30.07.2015 Aufrufe

1985 - Deutschland 1933 – 1990

1985 - Deutschland 1933 – 1990

1985 - Deutschland 1933 – 1990

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>1985</strong>Bonn sichert seine Botschaften bessergegen Deutsche im Sinne des Grundgesetzes„Das Treffen am 5. Dezember 1984 [zwischen Schalck und Schäuble] inder Kanzlei Vogels hatte also ausschließlich nachrichtendienstlichenCharakter, denn der MfS-Oberst traf sich ohne das Wissen des Generalsekretärsausschließlich im Auftrag Mielkes mit Schäuble. Damitbehielt das Ministerium für Staatsicherheit die Kontrolle über denCharakter der deutsch-deutschen Geheimgespräche und konnte jederzeiteingreifen, falls ihnen diese Kontakte für den Bestand ihres Regimeszu gefährlich wurden. Nach dem Gespräch mit Schäuble meldeteder OibE [Offizier im besonderen Einsatz] Schalck-Golodkowskiseinem Chef beruhigend: »Er hat die Fähigkeit, ein aufmerksamer Zuhörerzu sein und war anhand der behandelten Fragen bemüht, dassbeide Seiten tragbare Lösungen finden.«Diese erste Begegnung zwischen den beiden deutschen Unterhändlernfand in einer brisanten Situation statt, denn in Prag hatten 40 Republikflüchtlingedie bundesdeutsche Botschaft gestürmt und hofften,angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes, auf eine zügige Abwicklungihrer Flucht in den Westen. Auf dem zweiten konspirativenTreffen Mitte Januar <strong>1985</strong>, das wieder in der Kanzlei von Vogel stattfand,kamen die Unterhändler auf das Problem der Botschaftsbesetzungin Prag zu sprechen. Die DDR-Seite machte den Vorschlag, Bonnmöge prüfen, wie man DDR-Bürger davon abhalten könne, über bundesdeutscheBotschaftsgebäude in Osteuropa den Weg in den Westenzu wählen. Dabei müssten auch bauliche Veränderungen erwogenwerden. Noch im gleichen Jahr wurde es nach diesem Meinungsaustauschüber das Schicksal von zur Flucht entschlossenen DDR-Bürgernfür diese wesentlich schwerer, ohne zwingende Gründe Zutritt zu denOstblockvertretungen der Bundesrepubik zu bekommen. In Geheimverhandlungenhatte die Regierung Kohl mitgeholfen, die Grenze nochdichter zu machen. Außerdem wurde vereinbart, über Fluchtfälle inden Botschaften Stillschweigen zu bewahren. DDR-Bürger sollten nichtmehr durch die Medienberichterstattung zu einem solchen Schrittverleitet werden.“1444


<strong>1985</strong>Kohl erinnert Honecker an die Geschwister SchollDass sogar der Tod Nach- und Vorteile hat, bemerkte Erich Honeckererneut am 12. März <strong>1985</strong>: „Ein trauriger Umstand, die Beisetzung K.Tschernenkos, machte eine Begegnung möglich. [...] Kanzler Kohl waroffensichtlich bestrebt, eine gute Atmosphäre für meinen in Aussichtgenommenen Besuch in der BRD zu schaffen, der dann 1987 stattfand.Es wurden Fragen der Friedenssicherung behandelt, alles auf derGrundlage der Existenz zweier souveräner deutscher Staaten, derWahrung ihrer territorialen Unversehrtheit und Unabhängigkeit.Zwischen dem außenpolitischen Mitarbeiter Kohl [Diplomat der DDR],Teltschik, und meinem Staatssekretär, Hermann, wurde die abschließendeErklärung vorbereitet. Wir bekräftigten darin unsere Entschlossenheit,dafür einzutreten, dass von deutschem Boden in Zukunft nurnoch Frieden ausgehen darf. Kohl und ich unterhielten uns in derZwischenzeit über die deutsche Widerstandsbewegung gegen Hitler,über die Geschwister Scholl und andere. Wichtigstes Thema war meinoffizieller Besuch in der BRD. Wir einigten uns auf den Termin.“ Überdie gemeinsame Erklärung von Moskau freute sich die Junge Welt: „DieUnverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integritätund Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigenGrenzen sind, wie Genosse Erich Honecker und Bundeskanzler Kohl inihrer Gemeinsamen Erklärung vom 12. März <strong>1985</strong> feststellten, einegrundlegende Bedingung für den Frieden.“ Die PremierministerinMargaret Thatcher, hatte das Nahen des traurigen Umstandes eher alsandere geahnt: „Die Beisetzung [Jurij Andropovs] fand bei herrlichemSonnenschein statt. [...] Für die anwesenden Staatsgäste gab es keineSitzgelegenheit, wir mussten stundenlang in einer eigens abgesperrtenEinfriedung ausharren.Wegen des stundenlangen Stehens war ich froh, dass Robin Butler mirzu pelzgefütterten Stiefeln statt hochhackiger Schuhe geraten hatte,die ich ansonsten bevorzuge. Sie waren sehr teuer gewesen, doch alsich Tschernenko kennenlernte, kam mir der Gedanke, dass ich siewahrscheinlich bald wieder gebrauchen konnte.“1445


