz <strong>des</strong> fairen Verfahrens gehört mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR zumGrundrechtsstandard. In Art. 6 Abs. 1 EMRK ist zwar der Grundsatz <strong>des</strong> fairen Verfahrensnicht ausdrücklich angesprochen, er wird aber vom EGMR aus Art. 6 Abs. 1EMRK abgeleitet. Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR gehört zum Grundsatz <strong>des</strong>fairen Verfahrens nicht, wie Nationalstaaten im Detail ein Verfahren ausgestaltet habenund ob im konkreten Fall diesen Maßstäben entsprochen wurde, sondern ob imkonkreten Fall das Verfahren als ganzes, einschließlich der Art und Weise der Beweisaufnahme,fair war. 1933)Wurde nach Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen Rechtsweges und erfolglos verlaufenem Verfassungsbeschwerdeverfahrender EGMR angerufen und stellt dieser eine Verletzungder EMRK fest, so ist die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland als Konventionsstaat verpflichtet,dies zu beachten (Art. 46 Abs. 1 EMRK). Dies wird vom Ministerkomitee <strong>des</strong>Europarates überwacht (Art. 46 Abs. 2 EMRK). 1934) Dabei ist jedoch der Konventionsstaatfrei darin, unter Kontrolle <strong>des</strong> Ministerkomitees die Mittel auszuwählen, mitdenen er seine Verpflichtungen aus Art. 46 Abs. 1 EMRK erfüllen möchte. 1935)Wenn man nach Erschöpfung <strong>des</strong> nationalen Rechtsweges incl. eines erfolglos verlaufenenVerfassungsbeschwerdeverfahrens den EGMR anruft, so stellt sich ferner dieFrage, ob die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR in Deutsch-1930)1931)1932)1933)1934)1935)EGMR 08.04.2004 – 71503/01, NJW 2005, 2207, 2208; Kleine-Cosack AnwBl 2009, 326, 327;Rudolf/Raumer AnwBl. 2009, 313; Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 318; Odendahl JuS 2005,537,538 f. – Zum Prüfschema für eine Individualbeschwerde beim EGMR siehe Raumer AnwBl2009, 324Bröhmer EuZW 2006, 71; Losch/Radau ZRP 2000, 84, 86Busse NJW 2000, 1074, 1078EGMR 09.06.1998 - 44/1997/828/1034, NStZ 1999, 47, 48; EGMR 03.05.2001 – 31 827/96,NJW 2002, 499, 501; Kotz/Rahlf NStZ-RR 2001, 65, 69 f.EGMR 30.06.2009 – 32772/02 (Verein gegen Tierfabriken Schweiz/Schweiz), NJW 2010, 3699Rdn. 61EGMR 30.06.2009 – 32772/02 (Verein gegen Tierfabriken Schweiz/Schweiz), NJW 2010, 3699Rdn. 88; EGMR 06.07.2010 – 5980/07 (Öcalan/Türkei), NJW 2010, 3703, 3704


- 319 - 31911551156land die Rechtsfolge der Wiedergutmachung haben kann. Dort wo dies nicht der Fallist, ist vor dem EGMR zu beantragen, daß die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland dem Beschwerdeführereine angemssene Entschädigung zahlen soll (Art. 41 EMRK).In diesem Zusammenhang wird die Frage diskutiert, wie die Entschädigungsfrage(Art. 41 EMRK) zu behandeln ist, wenn die Konventionsverletzung durch die Bun<strong>des</strong>republikDeutschland bzw. ihre Institutionen (Finanzverwaltung bzw. Finanzgerichte)unter Verletzung von Verfahrensvorschriften (Art. 5 bzw. 6 EMRK) zustandegekommenist, indem das deutsche Recht für solche Fälle kein Wiederaufnahmeverfahrenvorieht. 1936) Allerdings hat das BVerfG 1937) iudiziert, daß ein Verwaltungsakt, der gegendie EMRK verstößt, gem. § 48 VwVfG (enspricht §§ 172 ff. AO) aufgehobenwerden kann wie auch eine konventionswidrige Verwaltungspraxis geändert werdenkann. Die Pflicht dazu könnten Gerichte feststellen. Der Entschädigungsantrag vordem EGMR gem. Art. 41 EMRK hängt folglich davon ab, ob bei Konventionsverletzungenunter Verletzung von Verfahrensvorschriften steuerverfahrensrechtlich eineWiedergutmachung möglich wird und auch durchführbar ist. Da aber der EGMR nichtvoraussehen kann, ob in solchen Fällen eine Wiedergutmachung auch erfolgt, schlägtRoth 1938) eine Beweislastumkehr in Verfahren vor dem EGMR bezüglich der Kausalitätder Verletzung von Verfahrensrechten vor. Der Staat, <strong>des</strong>sen Institutionen dieEMRK verletzt hätten, müßte beweisen, daß der Beschwerdeführer dieselben Nachteileauch dann verletzt hätte, wenn Verfahrensgarantien nicht verletzt worden wären.1939)Also sollte im Vorgriff darauf der betroffene Steuerpflichtige bereits das finanzgerichtlicheVerfahren daran müssen, ob es zu Verletzungen zu Verfahrensgarantiengem. Art. 5 bzw. 6 EGMR kommt, um dann jeweils dem FG vor Augen zu führen, wiesich die Rechtslage <strong>des</strong> Betroffenen ohne und mit Verletzung von Verfahrensgarantiendarstellt bzw. darstellen würde.11577. Aus der Sicht <strong>des</strong> EuGHDie Europäische Union beruht gem. Art. 6 Abs. 1 EUV u.a. auf den Grundsätzen derAchtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, einGrundsatz, der allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist. 1940) Sie ist ferner gem. Art. 6 Abs.2 EUV der EMRK beigetreten. Der europäische Grundrechtsschutz ist mithin bereits<strong>des</strong>halb Bestandteil <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts. 1941) Hinzu kommt, dass gemäß Art. 46lit. d) i.V. Art. 6 Abs. 2 EU der EuGH ausdrücklich zur Entscheidung in europäischenGrundrechtsfragen zuständig ist. 1942) Folglich iudiziert der EuGH, 1943) daß die Grund-1936)1937)1938)1939)1940)1941)1942)1943)Roth NVwZ 2006, 753, 754 f.BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307, 325; Roth NVwZ 2006, 753, 756Roth NVwZ 2006, 753, 757 f.Roth NVwZ 2006, 753, 757 ff.Hummer/Obwexer EuZW 2000, 485, 486; Zulegg NJW 2000, 2846Ritgen ZRP 2000, 371Montag NJW 2001, 1613; Ritgen ZRP 2000, 371EuGH 14.10.2004 – Rs. C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 33 m.w.N.; EuGH02.05.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC), Slg. 2006, 3813 Rdn. 65


- 320 - 32011581159rechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der EuGH zusichern habe, wobei der EMRK besondere Bedeutung zukomme. Und stellt der EuGHfest, dass ein Mitgliedstaat gegen Regelungen der GRCh verstoßen hat, dann ist derMitgliedstaat verpflichtet, die sich aus dem Urteil <strong>des</strong> EuGH ergebenden Maßnahmenzu ergreifen.Der europäische Grundrechtsschutz umfaßt allerdings nicht nur den der GRCh geregeltenGrundrechtsschutz sondern auch die Grundsätze der EMRK und die durch dieRechtsprechung <strong>des</strong> EGMR aufgestellten Grundsätze (Art. 6 EUV). 1944) So iudiziertder EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass die Grundrechte zu den allgemeinenRechtsgrundsätzen gehört, deren Wahrung der EuGH zu sichern habe und in diesemZusammenhang komme der EMRK besondere Bedeutung zu. 1945) Umgekehrt hat derEGMR bestätigt, daß der gemeinschaftsrechtliche Grundechtsschutz durch den EuGHdem der EMRK gleichwertig sei. 1946) Es besteht folglich ein dreifacher Grundrechtsschutz,<strong>des</strong>sen Stimmigkeit jeweils für sich abzuklären ist: 1947)- nationaler Grundrechtsschutz,- gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz,- Konventionsgrundrechtsschutz.Der EuGH hat die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR in seine Rechtsprechung einbezogen,1948) womit der EMRK mittelbare Geltung verschafft wird.1944)1945)1946)1947)1948)Damit gehört der vom EGMR 03.05.2001 – 31 827/96, NJW 2002, 499 iudizierte Grundsatz <strong>des</strong>fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) auch auf diesem Wege zum europäischen Grundrechtsschutzdurch den EuGH.EuGH 18.06.1991 – Rs C-260/89, EuZW 1991, 507, 510: „ ... ist vorab darauf hinzuweisen, dassdie Grundrechte nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören,deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Dabei geht der Gerichtshof von den gemeinsamenVerfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen aus, die die völkerrechtlichenVerträge über den Schutz der Menschenrechte geben, anderen Abschluß die Mitgliedstaatenbeteiligt waren oder denen sie beigetreten sind (EuGH ... NJW 1975, 518 Tz. 13-Nold). Hierbeihat die Europäische Menschenrechtskonvention eine besondere Bedeutung (siehe insbes. EuGHSlg. 1986, 1651, Tz. 18-Johnston). Wie der Gerichtshof im Urteil vom 13.07.1989 (EuGH Slg.1989, 2609, Tz. 19-Wachauf) bekräftigt hat, ergibt sich daraus, dass in der Gemeinschaft keineMaßnahmen als Rechtens anerkannt werden können, die unvereinbar mit der Beachtung der soanerkannten und gewährleisteten Menschenrechte sind.“ Ferner EuGH Gutachten 28.03.1996 – 2/94, EuZW 1996, 307, 309; EuGH 14.10.2004 – Rs. C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn.33 m.w.N.EGMR 30.06.2005 – Nr. 45 036/98 (Bosphorus), n.V. Rdn. 152 f., 156 f., 159 ff.; dazu SchoheEuZW 2006, 33. Siehe auch EuGH .... – Rs. C-..... (Bosphorus), EuZW 1994, 688 Rdn. 78Schohe EuZW 2006, 33EuGH 21.09.1989 – Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), NJW 1989, 3080 Rdn. 13; Schwarze NJW2005, 3459, 3461


- 321 - 321116011611162Und da wiederum die Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH als Bestandteil <strong>des</strong> innerstaatlichenRechts diesem vorgeht, 1949) kann sich auch ein nationaler Grundrechtsträger 1950) aufdie Verletzung europäischer Grundrechte durch nationale Institutionen oder Gerichteberufen, mit der Folge, dass dann nationale Gerichte gemäß dem Maßstab europäischerGrundrechte zu entscheiden haben oder bei Zweifelsfragen dem EuGH vorlegenmüssen. 1951) Dies jedoch nur im Hinblick auf nationale Regelungen bzw. Entscheidungen,die im Hinblick auf Gemeinschaftsrecht ergangen sind. 1952)Daneben können europäische Grundrechte, die von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaatenzu beachten sind, auch als Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkbarkeitvon Grundfreiheiten angesehen werden. 1953) Eingriffe in Grundfreiheiten sindfolglich nur dann gerechtfertigt, wenn sie mit den jeweils einschlägigen Grundrechtenvereinbar sind. 1954)Die Grundrechte gehören nach ständiger Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH zu denallgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der EuGH zu sichern hat. Dabei lässtder EuGH sich von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaatensowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutzder Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt warenoder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der Europäischen Konvention zumSchutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten besondere Bedeutung zu. 1955) In derRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH sind inzwischen folgende europäische Grundrechte behandeltworden: 1956)- Wirtschaftsfreiheit, 1957)1949)1950)1951)1952)1953)1954)1955)1956)1957)EGMR 18. 2. 1999 - 7-1998-910-1122, NJW 1999, 3107, 3109: „Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH ist es ein Wesenszug <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts, dass es Bestandteil <strong>des</strong> innerstaatlichenRechts ist, dem es im übrigen vorgeht (s. z.B. EuGH, Slg. 1964, 1251 = NJW 1964, 2371 - Costa-ENEL;EuGH, Slg. 1978, 629 = NJW 1978, 1741 - Amministrazione delle Finanze dello Stato-Simmenthal SpA).“1949)Zuleeg BB 1994, 581, 582BVerfG 31. 3. 1998 - 2 BvR 1877-97 u. 2 BvR 50-98, NJW 1998, 1934; BVerfG 07.06.2000 - 2BvL 1/97, NJW 2000, 3124; BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, ZIP 2001, 350; Jarass, Chartader Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Einl. Rdn. 71EuGH 11.07.1985 – 60/84 und 61/84, Slg. 1985, 2605, 2727; EuGH 30.09.1987 – 12/86, Slg.1987, 3719, 3754; EuGH 18.06.1991 – C-260/89, Slg. 1991, 2925, 2964; Jarass NVwZ 2006,1089, 1090EuGH 12.06.2003 – Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659 Rdn. 74; EuGH 14.10.2004– Rs. C-36/02 (Omega), EWS 2005, 19; dazu Frenz EWS 2005, 15Frenz EWS 2005, 15, 17EuGH 12.06.2003 – Rs. C-112/00 (Schmidberger), NJW 2003, 3185 Rdn. 71 – 72 m.w.N.; EuGH14.10.2004 – Rs. C-36/02 (Omega), NVwZ 2004, 1471 Rdn. 33 m.w.N.; Epiney NVwZ 2004,1067, 1070 f.Losch/Radau ZRP 2000, 84, 85; Nettesheim EuZW 1995, 106; Schwarze NJW 2005, 3459; ZuleggBB 1994, 581Epiney NVwZ 2004, 1067, 1070 f.


- 322 - 3221163116411651166116711681169- Niederlassungsfreiheit, 1958) wozu nicht nur die Inländerbehandlung im Aufnahmemitliedstaatangesprochen ist, 1959) sondern auch das Verbot, seitens <strong>des</strong> Herkunftsstaatesdie Niederlassung „seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinemRecht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat“ zu behindern.1960)- Kapitalverkehrsfreiht, 1961)- Dienstleistungsfreiheit, 1962)- Freizügigkeit, 1963)- Eigentumsfreiheit, 1964) deren Beschränkung davon abhängig ist, daß diese demGemeinwohl und den Zielen der Gemeinschaft entsprechen „und nicht einen imHinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriffdarstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten;“ 1965)- Berufsfreiheit, 1966)- Vereinigungsfreiheit,1958)1959)1960)1961)1962)1963)1964)1965)1966)EuGH 07.09.2004 – Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004,. I-7573 Rdn. 27 m.w.N.; EuGH14.10.2004 – Rs. C-299/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-9761 Rdn. 16 m.w.N.; EuGH21.02.2006 – Rs. C-152/03 (Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 19; EuGH 23.02.2006 – Rs. C-471/04 (Keller Holding GmbH), Beilage zu BFH/NV 2006, 241 Rdn. 28 f.; EuGH 26.06.2008 –Rs. C-284/06 (Burda GmbH), Beilage zu BFH/NV 10/2008, 270 Rdn. 69, 71, 76 f., 82; EpineyNVwZ 2004, 1067, 1071 f.EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97 (Saint-Gobain ZN), Slg. 1999, I-6161 Rdn. 35; EuGH23.02.2006 – Rs. C-471/04 (Keller Holding GmbH), Beilage zu BFH/NV 2006, 241 Rdn. 29EuGH 16.07.1998 – Rs. C-264/96 (ICI), Slg 1998, I-4695 Rdn. 21; EuGH 23.02.2006 – Rs. C-471/04 (Keller Holding GmbH), Beilage zu BFH/NV 2006, 241 Rdn. 30EuGH 15.07.2004 – Rs. C-315/02 (Lenz), Slg. 2004, I-7063 Rdn. 20 f.; EuGH 21.02.2006 – Rs.C-152/03 (Ritter-Coulais), DStR 2006, 362 Rdn. 22 ff.; EuGH 26.06.2008 – Rs. C-284/06 (BurdaGmbH), Beilage zu BFH/NV 10/2008, 270 Rdn. 71; Epiney NVwZ 2004, 1067, 1075 f.EuGH 31.01.1984 - Rs 286/82, 26/83, NJW 1984, 1288; EuGH 02.02.1989 - Rs 186/87, NJW1989, 2183; EuGH 03.10.2000 - Rs. C-58/98, EuZW 2000, 763; EuGH 14.10.2004 – Rs. C-36/02(Omega), NVwZ 2004, 1471 Rdn. 18 – 21; Epiney NVwZ 2004, 1067, 1074 f.; Montag NJW2001, 1613, 1615; Schwarze NJW 2005, 3459, 3460 f.EuGH 07.03.1991 – Rs. C-10/90 (Magio), Slg. 1991, I-1119 Rdn. 18 und 19; EuGH 07.07.1992 –Rs. C-370/90 (Singh), Slg. 1992, I-4265 Rdn. 16; EuGH 23.02.1994 – Rs. C-419/92 (Scholz),Slg. 1994, I-505 Rdn. 9; EuGH 26.01.1999 – Rs. C-18/95 (Terhoeve), Slg. 1999, I-345 Rdn. 27;EuGH 27.01.2000 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rdn. 21; EuGH 15.06.2000 – Rs. C-302/98 (Sehrer), Slg. 2000, I-4585 Rdn. 32; EuGH 12.12.2002 – Rs. C-385/00 (de Groot), EWS2003, 72 Rdn. 76 ff.; Epiney NVwZ 2004, 1067, 1073 f.EuGH 12.05.2005 – Rs. C-347/03 (Regione Autonoma Friuli-Venezia Giulia und Ersa), Slg.2005, I-3785 Rdn. 118 ff.; EuGH 30.06.2005 – Rs. C-295/03 P (Allessandrini/Kommission), Slg.2005, I-5673 Rdn. 86; Britz NVwZ 2004, 173, 175 m.w.N.; Jarass NVwZ 2006, 1089EuGH 23.09.2004 – Rs. C-435/02 und C-103/03 (Springer), Slg. 2004, I-8663 Rdn. 48 m.w.N.;EuGH 21.10.2004 – Rs. C-445/03 (Kommission/Luxemburg), Slg. 2004, I-10191 Rdn. 21 m.w.N.EuGH 23.09.2004 – Rs. C-435/02 und C-103/03 (Springer), Slg. 2004, I-8663 Rdn. 48 m.w.N. ;auch dazu siehe zuvor Rdn. 886; EuGH 30.06.2005 – Rs. C-295/03 P (Allessandrini/Kommission),Slg. 2005, I-5673 Rdn. 86


- 323 - 3231170117111721173117411751176117711781179118011811182- freier Zugang zu Beschäftigung,- Menschenwürde, ohne daß es von Bedeutung ist, daß z.B. in Deutschland derSchutz der Menschwürde gesondert grundrechtlich geschützt ist; 1967)- Gleichheitsgrundsatz, 1968) zu dem auch gehört, das Gemeinschaftsrecht in der gesamtenGemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen, „wobei diese Auslegungunter Berücksichtigung <strong>des</strong> Regelungszusammenhangs und <strong>des</strong> mit der Regelungverfolgten Zwecks zu ermitteln ist.“ 1969) Und zu dieser Auslegung gehörtauch, die Erwägungsgründe einer Richtlinie zu berücksichtigen. 1970)- Verfahrensgrundrecht <strong>des</strong> fairen Verfahrens. 1971) Hier verweist der EuGH darauf,daß es sich um einen allgemein anerkannten gemeinschaftsrechtlich anerkanntenGrundsatz handele. Dieser fuße auf den Grundrechten als integralen Bestandteilender allgemeinen Grundsätze <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts, die vom EuGH gesichertwürden. Dabei lehne sich der EuGH an die gemeinsamen Traditionen derMitgliedstaaten und an Hinweise an, die die EMRK liefere.- Zum Bestandteil <strong>des</strong> fairen Verfahrens gehöre an herausragender Stelle der Anspruchauf rechtliches Gehör und das Recht auf Übermittlung von Verfahrensunterlagen.1972)- Meinungsfreiheit, 1973)- Religionsfreiheit,- Schutz der Privatsphäre, 1974)- Schutz der Wohnung, 1975)- Schutz <strong>des</strong> Briefverkehrs,- Schutz der Familie,- Gebot <strong>des</strong> rechtlichen Gehörs,- effektiver Rechtsschutz,1967)1968)1969)1970)1971)1972)1973)1974)1975)EuGH 12.06.2003 – Rs. C-112/00 (Schmidberger), NJW 2003, 3185 Rdn. 73; EuGH 14.10.2004– Rs. C-36/02 (Omega), NVwZ 2004, 1471 Rdn. 34; Schwarze NJW 2005, 3459, 3461EuGH 17.07.1997 – Rs. C-183/95, EuZW 1997, 730; EuGH 09.09.2004 – Rs. C-304/01 (Kommission/spanien),Slg. 2004, I-7655 Rdn. 31; EuGH 23.09.2004 – Rs. C-435/02 und C-103/03(Springer), Slg. 2004, I-8663 Rdn. 66; EuGH 14.10.2004 – Rs. C-340/02 (Kommission/ Frankreich),Slg. 2004, I- 9845 Rdn. 34 m.w.N.; EuGH 30.06.2005 – Rs. C-28/04 (Tod´s und Tod´sFrance), Slg. 2005, 5781 Rdn.19; Epiney NVwZ 2004, 1067, 1077EuGH 12,10. 2004 – Rs. C-55/02 (Kommission/Portugal), Slg. 2004, I-9387 Rdn. 45 m.w.N.EuGH 12,10. 2004 – Rs. C-55/02 (Kommission/Portugal), Slg. 2004, I-9387 Rdn. 51 f.EuGH 02.05.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC), Slg. 2006, 3813 Rdn. 65 m.w.N.EuGH 02.05.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood IFSC), Slg. 2006, 3813 Rdn. 66EuGH 12.06.2003 – Rs. C-112/00 (Schmidberger), NJW 2003, 3185 Rdn. 79 f.Britz NVwZ 2004, 173, 175 m.w.N.Britz NVwZ 2004, 173, 175 m.w.N.


- 324 - 324118311841185118611871188118911901191- Vertrauensschutz, 1976)- Rechtssicherheit, 1977)- Rückwirkungsverbot von Strafvorschriften i.V.m. Regelungen der Mitgliedstaatenund Art. 7 Abs. 1 EMRK, 1978)- Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 1979) der sich nicht schon daraus ergibt, daß einMitgliedstaat andere Schutzregeln als ein anderer Mitgliedstaat hat; 1980)- Versammlungsfreiheit; 1981)- Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. 1982)Der EuGH prüft jedoch nicht, ob nationale Regelungen und Entscheidungen außerhalb<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts mit der EMRK vereinbar sind. 1983)Aber es kann auch bei Erlass bzw. der Durchführung von EU-Recht zu Verletzungender Grundsätze der EMRK kommen und zwar auf zwei Ebenen:- Organe der EU vollziehen ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten eine Norm oder- Mitgliedstaaten führen eine europarechtliche Norm durch. 1984)Im ersteren Falle wäre z.B. die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland verpflichtet, alles zu tun,um zu verhindern, dass die EU in Deutschland gegen die EMRK verstößt. Im zweitenFall müßte die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland selbst es unterlassen, gegen die Grundsätzeder EMRK zu verstoßen. 1985)1976)1977)1978)1979)1980)1981)1982)1983)1984)1985)EuGH 17.07.1997 – Rs. C-183/95, EuZW 1997, 730; EuGH 07.06.2005 – Rs. C-17/03 (VEMWU.A.), Slg. 2005, I-4983 Rdn. 73; BFH 30.11.2000 – V R 30/00, BB 2001, 292, 294; EuGH15.07.2004 – Rs. C-459/02 (Gerekens und Procola), Slg. 2004, I-7315 Rdn. 29EuGH 07.06.2005 – Rs. C-17/03 (VEMW U.A.), Slg. 2005, I-4983 Rdn. 80EuGH 15.07.2004 – Rs. C-459/02 (Gerekens und Procola), Slg. 2004, I-7315 Rdn. 35 m.w.N.EuGH 17.07.1997 – Rs. C-183/95, EuZW 1997, 730; EuGH 16.07.1998 – Rs. C-264/96 (ICI),Slg. 1998, I-4695 Rdn. 28; EuGH 21.09.1999 – Rs. C-307/97 (Saint-Gobain), Slg. 1999, I-6161Rdn. 51; EuGH 12.12.2002 – Rs. C-385/00 (de Groot), EWS 2003, 72 Rdn. 103; EuGH12.06.2003 – Rs. C-112/00 (Schmidberger), NJW 2003, 3185 Rdn. 80; EuGH 11.05.2006 – Rs.C-384/04 (Federation of Technological Industries), Beilage zu BFH/NV 7/2006, 312 Rdn. 29 f.;BFH 30.11.2000 – V R 30/00, BB 2001, 292, 294;EuGH 11.09.2003 – Rs. C-6/01 (Anomar u.a.), Slg. 2003, I-8621 Rdn. 80; EuGH 14.10.2004 –Rs. C-36/02 (OMEGA), Slg. 2004, I-9609 Rdn. 38EuGH 12.06.2003 – Rs. C-112/00 (Schmidberger), NJW 2003, 3185 Rdn. 79 f.EuGH 12.05.2005 – Rs. C-347/03 (Regione Autonoma Friuli-Venezia Giulia und Ersa), Slg.2005, I-3785 Rdn. 125EuGH 30.09.1987 – 12/86, Slg. 1987, 3719, 3754; EuGH 18.06.1991 – C-260/89, Slg. 1991,2925, 2964Busse NJW 2000,1074, 1077Busse NJW 2000,1074, 1077


- 325 - 3251192119311941195Die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland hat mithin dem Einzelnen gegenüber die Pflicht, imRahmen <strong>des</strong> Anwendungsbereichs <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts <strong>des</strong>sen europäischenGrundrechtsschutz zu wahren. 1986)Sollte es durch Akte der Europäischen Union zu einem Verstoß gegen die EMRK oderdie vom EGMR entwickelten Grundsätze kommen, so kann allerdings der EGMR<strong>des</strong>wegen nicht angerufen werden. Dies hat seinen Grund darin, dass die EuropäischenGemeinschaften bzw. die Europäische Union bisher der EMRK nicht beigetretensind, 1987) zumal die EMRK auf einen Beitritt anderer Institutionen als Staaten derzeitnicht ausgerichtet ist. 1988) Mithin sind Verstöße der Europäische Union nicht vor demEGMR geltend zu machen, sondern vor dem EuGH, 1989) so dass folglich Verstöße derEuropäischen Union unter Hinweis auf die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR vor demEuGH Bedeutung erlangen.Und da wiederum die Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH als Bestandteil <strong>des</strong> innerstaatlichenRechts diesem vorgeht, 1990) kann sich auch in Deutschland jemand gegen Rechtsverletzungenwehren, wenn er durch Maßnahmen der EU betroffen sein sollte, die gegen dieGrundsätze von EMRK bzw. EGMR verstoßen.Dies geschieht in der Weise, dass solche Rechtsverletzungen im finanzgerichtlichenVerfahren, Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren vorzutragen wären.Diese nationalen Gerichte hätten sich dann auch mit Fragen der Gemeinschaftsgrundrechtezu befassen, wozu mit zuvor ausgeführtem auch die EMRK und die Rechtsprechung<strong>des</strong> EGMR gehört, und ggf. dem EuGH vorzulegen (Art. 234 EG). 1991) Auch einnationales Verfassungsgericht macht davon keine Ausnahme, so dass nationalerGrundrechtsschutz sich in vorgenannten Fällen an den Grundrechten <strong>des</strong> europäischenGemeinschaftsrechts auszurichten haben. 1992)1986)1987)1988)1989)1990)1991)1992)Zuleeg BB 1994, 581, 582Dazu Busse NJW 2000, 1074; Losch/Radau ZRP 2000, 84, 86Art. 1 EMRK [Schutzgarantie der Vertragsstaaten]: „Die Hohen Vertragschließenden Teile sichernallen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konventionniedergelegten Rechte und Freiheiten zu.“ Dazu Bernhardt in: FS f. Everling I, 1995, 103.Der EuGH hat in einem Gutachten vom 28.03.1996 (2794), EuZW 1996,307,309 die Kompetenzder Europäischen Gemeinschaften für einen Beitritt zur EMRK verneint. Diese Ausführungen lassensich auf die Frage der Beitrittsfähigkeit der EU nicht unreflektiert übertragen.EuGH Gutachten 28.03.1996 – 2/94, EuZW 1996, 307, 308; EGMR 18. 2. 1999 - 7-1998-910-1122, NJW 1999, 3107EGMR 18. 2. 1999 - 7-1998-910-1122, NJW 1999, 3107, 3109: „Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH ist es ein Wesenszug <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts, dass es Bestandteil <strong>des</strong> innerstaatlichenRechts ist, dem es im übrigen vorgeht (s. z.B. EuGH, Slg. 1964, 1251 = NJW 1964, 2371 - Costa-ENEL;EuGH, Slg. 1978, 629 = NJW 1978, 1741 - Amministrazione delle Finanze dello Stato-Simmenthal SpA).“1990)BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, WM 2001, 749.; Wegener in: Calliess/Ruffert, Kommentarzum EU-Vertrag und EG-Vertrag, 1999, Teil II Art. 234 Rdn. 5; Zulegg NJW 2000, 2846, 2847f.;BVerfG 04.04.2001 – 2 BvR 2368/99, NJW 2001, 2002; siehe auch EuGH 18.06.1991 – Rs C-260/89, EuZW 1991, 507, 510; Zulegg NJW 2000, 2846, 2848.


- 326 - 32611961197Das BVerfG sieht dies im Grundsatz ebenso, auch wenn es mit dem Vorverständnis,deutscher Grundrechtsstandard sei das Maß der Dinge, anfangs noch glaubte, daraufachten zu müssen, dass dieser auch im Rahmen <strong>des</strong> europäischen Grundrechtsschutzessicherzustellen sei. 1993)Inzwischen ist das BVerfG von diesem Standpunkt nicht nur stillschweigend abgerückt,1994) sondern betont geradezu die Notwendigkeit der Vorlagepflicht zum EuGHzur Sicherung europäischen Grundrechtsschutzes. 1995)1993)1994)1995)BVerfG 12.10.1993 - 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92, NJW 1993, 3047, 3049: „Die in derPräambel <strong>des</strong> Grundgesetzes angelegte und in Art. 23 und 24 GG geregelte Offenheit für eine europäischeIntegration hat zur Folge, dass grundrechtserhebliche Eingriffe auch von europäischenOrganen ausgehen können und ein Grundrechtsschutz dementsprechend für das gesamte Geltungsgebietdieser Maßnahmen gewährleistet werden muß; dadurch erweitert sich insbesondereder räumliche Anwendungsbereich der Freiheitsrechte und die Vergleichsperspektive bei der Anwendung<strong>des</strong> Gleichheitssatzes.Eine ins Gewicht fallende Minderung der Grundrechtsstandards ist damit nicht verbunden. DasBVerfG gewährleistet durch seine Zuständigkeit (vgl. BVerfGE 37, 271 (280 ff.) = NJW 1974,1697; BVerfGE 73, 339 (376 f.) = NJW 1987, 577), dass ein wirksamer Schutz der Grundrechtefür die Einwohner Deutschlands auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generellsichergestellt und dieser dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz imwesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt.Das BVerfG sichert so diesen Wesensgehalt auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft(vgl. BVerfGE 73, 339 (386) = NJW 1987, 577). Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewaltder Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffendie Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen <strong>des</strong>Grundgesetzes und die Aufgaben <strong>des</strong> BVerfG, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweitnicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung vonBVerfGE 58, 1 (27) = NJW 1982, 507). Allerdings übt das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über dieAnwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem "Kooperationsverhältnis"zum EuGH aus, in dem der EuGH den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamteGebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das BVerfG sich <strong>des</strong>halb auf eine generelleGewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards (vgl. BVerfGE 73, 339 (387) =NJW 1987, 577) beschränken kann.“BVerfG 31. 3. 1998 - 2 BvR 1877-97 u. 2 BvR 50-98, NJW 1998, 1934; BVerfG 07.06.2000 - 2BvL 1/97, NJW 2000, 3124: „1. Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten, die eineVerletzung in Grundrechten <strong>des</strong> Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsrecht geltend machen,sind von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäischeRechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs nach Ergehender Solange II- Entscheidung (BVERFGE 73, 339 ) unter den erforderlichenGrundrechtsstandard abgesunken sei. 2. Deshalb muss die Begründung der Vorlage oder einerVerfassungsbeschwerde im Einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutzgenerell nicht gewährleistet ist. Dies erfordert eine Gegenüberstellung <strong>des</strong> Grundrechtsschutzesauf nationaler und auf Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtsie in BVERFGE 73, 339 (378 bis 381) geleistet hat.“ (Leitsätze). Kritisch zurEntscheidung <strong>des</strong> BVerfG vom 07.06.2000 siehe Schmid NVwZ 2001, 249BVerfG 09.01.2001 – 1 BvR 1036/99, ZIP 2001, 350: „1. Verfassungsbeschwerden und Vorlagenvon Gerichten, die eine Verletzung von Grundrechten <strong>des</strong> GG durch sekundäres Gemeinschaftsrechtgeltend machen, sind von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dassdie europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rspr. <strong>des</strong> EuGH unter den erforderlichenGrundrechtsstandard abgesunken ist (vgl. BVERFG, 1986-10-22, 2 BvR 197/83, BVERFGE 73,339 - "Solange II"- Entscheidung und 2000-06-07, 2 BvL 1 /97, NJW 2000, 3124).2. Zur Vorlagepflicht an den EuGH, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtseinschlägige Rspr <strong>des</strong> EuGH noch nicht vorliegt, wenn eine vorliegende Rspr dieentscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat oder


- 327 - 32711981199Aber auch unabhängig davon ist auch die Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH dem europäischenGrundrechtsschutz verpflichtet. 1996) Ob der EuGH auch Grundrechte als Teil <strong>des</strong>europäischen Gemeinschaftsrechts generieren kann, die noch nicht zur Verfassungstraditionder Mitgliedstaaten gehören und sich auch nicht in der EMRK oder derdazu ergangenen Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR wiederfinden, 1997) ist nicht ganz zweifelsfrei,spricht doch Art. 6 EUV ausdrücklich nur die Grundrechte an, die sich ausder EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaatenergeben. 1998)Andererseits schränkt der EuGH entgegen dem Wortlaut <strong>des</strong> Art. 6 EUV sich ergebendenGrundrechtsschutz selbst dann ein, wenn er sich aufgrund der EMRK undden gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, da sie stetsim Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen seien. 1999)1996)1997)1998)1999)wenn eine Fortentwicklung der Rspr <strong>des</strong> EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint, vgl.BVERFGE 73, 339 und 1998-08- 05, 1 BvR 264/98, DB 1998, 1919.3. Hier:3a. Verletzung <strong>des</strong> Rechts aus GG Art 101 Abs. 1 S 2 durch Verkennung der Vorlageverpflichtungbei Kollision zwischen der EG-Gleichberechtigungsrichtlinie (EWGRL 207/76) und denEG-Ärzterichtlinien (EWGRL 457/86 und EWGRL 16/93) hinsichtlich der Ausbildung zum PraktischenArzt in Teilzeit oder Vollzeit. Fehlende Begründung, aus welcher Norm <strong>des</strong> europäischenRechts das BVerwG als letztinstanzliches Fachgericht seine Berechtigung herleitet, selbst überdie Normenkollision nach Grundsätzen zu entscheiden, die es dem deutschen Recht entnimmt(Grundsätze der Priorität und der Spezialität).3b. Weitere Verkennung der Vorlagepflicht und damit Verletzung von GG Art 101 Abs. 1 S 2durch Nichtbeachtung, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter zu den vomEuGH anerkannten ungeschriebenen gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten gehört, der dem imGG verankerten Diskriminierungsverbot wegen <strong>des</strong> Geschlechts entsprechen und Geltung alsprimäres Gemeinschaftsrecht entfalten könnte.“ (JURIS-Orientierungssatz). Zur Streitfrage, obgleichwohl das BVerfG nicht doch seine Kompetenzen überschreitet, wenn es die Maßstäbe zuprüfen sich vorbehalte, bei dem es selbst prüfen könnte, on europäischer Grundrechtsschutz nichtnationalen Grundrechtsschutz unterschreitet, siehe Hirsch NVwZ 1998, 907; ders. NJW 1996,2457; Zulegg NJW 2000, 2846, 2848Zum europäischen Grundrechtsschutz durch den EuGH aus Sicht <strong>des</strong> BVerfG 22.10.1986 – 2BvR 197/83, BVerfGE 73, 338, 380 f. und aus Sicht <strong>des</strong> EuGH:Eigentumsschutz: EuGH 17.10.1995 – Rs. C-44/94, EuZW 1996, 313, 315 Tz. 55Freie Berufsausübung: EuGH 17.10.1995 – Rs. C-44/94, EuZW 1996, 313, 315 Tz. 55Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: EuGH 17.10.1995 – Rs. C-44/94, EuZW 1996, 313, 315 Tz. 57Vertrauensschutz: EuGH 21.09.1983 - Rs 205-215/82, NJW 1984, 2024, 2025; EuGH 15.02.1996– Rs C-63/93, EuZW 1996, 309, 311 Tz. 20Ritgen ZRP 2000, 371, 372; zum Diskussionsstand dazu Eickmeier DVBl 1999, 1026, 1028Eickmeier DVBl 1999, 1026, 1027 verweist darauf, dass der EuGH im Rahmen der Gewährleistungder Grundrechte darüber hinaus auf die Gemeinschaftsverträge, internationale Verträge,das „soft law“ <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts und die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR zurückgreift.EuGH 13.07.1989 – 5/88, Slg. 1989, 2609, 2639 f.: „Daher kann die Ausübung dieser Rechte, insbesondereim Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation, Beschränkungen unterworfen werden,sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechenund nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriffdarstellen, der diese rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.“ Zu Defiziten in der Grundrechtsjudikatur<strong>des</strong> EuGH Ritgen ZRP 2000, 371, 372 m.w.N.


