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Download program - Münchner Philharmoniker

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16PhilharmonischeBlätterAuftaktKlassik für alleDie Kolumne von Elke HeidenreichIch habe gerade in einerneuen Übersetzung dasvor mehr als fünfzig Jahrengeschriebene Buch„Clockwork Orange“ vonAnthony Burgess gelesen,das 1971 spektakulär vonStanley Kubrick verfilmt wurde. Darin geht es um Alex,Mitglied einer grausamen Jugendgang, die raubt,vergewaltigt, mordet. Das Erschreckendste an allemist für mich: um sich in Stimmung dafür zu bringen,hört Alex klassische Musik, vor allem Beethoven undBach, und während er auf seinem Bett liegt und dieseMusik hört, stellt er sich vor, wie er jemanden zudiesen Klängen rhythmisch zusammenschlägt, unddas verschafft ihm Lust und Befriedigung.Ausgerechnet Musik, von der ich immer denke, dasssie den Menschen zum Menschen macht, ihn sozialisiert,seine Seele öffnet – bei Alex erreicht siedas Gegenteil. Und es kommt noch schlimmer: alsAlex ins Gefängnis kommt, wird er Teil eines brutalenUmerziehungs<strong>program</strong>ms: man zwingt ihn, grauenhafteFolterfilme anzusehen, die alle mit schönsterklassischer Musik unterlegt sind. Am Ende istAlex von Gewaltphantasien geheilt, es wird ihmaber auch jedes Mal total schlecht, wenn er klassischeMusik hört. Das eine konditioniert das andere.„Musik, „ schreibt Burgess in einem Kommentarzu seinem Roman, „die ein neutrales Paradiessein sollte, ist für ihn zur Hölle geworden.“Was für eine infame Idee. Alex ist böse, aber einStaat, der einen Menschen so umerzieht, dass ernicht mehr die freie Wahl des Handels hat, istauch böse. Die Musik hat Alex ja nicht zu demgemacht, was er war – er selbst hat sie benutztals Ansporn zu seinen gewalttätigen Träumenund Taten. Es hätte ihn ja nichts daran gehindert,diese Musik einfach nur zu genießen. Das bedeutet:die Dinge – auch die der Kunst – sind nichtmehr und nicht weniger als das, was wir von ihnenzulassen. Wenn uns Musik leicht, weich,nachdenklich, melancholisch, durchlässig, sogarglücklich macht – was für ein schöner Effekt.Wenn wir jung sind, funktioniert das noch vielstärker als später, wenn wir über die Strukturender Werke oder die Komponisten schon so vielwissen. Die Nazis haben Wagners und LisztsMusik für ihre Propagandazwecke missbraucht.Sie haben die Musik benutzt, aber die Musik ansich ist unschuldig. Beethovens 9. ist unschuldig,auch wenn Alex dazu seine Mordphantasienaustobt. Das ist weniger schlimm, als einenMenschen so zu konditionieren, dass ihm schlechtwird und er von Gewaltphantasien gequält wird,wenn er Mozarts Jupitersymphonie hört.Das Buch hat mich sehr nachdenklich gemacht.Es hat mir die Musik natürlich nicht verleidet, aberes hat mir gezeigt, wie man das Schönste, dasder Mensch besitzt, missbrauchen und manipulierenkann. Alex ist ein dummer Schläger, aufgewachsenin armseliger Umgebung. Wir habenmehr Chancen als er. Wir, ob jung oder alt, könnendie Musik als das hören, was sie auch seinkann: das rettende Geländer.

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