<strong>1985</strong>Michail Sergejewitsch Gorbatschow kam, sah und siegte„Am 11. März <strong>1985</strong> fand die entscheidende Politbürositzung zur Wahldes neuen Generalsekretärs statt. Als erste Wahl unter den Politbüromitgliederngalt der erzkonservative 70-jährige Moskauer ParteichefViktor Grischin. Mit ihm wäre die Weltgeschichte anders verlaufen.Doch KGB-Chef Viktor Tschebrikow schlug den Außenseiter MichailGorbatschow vor, weil Grischin mit Lawrenti Berija, dem langjährigenKGB-Chef unter Stalin, verwandt war. Das sei »anrüchig«. Tschebrikowargumentierte, der KGB sei für Gorbatschow, denn als Geheimdiensthabe man das Ohr am Volk, und dort genieße Gorbatschow großesVertrauen. Mit der Unterstützung von Außenminister Gromyko wurdeGorbatschow gewählt. Noch anlässlich der Beerdigungsfeierlichkeitenfür Tschernenko gab es in Moskau eine Geheimsitzung aller Generalsekretäredes Ostblocks. Schon auf diesem ersten Treffen erklärte Gorbatschowdie neuen Grundzüge seiner Politik und legte das Gewichtauf die Eigenständigkeit der Bruderparteien.“Der jugendlich frische Gorbi sagte bei dieser Tagung in Moskau: „Jedermuss sich auf sich selbst verlassen und nicht auf uns. Erwarten Siekeine militärische, gewaltsame Unterstützung ihrer Regime.“ Also dasging so auf keinen Fall. Da hat ihm unser alter Erich umgehend um dieOhren gehauen, solche Denkstrukturen entsprächen ganz sicher nichtden „internationalistischen Prinzipien der Beziehungen zwischen densozialistischen Ländern“. Eigentlich hätte er sich das jedoch denkenmüssen, hatte sich doch seinerzeit schon Herr Breshnjew der Schmidt-Doktrin widersetzt und überfiel trotz des grünen Lichts von HoneckersGroßem Bruder in Bonn Polen nicht. Herr Gorbatschow wird, als er dieersten Worte des Genossen Honecker hörte, mehr noch als der alteStalin gedacht haben, der Sozialismus passe zu den Deutschen, wie derSattel zu einer Kuh. Unter Michail Gorbatschow wuchs schließlich diesowjetische Gefahr ins Unermessliche, und das betraf beileibe nichtnur Honecker. Auch dieses Wortgefecht im fernen Moskau ist ein Hinweisdarauf, dass die Chefs im Osten wie im Westen das umfangreicheAusland für die Teilung <strong>Deutschland</strong>s nur vorschützten.1446


<strong>1985</strong>Der ehemalige Bonner Bundeskanzler Schmidt war hier wieder einmalbetroffen, bekümmert und betrübt. Und worüber? Ja, hatte er es dennnicht schon immer prophezeit? Eines Tages würde Breshnjew tot sein,und danach konnte womöglich ein junger dynamischer Politiker derChef der Supermacht werden. Brandt erinnerte sich glänzend an dieZeit um 1980: „Helmut Schmidt war mit dem Doppelbeschluss – Verhandlungenund gegebenenfalls Nachrüstung – nicht unzufrieden. [...]Er rechnete damit, dass in den achtziger Jahren ein »Säbelrasseln mitMittelstreckenraketen« heraufziehe; ihn bekümmerte die Aussicht,dass »Breschnew und seine Equipe« aus biologischen Gründen dannnicht mehr im Amt sein würde. Bei allen sonstigen Unterschieden:Vom Generalsekretär in Moskau [Breshnjew] meinte er besser verstandenzu werden als vom Mann im Weißen Haus.“ Mit dem Mann imWeißen Haus war damals das Jimmy Carterchen gemeint.Freundlicherweise hat sich Helmut Schmidt auch selbst einschlägig zuden Gefahren geäußert, die von Michail Sergejewitsch Gorbatschowausgingen: „Gorbatschows schnelles Ausbooten einiger Alter aus demPolitbüro, die nicht wie Suslow, Kossygin, Ustinow oder auch Pelscheetwa gleichzeitig mit Breschnew, Andropow und Tschernenko gestorbenwaren, hat zu einer Verjüngung der Spitze geführt, und es magsein, dass die neuen Männer beweglicher sein werden und wenigerkonservativ als ihre Vorgänger. Viele Sowjetbürger setzen daraufHoffnungen. Im Interesse <strong>Deutschland</strong>s und der Deutschen in Westund Ost möchte ich ihnen die Verwirklichung ihrer Hoffnungen wünschen.Aber soweit wir im Westen diese Hoffnungen teilen, seien wirzur Vorsicht gemahnt: Die größere Vitalität jüngerer Männer im Vergleichzu ihren geistig erstarrten und risikoscheuen Vorgängern kannzwar zu mehr außen- und sicherheitspolitischer Beweglichkeit führen– sie kann aber auch eine höhere Risikobereitschaft mit sich bringen.Es scheint mir unklug, unsere eigene Politik auf ein tatsächliches Endedes russisch-sowjetischen Expansionismus zu gründen.“ Und da warAdenauers Legende von der russischen Gefahr wieder – gemischt mitder russisch-amerikanischen Weltverschwörung gegen das zarte undfreundliche <strong>Deutschland</strong>. Freilich verpflichtete weder die sowjetische1447