- 328 - 32812008. Aus der Sicht von Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtenVerstößt ein deutsches Bun<strong>des</strong>land oder z.B. ein Finanzgericht eines Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong>gegen Grundsätze der EMRK oder <strong>des</strong> EGMR, dann kann mit oben Ausgeführtemnach Erschöpfen <strong>des</strong> nationalen Rechtsweges der EGMR angerufen werden. Dieserkann im Erfolgsfall zwar das nationale Urteil nicht aufheben, wohl aber dem Betroffenendadurch helfen, dass es die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland auf Schadensersatz verurteilt.Es stellt sich dann für diese die Frage, ob und inwieweit sie bei dem entsprechendenBun<strong>des</strong>land Regress nehmen kann. Ähnlich ist es, wenn ein deutsches Bun<strong>des</strong>landgegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstößt, und der EuGH <strong>des</strong>halb dieBun<strong>des</strong>republik auf Schadensersatz verurteilt 2000) und sich dann die Frage stellt, obund inwieweit der Bund beim entsprechenden Bun<strong>des</strong>land Regreß nehmen kann. 2001)1201120212039. ZwischenergebnisDas BVerfG sieht in den Grundrechten der EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung<strong>des</strong> EGMR nur eine Auslegungshilfe bei der Bestimmung <strong>des</strong> nationalenGrundrechtsschutzes, der aufgrund behaupteter nationaler Grundrechtsverletzungenzur Überprüfung gestellt ist. Verstöße gegen europäische Grundrechte z.B. in Anwendungvon sekundärem Gemeinschaftsrecht können dagegen nur zum Gegenstand einerVerfassungsbeschwerde beim BVerfG gemacht werden, wenn zugleich dargelegt werdenkann, dass der europäische Grundrechtsschutz unter den nationalen Grundrechtsstandardabgesunken ist oder der BFH im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG,Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht vorgelegt hat.Trägt das BVerfG der Auslegung nationaler Grundrechte im Hinblick auf Grundsätze<strong>des</strong> EMRK bzw. <strong>des</strong> EGMR nicht ausreichend Rechnung, so kann der Betroffene imAnschluß daran den EGMR anrufen, wenn es nicht nur um eine Verkennung nationalenGrundrechtsschutzes durch das BVerfG geht. Ferner kann wegen Verstößen gegenGrundsätze der EMRK bzw. <strong>des</strong> EGMR, soweit diese unabhängig von Gemeinschaftsrechtergangen sind, nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges der Fachgerichtsbarkeit derEGMR statt das BVerfG in den Fällen direkt angerufen werden, wenn es sich um Verstößehandelt, die nicht auch nationale Grundrechte verletzen und <strong>des</strong>halb mit zuvorausgeführtem nicht zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werdenkönnen.Europäischer Grundrechtsschutz gemäß der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH - unter Einschlußder Grundsätze der EMRK und <strong>des</strong> EGMR - kann nur dann reklamiert werden,wenn es sich um belastende nationale Regelungen bzw. Entscheidungen handelt, dieim Hinblick auf Gemeinschaftsrecht - und nicht unabhängig von Gemeinschaftsrecht -ergangen sind und <strong>des</strong>halb mit oben ausgeführten nicht zum Gegenstand einer zulässigenVerfassungsbeschwerde zum BVerfG gemacht werden kann.2000)2001)EuGH 19.11.1991 - Rs C-6/90 u. 9/90, NJW 1992, 165; EuGH 1. 6. 1999 - Rs. C 302/97, EuZW1999, 635; dazu Weber NVwZ 2001, 287Dazu Dederer NVwZ 2001, 258


- 329 - 3291204120512061207120810. Verfassungsbeschwerde zum BVerfGa) Allgemeine VoraussetzungenIn der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass in Anbetracht als ungerecht empfundenergesetzlicher Regelung, Entscheidungen der Finanzverwaltung und Urteilen vonFG´s bzw. <strong>des</strong> BFH sehr schnell der Ruf nach Erhebung einer Verfassungsbeschwerdeerklingt. Die materiellrechtliche Verfassungswidrigkeit wird öffentlichkeitswirksamdiskutiert und auch im Fachschrifttum abgehandelt.Damit ist jedoch der Weg zum BVerfG noch nicht eröffnet. Vielmehr gilt es im konkretenFall für den Prozeßvertreter folgen<strong>des</strong> zu überdenken:- Wie bereits dargelegt, sind verfassungsrechtliche Argumente nicht erstmals beimBVerfG vorzutragen, sondern bereits im Einspruchsverfahren, finanzgerichtlichenVerfahren und im Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren.Geschieht dies nicht, so kann eine Verfassungsbeschwerde schon daranscheitern (keine argumentative Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges gem. § 90 Abs. 2Satz 1 BVerfGG). 2002) Hier wird allerdings seitens <strong>des</strong> BVerfG inzwischen zwischenformeller und materieller Rechtswegerschöpfung differenziert: 2003)(1) Von einer formellen Rechtswegerschöpfung spricht man, wenn gegen eineEntscheidung kein weiteres Rechtsmittel mehr möglich ist, wozu allerdingsdie Gegenvorstellung gegen eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungnicht gehört, wohl aber die Anhörungsrüge. 2004) Von einer materiellenRechtswegerschöpfung spricht man, wenn bereits vor dem FG und BFH dieentscheidungserheblichen verfassungsrechtlichen Gründe vorgetragen wordenwaren. 2005)(2) Soweit es um die Verletzung von Verfahrensgrundrechten geht (Art. 101Abs. 1 Satz 2 GG, 103 Abs. 1 GG), sind diese nicht erst im Verfassungsbeschwerdeverfahrengeltend zu machen, sondern schon zuvor im Instanzenzug(siehe auch § 133a FGO). 2006)(3) Ist der Ausgang <strong>des</strong> Verfahrens vor dem FG/BFH davon abhängig, daß verfassungsrechtlicheErwägungen entscheidungserheblich sind, dann müssendiese bereits in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden. Dies kannauch dann notwendig sein, wenn es um Fragen der Zulassung einer Revisionim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geht, wenn dort gegen die restriktiveBFH-Rechtsprechung verfassungsrechtliche Gründe eine Rolle spielen.Dies <strong>des</strong>halb, damit sich bereits das FG bzw. der BFH damit auseinandersetzen.2007)2002)2003)2004)2005)2006)2007)BVerfG 25.04.2005 – 1 BvR 644/05, NJW 2005, 3059; <strong>Wagner</strong> BauR 2009, 1375, 1376BVerfG 09.11.2004 – 1 BvR 684/98, NJW 2005, 1413; Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509, 514Klein/Sennekamp NJW 2007, 945, 949 f.Klein/Sennekamp NJW 2007, 945, 950BVerfG 09.11.2004 – 1 BvR 684/98, NJW 2005, 1413, 1414BVerfG 09.11.2004 – 1 BvR 684/98, NJW 2005, 1413, 1414; Lübbe-Wolff AnwBl 2005, 509, 514


- 330 - 3301209121012111212(4) Soweit keine der beiden vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, müssenjedoch zwecks materieller Rechtswegerschöpfung verfassungsrechtlicheFragen nicht im fachgerichtlichen Verfahren vor dem FG/BFH vorgetragenwerden, um eine materielle Rechtswegerschöpfung herbeizuführen. 2008)Der Prozeßanwalt sollte sicherheitshalber sich von folgendem leiten lassen: Sobaldsich verfassungsrechtliche Fragen stellen, die entscheidungserheblich sind,sollten diese von Anfang an – also bereits ab dem Veranlagungsverfahren bzw.dem Einspruchsverfahren – durch den Instanzenzug hindurch schriftsätzlich thematisiertwerden und auf ihre Entscheidungserheblichkeit hingewiesen werden,um auf diese Weise Finanzamt und FG/BFH zu zwingen, sich damit zu befassen.Würden FG/BFH das Vorgetragene nicht verarbeiten, so läge darin ein Verstoßgegen Art. 103 Abs. 1 GG, was für den Fall eines negativ verlaufenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrensgemäß § 133a FGO angegangen werden könnte.Und würde dem auch daraufhin nicht Genüge getan, könnten dann in einem Verfassungsbeschwerdeverfahrendie Grundrechtsverletzungen samt Verstoß gegenArt. 103 Abs. 1 GG zur Überprüfung durch das BVerfG gestellt werden.- Bevor Verfassungsbeschwerde eingelegt wird, gilt es zu prüfen, ob die Voraussetzungeneines Billigkeitsverfahrens gemäß §§ 163, 227 AO in Frage kommenkönnte. Selbst bei einem verjährten Steuerbescheid ist noch eine abweichendeSteuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen möglich. 2009) Denn wäre dies der Fall,würde eine Verfassungsbeschwerde ohne vorheriges Durchlaufen <strong>des</strong> Billigkeitsverfahrensnicht den Rechtsweg erschöpft haben (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).2010)- Ausnahmsweise ist die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde auch ohne Erschöpfung<strong>des</strong> Rechtsweges dann zulässig, wenn die Voraussetzungen <strong>des</strong> § 90Abs. 2 BVerfGG gegeben sind. Die dort angesprochene „allgemeine Bedeutung“entspricht der in § 93a Abs. 2a BVerfGG normierten grundsätzlichen verfassungsrechtlichenBedeutung und setzt folgen<strong>des</strong> voraus:„Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frageaufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt und nochnicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt ist. An ihrer Klärung mußzudem ein über den Einzelfall hinausgehen<strong>des</strong> Interesse bestehen. Das kann etwa dann derFall sein, wenn sie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam istoder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutungerlangen kann. Bei der Prüfung der Annahme muß bereits absehbar sein, dass sich dasBun<strong>des</strong>verfassungsgericht bei seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde mitder Grundsatzfrage befassen muß. Kommt es auf sie hingegen nicht entscheidungserheblichan, ist eine Annahme nach § 93 a Abs. 2 <strong>Buchs</strong>tabe a BVerfGG nicht geboten (BVerfGE90, 22 ).“ 2011)2008)2009)2010)2011)BVerfG 09.11.2004 – 1 BvR 684/98, NJW 2005, 1413, 1414BFH 17.03.1987 – VII R 26/84, BFH/NV 1987, 620; BFH 14.03.2006 – VIII R 45/03, BFH/NV2006, 1448, 1449BVerfG 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, 171BVerfG 23.08.1999 – 1 BvR 2164/98, NJW 1999, 3478


- 331 - 331121312141215121612171218- Eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gegen eine Entscheidung<strong>des</strong> Großen Senats <strong>des</strong> BFH ist nicht zulässig, weil es sich dabei nur um eine Teilentscheidungin einem Zwischenverfahren handelt, die keine unmittelbareRechtswirkungen entfaltet, so daß dem Beschwerddeführer dadurch kein unmittelbarerNachteil entsteht. 2012)Voraussetzung für die Beschwerdebefugnis für eine Verfassungsbeschwerde ist dieBehauptung, in einem Grundrecht oder in einem der Rechte <strong>des</strong> GG verletzt wordenzu sein, die in § 90 Abs. 1 BVerfGG aufgeführt sind. Die bloße Verletzung einfachenRechts oder fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einfachen Rechts kann nicht mitder Verfassungsbeschwerde angegangen werden. Hinzu kommen folgende weitereZulässigkeitsvoraussetzungen:- Der Beschwerdeführer muß ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebungeiner Verfassungsbeschwerde haben. 2013)- Der Beschwerdeführer muß bezüglich der behaupteten Grundrechtsverletzungselbst betroffen sein. 2014)- Es muß eine Rechtswegerschöpfung vorliegen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). 2015)Des weiteren müssen die in § 93a Abs. 2 BVerfGG normierten Annahmevoraussetzungengegeben sein.- Eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2a BVerfGG)ist gegeben, wenn erkennbar ist, dass an der Klärung der aufgeworfenen Fragenein über den Einzelfall hinausgehen<strong>des</strong> Interesse besteht. 2016)„.Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutungnicht zu (§ 93a II lit. a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerdeeine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus demGrundgesetz beantworten läßt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechunggeklärt oder die durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig gewordenist. Über die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Frage müssen also ernsthafteZweifel bestehen. Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne kannsein, dass die Frage in der Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechungder Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. An ihrer Klärung muß zudem ein überden Einzelfall hinausgehen<strong>des</strong> Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, wennsie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problemvon einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann.Bei der Prüfung der Annahme muß bereits absehbar sein, dass sich das BVerfG bei seinerEntscheidung über die Verfassungsbeschwerde mit der Grundsatzfrage befassen muß.Kommt es auf sie hingegen nicht entscheidungserheblich an, ist eine Annahme nach § 93aII lit. a BVerfGG nicht geboten. Die hier mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen2012)2013)2014)2015)2016)BVerfG 02.10.2007 – 2 BvR 1508/07, Beilage zu BFH/NV 1/2008, 61Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 261 f.Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 95 f.Dazu Lübbe-Wolff AnwaBl 2005, 509, 512 f.BVerfG 31.10.1996 - 2 BvR 40/91, 41/91, HFR 1997, 250


- 332 - 332121912201221Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. ... Es ist nicht ersichtlich,dass der vorliegende Fall weitere grundsätzliche Klärung erfordert.“ 2017)Ferner fehlt es an einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedeutung, wennsich inzwischen die Sach- und Rechtslage geändert hat 2018) oder die Rechtsfrage inder Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG schon geklärt ist. 2019) Wird mit der Verfassungsbeschwerdeeine gesetzliche Regelung angegriffen, die schon länger Bestand hat,so ist in besonderer Weise darzulegen, dass und warum ein über den Einzelfallhinausgehen<strong>des</strong> Interesse besteht. 2020)- Zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG kann die Annahme angezeigt sein(§ 93a Abs. 2b BVerfGG), wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechtenoder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführerin existentieller Weise betrifft. 2021) Dies ist der Fall, wenn folgendeVoraussetzungen gegeben sind:„2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der alsverletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a II lit. b BVerfGG). Das ist derFall, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichenRechten besonderes Gewicht hat oder den Bf. in existentieller Weise betrifft. Besondersgewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung vonGrundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung vonGrundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderesGewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung <strong>des</strong> durch ein Grundrecht gewährtenSchutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionenberuht oder rechtsstaatliche Grundsätze kraß verletzt. Eine existentielle Betroffenheit<strong>des</strong> Bf. kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidungoder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein besonders schwerer Nachteil ist jedochdann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichendeAussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, dass der Bf. auch im Falle einerZurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.“2022)Diese Voraussetzungen sind zu prüfen, ehe man sich mit der Frage einer Begründetheitbefaßt. Erst dann kann entschieden werden, ob man dem Wunsch <strong>des</strong> Mandantenentsprechen kann, Verfassungsbeschwerde einzulegen oder dies dem Mandanten garempfiehlt. Für diesen Fall sollte der Mandant ferner darüber aufgeklärt werden, dassein Verfassungsbeschwerde ungeachtet <strong>des</strong>sen statistisch nur eine geringe Erfolgsaussichthat, da derzeit weit weniger als 2 % aller im Jahr eingelegten Grundrechts-Verfassungsbeschwerdenerfolgreich sind. Hinzu kommen sollte der Hinweis, dass es mit-2017)2018)2019)2020)2021)2022)BVerfG 08.02.1994 – 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, 22, 24 f.Für nicht mehr gelten<strong>des</strong> Recht besteht in der Regel kein über den Einzelfall hinausgreifen<strong>des</strong>Interesse an der Klärung der Verfassungsmäßigkeit nach Außerkrafttreten der entsprechendenNorm BVerfG 11.10.1994 - 2 BvR 633/86, BVerfGE 91, 186, 200; BVerfG 19.11.1999 - 2 BvR1167/96, NJW 2000, 797BVerfG 13.12.1996 - 1 BvR 1474/88, DStRE 1997, 152BVerfG 31.10.1996 - 2 BvR 40/91, 41/91, HFR 1997, 250BVerfG 08.02.1994 – 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, 22, 25; BVerfG 13.12.1996 - 1 BvR1474/88, DStRE 1997, 152BVerfG 08.02.1994 – 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, 22, 25; BVerfG 11.07.1999 - 2 BvR 1313/93,HFR 1999, 839


- 333 - 33312221223122412251226unter Jahre dauern kann, bis man das Ergebnis einer Verfassungsbeschwerde mitgeteilterhält.Erst wenn diese Vorfragen geklärt sind, kann abschließend entschieden werden, obVerfassungsbeschwerde eingelegt werden soll oder nicht. Dabei tut sich aber noch einpraktisches Problem auf:Dort, wo eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung <strong>des</strong> FG oder BFHeingelegt werden soll, muß diese binnen einer Frist von 1 Monat nach Zustellung dieserEntscheidung beim BVerfG eingelegt und begründet worden sein (§ 93 Abs. 1Satz 1 BVerfGG). 2023) Für den Entscheidungsprozess, ob eingelegt werden soll, unddie Begründung verbleibt dem mit der Einlegung der Verfassungsbeschwerde Beauftragtenmithin nicht viel Zeit.Wird eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung erhoben, istes erforderlich, diese mit vorzulegen und sich mit dieser in verfassungserheblicherWeise auseinanderzusetzen. 2024) Dies bedeutet, die behauptete Rechtsverletzung zubezeichnen und substantiiert darzulegen. Ein Nachschieben von Gründen und eineErgänzung der Beschwerdebegründung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht istnicht grundsätzlich ausgeschlossen. Es ist jedoch unzulässig, nach Ablauf der Beschwerdefristneuen Sachvortrag und neue einfachrechtliche Aspekte zum Gegenstandder Verfassungsbeschwerde zu machen. 2025)Wird in der Verfassungsbeschwerde auf Schriftsätze oder Dokumente Bezug genommen,so sind diese beizufügen. 2026) Geschieht dies nicht oder erst nach Ablauf der Beschwerdefrist,so ist die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig. 2027) Ebenfallsist/sind die angegriffene Entscheidung(en) selbst beizufügen, mit deren Inhalt sich dieVerfassungsbeschwerde auseinandersetzen muß. Dabei muß deutlich werden, inwieweitdiese Entscheidung(en) zu einer Grundrechtsverletzung führen. 2028)Soll eine Verfassungsbeschwerde u.H.a. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erhoben werden,weil das letztinstanzliche Gericht entgegen Art. 267 Abs. 3 AEUV (= Art. 234 Abs. 3EG a.F.) eine entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage nicht zuvor demEuGH vorgelegt hat, so setzt das BVerfG voraus, daß dargelegt wurde, die Nichtvorlagesei willkürlich nicht erfolgt. Dem hat Roth 2029) in einem sorgfältig begründetenBeitrag widersprochen, da eine Vorlage nur unterbleiben dürfe, wenn die richtige Anwendung<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts offenkundig sei. Schließlich seien die mitgliedschaftlichenGerichte von Amts wegen und damit unabhängig von Parteivortrag vonAmts wegen verpflichtet, Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen (<strong>iur</strong>a novit curia).Dem ist das BVerfG nur zum Teil gefolgt:2023)2024)2025)2026)2027)2028)2029)BVerfG 17.10.2002 – 2 BvR 2313/00 – 2318/00, HFR 2003, 75: Innerhalb der 1-monatigen Einlegungsfrist<strong>des</strong> § 93 Abs. 1 BVerfGG muß dem BVerfG nicht nur die Begründung zugegangensein, sondern auch die Abschriften der Entscheidungen, gegen die man vorgeht.BVerfG 16.12.1992 – 1 BvR 167/87, BVerfGE 88, 40, 45; BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476 und102, 221/92, BVerfGE 93, 266, 288BVerfG 23.01.1990 – 1 BvR 306/86, BVerfGE 81, 208, 214 f.BVerfG 15.06.1988 – 1 BvR 1301/86, BVerfGE 78, 320, 327BVerfG 15.06.1988 – 1 BvR 1301/86, BVerfGE 78, 320, 327BVerfG 11.09.2001 – 1 BvR 305/01, NJW 2002, 955Roth NVwZ 2009, 345


- 334 - 3341227122812291230123112321233Das BVerfG 2030) hält daran fest, daß für den Fall der in einer Verfassungsbeschwerdevorgenommenen Rüge <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen unterlassener Vorlage anden EuGH durch den BGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV) in der Verfassungsbeschwerdebegründungdargelegt werden muß, daß die Notwendigkeit der Vorlage in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründungangesprochen worden war. In der Revisionsbegründungzum BGH (bzw. hier BFH) sei dies jedoch nicht geboten, da hier von Amtswegen die Vorlagefrage zu klären sei. 2031)Eine Verfassungsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Ist ein Finanzrechtsstreitnicht mehr beim FG oder BFH anhängig, weil inzwischen nach Erschöpfung <strong>des</strong>Rechtsweges Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde, dann ist nach einer zuvor vomFinanzamt abgelehnten AdV Gericht der Hauptsache für eine AdV nach § 69 FGO dasBVerfG. 2032) In solchen Fällen ist nach § 69 FGO vorzugehen und nicht der Weg einesverfassungsrechtlichen Eilrechtsschutzes gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG zu wählen.Die Möglichkeit <strong>des</strong> § 32 Abs. 1 BVerfGG – sofern § 69 FGO nicht zur Verfügungsteht – sollte nur dann erwogen werden, wenn die Anforderungen erfüllt werden können,die das BVerfG 2033) iüngst zusammengefaßt hat:- Eine eingelegte Verfassungsbeschwerde darf nicht von vornherein unzulässigoder offensichtlich unbegründet sein.- Die in der Verfassungsbeschwerde vorgetragene Gründe haben grundsätzlichunbeachtet bleiben. Allenfalls sind sie dafür bedeutsam, zu veranschaulichen, daßdie Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist.- Ein Zustand kann per einstweiliger Anordnung durch das BVerfG vorläufig geregelt,wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewaltoder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend gebotenist.- Das BVerfG nimmt eine Folgenabwägung vor.- Zu diesem Zweck ist seitens <strong>des</strong> Antragstellers zur Schwere <strong>des</strong> Nachteils, wenndie einstweilige Anordnung nicht erginge, weitergehend vorzutragen, als dies imeinfachrechtlichen vorläufigen Rechtsschutz der Fall ist.1234b) Verfassungsbeschwerde gegen ein SteuergesetzEine Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen ist nur bei völligerUntätigkeit <strong>des</strong> Gesetzgebers zulässig. 2034) Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Gesetzgebertätig geworden ist, nach Meinung <strong>des</strong> Beschwerdeführers jedoch nur unzureichend.In einem solchen Fall kann Verfassungsbeschwerde sich nicht auf Untätigkeit<strong>des</strong> Gesetzgebers berufen, sondern richtet sich gegen die für unzureichend erachtetengesetzlichen Regelungen, bei der zudem eine Grundrechtsverletzung aufzuzeigen2030)2031)2032)2033)2034)BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 21BVerfG 21.11.2011 – 2 BvR 516/09, 2 BvR 535/09, NJW 2012, 598 Rdn. 28BFH 29.07.2009 – VIII S 14/09, BFH/NV 2009, 1822BVerfG 17.09.2012 – 1 BvR 1786/12, NJW 2012, 3773BVerfG 14.10.1970 – 1 BvR 690/, 694/70, BVerfGE 29, 268, 273; BVerfG 23.08.1999 - 1 BvR2164/98, NJW 1999, 3478


- 335 - 3351235123612371238ist. Fraglich bleibt dann, aus welcher Verfassungsnorm man einen Gesetzgebungsauftragfür eine weitergehende gesetzliche Regelung ableiten könnte. 2035)Eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gesetzliche Regelung 2036) direkt ist dann zulässig,wenn es nicht um die Anwendung einer gesetzlichen Regelung im Einzelfallgeht, sondern wenn es um eine gesetzliche Regelung geht, die generell unverzichtbareGrundlage für die Bemessung von Steuerschulden ist, so dass für deren Wegfall eineneue gesetzliche Regelung erforderlich wäre. 2037) Hinzu kommen muß aber noch eineunmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit <strong>des</strong> Beschwerdeführers in einem Grundrechtdurch die beanstandete gesetzliche Regelung. 2038) Nur mittelbar faktisch durcheine Norm berührt zu sein, reicht nicht. 2039) Eine unmittelbare Betroffenheit wird dannangenommen, wenn die angegriffene Norm ohne einen „weiteren vermittelnden Akt inden Rechtskreis <strong>des</strong> Beschwerdeführers eingreift.“ Die Grundrechtsbetroffenheit mußfolglich durch die angegriffene Norm selbst erfolgen und nicht erst aufgrund eines aufdieser Norm basierenden Verwaltungsaktes. Dies hat zur Folge, dass dann, wenn aufgrunddieser Norm nach der Rechtspraxis ein Verwaltungsakt ergeht, dieser einfachrechtlichangegriffen werden muß und man im finanzgerichtlichen Verfahren versuchenkann, das FG bzw. den BFH zu einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu veranlassen.Eine direkte Verfassungsbeschwerde gegen die Norm vor Erschöpfung <strong>des</strong>Rechtsweges ist dann jedoch nicht möglich. 2040)Einen ungewöhnlichen, wenngleich interessanten, Weg weist der BFH, 2041) um dieunmittelbare Betroffenheit einer gesetzlichen Regelung abzumildern, weswegen auchdie Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG nachvollziehbar ist, dazulegen, warum eine vorherigeAnrufung der Fachgerichtsbarkeit vor einer unmittelbaren Verfassungsbeschwerdegegen eine gesetzliche Regelung nicht möglich sein soll. So weist der BFH auf folgendeMöglichkeiten hin:- Er zeigt auf, warum die im fachgerichtlichen Verfahren angesprochene einfachgesetzlicheRegelung erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetztist.- Er setzt das Verfahren aus, um dem Finanzamt die Möglichkeit einer Billigkeitsmaßnahme(§ 163 AO) zu geben.Dieser vom BFH aufgezeigte Weg ist nicht nur dann prozeßtaktisch zu berücksichtigen,wenn die Fachgerichtsbarkeit angerufen wird, um dort mittels Anregung einesVorlageverfahrens (Art. 100 Abs. 1 GG) eine Inzidentprüfung der als verfassungswidrigbeschriebenen gesetzlichen Regelung zu erreichen. Sondern der Prozeßanwalt istgehalten, für den Fall , daß eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen eine ge-2035)2036)2037)2038)2039)2040)2041)BVerfG 23.08.1999 - 1 BvR 2164/98, NJW 1999, 3478BVerfG 18.12.2002 – 2 BvR 591/95, NvWZ 2003, 467, 469: Zur Verfassungsbeschwerde betreffendnichtsteuerliche AbgabenBVerfG 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, 171 f.BVerfG 07.07.1987 - 1 BvR 461/87, DStZ/E 1987, 269; BVerfG 09.03.1994 – 1 BvR 1369/90,BVerfGE 90, 128, 135; BVerfG 18.12.2002 – 2 BvR 591/95, NvWZ 2003, 467, 468; Kleine-Cosack,Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 108 f. und 118 f.BVerfG 18.12.2002 – 2 BvR 591/95, NvWZ 2003, 467, 468BVerfG 18.12.2002 – 2 BvR 591/95, NvWZ 2003, 467, 468BFH 17.12.2003 – XI R 63/00, DStRE 2004, 848


- 336 - 3361239124012411242setzliche Regelung angestrebt wird, zu prüfen, ob man überhaupt das Kriterium derunmittelbaren Betroffenheit schafft bzw. warum es nicht möglich sein soll, die Fachgerichtsbarkeitanzurufen, mit folgenden Zielen:- Problematisierung der verfassungsrechtlichen Thematik, verbunden mit der Anregung,das FG möge gegenüber dem Finanzamt anregen, das Problem aufgrundeiner Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO lösen.- Für den Fall, daß sich das Finanzamt bzw. das FG dem verweigert, wäre schon andieser Stelle vorab schriftsätzlich aufzuzeigen, daß und warum eine Inzidentprüfungaufgrund Vorlage (Art. 100 Abs. 1 GG) geboten wäre.Mit einer solchen Vorgehensweise könnte versucht werden, dem für eine direkte Verfassungsbeschwerdegegen eine gesetzliche Regelung zu erwartenden Argument zubegegnen, die unmittelbare Betroffenheit sei wegen der Möglichkeit vorheriger Anrufungder Fachgerichtsbarkeit nicht gegeben.Steht dagegen die verfassungsrechtliche Würdigung einer gesetzlichen Regelung imEinzelfall zur Diskussion, so stellt sich eher die Frage der verfassungskonformen Auslegung,zu der auch die Fachgerichte befugt sind.Ausnahmsweise ist eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine gesetzlicheRegelung noch vor Ergehen eines Vollziehungsaktes zulässig, „wenn das Gesetz nachseinem klaren und eindeutigen Inhalt den Einzelnen schon vorher zu entscheidendenDispositionen veranlaßt, die er später nicht mehr nachholen oder korrigieren könnte.“2042) Gleiches gilt, wenn eine Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2BVerfGG von allgemeiner Bedeutung ist. 2043)1243aa)Unmittelbare VerfassungsbeschwerdeZulässigkeitsvoraussetzung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gesetzliche Regelungdirekt ist, neben einer Grundrechtsverletzung die Voraussetzungen der §§ 90Abs. 2 Satz 2, 93a Abs. 2a BVerfGG aufzuzeigen. Es muß mithin schriftsätzlich verdeutlichtwerden, warum es nicht möglich sein soll, zunächst fachgerichtlichenRechtsschutz in Anspruch zu nehmen und worin die unmittelbare nachhaltige Betroffenheitzu sehen ist. 2044) Eine unmittelbare Betroffenheit ist nämlich nur dann gegeben,wenn die angegriffene Norm ohne vermittelnden Akt in den Rechtskreis <strong>des</strong> Beschwerdeführerseinwirkt. Dies ist dann nicht der Fall, wenn zur Betroffenheit <strong>des</strong>Beschwerdeführers noch ein Vollzugsakt gehört, den der Beschwerdeführer angreifenkann und muß. 2045) Eine unmittelbare Betroffenheit ist ferner dann nicht gegeben,wenn es dem Beschwerdeführer zumutbar ist, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutzin Anspruch zu nehmen, selbst wenn ggf. das Fachgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG2042)2043)2044)2045)BVerfG 11.12.1984 - 1 BvR 1521/82, DStZ/E 1985, 61; BVerfG 09.03.1994 – 1 BvR 1369/90,BVerfGE 90, 128, 136; Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden,§ 6 Rdn. 218Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 217BVerfG 23.08.1999 - 1 BvR 2164/98, NJW 1999, 3478; BVerfG 18.03.2003 – 2 BvR 246/02,NVwZ 2003, 1249; BVerfG 25.02.2004 – 1 BvR 2016/01, NvWZ 2004, 977, 978BVerfG 18.03.2003 – 2 BvR 246/02, NVwZ 2003, 1249


- 337 - 3371244124512461247verpflichtet wäre, dem BVerfG vorzulegen. 2046) Diese unmittelbare Betroffenheit alleineaufgrund <strong>des</strong> angegriffenen Gesetzes schriftsätzlich ausführlich vorzutragen,wird vom BVerfG ausdrücklich gefordert. 2047) Wird gar vorgetragen, die als verfassungswidrigbezeichnete Norm sei <strong>des</strong>halb verfassungswidrig, weil sie mit geltendemGemeinschaftsrecht im Widerspruch stehe, dann ist erst Recht keine unmittelbare Betroffenheitgegeben, weil statt <strong>des</strong>sen die Fachgerichtsbarkeit angerufen werden könne,die ihrerseits von dem Vorlageverfahren gem. Art. 234 EG Gebrauch machen könne.2048)Ferner gilt es die Jahresfrist <strong>des</strong> § 93 Abs. 3 BVerfGG zu beachten.Hat der Gesetzgeber durch eine gesetzliche Regelung Sonder-AfA als Investitionsanreizeingeführt und damit für den Fall von Gewinnen Erwartungen für Verrechnungsmöglichkeitenbegründet, dann wird vom BVerfG eine damit begründete Erwerbschancenicht dem Art. 14 Abs. 1 GG zugeordnet, so dass eine Verfassungsbeschwerdegegen eine gesetzliche Regelung, die in eine solche Erwerbschance für denZeitraum ab dem Gesetzesbeschluß eingreift, nicht zulässig ist, es sei denn, der Eingriffwäre unverhältnismäßig. 2049)Auch der mittelbare Abbau von Steuervorteilen mit der Folge <strong>des</strong> Kursverlustes vonWertpapieren verletzt nicht Art. 14 Abs. 1 GG. 2050) Denn aus Art. 14 Abs. 1 GG kannkeine allgemeine Wertgarantie abgeleitet werden, was bei Wertpapieren zur Folge hat,dass nur der im Wertpapier niedergelegte „Kapitalstamm“ gesichert ist, nicht jedochdie Rechtsfrüchte (Rendite bzw. Zinsen). 2051)Das BVerfG betont erneut, dass allgemeine Erwartungen, das geltende Steuerrechtwerde unverändert fortbestehen, verfassungsrechtlich nicht geschützt sei. Folglichkönne auch nicht damit gerechnet werden, dass einmal gewährte steuerliche Vergünstigungen,die der Gesetzgeber aus sozial- oder wirtschaftspolitischen Lenkungszwekkenunbefristet gewährt habe, uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrecht erhaltenblieben. 2052)1248bb)Verfassungsgerichtliche InzidentprüfungIst die Betroffenheit <strong>des</strong> Steuerpflichtigen nicht unmittelbar auf eine beanstandete gesetzlicheRegelung zurückzuführen, sondern durch einen darauf beruhenden Bescheid,so kommt eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz nicht in Betrachtund zwar auch dann nicht, wenn das Finanzamt bezüglich der Anwendung <strong>des</strong>Gesetzes keinen Entscheidungsspielraum hat und die Vorschriften keiner weiteren2046)2047)2048)2049)2050)2051)2052)BVerfG 25.02.2004 – 1 BvR 2016/01, NvWZ 2004, 977, 978BVerfG 25.02.2004 – 1 BvR 2016/01, NvWZ 2004, 977, 978BVerfG 25.02.2004 – 1 BvR 2016/01, NvWZ 2004, 977, 978BVerfG 03.12.1997 - 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67; BVerfG 05.02.2002 – 2 BvR 305, 348/93,WM 2002, 1496, 1499BVerfG 05.02.2002 – 2 BvR 305, 348/93, WM 2002, 1496, 1497BVerfG 05.02.2002 – 2 BvR 305, 348/93, WM 2002, 1496, 1498BVerfG 05.02.2002 – 2 BvR 305, 348/93, WM 2002, 1496, 1500 f.


