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SFT 12/84 - Science Fiction Times

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16<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> <strong>12</strong>/19<strong>84</strong>RezensionenMarlen HaushoferDIE WAND Düsseldorf 1983, Claassen,276 S.Ein Endzeitroman: Die Erzählerin findetsich nach einer nicht näher erklärtenKatastrophe in einer Jagdhütte, umgebenvon der durchsichtigen, aber undurchdringlichenWAND, als einzig noch lebenderMensch, ein endgültiger weiblicherRobinson ohne Freitag, dafür abermit Hund, Katze und trächtiger Kuh.Das Leben geht weiter - Begebenheiten,die früher fast bedeutungsloseKleinigkeiten darstellten (ein faulerZahn etc.) können nun lebensbedrohlichwerden. Die Protagonistin überlebt zwar,doch das Buch schildert ihren Kampfums Weiterleben nur vordringlich: tieferliegen die Reflexionen, die Selbsterkenntnisse,die Versuche, die . eigeneVergangenheit zu bewältigen ~ Hoffnungslosigkeit- Ja fast schon Todessehnsucht- wechselt sich mit Hoffnung unddann wieder nüchterner Einschätzungder Lage ab. Ihre Innenwelt wird (imübertragenen Sinne) zur Außenwelt, dieAußenwelt zur Innenwelt, beide werdenjetzt, da die Frau als einziger Mensch ineiner eingegrenzten Umgebung lebt, untrennbar:„Es gibt Stunden, .in denen ichmich freue auf eine Zeit, in der es nichts. mehr geben wird, woran ich mein Herzhängen könnte. Es gibt keinen Ausweg,denn solange es im Wald ein Geschöpfgibt, das ich lieben könnte, werde ich estun; und wenn es einmal wirklich nichtsmehr gibt, werde ich aufhören zu leben.Wären alle Menschen von meiner Art gewesen,hätte es nie eine Wand gegeben ...„Es sind nicht alle Menschen von ihrerArt: ein Fremder bricht ein in ihre Welt,tötet das mittlerweile herangewachseneKalb der Kuh und den Hund und wirdseinerseits von der Protagonistin getötet.Die (vielleicht sinnentleerte) Harmoniedes Menschen (der Frau?) mit der Naturwurde durch den Menschen selbst (denMann?) vernichtet; nichts bleibt mehr alsein Weit erleben , dem allerdings nichtmehr und nicht weniger Sinn anzuhaftenscheint als dem vor der Katastrophe - abgesehendavon, daß die Frau durch denVerlust eines Teils ihrer Umwelt auch einenTeil ihres Lebens verloren hat.Dies alles wird mit beeindruckendklarer, schlichter und ergreifender Spracheerzählt, ist vielleicht ein wenig zulang, aber nie pathetisch, und mitreißendnicht durch die äußere, eher durchdie innere Dramatik. DIE WAND ist amehesten ein „Klärungsroman“: die Protagonistinentwickelt sich nicht weiter,sondern gewinnt nur Klarheit über ihreSituation. Wie sie vorher in der Welt derMenschen ihre enge Umgebung versorgthat, versorgt sie sie nun auch, selbst,wenn sie nur noch aus Tieren besteht.Sie gibt den Kampf nicht auf, auch wenner zum Scheitern verurteilt ist: das Lebenum sie herum stirbt, und sie mit ihm.Auch wenn sie am Ende weitermacht,als wäre nichts gewesen, bricht derSchatten des Todes auf den letzten Seitengeradezu übermächtig herein und belegtdiese „Robinsonade des Geistes“ mit tieferDepressivität.DIE WAND erschien erstmals 1968;als eine Art Vorläufer könnte man DIETAPETENTÜR (1957) sehen, ein trotzdes Titels nicht phantastischer Roman,in dem die Protagonistin ebenfalls ihreIdentität und ihre Rolle in der Gesellschaftsucht.Uwe AntonMarianne GruberDIE GLÄSERNE KUGELFrankfurt a. M. 19<strong>84</strong>, Suhrkamp st 997,151 S., DM 7,-Marianne Gruber wurde 1944 inWien geboren und gehört damit nichtmehr zur Generation jener schweigenden(oder „ja!