<strong>1985</strong>noch die amerikanische Verfassung die Staatsführungen, bei nächsterGelegenheit die Grenzen, wie sie in Folge des Zweiten Weltkrieges festgelegtworden waren, erneut zu revidieren.Helmut Schmidt sollte Recht behalten, und das schneller, als ihm liebsein konnte. Alsbald, vermutlich schon wenige Tage nach seiner Wahlzum Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, schickte dieserMeister aus der weltweiten Serie der Entspannungsfanatiker Agentendes KGB in das gute alte London, wo sie mit Kollegen von der CIA zugeheimen Talks unter dem Codenamen Gawrilow zusammenkamen. Ichweiß nicht, wann und wie Ferdinand Kroh davon erfuhr; ich habe esjedenfalls bei ihm gefunden. Das wird Margaret Thatcher eingefädelthaben, als Michail Sergejewitsch bei ihr zu Besuch gewesen war. Esentbehrt auf keinen Fall eines gerüttelten Maßes an Ironie, dass sichWjatscheslaw Daschitschew, der zum Leiter der Abteilung für außenpolitischeProbleme am Institut für die Wirtschaft des sozialistischenWeltsystems der Akademie der Wissenschaften der UdSSR avancierte,von den Lehren der drei Preußen Immanuel Kant, Carl von Clausewitzund General Ludwig Beck ernährte, wie Ferdinand Kroh herausfand,und damit auch Michail Sergejewitsch Gorbatschow speiste. Dann istes wirklich nur zu verständlich, dass dieser Gaspadin Gorbatschow keinFreund von Helmut Schmidt wurde.Willy Brandt, der trotz der Haltung „seiner Genossen“ zu Unserer DDRnoch immer den Vorsitzenden der SPD gab, machte sich damals umgehendwieder auf den Weg nach Moskau: „Als ich Michail SergejewitschGorbatschow im Mai <strong>1985</strong> zum ersten Mal besuchte, war er geradezwei Monate im Amt. Wer fühlte sich seither nicht berufen, Äußerungenzu tun? Wie tüchtig er sei oder wie gefährlich, welchen Charme erentfalte oder wieviel Verschlagenheit in ihm stecke; der Preis für dieam wenigsten sachkundige und sachdienliche Einschätzung der Personfiel einem deutschen Regierungschef zu. Besonders dumm war dieAnnahme, die neue Führung sei infolge westlicher Härte an die Machtgekommen. Nicht weniger töricht war der Wunsch, sie dürfe, wenn siesich mit einem modernen Programm der Öffnung und der Umgestal-1448


<strong>1985</strong>tung durchsetze, keinen Erfolg haben, weil sie sonst noch gefährlicherwäre. Noch einmal fiel das Wort vom »Kaputtrüsten«. Es war Reaganshistorisches Verdienst, dass er es sich nicht zu eigen machte.“Der Gefahren für die Stellung der Weltmacht in Bonn am Rhein warenja verdammt viele: „Die politische Großwetterlage wurde inzwischenaber von der »Perestroika« in der Sowjetunion bestimmt, die der seit<strong>1985</strong> amtierende Kremlchef Michail Gorbatschow 1988 noch forcierte.Gorbatschow bombardierte den Westen mit Entspannungsangeboten,während die USA nicht nur auf der »Nachrüstung« beharrten, sondernauch Gorbatschows Abrüstungsinitiativen blockierten und mit demProjekt einer Raketenabwehr im Weltraum (SDI) eine neue Stufe desWettrüstens eröffneten.“Für mich war interessant, wie Günter Schabowski, zu der Zeit der SED-Chef von Ost-Berlin, mir in einem Brief die Herkunft dieses WortesPerestroika erklärte. Im Grunde ging es Michail Gorbatschow ja um dieReformierung des Systems und „Reform ist ein suspekter Begriff fürKommunisten. Reform ist das Gegenstück zur Revolution. Reform istsozialdemokratisch. Deshalb hat auch Gorbatschow ursprünglich denBegriff nicht verwandt sondern für seine Veränderungen das schwerfällige»Perestroika« (Umgestaltung) erfunden.“Es spricht Bände über den „Kommunismus“ und die Chancen für seineWeiterentwicklung, wenn es noch nicht einmal dem Ober-Boss erlaubtwar, Veränderungen an den Dogmen vorzunehmen. Zur Unfreiheit inder Katholischen Kirche kann man ja stehen wie man will – aber dortdarf zumindest die Chefetage Dogmenwechsel verkünden. Das ist ganzsicher ein Grund dafür, warum sich die Kirche Jahrtausende länger ander Macht hielt als die Kommunistische Partei der Sowjetunion oderihre Nachahmer in Süd- und Mittel-Europa.1449


