Wiener Staatsoper 1933-1936 Operntagebuch eines ... - Oper in Wien
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Saison 1935/36<br />
1.9.1935 „Figaros Hochzeit“<br />
Dr. We<strong>in</strong>gartner dirigiert mit großem Schwung<br />
diese gute Aufführung. Fr. Nowotna (Gräf<strong>in</strong>)<br />
liegt diese Rolle nicht, sie gefällt mir weder<br />
stimmlich noch darstellerisch. Fr. Schumann<br />
(Susanne) s<strong>in</strong>gt sehr lieb, hat aber nicht ihre<br />
frohe Laune wie sonst. Frl. Komarek<br />
(Barbar<strong>in</strong>a) macht ihre Sache sehr gut.<br />
Leider werden die übrigen Mitwirkenden<br />
verschwiegen, aber e<strong>in</strong> Zeitungsausschnitt<br />
(wieder e<strong>in</strong>e Rezension von Kralik) hilft<br />
zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Punkt weiter: Hr.<br />
Hoffmann sang den Figaro. We<strong>in</strong>gartner ist für<br />
ihn „Meister <strong>e<strong>in</strong>es</strong> flüssigen, virtuosen<br />
Konversationstones, der kultivierte<br />
Unterhaltung pflegt und über das dramatisch<br />
oder komödiantisch Charakteristische lässig<br />
dah<strong>in</strong>gleitet.“ Figaro ist für ihn ke<strong>in</strong><br />
„Revolutionär“, sondern e<strong>in</strong> Produkt des<br />
Ancien régime, das die Gesellschaft mit ihren<br />
eigenen Waffen „überrumpelt“. Und betreffend<br />
Mozart fällt der Satz: „Mozart ist e<strong>in</strong><br />
Programm, und zwar e<strong>in</strong> alles umfassendes<br />
und wahrhaft universelles.“<br />
7.9.1935 „Entführung“<br />
Dr. We<strong>in</strong>gartner dirigiert. Fr. Gerhart<br />
(Konstanze) hat e<strong>in</strong>en guten Tag, obwohl ihr<br />
nicht alles gel<strong>in</strong>gt. Fr. Schuhmann (Blondchen)<br />
s<strong>in</strong>gt und spielt reizend, die blonden Zöpfe<br />
stehen ihr sehr gut. Hr. Kullmann (Belmonte)<br />
wäre nicht schlecht, wenn er sich die<br />
überflüssigen und w<strong>in</strong>selnden Portamentis<br />
abgewöhnen könnte. Hr. Norbert (Osm<strong>in</strong>) ist<br />
wieder e<strong>in</strong>zig. Hr. Wernigk (Pedrillo) fühlt sich<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rolle nicht sehr wohl; als er nach<br />
dem Duett Hr. Norbert am Buckl h<strong>in</strong>austrug,<br />
stolperte er mit ihm und fiel nieder.<br />
8.9.1935 „Toska“<br />
Dusol<strong>in</strong>a Giann<strong>in</strong>i (Toska) machte ke<strong>in</strong>en<br />
großen E<strong>in</strong>druck auf mich; sie ist die typische<br />
Italiener<strong>in</strong>, ihre Bewegungen (2. Akt) s<strong>in</strong>d<br />
katzenartig; am Ende des 2. Aktes legt sie das<br />
Kreuz Scarpia auf den unteren Teil des<br />
Rückens, da Hr. Hoffmann auf das Gesicht<br />
fiel; auch stimmlich war sie nicht so großartig,<br />
mit der Höhe hatte sie zu kämpfen. Hr. Cavara<br />
(Caravadossi) war elend; ganz selten gel<strong>in</strong>gt<br />
ihm e<strong>in</strong>e Phrase. Hr. Hoffmann (Scarpia) sang<br />
und spielte ausgezeichnet, manchmal war er<br />
direkt unheimlich. Frl. Paalen sang den Hirten.<br />
13.9.1935 „Bohème“<br />