- 338 - 338124912501251Auslegung zugänglich sind. 2053) In einem solchen Fall bleibt nur die Möglichkeit, gegenden belastenden Bescheid Einspruch einzulegen und nach negativer EinspruchsentscheidungKlage zum FG zu erheben, um im finanzgerichtlichen Verfahrendie verfassungsgerichtliche Inzidentprüfung der als verfassungswidrig beanstandetenNorm anzustreben. 2054)Bei der verfassungsrechtlichen Inzidentprüfung handelt es sich um keine Verfassungsbeschwerde<strong>des</strong> Steuerpflichtigen. Vielmehr kann er diese Inzidentprüfung anregen,indem er im finanzgerichtlichen Verfahren oder im Revisionsverfahren verfassungsrechtlicheGründe vorträgt, die für eine Verfassungswidrigkeit <strong>des</strong> Gesetzessprechen, welches gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den ihn belastenden Steuerbescheidist.Ziel eines solchen schriftsätzlichen Vortrages ist, das FG oder den BFH entweder vonder Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung zu überzeugen oder hilfsweisevon der Verfassungswidrigkeit der beanstandeten gesetzlichen Regelung zuüberzeugen, um im letzteren Fall zu erreichen, dass das FG oder der BFH bei eigenerÜberzeugung von der Verfassungswidrigkeit gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG demBVerfG vorlegt.Ist ein Gericht überzeugt, dass ein Steuergesetz verfassungswidrig ist, so hat es dieserhalbkeine Verwerfungskompetenz. Es hat dann, wenn es für den Ausgang <strong>des</strong> Hauptsacheverfahrensauf die Frage der Verfassungswidrigkeit der Norm ankommt, dasfinanzgerichtliche Verfahren bzw. das Revisionsverfahren auszusetzen und demBVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG). 2055)1252c) Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil <strong>des</strong> FGEine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil <strong>des</strong> FG ist unter Beachtung der Zulässigkeitsvoraussetzungennur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:- Es ist keine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde möglich oder- die Voraussetzungen <strong>des</strong> § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sind gegeben.1253d) Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss <strong>des</strong> FG oder BFH aufVersagung der Aussetzung der VollziehungDieser Fall stellt sich in der Regel dort, wo der Steuerpflichtige sich gegen einen belastendenSteuerbescheid wendet und in diesem Zusammenhang die Verfassungswidrigkeiteines Steuergesetzes rügt. Es ist folglich der oben beschriebene Fall, in welchemim Hauptsacheverfahren eine Inzidentprüfung gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG angestrebtwird. Während bei der Frage der Verfassungswidrigkeit einer Norm das Gerichtunter oben genannten Voraussetzungen nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG verfahrenmuß, ist dies in einem AdV-Verfahren anders.2053)2054)2055)BVerfG 10.02.1987 - 1 BvR 1466/86, Information StW 1987, 192BVerfG 04.12.2002 – 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl. II 2003, 534, 544BFH 28.03.2007 – VIII B 50/06, BFH/NV 2007, 1337, 1338 f.. Siehe Spindler DStR 2001, 725zu Vorlageverfahren <strong>des</strong> BFH aus Anlaß durch den Steuergesetzgeber <strong>des</strong> beeinträchtigten Vertrauensschutzesim Steuerrecht


- 339 - 3391254125512561257Hat ein FG oder der BFH Zweifel an der Verfassungswidrigkeit einer Norm und ist dieFrage der Verfassungswidrigkeit der Norm entscheidungserheblich, dann kann daraufdie Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) gestützt werden.2056) Denn eine abschließende Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einerNorm steht wegen Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG weder dem FG noch dem BFH zu undeine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist im AdV-Verfahren bei ausreichendenZweifeln nicht geboten. 2057) Allerdings ist das FG nicht daran gehindert, bereits imAussetzungsverfahren verfassungsrechtliche Zweifel im Hinblick auf den Individualrechtsschutz<strong>des</strong> Antragstellers gegen öffentliche Belange <strong>des</strong> öffentlichen Interessesan einer geordneten Haushaltsführung abzuwägen, 2058) womit letztlich bei noch soerheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln die Gewährung von AdV wiederum indas Belieben <strong>des</strong> Gerichts gestellt wird.Ernstliche Zweifel i.S. <strong>des</strong> § 69 Abs. 2 und 3 FGO können nämlich auch verfassungsrechtlicheZweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein. 2059) Hat das FG bzw. der BFH im AdV-Verfahren aberkeine diesbezüglichen Zweifel, kann <strong>des</strong>halb nicht gegen einen ablehnenden AdV-Beschluss Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Hier ist aus Gründen der Erschöpfung<strong>des</strong> Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) das Hauptsacheverfahren zudurchlaufen. 2060)Anders ist es dagegen, wenn sich in einem AdV-Verfahren die Frage stellen sollte,gegen einen ablehnenden Beschluß <strong>des</strong> FG bzw. BFH Verfassungsbeschwerde <strong>des</strong>halberheben zu wollen, weil die ablehnende Entscheidung selbst Grundrechte <strong>des</strong> Antragstellersverletzt. 2061)In solchen Fällen sind für eine Verfassungsbeschwerde - ohne den Ausgang <strong>des</strong>Hauptsacheverfahrens abwarten zu müssen - folgende Voraussetzungen zu beachten:- Die frühere Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG, wonach die Rechtswegerschöpfung <strong>des</strong>§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG es erfordere, bei einem ablehnenden Beschluss <strong>des</strong>FG ohne Zulassung der Beschwerde (§ 128 Abs. 3 FGO) bei Vorliegen der entsprechendenVoraussetzungen (z.B. wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 oderWillkür bzw. „greifbare Gesetzesverletzung“ gemäß Art. 3 Abs. 1 GG) zunächst2056)2057)2058)2059)2060)2061)BFH 15.12.2000 – IX B 128/99, BStBl II 2001, 411; BFH 05.03.2001 - IX B 90/00, BStBl II2001, 405; BFH 09.05.2001 – XI B 151/00, BStBl II 2001, 552; BFH 06.11.2001 – II B 85/01,BFH/NV 2002, 508; BFH 02.11.2001 – X B 85/01, BFH/NV 2002, 343; FG Düsseldorf04.03.2002 – 3 V 5245/01 A (E), EFG 2002, 921BVerfG 09.05.1969 - 1 BvR 218/69, DB 1969, 1819BFH 12.08.2002 – VIII B 69/02, BFH/NV 2002, 1579, 1580 u.H.a. BVerfG 06.04.1988 – 1 BvR146/88, StRK, FGO, § 69 Rechtsspruch 283; BVerfG 03.04.1992 – 2 BvR 283/92, BB 1992,1772; BFH 20.07.1990 – III B 144/89, BStBl. II 1991, 104; BFH 19.08.1994 – X B 318/93, X B319/93, BFH/NV 1995, 143. Ferner BFH 06.03.2003 – XI B 07/02, BStBl. II 2003, 516, 517 f.;BFH 06.03.2003 – XI B 76/02, BStBl. II 2003, 523, 524 f.BVerfG 21.02.1961 – 1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, 186; BFH 20.07.1990 – III B 144/89,BStBl. II 1991, 104; BFH 09.10.1991 – III B 51/91, BStBl. II 1992, 91; BFH 15.12.2000 – IX B128/99, BStBl II 2001, 411BVerfG 01.02.1989 – 1 BvR 1290/85, BVerfGE 79, 275; BVerfG 05.04.1990 - 1 BvR 32/89,Information StW 1990, 407; BVerfG 06.12.2002 – 1 BvR 191/95, NJW 2003, 1305BVerfG 01.02.1989 – 1 BvR 1290/85, BVerfGE 79, 275, 278 ff.; BVerfG 06.12.2002 – 1 BvR191/95, NJW 2003, 1305


- 340 - 34012581259eine außerordentliche Beschwerde zu erheben, 2062) hat sich durch die Entscheidung<strong>des</strong> BVerfG überholt, daß eine außerordentliche Beschwerde den Anforderungender Rechtsmittelklarheit nicht entspricht. 2063) Damit dürfte sich auch dieRechtsprechung überholt haben, dass eine außerordentliche Beschwerde grundsätzlichdie Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde nicht hemmt, es seidenn, sie würde sich gegen die Verletzung von Prozeßgrundrechten <strong>des</strong> letzterkennendenGerichts wenden. 2064) Eine solche außerordentliche Beschwerde seidann zulässig, wenn die Entscheidung unter schwerwiegender Verletzung vonVerfahrensvorschriften zustandegekommen sei oder auf einer Gesetzesverletzungberuhe, die offensichtlich dem Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck wideersprecheund die eine Gesetzesanwendung zur Folge habe, die durch das Gesetz geradeausgeschlossen werden solle. 2065)- Ferner sind zuvor die Möglichkeiten <strong>des</strong> § 69 Abs. 6 FGO auszuschöpfen. 2066)Dazu kann auch gehören, im Verfahren nach § 69 Abs. 6 FGO Grundrechtsverletzungenzu rügen. So können z.B., wo gegeben, neben der Rüge der Verletzungrechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) auch weitere Grundrechtsverletzungen(z.B. Art. 6 Abs. 1 und 2 so wie Art. 19 Abs. 4 GG) gerügt werden, um damitdem FG die Möglichkeit zu geben, bereits im Verfahren nach § 69 Abs. 6 FGOGrundrechtsverletzungen zu beseitigen, selbst wenn sie in keinem Zusammenhangzur Grundrechtsrüge <strong>des</strong> Art. 103 Abs. 1 GG stehen. 2067) Wenn das BVerfGausführt, das Gericht werde im Rahmen <strong>des</strong> Abänderungsverfahrens zu prüfenhaben, ob solche Grundrechtsverletzungen vorlägen, so korrespondiert zu dieserGrundrechtsrügepflicht <strong>des</strong> Antragstellers im Abänderungsverfahren eine entsprechendePrüfungs- und ggf. Korrekturpflicht <strong>des</strong> FG. Das FG darf sich daherim Abänderungsverfahren gemäß § 69 Abs. 6 FGO nicht darauf beschränken, nurzu prüfen, ob es sich um tatsächliche oder einfachrechtliche Umstände handelt,sondern es muß auch verfassungsrechtliche Umstände mit einbeziehen (§ 69 Abs.1 Satz 1 FGO). Aber man muß differenzieren:Aus vorgenanntem folgt die Pflicht <strong>des</strong> FG, von Amts wegen die Frage vonGrundrechtsverletzungen zu prüfen, wenn es um § 69 Abs. 1 Satz 1 GG geht. DerRegelfall ist jedoch, dass ein Abänderungsverfahren auf Antrag eingeleitet wird,so dass § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO gilt. Dies bedeutet, dass Grundrechtsrügen nichterstmals im Abänderungsverfahren erhoben werden können, wenn sie schon vorherim AdV-Verfahren hätten erhoben werden können. Also ist es erforderlich,bereits im AdV-Verfahren nicht die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit<strong>des</strong> Verwaltungsaktes (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht nur an2062)2063)2064)2065)2066)2067)BVerfG 25.07.2000 – 2 BvR 1041/00, DStZ 2000, 830; S.o. Rdn. 152, 580 f.BVerfG 16.01.2007 – 1 BvR 2803/06, NJW 2007, 2538, 2539BVerfG 29.09.2002 – 2 BvR 855/02, NJW 2003, 575BFH 14.05.2002 – X B 36/02, BFH/NV 2002, 1460; BFH 15.05.2002 – I B 03/02, BFH/NV2002, 1317; BFH 04.07.2002 – XI B 17/02, BFH/NV 2002, 1477BVerfG 11.10.1978 - 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325; BFH 17.01.2002 – X B 158/01, BFH/NV2002, 930Zum vergleichbaren Fall <strong>des</strong> § 80 Abs. 7 VwGO BVerfG 09.01.2002 – 2 BvR 2124/01, NVwZ2002, 848BVerfG 09.01.2002 – 2 BvR 2124/01, NVwZ 2002, 848


- 341 - 341126012611262fehlerhafter Sachverhaltsermittlung oder –würdigung oder fehlerhafter Anwendungeinfachen Rechts festzumachen, sondern zusätzlich dort, wo geboten, auchGrundrechtsrügen im beim Gericht gestellten Antrag auf AdV nicht nur geltendzu machen, sondern auch überzeugend und ausführlich zu begründen. Dies <strong>des</strong>halb,weil dann, wenn dann das FG dies nicht verarbeiten würde, bereits im Verfahrennach § 69 Abs. 3 FGO ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegen kann.Es müßte dann dieserhalb nicht mehr das Verfahren nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGOdurchlaufen werden, weil es sich um keine veränderten Umstände, sondern umvom FG nicht verarbeitete Umstände handeln würde. Und hätte das FG den Antragauf AdV ohne Verarbeitung der Grundrechtsrügen zurückgewiesen und dieBeschwerde nicht gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zugelassen, dann könnte zurErschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges außerordentliche Beschwerde zum BFH erhobenwerden, worin die Grundrechtsrügen wiederholt werden, 2068) um dann, wenn auchdiese erfolglos bliebe, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Verfassungsbeschwerdewegen Grundrechtsverletzungen im Anschluß an ein AdV-Verfahreninsoweit geschafft zu haben.Grundrechtsrügen im Rahmen <strong>des</strong> § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO können sich aber stellen,wenn nach durch das FG abgelehnter AdV z. B. aufgrund einer neuen Entscheidung<strong>des</strong> BVerfG oder veränderter Umstände mit verfassungsrechtlicher Relevanzneue Umstände ergeben, die im AdV-Verfahren selbst noch nicht vorgetragenwerden konnten. Dann ist es geboten, nicht sofort Verfassungsbeschwerdezu erheben, sondern das Verfahren nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO zudurchlaufen und dort diese verfassungsrechtlichen Gründe i.S. Grundrechtsverletzungvorzutragen. 2069)- Bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine AdV-Entscheidung ist im Hinblickauf den Grundsatz der Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG)ist zwar zunächst das Hauptsacheverfahren zu durchlaufen. 2070)Ausnahmsweise ist eine Verfassungsbeschwerde schon vorher zulässig, wenndas Verweisen auf ein Hauptsacheverfahren unzumutbar ist, weil die Durchführung<strong>des</strong>selben von vornherein als aussichtslos erscheinen muß 2071) oderkeine weitere Sachaufklärung notwendig ist und ein Fall allgemeiner Bedeutunggegen ist (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) 2072) oderkeine weitere Sachaufklärung notwendig ist und ein schwerer und unabwendbarerNachteil (§ 90 Abs. 2 S 2 BVerfGG) droht, insbesondere wenn diegerügte Grundrechtsverletzung die Ablehnung der aufschiebenden Wirkung2068)2069)2070)2071)2072)BVerfG 25.07.2000 – 2 BvR 1041/00, DStZ 2000, 830BVerfG 09.01.2002 – 2 BvR 2124/01, NVwZ 2002, 848BVerfG 06.04.1988 - 1 BvR 146/88, Information StW 1989, 335; BVerfG 01.02.1989 – 1 BvR1290/85, BVerfGE 79, 275; BVerfG 05.04.1990 - 1 BvR 32/89, Information StW 1990, 407;BVerfG 02.11.1990 - 2 BvR 1302/90, BB 1991, 47; BVerfG 09.10.2001 – 1 BvR 622/01, NJW2002, 741; BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR 2305/02, NJW 2003, 418; BVerfG 06.12.2002 – 1 BvR191/95, NJW 2003, 1305BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR 2305/02, NJW 2003, 418; BVerfG 06.12.2002 – 1 BvR 191/95,NJW 2003, 1305BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR 2305/02, NJW 2003, 418


- 342 - 34212631264betrifft und im Hauptverfahren nicht mehr zureichend ausgeräumt werdenkönnte. 2073)Als weiteren Grund hat das BVerfG auf folgen<strong>des</strong> verwiesen:Eine Rechtswegerschöpfung im vorläufigen Rechtsschutz ist dann gegeben, wenngegen die angegriffene Entscheidung ein gesetzlich geregeltes Rechtsmittel nichtmehr gegeben ist und eine Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges in der Hauptsache <strong>des</strong>halbnicht geboten ist, weil/wenn der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzunggeltend macht, die gerade in der Behandlung seiner Anträge auf vorläufigenRechtsschutz liegt und im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgeräumt werdenkann. 2074) Hinzu kommen muß, daß die Erhebung einer Anhörungsrüge offensichtlichaussichtslos sein muß. 2075) Weiter weist das BVerfG zum Grundrecht aufeffektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) im Eilverfahren auf folgen<strong>des</strong> hin:„Für die Gerichte ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektivenrechtsschutzes Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichenBestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220, 226; BVerfGE 77,275, 284). Diese müssen darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahrennicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondernzu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. Beschlussder 2. Kammer <strong>des</strong> Zweiten Senates <strong>des</strong> BVerfG vom 11.06.2003 – 2 BvR1724/02, BVerfGK 1, 201, 204).“- Es ist ferner eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen den Interessen <strong>des</strong>Steuerpflichtigen an einer sofortigen AdV und <strong>des</strong> Finanzamtes an einer Versagungderselben. 2076)2073)2074)2075)2076)BVerfG 06.04.1988 - 1 BvR 146/88, Information StW 1989, 335; BVerfG 20.12.2002 – 1 BvR2305/02, NJW 2003, 418BVerfG 15.03.2006 – 2 BvR 917/05, 2 BvR 2174/05, n.V. u.H.a. BVerfGE 69, 315, 340; BVerfGE80, 40, 45; BVerfGE 104, 65, 70BVerfG 15.03.2006 – 2 BvR 917/05, 2 BvR 2174/05, n.V. u.H.a. BVerfGE 51, 386, 395; BVerfGE52, 380, 387; BVerfGE 78, 58, 68 f.BVerfG 06.04.1988 - 1 BvR 146/88, Information StW 1989, 335


- 343 - 34312651266126712681269e) Verfassungsbeschwerde gegen einen Nichtannahmebeschluss <strong>des</strong> BFHVerfassungsbeschwerden sind in der Regel unzulässig, wenn der BFH die Nichtzulassungsbeschwerdeals unzulässig verwirft. 2077) Dies ist nur dann anders, wenn die Unzulässigerklärungdurch den BFH für sich gesehen grundrechtswidrig ist, was es gesondertzu begründen gilt. 2078) Diese Frage kann sich z.B. dann stellen, wenn der BFHeine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verwirft und dabei an eine zulässigeNichtzulassungsbeschwerde Anforderungen stellt, die sich aus dem § 115 Abs. 2 FGOnicht ableiten lassen und damit gegen seine Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3GG verstößt, mit der Folge, einer gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßenden Rechtsschutzverweigerung.Das eigentliche Problem einer vom BFH für unzulässig erklärten Nichtzulassungsbeschwerdeist das Fristenproblem. Denn aufgrund einer unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerdewird durch die dies zum Ausdruck bringende Entscheidung <strong>des</strong> BFH dieFrist <strong>des</strong> § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht erneut in Gang gesetzt. 2079) Man stehtfolglich vor folgendem Dilemma, wenn man sich nicht sicher ist, ob der BFH eineNichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zurückweisen könnte:- Erhebt man gegen das Urteil <strong>des</strong> FG Verfassungsbeschwerde Verfassungsbeschwerde,ohne zuvor Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, so riskiert man dieNichtannahme der Verfassungsbeschwerde wegen Unzulässigkeit, weil derRechtsweg nicht erschöpft wurde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).- Erhebt man dagegen zwecks Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges Nichtzulassungsbeschwerdeund weist der BFH diese als unzulässig zurück, so ist die Frist <strong>des</strong> § 93Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde aus vorgenanntenGründen bereits abgelaufen. 2080)Kleine-Cosack 2081) empfiehlt, diesem Dilemma dadurch zu begegnen, dass man in solchenFällen sicherheitshalber fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde und Verfassungsbeschwerdegleichzeitig einlegt. Im Verfassungsbeschwer<strong>des</strong>chriftsatz sollte auf2077)2078)2079)2080)2081)BVerfG 01.12.2000 – 2 BvR 207/00, DStZ 2001, 789; BVerfG 27.01.2005 – 2 BvR 2223/03,HFR 2005, 352BVerfG 30.01.1989 - 1 BvR 1453/88, StRK AO 1977 § 125 R.23: „ .... Die Verfassungsbeschwerdegegen eine Entscheidung ist mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig, wenn das gegendiese Entscheidung eingelegte Rechtsmittel (hier: Nichtzulassungsbeschwerde) aus formellenGründen in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verworfen wurde.“ (JURIS-Orientierungssatz) Ist folglich die Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässigfür sich gesehen verfassungsrechtlich zu beanstanden, dann ist dies verfassungsrechtlich auch angreifbar.BVerfG 07.05.1991 - 2 BvR 1418/90, HFR 1991, 722: „...Danach ist eine Verfassungsbeschwerdein der Regel unzulässig, wenn der Bun<strong>des</strong>finanzhof die Beschwerde gegen die Nichtzulassungder Revision als unzulässig verwirft, denn in diesen Fällen hat der Beschwerdeführernicht von einem gegen die Entscheidung <strong>des</strong> Finanzgerichts zulässigen Rechtsmittel ordnungsgemäßGebrauch gemacht ....“. Aus der Formulierung „in der Regel“ kann geschlossen werden,dass Ausnahmen denkbar sind.BVerfG 28.01.1970 - BvR 719/68, BVerfGE 28, 1, 6; BVerfG 02.05.1994 - 1 BvR 685/94, InformationStW 1994, 480Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 156Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 157


- 344 - 344127012711272die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen werden und zugleich beantragtwerden, die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde so lange zurück zustellen, bis über die Nichtzulassungsbeschwerde entschieden sei. Würde dann dieNichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen werden, hätte man dieVerfassungsbeschwerde jedenfalls fristgerecht eingereicht. Würde die Nichtzulassungsbeschwerdeals unbegründet zurückgewiesen, nimmt man die Verfassungsbeschwerdezurück und reicht in der Frist <strong>des</strong> § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eine neueVerfassungsbeschwerde ein. Und wird der Nichtzulassungsbeschwerde entsprochen,nimmt man die vorsorglich erhobene Verfassungsbeschwerde zurück.Das Dilemma könnte aber auch auf andere Weise aufgelöst werden. so hat dasBVerfG folgen<strong>des</strong> entschieden:„Eine gerichtliche Entscheidung, die - wie die angegriffenen BFH-Beschlüsse - ein Rechtsmittelals unzulässig verwirft, setzt die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nurdann neu in Lauf, wenn das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig war (BVerfGE 5, 17; 69, 233 ).“ 2082)Wenn z.B. der BFH eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verwirft und sichdabei über den Gesetzeswortlaut <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 FGO und die ihn tragenden Erwägungen<strong>des</strong> Gesetzgebers eigenmächtig hinwegsetzt, dann ist die Einlegung einerNichtzulassungsbeschwerde nicht objektiv offensichtlich unzulässig. Denn für dieZulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde ist aufgrund der Gesetzesbindung derRechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG das Gesetz und nicht eine davon abweichendeRechtsprechung <strong>des</strong> BFH maßgebend. Kann man dies nachvollziehbar begründen,dann dürfte die Monatsfrist <strong>des</strong> § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in solchen Fällenab Zustellung <strong>des</strong> Nichtannahmebeschlusses <strong>des</strong> BFH zu laufen beginnen, selbstwenn wegen Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde dieselbe zurückgewiesenwurde.Ansonsten sollte eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Nichtannahmebeschluss<strong>des</strong> BFH vergleichbaren Gliederungsvorgaben folgen wie nachfolgend für eine Verfassungsbeschwerdegegen ein Urteil <strong>des</strong> BFH aufgezeigt.1273f) Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil <strong>des</strong> BFHBevor eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil <strong>des</strong> BFH eingelegt wird, ist es fürden mit der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde beauftragten Anwalt ratsam, sichanhand folgender Gliederung zunächst einmal die Frage einer Erfolgsaussicht zu vergegenwärtigen:1274aa)Fristenkontrolle (§ 93 BVerfGG)Da die Verfassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist <strong>des</strong> § 93 Abs. 1 Satz 1BVerfGG mit Begründung beim BVerfGG eingegangen sein muß, gilt es zunächsteinmal zu klären, ob die seit Mandatserteilung verbleibende Zeit überhaupt ausreicht,eine Verfassungsbeschwerde zu begründen und einzureichen. Hier zeigt sich der Vorteil,wenn der mit der Prozeßvertretung betraute Anwalt von seiner Sachkenntnis und2082)BVerfG 21.07.1988 - 1 BvR 723/88, StRK BVerfGG § 93 R.19. So auch schon BVerfG20.02.1984 - 1 BvR 166/84, StRK BVerfGG § 93 R.17


- 345 - 3451275aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Kompetenz auch in der Lage ist, die Vertretungfür eine Verfassungsbeschwerde zu übernehmen und die verfassungsrechtlichenArgumente bereits vorher im Einspruchsverfahren, finanzgerichtlichen Verfahren undim Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren vorgetragen worden waren.Es ist dann nämlich einfacher, mit der knapp bemessenen Zeit für eine zu begründendeund einzulegende Verfassungsbeschwerde umzugehen.Für die Fristenkontrolle ist fraglich, ab wann die Frist zu laufen beginnt. Da nach derRechtsprechung <strong>des</strong> BFH zwar eine außerordentliche Beschwerde gegen ein Revisionsurteil<strong>des</strong> BFH unstatthaft ist, wohl aber eine Gegenvorstellung aber dann statthaftist, wenn die angegriffene Entscheidung einen schwerwiegenden Grundrechtseingriffdarstellt und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, 2083) stellt sich die Frage, ob dieFrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht erst dann zu laufen beginnt,nachdem die Entscheidung gegen die Gegenvorstellung zugestellt wurde.1276bb)ErfolgsaussichtDer mit einer Verfassungsbeschwerde beauftragte Anwalt sollte , bevor er sich weitereArbeit macht, die Mandantschaft auf die statistisch geringe Erfolgsaussicht schriftlichhinweisen. Er sollte dem Mandanten unter Berücksichtigung der nicht kalkulierbarenDauer einer Verfassungsbeschwerde und der damit verbundenen Anwaltskosten 2084)verdeutlichen, dass selbst bei noch so nachvollziehbarer verfassungsrechtlicher Argumentationstatistisch nur i.d.R. 2 % von mehr als 5.000 Verfassungbeschwerden 2085)jährlich Erfolg haben. 2086) Ein Verfassungsbeschwerdemandat sollte mithin nur dannübernommen werden, wenn der Mandant gleichwohl die Durchführung einer Verfassungsbeschwerdewünscht und unabhängig von der dem Mandanten mitgeteilten statistischenErfolgsaussicht in der Sache eine Erfolgschance bestehen könnte. 2087)1277cc)Annahmefähigkeit (§ 93a Abs. 2 BVerfGG)Zu den Voraussetzungen wird auf oben ausgeführtes verwiesen. 2088) Für den Fall derDurchführung einer Verfassungsbeschwerde empfiehlt es sich, die Voraussetzungen<strong>des</strong> § 93a Abs. 2 BVerfGG gesondert schriftsätzlich darzulegen, 2089) denn immerhin istPrimärziel einer Verfassungsbeschwerde, dass sie zunächst einmal angenommen wird(§ 93a Abs. 1 BVerfGG). Bei denen in § 93a Abs. 2 BVerfGG genannten Vorausset-2083)2084)2085)2086)2087)2088)2089)BFH 22.02.2006 – II S 01/06, BFH/NV 2006, 1309Das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist Gerichtskostenfrei. Es sind auch keine Kosten <strong>Dr</strong>itter zutragen. Allenfalls kann das Risiko einer Mißbrauchsgebühr bestehen. Für den mit einer Verfassungsbeschwerdebetrauten Rechtsanwalt empfiehlt sich der Abschluß einer Honorarvereinbarungsamt Einforderung eines Vorschusses (Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden,§ 3 Rdn. 12 und 13)Huff NJW 12/2002, Seite XIV: Eingangszahlen: 1995: 5.911; 2000: 4.831; 2001: 4.620Jaeger AnwBl. 2000, 475Kleine-Cosack , Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 3 Rdn. 3Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 5Kleine-Cosack , Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 5 Rdn. 32


- 346 - 3461278zungen kommt es noch nicht auf die Zulässigkeit oder die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerdean.Da aber andererseits eine Annahme nicht erfolgen wird, wenn nicht auch eine hinreichendeErfolgsaussicht gegeben ist, kann auf die Darstellung der hinreichenden Erfolgsaussichtin der Verfassungsbeschwerde weiter unten verwiesen werden.12791280dd)Zulässigkeit (§ 90 BVerfGG)Hier gilt es den Beschwerdegegenstand bzw. die Beschwerdebefugnis (§ 90 Abs. 1BVerfGG) und die Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) darzustellen.Für den Fall, dass eine juristische Person Beschwerdeführer ist, ist darzulegen, dassbzw. warum sie Grundrechtsträger der reklamierten Grundrechte ist. Art 19 Abs. 3 GGsieht zwar die Grundrechtsfähigkeit inländischer <strong>iur</strong>istischer Personen vor, dies giltaber nicht für alle Grundrechte. Auch bei <strong>iur</strong>istischen Personen <strong>des</strong> öffentlichenRechts ist zu differenzieren. 2090) Und für ausländische <strong>iur</strong>istische Personen ist Grundrechtsschutzverneint worden, soweit sie ihren Sitz im Ausland hat. 2091) Allerdingswird auch ausländischen <strong>iur</strong>istischen Personen Grundrechtsschutz bei Verfahrensgrundrechtenzugestanden. 2092)Ferner gilt es das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis darzulegen.12811282ee)BegründetheitMaßstab der Begründung einer Verfassungsbeschwerde ist nicht die Fehlerhaftigkeiteines Urteils <strong>des</strong> BFH oder das einfache Recht, sondern die Verletzung von Grundrechten<strong>des</strong> GG oder der anderen in § 90 Abs. 1 GG genannten grundrechtsgleichenRechte. Grundrechte einer Lan<strong>des</strong>verfassung sind nicht Maßstab. Grundrechte derEMRK sind nur in der oben dargestellten Weise Auslegungshilfe für die Frage einerGrundrechtsverletzung nach dem GG. Grundrechtsverletzungen nach Maßgabe derRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH sind für das BVerfG nicht Beurteilungsmaßstab, ausgenommenmittelbar der Fall, dass der BFH trotz Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dem EuGHnicht vorgelegt hat, obwohl eine Vorlage geboten gewesen wäre.Verfassungsbeschwerden gegen ablehnende Nichtzulassungsbeschwerdebeschlüssebzw. Revisionsurteile trotz gerügter Grundrechtsverletzungen könnten bald zunehmen.Denn der BFH 2093) fordert neuerdings, dass der Verfassungsverstoß in Auseinandersetzungmit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH und BVerfG dargelegt werden müsse, wasnachvollziehbar ist, und dass zusätzlich das Interesse der Allgemeinheit an der Klärungder aufgeworfenen Rechtsfrage aufzuzeigen sei. Letzteres geht aber deutlich überdas hinaus, was im Hinblick auf § 90 Abs. 1 GG Voraussetzung für eine Verfassungsbeschwerdewäre, zumal dies bei gerügter Grundrechtsverletzung als Verfahrensmangel(§ 115 Abs. 2 FGO) gesetzlich nicht gefordert ist.2090)2091)2092)2093)BVerfG 07.02.1990 - 1 BvR 1556/88, HFR 1990, 580; zum Überblick siehe Kleine-Cosack ,Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 6 Rdn. 43 ff.BVerfG 01.03.1967 - 1 BvR 46/66, BVerfGE 21, 207, 209; BVerfG 19.03.1968 – 1 BvR 1968,BVerfGE 23, 229, 236BVerfG 01.11.1985 - 1 BvR 585/85, Information StW 1986, 312BFH 25.09.2002 – IX B 19/02, BFH/NV 2003, 192


- 347 - 347128312841285ff)Verletzung der Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV)Da der EuGH gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG ist 2094) und dasletztinstanzliche Gericht einer Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV (zuvor Art.234 Abs. 3 EG) unterliegt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von derklärungsbedürftigen Auslegung von EU-Gemeinschaftsrecht abhängt, kann eine Verfassungsbeschwerdewegen Verletzung <strong>des</strong> Art. 267 Abs. 3 AEUV (zuvor Art. 234Abs. 3 EG) in Frage kommen. Dies dann, wenn eine Vorlage geboten war, vom letztinstanzlichenGericht aber unterlassen wurde und das Unterlassen unhaltbar war (sogenannteWillkürkontrolle). 2095) Das BVerfG hat jedoch die Voraussetzungen für einesolche Verfassungsbeschwerde weiter eingegrenzt:- Die unterlassene Vorlage wurde in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt.2096) Dies ist dann der Fall, wenn das letztinstanzliche Gericht von einer Entscheidungserheblichkeiteiner gemeinschaftsrechtlichen Frage ausgeht und trotzdemeine Vorlage nicht in Erwägung zieht. Dies ist auch dann der Fall, wenn einletztinstanzliches Gericht bewußt von einer Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH abweicht.2097)- Inzwischen ist das BVerfG 2098) für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101Abs. 1 Satz 2 GG bei unterlassener Vorlage noch einen Schritt weiter gegangen:Denn bei der Prüfung <strong>des</strong> Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kommt esnicht mehr auf die Vertretbarkeit der fachgerichtlichen Auslegung <strong>des</strong> materiellenUnionsrechts im Streitfall an und ob dies materiellrechtlich willkürlich ist odernicht, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der unterlassenen Vorlagepflichtnach Art. 267 Abs. 3 AEUV. 2099) Und um dies seitens <strong>des</strong> BVerfG beurteilenzu können, müssen Fachgerichte Gründe angeben, die zeigen, ob man sichhinsichtlich <strong>des</strong> europäischen Rechts ausreichend kundig gemacht hat. Dies, umdem BVerfG eine Kontrolle am Maßstab <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu ermöglichen.2100) Denn aus dem Schweigen <strong>des</strong> letztinstanzlichen Gerichts zumUnionsrecht ist es dem BVerfG nicht möglich, nachzuvollziehen, ob das letztin-2094)2095)2096)2097)2098)2099)2100)BVerfG 11.01.2008 – 2 BvR 1812/06, Beilage zu BFH/NV 4/2008, 156, 158; BVerfG 11.01.2008– 2 BvR 1812/06, BVerfGK 13, 171; BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR 893/08, BVerfGK 13, 572, 574BVerfG 04.09.2008 – 2 BvR 1321/07, BFH/NV 2009, 110 f.; BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR893/08, BVerfGK 13, 572, 574 f.BVerfG 11.01.2008 – 2 BvR 1812/06, Beilage zu BFH/NV 4/2008, 156, 158; BVerfG 21.05.2008– 2 BvR 893/08, NZBau 2008, 725, 726; BVerfG 11.01.2008 – 2 BvR 1812/06, BVerfGK 13,171, 175; BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR 893/08, BVerfGK 13, 572, 574BVerfG 11.01.2008 – 2 BvR 1812/06, Beilage zu BFH/NV 4/2008, 156, 158; BVerfG 11.01.2008– 2 BvR 1812/06, BVerfGK 13, 171, 175BVerfG 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06, Rdn. 92 (Juris); BVerfG 10.11.2010 – 1 BvR 2065/10,Rdn. 23 (Juris); BVerfG 21.12.2010 – 1 BvR 506/09, Rdn. 16 (Juris)Inzwischen auch BVerfG 17.01.2013 – 1 BvR 121/11, 1 BvR 1295/11, AG 2013, 429, 430; dazuHerresthal EWiR 2013, 381, 382; Callies NJW 2013, 1905, 1906BVerfG 21.12.2010 – 1 BvR 506/09, Rdn. 17 m.w.N. ; BVerfG 17.01.2013 – 1 BvR 121/11, 1BvR 1295/11, AG 2013, 429, 430


- 348 - 34812861287128812891290129112921293stanzliche Gericht von einer vertretbaren Handhabung der Vorlagepflicht ausgegangenist. 2101)In Fortführung dieser Rechtsprechung hat inzwischen das BVerfG 2102) dieMaßstäbe für eine Verletzung der Vorlagepflicht als Grundrechtsverletzung gem.Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wie folgt konkretisiert:- Eine Verletzung der Vorlagepflicht ist gegeben, wenn„ihr Umgang mit der Vorlagepflicht bei verständiger Würdigung der das Grundgesetzbestimmenden Gedanken nicht vertretbar ist, also nicht mehr verständlich erscheintund offensichtlich unhaltbar ist.“- Dies ist dann der Fall, wenn die gemeinschaftsrechtliche Frage entscheidungserheblichist, das letztinstanzliche Gericht von der Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH abweicht und gleichwohl nicht vorlegt (bewusstes Abweichen ohneVorlagebereitschaft);- oder wenn noch keine Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH vorliegt der BFH seinenBeurteilungsrahmen in unvertretebarer Weise überschreitet (Unvollständigkeitder Rechtsprechung); 2103)- oder wenn eine Vorlagepflicht <strong>des</strong>halb besteht, wenn für die richtige Anwendung<strong>des</strong> Unionsrechts vernünftige Zweifel bestehen.Wurde mithin im Nichtzulassungsbeschwerde- / Revisionsverfahren entscheidungserheblichesUnionsrecht vorgetragen, ohne dass sich der BFH damit befasstund wurde ferner die Vorlagenotwendigkeit an den EuGH vorgetragen, ohne dasssich der BFH auch damit befasst wie bisher oft geschehen, dann dürfte mit dieserneueren Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG eine auf die Verletzung <strong>des</strong> Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg haben.Vorgenannte Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte verdichtet sich über dieVorlageberechtigung nicht letztinstanzlicher Gerichte (Art. 267 Abs. 2 AEUV) zueiner Vorlagepflicht, wenn Sekundärrechtsakte der Union für primärrechtswidrigerachtet werden. 2104)- Wenn zu einer entscheidugserheblichen gemeinschaftsrechtlichen RechtsfrageEuGH-Rechtsprechung noch nicht vorliegt oder hat der EuGH diese noch nichtabschließend beantwortet, so liegt nach Meinung <strong>des</strong> BVerfG eine Verletzung derVorlagepflicht dann vor, wenn eine Fortentwicklung der Rechtsprechung durchden EuGH keine entfernte Möglichkeit ist 2105) und vom letztinstanzlichen Gerichtsein Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten wurde. 2106) Dies2101)2102)2103)2104)2105)2106)BVerfG 21.12.2010 – 1 BvR 506/09, Rdn. 18 m.w.N.BVerfG 17.01.2013 – 1 BvR 121/11, 1 BvR 1295/11, AG 2013, 429, 430Callies NJW 2013, 1905, 1907 f.Callies NJW 2013, 1905, 1906BVerfG 11.01.2008 – 2 BvR 1812/06, Beilage zu BFH/NV 4/2008, 156, 158; BVerfG 11.01.2008– 2 BvR 1812/06, BVerfGK 13, 171, 176; BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR 893/08, BVerfGK 13,572, 575BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR 893/08, NZBau 2008, 725, 726; BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR893/08, BVerfGK 13, 572, 575