<strong>1985</strong>Der erste Tag der Befreiung für die BundesrepublikAm 8. Mai <strong>1985</strong> hielt Richard von Weizsäcker eine in der Öffentlichkeitumstrittene Rede zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes. Darinsprach zum ersten Mal ein führender CDU-Politiker dem Publikumgegenüber laut und deutlich von einer Befreiung. „Mit Recht ist diegroße Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai <strong>1985</strong> bewundert worden.Leider ist dabei aber im In- und Ausland viel zu sehr übersehenworden, dass die doppelte Bedeutung, die dem Tag beigemessen wurde,in der Bundesrepublik kein Novum war. Am 8. Mai 1949 hörte derParlamentarische Rat in Bonn, der gerade seine Verfassungsarbeit verabschiedete,eine Rede von Theodor Heuss (FDP), der einige Wochenspäter zum ersten Bundespräsidenten gewählt werden sollte. Er sagtezum Schluss: »Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischsteund fragwürdigste Geschichte für jeden von uns. Warumdenn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.«“Leider hielt Theodor Heuss seine damalige Rede aber in einem Saal, zudem weder das Inland noch das Ausland Zutritt hatte, so dass beideLänder von jener einsichtsvollen Rede 1949 nichts hören konnten. Injenem Saal blieben die Intimfeinde damals noch ganz unter sich.1995 druckte die FAZ dann auch so eine menschliche und bewegendeBetrachtung von einem Dr. Helmut Kohl zum fünfzigsten Jahrestag derBefreiung ab, die es mit jener Rede von Weizsäcker locker aufnehmenkann. Darin hieß es dann: „Für viele Menschen, vor allem für die Häftlingein den Konzentrationslagern, Todeszellen und Zuchthäusern, bedeutetedas Ende des Krieges und der national-sozialistischen Gewaltherrschaftdie ersehnte Befreiung. Wir gedenken der Millionen Juden,der Sinti und Roma und der vielen anderen, die verfolgt, gequält undermordet worden sind. Wir erinnern uns an das Leiden und Sterbenunschuldiger Frauen, Männer und Kinder aus anderen Völkern wieauch aus unserem eigenen Volk.“ Es wäre zauberhaft gewesen, wennes Kohls Theaterrolle schon viel eher erlaubt hätte, so eine tolle Redezu halten. Aber wir sind ja noch in der Zeit von „Dick und Doof“.1450


<strong>1985</strong>Das heiße Spiel mit den doppelten KartenEine von unzähligen Abhandlungen, die im Osten Europas keine Liebezu <strong>Deutschland</strong> aufkommen lassen wollten, kam von Eckart Klein. <strong>1985</strong>schrieb er in einer Broschüre, die von der Kulturstiftung der deutschenVertriebenen herausgegeben wurde: „Die Bundesrepublik ist jedoch imSinne des Wahrungsgebotes verpflichtet, die rechtlichen PositionenGesamtdeutschlands zu verteidigen und damit die deutsche Frageoffenzuhalten; sie ist im Sinne des Vollendungsgebotes verpflichtet,eine Politik zu betreiben, die auf eine Lösung der deutschen Fragedurch freie Selbstbestimmung des deutschen Staatsvolkes hinzielt.“Es ist schon traurig, wenn man sich als Laie nicht so in der Sprache derJuristen auskennt. Oder, wenn womöglich noch Ausländer versuchen,die deutschen Texte zu verstehen. Man beachte den Hauch von einemUnterschied: „Das Bundesverfassungsgericht hatte gar nicht erklärt,dass <strong>Deutschland</strong> in den Grenzen von 1937 zu vereinen ist. Es hatteden künftigen gesamtdeutschen Souverän weder festgelegt noch eineVereinigung in anderen als den Grenzen von 1937 verboten.“In der Begründung der Ablehnung der Klage der bayerischen Landesregierungzum Grundlagenvertrag und zu den Verträgen mit Moskauund Warschau hatte tatsächlich nicht mehr gestanden, als dass dieseVerträge die Fortexistenz <strong>Deutschland</strong>s als Rechtssubjekt nicht aufgäben.Und wie es über die Jahrzehnte dann gerade gebraucht wurde, habenes Juristen aus den Bonner Parteien eben zurechtinterpretiert. Somitbleibt in dieser Angelegenheit hier nur festzuhalten: „Vorstellungen,die Endgültigkeit der Grenzen zwischen Polen und <strong>Deutschland</strong> könnteoffengehalten werden, lösten auf polnischer Seite tiefe Befürchtungenaus, wie verbindlich für die Regierung in Bonn die im Warschauer Vertraggetroffene Grenzregelung sein würde.“Seltsam berührt war der britische Historiker Timothy Garton Ash. Ermerkte an: „<strong>1985</strong> befand sich dann der Kanzler [Kohl, CDU] selbst imAuge des Orkans. Ein Vertriebenentreffen der Schlesier hatte zum1451