“ brüllepden) Mehrheit,die von nichts gewußt hat. Und dennochbeschäftigt sich ihr erster Roman, wennauch indirekt, mit der jüngeren Vergangenheitund den Möglichkeiten ihrer Bewältigung.Zunächst liest sich DIE GLÄSERNEKUGEL wie eine psychologische Fallstudie:ein anonymer Erzähler hält seineGedanken auf Papier und Tonband festund versucht auf diesem Wege, seineverlorengegangene Identität wiederherzustellen.Hin- und hergerissen zwischen. dumpfer Resignation . und aufflackerndemInteresse, gelangt er erst nach undnach zu einer zutreffenden Einschätzungseiner selbst. Einsam ist er, und in seinerBehausung, einer gläsernen Kugelinmitten der lärmerftillten Stadt, von derAußenwelt nahezu abgeschnitten; seinLeben erscheint ihm absurd und ohnejede Zukunftsaussicht: „Ich lebe, unddas heißt: Vorsicht walten lassen undmißtrauisch sein müssen, alle Hoffnungenaufgeben,damit man nicht alle Hoffnungenaufgeben muß.“ (S. 65).Doch das ist nicht die ganze Wahrheit,denn nicht zuletzt sind es die deprimierendenExistenzbedingungen, die denErzähler aller Perspektiven berauben:der Lärm auf den Straßen, der die Psycheder Stadtbewohner schädigt; die Regelungaller Lebensbereiche (der Fortpflanzung,der materiellen Versorgung,des Ausgangs) durch eine zentralistischeVerwaltung;· oder ·sein Status als Findling,der sich durch seine (ungeklärte)Herkunft dem angestrebten Ideal derBerechenbarkeit entzieht und darum gesellschaftlichgeächtet wird. Parallel zurErkenntnis der eigenen Misere - die zumWiderspruch herausfordert - eröffnetsich dem Erzähler jenes Wissen um dieeigene Vergangenheit, das er bisher mustergültigverdrängt hat. Er beginnt sichals Teil eines umfassenden geschichtlichenAblaufs zu begreifen, der nachder sogenannten „Stunde Null“ zur Abgrenzungder Stadt von ihrer ländlichenUmgebung, zum Antagonismus beiderLebensbereiche geführt hat. Am Endefaßt der anonyme Held des Romans sogarden Mut, den Weg .des Widerstandseinzuschlagen - um Genaueres über dieStunde Null zu erfahren, besucht er denMann, welcher ihn zu sich eingeladenund- damit den Prozeß des Erwachenserst initiiert hat.Den Roman zeichnet vor allem diesubtile Darstellung dieses kompliziertenEntwicklungsvorganges aus, dessenFortgang dem Leser ein beklemmendvielschichtiges Gewebe von Rationalisierungenund Verdrängungsmechanismenvor Augen führt. Marianne Gruberverdeutlicht die Schwierigkeiten, trotzPressionen und Normen einer geschlossenenGesellschaft die Kraft und denWillen zur Veränderung aufzubringen;sie fordert gleichzeitig dazu auf, sich dereigenen Verantwortung für die geschichtlichgewachsene Wirklichkeit nicht zuentziehen. Vergangenheitsbewältigungund Zukunftsgestaltung sollen Hand inHand gehen. Trotz des aktuellen Zeitbezugs(man denke nur an ihre Anspielungenauf die „Stunde Null“ nach demZweiten Weltkrieg, auf KZ und die „betrogeneGeneration“ der Väter) bleibenfreilich ihre Überlegungen weitgehendabstrakt; die existenziellen Erfahrungendes Helden, sein privater Kosmos, seingestörtes Verhältnis zur Realität stehenim Vordergrund: „Wir sind alle schuldig.

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