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Ausgabe 01/13 - Wirtschaftsjournal

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LeseeckeDie Stunde der DilettantenMichael Sitte-Zöllner von der Agentur WortReich hat Thomas Rietzschels Anklage unserer Gesellschaft gelesenThomas Rietzschel.Foto: Zsolnay Verlag/Heribert Corn,www.corn.atThomas RietzschelDie Stunde der Dilettanten – Wiewir uns verschaukeln lassenZsolnay Verlag, Wien256 S., 17,90 EuroSo wie früher die Könner verehrt wurden, werdenheute jene bewundert, die etwas nicht können undes trotzdem tun.„Dilettant heißt der kuriose Mann.Der findet sein Vergnügen daran,Etwas zu machen, was er nicht kann."So dichtete Paul Heyse am Ende des 19. Jahrhunderts. DasWort „Dilettant" stammt aus dem Lateinischen delectare– „sich erfreuen". Allerdings führt dies, wenn also dieSelbstverwirklichung im Mittelpunkt der Bemühungen steht,für andere oft zu unerfreulichen Resultaten. Die Spekulationender Banker, die Rettungsschirme, die die Regierendeneinen nach dem anderen aufspannen, oder die Reformenin der Bildungs- und der Gesundheitspolitik, die sicham laufenden Band ad absurdum führen – alles scheint dasWerk ahnungsloser Selbstdarsteller zu sein. Niemand durchschautmehr die Mechanismen, auf die wir uns Tag für Tagverlassen müssen. Gibt es sie überhaupt noch, die Experten,denen wir uns guten Gewissens anvertrauen dürfen,oder werden wir in Wahrheit von Dilettanten gelenkt, dieunwissend genug sind, anzupacken, wovon der Fachmanndie Finger lässt? Thomas Rietzschel nennt viele Beispieleder Peinlichkeiten und Banalitäten, die wir erdulden müssen.Er schreckt in diesem Zusammenhang nicht vorNennung Prominenter, ob diese nun Angela Merkel, Karl-Theodor zu Guttenberg, Wendelin Wiedeking, ThomasMiddelhoff, Günther Jauch oder Ursula von der Leyen heißen,zurück. Denn in der Politik ist…„das niedrigste Niveau zu einer politischen Plattform geworden,auf der sich die aktiven, das heißt, die gerissenen, mitden passiven Dilettanten im Reigen der Illusionen wiegen."*„Je weniger wir Herr der Dinge sind, desto mehr haben wirgelernt, den Anschein zu erwecken."Auf der Suche nach dem Ursprung des heutigen Hangs zurSelbstdarstellung stößt er auf die Reformbewegung zuBeginn des 20.Jahrhunderts. „Jeder Mensch ist ein Künstler",so die Botschaft von Ida Hofmann. Die Malerin siedeltesich seinerzeit zusammen mit anderen Aussteigernauf dem Monte Verità in der Nähe von Ascona, am LagoMaggiore an, um sich von selbst angebauten Produkten zuernähren und anders zu leben. Zu den Besuchern der Koloniezählten auch Hermann Hesse und Lenin. Voller Spottsprach Hans Arp von „einer Herde schafblöder Naturmenschen".Heute sieht der 1951 nahe bei Dresden geborene ehemaligeKulturkorrespondent der F.AZ., Thomas Rietzschel, denMangel an kultureller Bildung (Zitat Klaus Wowereit: „Kulturist für mich, wenn die Kinder auf der Bühne stehen unddie Mütter die Kostüme nähen.") als ausschlaggebend fürVerwahrlosung der Sitten, der Sprache („Potenzierung sprachlichenUnvermögens"), die Auswüchse der Spaßgesellschaft,in der Einbildung allemal wichtiger ist als Bildung, an.„Dilettantismus … endgültig zur Weltanschauung einerPopkultur geworden (ist), in der jedermann die Chancebekommt mit Erfolg zu versagen."… „Die Dilettanten sinddie Heroen unserer Tage, die Helden einer leistungsmüdenGesellschaft. Nicht nur auf der Showbühne, in der Arenavon Thomas Gottschalk, wo sie für die perfektionierte Darbietungdes Sinnlosen bejubelt wurden, haben sie ihr Publikumgefunden. Auch auf den Finanzmärkten konnten sieerfolgreich versagen, indem sie uns faule Kredite als sichereGeldanlage verkauften. Nicht zu reden von der Politik,in der sie uns Lüge als alternativlose Lösung anbieten."In der Rückkehr zum klassischen Bildungskanon im SinneWilhelm von Humboldts „Moral braucht Bildung", siehtRietzschel einen Weg aus der Sackgasse.Henryk M. Broder würdigte den Autor in der Zeitung„DIE WELT" folgendermaßen: „Rietzschel ist ein bekennenderKonservativer. Das ist heute eine geradezu anti -autoritäre Haltung inmitten einer Gesellschaft, die vonGleichstellungbeauftragten und Quotenpriestern dominiertwird, in der das Bekenntnis zur Klimakatastrophe den Glaubenan Gott ersetzt hat, in der eine vom Staat garantierteund subventionierte Gleichheit immer höher geschätzt wirdals eine risikobelastete individuelle Freiheit. Man muss mitRietzschel nicht immer einer Meinung sein, um sich überdie rabiate Intervention eines Citoyen zu freuen, der den„moralischen Lebensstandard einer humanistisch aufgeklärtenbürgerlichen Gesellschaft" für ebenso wichtig hältwie den materiellen. Und der nicht von Dilettanten „durchregiert"werden möchte, die nur noch das vertreten, „wassie im Moment gerade erfassen können", sei es die plötzlicheEnergiewende oder die Reform der Pendlerpauschale.Noch vor zehn Jahren wäre Rietzschel ein verspäteterTraditionalist gewesen, der verloren gegangenen Wertennachtrauert. Heute ist er ein renitenter Einzelgänger, demGleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.So ändern uns die Zeiten."* Zitate aus dem Buch<strong>Wirtschaftsjournal</strong> | Januar 2<strong>01</strong>367

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