<strong>1985</strong>»vierzigsten Jahrestag« der Vertreibung das Motto »Schlesien bleibtunser« gewählt. Kohl hielt seine Rede zu diesem Jahrestag schließlichjedoch unter dem revidierten Motto: »Schlesien bleibt unsere Zukunftin einem Europa der freien Völker.« [...]Die Vertreibung der Deutschen sei ein Unrecht gewesen, doch daswürde auch eine weitere Vertreibung sein – und er zitierte dazu einenBeschluss des Schlesierverbandes. »In Schlesien«, sagte er, »lebenheute ganz überwiegend polnische Familien, denen diese Landschaftinzwischen zur Heimat geworden ist. Wir werden dies achten undnicht in Frage stellen.« Am Ende meinte er, dass es im Grunde nichtum souveräne Rechte gehe, sondern um Freiheit für all jene, die jenseitsder Ost-West-Teilung in Europa lebten. Eine solche Rede vorZuhörern, die Transparente »Schlesien bleibt unser« herausforderndhochhielten und Transparente »Schlesien bleibt polnisch« sofort herunterrissen,war nicht gerade beschwichtigend. Aber ebensowenigwar sie, um des Kanzlers eigene Worte zu gebrauchen, unmissverständlich.Zuvor hatte im gleichen Jahr der außenpolitische Sprecherder CDU, Volker Rühe, eine bedeutende Aussage gemacht: Die Verpflichtungender Bundesregierung durch die Ostverträge würden auchfür ein vereinigtes <strong>Deutschland</strong> »politisch bindend« sein.“Unmissverständlich war hingegen Dr. Helmut Kohls Ansage aus demJahre 1983. Damals hatte er gesagt, mit ihm als Bundeskanzler werdees kein „Zurück in den Nationalstaat einer vergangenen Zeit“ geben.Ich will es auf gar keinen Fall versäumen, hier ein absolut großartigesTondokument des engagierten Vertriebenenpolitikers Herbert Hupkaeinzuspielen. Sie erinnern sich doch an seine Vorgeschichte. Also. <strong>1985</strong>hatte der konservative (!!!) Historiker Andreas Hillgruber festgestellt,dass Schlesien „heute und in Zukunft zu Polen gehörte“. So ging dasnatürlich nicht. Also stieg Herbert Hupka in den Ring und gab ihmeinen Tritt vor das rechte Schienbein: „Die Expansion Polens aufgrundder Macht der Sowjetunion soll nicht nur hingenommen, sondernauch noch bestätigt werden. Man fragt sich, wie ein Historiker als Kennerder Geschichte dem Unrecht vor dem Recht die Vorfahrt einräumtund dem Satz huldigt, das Macht vor Recht ergeht. Mit Sicherheit wäre1452


<strong>1985</strong>es einem polnischen oder tschechischen Historiker nicht in den Sinngekommen, das Generalgouvernement und das Protektorat Böhmenund Mähren, beides von Hitlers Gnaden, um des lieben Friedens willenals das Schlusswort der Geschichte anzuerkennen.“ Das ist ja wiederheiß. Da wird so ganz nebenher der Jugend gleich noch ein bisschenGeschichtsunterricht geliefert und der älteren Generation eine forscheAuffrischung ihres müden Gedächtnisses. Hört sich aber oberflächlichbetrachtet erst mal wie eine Kritik an. Fragt sich nur an wem.Der Brandt-Biograph Klaus Harpprecht wusste um die Wirkung dieserdauernden Zweideutigkeiten: „Die Ostpolitik löste sich nicht aus demgrößeren Verbund der Allianz. Doch sie gewann, ohne die verstärkteeuropäische Abstützung, ein isoliertes Gewicht, das ihr zunächst nichtzugedacht war. Ohne das europäische Korrektiv bewirkte sie beinahezwangsläufig eine Aufwertung des »Nationalen«, die den irritierbarenGeistern in den Hauptstädten des Westens Anlass gibt, von Zeit zu Zeitvon einem »deutsch-deutschen Sonderverhältnis« zu sprechen (das inOst-Berlin nicht immer energisch dementiert wird).Richard von Weizsäcker wies völlig zu Recht darauf hin, dass die»deutsche Mittellage« – genauer: die Lage an der Nahtstelle zwischenOst und West – jeder deutschen Regierung aufträgt, das bestmöglicheVerhältnis zur Sowjetunion herzustellen. Das heißt aber: Die vitalenInteressen der Bundesrepublik reichen stets ein Stück über die Allianzhinaus, auch über die europäische Gemeinschaft, in der sie ihre Zukunfterkennen will. Das gilt erst recht, wenn sich mit der menschlichenVerantwortung für das Geschick der Deutschen hinterm Zaun derAnspruch auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit verbindet.Der Bonner Ur-Kanzler Konrad Adenauer redete den Deutschen ein, essei beides möglich: die West-Integration und die Wiedervereinigung.Der Autor dieser Betrachtung warf ihm vor, dass er mit diesem Widersprucheine deutsche »Lebenslüge« gezüchtet habe, die sich eines Tagesrächen müsse. Brandts historisches Verdienst war es, dass er denSchleier über dem Unvereinbaren fortriss.Die »Lebenslüge« schien mit der »Anerkennung der Realitäten« endlichausgelöscht zu sein – wenigstens in den Köpfen der Bürger, wenn-1453