- 349 - 3491294nimmt das BVerfG dann an, wenn es zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage<strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts Gegenauffassungen gibt, die der vom BFH vertretenenAuffassung eindeutig vorzuziehen sind. 2107)Ist das Verfassungsbeschwerdeverfahren wegen Verletzung der Vorlagepflicht (Art.234 Abs. 3 EG) erfolglos verlaufen, weil nicht alle vorgenannten Voraussetzungen erfülltwaren, dann bedeutet dies lediglich, daß das BVerfG keinen Grundrechtsverstoßgem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angenommen. Dies bedeutet aber nicht, daß <strong>des</strong>halbnicht doch eine Verletzung der Vorlagepflicht (Art. 234 Abs. 3 GG) gegeben war. Danach einer erfolglos verlaufenen Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg <strong>des</strong> Primärrechtsschutzeserschöpft ist, kann sich nun die Frage stellen, ob nicht der Sekundärrechtsschutzin Form <strong>des</strong> EU-gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchesbeschritten werden sollte. 2108)129511. Grundrechtsklage zu Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtenDie Frage der Grundrechtsklagen zu Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichten stellt sich nur beiden Bun<strong>des</strong>ländern, die Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerden dazu vorsehen. 2109) Dies sind:Bayern (Art. 120 BayV, 51 VfGHG)Berlin (Art. 84 Abs. 2 Nr. 5 BerlVerf, § 49 BerlVerfGHG)Brandenburg (Art. 6 Abs. 2 BbgVerf, § 45 VerfGGBbg)Hessen (Art. 131 Abs. 1, 3 HV, § 43 StGHGMecklenburg-Vorpommern (Art. 33 Nr. 6, 7 LVerfM-V, § 11 Nr. 8, 9 LVerfGG)Rheinland-Pfalz (Art. 130a, 135 Abs. 1 Nr. 4 LVerf Rh-Pf, § 44 Rh-Pf.VerfGHG)Saarland (§ 55 SaarlVGHG)Sachsen (Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 LVerfSach, § 27 SächsVerfGHG)Sachsen-Anhalt (Art. 75 Nr. 6 LVerf S-A, § 47 LVerfGG-Sachs)Thüringen (Art. 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 LVerfThü, § 31 ThürVerfGHG)1296a) Verhältnis zur Verfassungsbeschwerde zum BVerfGGemäß § 90 Abs. 3 BVerfGG hindert die Einlegung einer Verfassungsbeschwerdezum BVerfG nicht, auch eine Grundrechtsklage bzw. Verfassungsbeschwerde zu einemLan<strong>des</strong>verfassungsgericht zu erheben. Folglich geht § 90 Abs. 3 BVerfGG zunächsteinmal von einem zulässigen zweispurigen verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutzaus. 2110) Dies gilt aber nur unter folgenden Voraussetzungen:2107)2108)2109)2110)BVerfG 11.01.2008 – 2 BvR 1812/06, BVerfGK 13, 171, 176; BVerfG 21.05.2008 – 2 BvR893/08, BVerfGK 13, 572, 575Weerth DStR 2009, 61 f.BVerfG 18.07.2001 – 2 BvR 02/01: NVwZ 2002, 73: Aus dem Grundgesetz läßt sich nicht herleiten,dass die Länder die Möglichkeit subjektiven verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzesschaffen müssen.Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 3


- 350 - 35012971298129913001301- In der Lan<strong>des</strong>verfassung muß überhaupt der Fall der Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerdewegen Grundrechtsverletzungen vorgesehen sein.- In der Lan<strong>des</strong>verfassung darf es nicht ausgeschlossen sein, eine Grundrechtsklagebzw. Verfassungsbeschwerde zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht zu erheben, wennauch Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben worden ist oder wird. 2111)- Die Erhebung einer Grundrechtsklage bzw. Verfassungsbeschwerde zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtmuß unter den unten dargestellten Voraussetzungen nach Erschöpfung<strong>des</strong> Rechtsweges erfolgen, was im Hinblick auf § 90 Abs. 2 Satz 1BVerfGG auch für die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gilt. Das Verfahrenvor dem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht gehört folglich im Verhältnis einer Verfassungsbeschwerdezum BVerfG nicht zum Rechtsweg i.S.d. § 90 Abs. 2 Satz 1BVerfGG. 2112)Hat man wegen der Verletzung eines benannten Grundrechtes einer Lan<strong>des</strong>verfassungzulässigerweise Grundrechtsklage zu einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht erhoben undwurde dem nicht entsprochen, ist gegen die abschlägige Entscheidung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichteskeine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG zulässig. 2113) DasBVerfG ist folglich keine Revisionsinstanz zu einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht, um zuüberprüfen, ob das Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht über die gerügte Grundrechtsverletzungauf der Grundlage der Lan<strong>des</strong>verfassung zutreffend entschieden hat. Davon zu unterscheidenist, wenn ein angerufenes Verfassungsgericht eines Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong> im laufendenVerfahren von sich aus die Entscheidung <strong>des</strong> BVerfG einholt, weil es um die Auslegung<strong>des</strong> GG geht oder ein Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht mit seiner Entscheidung voneiner solchen eines anderen Verfassungsgerichtes eines anderen Lan<strong>des</strong> abweichenmöchte (Art. 100 Abs. 3 GG). 2114)Ferner ist davon zu unterscheiden der Fall, dass der Beschwerdeführer in seiner zumBVerfG erhobenen Verfassungsbeschwerde vorträgt, durch die Entscheidung einesLan<strong>des</strong>verfassungsgerichtes in seinen Grundrechten nach dem GG verletzt worden zusein. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn die Auslegung oder Anwendung einerLan<strong>des</strong>verfassung im Widerspruch zu Grundrechten nach dem GG steht 2115) oder eineEntscheidung eines Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtes mit dem GG nicht vereinbar ist; 2116)in diesen Fällen ist Prüfungsmaßstab für das BVerfG aber ausschließlich das GG,nicht die Lan<strong>des</strong>verfassung. 2117)2111)2112)2113)2114)2115)2116)2117)Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 4. ausgeschlossenz.B. in: § 45 Abs. 1 BbgVerfGHG; § 49 Abs. 1 BerlVerfGHG; § 43 Abs. 1 Satz 2 HessStGHGKleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 5BVerfG 09.07.1997 - 2 BvR 389/94, NVwZ 1998, 169; Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerdenund Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 5SächsVerfGH 21.09.1995 - Vf. 1-IV-95, NJW 1996, 1736BVerfG 20.02.1998 – 1 BvR 661/94, 298, 314BVerfG 21.09.1976 – 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312, 326Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 23


- 351 - 3511302130313041305b) Besonderheiten in einzelnen Bun<strong>des</strong>ländernZulässigkeitsvoraussetzungen von Verfassungsbeschwerden bzw. Grundrechtsklagenin den einzelnen Bun<strong>des</strong>ländern unterscheiden sich teilweise untereinander, weisenaber auch Unterschiede zu einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG auf. 2118) Einerder Unterschiede besteht darin, dass nicht alle Bun<strong>des</strong>länder eine Grundrechtsklagebzw. Verfassungsbeschwerde wegen Grundrechtsverletzungen zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtzulassen. 2119)Bei denjenigen Bun<strong>des</strong>ländern, bei denen eine solche Grundrechtsklage bzw. Verfassungsbeschwerdezugelassen wird, gelten in folgenden Fällen zusätzliche Besonderheiten:Zusätzlich zu dem zuvor Ausgeführten setzt eine Verfassungsbeschwerde in Berlinzum Berliner Verfassungsgerichtshof voraus, dass keine Verfassungsbeschwerde zumBVerfG erhoben wurde (§ 49 I BerlVerfGHG). 2120) Der Beschwerdeführer muß folglichin Berlin bei Grundrechtsverletzungen für den Fall der Rechtswegerschöpfungbeim FG Berlin wählen und sich entscheiden, ob er Verfassungsbeschwerde zumBerlVerfGH (unter Berufung auf Grundrechte der Verfassung von Berlin) oder zumBVerfG (unter Berufung auf Grundrechte nach dem GG) erheben möchte. 2121) Gleichesgilt in Brandenburg (§ 45 Abs. 1 VerfGGBbg) und dem Saarland (§ 55 Abs. 3SaarlVGHG).In Hessen war es zulässig, z. B. dann, wenn die Verletzung verfahrensgleicher Grundrechteder Lan<strong>des</strong>verfassung und <strong>des</strong> GG gerügt worden waren, zugleich Grundrechtsklagezum HessStGH und zum BVerfG zu erheben. In einem solchen Fall setzteaber der HessStGH das beim ihm anhängige Verfahren bis zur Entscheidung <strong>des</strong>BVerfG aus, da zur Entscheidung der von beiden Verfassungsgerichten zu prüfendenFrage der Verletzung von Bun<strong>des</strong>grundrechten zuvörderst das BVerfG als der insofernmaßgebliche Interpret berufen war, sofern nicht die zum HessStGH erhobene Grundrechtsklageoffensichtlich unzulässig war. 2122) Aufgrund der Neufassung <strong>des</strong> HessSt-GHG ist dies nunmehr nicht mehr möglich. Gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 2 HessStGHGist nunmehr eine Grundrechtsklage zum HessStGH unzulässig, wenn in derselbenSache Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben ist oder wird.2118)2119)2120)2121)2122)Dietlein, Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerde und Einheit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rechts. Zu den Kontrollbefugnissender Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichte im Rahmen <strong>des</strong> "Urteilsverfassungsbeschwerdeverfahrens",NVwZ 1994, 6; Held, Die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz -Zugleich ein Beitrag zu Umfang und Grenzen lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtlicher Jurisdiktionsgewaltim Bun<strong>des</strong>staat, NVwZ 1995, 534; Körting/Schmidt, Der Verfassungsgerichtshof <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Berlin,LKV 1998, 121; Rinken, Der Verfassungsgerichtshof <strong>des</strong> Freistaates Sachsen, NVwZ 1994,29; Sacksofsky, Lan<strong>des</strong>verfassungen und Grundgesetz - am Beispiel der Verfassungen der neuenBun<strong>des</strong>länder, NVwZ 1993, 235; Schneider, Verfassungsgerichte der Länder - "Filter" für Karlsruhe?NJW 1996, 1517Zu denjenigen, die eine solche Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerde zulassen, gehören: Bayern, Berlin,Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-PfalzZu denjenigen, die eine solche Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerde nicht zulassen, gehören: Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-HolsteinBerlVerfGH 17.06.1996 - VerfGH 4/96, LKV 1997, 93; Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerdenund Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 4BVerfG 18.01.1996 - 1 BvR 1375/95, NJW 1996, 1464HessStGH 09.09.1998 - P. St. 129950, NJW 1999, 49. Dazu v. Zezschwitz NJW 1999, 17


- 352 - 35213061307In Mecklenburg-Vorpommern ist eine Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerde wegen Grundrechtsverletzungennur zulässig, „soweit eine Zuständigkeit <strong>des</strong> BVerfG nicht gegebenist.“In der Rechtsprechung der Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichte bestehen Unterschiede zu derFrage, ob zur Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges die Erhebung der Gegenvorstellung gehörtund ob bei einer erhobenen Gegenvorstellung die Frist für die Erhebung der Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerdeerst mit Zustellung der die Gegenvorstellung zurückweisendenEntscheidung zu laufen beginnt oder die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerdevon einer (notwendigerweise) einzulegenden -Gegenvorstellung unberührtbleibt. 2123)1308c) Voraussetzungenaa)AntragsberechtigungEine solche muß sich aus der Lan<strong>des</strong>verfassung und/oder dem jeweiligen Gesetz ergeben,dass das Verfahren vor dem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht regelt. Bei Bun<strong>des</strong>ländern,die bei Grundrechtsverletzungen in ihrer Lan<strong>des</strong>verfassung den Gang zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtnicht vorsehen, oder sie ausschließen, wenn eine Verfassungsbeschwerdezum BVerfG erhoben wird bzw. erhoben worden ist, fehlt es an einer Antragsberechtigungbereits aus solchen Gründen.13091310bb)RechtswegerschöpfungBeabsichtigt man, Grundrechtsklage vor einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht zu erheben,weil z.B. eine belastende Entscheidung <strong>des</strong> FG gegen ein Grundrecht der Lan<strong>des</strong>verfassungverstößt, so ist dies erst dann möglich, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. 2124)Die Rechtswegerschöpfung muß aber vor dem höchsten Lan<strong>des</strong>gericht eingetretensein. 2125) In Anbetracht der Tatsache, dass es in der Finanzgerichtsbarkeit auf Lan<strong>des</strong>ebenenur eine Instanz gibt, nämlich die <strong>des</strong> FG, stellt sich für die Rechtswegerschöpfungdie Frage, ob dies bedeutet, dass eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde nichtmöglich sein muß oder ob der Rechtsweg vor einem FG - statt vor dem BFH - auchdann erschöpft ist, wenn einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht entsprochen wordenist, so dass dann auf die Entscheidung <strong>des</strong> FG statt den die Nichtannahme aussprechendenBeschluss <strong>des</strong> BFH abzustellen wäre.Da aber die Einlegung einer zulässigen Nichtzulassungsbeschwerde zur Rechtswegerschöpfunggehört, 2126) ist der Rechtsweg vor einem FG nur dann erschöpft, wenn imAnschluß daran keine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH erhoben werdenkönnte oder eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich aussichtslos2123)2124)2125)2126)Dazu im einzelnen Buchheister NVwZ 2000, 1356z.B. § 49 II BerlVerfGHG; § 44 Abs. 1 Satz 1 HessStGHG; BerlVerfGH 19.03.1998 - VerfGH84/97, LKV 1998, 313, 314; BbgVerfG 17.09.1998 - VfGBbg 7/98, NVwZ 1999, 295z.B. § 44 Abs. 1 Satz 3 HessStGHGBVerfG 02.05.1978 - 1 BvR 270/78, n.V.; BVerfG 23.02.1979 - 1 BvR 18/78, DB 1979, 1485;BVerfG 23.05.1986 - 1 BvR 1021/83, Information StW 1986, 526; BVerfG 20.05.1988 - 1 BvR473/88, StRK FGO § 115 R.252; BVerfG 03.10.1989 - 1 BvR 1245/88, BVerfGE 81, 22; Bbg-VerfG 17.09.1998 - VfGBbg 7/98, NZA 1998, 1300.


- 353 - 353131113121313wäre. 2127) Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde darf aber nicht <strong>des</strong>halb inFrage stehen, weil ein Mangel im Instanzenzug <strong>des</strong>halb nicht nachgeprüft werdenkonnte, weil er dort nicht oder nicht in ordentlicher Form gerügt worden war und/oderdas betreffende Rechtsmittel (<strong>des</strong>halb) als unzulässig verworfen werden mußte. 2128)Ist in der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig eine Grundrechtsverletzungzu sehen - was im Detail zu begründen ist (z.B. wurde seitens <strong>des</strong>BFH eine im Nichtzulassungsbeschwerde gerügte Grundrechtsverletzung übergangen2129) ) -, 2130) dann mag damit eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG zulässigsein, es wäre aber keine Rechtswegerschöpfung vor dem FG eingetreten, so dass eineGrundrechtsklage vor einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht schon <strong>des</strong>halb unzulässig wäre.Ist ausnahmsweise eine Rechtswegerschöpfung vor dem FG eines Lan<strong>des</strong> gegeben,dann gilt es bei Verletzung <strong>des</strong> lan<strong>des</strong>rechtlichen Grundrechts auf rechtliches Gehörzu beachten, vor Erhebung einer Grundrechtsklage zum LVerfG die Anhörungsrügegem. § 133a FGO zu erheben ist. 2131) Dem HessStGH 2132) ist allerdings nicht darin zufolgen, wenn er ausführt, dies gelte auch dann, wenn gleichzeitig mit der Rüge derVerletzung rechtlichen Gehörs auch die Verletzung anderer Grundrechte gerügt würde.Denn § 133a FGO ist auf die Anhörungsrüge begrenzt. Der HessStGH übersiehtfolgende Ausführungen in der Gesetzesbegründung: 2133)„Eine Erstreckung dieses Rechtsbehelfs auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte istnicht Gegenstand <strong>des</strong> vom BVerfG 2134) erteilten Gesetzgebungsauftrags.“Um wieviel mehr muß dies bei anderen Grundrechtsverletzungen als Verfahrensgrundrechtsverletzungengelten. Denn die Rechtsprechung <strong>des</strong> HessStGH 2135) führtdazu, daß die Rüge von anderen Grundrechtsverletzungen nur <strong>des</strong>halb unbeachtetbleiben soll, wenn zugleich auch eine Anhörungsrüge erhoben wurde, über die imFalle <strong>des</strong> § 133a FGO seitens <strong>des</strong> FG zu entscheiden wäre. Dies würde auf einen Ver-2127)2128)2129)2130)2131)2132)2133)2134)2135)BVerfG 22.05.1984 - 1 BvR 523/84, Information StW 1984, 406; BVerfG 15.10.1997 - 2 BvN1/95, NJW 1998, 1296BVerfG 15.05.1963 – 2 BvR 106/63, BVerfGE 16, 124, 127; BVerfG 25.03.1987 - 1 BvR807/86, StRK BVerfGG § 90 Abs.2 R.32; BVerfG 30.01.1989 - 1 BvR 1453/88, StRK AO 1977 §125 R.23; BVerfG 20.02.1991 - 2 BvR 39/91, HFR 1991, 722; BVerfG 07.05.1991 - 2 BvR1418/90, HFR 1991, 722; BVerfG 02.07.1991 - 1 BvR 1600/89, HFR 1992, 423; BVerfG23.02.1992- 2 BvR 905/92, HFR 1993, 127; BVerfG 23.02.199 - 2 BvR 51/92, HFR 1993, 126;BVerfG 31.10.1992 - 2 BvR 739/91, HFR 1993, 327; BVerfG 07.06.1993 - 2 BvR 1767/92, HFR1993, 541BVerfG 07.02.1992 - 2 BvR 129/92, HFR 1992, 652BVerfG 24.04.1990 - 2 BvR 177/90, StE 1990, 206Ähnlich HessStGH 13.04.2005 – P. St. 1885, NJW 2005, 2217 und HessStGH 12.05.2005 – P. St.1930, NJW 2005, 2219 zur entsprechenden Anwendung <strong>des</strong> § 321a ZPO a.F.HessStGH 13.04.2005 – P. St. 1885, NJW 2005, 2217, 2218; HessStGH 12.05.2005 – P. St. 1930,NJW 2005, 2219, 2220BT-<strong>Dr</strong>ucks. 15/3706, Seite 14; dazu auch Bloching/Kettinger NJW 2005, 860BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 01/02, BVerfGE 107, 395HessStGH 13.04.2005 – P. St. 1885, NJW 2005, 2217, 2218; HessStGH 12.05.2005 – P. St. 1930,NJW 2005, 2219, 2220


- 354 - 35413141315stoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot <strong>des</strong> effektiven rechtsschutzes und derRechtsmittelklarheit (Art. 19 Abs. 4 GG) hinauslaufen. 2136)Die Rüge anderer Grundrechtsverletzungen ist dann, wenn die Rechtswegerschöpfungvor dem FG eines Lan<strong>des</strong> eingetreten ist, aus Gründen der Fristenwahrung vor demzuständigen LVerfG vorzunehmen und dort darauf zu verweisen, daß wegen einerebenfalls erhobenen Anhörungsrüge der Weg <strong>des</strong> § 133a FGO zum FG beschrittenworden sei. Sollte der Anhörungsrüge entsprochen werden, so daß das finanzgerichtlicheVerfahren fortgeführt wird, wäre die Grundrechtsklage wieder zurückzunehmen.Würde der Anhörungsrüge nicht entsprochen, könnte die Grundrechtsklage fortgeführtwerden und wenn trotz Anhörungsrüge der Verstoß gegen das Grundrecht rechtlichenGehörs fortbestehen würde, wäre bezüglich dieses Verstoßes eine gesonderte Grundrechtsklagezu erheben, deren Verbindung mit der anderen Grundrechtsklage alsdannbeantragt werden könnte. Dies ändert nichts daran, daß man aufgrund der anderslautendenRechtsprechung <strong>des</strong> HessStG jedenfalls jedenfalls bei einer Rechtswegerschöpfungvor dem HessFG dann den Weg <strong>des</strong> § 133a FGO wählen muß, ohne wegen andererGrundrechtsverletzungen vor den HessStG gehen zu können, wenn eine der gerügtenGrundrechtsverletzungen die Versagung rechtlichen Gehörs ist.Auf die Rechtswegerschöpfung kommt es nur dann nicht an, wenn die Bedeutung derSache über den Einzelfall hinausgeht oder beim Antragsteller ein schwerer und unabwendbarerNachteil eintreten würde, wenn er zunächst den Rechtsweg erschöpfenmüßte. 2137)13161317d) BeschwerdegegenstandBeschwerdegegenstand einer Lan<strong>des</strong>verfassungsbeschwerde kann nicht die Verletzungvon Grundrechten <strong>des</strong> GG sein. 2138) Die Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichte sind wederbefugt, Grundrechtsverletzungen nach Maßgabe <strong>des</strong> GG zu prüfen noch sind sie ansolche Grundrechtsvorgaben <strong>des</strong> GG gebunden. Wohl aber können Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichteGrundrechtsverletzungen, gemessen an der Lan<strong>des</strong>verfassung, vor demHintergrund von Bun<strong>des</strong>recht und dort auch dem GG interpretieren. Folglich habenLan<strong>des</strong>verfassungsgerichte in Sachen Bun<strong>des</strong>recht zwar eine Interpretationskompetenz,jedoch keine Entscheidungskompetenz. 2139)Beschwerdegegenstand einer Grundrechtsklage oder Verfassungsbeschwerde zu einemLan<strong>des</strong>verfassungsgericht ist, durch Akte der Lan<strong>des</strong>staatsgewalt in einemGrundrecht der Lan<strong>des</strong>verfassung - nicht <strong>des</strong> GG 2140) - betroffen zu sein. Dies ist in-2136)2137)2138)2139)2140)Blochinger/Kettinger NJW 2005, 860, 863z.B. § 44 Abs. 2 HessStGHGKleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 21 f.Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 22, 24SächsVerfGH 22.06.1995 - Vf. 24 - IV-9, LKV 1995, 402. Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerdenund Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 26. Zur These, dass Art. 19 Abs. 4 GG nur beider Verletzung von Bun<strong>des</strong>grundrechten einschlägig sei, siehe Pestalozza NVwZ 1999, 140


- 355 - 355131813191320nerhalb der Beschwerdefrist zu benennen. 2141) Dazu kann die Geltendmachung einesAnspruchs auf ein zügiges Gerichtsverfahren gehören. 2142)Dies kann dadurch geschehen sein, dass aufgrund einer Verletzung von Lan<strong>des</strong>gesetzengegen Grundrechte der Lan<strong>des</strong>verfassung verstoßen wurde, dies kann aber auchdadurch geschehen sein, dass durch Verletzung von Bun<strong>des</strong>gesetzen zugleich auchgegen Grundrechte der Lan<strong>des</strong>verfassung verstoßen wurde. 2143) Bun<strong>des</strong>recht steht derGeltung mit den entsprechenden Gewährleistungen <strong>des</strong> Grundgesetzes inhaltsgleicherVerfahrensgrundrechte einer Lan<strong>des</strong>verfassung in bun<strong>des</strong>rechtlich geregelten Verfahrennicht entgegen und schließt die Zuständigkeit eines Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichteszur Überprüfung ihrer Beachtung nicht aus. 2144) Das Finanzgerichtsverfahren auf derGrundlage der FGO ist ein bun<strong>des</strong>rechtlich geregeltes Verfahren. Gleichwohl hat dasFG nicht nur die Grundrechte <strong>des</strong> GG sondern auch die der jeweiligen Lan<strong>des</strong>verfassungenzu beachten. 2145) Ob vergleichbare Grundsätze auch für das materielle Rechtgelten, hat das BVerfG noch nicht entschieden. 2146)Der Steuerpflichtige trägt dieserhalb eine eigene Verantwortung, darauf zu achten,dass im finanzgerichtlichen Verfahren seine Grundrechte nach dem GG und der jeweiligenLan<strong>des</strong>verfassung beachtet werden. 2147) Daher wurde oben auch darauf hingewiesen,dort wo Grundrechte <strong>des</strong> GG und der einschlägigen Lan<strong>des</strong>verfassung tangiertsein könnten, dies im finanzgerichtlichen Verfahren bereits in der Klageschrift,in Folgeschriftsätzen bzw. spätestens in der mündlichen Verhandlung vorzutragen.Lan<strong>des</strong>verfassungen ist es folglich erlaubt, vorzusehen, dass nach Erschöpfung <strong>des</strong>Rechtsweges aufgrund zulässigerweise erhobener Grundrechtsklage bzw. Verfassungsbeschwerdedas Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht die Entscheidung eines FG aufhebenkann, wenn sie ein mit dem GG inhaltsgleiches subjektives Lan<strong>des</strong>verfassungsrechtverletzt. 2148)Eine solche Inhaltsgleichheit von Lan<strong>des</strong>grundrecht und Grundrechten nach dem GGist gegeben, wenn die Würdigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung nachder Lan<strong>des</strong>verfassung zu demselben Ergebnis führt wie eine Würdigung der Grundrechtsverletzungnach dem GG. 2149)2141)2142)2143)2144)2145)2146)2147)2148)2149)BerlVerfGH, 02.12.1993 - VerfGH 89/93, NJW 1994, 436; BerlVerfGH 25.04.1996 - VerfGH21/95, NJW 1996, 738BbgVerfG 20.03.2003 – VfGBbg 108/02, NVwZ 2003, 1379BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 01/95, NJW 1998, 1297 [dazu NVwZ 1998, 481 und Lange NJW1998, 1278]; BayVerfGH 15.10.1992 - Vf. 117-VI-91, NJW 1993, 517; BerlVerfGH 23.12.1992 -VerfGH 38/92, NJW 1993, 513. Kunig NJW 1994, 687BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296; HessStGH 09.09.1998 - P. St. 129950,NJW 1999, 49BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 39, 60 f.BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296; Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerdenund Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 35 f.


- 356 - 3561321Bei der Prüfung dieser Vorfrage ist das Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht an die Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG gebunden (§ 31 BVerfGG) und muß für den Fall, dass es davonabweichen möchte oder dass durch andere Gerichte ein abweichender Rechtsmaßstabangelegt wird bzw. weitere vom BVerfG noch nicht entschiedene Fallgruppen zu beurteilensind, dem BVerfG vorlegen (Art. 100 Abs. 3 GG). 2150) Diese Bindung derLan<strong>des</strong>verfassungsgerichte an die Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG ändert sich inhaltlichab dem Moment, in dem das BVerfG auf Vorlage eines Lan<strong>des</strong>verfassungsgerichtesseine Rechtsprechung ändert. 2151)132213231324e) ErgebnisDie Möglichkeiten, eine Grundrechtsklage bzw. Verfassungsbeschwerde im Anschlußan eine Entscheidung eines FG zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht zu erheben, sind sehrbegrenzt. Sie ist nur dort gegeben, wo die Lan<strong>des</strong>verfassung oder das entsprechendeGesetz zum lan<strong>des</strong>verfassungsrechtlichen Verfahren dies zuläßt. Ferner darf teilweisenicht auch Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben werden. Weiterhin muß sichbeim FG der Rechtsweg erschöpfen. Die Beurteilung von Verfahrensgrundrechtennach dem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht und dem BVerfG müssen inhaltsgleich sein. MaterielleGrundrechtsverletzungen nach der Lan<strong>des</strong>verfassung dürfen nicht vom Grundrechtsschutz<strong>des</strong> GG abweichen.Die Erhebung einer zulässigen Grundrechtsklage bzw. Verfassungsbeschwerde zu einemLan<strong>des</strong>verfassungsgericht ist mithin sehr eingeschränkt und hängt derzeit vonvielen Unsicherheiten ab. Es ist daher der Empfehlung von Kleine-Cosack 2152) zu folgen,zwecks Vermeidung der Einlegung einer unzulässigen Verfassungsbeschwerdezu einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht lieber gleich das BVerfG anzurufen, um eineGrundrechtsprüfung zu erreichen und eine Verfristung sicherzustellen.Der Aufbau einer Verfassungsbeschwerde zu einem Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht könntewie folgt aussehen: 2153)I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde1. Beschwerdefähigkeit2. Beschwerdegegenstand3. Beschwerdebefugnis4. Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges5. Form6. Frist2150)2151)2152)2153)BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296; Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerdenund Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 51 f.BVerfG 15.10.1997 – 2 BvN 1/95, NJW 1998, 1296, 1301Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, § 12 Rdn. 59Hufen JuS 2005, 554, 555


- 357 - 357II.III.Begründetheit (Verletzung von Grundrechten der Lan<strong>des</strong>verfassung)1. Schutzbereich2. Eingriff3. Einfachrechtliche Würdigung4. Entscheidungserheblichkeit der zu klärenden Grundrechtsthematik5. GrundrechtsverletzungErgebnisa) Verfassungsmäßigkeit <strong>des</strong> Gesetzes und Gesetzgebungsverfahrenssowie Gesetzgebungskompetenz ?b) Grundrechtsverletzung132513261327XVI.Eilverfahren1. Aussetzung/Aufhebung der Vollziehunga) Aussetzung der VollziehungGemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hat das Finanzamt, wenn es einen belastenden Steuerbescheiderlassen hat und dagegen Einspruch eingelegt wurde, von Amts wegen zuprüfen, ob Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. Dies ist in der Praxis jedoch derAusnahmefall, da der Fall der Antragstellung gem. § 367 Abs. 2 Satz 2 AO der Regelfallist. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist seitens <strong>des</strong> Steuerpflichtigenstets zunächst beim Finanzamt zu stellen (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO) und auch zu begründen,um für den Fall eines anschließenden neuerlichen AdV-Antrages vor demFG die Zugangsvoraussetzungen <strong>des</strong> § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zu erfüllen. 2154) Die Einzelheitenregelt § 367 Abs. 2 AO. 2155)Ist dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung durch das FA nicht entsprochen worden,so bestehen alternativ 2 Möglichkeiten: 2156)- Entweder Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO), wobei im Falle der Zurückweisung<strong>des</strong> Einspruchs durch das FA dagegen nicht Klage zum FG erhoben werdenkann. 2157)- Oder die Anrufung <strong>des</strong> FG gemäß § 69 Abs. 3 und 5 Satz 3 FGO (§§ 361 Abs. 5AO, 69 Abs. 7 FGO). 2158)2154)2155)2156)2157)2158)BFH 20.06.2007 – VIII B 50/07, DStRE 2007, 1209Zur Darlegungs- und Beweislast im Rahmen <strong>des</strong> § 361 AO siehe Bäcker ZSteu 2005, 196Kaligin ZSteu 2012, 151BFH 19.07.2010 – I B 207/09, BFH/NV 2011, 48 Rdn. 7BFH 19.07.2010 – I B 207/09, BFH/NV 2011, 48 Rdn. 7


- 358 - 358132813291330133113321333Hat ein Finanzamt die Aussetzung bis zum Abschluss <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens gewährt,so muß für das sich anschließende FG-Verfahren eine Aussetzung der Vollziehungzunächst wieder beim Finanzamt beantragt werden. 2159) Erst wenn das Finanzamtdiesem Antrag nicht entsprochen hat, kann dann erst ein Antrag auf Aussetzung derVollziehung beim FG gestellt werden.Mit Einlegung der Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde ist für das gerichtlicheAdV-Verfahren jedoch der BFH zuständig. 2160) Hatte zuvor bereits im finanzgerichtlichenVerfahren das FG den Antrag auf AdV abschlägig beschieden, und wird nunmehrnach Einleitung <strong>des</strong> Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens beim BFH als Gerichtder Hauptsache AdV beantragt, dann richtet sich die Statthaftigkeit dieses Antragesnach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO. 2161) Voraussetzung ist folglich, seitens <strong>des</strong> Antragstellerszur Statthaftigkeit eines solchen Antrages darzulegen, daß sich seit dem erstinstanzlichenVerfahren Umstände verändert haben bzw. im finanzgerichtlichen Verfahrenaus Gründen nicht vorgetragen wurden, die dem Antragsteller nicht zum Verschuldengereichen.Der Antrag auf AdV muß dann in der Sache nicht gesondert begründet werden, vielmehrkann auf die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung verwiesen werden. 2162) Ineinem vor dem BFH anhängigen AdV-Verfahren ist ein Beitritt <strong>des</strong> BMF unzulässig.2163)Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren prüft der BFH die Voraussetzungen derAdV vor dem Hintergrund, ob ernstlich mit der Zulassung der Revision und der Aufhebungder Bescheide zu rechnen ist. 2164) Es empfielt sich daher für den Prozeßbevollmächtigten,zum Zeitpunkt der Beantragung der AdV im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrendie Nichtzulassungsbeschwerdebegründung dem BFH bereits zugereichtzu haben.Hebt der BFH das Urteil <strong>des</strong> FG auf und verweist an das FG zurück, geht die Zuständigkeitüber die Entscheidung eines Antrages auf AdV wieder auf das FG über. 2165)Ist ein Finanzrechtsstreit nicht mehr beim FG oder BFH anhängig, weil inzwischennach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde, dann istnach einer zuvor vom Finanzamt abgelehnten AdV Gericht der Hauptsache für eineAdV nach § 69 FGO das BVerfG. 2166)2159)2160)2161)2162)2163)2164)2165)2166)BFH 06.05.2004 – IX S 02/04, BFH/NV 2004, 1413BFH 02.06.2005 – III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834; BFH 03.05.2012 – V S 13/12, ZSteu 2012,R-984, R-985BFH 08.03.2013 – III S 2/12, BFH/NV 2013, 960, Rdn. 4 - 5; dazu Bartone jurisPR-SteuerR20/2013BFH 05.10.2010 – X S 27/10, BFH/NV 2011, 274BFH 23.08.2007 – VI B 42/07, DStR 2007, 1618, 1619BFH 20.12.2005 – III S 24/05, BFH/NV 2006, 486, 487; BFH 06.03.2006 – X S 03/06, BFH/NV2006, 1138 f.; BFH 13.09.2006 – III S 26/06, BFH/NV 2007, 6, 7; BFH 03.05.2012 – V S 13/12,ZSteu 2012, R-984, R-985; BFH 25.10.2012 – X S 29/12, BFH/NV 2013, 230 (ständige Rspr.)BFH 27.02.2006 – IV S 24/05, BFH/NV 2006, 1312BFH 29.07.2009 – VIII S 14/09, BFH/NV 2009, 1822


- 359 - 3591334133513361337133813391340Bei einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sollte man als Prozessanwalt oderdamit beauftragter Steuerberater stets auch schriftsätzlich begründen, daß und warumeine Aussetzung ohne Sicherheitsleistung erfolgen solle. Dazu ist folgen<strong>des</strong> aufzuzeigen:- Gründe, warum die Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Verwaltungsaktes nichternstlich zweifelhaft ist. Dabei reicht es aus, wenn die für die Rechtswidrigkeit<strong>des</strong> Verwaltungsaktes sprechenden Gründe nicht überwiegen.- Gründe, warum selbst bei Unterliegen <strong>des</strong> Antragstellers nicht gefährdet wären.2167)Ergeht sodan seitens <strong>des</strong> Finanzamtes zwar eine Aussetzung der Vollziehung, jedochgegen Sicherheitsleistung, dann ist dies eine teilweise Ablehnung i.S.d. § 69 Abs. 4Satz 1 FGO. Es besteht dann die Möglichkeit, beim FG bzw. BFH AdV ohne Sicherheitsleistungzu beantragen. Und Überwiegen die für eine Rechtswidrigkeit <strong>des</strong> Verwaltungsaktessprechenden Gründe und kann dann das Finanzamt nicht schlüssig darlegen,daß eine Gefährdung <strong>des</strong> Steueranspruches gegeben ist, dann wird dem beiGericht gestellten AdV-Antrag ohne Sicherheitsleistung zu entsprechen sein. 2168)Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) kann beim FG während <strong>des</strong> Klageverfahrensoder bereits vor Klageerhebung gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO).Befindet sich das Verfahren im Stadium der Nichtzulassungsbeschwerde, so ist derAntrag auf AdV beim BFH zu stellen. Voraussetzung ist aber, dass zuvor das Finanzamtdie Aussetzung der Vollziehung versagt hat oder bis zum Ergehen einer Einspruchsentscheidungüber einen gestellten Antrag auf AdV nicht entschieden hat 2169)oder Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 FGO). Das Finanzamt ist verpflichtet, dann,wenn es selbst die AdV abgelehnt hat, dem Steuerpflichtigen ausreichend Zeit zu lassen,bei Gericht einen begründeten Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO zu stellen.Eine solcheangemessene Frist kann je nach Einzelfall um die 3 Wochen oder mehr betragen.2170) Die Anforderungen an eine AdV sind derzeit unterschiedlich:- Nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 2171) würde es ausreichen, eine Folgenabwägungvorzunehmen. Da § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO nur eine Soll-Vorschrift ist,könnte sich daran auch die finanzgerichtliche Rechtsprechung orientieren. Diesist aber derzeit (noch) nicht der Fall.- In Anbetracht <strong>des</strong> Wortlautes <strong>des</strong> § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO geht der BFH von folgendenAnforderungen aus:„Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist dieVollziehung eines angefochtenen Steuer- oder Steuermessbeschei<strong>des</strong> auf Antrag vom Gerichtauszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> bestehenoder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegendeöffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Bescheid im Zeitpunkt der2167)2168)2169)2170)2171)BFH 03.02.2005 – I B 208/04, BStBl. II 2005, 351BFH 07.05.2008 – IX S 26/07, BFH/NV 2008, 1498FG Sachsen-Anhalt 19.01.2004 – 4 V 819/03, EFG 2004, 669FG Berlin 16.09.2003 – 7 K 6269/01, EFG 2003, 1757BVerfG 04.07.2001 – 1 BvR 165/01, DStR 2002, 322


