<strong>12</strong><strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> <strong>12</strong>/19<strong>84</strong>DAS BUCH DESMONATSDer Kreis hat sich geschlossen, dasRad der Geschichte hat sich einmal gedreht:die Wüsten sind nach Arrakis zurückgekehrt,und mit ihnen die Sandwürmer.Am Ende des vierten Bandes – DERGOTTKAISER DES WÜSTENPLA-NETEN – vollzog sich das SchicksalLetos II. – und mit ihm das der ganzenvon Menschen besiedelten Galaxis. Letowar eine Metamorphose eingegangen,die seinen menschlichen Körper immersandwurmähnlicher machte; der Wüstenplanetwar zu einer blühenden Gartenweltgeworden, Sandwürmer lebtennur noch in einem Reservat. Leto warwahrscheinlich der Kwisatz Haderach,ein Mensch, für den Vergangenheit undZukunft eins sind, die Erfüllung desSchicksals des Universums. Er selbstwar es, der sich seinen eigenen JudasIschariot in Form eines Duncan-Idaho-Gholas und einer entfernten Nachfahrin– Siona Atreides – gezogen hatte: obwohler die Zukunft kannte, ließ er eineEntwicklung zu, an deren Ende seinunförmiger Körper zu Hunderten von„Sandforellen“ zerfiel, aus denen späterSandwürmer wurden, die die .Ökologiedes Wüstenplaneten wieder änderten.Arrakis ist erneut zu jener Welt geworden,die wir aus den ersten drei Bändendes Zyklus kennen.Mit dieser Entwicklung war Letos„Goldener Pfad“ eingeleitet – der Weg,durch den die Menschheit schlußendlichin Harmonie mit dem Chaos des Universumsgelangen würde. Siona Atreidesund Duncan der Letzte ( eine falsche Bezeichnung)waren durch keinerlei Wahrsagungeinschätzbar; sie und ihre Nachkommenbeendeten die Möglichkeit desKwisatz Haderach, die Zukunft vorauszusagen;eine Entwicklung der Menschheitsgeschichtewar wieder möglich, diedurch nichts und niemanden vorhergesagtwerden konnte.DIE KETZER DES WÜSTENPLA-NETEN spielt lange, lange Zeit nachdem Zerfallen des Gott-Kaisers in Sandforellen.Rakis – wie der Planet nunheißt – ist wieder mit Wüsten bedeckt,in denen Sandwürmer leben – Würmervon siebzig Metern Länge, an sichgewaltig, aber nur ein schwacher Abklatschdes ursprünglichen Shai-Huludmit ihren vierhundert Metern und mehr.Aus dem Tyrannen Leto II. ist eine Gottheitgeworden – der zerlegte Gott, derenthalten ist in allen Sandwürmern vonFrank HerbertDIE KETZER DES WÜSTEN-PLANETEN(Heretics of Dune)München 19<strong>84</strong>, Heyne 4141, DM <strong>12</strong>,80Deutsch von Ronald M. HahnRakis. Nach seinem Sturz begann dieÄra der Diaspora und der Hungerjahre– die Menschheit brach auf ins All, umneue Planeten zu besiedeln und das Jochder Vorherbestimmung abzuschütteln.Jahrhunderte sind vergangen, doch derSchauplatz der wichtigsten Entwicklungim Imperium ist und bleibt Rakis,der Wüstenplanet: Dort scheint sich eineProphezeiung zu erfüllen, nach der einMädchen – Sheeana – auftauchen wird,das die Sandwürmer beherrschen kann.Nicht geändert haben sich die Strukturen,auf denen Herbert seine Wüstenplanet-Romaneaufbaut. Er schildertdie verschlagenen Intrigen und Machtkämpfeverschiedener Gruppen, die dieHerrschaft über die von den Menschenbesiedelten Planeten unter sich aufteilenund sich dabei nach allen Regelnder Kunst übers Ohr hauen. Waren imersten Band die Hohen Häuser der Atreidesund Harkonnen die hauptsächlichenWidersacher, so intrigieren im vorliegendenfünften Band noch immer die BeneGesserit (die allerdings einen Großteilihrer Macht verloren haben); die Tleilaxu(die Produzenten der Gholas) spieleneine weitere tragende Rolle, ebenso wiedie sog. „Geehrten Matres“, aus . derDiaspora zurückgekehrte Renegatinnen,die sämtliche Männer durch ausgefeilteSexualtechniken beherrschen können.Die eigentliche Handlung ist schnellerzählt: Die Bene Gesserit haben beiden Bene Tleilaxu einen jungen Duncan-Idaho-Ghola bestellt; als sie vonSheeana, dem Mädchen auf dem Wüstenplanetenhören, wollen sie den Gholamit ihr kreuzen. Die Tleilax habendem Ghola jedoch die eine oder andere.