<strong>1985</strong>gleich sie vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Grundlagen-Vertrag und durch die Zementierung des Wiedervereinigungsgebotesjuristisch noch einmal erhärtet wurde.“Dass sie in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger ausgelöscht war,fiel den Ost-Deutschen spätestens <strong>1990</strong> auf. Dass sie die Skepsis allervier Alliierten bis zum Schluss wachhielt, fällt jedem auf, der den Fortgangder Verhandlungen über eine Vereinigung zwischen Ende 1989und Sommer <strong>1990</strong> nachliest. Brandts Verdienst war es, die Lebenslügevom Deutschen Reich in seinen Grenzen aus unserer grauen Vorzeit zuGrabe getragen zu haben. Klaus Harpprechts Verdienst war es, seinemAuditorium eingeredet zu haben, ausgerechnet Brandt hätte diese DDRzu einer Dauereinrichtung gemacht. Super. Und das Verdienst jenesBundesverfassungsgerichts war es, juristisch klarzustellen, dass einerwie Willy Brandt überhaupt nichts an der völkerrechtlichen Ausgangslagevom 31. Dezember 1937 geändert hatte, was der allerdings leiderbis zum Ende nicht verstand.1454


Alles zum Wohle des Volkes<strong>1985</strong>Es gab natürlich nicht nur die juristischen Probleme. „Damals hatte dieKoko Computertomografen bei Siemens bestellt; gegen die Lieferungeines zugehörigen Rechners legte die Pariser Cocom-Behörde jedochihr Veto ein. Daraufhin wandte sich Koko-Chef Alexander Schalck-Golodkowski am 29. Mai <strong>1985</strong> an den bayerischen MinisterpräsidentenFranz Josef Strauß [CSU] und bat ihn, »das Problem lautlos zu klären«.Nur einen Tag später rief die bayerische Staatskanzlei bei Siemens an.Noch am selben Tag zog der Konzern seinen Antrag auf Auslieferungdes Tomografen bei der Pariser CoCom-Behörde zurück und bat diezuständige Abteilung im Bonner Bundeswirtschaftsministerium umHilfe. Dort reagierte man umgehend und reichte in Paris einen eigenenLieferantrag mit der Bitte um beschleunigte Behandlung ein. Schon am3. Juni <strong>1985</strong> meldete Bonn der Münchner Staatskanzlei Vollzug.“ EineWoche später traf der Franz Josef Strauß wieder einmal mit AlexanderSchalck-Golodkowski zusammen. Am 10. Juni <strong>1985</strong> sagte er ihm dannein paar offene Worte: „Eigentlich darf ich Ihnen dies gar nicht sagen,Herr Schalck, aber nehmen Sie das mal mit, ich und meine politischenFreunde sind froh, dass Erich Honecker als Staatsratsvorsitzender undGeneralsekretär die Geschicke der DDR leitet. Wir hoffen, dass dasnoch viele Jahre der Fall ist.“ Jetzt war es also endlich ausgesprochenworden. An dieser Stelle soll jedoch daran erinnert werden, dass einHerbert Wehner schon Wolfgang Vogel gegenüber frohlockt hatte, derdamals in Aussicht stehende Austausch dieses „Nationalkommunisten“Walter Ulbricht gegen den jugendlichen Archtitekten Unserer BerlinerMauer, Erich Honecker, könnte „wohl für die Anliegen, die wir beidehaben, ganz gut sein“. Aber Helmut Schmidt hatte es ja auch trauriggemacht, dass Breshnjew und seine Altherrenmannschaft tatsächlicheinmal aus biologischen Gründen nicht mehr im Amt sein würde. HatFranz Strauß nicht auch bereits in den fünfziger Jahren den Jungs ausOst-Berlin seine Kooperationsbereitschaft signalisiert? Und was warmit den vielen anderen, die gegen den erklärten Willen der Amerikanermithalfen beim Aufbau des Sozialismus, um einen Systemkonfliktzu konstruieren, in dessen Verlauf man auch einen zweiten deutschen1455