- 360 - 360134113421343gerichtlichen Entscheidung bereits vollzogen, kann das Gericht die völlige oder teilweiseAufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Beschei<strong>des</strong> bestehen, wenn und soweit beisummarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel,<strong>des</strong> unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dassaus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheitoder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließenderKlärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (s. Beschluss<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>finanzhofs --BFH-- vom 25. Juli 1994 I B 241/93, BFH/NV 1995,334).“ 2172)Es sind folglich nach dieser Rechtsprechung <strong>des</strong> I. Senates <strong>des</strong> BFH ernstliche Zweifelan der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong> darzulegen und es ist plausibeldarzulegen, dass daraus sich als Ergebnis die Rechtswidrigkeit <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> ergebenkönnte. Diese Rechtsprechung hat der I. Senat <strong>des</strong> BFH 2173) inzwischen geändert,indem er nunmehr iudiziert, daß die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründenicht mehr überwiegen müssen und dann, wenn die Rechtslage nicht eindeutig ist, imRegelfall die AdV zu gewähren sei. Dies gelte auch dann, wenn die Verfassungswidrigkeiteiner Norm geltend gemacht werde.Dies entspricht der Rechtsprechung <strong>des</strong> V. Senates <strong>des</strong> BFH, die für die Darlegung derZweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angegriffenen Beschei<strong>des</strong> es ausreichen läßt, dassder Ausgang <strong>des</strong> Rechtsstreites bei kursorischer Prüfung sich als unentschieden darstellt:„Ernstliche Zweifel i.S. <strong>des</strong> § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischerPrüfung <strong>des</strong> angefochtenen Steuerbeschei<strong>des</strong> neben für seine Rechtmäßigkeit sprechendenUmständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung derentscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage im summarischenBeschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B.BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, unter II. 2. a, m.w.N.).“ 2174)Unklar ist, welchen Stellenwert die Aussage hat, dass eine „überwiegende Erfolgsaussicht“nicht gefordert wird. 2175) Mit dem V. Senat <strong>des</strong> BFH genügt es, wenn die Ausführungen<strong>des</strong> Beschwerdeführers nicht von vornherein als unbeachtlich angesehenwerden können und sowohl für das eine wie auch für das andere Ergebnis gewichtigeGründe sprechen. 2176)2172)2173)2174)2175)2176)BFH 25.07.2001 - I B 41, 42/01, BFH/NV 2001, 1445; BFH 11.06.2010 – IV S 1/10, BFH/NV2010, 1851, 1852. So auch Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 989BFH 13.03.2012 – I B 111/11, DB 2012, 1071 Rdn. 22; BFH 09.05.2012 – I B 18/12, ZSteu2012, R-921, R-922BFH 06.03.2000 - V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147. So auch Dürr, Der Steuerberater vor demFinanzgericht, Seite 147BFH 17.08.2000 - VII B 45/00, BFH/NV 2000, 1438; BFH 26.05.2010 – V B 80/09, BFH/NV2010, 2079BFH 26.05.2010 – V B 80/09, BFH/NV 2010, 2079


- 361 - 36113441345134613471348Griffig ist der Leitsatz zur Entscheidung <strong>des</strong> FG Köln: 2177)„Ernstliche Zweifel i.S. einer Unentschiedenheit liegen schon dann vor, wenn die Gesetzeslageunklar ist, es einander widersprechende Entscheidungen von FGs gibt, ohne daß die streitigeRechtsfrage höchstrichterlich geklärt ist, und im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauffassung<strong>des</strong> FA erhoben werden. In solchen Fällen ist die AdV insbesondere aus Gründen <strong>des</strong>Vertrauensschutzes und der Verlässlichkeit der Rechtsordnung sachgerecht, ohne dass daserkennende Gericht die eigentlich streitige Rechtsfrage im vorläufigen Rechtsschutzverfahrenabschließend zu entscheiden hätte.“Das BVerfG iudiziert inzwischen, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidungseien immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatzoder eine entscheidungserhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumentenin Frage gestellt werden kann. 2178)Und ist während eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens der Antrag auf AdVbeim BFH gestellt worden, können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenenSteuerbeschei<strong>des</strong> nur bestehen, wenn ernstlich mit der Zulassung derRevision zu rechnen ist. 2179)Möchte man sich Differenzierungsprobleme ersparen, sollte der Vortrag zwecks Erlangungeiner AdV darauf ausgerichtet sein, darzustellen, warum der angegriffeneBescheid rechtswidrig ist und es empfiehlt sich zusätzlich, die zuvor angesprocheneFolgenabwägung zu beschreiben.Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbeschei<strong>des</strong>, weil ernstlicheZweifel an der Verfassungsgemäßheitheit der zugrundeliegenden Steuernormbestehen und hat <strong>des</strong>halb der BFH dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt,dann kann auch <strong>des</strong>halb eine Aussetzung gemäß § 69 Abs. 3 FGO erfolgen, ohne daßdas öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung Vorrang hat. 2180) Wurdejedoch dem BVerfG nicht vorgelegt, so ist die auf die behauptete Verfassungswidrigkeitder Norm gestützte AdV mit dem BFH 2181) abzulehnen, wenn je nach Einzelfalldem Interesse vor dem öffentlichen Vollzug <strong>des</strong> Gesetzes der Vorrang vor dem Interesse<strong>des</strong> Antragstellers ein Vorrang zukommt. Dies jedenfalls dann, wenn die Vollziehung<strong>des</strong> angefochtenen Bescheids im Einzelfall beim Steuerpflichtigen zu einemEingriff führen, der eher als gering einzustufen ist und keine dauerhaft nachteiligenWirkungen hat. 2182) Auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Norm soll es dannnicht ankommen.2177)2178)2179)2180)2181)2182)FG Köln 11.09.2009 – 4 V 2643/09, EFG 2010, 441BVerfG 08.12.2009 – 2 BvR 758/07, BVerfGE 125, 104, 140 m.w.N.BFH 23.01.2004 – IV S 19/03, BFH/NV 2004, 793, 794BFH 11.06.2003 – IX B 16/03, DStR 2003, 1164 f.; BFH 04.08.2003 – IX B 45/03, BFH/NV2004, 37, 38BFH 01.04.2010 – II B 168/09, ZSteu 2010, R-296 = BStBl. II 2010, 558: Die Rechtsprechung<strong>des</strong> BFH und <strong>des</strong> BVerG zu diesem Thema ist in dieser Entscheidung umfänglich aufgeführt..BFH 01.04.2010 – II B 168/09, ZSteu 2010, R-296, R-298


- 362 - 3621349135013511352Folgende Voraussetzungen gilt es bei einem Antrag auf AdV zu beachten:Vollziehbarer Verwaltungsakt:Dazu gehören: 2183)- Steuerbescheide,- Rückforderungsbescheide,- Vorauszahlungsbescheide (so lange der Jahressteuerbescheid noch nicht ergangenist),- Abrechnungsbescheide,- Anordnung <strong>des</strong> Betriebsprüfung,- Antrag auf Zwangsversteigerung oder Eintragung einer Sicherungshypothek,- Arrestanordnung,- Aufforderung zu Einrichtung einer Buchführung,- Pfändungs- und Einziehungsverfügungen.Ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO kann, wenn er vom FG abgelehnt wurde, beim FGein weiteres Mal gestellt werden, 2184) denn Beschlüsse nach § 69 Abs. 3 FGO erwachsennicht in materielle Rechtskraft. Fraglich ist dann, wo der Unterschied eines erneutgestellten Antrages nach § 69 Abs. 3 FGO und ein Beschluss nach § 69 Abs. 6 FGOzu sehen ist, wonach ein den Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO zurückweisender Beschlussvom FG jederzeit von Amts wegen oder auf Antrag geändert werden kann. 2185)- Ein erneuter Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO setzt voraus, daß er nicht auf Abänderung<strong>des</strong> Zurückweisungsbeschlusses betr. den 1. Antrag gerichtet ist und zusätzlichdie nachfolgenden Voraussetzungen <strong>des</strong> § 69 Abs. 6 FGO erfüllt. 2186)- Ein Antrag nach § 69 Abs. 6 FGO setzt voraus, daß dieser entweder auf veränderteUmstände gestützt wird oder daß unveränderte Umstande beim 1. Antrag ohneVerschulden nicht geltend gemacht wurden. 2187) Liegen diese Voraussetzungenvor, kann z.B. nach eingelegtem Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahrenein entsprechender Antrag beim BFH als dann zuständigem Hauptsachegerichtgestellt werden, selbst wenn in der Vorinstanz das FG einen AdV-Antragabgelehnt hatte. 2188)2183)2184)2185)2186)2187)2188)Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn. 551 ff.; Schmidt-Troje/ Schaumburg,Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 969 ff.BFH 24.10.1968 – IV B 40/68, BStBl. II 1969, 40; FG Hamburg 11.01.2006 – I 250/05, EFG2006, 513, 514FG Hamburg 11.01.2006 – I 250/05, EFG 2006, 513, 514FG Hamburg 11.01.2006 – I 250/05, EFG 2006, 513, 514; Kühnen EFG 2006, 516, 517FG Hamburg 11.01.2006 – I 250/05, EFG 2006, 513, 514; Kühnen EFG 2006, 516, 517BFH 08.05.2008 – IX S 30/07, BFH/NV 2008, 1499, 1500


- 363 - 363135313541355Wurde AdV gewährt, jedoch nur gegen Sicherheit, und obsiegt der Steuerpflichtigespäter im finanzgerichtlichen Verfahren, kann er im Kostenfestsetzungsverfahren auchAvalprovisionen für die gestellte Bürgschaft festsetzen lassen. 2189)Wurde jedoch eine AdV durch das FG abgelehnt und die Beschwerde gem. § 128 Abs.3 FGO zum BFH zugelassen, dann ist der BFH Tatsachengericht und folglich befugt,Tatsachenfeststellungen zu treffen. Und in diesem Zusammenhang ist der BFH befugt,statt <strong>des</strong>sen an das FG zur ergänzenden Tatsachenfeststellung zurückzuverweisen,wenn die Tatsachenfeststellung besser durch FG vorzunehmen ist und dem die Eilbedürftigkeitnicht entgegensteht. 2190) Dies aus folgenden Gründen:Im Beschwerdeverfahren über die durch das FG erfolgte Ablehnung der AdV ist derBFH Tatsachengericht. Also hat der BFH selbst die Befugnis der Tatsachenfeststellung.2191) Foglich ist im Beschwerdeverfahren – anders als im Nichtzulassungsbeschwerde-oder Revisionsverfahren – sogar neues Tatsachenvorbringen zulässig (§§155 FGO, 571 Abs. 2 ZPO). Also muß der BFH im Beschwerdeverfahren die angefochteneEntscheidung auch in tatsächlicher Hinsicht überprüfen und ggf. sogar nacheiner Beweisaufnahme in vollem Umfang nachprüfen. 2192) Dabei steht es im Ermessen<strong>des</strong> BFH, ob er dies selbst tut oder dieserhalb zwecks einer abschließenden Sachentscheidungdurch das FG an dieses zurückverweist (§§ 155 FGO, 572 Abs. 3 ZPO).2193)13561357b) Aufhebung der VollziehungIst der Verwaltungsakt bereits vollzogen, kann die Aufhebung der Vollziehung beantragtwerden (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Voraussetzung ist allerdings auch hier, daßzuvor ein entsprechender Antrag beim FA gestellt worden ist und dieses einen solchenAntrag ganz oder teilweise abgelehnt hat. 2194)Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung wirkt grundsätzlich ab seiner Bekanntgabefür die Zukunft, also nicht für die Vergangenheit. 2195) Voraussetzung ist, daßernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> Steuerbeschei<strong>des</strong> gegeben sind. Dieskann z.B. auch dann sein, wenn das Gericht wegen Überzeugung von der Verfassungswidrigkeitder für entscheidungserheblich angenommenen Norm gemäß Art. 100Abs. 1 GG dem BVerfG vorgelegt hat. 2196) Für diesen Fall kann die Wirkung der Voll-2189)2190)2191)2192)2193)2194)2195)2196)BFH 08.06.1982 – VIII R 68/79, BStBl. II 1982, 602; FG Baden-Württemberg 24.01.2007 – 3KO 07/03, EFG 2007, 783, 784 f.. Ähnlich BGH 17.01.2006 – VI ZB 46/05, NJW-RR 2006, 1001– a.A. FG Baden-Württemberg 08.05.1996 – 1 Ko 06/95, EFG 1996, 997; FG Köln 19.10.1999 –10 Ko 2729/99, EFG 2000, 232; FG Köln 18.12.2000 – 10 Ko 5325/00, EFG 2001, 654BFH 06.11.2008 – IV B 126/07, BFH/NV 2009, 76, 78BFH 18.08.1987 – VII B 97/87, BFH/NV 1988, 174; BFH 17.03.2008 – IV B 100, 101/07,BFH/NV 2008, 1177; BFH 03.03.2009 – X B 197/08, BFH/NV 2009, 961, 962BFH 22.11.2001 – V B 124/01, BFH/NV 2002, 549BFH 23.07.2002 – X B 209/01, BFH/NV 2002, 1487; BFH 08.06.2007 – VII B 280/06, BFH/NV2007, 1822; BFH 14.07.2008 – VIII B 176/07, BFH/NV 2009, 239, 243; BFH 03.03.2009 – X B197/08, BFH/NV 2009, 961, 962BFH 12.03.2013 – XI B 14/13, BFH/NV 2013, 1035BFH 23.11.2004 – IX B 88/04, BStBl. II 2005, 297BFH 22.12.2003 – IX B 177/02, BStBl. II 2004, 367


- 364 - 3641358135913601361ziehung erst ab dem Zeitpunkt rückgängig gemacht werden, ab dem ernstliche Zweifelan der Rechtmäßigkeit bestanden haben. 2197) Folglich ist für den Fall der Beantragungder Aufhebung der Vollziehung einerseits zu den ernstlichen rechtlichen Zweifeln undandererseits zum Zeitpunkt schriftsätzlich vorzutragen, ohne daß es auf die Frage derErkennbarkeit dieser rechtlichen Zweifel auf Seiten <strong>des</strong> Finanzamtes ankäme. 2198) EineAufhebung der Vollziehung kann mithin nicht nur ex nunc sondern auch ex tunc beantragtwerden. 2199)Hier kann es passieren, dass das Finanzamt sich nicht nur dagegen wendet, sondernzusätzlich hilfsweise beantragt, einer Aufhebung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistungzu entsprechen. Für diesen Fall ist die Darlegungslast wie folgt verteilt:2200)- Das Finanzamt muß schlüssig darlegen, woraus sich eine Gefährdung <strong>des</strong> Steueranspruchesergeben soll. die reine Behauptung einer schlechten wirtschaftlichenSituation <strong>des</strong> Steuerpflichtigen reicht nicht.- Der Steuerpflichtige muß Umstände vortragen, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis<strong>des</strong> Finanzamtes entfallen oder unangemessen erscheinen lassen.Die Aufhebung der Vollziehung setzt außer denen auch bei einer Aussetzung derVollziehung zu beachtenden Voraussetzungen zusätzlich das <strong>Dr</strong>ohen wesentlicherNachteile voraus. Ferner ist Voraussetzung, dass diese so schwerwiegend sind, dasseine einstweilige Regelung in Form einer vorzeitigen Erstattung unabweisbar ist. 2201)Dieser sich in § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO findenden Voraussetzung entspricht die Regelungin § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Die wesentlichen Nachteile sind alleine nach wirtschaftlichenKriterien zu beurteilen. Zweifel an der Verfassungswidrigkeit einer Normreichen nicht. 2202) Sehr wohl aber sollen ernstliche Zweifel an der Europarechtswidrigkeiteiner Norm ausreichen können. 2203) Ist dagegen das FG bzw. der BFH von derVerfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt und hat <strong>des</strong>halb gemäß Art. 100 Abs. 1GG eine Vorlageverfahren zum BVerfG durchgeführt, kann eine Aufhebung der Vollziehungsehr wohl geboten sein. 2204)1362c) GrundlagenbescheidAuch bei einem Grundlagenbescheid kann AdV beantragt werden. Ist ein Grundlagenbescheidbereits ausgesetzt, ist seitens <strong>des</strong> Finanzamtes von Amts wegen auch derFolgebescheid auszusetzen (§ 69 Abs. 2 Satz 4 FGO), ohne dass das Finanzamt dieserhalbeinen Entscheidungsspielraum hat und unabhängig davon, ob auch der Folgebe-2197)2198)2199)2200)2201)2202)2203)2204)BFH 29.09.2003 – III S 07/03, BFH/NV 2004, 183, 184BFH 29.09.2003 – III S 07/03, BFH/NV 2004, 183, 184BFH 29.09.2003 – III S 07/03, BFH/NV 2004, 183, 184 m.w.N.BFH 20.03.2002 – IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809BVerfG 07.12.1977 – 2 BvF 01/77, BVerfGE 46, 337; BFH 26.01.1983 – I B 48/80, BStBl. II1983, 233; FG Hamburg 02.08.2002 – II 110/02, DStRE 2003, 60, 61FG Hamburg 02.08.2002 – II 110/02, DStRE 2003, 60, 61BFH 24.03.1998 – I B 100/97, DStR 1998, 1046BFH 22.12.2003 – IX B 177/02, DStR 2004, 353


- 365 - 365scheid angefochten wird oder worden ist. 2205) Ist dagegen beim Grundlagenbescheidkeine AdV gegeben, kann auch nicht gesondert für den Folgebescheid AdV erfolgen.Mithin muß in diesem Fall die AdV dadurch gesucht werden, dass sie beim Grundlagenbescheidbeantragt wird. 2206) Entsprechen<strong>des</strong> gilt für Feststellungsbescheide.13631364d) Im Falle einer VerfassungsbeschwerdeFür den Fall der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde oder in Anbetracht einer bereitseingelegten Verfassungsbeschwerde bzw. einer bereits vorhandenen Vorlagegemäß Art. 100 Abs. 1 GG kann versucht werden, im Zusammenhang damit beimFinanzamt bzw. nachfolgend beim BVerfG 2207) im Hinblick darauf eine AdV zu beantragen.Dazu wären nicht nur ernste verfassungsrechtliche Bedenken und die Entscheidungserheblichkeit2208) derselben schriftsätzlich darzulegen, sondern es wärenzusätzlich auch Gründe darzulegen, die entweder zu einer Erdrosselungswirkung derBesteuerung führen 2209) oder das besondere öffentliche Interesse <strong>des</strong> Antragstellersverdeutlichen, welche öffentlichen Belangen vorgehen. 2210) Es wäre also darzulegen,warum das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Interesse an einer geordnetenHaushaltsführung überwiegt. 2211) Folgende Abwägung wäre vorzunehmen: 2212)- Einerseits: Zu Gunsten <strong>des</strong> öffentlichen Interesses spricht zunächst einmal, dasseine Norm, deren Verfassungsgemäßheit bezweifelt wird, so lange gültig bleibt,bis das BVerfG deren Verfassungswidrigkeit festgestellt hat. Ferner kann das öffentlicheInteresse bei einem massenhaft vorkommenden Sachverhalt überwiegen,2213) weil sonst die AdV zeitweise zu erheblichen Einnahmeausfällen der öffentlichenHand führen könnte. 2214)2205)2206)2207)2208)2209)2210)2211)2212)2213)2214)BFH 23.06.1998 - VII R 119/97, BFH/NV 1998, 1322; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rdn. 1013Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1013BFH 29.07.2009 – VIII S 14/09, BFH/NV 2009, 1822Nach BFH 17.07.2003 – II B 20/03, DStR 2003, 1617, 1618 ist eine Entscheidungserheblichkeitzu verneinen, wenn aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht die Nichtigkeit <strong>des</strong> Gesetzes bezogenauf das streiterhebliche Jahr, sondern nur die Unvereinbarkeit mit der Verfassung zu erwartenist.FG Niedersachsen 13.06.2003 – V 131/03, EFG 2003, 1316BVerfG 03.04.1992 – 2 BvR 283/92, HFR 1992, 726; BFH 12.08.2002 – VIII B 69/02, BFH/NV2002, 1579; BFH 27.08.2002 – XI B 94/02, BFH/NV 2002, 1671; FG Düsseldorf 13.12.2002 – 18V 2497/02 (E, AO), EFG 2003, 557; FG Schleswig-Holstein 13.03.2003 – 1 V 455/02, EFG2003, 1029; FG Niedersachsen 16.05.2003 – 13 V 184/03, EFG 2003, 103; FG Münster25.06.2003 – 4 V 6194/02 E, EFG 2003, 1317; Gräber/Koch, FGO, § 69 Rdn. 88 f.BFH 06.03.2003 – XI B 07/02, BStBl. II 2003, 516, 519; 06.03.2003 – XI B 76/02, BStBl. II2003, 523, 526; FG Brandenburg 12.02.2003 – 4 V 2526/02, EFG 2003, 790; FG Münster05.06.2003 – 7 V 2115/03 E, EFG 2003, 1241FG Brandenburg 12.02.2003 – 4 V 2526/02, EFG 2003, 790BFH 15.12.2000 – IX B 128/99, BStBl. II 2001, 411, 413; FG Brandenburg 12.02.2003 – 4 V2526/02, EFG 2003, 790, 791BFH 19.08.1994 – X B 318, 319/93, BFH/NV 1995, 143; FG Brandenburg 12.02.2003 – 4 V2526/02, EFG 2003, 790, 791


- 366 - 36613651366- Andererseits: Individualrechtsschutz kann dann vorrangig sein, wenn durch dievorläufige Vollziehung irreparable Schäden drohen oder wenn das zu versteuerndeEinkommen abzgl. der darauf zu entrichtenden Steuer dazu führen, dass dassozialrechtlich garantierte Existenzminimum unterschritten wird. 2215)Würde dem entsprochen und auch die Verfassungsbeschwerde erfolgreich sein, weilnach Meinung <strong>des</strong> BVerfG der Gesetzgeber z.B. mittels einer gesetzlichen Regelunggegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat und diesen verfassungswidrigen Zustand zubeseitigen hat, dann kann es dazu kommen, dass bis zu einer gesetzlichen Neuregelungdie AdV bestehen bleibt. 2216)1367e) RechtsbehelfAls vorläufiger Rechtsschutz setzt eine AdV voraus, dass der streitgegenständlicheVerwaltungsakt auch angefochten wurde. 2217) Dies folgt aus dem Wortlaut <strong>des</strong> § 69Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO („angefochtener Verwaltungsakt“). Gemäß § 128Abs. 3 Satz 1 FGO findet eine Beschwerde gegen die eine AdV ablehnende Entscheidung<strong>des</strong> FG nur statt, wenn sie vom FG zugelassen wurde. Wenn sie zugelassen wurde,hat eine dann eingelegte Beschwerde den Anforderungen <strong>des</strong> § 115 Abs. 2 Nr. 1 –3 FGO zu entsprechen (§ 128 Abs. 3 Satz 2 FGO). 2218) Wurde die Beschwerde nichtzugelassen, ist dagegen weder eine Beschwerde noch eine außerordentliche Beschwer<strong>des</strong>tatthaft. 2219) Wohl aber ist eine Anhörungsrüge bzw. eine Gegenvorstellungzulässig, 2220) die beim iudex ad quo einzulegen ist. 2221)1368f) RechtsschutzinteresseInsoweit ist darzulegen, dass <strong>des</strong>halb von dieser Art <strong>des</strong> Eilverfahrens Gebrauch gemachtwird, weil andernfalls bei Abwarten <strong>des</strong> Ausgangs <strong>des</strong> normalen finanzgerichtlichenVerfahrens Rechtsschutz in Anbetracht darzulegender Zweifel an der Rechtmäßigkeit<strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong> zu spät käme.2215)2216)2217)2218)2219)2220)2221)BVerfG 06.04.1988 – 1 BvR 146/88, n.V.; BVerfG 03.04.1992 – 2 BvR 283/92, n.V.; BFH19.08.1994 – X B 318, 319/93, BFH/NV 1995, 143; FG Brandenburg 12.02.2003 – 4 V 2526/02,EFG 2003, 790BVerfG 29.10.2002 – 1 BvL 16/95, 1 BvL 16/97, Beilage BFH/NV 4/2003, 126, 129Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 973BFH 18.01.2006 – XI B 135/05, BFH/NV 2006, 959BFH 14.02.2006 – VIII B 11/06, BFH/NV 2006, 1305; BFH 29.08.2006 – VIII B 124/06,BFH/NV 2006, 2294, 2295BFH 14.03.2006 – I B 176/05, BFH/NV 2006, 1318BFH 14.03.2006 – I B 176/05, BFH/NV 2006, 1318


- 367 - 3671369g) § 69 Abs. 4 FGODiese Voraussetzungen sind in dem an das FG gerichteten Antrag darzulegen. Voraussetzungist jedoch, dass zuvor ein zulässiger AdV-Antrag zurückgewiesen wordenwar. 2222) Eine teilweise Ablehnung der AdV kann auch darin liegen, dass das Finanzamtzwar antragsgemäß die AdV gewährt hat, jedoch entgegen dem gestellten Antragnur gegen Sicherheitsleistung. Eine teilweise Ablehnung ist jedoch nicht gegeben,wenn die AdV nur unter Widerrufsvorbehalt gewährt wird. 2223) Wird bei einem Widerrufsvorbehaltdie AdV widerrufen, ist erst dagegen ein beim FG gestellter Antrag aufAdV zulässig. 2224)1370137113721373h) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong>Auf das dazu oben Ausgeführte wird verwiesen. Der Vortrag ist glaubhaft zu machen,soweit er sich nicht bereits aus den Amtsakten ergibt. Dazu sind als präsente BeweismittelUrkunden und ei<strong>des</strong>stattliche Versicherungen geeignet. Auch ist es gegenüberdem FG zulässig, zu beantragen, das FG möge Personen als Zeugen oder als Parteivernehmen, wenn nur so die Zweifel an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong>untermauert werden können. Das FG ist dann gehalten, solche Personen zuvernehmen. 2225)Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden können auch danngegeben sein, wenn das Finanzamt den steuerbegründenden Sachverhalt nicht ausreichenddargelegt hat und dann, wenn er streitig ist, durch Vorlage präsenter Beweismittleglaubhaft gemacht hat. In einem solchen Fall scheidet auch die Anordnung vonSicherheitsleistungen aus. 2226)Zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong> können auch Bedenkengegen die Verfassungsmäßigkeit der einem Bescheid zu Grunde liegendengesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gehören. 2227)Schließlich können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Beschei<strong>des</strong> auchdann gegeben sein, wenn zu einer bisher nicht geprüften Frage mit erwägenswerterBegründung 2 Instanzgerichte eine eine den AdV-Antrag stützende Rechtsauffassungvertreten haben. 2228)2222)2223)2224)2225)2226)2227)2228)FG Münster 15.11.2001 – 8 V 5640/01 E, EFG 2002, 340BFH 12.05.2000 - VI B 266/98, BStBl II 2000, 536; FG München 06.11.2001 – 9 V 3287/00,EFG 2002, 340BFH 12.05.2000 - VI B 266/98, BStBl II 2000, 536BFH 04.05.1977 - I R 162 bis 163/76, BStBl II 1977, 765HessFG 09.03.2004 – 6 V 4121/03, EFG 2004, 1001BVerfG 21.02.1961 – 1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, 186; BFH 29.03.2001 – III B 79/00,BFH/NV 2001, 1244; BFH 27.08.2002 – XI B 94/02, DStR 2002, 1985; nach FG Hamburg02.08.2002 – II 110/02, DStRE 2003, 60 soll dies aber nicht bei der Aufhebung der Vollziehunggelten.BFH 01.10.2007 – VII B 130/07, BFH/NV 2008, 231 f.


- 368 - 3681374i) Unbillige HärteDiese ist eine in § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO angesprochene Alternative zuden vorgenannten ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong>.Insoweit ist darzulegen und glaubhaft zu machen, warum diese ein größeresGewicht haben, als „überwiegende öffentliche Interessen“. Eine solche „unbilligeHärte“ kann dann gegeben sein, wenn dem Antragsteller eine wirtschaftliche Existenzgefährdungdroht. 2229) Dies ist z.B. durch einen Vermögensstatus glaubhaft zumachen. Ferner setzt dies gleichwohl eine Darstellung Zweifel an der Rechtmäßigkeit<strong>des</strong> angefochtenen Beschei<strong>des</strong> 2230) bzw. eine Darstellung der Erfolgsaussicht <strong>des</strong> eingelegtenRechtsbehelfs voraus. 2231)1375j) § 69 Abs. 6 FGOWurde ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO abgelehnt, so kann jederzeit unter denVoraussetzungen <strong>des</strong> § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO die Änderung oder Aufhebung diesesBeschlusses beantragt werden. Für diesen ist der Senat <strong>des</strong> FG zuständig, wenn zuvorein Einzelrichter den ihm übertragenen Antrag (§ 69 Abs. 3 FGO) abgelehnt hatte. 2232)137613772. Einstweilige AnordnungDiese ist in § 114 FGO geregelt. Sie ist als vorläufiger Rechtsschutz für die Fälle gedacht,in denen es nicht um die Abwehr vollziehbarer Verwaltungsakte geht (§ 114Abs. 5 FGO), sondern um ein Recht bzw. ein Rechtsverhältnis 2233) wie dies z.B. fürden Zeitraum der Fall sein kann, bis ein Verwaltungsakt ergeht. 2234) Auch hier ist einHauptsachverfahren Voraussetzung. 2235) Befindet sich das Hauptsacheverfahren vordem FG, die beanstandete Maßnahme dagegen im Status <strong>des</strong> Beschwerdeverfahrens,so ist gleichwohl das FG als das Gericht der Hauptsache zuständig. 2236)Beispiele- Vorläufiger Rechtsschutz, wenn in der Hauptsache die Verpflichtungs- oder Feststellungsklagedie richtige Klageart ist. 2237)2229)2230)2231)2232)2233)2234)2235)2236)2237)Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 148; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rdn. 1000BFH 26.02.1998 - III S 8/97, n.V.BFH 03.12.1998 - III S 11/98, BFH/NV 1999, 826; BFH 18.07.2001 - V S 3/01, n.V.BFH 24.02.2005 – VIII B 216/03, BFH/NV 2005, 1328Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 151; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rdn. 1038Sauer/Schwarz, Wie führe ich einen Finanzgerichtsprozess? Rdn 555FG Hamburg 22.09.2000 - V 220/00, n.V.BFH 27.08.2012 – V S 25/12, BFH/NV 2012, 1994Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1039; Sauer/Schwarz, Wie führe icheinen Finanzgerichtsprozess? Rdn 555


- 369 - 36913781379138013811382- Gegen Antrag <strong>des</strong> Finanzamtes auf Eröffnung <strong>des</strong> Insolvenzverfahrens, da es sichbei diesem Antrag um keinen Verwaltungsakt handelt. 2238)- Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gemäß § 258 AO 1977während <strong>des</strong> Verfahrens auf Erlass von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen.2239)- Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gemäß § 258 AO 1977,wenn die Vollstreckungsmaßnahmen auf einem nichtigen Verwaltungsakt beruhen.2240)- Untersagung der Weitergabe von Informationen. 2241)Folgen<strong>des</strong> gilt es darzulegen und glaubhaft zu machen:1383a) AntragstellungEin finanzamtliches Hauptsachverfahren zwischen dem Antragsteller und dem Finanzamtmuß vorliegen, in welchem der Antrag gestellt wurde, der Gegenstand dereinstweiligen Anordnung sein soll. Ist beim FG noch keine Klage anhängig, so hindertdies zwar die Beantragung einer einstweiligen Anordnung nicht (§ 114 Abs. 1 Satz 1FGO), aber das FG wird alsdann eine Frist zur Klageerhebung bestimmen (§§ 114Abs. 3 FGO, 926 Abs. 2 ZPO). Wird dem Antrag auf Belassung oder Regelung einesZustan<strong>des</strong> seitens <strong>des</strong> Finanzamtes nicht oder nicht zeitnah entsprochen, ist der Antragnach § 114 FGO unter Beachtung der nachfolgenden Voraussetzungen zulässig.1384b) Art der einstweiligen AnordnungWird die Sicherung eines vorhandenen Zustan<strong>des</strong> begehrt, so spricht man von einerSicherungsanordnung. Wird dagegen die Veränderung eines vorhandenen Zustan<strong>des</strong>zu Gunsten <strong>des</strong> Antragstellers begehrt, so spricht man von einer Regelungsanordnung(§ 114 Abs. 1 FGO).13851386c) AnordnungsanspruchDiesbezüglich ist darzulegen, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen einAnspruch gegeben ist, den vorhandenen Zustand unverändert zu belassen.- Bei der Sicherungsanordnung ist der Anspruch darzulegen, der auch Gegenstand<strong>des</strong> Hauptsacheverfahrens ist oder sein soll. 2242)2238)2239)2240)2241)2242)FG Münster 15.03.2000 - 12 V 1054/00 AO, EFG 2000, 634FG Düsseldorf 12.04.2000 - 18 V 1268/00 AE (KV), n.V.. Zum Erlass von Säumniszuschlägenbei Unvereinbarkeit der Besteuerung mit EU-Recht FG Münster 24.06.2003 – 5 K 4783/01 AO,DStRE 2005, 118FG Hamburg 05.02.2002 – V 286/01, EFG 2002, 855 u.H.a. BFH 01.10.1981 – IV B 13/81,BStBl. II 1982, 133, 134HessFG 05.09.2000 - 4 V 2857/00, EFG 2000, 1266Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1048


- 370 - 37013871388- Bei der Regelungsanordnung muß der darzulegende Anspruch nicht notwendigerweiseidentisch mit dem Gegenstand <strong>des</strong> Hauptsacheverfahrens sein, er kannauch hinter diesem zurückbleiben. 2243)Eine Regelungsanordnung darf jedoch nicht erlassen werden, wenn sie die Entscheidungin der Hauptsache vorwegnehmen würde. 2244) Davon macht der BFHdann jedoch eine Ausnahme, wenn die Regelungsanordnung „zur Gewährung effektivenRechtsschutzes unumgänglich ist, 2245) der Erfolg <strong>des</strong> Antragstellers imHauptsacheverfahren wahrscheinlich ist 2246) und der Anordnungsgrund eine besondereIntensität aufweist.“ 2247) Da das FG diese Voraussetzungen nach Aktenlageprüft, wobei nur schlüssig dargelegte und glaubhaft gemachte Umstände berücksichtigtwerden, 2248) ist der Anwendungsbereich der Regelungsanordnungsehr eng, dagegen der Substantiierungsaufwand im Hinblick auf vorgenannte Voraussetzungensehr groß. 2249) Ferner verneint der BFH eine Vorwegnahme derHauptsache, wenn die Rechtslage klar und eindeutig für die begehrte Regelung2243)2244)2245)2246)2247)2248)2249)Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz, Rdn. 1049Daher sieht es der BFH in der Regel als unzulässig an, im Wege der einstweiligen Anordnungeine Freistellungsbescheinigung – auch eine solche nach § 48b EStG – zu erwirken: BFH27.07.1994 – I B 246/93, BStBl. II 1994, 899, 900; BFH 23.10.2002 – I B 86/02, DStR 2002,2077, 2078; BFH 23.10.2002 – I B 132/02, BFH/NV 2003, 313; Beermann/Gosch, SteuerlichesVerfahrensrecht, § 114 FGO Rdn. 18 und 81; Blümich/Ebling, EStG, § 48b EStG, § 48b Rdn. 66;<strong>Wagner</strong> ZfBR 2002, 322, 326. In BFH 23.10.2002 – I B 86/02, DStR 2002, 2077, 2078 wird allerdingsim Zusammenhang zu § 48b EStG darauf hingewiesen, dass ein Antragsteller durch einFehlen einer Freistellungsbescheinigung nicht berührt wird, wenn er entweder kein Unternehmerist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder nicht mehr als 2 Wohnungen vermietet (§ 48 Abs. 1 Satz 2EStG); so auch schon zuvor <strong>Wagner</strong> ZNotP 2001, 456; <strong>Wagner</strong> ZNotP 2002, 101; <strong>Wagner</strong> ZfBR2002, 322Dazu kann nach BFH 23.10.2002 – I B 86/02, DStR 2002, 2077, 2078 auch eine Existenzgefährdung<strong>des</strong> Antragstellers gehören, jedoch nur dann, wenn sie z.B. gerade von der Versagung einerFreistellungsbescheinigung ausgeht. als nicht ausreichend wird vom BFH angesehen, dass beiVersagung einer Freistellungsbescheinigung der Antragsteller nur Wettbewerbsnachteile erleidenkann oder in Einzelfällen mit eigenen Angeboten nicht berücksichtigt wird. BFH 23.10.2002 – I B132/02, BFH/NV 2003, 313Nach BVerfG 06.12.2002 – 1 BvR 191/95, NJW 2003, 1305, 1306 ist es von Verfassungs wegennicht zu beanstanden, dass für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches auf die Erfolgsaussicht<strong>des</strong> Hauptsacheverfahrens abgestellt wird. „Die Gerichte sind aber, wenn sie ihre Entscheidungnicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen sondern an den Erfolgsaussichten in derHauptsache ausrichten, nach Art. 19 Abs. 4 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzesjedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenndiese Versagung zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt. Dies bedeutet auch, dass diePrüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen <strong>des</strong> Grundrechtsschutzes einbeziehenmuss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfGE 79, 69, 74 f.; BVerfGE 93, 1, 12 f.; BVerfG NVwZ1997, 479, 480).“BFH 23.10.2002 – I B 86/02, DStR 2002, 2077, 2078; BFH 23.10.2002 – I B 132/02, BFH/NV2003, 313BFH 23.10.2002 – I B 86/02, DStR 2002, 2077, 2078; BFH 23.10.2002 – I B 132/02, BFH/NV2003, 313Zu den Einzelheiten BFH 23.10.2002 – I B 86/02, DStR 2002, 2077, 2078; BFH 23.10.2002 – I B132/02, BFH/NV 2003, 313


