RIJEČ 47
Riječ - Glasnik Hrvatske kulturne zajednice Das Wort -Mitteilungsblatt der Kroatischen Kulturgemeinschaft e.V. Wiesbaden
Riječ - Glasnik Hrvatske kulturne zajednice
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<strong>RIJEČ</strong> - glasnik Hrvatske kulturne zajednice, broj <strong>47</strong>, 2015.<br />
Die darauf folgende Erschütterung<br />
der Stadt ist literarisch mit der<br />
Vernichtung der gesamten Aristokratie<br />
verbunden; der aus dem<br />
Gefängnis befreite und vom Volk<br />
unterstütze Marino Caboga steht<br />
sinnbildlich für das neue Ragusa:<br />
„Ihr Leute seht, so hat die Welt sich<br />
umgedreht, und eine andre Macht,<br />
die Freiheit, will erscheinen. Folgt<br />
mir (…), für alle laßt uns Ordnung<br />
stiften (…) am Morgen wird Ragusa<br />
mächtiger sich fühlen unter Trümmern,<br />
als da der Reichtum in Palästen<br />
glänzte (Arnim 2013:35).<br />
Der mit vielen religiösen Motiven<br />
versehene Befreiungskampf um<br />
Ragusa, bei dem Cornelia die<br />
mutige Aufopferung verkörpert und<br />
Marinos Geliebte Marina die jungfräulich<br />
aus den Trümmern<br />
erstandene Freiheit der Stadt, endet<br />
in einem sorgfältigst durchkomponierten<br />
8-strophigen Lobgesang auf<br />
Ragusa und Cabogas Taten:<br />
„Die Erde erbebte, Ragusa wird<br />
frei,<br />
Und dem Himmel ergeben,<br />
In ihrem tiefsten Jammergeschrei,<br />
Erwachet das Leben“<br />
(Arnim 2013:43).<br />
In der eng verwobenen Textur von<br />
Zeitgeschichte Ragusas und literarischer<br />
Fiktion gibt uns Achim von<br />
Arnim ein eindrückliches Bild von<br />
der geheimnisvollen Wechselbeziehung<br />
zwischen alter historischer<br />
Stadt und sich durch die Zeitgeschichte<br />
hindurch erneuerndem Idealbild.<br />
Ragusa bietet in seiner<br />
literaturgeschichtlichen Verarbeitung<br />
wohl mehr als das bloße<br />
Moment von Schreibanlass oder<br />
Verortung einer Erzählung.<br />
Hermann Bahr wählt fast ein Jahrhundert<br />
nach Kleist und Arnim im<br />
Buch „Dalmatinische Reise“ seinen<br />
eigenen Aufenthalt in Dubrovnik<br />
zum Ausgangspunkt seiner sehr<br />
engen Verknüpfungen von direkten<br />
Beobachtungen und abstrahierender<br />
Deutung von Zeit- und Literaturgeschichte.<br />
Die impressionistisch<br />
anmutende Beschreibung dessen,<br />
was er mit seinen Augen bei dem<br />
Gang über den Stradun, beim<br />
Anblick der Stadtmauer, der Heiligenfiguren<br />
oder der Menschen<br />
wahrnimmt, wird immer wieder<br />
unterbrochen durch Reflexionen<br />
über seine Rolle als literarischer<br />
Beobachter und als Österreicher in<br />
einer von Österreich-Ungarn<br />
beherrschten Stadt, über das Verhältnis<br />
von alter Stadtgeschichte<br />
und ihrer immer wieder neuen<br />
Deutung.<br />
„Nun bin ich wieder auf dem Platz<br />
vor der Porta Pile, unter den Platanen<br />
und Maulbeerbäumen. (…) Vor<br />
mir die Stadtmauer, nordwärts<br />
ansteigend zum Mincetaturm,<br />
während sie sich südwärts zur Seebastion<br />
Bokar auf jähen Klippen<br />
senkt. Bald ist sie ganz regengrau,<br />
(…) hier rostig gefleckt, dort<br />
schwarz genäßt, mit gelben Heiligen<br />
in verwitterten Mischen; (…)<br />
Nun aber, aus dem zweiten Tor<br />
tretend, hemmt man vor Entzücken<br />
den Schritt und steht und schaut:<br />
eine gerade, mäßig breite, trotzige<br />
Straße (…): der Stradone. (…)<br />
Tanzsaal und Fechtsaal zugleich.<br />
58<br />
So festlich als kriegerisch bereit.<br />
Das Leben jauchzt, aber an jeder<br />
Ecke steht der Tod“ (Bahr 1909:<br />
53-45).<br />
Bahrs sehr poetischen Beschreibungen<br />
sind immer wieder durchzogen<br />
von der hegemonialen Sicht<br />
des Österreichers auf die Bevölkerung<br />
Dubrovniks.<br />
„Beim Landtagsabgeordneten<br />
Doktor Stefan Knezevi. (…) Er<br />
kommt mir sehr artig entgegen,<br />
doch erstaunt. Er scheint sich zu<br />
wundern, daß es da droben in Wien<br />
einen Menschen geben könnte, der<br />
Interesse, ja gar vielleicht ein wirkliches<br />
Gefühl für das vergessene<br />
Dalmatien hat. (…) Diese Menschen<br />
hier sitzen viel allein und<br />
sehnen sich ohne Hoffnung. Ihre<br />
große Vergangenheit steht hinter<br />
ihnen, die trostlose Gegenwart<br />
ängstigt sie (Bahr 1909: 66f.).<br />
Den Anblick des Rektorenpalastes<br />
und der Dogana verknüpft Bahr mit<br />
einem Streifzug durch die Literaturgeschichte<br />
Ragusas: „Die Dogana<br />
ist 1520 vollendet und 1521<br />
erschien die Judita des Spalatiners<br />
Marko Maruli. (…) Hier saßen<br />
auch die beiden Akademien, die der<br />
Concordi und die der Oziosi. (…)<br />
Hier bildete sich an Nachahmungen<br />
italienischer Muster eine durchaus<br />
nationale Dichtung, lebensvoller<br />
als diese, von einem oft verwegenen<br />
Realismus und einer höchst merkwürdigen<br />
gesalzenen Heiterkeit,<br />
wovon des Ragusaner Goldschmieds<br />
Cubranovi berühmte<br />
Jegjupka und die Schäferspiele des<br />
Marin Drzi zeugen. Bis dann zuletzt<br />
der Große kommt, der die Frucht<br />
der langen Sehnsucht pfückt, der<br />
Vollender, der Erfüller: Ivan Gunduli.<br />
Von ihm ist das letzte Hirtenspiel,<br />
Dubravka, 1628, die Freiheit<br />
Ragusas feiernd. Und dann war es<br />
aus (Bahr 1909:66).<br />
Der ständige Wechsel zwischen<br />
Sinneseindruck und Abstraktion