<strong>1985</strong>Staat anerkennen konnte? Für mich bleibt ganz schleierhaft, warumder Genosse Erich Honecker nicht spätestens nach der wunderbarenBotschaft aus München die finanziellen Mittel, die doch ohnehin rarwaren, zu Investitionen in die Wirtschaft nutzte. Statt dessen hat erdie Knete auch weiterhin für die Verteidigung seines Spielplatzes verschossen.Im Spiegel hieß es im Nachhinein: „Auf dem vergleichsweisewinzigen Territorium der DDR – 108 333 Quadratkilometer, das sind0,02 Prozent der Erdoberfläche – standen mehr als eine Million Mann,jeder fünfte Erwachsene, mit dem Gewehr bei Fuß, der Machtfrage wegen.Nirgendwo in Europa drängelten sich so viele Schwerbewaffneteauf so engem Raum. Dieser Rekord wird noch überboten durch daszweite Kuriosum: Die bitterarme DDR hinterließ der Bundesrepublik<strong>Deutschland</strong> in diversen Waffenkammern Schießgerät und Munitionim Wert von rund 100 Milliarden Westmark.“ Es kann die Vorstellungvom Realitätssinn des Genossen Erich Honecker ergänzen, wenn wirseine Wiedergabe eines Gespräches mit der Chefetage der DKP in Bonnbetrachten: „Vor allem wurde hervorgehoben, dass Kommunisten inder Lage sind, einen modernen Staat zu leiten.“ Weil die militärischeAusrüstung andererseits auch nicht nur aus den befreundeten Bruderländernkam, sondern hin und wieder auch aus der benachbarten BRD,floss ein Teil des Geldes, das von dort über Kredite in die DDR gepumptworden war, wieder dort hin, wo es her kam.Die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe von Bündnis 90/Die Grünenwurde nach dem Ende Unserer Geschichte in einem Interview gefragt,ob BRD-Firmen die Ausrüstung für den Todesstreifen verkauft hätten.Darauf hatte diese Abgeordnete geantwortet: „Zum Teil. Eine Tochterfirmavon Heckler & Koch in London lieferte <strong>1985</strong> der DDR über denWaffenhändler Schulz für über eine Million Valutamark zusammen100 Scharfschützengewehre HK 33 SGI, 100 Maschinenpistolen K5, 30Nachtsichtgeräte Orion 80 und Munition.“ Darauf folgte die logischeFrage, ob es „Verfahren gegen die dafür Verantwortlichen“ gegebenhabe, worauf die wirklich zu kritische Bürgerrechtlerin konstatierte:„Meines Wissens nicht.“1456


<strong>1985</strong>„1986 wurden noch mal 100 Scharfschützengewehre geliefert und 100Präzisions-Dreibeine als Zubehör. Die wurden von Heckler & KochLondon zur KoKo-Firma »Imes« nach Rostock geliefert. Diese Waffenblieben in der DDR. Man kann sich denken, wo sie eingesetzt wurden.Es gab viele solcher Geschäfte.“ Es ist ja schön zu wissen, dass es vielesolcher Geschäfte gab. Frau Köppe wurde auch gefragt: „Der Ausschusshatte auch die Aufgabe, herauszufinden, was BND und Verfassungsschutzüber das Ko-Ko-Imperium wussten. Ist das zu schaffen?“ Es istschon ein bisschen lustig, wie überrascht die ehemalige Eingemauertedaraufhin festgestellt hatte: „Nach den letzten, versehentlichen BND-Aktenlieferungen frage ich mich, warum uns diese Behörden nicht beider Arbeit unterstützt haben. Da gab und gibt es Informationen, dieuns vorenthalten werden.“Meine Lieblingsantwort bei Vicco von Bühlow alias Loriot war immer:„Ach.“ Der BND hatte ja auch nicht die Aufgabe, Bürgerrechtlern beider Arbeit zu helfen. Er war seinerzeit von den Truppenteilen in Bonnherangezogen worden, um die Außenpolitik tatkräftig zu unterstützenund die antifaschistischen Aktivitäten der Gründungsmütter und derGründungsväter der Bonner Republik geheim zu halten.Der Wirtschaftsmagnat Alexander Schalck-Golodkowski war genausoerstaunt wie Ingrid Köppe: „Aber wir haben doch niemanden gezwungen,uns das zu liefern. Die haben doch alle freiwillig mitgemacht, weilsie natürlich auch daran verdient haben. Und nebenbei gesagt: In derganzen Zeit zwischen 1986 und 1989, wo dies lief, wo jeder wusste, dassdas läuft, hat mich kein Staatsanwalt, kein Politiker in der Bundesrepublikgefragt, ob das stimme, dass hier die Cocom-Bestimmungenumgangen werden. Der BND und der Verfassungsschutz haben das imDetail gewusst, was da läuft. Die Nachrichtendienste haben mir dochim Januar <strong>1990</strong> alle Lieferanten genannt, sogar noch mehr, als ichüberhaupt kannte. Wie kann man mir heute daraus einen Vorwurfmachen? Maßgebliche Behörden in der Bundesrepublik kannten dieVorgängen im Detail besser als ich.“ Aber so einen schlimmen Vorwurfhat man ihm daraus dann auch gar nicht gemacht. Er kam nach dem1457