- 371 - 371spricht und eine abweichende Beurteilung in einem durchzuführenden Hauptsacheverfahrenzweifelsfrei auszuschließen ist. 2250)13891390d) AnordnungsgrundDiesbezüglich ist darzulegen, warum die Rechtsposition <strong>des</strong> Antragstellers durch dasVerhalten <strong>des</strong> Finanzamtes gefährdet ist und ihm wesentliche Nachteile drohen. 2251)Eine Beschwerde gegen eine vom FG erlassene oder versagte einstweilige Anordnungist nur unter den Voraussetzungen <strong>des</strong> § 128 Abs. 3 FGO zulässig.139113921393XVII.Überlange VerfahrensdauerIn der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH wird unter einer überlangen Verfahrensdauer nur dieDauer <strong>des</strong> gerichtlichen Verfahrens verstanden, nicht aber die <strong>des</strong> behördlichen Verfahrens.2252) Und der BFH 2253) iudiziert, eine überlange Verfahrensdauer führe für sichgenommen nicht zur Rechtswidrigkeit von Bescheiden. Dabei bleibt aber folgen<strong>des</strong>unberücksichtigt:Der BFH 2254) hat iüngst erneut iudiziert, dass eine überlange Verfahrensdauer keineAuswirkungen auf den materiellrechtlichen Steueranspruch zeitigen und insbesonderenicht zu <strong>des</strong>sen Verwirkung führen könne. In seinem Entscheidungsfall merkte derBFH an, neue von der Rechtsprechung bisher nicht berücksichtigte Argumente, die zueiner anderen Beurteilung führen könnten, seien im Entscheidungsfall <strong>des</strong> BFH nichtvorgetragen worden. In Anbetracht <strong>des</strong> Grundsatzes <strong>iur</strong>a novit curia hätte jedoch derBFH von sich aus bereits folgen<strong>des</strong> berücksichtigen müssen:Anders als in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH kann mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfGsich das Thema der überlangen Verfahrensdauer nicht nur auf das finanzgerichtlicheVerfahren sondern auch auf das vorgeschaltete Verwaltungsverfahren beziehen. Damithat sich der BFH in seiner Rechtsprechung trotz <strong>des</strong> Grundsatzes <strong>iur</strong>a novit curia bishernicht befaßt.2250)2251)2252)2253)2254)BFH 13.11.2002 – I B 147/02, DB 2003, 7376 u.H.a. BFH 21.02.1984 – VII B 78/83, BStBl. II1984, 449, 450Dürr, Der Steuerberater vor dem Finanzgericht, Seite 152; Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz,Rdn. 1052BFH 26.09.2007 – VII B 75/07, BFH/NV 2008, 126; BFH 22.07.2008 – II B 18/08, BFH/NV2008, 1866, 1868; BFH 01.04.2009 – X B 90/08, BFH/NV 2009, 1135, 1137; BFH 07.05.2009 –XI B 111/08, Rdn. 6 (Juris); BFH 27.05.2009 – I B 5/09, Rdn. 6 (Juris). Zur Problematik überlangerDauer von Einspruchsverfahren List DB 2005, 571BFH 30.08.2012 – X B 27/11, BFH/NV 2013, 180 Rdn. 17 m.w.N.BFH 28.08.2012 – IV B 14/12, BFH/NV 2013, 52 Rdn. 4


- 372 - 3721394139513961397Mit dem verfassungsrechtlichen Fachschrifttum 2255) sichert das Grundrecht auf effektivenRechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) auch den Weg zum Gericht 2256) und „rechtzeitigenRechtsschutz“. 2257) Und auch in der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 2258) ist geklärt,daß sich aus Art. 19 Abs. 4 GG Vorwirkungen ergeben können, die sich auf das demgerichtlichen Rechtsschutz vorgelagerte Verwaltungsverfahren beziehen. Und dieseVorwirkungen zu Art. 19 Abs. 4 GG besagen, daß das Verwaltungsverfahren nichtdarauf angelegt sein darf, gerichtlichen Rechtsschutz zu vereiteln oder zu erschweren.2259) Mithin gebietet das aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Vorwirkungsgebot, daßFinanzämter Verwaltungsverfahren incl. dem Einspruchsverfahren innerhalb angemessenerZeit erledigen müssen. 2260) Auch das verfassungsrechtliche Fachschrifttum2261) kennt das vorgenannte Vorwirkungsgebot.Kommt es aufgrund dieses Vorwirkungsgebotes zu einer überlangen Verfahrensdauer<strong>des</strong> Verwalungs- bzw. <strong>des</strong> Einspruchsverfahrens, stellt sich die Frage, ob dies deneinfachrechtlichen Einwand der Verwirkung begründen kann. In der Rechtsprechung<strong>des</strong> BVerfG 2262) ist geklärt, daß das für den Einwand der Verwirkung erforderlicheZeitmoment nicht zwingend auch ein Umstandsmoment erfordern muß, sondern jenach Einzelfall das Umstandsmoment auch in den „Hintergrund“ treten kann. Klärungsbedürftigist dann, ab welchem Zeitmoment das Umstandsmoment an Bedeutungverliert, womit sich Rechtsprechung und Fachschrifttum bisher nicht befaßt haben.Es gibt mithin sehr wohl gute Gründe, sich seitens <strong>des</strong> BFH in Anbetracht <strong>des</strong> Grundsatzes<strong>iur</strong>a novit curia mit dem Vorwirkungsgebot und der Rechtsprechung <strong>des</strong>BVerfG zum Zurücktreten <strong>des</strong> Umstandsgebotes zu befassen wie dies auch einen Revisionszulassungsgrundi.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sein kann. 2263)Was nun Finanzgerichtsverfahren betrifft, kommt es immer wieder zu einer überlangenVerfahrensdauer. Dies rechtfertigt aber weder im finanzgerichtlichen Verfahreneinen Antrag, alleine <strong>des</strong>halb einen belastenden Steuerbescheid aufzuheben, 2264) noch2255)2256)2257)2258)2259)2260)2261)2262)2263)2264)Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 352, 353; Papier in:Isensee/Kirchhof, Handbuch <strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 176 Rdn. 7Schmidt-Aßmann in: Maunz-Dürig, GG, (02/2003), Art. 19 Abs. 4 Rdn. 173aHuber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 479BVerfG 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82, 110BVerfG 24.04.1985 – 2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84, BVerfGE 69, 1, 49; BVerfG 13.06.2007 – 1BvR 1550/03, u.a., BVerfGE 118, 168, 207; so auch Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 19 Rdn. 140BVerfG 27.12.2006 – 2 BvR 803/05, BVerfGK 10, 129, 131; BVerfG 29.05.2007 – 2 BvR695/07, BVerfGK 11, 241, 250; BVerfG 24.09.2009 – 1 BvR 1304/09, Rdn. 13 (Juris); BVerfG07.06.2011 – 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625 Rdn. 33Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 19 Rdn. 140: „ Aufgrund von Vorwirkungen <strong>des</strong> Art. 19 IV für dasVerwaltungsverfahren darf dieses nach seiner gesetzlichen Regelung und Praktischen Durchführungden gerichtlichen Rechtsschutz weder vereiteln noch erschwerden. Daraus ergibt sich auchdie Pflicht, durch Gesetz oder auch ohne gesetzliche Grundlage sicherzustellen, dass solche Wirkungennicht in Folge tatsächlicher Umstände eintreten.“BVerfG 04.03.2008 – 2 BvR 2111/07 und 2112/07, BVerfGK 13, 382, 389 untenEntgegen BFH 30.08.2012 – X B 27/11, BFH/NV 2013, 180 Rdn. 19BFH 09.05.2007 – X B 33/05, BFH/NV 2007, 1466, 1468


- 373 - 3731398im Regelfall sich gegen die belastende Wirkung eines Steuerbeschei<strong>des</strong> u.H.a. überlangeVerfahrensdauer per Verfassungsbeschwerde zu wenden. 2265) Wohl aber kann eserwägenswert sein,- während eines überlang dauernden FG-Verfahrens Verfassungsbeschwerde zumLan<strong>des</strong>verfassungsgericht zu erheben, weil der Anspruch auf ein zügiges Verfahrenverletzt sei 2266) oder Verfassungsbeschwerde zu erheben, weil ein effektiverRechtsschutz nur dann gewährleistet ist, wenn er auch in angemessener Zeit gewährtwird; 2267)- bei einem für den Kläger negativ verlaufenen FG-Prozeß in einem anschließendenNichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahren zu thematisieren, ob undinwieweit sich der Kläger ein bei überlanger Verfahrensdauer entwickeln<strong>des</strong> ihnbelasten<strong>des</strong> Richterrecht <strong>des</strong> BFH mit Rückwirkung entgegenhalten lassenmuss; 2268) den durch infolge langer Verfahrensdauer entstandenen Schaden in einemgesonderten Billigkeitsverfahren, das den Erlaß der fraglichen Beträge nachAO § 227 zum Gegenstand hat, geltend zu machen. 2269)2265)2266)2267)2268)2269)In BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03, NVwZ 2004, 471 erhob der Beschwerdeführer währendeines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Verfassungsbeschwerde zum BVerfG wegen beanstandeterUntätigkeit <strong>des</strong> VG bei einer Verfahrensdauer von etwas mehr als 2 Jahren. Das BVerfGnahm die Verfassungsbeschwerde nicht an, weil „gegenwärtig“ noch keine Verletzung <strong>des</strong> Art. 19Abs. 4 GG vorgelegen habe. Nach BFH 21.02.2006 – I B 32/05, BFH/NV 2006, 1305, 1306m.w.N. führt eine überlange Verfahrensdauer nicht zur Verwirkung <strong>des</strong> Steueranspruchs.BbgVerfG 20.03.2003 – VfGBbg 108/02, NVwZ 2003, 1379BVerfG 29.03.2005 – 2 BvR 1610/03, BVerfGK 5, 155, 158Zur Darlegung der Gründe, die aufgrund der überlangen Verfahrensdauer zu einer für den Betroffenenbelastenden FG-Entscheidung geführt haben, siehe BFH 12.10.2012 – XI B 51/12,BFH/NV 2013, 220BVerfG 05.04.1990 - 1 BvR 32/89, Information StW 1990, 407; BFH 27.10.1987 – V R 37/79,BFH/NV 1988, 659. Ähnlich EGMR 28. 7. 1999 - 25803/94, NJW 2001, 56, 61, wonach eineEntschädigung geltend gemacht werden kann, wenn durch die überlange Verfahrensdauer materielleund immaterielle Schäden entstanden sind, die durch das Urteil eines Gerichtes nicht ausgeglichenwerden.


- 374 - 3741399Auch weist der BFH 2270) darauf hin, dass dann, wenn durch eine überlange Verfahrensdauerdie Sachaufklärung aus beim FG liegenden Gründen erschwert wird, dies imRahmen der Beweiswürdigung dem Steuerpflichtigen nicht angelastet werden dürfe.Hinzu kommt, dass ein von einer überlangen Verfahrensdauer Betroffener eine Individualbeschwerdezum EGMR erheben kann (Art. 34 EMRK), um die Bun<strong>des</strong>republikDeutschland auf angemessene Entschädigung zu verklagen (Art. 41 EMRK). Allerdingsist dafür der Rechtsweg zu erschöpfen (Art. 35 Abs. 1 EMRK), 2271) wozu auchdie Wahrnehmung der vorgenannten Möglichkeiten samt der nachfolgend beschriebenenVerfassungsbeschwerdemöglichkeit gehören dürfte. 2272)2270)2271)2272)BFH 23.02.1999 – IX R 19/98, BStBl. II 1999, 407, 409: „a) Art. 19 Abs. 4 GG, der für denRechtsschutz das Rechtsstaatsprinzip verdeutlicht und konkretisiert, garantiert nicht nur den allgemeinenZugang zum Gericht, sondern gewährleistet eine tatsächlich wirksame gerichtlicheKontrolle der Ausübung öffentlicher Gewalt. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch im Interesseder Rechtssicherheit Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts--BVerfG-- vom 6. Mai 1997 1 BvR 711/96, NJW 1997, 2811; vom 16. Mai1995 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1, 13 st. Rspr.; vgl. auch Kirchhof, Deutsche Steuer-Zeitung1989, 55; ders. in: Festschrift für Karl Doehring, S. 439 ff.). Die Verletzung von Art. 19 Abs. 4GG durch eine übermäßig lange Dauer <strong>des</strong> Verfahrens ist für das steuerrechtliche Verfahren anerkannt(BVerfG-Entscheidungen vom 27. September 1993 2 BvR 829/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung--HFR-- 1994, 348; vom 21. Februar 1992 1 BvR 1575/89, HFR 1992, 651;vom 14. Februar 1992 2 BvR 1443/91, HFR 1992, 728; vom 7. Januar 1992 1 BvR 1490/89,HFR 1992, 727; vom 22. Januar 1987 1 BvR 103/85, Der Betrieb --DB-- 1987, 1722; Senatsurteilvom 17. Dezember 1996 IX R 47/95, BFHE 182, 178, BStBl II 1997, 348).Dem grundrechtlich verbürgten Anspruch <strong>des</strong> Steuerpflichtigen auf ein ordnungsgemäßes Verfahrenund eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle staatlichen Handelns oder Unterlassensentspricht die in der Finanzgerichtsordnung niedergelegte Verpflichtung <strong>des</strong> Gerichts zur Prozeßförderung.Die in § 76 Abs. 2 FGO geregelten Hinweis- und Aufklärungspflichten <strong>des</strong> Vorsitzendensollen eine zügige und sachgerechte Behandlung <strong>des</strong> Verfahrens gewährleisten (vonGroll/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 76 Anm. 41; von Wedel, in Schwarz, Finanzgerichtsordnung,2. Aufl., Freiburg 1997 ff., § 76 Rz. 60). Nach § 79 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gerichtalle Maßnahmen zu treffen, damit das Verfahren möglichst in einer mündlichen Verhandlungabgeschlossen wird. Diese Regelungen sind Ausdruck der den Steuerprozeß beherrschendenKonzentrationsmaxime. In Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtendiese Regelungen das Gericht, Rechtsschutz in angemessener Zeit und unter Wahrungder rechtlichen Interessen der Verfahrensbeteiligten zu gewähren. ..........5. Ist andererseits aufgrund von Versäumnissen <strong>des</strong> Gerichts die Sachaufklärung erschwert, darfdies im Rahmen der Beweiswürdigung nicht dem Steuerpflichtigen angelastet werden (Senatsentscheidungin BFHE 182, 178, BStBl II 1997, 348). Vielmehr sind die Regeln einer strengen Überzeugungsbildung(§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) abzumildern, wenn durch unangemessene Behandlung<strong>des</strong> Verfahrens durch das FG ein Beweismittel verlorengeht (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni1992 X R 50/91, BFH/NV 1992, 741)........Diese Erleichterungen im Rahmen der Beweiswürdigung verstoßen entgegen der Auffassung <strong>des</strong>FA nicht gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. Eine unangemessene Behandlung <strong>des</strong> Verfahrens,die alleine durch ein Gericht verursacht ist, fällt in die staatliche Verantwortung. Von daherist es gerechtfertigt, wenn die Versäumnisse <strong>des</strong> Gerichts im Ergebnis Auswirkungen auf denstaatlichen Steueranspruch haben können. Finanzverwaltung und Justiz stehen insoweit demSteuerbürger als Repräsentanten staatlicher Gewalt gegenüber.“Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1972Ähnlich Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1973


- 375 - 375140014011402Damit sind aber noch nicht die Maßstäbe der überlangen Verfahrensdauer beschrieben.Es wurde oben bereits beschrieben, dass und warum Art. 6 Abs. 1 EMRK für dasSteuerverfahrensrecht Anwendung finden kann. 2273)Folglich sind die Maßstäbe heranzuziehen, die sich aus der Rechtsprechung <strong>des</strong>EGMR, EuGH - unter Einschluß der darin in Bezug genommenen Grundsätze derRechtsprechung <strong>des</strong> EGMR - und BVerfG ergeben. Dies <strong>des</strong>halb, um seitens <strong>des</strong> Prozeßbevollmächtigteneigenes prozessuales Handeln auch daran auszurichten, daß esfür den Mandanten im laufenden Steurverfahren/Steuerprozess zu keiner Unterschreitung<strong>des</strong> Schutzniveaus - gemessen an den Vorgaben <strong>des</strong> EGMR, EuGH und BVerfG -kommt. Diese Gerichte sind z. B. von folgendem ausgegangen: 2274)Eine Verfahrensdauer - auch die vor dem BVerfG - von mehr als 7 Jahren ist nach derRechtsprechung <strong>des</strong> EGMR zu lange. 2275) In einer weiteren Entscheidung hat er gareine Verfahrensdauer von mehr als 5 Jahren für zu lange erachtet. 2276) In diese Richtungtendiert auch der EuGH. 2277) Dies ist nicht nur die Meßlatte für den individuellenRechtsanspruch eines Rechtssuchenden, sondern auch die Vorgabe an Mitgliedstaaten,ihre Gerichte sachlich und personell so auszustatten, dass diese Vorgabe auch verwirklichtwerden kann. 2278) Das BVerfG 2279) hält unter bestimmten Umständen eine Verfahrensdauervon rund 7 Jahren nicht für überlang und ordnet der Rechtsprechung derEGMR keinen Verfassungsrang zu. 2280) Aber das BVerfG läßt gegen die Untätigkeiteines Gerichtes die Verfassungsbeschwerde zu, 2281) wobei es in diesem Zusammenhangdarauf hinweist, dass der Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR keine verbindlichen Richtlinienentnommen werden könnten. 2282) Dieser Aspekt der Verfassungsbeschwerdewegen Untätigkeit eines Gerichtes gibt Veranlassung, über folgen<strong>des</strong> nachzudenken:2273)2274)2275)2276)2277)2278)2279)2280)2281)2282)Ferner zum Recht auf Verfahrensbeschleunigung femäß Art. 6 Abs. 1 EMRK bei SteuerstrafverfahrenGaede wistra 2004, 166 m.w.N.. A.A. BFH 17.01.2006 – VIII B 172/05, BFH/NV 2006,799; BFH 25.10.2006 – VII B 269/06, BFH/NV 2007, 260, 261; BFH 22.07.2008 – II B 18/08,BFH/NV 2008, 1866, 1868; BFH 01.04.2009 – X B 90/08, BFH/NV 2009, 1135, 1137; BFH07.05.2009 – XI B 111/08, Rdn. 7 (Juris). der eine Berufungsmöglichkeit auf Art. 6 Abs. 1EMRK verneint.Dazu Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969EGMR 01.07.1997 - 125/1996/744/943, NJW 1997, 2809, 2810. Nach EGMR 04.03.2004 –72159/01, ZIP 2004, A 27 ist kein fairer Prozess bei einer über 10 jährigen Verfahrensdauer gegeben.EGMR 25.03.1999 - 25444/94 , NJW 1999, 3545, 3548; EGMT 20.02.2003 – 44324/98, n.V.Rdn. 50 ff. (siehe http://www.echr.coe.int/)EuGH 17. 12. 1998 - Rs. C –185/95, EuZW 1999, 115EGMR 25.03.1999 - 25444/94 , NJW 1999, 3545, 3548; Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969,1970BVerfG 26. 4. 1999 - 1 BvR 467/99, NJW 1999, 2582, 2583BVerfG 06.05.97 - 1 BvR 711/96, NJW 1997, 2811,BVerfG 29.03.2005 – 2 BvR 1610/03, BVerfGK 5, 155, 158BVerfG 06.05.97 - 1 BvR 711/96, NJW 1997, 2811,2812: „Das BVerfG hat bereits mehrfach entschieden,dass Grundrechte auch durch Unterlassen gerichtlicher Tätigkeit verletzt sein können(vgl. BVerfGE 10, 302 (306) = NJW 1960, 811; BVerfGE 16, 119 (121) = NJW 1963, 1820, jeweilsim Zusammenhang mit Art. 104 GG). Ebenso ist anerkannt, dass eine Verfassungsbeschwerdegegen ein Unterlassen zulässig ist, solange die Unterlassung andauert (vgl. BVerfGE 6,257 (266) = NJW 1957, 584; BVerfGE 11, 255 (261) = NJW 1960, 1756; BVerfGE 69, 161 (167)


- 376 - 3761403Unternimmt man gegen die Untätigkeit <strong>des</strong> Finanzamtes bezüglich der Erledigung <strong>des</strong>Einspruchsverfahrens nichts, indem man z.B. keine Untätigkeitsklage erhebt (§ 46FGO), so kann man sich später auch nicht auf eine darauf zurückzuführende überlangeVerfahrensdauer berufen. 2283) Unternimmt man gegen die Untätigkeit eines Gerichtesnichts 2284) - auch nicht mittels vorgenannter Verfassungsbeschwerde 2285) -, riskiertman in den oben angesprochenen Verfahren gemäß § 227 AO, dass einem genau dieseUntätigkeit dann auch noch entgegengehalten wird. Es sollte daher im Einzelfallabgewogen werden, ab wann man zum BVerfG 2286) oder - wo möglich - zum Lan<strong>des</strong>verfassungsgericht2287) bei länger dauernder Untätigkeit eines FG Verfassungsbeschwerdewegen Untätigkeit erhebt. Die vom BVerfG iudizierte vorherige Untätigkeitsbeschwerdein der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2288) bietet sich bei der Untätigkeiteines FG nicht an, 2289) da der BFH iudiziert, mit einer im Gesetz nicht vorgesehenenUntätigkeitsbeschwerde könne ein FG nicht gezwungen werden, ein Verfahren fortzuführen.2290) Im Gegenteil verweist der BFH sogar darauf, zunächst Dienstaufsichtsbeschwerdezu erheben und nach deren Fruchtlosigkeit Verfassungsbeschwerde zu erhe-2283)2284)2285)2286)2287)2288)2289)2290)= NJW 1985, 2019). Die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde kann der Zulässigkeitnicht entgegenstehen, da § 93 BVerfGG Fristen für ein Vorgehen gegen eine Unterlassung nichtvorsieht (vgl. BVerfGE 16, 119 (121) = NJW 1963, 1820). ........ Im Umfang ihrer Zulässigkeit istdie Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ( § 93c I 1 BVerfGG).aa) Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip(Art. 2 I i.V. mit Art. 20 III GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzesfür bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinne ableiten läßt. ....... DasRechtsstaatsprinzip fordert darüber hinaus auch im Interesse der Rechtssicherheit, dass strittigeRechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 88, 118 (124) = NJW1993, 1635).Zwar gibt es keine festgelegten Grundsätze, die besagen, ab wann von einer überlangen, dieRechtsgewährung verhindernden Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist jedoch eine Frage derAbwägung im Einzelfall, die anhand der allgemeinen, von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechungentwickelten Kriterien vorzunehmen ist. Verbindliche Richtlinien können auch derRechtsprechung <strong>des</strong> EGMR, die als Hilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite vonGrundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen <strong>des</strong> Grundgesetzes dienen kann, ohne den Rangvon Verfassungsrecht zu genießen (vgl. BVerfGE 74, 358 (370) = NJW 1987, 2427), nicht entnommenwerden. .......... Nach den vorgenannten Grundsätzen ist es mit dem verfassungsrechtlichgarantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz nicht mehr vereinbar, dass nach nunmehrmehr als sechseinhalb Jahren noch nicht einmal die Grundlagen für eine erstinstanzliche Entscheidunggeschaffen wurden.“BFH 06.08.2002 – VIII B 56/02, n.V.. Eine dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurdenicht angenommen: BVerfG 07.10.2002 – 1 BvR 1707/02, HFR 2003, 79Der BFH 30.01.2004 – V B 217/03, BFH/NV 2004, 802 verweigert die Möglichkeit einer Untätigkeitsbeschwerdezu ihm, wenn ein FG untätig bleibt, mit der merkwürdigen Begründeung, derBFH sei keine vorgesetzte Behörde.BbgVerfG 20.03.2003 – VfGBbg 108/02, NVwZ 2003, 1379BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03, NVwZ 2004, 471BbgVerfG 20.03.2003 – VfGBbg 108/02, NVwZ 2003, 1379; s.o. Rdn. 703 ff.analog BVerfG 16.01.2003 – 1 BvR 2222/02, NVwZ 2003, 858; a.A. VGH Mannheim 20.03.2003 – 12 S 228/03, NVwZ 2003, 1541Ähnlich BVerfG 20.09.2007 – 1 BvR 775/07, NJW 2008, 503 Rdn. 5BFH 19.01.1998 - XI B 171/97, BFH/NV 1998, 731; BFH 08.10.2001 - V B 85/01, BFH/NV2002, 364


- 377 - 37714041405ben. 2291) Ob das BVerfG dem folgen wird und den Lauf der Verfassungsbeschwerdeverfahrensfristerst von einer erfolglos durchgeführten Dienstaufsichtsbeschwerdeabhängig machen wird, erscheint ungewiss bis zweifelhaft. Im übrigen wird man sichauch mit folgendem Problem zu befassen haben:Es wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass Verfahrensdauern vor FG´s von mehrals 5 Jahren nichts ungewöhnliches sind. Damit wird deutlich, dass bei den FG´s, wodies kein Einzelfall ist, besagte Bun<strong>des</strong>länder schon seit Jahren – eigentlich seit Jahrzehnten- ihrem Verfassungsauftrag nicht gerecht werden, eine funktionsfähigeRechtspflege durch eine angemessene Personalausstattung zur Verfügung zu stellen.2292) Es entsteht dadurch der Verdacht, dass dort, wo Kläger immer der Steuerpflichtigeist, der sich gegen ihn belastende Bescheide <strong>des</strong> Finanzamtes wendet, derStaat es nicht sonderlich eilig zu haben scheint, für einen zeitnahen Rechtsschutz zusorgen, wobei über denkbare Motive dafür hier nicht weiter spekuliert werden soll.Dieses systembedingte Defizit negiert die vorgenannte Rechtsprechung von EGMRund EuGH und wird dadurch noch verfestigt, indem der BFH jüngst erneut entschiedenhat, eine Verfahrensdauer von 5 Jahren sei nicht ohne weiteres unangemessen. 2293)Es bleibt daher zusätzlich zu erwägen, ob nach Erschöpfung <strong>des</strong> Rechtsweges nichtdieser spezifisch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit betreffende Mißstand einem Verfahrenvor dem EGMR zugeführt werden sollte.Dem BFH scheinen die gerade in der Finanzgerichtsbarkeit immer häufiger vorkommendenFälle überlanger Verfahrensdauer unangenehm zu sein, um es einmal vornehmauszudrücken. Und so ist er auf eine neue Argumentation verfallen, den Rechtschutzim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entgegen Art. 19 Abs. 4 GG zu verkürzen.So verlangt er allen ernstes, die Rüge einer überlangen Verfahrensdauer erfordere,daß der Beschwerdeführer darlege, worauf die überlange Verfahrensdauer beruheund ob dies der Finanzverwaltung bzw. dem FG angelastet werden könne. 2294)Ferner fordert der BFH, der Kläger müsse selbst zur Prozessbeschleunigung beigetragenhaben und auf diese gedrungen haben. 2295) Der BFH verkennt, daß er sich damit2291)2292)2293)2294)2295)BFH 30.06.2000 - VII K 01/00, BFH/NV 2000, 1490; BFH 30.01.2004 – V B 217/03, BFH/NV2004, 802BVerfG 17. 11. 1999 - 1 BvR 1708/99, NJW 2000, 797: „)Es ist in der verfassungsgerichtlichenRechtsprechung anerkannt, dass sich aus Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip(Art. 20 III GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlich-rechtlicheStreitigkeiten im materiellen Sinne ableiten lässt. Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesseder Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl.BVerfG, [1. Kammer <strong>des</strong> Ersten Senats], NJW 1997, 2811 m.w. Nachw.). ..... Die vom Gerichtspräsidentenangeführten Gründe für die Verzögerung ändern nichts an ihrer Unvereinbarkeitmit dem Rechtsstaatsprinzip. Es verlangt eine funktionsfähige Rechtspflege. Dazu gehört auch eineangemessene Personalausstattung der Gerichte.c) Da eine Entscheidung im Ausgangsverfahren noch nicht ergangen ist, muss sich das BVerfGauf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach § 95 I BVerfGG beschränken. Das OLGHamburg ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dem VerfahrenFortgang zu geben und auf <strong>des</strong>sen raschen Abschluss hinzuwirken.“Siehe auch Lansicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970 f.BFH 17.08.2001 – IX B 20/01, BFH/NV 2002, 53BFH 17.08.2001 – IX B 20/01, BFH/NV 2002, 53; BFH 10.07.2002 – X B 170/00, BFH/NV2002, 1481; BFH 22.07.2003 – X B 97/02, BFH/NV 2004, 52, 53; BFH 07.05.2009 – XI B111/08, Rdn. 8 (Juris)BFH 07.05.2009 – XI B 111/08, Rdn. 8 (Juris).


- 378 - 37814061407im Widerspruch zur Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 2296) befindet, wonach es zum Vortrag<strong>des</strong> Beschwerdeführers gehört, darzulegen, daß er allenfalls durch Wahrnehmungprozessualer Rechte, nicht jedoch durch zögerliches Betreiben seiner Rechtssacheoder in anderer Weise, die überlange Verfahrensdauer nicht mitzuverantworten hat.Die überlange Verfahrensdauer gewinnt vor dem Hintergrund <strong>des</strong> Art. 19 Abs. 4 GGnicht erst dann an Bedeutung, wenn seitens <strong>des</strong> (Revisions-) Klägers oder Beschwerdeführersder Nachweis gelungen ist, dem Finanzamt oder dem FG eine Verantwortungfür überlange Verfahrensdauer anzulasten, sondern sich quasi zu „entlasten“, daßman selbst dafür jedenfalls nicht verantwortlich ist. Die überlange Verfahrensdauerund deren Gründe ergibt sich aus der Darlegung derselben und aus den Amts- undGerichtakten von selbst, die der BFH von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat.Maßgebend für den (Revisions-) Kläger oder Beschwerdeführer ist vielmehr, demBFH gegenüber zu verdeutlichen, daß und warum dort, wo der (Revisions-) Klägeroder Beschwerdeführer selbst zu dieser überlangen Verfahrensdauer mit beigetragenhat, dies aus von ihm darzulegenden Gründen nur die berechtigte Wahrnehmung prozessualerRechte war und warum dies keine Gründe waren, die der berechtigtenWahrnehmung prozessualer Rechte nicht mehr zuzuordnen waren. 2297)Immerhin gilt es zu bedenken, daß Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch auf Rechtsschutzin angemessener Zeit einräumt. 2298) Allerdings iudiziert das BVerfG 2299) imZusammenhang mit Art. 19 Abs. 4 GG inzwischen, bezüglich der überlangen Verfahrensdauersich nicht auf eine feste Jahresgrenze festlegen zu wollen, sondern auf alleUmstände <strong>des</strong> Einzelfalles, die Bedeutung der Sache für die Beteiligten, die Schwierigkeitender Sachmaterie und das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten abstellenzu wollen. Alleine Vorgänge seitens <strong>des</strong> Gerichts in der Reihenfolge <strong>des</strong> Eingangs zubearbeiten, ist nach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG 2300) kein sachgerechtes Argumentfür eine überlange Verfahrensdauer. Dies allerdings im Rahmen einer in Anbetrachteiner behaupteten Untätigkeit <strong>des</strong> Gerichts zum BVerfG direkt erhobenen Verfassungsbeschwerde.2301)Mit völligem Unverständnis muß man die Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 2302) zur Kenntnisnehmen, wonach eine zu knappe Vorbereitungszeit keine Verletzung rechtlichen Gehörssei. Schließlich halte das Gesetz eine Ladungsfrist für ausreichend, sich angemessenvorzubereiten. Dies vor dem offensichtlich negierten Faktum, daß entgegen allenoffiziellen Statistiken die durchschnittliche Verfahrensdauer vor Finanzgerichten zwischen4 – 6 Jahren ausmacht.2296)2297)2298)2299)2300)2301)2302)BVerfG 14.02.1992 - 2 BvR 1443/91, HFR 1992, 728BVerfG 20.07.2000 – 1 BvR 352/00, NJW 2001, 214; BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03,NVwZ 2004, 471BVerfG 16.12.1980 – 2 BvR 419/80, BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR1345/03, NVwZ 2004, 471BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03, NVwZ 2004, 471BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03, NVwZ 2004, 471BVerfG 15.12.2003 – 1 BvR 1345/03, NVwZ 2004, 471 verneinte eine „gegenwärtige Verletzung<strong>des</strong> Art. 19 Abs. 4 GG“ bei einer Verfahrensdauer eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vonetwas mehr als 2 Jahren.BFH 09.09.2005 – IV B 06/04, BFH/NV 2006, 22


- 379 - 37914081409141014111412Und so muß man in der Praxis immer wieder feststellen, daß man Finanzgerichte einsum´s andere Mal im Jahresrythmus wiederholt befragen muß, wann denn endlich miteiner Terminierung zu rechnen sei, um dann entweder keine Antwort zu erhalten, oderzu erfahren, daß die Akte verschwunden sei oder man überlastet sei oder oder oder ....Und dann plötzlich, wie aus heiterem Himmel, nach Jahren der gerichtlichen Untätigkeitund der inzwischen eingetretenen Resignation <strong>des</strong> Steuerpflichtigen, wird mitunterplötzlich seitens <strong>des</strong> Gerichts Termin zur mündlichen Verhandlung auf wenigeWochen später bestimmt. Und diese Mißstände werden durch die Entscheidung <strong>des</strong>BFH 2303) noch sanktioniert.Es wird Zeit, diese Mißstände, insbesondere daß die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland esim Bereich der Finanzgerichtsbarkeit nicht ernstlich in Angriff nimmt, dafür zu sorgen,daß gerichtliche Verfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss gebrachtwerden können, zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem EGMR zu machen. 2304)Der EGMR hat sich inzwischen mit deutschen Zuständen bei Zivilverfahren befaßtund beanstandet, daß es dort keinen wirksamen Rechtsschutz gibt. 2305) Steuerverfahrens-und steuerprozeßrechtlich sieht dies nicht anders aus. Dabei muß man zwei Aspektegetrennt würdigen:- Überlange Verfahrensdauer kann gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK und die dazu vorhandeneRechtsprechung <strong>des</strong> EGMR verstoßen. Für das Steuerrecht ist es aberderzeit nicht abschließend geklärt, inwieweit man sich auf Art. 6 Abs. 1 EMRKberufen kann. Aber es besteht die Möglichkeiten, das Thema überlanger Verfahrensdauervon Verwaltungs- und Prozeßverfahren im Steuerrecht im Rahmen vonAmtshaftungsverfahren geltend zu machen und dort. ist Art. 6 Abs. 1 EMRK zuberücksichtigen. Und wird dieser Rechtsweg erschöpft und bleibt auch eine sichanschließende Verfassungsbeschwerde erfolglos, dann kann sich daran eine Feststellungs-,Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklage vor dem EGMR anschließen.2306)- Daneben steht die Verpflichtung eines jeden Mitgliedstaates der EMRK aufgrundArt. 13, die eigenen Gerichte so auszustatten, daß sie zeitnah entscheiden können.2307)Inzwischen hat in Deutschland eine neue Diskussion begonnen: Führt die überlangeVerfahrensdauer von Gerichtsverfahren zu einer Staatshaftung ? 2308) Dies ist auch<strong>des</strong>halb von Interesse, weil eine Anrufung <strong>des</strong> EGMR wegen Schäden aufgrund überlangerVerfahrensdauer aufgrund einer Individualbeschwerde voraussetzt, dass zu-2303)2304)2305)2306)2307)2308)BFH 09.09.2005 – IV B 06/04, BFH/NV 2006, 22, 23Zur Behandlung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) inder deutschen Rechtsprechung außerhalb <strong>des</strong> Steuer(verfahrens)rechts, siehe Peglau JuS 2006,704EGMR 08.06.2006 – 75529/01 (Sürmeli/Deutschland), NJW 2006, 2389; EGMR 02.09.2010 –46344/06 (Rumpf/Deutschland), NJW 2010, 3355 mit Anm. Mayer-LadewigRudolf/Raumer AnwBl 2009, 313, 315EGMR 08.06.2006 – 75529/01 (Sürmeli/Deutschland), NJW 2006, 2389 Rdn. 99, 104Brüning NJW 2007, 1094