Fr. Lehmann (Mimi) sang sehr schön, spielte<br />
ergreifend. Fr. Bokor (Musette) war gut wie<br />
30<br />
immer. Hr. God<strong>in</strong> (Rudolf) hat e<strong>in</strong>e Menge<br />
dazugelernt; hoffentlich wird es bei ihm nicht<br />
so, wie bei Hrn. Cavara. Dazu fügte sich das<br />
gute Ensemble: Hr. Weidemann, Hr. Mad<strong>in</strong>,<br />
Hr. Zac.<br />
18.9.1935 „André Chenier“<br />
Fr. Lehmann (Madela<strong>in</strong>e) ist wieder prachtvoll,<br />
auch <strong>in</strong> der Höhe. Frl. Paalen (Bersi) ist<br />
unmöglich, besonders wenn sie kokett se<strong>in</strong><br />
will. Hr. Piccaver (Chenier) wird durch se<strong>in</strong>e<br />
Partner<strong>in</strong> mitgerissen u. ist vom 2. Akt an sehr<br />
gut; die erste Arie s<strong>in</strong>gt er ziemlich<br />
<strong>in</strong>teresselos. Hr. Schipper (Gerard) ist wider<br />
Erwarten fabelhaft, sogar der Monolog gel<strong>in</strong>gt<br />
ihm vortrefflich.<br />
19.9.1935 „Don Juan“<br />
Dirigent: Hr. Krips, merkwürdigerweise<br />
begleitet er die Rezitative nicht selbst. Ezio<br />
P<strong>in</strong>za (Don Juan) ist fabelhaft; se<strong>in</strong>e Stimme<br />
ist schön, aber nicht sehr groß; die<br />
Champagnerarie musste er wiederholen, sie<br />
war auch meisterlich vorgetragen. Fr.<br />
Helletsgruber (Elvira) schrie manchmal zu<br />
sehr. Fr. Nemeth (Anna) war nicht <strong>in</strong><br />
besonderer Verfassung. Hr. Maikl (Octavio)<br />
sang mit staunenswerter Leichtigkeit. Hr.<br />
Vogel a.G. gab e<strong>in</strong>en ganz guten Leporello, Fr.<br />
Perras (Zerl<strong>in</strong>e) gefiel mir <strong>in</strong> dieser Rolle sehr<br />
gut.<br />
Wieder ist e<strong>in</strong> Zeitungsausschnitt beigelegt:<br />
He<strong>in</strong>rich Kralik rühmt an P<strong>in</strong>za die<br />
„dase<strong>in</strong>sdurstige Impulsivität“ und merkt an,<br />
dass sich auch der „dämonische,<br />
schicksalshafte S<strong>in</strong>n der Figur“ erschließe und<br />
zwar „gleichsam absichtslos“ wie er betont:<br />
„Es ist e<strong>in</strong> köstliches Zusammenspiel von<br />
Naturalistik und Artistik, ohne daß das e<strong>in</strong>e<br />
vom anderen unterjocht oder überwältigt wird.“<br />
E<strong>in</strong> „elementarer Naturlaut“ schlüge immer<br />
wieder durch, der „der Figur ihren impetuosen,<br />
männlichen Zug verleiht“.<br />
24.9.1935 „Eugen Oneg<strong>in</strong>“<br />
Bruno Walter dirigierte. Fr. Lehmann (Tatjana)<br />
sang wieder ergreifend, nur die Höhe kommt<br />
ihr schwer an. Hr. Kullmann (Lensky) we<strong>in</strong>t<br />
zuviel beim S<strong>in</strong>gen. Hr. Hofmann (Grem<strong>in</strong>) ist<br />
ziemlich unmöglich; wie anders wirkt doch Hr.<br />
Mayr. Das übrige Ensemble sang gut wie alle<br />
Male.<br />
27.9.1935 „Fidelio“<br />
Hr. We<strong>in</strong>gartner dirigiert etwas zu schnell. Hr.<br />
Kalenberg (Florestan) meckert wieder<br />
furchtbar. Fr. Lehmann (Leonore) ist <strong>in</strong><br />
schlechtester Disposition; so schlecht hörte ich<br />
sie noch nie, die hohen Töne mißglückten ihr