Überraschung eingebaut. Unterdessenplanen die Geehrten Matres, Sheeanaund den Ghola zu vernichten. (DasMädchen ist, wie sich herausstellt, garnicht die erwartete Prophetin, die mitGott-Kaiser Leto in der Verkörperungder Sandwürmer Kontakt aufnehmenund sie beherrschen kann; sie reagierteinfach instinktiv – und richtig). NachIrrungen und Wirrungen bekommen dieGeehrten Matres (von den Bene Gesseritverächtlich als Huren bezeichnet) denIdaho-Ghola in ihre Gewalt; dank derGeheimprogramme der Bene Tleilax bekommteine der Huren den Ghola beimGeschlechtsprogramm jedoch nicht unterKontrolle, ganz im Gegenteil: derGhola macht sich die Mater hörig. DieGeehrten Matres vernichten daraufhinden Wüstenplaneten (in dem Sinne,daß während der nächsten Jahrhundertekein Leben mehr auf ihm möglich ist).Der Duncan-IdahoGhola wird den Restseines Lebens als Gefangener an Bordeines Raumschiffes verbringen müssen,eine Hure geht schwanger mit seinemKind, und die Bene Gesserit haben mitHilfe eines Atreides-Nachfahren einenSandwurm von Arrakis entführt, um ihnauf einem Planeten mit ähnlichen Bedingungenanzusiedeln. Worum es sich dabeihandeln könnte, deutet der Titel dessechsten, von Herbert gerade fertiggestelltenBandes im Wüstenplanet-Zyklusan: CHAPTERHOUSE DUNE.Der hier vorliegende fünfte Romanist dem vierten, GOTTKAISER, eindeutigüberlegen; nicht zuletzt aufgrund derTatsache, daß der Wüstenplanet in seinerursprünglichen Ökologie eine tragendeRolle spielt. Herbert entwickelt in dergesamten Saga das breit angelegte Pan-
<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> <strong>12</strong>/19<strong>84</strong> 13orama einer menschlichen Geschichte,die mit ihren ca. 30.000 Jahren, diedurch die Zeitenfolge der Bände belegtsind (wir leben derzeit etwa im Jahr14.200 vor der Gilde; die Handlung desersten Bandes beginnt im Jahr 10.190N.G.), vergleichbare „Zukunftsgeschichten“wie Asimovs FoundationSerie oderauch Perry Rhodan – einmal ganz abgesehenvon literarischen Wertmaßstäben– zumindest in der Weitläufigkeit desGeschehens, wenn auch nicht unbedingtim Detailreichtum, bei weitem übertrifft.Die Versatzstücke, derer sich Herbertzur Erschaffung seines (von Menschenbesiedelten) Universums bedient, sindbestens bekannt: das Römische Imperiumoder Feudalstrukturen des Mittelaltersleben in den einzelnen Romanendeutlich auf. Somit könnte man Herbertruhigen Gewissens als Bluffer abtun,der bewältigte Geschichte unter demMantel technologischen und geistigenFortschritts als <strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> verkauft,wäre da nicht die Ökologie des Wüstenplaneten,die beeindruckende Geschichteeiner in sich stimmigen und logischenWelt, wie sie in der SF kaum ein zweitesMal entwickelt wurde. Es wäre interessantzu klären, ob Herbert von Anfangan „galaktische Geschichte“ schreibenwollte und dabei durch Zufall (oder intelligentesEinschätzungsvermögen) denWüstenplaneten zum Ausgangspunktder Serie gemacht hat, oder ob sich seinStoff aufgrund eben