- 380 - 3801413141414151416nächst die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft worden sein müssen, wozu auchdie Erhebung einer Amtshaftungsklage mit erheblicher Erfolgsaussicht gehört. 2309)Hier hat inzwischen der BGH 2310) u.H.a. Art. 6 Abs. 1 EMRK entschieden, der Staathabe seine Gerichte so auszustatten, dass sie Verfahren ohne vermeidbare Verzögerungenabschließen könne. Die Erfüllung dieser Verpflichtung sei eine drittgerichteteAmtspflicht. Der Vorwurf richtet sich hier auf einen Organisationsmangel <strong>des</strong> Staates.2311) U.U. könne auch ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriffwegen „qualifizierten Unterlassens“ gegeben sein. 2312) Würde der Rechtsweg i.S.Sekundärrechtsschutz erschöpft und auch ein sich daran anschließen<strong>des</strong> Verfassungsbeschwerdeverfahrenerfolglos verlaufen, kann je nach Einzelfall erwägenswert sein,vor dem EGMR eine Feststellungs- bzw. Entschädigungs-/Schadensersatzklage anzustrengen.2313)Von der vorgenannten überlangen Verfahrensdauer von finanzgerichtlichen Verfahrenist das Thema der überlangen Dauer von Einspruchsverfahren zu unterscheiden undzwar für sich gesehen und alsdann im Kummulation zu einer überlangen Verfahrensdauerfinanzgerichtlicher Verfahren. Hier können sich Folgen ergeben, die mit demerlass von Aussetzungs- und Nachforderungszinsen zusammenhängen und soweitsolches verweigert wird, vor den Zivilgerichten zu führenden Amtshaftungsklageverfahrenzur Folge haben können. 2314) Allerdings gilt es dabei, zu differenzieren:Zur überlangen Verfahrensdauer von Verwaltungsverfahren wird auf das obenAusgeführte verwiesen. Betreffend die überlange Dauer von finanzgerichtlichen Verfahrengilt es, die inzwischen vorhandene gesetzliche Regelung <strong>des</strong> § 198 GVG zubeachten. Das Gericht, das über den Entschädigungsantrag zu entscheiden hat (Entschädigungsgerichti.S.d. § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG), ist der BFH (§ 155 Satz 2 FGO).Diese Entschädigungsklage ist vor dem BFH von einer postulationsfähigen Personoder Gesellschaft erhoben werden. 2315) Voraussetzungen für eine Klageerhebung sind:- Für das Entschädigungsklageverfahren gilt Vertretungszwang (§ 62 Abs. 4FGO). 2316)2309)2310)2311)2312)2313)2314)2315)2316)EGMR 05.10.1999 – 39521/98 (Gonzales), NJW 2001, 2691, 2692; Brüning NJW 2007, 1094,1095; Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 313, 315: Verzichtbar soll ein Sekundärrechtsschutz, bevorman den EGMR nach Erschöpfung <strong>des</strong> Primärrechtsschutzweges incl. einer erfolglosen verfassungsbeschwerdeanruft, nur dann sein, wenn der Sekundärrechtssschutz ineffektiv, unzumutbar,aufwendig oder lang ist.BGH 11.01.2007 – III ZR 302/05, NJW 2007, 830, 831 f.BGH 11.01.2007 – III ZR 302/05, NJW 2007, 830, 832BGH 11.01.2007 – III ZR 302/05, NJW 2007, 830, 834Rudolf/Raumer AnwBl 2009, 313, 314<strong>Wagner</strong> ZSteu 2007, 186 m.w.N.BFH 06.02.2013 – X K 11/12, BFH/NV 2013, 849 Rdn. 4 f. – Zur Streitwertfestsetzung beimBFH betr. Entschädigungsklageverfahren siehe BFH 05.03.2013 – X K 10/12, BFH/NV 2013,953BFH 06.02.2013 – X K 11/12, NVwZ-RR 2013, 702


- 381 - 38114171418141914201421- Bei dem FG, bei dem sich die Verfahrensverzögerung abspielt, muß eine Verzögerungsrügeerhoben worden sein (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG). Eine Wiederholungderselben ist frühestens nach 6 Monaten möglich (§ 198 Abs. 3 Satz 2 GVG) undmuß dann eine neue Verzögerungsrüge auslösen (§ 198 Abs. 3 Satz 5 GVG).- Die Rüge muss auf Gründe hinweisen, die befüchten lassen, daß das finanzgerichtlicheVerfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird undkommen verfahrensfördernde Gründe in Betracht, ist auch darauf hinzuweisen (§198 Abs. 3 Satz 3 FGO).- Ist ein Verfahrensstillstand von mehr als 30 Monaten eingetreten, kann eine überlangeVerfahrensdauer vorliegen. 2317)- Sodann ist zu begründen, weshalb die Verfahrensverzögerung für den Beschwerdeführerzu welchen Belastungen geführt hat. 2318)- Eine Entschädigungsklage kann frühestens 6 Monate nach Erhebung der Verzögerungsrügeerhoben werden. Sie muß spätestens 6 Monate nach Eintritt derRechtskraft der Entscheidung erhoben werden, die das finanzgerichtliche Verfahrenbeendet hat (§ 198 Abs. 5 Satz 1 – 2 GVG).142214231424XVIII.Ausländische GesellschaftenNach der Rechtsprechung <strong>des</strong> BFH 2319) werden ausländische Gesellschaften, durch dieim Inland erzielte Einnahmen „durchgeleitet“ werden (sog. Domizilgesellschaften), alsein Fall <strong>des</strong> Rechtsmißbrauchs angesehen (§ 42 AO). Steuerliche Vorgänge werden insolchen Fällen nicht solchen Gesellschaften sondern ihren Gesellschaftern zugerechnet.Steuerbescheide ergehen dann diesen gegenüber und nicht gegenüber der Gesellschaft.Dies hat wiederum zur Folge, dass Verfahrensbeteiligte bzw. Prozeßbeteiligtedie Gesellschafter als Adressaten solche Bescheide werden und nicht die Gesellschaft.Der Steueranwalt eines solchen betroffenen Gesellschafters wird nicht nur diemateriellrechtliche Argumentation <strong>des</strong> Finanzamtes/Finanzgerichtes zu prüfen haben,sondern sollte sich auch mit der Frage befassen, ob der von einem solchen SteuerbescheidBetroffene überhaupt der richtige Adressat ist oder ob das Finanzamt nichtrichtigerweise den Bescheid gegenüber der Gesellschaft als Steuerschuldner hätteergehen lassen und ihr bekanntgeben müssen, den die Rechtsprechung derzeit als„Domizilgesellschaft“ bezeichnet. Denn dies kann für die Frage der Wirksamkeit einessolchen Beschei<strong>des</strong>, später für Verjährungsfragen bedeutsam sein und ist für dieSteuerschuldnerschaft bedeutsam.Die Praxis der Finanzverwaltung und die zuvor dargestellte Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeitkann vor dem Hintergrund der Überseering-Entscheidung <strong>des</strong>EuGH 2320) fraglich sein.2317)2318)2319)2320)BFH 17.04.2013 – X K 3/12, DStR 2013, 1027; Böcker DB 2913, 1930, 1931Böcker DB 2913, 1930, 1932BFH 22.10.2002 – I R 39/01, HFR 2003, 325, 326EuGH 05.11.2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), GmbHR 2002, 2002, 1137; dazu <strong>Wagner</strong>GmbHR 2003, 684


- 382 - 38214251426142714281429XIX.Staatshaftung im Falle verweigerter Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechtsdurch FinanzämterDie Frage der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung kann sich stellen bei schadensverursachendenVerstößen der Exekutive, Iudikative und Legislative. 2321) Der EuGHhat mit seinen Entscheidungen in den rechtssachen Francovich 2322) und Brasserie duPecheur 2323) die Grundlagen für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung gelegt.. 2324)Bezüglich bestandskräftiger Bescheide der Verwaltung stellen sich folgende Fragen:- Wann kann es diesbezüglich zu einem Staatshaftungsanspruch kommen, wenngegen einen Bescheid/Verwaltungsakt die Möglichkeit nationalen gerichtlichenRechtsschutzes besteht?- Wann kann es diesbezüglich zu einem Staatshaftungsanspruch kommen, wennGemeinschaftsrecht sich sogar gegenüber bestandskräftigen Verwaltungsaktendurchsetzt und einen Erstattungsanspruch begründen kann? 2325)In der Entscheidung Brasserie du Pecheur hatte der EuGH 2326) iudiziert, der Grundsatzder Staatshaftung gelte unabhängig davon, welches staatliche Organ den Verstoß begangenhabe. Folglich gilt dies auch für executives Unrecht. 2327)Verstößt ein Steuerbescheid bzw. eine Einspruchsentscheidung gegen Unionsrechtund ist dadurch rechtswidrig, so kann ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruchgegeben sein, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:- Es muß gegen eine Norm <strong>des</strong> Unionsrecht verstoßen worden sein, die bezweckt,dem Einzelnen Rechte zu verleihen.- Der Verstoß muß hinreichend qualifiziert sein. Dies setzt ein Maß an Klarheit undGenauigkeit der verletzten Vorschrift voraus.„Bei einem erheblich oder gar auf Null reduzierten Ermessensspielraum aufgrund eindeutigenWortlauts einer Richtlinie kann bereits die bloße Verletzung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsgenügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu begründen. ...Dabei isteine Konkretisierung einer für sich genommen möglicherweise unklaren Richtlinie durchden Gerichtshof zu berücksichtigen. Zieht die Verwaltung nicht alle Konsequenzen aus2321)2322)2323)2324)2325)2326)2327)Zum legislativen Unrecht EuGH 19.11.1991 – Rs. C-06/90 und 09/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357; EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg.1996, I-1029; Gundel EWS 2004, 8, 9; Kremer NJW 2004, 480. Zu rechtswidrigem Verhalten derFinanzverwaltung BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, DB 2011, 1503 f.EuGH 19.11.1991 – Rs. C-06/90 und 09/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5403 = NJW 1992, 165EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996,I-1029 = NJW 1996, 1267Dazu grundlegend Dörr EuZW 2012, 86EuGH 29.04.1999 – Rs. C-224/97 (Ciola), Slg. 1999, I-2517; dazu Gundel EuZW 1999, 405:Ferner Gundel EWS 2004, 8, 14; Generalanwalt Leger in EuGH 17.06.2003 – Rs. C-453/00(Kühne & Heitz)EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996,I-1029 Rdn. 32So auch BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, DB 2011, 1503


- 383 - 383143014311432einem Urteil <strong>des</strong> Gerichtshofs, in dem die entscheidungserheblichen Auslegungsfragenklar beantwortet wurden, <strong>des</strong>sen Sach- und Rechtslage insbesondere mit der <strong>des</strong> von derVerwaltung zu entscheidenden Verfahrens vergleichbar ist, ist ein Rechtsverstoß regelmäßigqualifiziert ...“ 2328)- Zwischen dem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarerKausalzusammenhang besteht. 2329)Hat ein Finanzamt gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, ist der gemeinschaftsrechtlicheStaatshaftungsanspruch gegen das Bun<strong>des</strong>land zu richten, dem das Finanzamtangehört. 2330)Indem die deutsche Finanzrechtsprechung iudiziert, ein unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrechtergangener bestandskräftiger Steuerbescheid sei nicht änderbar,wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage vorsehe, 2331) ist dann dieMöglichkeit gegeben, den Sekundärrechtsschutz <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchszu suchen. Die Rechtswidrigkeit <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> und der Verstoßgegen das Gemeinschaftsrecht stehen fest, nur das Verfahrensrecht sperrt weiterenPrimärrechtsschutz.1433XX.Staatshaftung im Falle verweigerter Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechtsdurch Gerichte1. AllgemeinesOben wurde dargelegt, dass seitens <strong>des</strong> Prozeßanwaltes zu erwägen ist, europäischesGemeinschaftsrecht zu thematisieren, wenn es entscheidungserheblich ist. Dies solltebereits im Einspruchsverfahren, jedenfalls im Verfahren vor dem FG und sodannnochmals im Nichtzulassungsbeschwerde-/Revisionsverfahren erfolgen. Die Thematisierungvon Gemeinschaftsrecht kann entweder darauf zielen, das Gericht zur Beachtungprimären Gemeinschaftsrechts anzuhalten oder zu einer richtlinienkonformenAuslegung – also zur Beachtung <strong>des</strong> sekundären Gemeinschaftsrechts - zu veranlassenund wenn dies nicht möglich ist, eine Vorlage zum EuGH anzuregen. Verweigert sichein Gericht, Gemeinschaftsrecht anzuwenden, 2332) obwohl dies entscheidungserheblichwäre, dann stellt sich die Frage der Staatshaftung für fehlerhaftes Handeln <strong>des</strong> Gerichts.2333)2328)2329)2330)2331)2332)2333)BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, DB 2011, 1503 Rdn. 25BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, DB 2011, 1503 Rdn. 13 m.w.N.; Dörr EuZW 2012, 86; Fuhrmann/PotschNZG 2011, 1218BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, DB 2011, 1503 Rdn. 13 u.H.a. BGH 02.12.2004 – III ZR358/03, BGHZ 161, 224, 234 ff.FG Rheinland-Pfalz 20.01.2010 – 1 K 1285/08, DStRE 2011, 767, 769 m.w.N.z.B. BFH 06.06.2003 – III B 98/02, BFH/NV 2003, 1214, 1215BGH 28.10.2004 – III ZR 294/03, NJW 2005, 747


- 384 - 384143414351436Bereits in der Entscheidung <strong>des</strong> EGMR vom 16.04.2002 2334) wurde eine Ablehnungeiner Staatshaftung für gemeinschaftswidrige Gerichtsurteile als unverhältnismäßigerEingriff in die Eigentumsgarantie der EMRK bewertet. 2335) In der Rechtsprechung <strong>des</strong>EuGH 2336) ist entschieden, dass der Staat dem Einzelnen für solche Schäden zu haftenhat, die diesem aufgrund von Schäden entstehen, die ihre Ursache in dem Staat zuzurechnendeVerstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind. Auch Art. 10 EGverpflichtet die Mitgliedstaaten, rechtswidrige Folgen von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrechtzu beheben. 2337) In der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH 2338) ist ferner entschieden,ob und inwieweit der einzelne Mitgliedstaat dem einzelnen für Schädeneinzustehen hat, die ihm <strong>des</strong>halb entstanden sind, weil das höchste Gericht gegenGemeinschaftsrecht verstoßen hat. Der EuGH beabsichtigt damit ersichtlich, die Vorlagepflichtgemäß Art. 234 Abs. 3 EG haftungsrechtlich abzusichern. 2339) Dazu hat derEuGH folgen<strong>des</strong> ausgeführt:Im Entscheidungsfalle hatte die Republik Österreich ausgeführt, gegen eine Entscheidungeines letztinstanzlichen Gerichts bestehe kein Staatshaftungsanspruch. 2340)Der EuGH führt aus, dass alle staatlichen Instanzen die vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenenNormen zu beachten haben. 2341) Um die Wirksamkeit gemeinschaftsrechtlicherBestimmungen nicht zu beeinträchtigen, müsse für den Einzelnen die Möglichkeitder Entschädigung gegeben sein, wenn seine Rechte durch Verstoß gegen dasGemeinschaftsrecht beeinträchtigt würden. Bei Entscheidungen letztinstanzlicher Gerichte,die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen würden, sei ein solcher Verstoßdem jeweiligen Mitgliedstaat zuzurechnen. 2342) Ein solcher Staatshaftungsanspruchbetreffend letztinstanzliche Entscheidungen berühre nicht die Rechtskraft der letztinstanzlichenEntscheidung, da das Staatshaftungsverfahren einen anderen Streitgegenstandbetreffe. Denn mit dem Staatshaftungsverfahren werde nicht die Aufhebungbesagter letztinstanzlicher Entscheidung angestrebt, vielmehr gehe es darum, dieFolgen einer das Gemeinschaftsrecht negierenden Entscheidung auszugleichen. 2343) Daes zudem nicht um die persönliche Haftung der Richter sondern um die Haftung <strong>des</strong>2334)2335)2336)2337)2338)2339)2340)2341)2342)2343)EGMR 16.04.2002 – Req. Nr. 36677/97 (Dangeville/Frankreich), n.V.Gundel EWS 2004, 8, 9EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Rdn. 33; EuGH05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996, I-1029,Rdn. 31 – 32; EuGH 01.06.1999 – Rs. C-302/97 (Konle), Slg. 1999, I-3099 Rdn. 62; EuGH04.07.2000 – Rs. C-424/97 (Haim), Slg. 2000, I-5123 Rdn. 27; EuGH 28.06.2001 – Rs. C-118/00(Larsy), 2001, I-5063 Rdn. 35; EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Schlussanträge <strong>des</strong> GeneralanwaltesLeger vom 08.04.2003, Nr. 64, 104EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Rdn. 36; EuGH Rs.C-224/01 (Köbler/Österreich), Schlussanträge <strong>des</strong> Generalanwaltes Leger vom 08.04.2003, Nr. 32EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539.; siehe auch Schlussanträge<strong>des</strong> Generalanwaltes Leger vom 08.04.2003, Nr. 15, bejahend in Nr. 25, 40.Gundel EWS 2004, 8EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 13EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 32EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 33EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539 Rdn. 39


- 385 - 3851437143814391440144114421443Mitgliedstaates gehe, werde auch nicht die Unabhängigkeit von Richtern und Gerichtentangiert. 2344) Da es folglich nicht um die persönliche Haftung von Richtern geht,dürfte die Frage <strong>des</strong> Richterprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB) keine Rolle spielen. 2345)Der EuGH verweist darauf, es sei Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, welchesGericht für die Durchführung eines solchen Staathaftungsverfahrens zuständig sei. 2346)Der Mitgliedstaat müsse dem Einzelnen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrechtbei Vorliegen von 3 Voraussetzungen einen Staatshaftungsanspruch gewähren, es seidenn, die Staatshaftung nach nationalem Recht sei von weniger strengen Voraussetzungenabhängig: 2347)(1) „Die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.(2) Der Verstoß ist hinreichend qualifiziert.(3) Zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und demden geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang.“2348)Gemäß dem EuGH gelten diese Voraussetzungen im gleichen Maße für den Fall derStaatshaftung wegen gemeinschaftswidriger Entscheidungen eines letztinstanzlichennationalen Gerichts. 2349) Ein solcher Verstoß eines letztinstanzlichen Gerichts im Hinblickauf vorgenannte Voraussetzung zu (2) sei aber nur dann gegeben, wenn das letztinstanzlicheGericht offenkundig gegen gelten<strong>des</strong> Gemeinschaftsrecht verstoßen habe2350) bzw. einschlägige Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH offenkundig verkennt. 2351)Letzteres war anscheinend dahingehend mißverstanden worden, ein gemeinschaftsrechtlicherStaatshaftungsanspruch komme nur in Fällen von vorsätzlichem oder grobfahrlässigen richterlichen Verhalten in Betracht bzw. komme dann nicht in Betracht,wenn sich der Verstoß aus einer Auslegung einer Rechtsvorschrift oder einer Sachverhalts-und Beweiswürdigung durch das Gericht ergebe. Dem ist der EuGH deutlichentgegengetreten, indem er darauf hinwies, daß es nicht auf die Art <strong>des</strong> Verstoßes2344)2345)2346)2347)2348)2349)2350)2351)EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 42So auch Kremer NJW 2004, 480, 482EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 45 – 50; GundelEWS 2004, 8, 12EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 57EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 51; EuGH04.12.2003 – Rs. C-63/01 (Evans), Slg. 2003, 14447 Rdn. 83; BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91,BGHZ 134, 30, 37; BGH 14.12.2000 – III ZR 151/99, BGHZ 146, 153, 158 f.; BGH 28.10.2004 –III ZR 294/03, EuZW 2005, 30, 31 = NJW 2005, 747; BGH 24.11.2005 – III ZR 04/05, GmbHR2006, 151, 152; BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, DB 2011, 1503 Rdn. 13 m.w.N.; de Weerth DB2005, 1407, 1409; Schöndorf-Haubold JuS 2006, 112; Dörr WM 2010, 961EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 52EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 53EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 56


- 386 - 386144414451446ankomme oder wer ihn begangen hat, 2352) sondern auf die Offenkundigkeit von Verstößenoberster Gerichte gegen EU-Gemeinschaftsrecht. 2353)Und in diesem Zusammenhang habe das mit dem EU-gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruch befaßte Gericht kummulativ folgen<strong>des</strong> zu würdigen:- Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift;- die Vorsätzlichkeit <strong>des</strong> Verstoßes;- die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtumes;- ggf. die Stellungnahme eines Gemeinschaftsorganes;- die Verletzung einer Vorlagepflicht gem Art. 234 Abs. 3 EG. 2354)Aber die Amtspflicht zur Anwendung von Gemeinschaftsrecht besteht nicht nur fürletztinstanzliche Gerichte (hier BFH), sondern auch für Instanzgerichte (hier FG). Art.267 Abs. 2 AEUV kann nicht dahingehend verstanden werden, daß die gemeinschaftsrechtlicheVorlage zum EuGH eine Wahlfreiheit für Instanzgerichte beinhaltet, so daßz.B. ein FG eine Vorlage zum EuGH selbst dann unterlassen könne, wenn sie in derSache geboten wäre. 2355) Denn wendet ein Instanzgericht Gemeinschaftsrecht nicht anbzw. übergeht trotz Vorlagenotwendigkeit zum EuGH in der Sache den EuGH, dannkann dies zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) seitensder europäischen Kommission führen, zumal der Betroffene zur vorherigen Einlegungvon Rechtsmitteln nicht verpflichtet ist. 2356) Hinzu kommt folgen<strong>des</strong>:Richtlinien haben die Mitgliedstaaten als Adressaten und auferlegen diesen Gemeinschaftsverpflichtungen.Folglich hat ein Mitgliedstaat die Verpflichtung, die mit einerRichtlinie verfolgten Ziele so in die nationale Rechtsordnung umzusetzen, daß die mitder Richtlinie verfolgten Ziele erreicht werden. Dafür hat der Mitgliedstaat mit allenseinen Institutionen einzustehen, also nicht nur mit Finanzämtern und dem BFH sondernauch mittels seiner Finanzgerichte als Instanzgerichten. 2357) Dies folgt auch ausdem Grundsatz der Gemeinschaftstreue. 2358) Dies geht aber nicht so weit, daß nationale2352)2353)2354)2355)2356)2357)2358)EuGH 13.06.2006 – Rs. C-173/03 (Mediterraneo/Italien), EWS 2006, 314 Rdn. 30 f. u.H.a. EuGH30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 31EuGH 13.06.2006 – Rs. C-173/03 (Mediterraneo/Italien), EWS 2006, 314 Rdn. 32. Nach deWeerth DStR 2008, 1669, 1670 ist die Offenkundigkeit <strong>des</strong> Verstoßes Bestandteil <strong>des</strong> „hinreichendqualifizierten Verstoßes.“EuGH 13.06.2006 – Rs. C-173/03 (Mediterraneo/Italien), EWS 2006, 314 Rdn. 32, 43Breuer EuZW 2004, 199, 201EuGH 09.12.2003 - Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Rdn. 29; Generalanwalt Geelhoed inEuGH 03.06.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Nr. 45 f., 61; Breuer EuZW 2004, 199,201Generalanwalt Geelhoed in EuGH 03.06.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Nr. 51 f., 56f., 59Generalanwalt Geelhoed in EuGH 03.06.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Nr. 55


- 387 - 387144714481449Gerichte die Pflicht hätten, gemeinschaftswidrige rechtskräftige gerichtliche Entscheidungenaufheben zu müssen. 2359) Generalanwalt Geelhoed 2360) beschreibt dies wiefolgt:„Gerade in Verbindung mit dieser zentralen Funktion der höchsten Gerichte bei der richtigenAnwendung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts innerhalb der nationalen Rechtsordnung ist es äußerstwichtig, daß die die Verpflichtungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht für die Mitgliedstaatenergeben, erkennen und wahren. Dies ändert nichts daran, daß auch die unteren nationalenGerichte Verantwortung für die vollständige Durchführung und ordnungsgemäßeAnwendung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts tragen, auch wenn ihre Entscheidungen im nationalenRechtssystem korrigiert werden können. Über die Grundsätze der unmittelbaren Wirkungder dafür in Frage kommenden Bestimmungen <strong>des</strong> EG-Vertrages und <strong>des</strong> abgeleitetenRechts, <strong>des</strong> Vorrangs <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehendem nationalen Recht, derVerantwortung <strong>des</strong> Mitgliedstaates – unter bestimmten Voraussetzungen – für die Verletzungvon Gemeinschaftspflichten und der Verpflichtung zur Auslegung <strong>des</strong> nationalen Rechts imLicht der maßgebenden Bestimmungen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts sorgen die nationalen Gerichtedafür,daß die Einzelnen die Rechte geltend machen können, die ihnen nach dem Gemeinschaftsrechtzustehen. Auf diese Weise bilden sie zugleich eine Garantie und eine Gegenkraftinnerhalb eines Mitgliedstaates, falls andere Staatsorgane ihre Pflichten aus dem Vertragnicht erfüllen.“Dies bedeutet für den Steueranwalt:Er ist zunächst einmal gehalten, in dem FG-Verfahren vorzutragen, dass und warumeine gemeinschaftsrechtliche Norm entscheidungserheblich ist. Des weiteren ist vorzutragen,dass das FG vom Amts wegen verpflichtet ist, sich mit diesem gemeinschaftsrechtlichenVortrag zu befassen. Ferner ist zu verdeutlichen, dass und warumdas FG diese gemeinschaftsrechtliche entscheidungserhebliche Frage selbst entscheidenkann, sei es durch Normensubstitution oder richtlinienkonforme Auslegung oderwarum eine Vorlage zum EuGH (Art. 234 Abs. 2 EG) angezeigt ist. In diesem Zusammenhangwäre auch ein gestellter Hilfsantrag zu begründen, dass und warum jedenfallsdieserhalb die Revision zugelassen werden sollte.Würde das FG dies alles negieren, könnte dieser Vortrag zum Gegenstand einesNichtzulassungsbeschwerdeverfahrens gemacht werden, wenn dieserhalb die Revisionnicht zugelassen worden wäre. Der BFH wäre dann verpflichtet, sich mit diesen Fragenim Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu befassen. Die Rechtsprechung <strong>des</strong>BFH, sich damit nicht befassen zu müssen, widerspricht aus obigen Gründen derRechtsprechung <strong>des</strong> EuGH. Würde sich der BFH in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrenmit dem gemeinschaftsrechtlichen Vortrag nicht befassen und der Nichtzulassungsbeschwerdenicht entsprechen, so könnte folgen<strong>des</strong> in Erwägung gezogenwerden:- Führte der gemeinschaftsrechtliche Vortrag dazu, dass der BFH als letztinstanzlichesGericht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH hätte vorlegen müssen,würde er dies aber unterlassen, so läge darin ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1Satz 2 GG und eine Verfassungsbeschwerde könnte darauf gestützt werden.2359)2360)EuGH 16.03.2006 – Rs. C-234/04 (Kapferer/Schlank & Schick GmbH), NJW 2006, 1577 Rdn.20 f.Generalanwalt Geelhoed in EuGH 03.06.2003 – Rs. C-129/00 (Kommission/Italien), Nr. 59


- 388 - 3881450145114521453- Führte der gemeinschaftsrechtliche Vortrag dazu, dass der BFH als letztinstanzlichesGericht ebenso wie zuvor schon das FG sich von Amts wegen damit hättebefassen müssen und die gemeinschaftsrechtliche Frage hätte selbst entscheidenmüssen, würde er dies aber unterlassen und der Nichtzulassungsbeschwerde nichtentsprechen, dann blieben 2 Wege: Zum einen den der Verfassungsbeschwerdewegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG oder den <strong>des</strong> Staatshaftungsansprucheswegen gemeinschaftswidriger Entscheidung, sofern der BFH offenkundiggegen gelten<strong>des</strong> Gemeinschaftsrecht verstoßen würde und eine sich anschließendeVerfassungsbeschwerde ohne Erfolg bliebe.Vor diesem Hintergrund sind die weiteren Ausführungen <strong>des</strong> EuGH 2361) einzuordnen:Für eine Staatshaftungsklage sei seitens <strong>des</strong> damit befaßten nationalen Gerichts vonden Gesichtspunkten <strong>des</strong> Einzelfalles auszugehen. Dazu müsse vorgetragen werden- die vom Gericht verletzte Norm,- die Frage der Entschuldbarkeit oder Nichtentschuldbarkeit eines Rechtsirrtums,- ggf. die Stellungnahme eines Gemeinschaftsorgans sowie- die Verletzung einer Vorlagepflicht. 2362)Und in einem weiteren beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren 2363)ging es darum, ob eine nationales Verwaltungsorgan eine von einem nationalen Gerichtbestätigte rechtskräftige Entscheidung wieder zurücknehmen muß, wenn in Anbetrachteines späteren anderen Vorabentscheidungsverfahrens <strong>des</strong> EuGH aufgrundeiner Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift ein gegenteiliges Ergebnishätte herauskommen müssen. 2364) Dies bejaht der EuGH, 2365) wenn das nationaleRecht eine solche Befugnis verleihe. Unter solchen Umständen sei eine Verwaltungsbehördeaus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue verpflichtet, die eigene (bestndskräftige)Entscheidung zu überprüfen, um der vom EuGH vorgenommenen AuslegungRechnung zu tragen, und muß dann ggf. die eigene Entscheidung zurücknehmen,wenn dies möglich sei, ohne Belange <strong>Dr</strong>itter zu verletzen. Es wird folglich deutlich,dass man die Rechtslage nicht ausschließlich und nicht primär nach dem nationalenRecht beurteilen sollte, sondern das europäische Recht stets dort im Blickfeld habensollte, wo es auf das nationale Recht Einfluß nimmt, selbst und gerade wenn das nationaleRecht vom Europäischen Recht abweicht. Dies auch <strong>des</strong>halb, weil das europäischeRecht Vorrang vor dem nationalen Recht hat, die nationalen Gerichte verpflichtetsind, dem europäischen Recht im nationalen Rechtskreis zum Durchbruch zu verhelfen2366) und das BVerfG eine Grundrechtsverletzung darin sieht, wenn ein letztinstanz-2361)2362)2363)2364)2365)2366)EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 53 ff.EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 54 f.; de WeerthDB 2005, 1407, 1408EuGH Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz)Schlussanträge <strong>des</strong> Generalanwalt Leger in EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Nr. 3.EuGH 13.01.2004 – Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz), Slg. 2004, I-837 Rdn. 23 ff.EuGH 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Nr. 32 u.H.a. EuGH09.03.1978 – Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629 Rdn. 16 und EuGH 19.06.1990 – Rs. C-213/89 (Factortame), Slg. 1990, I-2433 Rdn. 19


- 389 - 38914541455liches deutsches Gericht eine entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Fragedem EuGH als gesetzlichem Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vorlegt,obwohl dies geboten gewesen wäre. Schließlich sind nationale Gerichte Bestandteileder Gemeinschaftsordnung, die an der Anwendung und Weiterentwicklung <strong>des</strong> europäischenIntergrationsprozesses beteiligt sind. 2367) Folglich haben nationale Gerichtenicht nur nationales Recht anzuwenden, sondern in Fällen der Einschlägigkeit vonGemeinschaftsrecht dieses nationale Recht so weit auszulegen, dass es zu keinen Kollisionenmit dem Gemeinschaftsrecht kommt. 2368) Generalanwalt Leger beschreibt diestreffend wie folgt:„Es [das nationale Gericht] hat vielmehr sein innerstaatliches Recht kritisch zu würdigen, umsich vor <strong>des</strong>sen Anwendung zu vergewissern, dass es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbarist. Hält es eine mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbare Auslegung seines innerstaatlichenRechts nicht für möglich, so hat es <strong>des</strong>sen Anwendung auszuschließen und sogar an Stelleseines innerstaatlichen Rechts im Wege einer Normensubstitution die Bestimmung <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtsanzuwenden, es sei denn - wiederum -, daraus ergibt sich eine Verschlechterungder Rechtsstellung <strong>des</strong> Einzelnen.“ 2369)Und diese Pflicht besteht von Amts wegen, auch wenn sich keine Partei eines Rechtsstreitesdarauf berufen hat. 2370) Ist dem nationalen Gericht eine gemeinschaftskonformeAuslegung bzw. Normsubstitution nicht möglich, so ist es gehalten, die entscheidungserheblichegemeinschaftsrechtliche Frage dem EuGH vorzulegen (Art. 267AEUV, 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Und diese Pflicht besteht auch schon vor Erschöpfung<strong>des</strong> Rechtsweges. 2371) Entzieht sich ein nationales höchstes Gericht dieser Vorlagepflicht,dann kann dies zur Haftung <strong>des</strong> Mitgliedstaates führen. 2372)Diese Entwicklung zeigt, dass die Sensibilität (auch) deutscher Gerichte erheblichwachsen wird, sich mit Fragen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts zu befassen und Gemeinschaftsrechteigenen Entscheidungen zu Grunde zu legen. 2373) Dann aber sollte mansich als Prozeßanwalt bereits bei seinem schriftsätzlichen Vortrag auf gemeinschaftsrechtlicheErfordernisse einstellen und mit dem Mandanten dann, wenn eine entscheidungserheblichegemeinschaftsrechtliche Frage vom FG/BFH nicht berücksichtigt2367)2368)2369)2370)2371)2372)2373)EuGH 09.03.1978 – Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629 Rdn. 16; Generalanwalt Leger inEuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Nr. 53, 66EuGH 10.04.1984 – Rs. 14/83 (Von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891 Rdn. 26; EuGH13.11.1990 – Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135 Rdn. 8; EuGH 14.07.1994 – Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325 Rdn. 26; EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93(Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996, I-1029, Rdn. 34 – 35; EuGH 26.09.1996 – Rs.C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325 Rdn. 24; Generalanwalt Leger in EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Nr. 49, 57Generalanwalt Leger in EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Nr. 59EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Schlussanträge <strong>des</strong> Generalanwaltes Leger vom 08.04.2003, Nr. 65EuGH 09.03.1978 – Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629 Rdn. 24 i.V.m. Rdn. 16; GeneralanwaltLeger in EuGH Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Nr. 57 ff.EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), Slg. 2003, I- s. o. Rdn. 30 – 59; fernerSchlussanträge <strong>des</strong> Generalanwaltes Leger vom 08.04.2003, Nr. 144 ff.Davon ungerührt und ohne jede Auseinandersetzung mit dieser Rechtsentwicklung BFH06.06.2003 – III B 98/02, BFH/NV 2003, 1214, 1215, indem der BFH meint, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrengehe es nur um die Zulassung zum BFH, so dass über ein Vorabentscheidungsersuchenzum EuGH nicht zu entscheiden sei.


- 390 - 390wurde, überlegen, ob und inwieweit eine Staatshaftungsklage gegen die Bun<strong>des</strong>republikDeutschland in Erwägung zu ziehen ist. Deren Voraussetzungen wären:145614572. Eigenständiges Institut?Im nationalen Recht ist derzeit noch umstritten, ob das Rechtsinstitut <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichenHaftungsanspruchs eigenständig neben dem innerstaatlichen Amtshaftungsanspruchsteht 2374) oder im innerstaatlichen Haftungsanspruch inkorporiertist. 2375) Würde man von letzterem ausgehen, so mußte allerdings insoweit das nationaleHaftungsrecht gemeinschaftskonform ausgelegt werden, um den Besonderheiten <strong>des</strong>gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruches gerecht zu werden. 2376) Diese im Fachschrifttumstreitig gewesene Frage ist jetzt vom EuGH dahingehend entschieden worden,dass der Staatshaftungsanspruch wegen Verstoßes eines höchstinstanzlichen Gerichtsgegen das Gemeinschaftsrechts bezüglich seiner Voraussetzungen die Rechtsgrundlageunmittelbar aufgrund Gemeinschaftsrechts habe, während die Folgen <strong>des</strong>verursachten Schadens aufgrund nationalen Haftungsrechts zu beheben seien, 2377) essei denn, der EuGH verfüge über alle Angaben, um im Rahmen einer anläßlich einesStaatshaftungsverfahrens erfolgten Vorlage gemäß Art. 267 AEUV (= Art. 234 EGa.F.) die Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaates selbst feststellen zukönnen. 2378) Dabei dürfe das nationale Recht nicht solche Hürden aufbauen, dass dieErlangung einer Entschädigung praktisch unmöglich werde. 2379)An dem zuvor Ausgeführten ist die Rechtsprechung <strong>des</strong> BGH 2380) zum GemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruch abzugleichen. Dort ging es um eine Haftung für„legislatives Unrecht.“ 2381) Auch der BGH 2382) geht davon aus, dass dann, wenn sichaus dem nationalen Recht keine Anspruchsgrundlage herleiten lasse, dann zu prüfensei, ob sich ein Anspruch unmittelbar aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht her-2374)2375)2376)2377)2378)2379)2380)2381)2382)Dafür Detterbeck AöR 125 (2000), 202, 239 ff.Dafür Dörr EuZW 2012, 86, 87; Schoch Jura 2002, 837, 839 f.. Zum Überblick Cole/Haus JuS2003, 760, 766 f.Cole/Haus JuS 2003, 760, 766EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 58, 100EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 101EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 58BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30 nach Vorlage zum EuGH in BGH 28.01.1993 –III ZR 127/91, WM 1993, 707 und Entscheidung <strong>des</strong> EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 (Brasseriedu Pecheur), NJW 1996, 1267BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 31; BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW2009, 2534. Zur Haftung wegen exekutiven Unrechts BGH 14.12.2000 – III ZR 151/99, BGHZ146, 154; zur Haftung wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung einer Richtlinie BGH 20.01.2005 –III ZR 48/01, NJW 2005, 742; zur Haftung wegen judikativen Unrechts BGH 28.10.2004 – III ZR294/03, NJW 2005, 747; BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, WM 2009, 621BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 33, 36


- 391 - 3911458leiten lasse. 2383) Er macht einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch anden gleichen Voraussetzungen fest wie auch der EuGH. 2384)Und ebenso wie der EuGH 2385) ließ auch der BGH 2386) den geltend gemachten gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruch im konkreten Fall daran scheitern, dasskein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht angenommenwurde. Dies verdeutlicht, dass an dieser Stelle vorab besonders zu prüfen ist, ob manfür den Fall eines Verstoßes <strong>des</strong> BFH gegen Gemeinschaftsrechts die Hürde für einengemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch überwinden kann. Wäre dies nichtnaheliegend, sollte man eher prüfen, ob nicht die oben aufgezeigten verfassungsrechtlichenWege einzuschlagen wären.14593. Zuständiges GerichtHat ein letztinstanzliches Bun<strong>des</strong>gericht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, so istzuständiges Gericht das LG Berlin. 2387) Hat ein letztinstanzliches Gericht eines Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong>gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, so ist zuständiges Gericht das LG, in<strong>des</strong>sen Bezirk die jeweilige Lan<strong>des</strong>regierung ihren Sitz hat.146014614. SubsidiaritätEhe man an die Durchführung einer Klage wegen gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungwegen Nichtvorlage <strong>des</strong> BFH zum EuGH in´s Auge faßt, gilt es, den Grundsatzder Subsidiarität zu beachten (§ 839 Abs. 3 BGB). Dies gilt auch im Falle eines gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruches. 2388) Deshalb ist an dieser Stelle seitens<strong>des</strong> Prozeßanwaltes aufzuzeigen, alles erdenkliche im Rahmen <strong>des</strong> Primärrechtsschutzeserfolglos unternommen zu haben. Dazu gehört auch, nicht nur den nationalenRechtsweg erschöpft zu haben, sondern u.H.a. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch einVerfassungsbeschwerdeverfahren zum BVerfG erfolglos durchgeführt zu haben. 2389)Der EuGH bezeichnet es als Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem jeweiligen nationalenRecht zu regeln, ab wann Entschädigungsansprüche aus EU-gemeinschaftsrechtlicherStaatshaftung geltend gemacht werden können (z.B. im Hinblick auf § 839 Abs. 3BGB). 2390) Auch in der Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH sei entschieden, daß der Betroffene2383)2384)2385)2386)2387)2388)2389)2390)BGH 09.10.2003 – III ZR 342/02, NJW 2004, 1241BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 37; BGH 24.11.2005 – III ZR 04/05, DStR2006, 1424, 2425; BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rdn. 12EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 122BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 37 f.; ähnlich BGH 14.12.2000 – III ZR151/99, BGHZ 146, 154, 159 f.; BGH 28.10.2004 – III ZR 294/03, NJW 2005, 747; BGH22.01.2009 – III ZR 233/07, WM 2009, 621 Rdn. 22, 24 ff., 33 ff.In EuGH 30.09.2003 – Rs. C-224/01 (Köbler/Österreich), NJW 2003, 3539. Rdn. 1 war dies dasLG Wien. In BGH 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30 war 1. Instanz das LG Bonn.BGH 09.10.2003 – III ZR 342/02, DB 2004, 433; Dörr EuZW 2012, 86, 91EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996,I-1029 Rdn. 44; Gundel EWS 2004, 8, 15; s.o. Rdn. ...EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 59


- 392 - 3921462146314641465zunächst Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen müsse, wenn ihm dies zumutbarsei. 2391) Die Anwendbarkeit <strong>des</strong> § 839 Abs. 3 BGB auch auf den EU- gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruch stehe daher dem EU-Gemeinschaftsrecht dannnicht entgegen, wenn diese Zumutbarkeit gegeben sei. 2392) Und in einem solchen Primärrechtsschutzverfahrensei es Sache <strong>des</strong> Betroffenen, dem nationalen Gericht gegenüberaufzuzeigen, daß und warum u.U. eine Vorlage zum EuGH gem. Art. 234Abs. 3 EG geboten sei. 2393) An der Erforderlichkeit der Inanspruchnahme <strong>des</strong> Primärrechtsschutzesdurch den Betroffenen ändere sich auch nicht dadaurch etwas, daßbeim EuGH eine Vertragsverletzung der EU-Kommission anhängig sei. 2394)Allerdings gilt der deutsche Haftungsausschluss wegen legislativen Unrechts im Gemeinschaftsrechtnicht. 2395)Ein ganz anderes Thema ist, ob eine gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruchgeltend gemacht werden kann, obwohl zuvor die Möglichkeit bestanden hätte, u.H.a.Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH die Rückforderung von Steuern trotz eines belastendenbestandskräftigen Steuerbeschei<strong>des</strong> zu verlangen, dies aber versäumt wurde. DieseFrage stellt sich <strong>des</strong>halb, weil ungeklärt ist, ob die Geltendmachung <strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruchs sich nach deutschem Recht richtet, so daߧ 839 Abs. 3 BGB zu beachten wäre oder ein eigenständiges Rechtsinstitut ist. ImFachschrifttum wird vertreten, daß ein Staatshaftungsanspruch neben einem Erstattungsanspruchgeltend gemacht werden könne, 2396) womit für diesen Fall § 839 Abs. 3BGB verdrängt würde. 2397) Ein Vorabentscheidungsersuchen <strong>des</strong> BGH dazu ist anhängig.2398)Dies ist aus folgenden Gründen bedeutsam: Im Hinblick auf § 839 Abs. 3 BGB lässtder BFH eine Bestandskraft von Steuerbescheiden im Hinblick auf eine nachträglichergangene Entscheidung <strong>des</strong> EuGH nicht zu, wenn zuvor nicht im Anschluss an denBescheid der Rechtsweg u.a. auch mittels finanzgerichtlicher Klage erschöpft wurde.2399) Und ein Erlassverfahren schließt der BFH aus, wenn die Steuerfestsetzungzum Zeitpunkt <strong>des</strong> Ergehens der Einspruchsentscheidung ex ante auf der Grundlageder damaligen Rechtsprechung nicht unvertretebar war. 2400)Soweit der BFH 2401) iudiziert, auch bei nachträglich erst erkanntem Verstoß gegen dasUnionsrecht komme es zu keiner Durchbrechung der Bestandskraft, läßt der BFHinsoweit keinen weiteren Primärrechtsschutz zu, so daß der nachträglich festgestellte2391)2392)2393)2394)2395)2396)2397)2398)2399)2400)2401)EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 60 ff.EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 64EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 65EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 67Langenbucher, Europarechtliche Bezüge <strong>des</strong> Privatrechts, 2005, § 1 Rdn. 117de Weerth DStR 2008, 1669, 1670So wohl de Weerth DStR 2008, 1669, 1671BGH 12.10.2006 – III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362 (beim EuGH anhängig mit dem Az. C-445/06 [Danske Slagterier])BFH 29.05.2008 – V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889, 1892BFH 29.05.2008 – V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889, 1891 f.BFH 16.09.2010 – V R 51/09, BFH/NV 2011, 569


- 393 - 393Verstoß gegen das Unionsrecht im Rahmen <strong>des</strong> Sekundärrechtsschutzes thematisiertwerden kann. Und in diesem Zusammenhang ist zu thematisieren, daß Auslegungsentscheidungen<strong>des</strong> EuGH auch bei Streitfällen zu beachten sind, die sich vor dem Ergehensolcher Entscheidungen zugetragen haben. 2402) Denn Entscheidungen <strong>des</strong> EuGHhaben keine konstitutive sondern nur deklaratorische Bedeutung.1466146714685. RechtsverletzungEin gemeinschaftsrechtlicher Haftungsanspruch setzt voraus: 2403)(1) Verletzung einer dem Einzelnen Rechte verleihenden Norm. 2404)Dies kann im Handeln oder Unterlassen staatlicher Organe oder <strong>des</strong> Gesetzgeberliegen, wobei eine Zurechenbarkeit einer Verletzungshandlung dem Staat gegenüberausreicht. 2405)(2) Hinreichende Qualifizierung <strong>des</strong> Verstoßes. 2406)Dies ist bei Offenkundigkeit und Erheblichkeit eines Verstoßes gegeben, etwawenn gegen eine vorhandene EuGH-Rechtsprechung verstoßen wird oder einMitgliedstaat ein ihm eingeräumtes Ermessen offenkundig und erheblich überschreitet.2407) Bei legislativem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht müssen zusätzlichdie Grenzen der Rechtssetzungsbefugnisse offenkundig und erheblichüberschritten worden sein. 2408) Mit dem BGH 2409) müssen alle Gesichtspunkte <strong>des</strong>Einzelfalles unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der vom EuGHentwickelten Leitlinien, berücksichtigt werden, insbesondere folgen<strong>des</strong>:- Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift;- wurde der Verstoß oder Schaden vorsätzlich begangen/zugefügt;- ist ein Rechtsirrtum entschuldbar oder nicht;- hat das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen, daß nationaleMaßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführtoder aufrecht erhalten wurden. 2410)2402)2403)2404)2405)2406)2407)2408)2409)2410)BFH 30.07.2010 – VII B 217/08, BFH/NV 2011, 577 Rdn. 6BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rdn. 12; Cole/Haus JuS 2003, 760, 766EuGH 26.01.2010 – Rs. C-118/08 (Transportes Urbanos), EWS 2010, 87 Rdn. 30; BGH24.11.2005 – III ZR 04/05, DStR 2006, 1424, 2425Kremer NJW 2004, 480, 481EuGH 26.01.2010 – Rs. C-118/08 (Transportes Urbanos), EWS 2010, 87 Rdn. 30; BGH24.11.2005 – III ZR 04/05, DStR 2006, 1424, 2425; BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW2009, 2534 Rdn. 22; Kremer NJW 2004, 480, 481EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996,I-1029 Rdn. 38; Dürr EuZW 2012, 86, 87BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rdn. 22BGH 22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rdn. 22Dürr EuZW 2012, 86, 88


- 394 - 3941469147014711472In diesem Zusammenhang ist bei Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßeszusätzlich zu prüfen, ob es für den Verstoß nicht Rechtfertigungsgründegeben kann. 2411) Nationale Maßnahmen, die europäische Grundfreiheiten behindernoder weniger attraktiv machen, können unter folgenden Voraussetzungenzulässig sein: sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewendet werden; sie müssen zwingenden Gründen <strong>des</strong> Gemeinwohls entsprechen; sie müssen zur Erreichung <strong>des</strong> verfolgten Ziels geeignet sein; 2412) sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlichist (Verhältnismäßigkeit). 2413)Dabei müssen aber alle aus dem nationalen Recht abgeleiteten Rechtfertigungsgründeauch den Voraussetzungen der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte entsprechen.2414)Folglich kann ein hinreichend qualifierter Verstoß in folgenden Fällen gerechtfertigtsein:1. Sonderregelung für Ausländer aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheitoder Gesundheit. Der Schutz wirtschaftlicher Interessen fällt nicht unterden Begriff der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit. 2415)2. Keine Berufung auf Gemeinschaftsrecht bei mißbräuchlicher oder betrügerischemsich Berufen darauf. 2416) Die Wahrnehmung der Möglichkeiten <strong>des</strong>Gemeinschaftsrechts zum eigenen Nutzen ist kein Mißbrauch. 2417) Mitgliedstaatenhaben das Recht, Abhilfe gegen und Schutz vor Missbrauch zu ergreifen,wenn konkrete Anhaltspunkte dazu im Einzelfall gegeben sind; abstrakteWertungen aufgrund eines Gesetzes reichen nicht. 2418)2411)2412)2413)2414)2415)2416)2417)2418)EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 67; BGH22.01.2009 – III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rdn. 19EuGH 13.11.2003 – Rs. C-42/02 (Lindmann), Slg. 2003, I-13519 Rdn. 25; EuGH 15.05.2008 –Rs. C-414/06 (Lidl), EuZW 2008, 402 Rdn. 27EuGH 31.03.1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rdn. 32; EuGH 30.11.1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rdn. 37; EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg.1999, I-1459 Rdn. 34; EuGH 26.11.2002 – Rs. C-100/01 (Oteiza Olazabal), Slg. 2002, I-10981;EuGH 13.11.2003 – Rs. C-42/02 (Lindmann), Slg. 2003, I-13519 Rdn. 25; EuGH 12.01.2006 –Rs. C-504/04 (Agrarproduktion Staebelow), Slg. 2006, I-679 Rdn. 35; EuGH 08.05.2008 – Rs. C-491/06 (Danske Svineproducenter), EuZW 2008, 411 Rdn. 31; EuGH 15.05.2008 – Rs. C-414/06(Lidl), EuZW 2008, 402 Rdn. 27Zorn/Twadosz DStR 2007, 2185,2187EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 34EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 24.EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 27EuGH 10.07.1986 – Rs. C-79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375Rdn. 17; EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 24.


- 395 - 395147314741475147614773. Zwingende Gründe <strong>des</strong> Gemeinwohls. Dazu kann der Schutz von Gläubigerinteressengehören. 2419) Dazu kann aber unter engen Voraussetzungen auchgehören, die Kohärenz <strong>des</strong> nationalen Steuersystems zu erhalten. 2420) Die Niederlassungsfreiheit(Art. 43 EG) kann nur aus Gründen <strong>des</strong> Allgemeininteresseseingeschränkt werden. 2421)(3) Kausalzusammenhang. 2422)Zwischen dem Verstoß und dem Schaden muß ein unmittelbarer Kausalzusammenhangbestehen. 2423)(4) Äquivalenzgrundsatz 2424)Die Haftungsvoraussetzungen eines gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchsdürfen von nationalen Gerichten von keinen strengeren Voraussetzungen abhängiggemacht werden, als bei einem vergleichbaren und nach nationalem Recht zubeurteilenden Haftungsfall gegeben wäre (Äquivalenzgrundsatz). Bei der Anwendungsämtlicher Rechtsbehelfe darf mithin nicht danach unterschieden werden,ob es sich um einen Verstoß gegen Unionsrecht oder nationales Recht handelt.2425) Und beim Verstoß gegen Unionsrecht darf nicht darauf abgestellt werden,daß der Verstoß zuvor durch eine Entscheidung <strong>des</strong> EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahrenfestgestellt wurde. 2426)(5) EffektivitätsgrundsatzFerner müssen die Verfahrensregeln so ausgestaltet sein, dass die Geltendmachung<strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs nicht übermäßig erschwertwird (Effektivitätsgrundsatz). 2427)Offen ist, ob diese vorgenannten Voraussetzungen, wie sie der EuGH für einen Verstoßder Legislativen postuliert hat, auch bei Verstößen der Iudicativen gefordert werden.Kremer 2428) meint, da der EuGH in der Rechtssache Köbler darauf nicht eingegangensei, komme es bei Verstößen der Iudicativen auf die Kummulation aller vor-2419)2420)2421)2422)2423)2424)2425)2426)2427)2428)EuGH 09.03.1999 -–Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rdn. 32 ff.Iüngst: EuGH 18.09.2003 – Rs. C-168/01 (Bosal), Slg. 2003, I-9409 Rdn. 29. Weniger strengEuGH 07.09.2004 – Rs. C-319/02 (Manninen), slg. 2004, I-7477 Rdn. 45, wo er nicht mehr aufder Identität <strong>des</strong> Steuerpflichtigen besteht. Ferner Darstellung m.w.N. bei Albath/WunderlichEWS 2006, 205, 206 f.EuGH 15.05.2008 – Rs. C-414/06 (Lidl), EuZW 2008, 402 Rdn. 27EuGH 26.01.2010 – Rs. C-118/08 (Transportes Urbanos), EWS 2010, 87 Rdn. 30; BGH24.11.2005 – III ZR 04/05, DStR 2006, 1424, 2425EuGH 05.03.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pecheur und Factortame), Slg. 1996,I-1029 Rdn. 51EuGH 26.01.2010 – Rs. C-118/08 (Transportes Urbanos), EWS 2010, 87 Rdn. 33EuGH 26.01.2010 – Rs. C-118/08 (Transportes Urbanos), EWS 2010, 87 Rdn. 33 m.w.N.EuGH 26.01.2010 – Rs. C-118/08 (Transportes Urbanos), EWS 2010, 87 Rdn. 38 m.w.N.EuGH 04.09.2000 – Rs. C-424/97 (Haim II), Slg. 2000, I-5123 Rdn. 32; Cole/Haus JuS 2003,760, 767Kremer NJW 2004, 480, 482


- 396 - 3961478genannten Voraussetzungen nicht nicht an. Der Prozessanwalt sollte sich darauf nichtverlassen, sondern vorsichtshalber alle vorgenannten Voraussetzungen begründen.Indem der EuGH sich für den Fall eines Staatshaftungsanspruches wegen Verstoßesder Iudicativen gegen Gemeinschaftsrecht der Meinung der Bun<strong>des</strong>republik Deutschlandnicht angeschlossen hat, eine solche nur anzunehmen, wenn die Nichtanwendungvon Gemeinschaftsrecht „objektiv unvertretbar“ bzw. ein „subjektiv vorsätzlicherVerstoß“ sei, 2429) bedürfen solche Erwägungen keiner schriftsätzlichen auseinandersetzung.Wohl aber sind Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot und den Effektivitätsgrundsatzanzusprechen. 2430)147914806. KausalitätAuch hier wird man zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllendenKausalität unterscheiden müssen. Erstere bezieht sich auf die Kausalität zwischenVerstoß und darzulegender Pflichtverletzung <strong>des</strong> Mitgliedstaates bzw. eines seinerInstitutionen, letzteres auf die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden.Die Kausalität festzustellen, ist Sache <strong>des</strong> nationalen Gerichts. 2431)1481148214837. Beklagte(r)Das Handeln eines Beamten ist dem Staat dann zurechenbar, wenn aufgrund der Umstände<strong>des</strong> Einzelfalles bei dem Adressaten der Eindruck entsteht, daß es sich um einamtliches tun/Unterlassen handelt, der Beamte folglich mit Amtsautorität handelt .2432)Ob neben dem Mitgliedstaat auch der Beamte persönlich haftet, hat der EuGH wiefolgt beantwortet:Der Mitgliedstaat habe bei Vorliegen der Voraussetzungen eines gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruches den verursachten Schaden im Rahmen <strong>des</strong> nationalenHaftungsrechts zu beheben. Dabei dürfen aber die„im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellenVoraussetzungen in einem solchen Kontext nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen,die nur nationales Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie eine Entschädigungpraktisch unmöglich machen oder übermäßig erschwerden.“ 2433)Folglich dürfe ein Mitgliedstaat beim gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchkeine zusätzlichen mitgliedstaatlichen Voraussetzungen verlangen, die eineangemessene effektive Entschädigung bzw. Schadensersatz erschweren. 2434) Folglich2429)2430)2431)2432)2433)2434)Kremer NJW 2004, 480, 482Kremer NJW 2004, 480, 482EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 83EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 66; Dörr EuZW2012, 86EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 89 u.H.a. EuGH19.11.1991 – Rs. C-06/90 und 09/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5257 Rdn. 42 und 43EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 90, 94


- 397 - 3971484sei es mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar, wenn etwa nach nationalem Rechtder Ersatz entgangenen Gewinns ausgeschlossen würde. 2435)Ob der Beamte neben dem Mitgliedstaat haftet, ist nicht eine Frage der Voraussetzungen<strong>des</strong> gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches. Dies kann sich folglichnach nationalem Recht richten. Verlangt dies eine persönliche Haftung neben der <strong>des</strong>Mitgliedstataates nicht, so verstößt dies mit dem EuGH nicht gegen das Gemeinschaftsrecht.2436)14851486148714888. VerjährungDer gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch verjährt nach den §§ 195 ff. BGBn.F.. 2437) Im Rahmen eines Vorlageverfahrens zum EuGH bat der BGH 2438) um Klärungder Frage, ob ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch so lange nichtverjähren dürfe, so lange beim EuGH in einer entsprechenden Angelegenheit noch einVertragsverletzungsverfahren anhängig sei bzw. der Beginn einer Verjährungsfristnicht vor dem Zeitpunkt der Umsetzung einer Richtlinie gegeben sein könne. 2439) Inzwischenhat der EuGH 2440) dazu entschieden, dies allerdings zu § 852 Abs. 1 BGBa.F., der sich von den nunmehr geltenden §§ 195, 199 BGB dadurch unterschied, daßdamals Kenntnis vom Schaden und nunmehr u.a. Kenntnis von den anspruchsbegründendenUmständen gefordert wird:- Die nationale Verjährungsfrist von 3 Jahren (damals <strong>des</strong> § 852 Abs. 1 BGB a.F.)bezeichnet der EuGH als angemessen. 2441) Dies dürfte damit auch für die nunmehrgeltenden §§ 195, 199 BGB gelten. 2442)- Ein Anspruchsteller muß mit dem EuGH bezüglich der Geltendmachung einesEU-gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs nicht ein den Gemeinschaftsrechtsverstoßfeststellen<strong>des</strong> Urteil abwarten, muß also nicht zuvor auf einUrteil eines Vertragsverletzungsverfahrens abwarten, das von der EU-Kommissioneingeleitet wurde. 2443)2435)2436)2437)2438)2439)2440)2441)2442)2443)EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 95EuGH 17.04.2007 – Rs. C-470/03 (A.G.M.-COS.MET), EWS 2007, 228 Rdn. 99. Zur Haftungseinschränkungbei Richtern nach deutschem Recht siehe Dörr EuZW 2012, 86.BGH 12.10.2006 – III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362, Rdn. 19. Nach BGH (aaO Rdn. 23 m.w.N.)verjähren gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsansprüche aus der Zeit vor dem 31.12.2001 nach§ 852 Abs. 1 BGB a.F. – Ferner de Weerth DStR 2008, 1669, 1671; Dörr WM 2010, 961, 967;Dörr EuZW 2012, 86, 90. - Nach BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, Rdn. 39 sind Verjährungsfristendurch eingelegten Einspruch gehemmt bis zur Bestandskraft der Einspruchsentscheidung bzw.bis zur Rechtskraft der finanzgerichtlichen Entscheidung. Daran ändert der Umstand nichts, daßder Bescheid gemäß § 164 Abs. 1 AO ergangen war.BGH 12.10.2006 – III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362, Rdn. 32BGH 12.10.2006 – III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362, Rdn. 46EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 32de Weerth DStR 2009, 707, 708EuGH 24.03.2009 – Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), DStR 2009, 703 Rdn. 39


- 398 - 398So lange fachgerichtlicher Primärrechtsschutz bzw. zuvor ein gebotenes Widerspruchsverfahrenin Anspruch genommen wird, sind Ansprüche aus gemeinschaftsrechtlichemStaatshaftungsanspruch verjährungsmäßig gehemmt (§§ 204 Abs. 1 Nr. 1,209 BGB). 2444)14891490XXI.Elektronische Verfahren1. Elektronisches EinspruchsverfahrenEin Einspruch gegen einen belastenden Steuerbescheid kann auch per e-mail eingelegtwerden. Dies folgt aus § 87a Abs. 1 Satz 1 AO, wenn das FA als Empfänger dafüreinen Zugang eröffnet hat. Dies ist der Fall, wenn z.B. das FA in der Fußzeile seinerBriefbögen seine e-mail-Anschrift angegeben hat. 2445) Und aufgrund § 87a Abs. 3 Satz1 AO kann die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden. Ein per e-mail eingelegter Einspruch bedarf jedoch entgegen § 87a Abs. 3 Satz 2 AO keinerelektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz, weil insoweit § 357 Abs. 1 Satz 2AO einschlägig ist. 2446) Ausreichend ist, daß aus dem per e-mail eingelegten Einspruchhervorgeht, wer den Einspruch eingelgt hat. Über diese Möglichkeit der Einspruchseinlegungmuß in der Rechtsmittelbelehrung belehrt werden. 2447)E-mails sind keine Unterform der Schriftform sondern elektronische Dokumente. 2448)149114922. Elektronisches GerichtsverfahrenDokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, bedürfengemäß § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO der qualifizierten elektronischen Signatur nach§ 2 Abs. 3 Signaturgesetz (SiG).Neben der elektronischen Signatur kann auch ein anderes sicheres Verfahren zugelassenwerden (§ 52a Abs. 1 Satz 4 FGO), wozu auch das EGVP-Verfahren gezähltwird. 2449) Folglich kann z.B. eine Erledigungserklärung gegenüber dem Gericht imEGVP-Verfahren vorgenommen werden. 2450) Inzwischen hat der BFH 2451) entschieden,daß auch eine Nichtzulassungsbeschwer<strong>des</strong>chrift über das EGVP beim BFH eingereichtwerden könne, ohne daß dazu eine qualifizierte elektronische Signatur verwendetwerden müsse; denn der in § 52a Abs. 1 Satz 13 FGO angesprochene Verordnungsgeberhabe bisher die dort geregelten Vorgaben noch nicht umgesetzt.2444)2445)2446)2447)2448)2449)2450)2451)BGH 12.05.2011 – III ZR 59/10, Rdn. 39, 55 f.; Dörr WM 2010, 961, 967FG Niedersachsen 24.11.2011 – 10 K 275/11, EFG 2012, 292, 293FG Niedersachsen 24.11.2011 – 10 K 275/11, EFG 2012, 292, 293FG Niedersachsen 24.11.2011 – 10 K 275/11, EFG 2012, 292, 293 - 294; a.A. BFH 02.02.2010 –III B 20/09, BFH/NV 2010, 830BFH 26.07.2011 – VII R 30/10, BFH/NV 2011, 1967; FG Niedersachsen 24.11.2011 – 10 K275/11, EFG 2012, 292, 293Wendt BFH/PR 2009, 316, 317BFH 19.02.2009 – IV R 97/06, BStBl. II 2009, 542BFH 30.03.2009 – II B 168/08, BStBl. II 2009, 670, 671


- 399 - 39914931494In seiner Entscheidung vom 26.07.2011 hat der BFH 2452) erneut iudiziert, daß die Regelungin § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO, wonach die dort genannten Dokumente eine elektronischeSignatur vorschreiben, eine Vorgabe für den Verordnungsgeber sei. Davonhabe das Land Hamburg Gebrauch gemacht. 2453) Es sei daher nicht zu beanstanden,daß das FG eine Klage als unzulässig erachtet habe, die ohne qualifizierte Signatur pere-mail übermittelt worden sei. 2454)Für NRW hat das FG Düsseldorf 2455) entschieden, daß sogar Klagerhebungen per e-mail mit angehängter Textdatei zulässig seien. Aufgrund der am 01.01.2006 in Kraftgetretenen ERVVO sehe deren § 2 Abs. 2 Satz 1, vor, dass elektronische Dokumenteentweder über den elektronischen Gerichtsbriefkasten oder als mail eingereicht werdenkönnen. Im letzteren Fall seien dieser mail gemäß § 4 Abs. 1 ERRVO ein Dateianhangbeizufügen und bei<strong>des</strong> an die e-mail-Adressen der Poststellen mittels <strong>des</strong> ProtokollsSMTP zu übermitteln.2452)2453)2454)2455)BFH 26.07.2011 – VII R 30/10, BStBl. II 2011, 925 Rdn. 22BFH 26.07.2011 – VII R 30/10, BStBl. II 2011, 925 Rdn. 23BFH 26.07.2011 – VII R 30/10, BStBl. II 2011, 925 Rdn. 26FG Düsseldorf 09.07.2009 – 16 K 572/09 E, (Juris)


- 400 - 400LiteraturverzeichnisAlbin, Das Subsidiaritätsprinzip in der EU, NVwZ 2006, 629Albrecht/Lustig, Amtshaftung bei unterlassener Anpassung eines Folgebescheids,DStR 2008, 409Bäcker, Darlegungs- und Beweislast im Rahmen <strong>des</strong> § 361 AO, ZSteu 2005, 196Bäcker, Altes und Neues zum EuGH als gesetzlichem Richter, NJW 2011, 270Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht – AO, FGO, Nebengesetze, Losebl. Stand12/2001Beermann, Neugestaltung der Revisionszulassung nach der FGO, DStZ 2001, 155Beermann, Neugestaltung der Revisionszulassungsgründe und „Einzelfallgerechtigkeit“durch „Beseitigung von Fehlurteilen“, DStR 2005, 450Benda, die Bindungswirkung von entscheidungen <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs fürMenschenenrechte, AnwBl 2005, 602Benda/Klein, Lehrbuch <strong>des</strong> Verfassungsprozessrechts, 1991Bergan/Martin, Allgemeinverfügung und Teileinspruchsentscheidung – die Wunderwaffeder Finanzverwaltung im Kampf gegen Massenrechtsbehelfe ? DStR 2007,1384Bilsdorfer, Der Rechtsanwalt und die mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht,NJW 2001, 331Bilsdorfer, Das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung, BB 2002,753Bilsdorfer, Die Entwicklung <strong>des</strong> Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrechts,NJW 2003, 2281Breuer, Urteile mitgliedstaatlicher Gerichte als möglicher Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrensgem. Art. 226 EG ? EuZW 2004, 199Britz, Bedeutung der EMRK für nationale Verwaltungsgerichte und Behörden, NVwZ2004, 173Britz, Verfassungsrechtliche Effektuierung <strong>des</strong> Vorabentscheidungsverfahrens, NJW2012, 1313Britz/Richter, Die Aufhebung eines gemeinschaftswidrigen nicht begünstigendenVerwaltungsakts, JuS 2005, 198Brüning, Staatshaftung bei überlanger Verfahrensdauer, NJW 2007, 1094Buchheister, Verfassungsbeschwerde und Gegenvorstellung, NVwZ 2000, 1356Busse, Die Geltung der EMRK für Rechtsakte der EU, NJW 2000, 1074Callies, Der EuGH als gesetzlicher Richter im Sinne <strong>des</strong> Grundgesetzes, NJW 2013,1905von Coelln, Anwendung von Bun<strong>des</strong>recht nach Maßgabe der Lan<strong>des</strong>grundrechte?2000Cordewener, Deutsche Unternehmensbesteuerung und europäische Grundfreiheiten –Grundzüge <strong>des</strong> materiellen und formellen Rechtsschutzsystems, DStR 2004, 6Cremer, Individualrechtsschutz gegen Richtlinien, EuZW 2001, 453Cremer, Rechtfertigung legislativer Eingriffe in Grundrechte <strong>des</strong> Grundgesetzes undGrundfreiheiten <strong>des</strong> EG-Vertrages nach Maßgabe objektiver Zwecke, NVwZ 2004,668Dörr, Neues zum unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, WM 2010, 961Dörr, Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch in Deutschland zwanzig Jahrenach Francovich, EuZW 2012, 86


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- 402 - 402Huber, Auslegung und Anwendung der Charta der Grundrechte, NJW 2011, 2385Hummel, Maßgeblicher Zeitpunkt der Beendigung <strong>des</strong> verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzesbei rückwirkenden Gesetzen, DStR 2003, 1Hummer/Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze“ der EU, EuZW 2000,485Intemann, Ausgewählte Probleme der Teileinspruchsentscheidung, DB 2008, 1005Isensee/Kirchhof, Handbuch <strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. V, Allgemeine Grundrechtslehre,1992Isensee/Kirchhof, Handbuch <strong>des</strong> Staatsrechts, Bd. VI Freiheitsrechte, 1989Jahn, Europarichter überziehen ihre Kompetenz, NJW 2008, 1788Jannasch, Einwirkungen <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechts auf den vorläufigen Rechtsschutz,NVwZ 1999, 495Janz/Rademacher, Die Last der Begründung – Nachschieben von Gründen und Untersuchungsgrundsatzim Verfassungsprozess, NVwZ 2004, 186Jarass, Bedeutung der EU-Rechtsschutzgewährleistung für nationale und EU-Gerichte, NJW 2011, 1393Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010Jarass/Pieroth, GG, Grundgesetz für die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, 6. Aufl. 2002Jebens, Ist die Unsitte, Gesetzesreparaturen als rückgreifende Klarstellung zu deklarieren,mit dem Bestimmtheitsgebot zu vereinbaren ? DB 2005, 1240Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, 2. Aufl. 2002Kaligin, Taktik bei streitbefangenen Steuernachforderungen, ZSteu 2012, 151Karpenstein/Eckart, Neue Verfahrensordnung vor dem EuGH: Änderungen für dieanwaltliche Praxis, AnwBl 2013, 249Klein/Sennekamp, Aktuelle Zulässigkeitsprobleme der Verfassungsbeschwerde, NJW2007, 945Kenntner, Das BVerfG als subsidiärer Superrevisor ? NJW 2005, 785Kerath, Kostentragung durch den Kläger bei nicht gewahrter Ausschlussfrist im Vorverfahren?BB 2003, 937Kilian/Schwerdtfeger, Amtshaftung und Einspruchsverfahren, DStR 2006, 1773Kirchhof, Rückwirkung von Steuergesetzen, StuW 2000, 221F. Kirchhof, Grundrechtsschutz durch europäische und nationale Gerichte, NJW2011, 3681Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, 2001Kohlmann, Steuerstrafrecht, 29. Lifrg. 11/2001Kokott/Henze, Die Beschränkung der zeitlichen Wirkung von EuGH-Urteilen in Steuersachen,NJW 2006, 177Kremer, Staatshaftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht durch letztinstanzlicheGerichte, NJW 2004, 480Kube, Verfassungsbeschwerde gegen Gemeinschaftsrecht und Vorlagepflicht <strong>des</strong>BVerwG nach Art. 234 III EGV – BVerfG NJW 2001, 1267, JuS 2001, 858Landry, Steuerrechtsschutz unter europarechtlichen Aspekten, Festschrift 50 JahreArbeitsgemeinschaft Fachanwälte für Steuerrecht e.V., 1999, Seite 577Lange, Neuregelung <strong>des</strong> Zugangs zum BFH – Das Zweite FGO-Änderungsgesetz,NJW 2001, 1098Lange, Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, DB 2001,2312


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- 405 - 405Schoenfeld, Klageeinreichung in elektronischer Form, DB 2002, 1629Schoenfeld, Das finanzgerichtliche Verfahren – Verbesserungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten,DB 2004, 2287Schoenfeld, Die Anhörungsrüge nach § 133a FGO – Voraussetzungen und Stellungim System der außerordentlichen Rechtsbehelfe, DB 2005, 850Schroeder, Die Auslegung <strong>des</strong> EU-Rechts, JuS 2004, 180Schroeder, Neues zur Grundrechtskontrolle in der Europäischen Union, EuZW 2011,462Schütz, Der EuGH und die deutsche Steuerbilanz, DB 2003, 688Schwarze, Der Schutz der Grundrechte durch den EuGH, NJW 2005, 3459Schwedhelm, Strafrechtliche Risiken steuerlicher Beratung, DStR 2006, 1017Seer/Thulfaut, Die neue Anhörungsrüge als außerordentlicher Rechtsbehelf, BB2005, 1085Sensburg, Staatshaftung für iudikatives Unrecht, NVwZ 2004, 179Siemers/Waldens/Dimova, Hat der Vorlagebeschluss <strong>des</strong> BFH zur Verfassungsmäßigkeit<strong>des</strong> ErbStG Ankündigungseffekte? BB 2003, 611Spindler, Vertrauensschutz im Steuerrecht, DStR 2001, 725Spindler, Das 2. FGO-Änderungsgesetz, DB 2001, 51Spindler, Die Neuregelung <strong>des</strong> Vertretungsrechts im finanzgerichtlichen Verfahren,DM 2008, 1283Steiner, Der Richter als Ersatzgesetzgeber, NJW 2001, 2919Streck, Der Steuerstreit, 2 Aufl. 1994Streck, Die anwaltliche Sicht <strong>des</strong> Steuerprozesses, NJW 2001, 1541Suhrbier-Hahn, Die Reform der Finanzgerichtsordnung zum 01.01.2001, DStR 2001,467Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, Losebl. Stand 11/2001Tiedtke/Mohr, Die Grundfreiheiten als zulässiger Maßstab für die direkten Steuern,EuZW 2008, 424Urban, Zulässigkeit der Klage nach richterlichem Ermessen? DStZ 2001, 801Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz– ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen? NJW 2001, 1827Voßkuhle, Bruch mit dem Dogma: die Verfassung garantiert Rechtsschutz gegen denRichter, NJW 2003, 2193K.-R. <strong>Wagner</strong>, Amtshaftung bei fehlerhaften Steuerbescheiden, StB 1993, 324K.-R. <strong>Wagner</strong>, Überlange Verfahrensdauer – Zu den „Mißverständnissen“ in derRechtsprechung <strong>des</strong> BFH, DStR 1996, 1273K.-R. <strong>Wagner</strong>, „Überseering“ und Folgen für das Steuerrecht, GmbHR 2003, 684K.-R. <strong>Wagner</strong>, Irrungen und Wirrungen aufgrund <strong>des</strong> Bauherren- und Fondserlassesvom 20.10.2003, ZSteu 2004, 30K.-R. <strong>Wagner</strong>, Der Finanzgerichtsprozess – Umgang mit EU-Gemeinschaftsrecht,ZSteu 2004, 168K.-R. <strong>Wagner</strong>, Zinsen nach rechtswidrigem Verwaltungshandeln, ZSteu 2006, 384K.-R. <strong>Wagner</strong>, Haftungs- und entschädigungsrechtliche Folgen bei überlanger Verfahrensdauer,ZSteu 2007, 186K.-R. <strong>Wagner</strong>, Zur neueren Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG und BGH betreffend Art.103 Abs. 1 GG, BauR 2009, 1375


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