jenes ökologischenHintergrundes so gut verkaufte, daß ereinfach Fortsetzungen folgen lassenmußte – oder, anders gefragt, ob Herbertbei der Niederschrift des ersten Bandesschon das Konzept dieses fünften, desgerade abgeschlossenen sechsten unddes Abschlußbandes ausgearbeitet hatte.Wenngleich dieser fünfte Band besserist als der vorangegangene, so gut wieder erste ist er nicht; dazu fehlt es einfachan interessanten Persönlichkeiten(die hier auftretenden Charaktere sindgrößtenteils Nachkommen der wichtigstenFiguren aus den ersten vier Bänden)und einem übergreifenden Handlungsrahmen(der vielleicht erst mit dem Erscheinendes sechsten Bandes deutlichwird). DIE KETZER DES WÜSTEN-PLANETEN ist vom Schauplatz her einsimpler Abklatsch der ersten Bände, undNachzieher erreichen selten die Qualitätdes Originals, auch wenn sie vom gleichenVerfasser stammen. Der Jahrtausendeüberspannende Handlungsbogenist auch woanders zu suchen: Im erstenBand war Paul Atreides fast jener KwisatzHaderach, den die Bene Gesserit seitJahrzehntausenden heranzüchten wollten,jenes Wesen, für das Zukunft undVergangenheit gleich sind; Leto II. wirddieser Kwisatz Haderach gewesen sein;am Ende seiner dreieinhalb Jahrtausendewährenden Gewaltherrschaft warer mehr Gott als Kaiser und kannte dieZukunft so gut wie die Gegenwart. Sein„Goldener Pfad“ schloß jede Voraussichtaus; Leto II. hätte sämtliche gegen ihnintrigierenden Fraktionen ausschaltenkönnen, doch er beließ ihnen einen Teilihrer Macht – zumindest soviel, wie siebenötigten, um die Rolle zu spielen, diesie in diesem fünften Band innehaben.Leto II. hat die Entwicklung vorausgesehen;die Ereignisse dieses Bandes geschahenletztendlich nicht nur in seinemSinne (wenn auch nur, um der Langeweilezu entgehen und unvorhersagbareDinge geschehen zu lassen), sondernauch aufgrund seines Wunsches, sie eintreffenzu lassen.Somit ist DIE KETZER DES WÜ-STENPLANETEN ein typischer Cliff-Hanger, das Mittelstück eines Gesamtwerkes,das mehr Fragen aufwirft alsklärt (ist das Bewußtsein Letos wirklichin den Sandwürmern inkarniert? Wiesieht die politische Herrschaft des Imperiumszur Zeit dieses Bandes aus? Wannwird der Wüstenplanet wieder bewohnbarsein? Überlebt der entführte Sandwurm?Wird sich Letos „Goldener Pfad“erfüllen? Welchen Sinn haben die hiererzählten Ereignisse im großen Bogendes Zyklus?) Der Roman ist kompetentgeschrieben (Herbert läßt hier wirklichMenschen der Zukunft agieren; das ständigeEinanderabtasten, Belauern, Reflektierenund fast regungslose Taktierenbei Gesprächen ist bei den Erkenntnisfähigkeitendieser Zukunftsmenschennicht nur unabdingbar, sondern auchnatürlich), wenn auch um einige Passagenzu lang(atmig). Aus sich heraus ister schwer einzuschätzen; eigenständigenWert hat er kaum, er ist und bleibt Bruchstückeines größeren Gesamtwerkes, dasmit CHAPTERHOUSE DUNE seineFortsetzung finden wird. Ob dieser Bandden Wüstenplanet-Zyklus beschließt,läßt sich wahrscheinlich nur von einemKwisatz Haderach voraussagen: noch istweder bekannt, ob die Verfilmung ein Erfolgwird (was sich natürlich positiv aufweitere Bände auswirken würde), noch,ob Herbert von einem simplen Planetenausgegangen ist und dann galaktischeGeschichte schrieb, die er nun fast unbegrenztfortsetzen kann, oder ob er vonAnfang an ein Konzept hatte, das einenAbschluß verlangt, will es die einzelnenTeile zu einem Ganzen verbinden, dessenSumme höher zu bewerten ist als dieder Einzelteile.Uwe Anton