<strong>1985</strong>Zusammenbruch Unserer „sogenannten“ DDR mit einem blauen Augedavon. Sein Großer Bruder Strauß hatte ob der späten Enthüllungen jaauch nichts mehr auszustehen. Der war dann schon tot, als das allesherauskam: „Unablässig produzierte Schalck für Mielke »Berichte«.Nur wenige konnten sichergestellt werden, doch diese wenigen – Mitschriftenoffenbar heimlich aufgenommener Gespräche mit Straußüber neue Nato-Waffensysteme – begründen nach Ansicht des Generalbundesanwaltesden Verdacht, sie hätten nachrichtendienstlich fürdie HVA »sinnvolle Verwendung finden« können.“ Doch das half demReich der Arbeiter und Bauern nur bedingt: „Aber der Schuldenbergwuchs trotzdem. Wie hoch genau, ist nicht völlig klar. Interne Zahlen,die von Schürer und anderen benutzt wurden, verzeichneten für <strong>1985</strong>einen Anstieg des »Sockels«, also der Nettoverschuldung, auf beinahe30 Milliarden Valutamark, für 1987 auf nahezu 35 Milliarden. Eine Vorlagevon Schürer, Schalck und anderen für die neue ParteiführungEnde 1989 ging davon aus, dass die Nettoverschuldung bis Ende 1989auf unglaubliche 49 Milliarden anwachsen könnte.“ Aber natürlich hatunser Großer Bruder aus München trotzdem oder gerade deshalb nochtiefer in seine Taschen gegriffen: „Um das gute Klima nicht zu stören,unterstützte Strauß daraufhin die Verhandlungsposition der DDR imStreit um die Post-Pauschale: Sie wurde im November von 85 auf stolze200 Millionen Mark angehoben.“ Die wurden dann der guten Transitpauschalein Höhe von 525 Millionen DM hinzugefügt. Große Brüdersind manchmal einfach Klasse: „Auch später griff Koko-Chef Schalckwiederholt auf seine Verbindungen nach München und Bonn zurück.Etwa im Dezember <strong>1985</strong>, als sich eine Lieferung von Computern imWert von rund 25 Millionen Mark verspätete. Strauß schaltete sich ein,und die Geräte wurden geliefert. Ein paar Monate zuvor hatte Schalckbereits Kanzleramtschef Wolfgang Schäuble informiert, dass die DDRwie abgesprochen »6 Güter der ersten Sorte« bei Siemens bestellt habe– eine Formulierung, mit der Embargogüter umschrieben wurden.“Insgesamt „beschaffte Schalck zwischen <strong>1985</strong> und 1989 jährlich fürüber zwei Milliarden D-Mark westliche Spitzentechnologie“.1458


<strong>1985</strong>Brandt auf Versöhungstour in Ost-BerlinElf Jahre nach seinem Rücktritt als Kanzler fuhr Willy Brandt letztlichzu einem Besuch nach Ost-Berlin. Dort wurde er ein früher Zeuge desbedauerlichen Weges der DDR in die endgültige Unabhängigkeit vonMoskau: „Die Distanz zu Gorbatschows Sowjetunion trieb HoneckersDDR noch weiter in die Arme der Bundesrepublik, als die ökonomischenNöte es ohnehin geboten sein ließen. Als sich am 19. September<strong>1985</strong> das Mittagessen im Staatsratsgebäude dem Ende zuneigte, standHonecker entschlossen auf, ging um die lange, mit vielleicht zwanzigPersonen besetzte Tafel herum an die andere Seite des Saals, öffneteumständlich eine Schranktür, holte eine Flasche heraus (es war sonstnichts drin) und stellte sie in die Mitte des Tisches, mit Nachdruck unddem Ausspruch: Wir gehen den deutschen Weg. Bei der Flasche handeltees sich um einen Wodka der Marke Gorbatschow. W. B. zuckteleicht zusammen und zwinkerte in die Runde, so als wolle er sagen:Das russische Alkoholverbot ist witzig, aber die deutsche Reaktion fastnoch witziger.“ Auf einem Wahlflugblatt aus dem Jahre <strong>1990</strong> hat manBrandt aus diesem Besuch noch nachträglich einen Strick gedreht. Injenem Pamphlet wurde ein gemeinsamer Spaziergang von Brandt undHonecker durch ein Ost-Berliner Wohngebiet süffisant kommentiertmit dem Vermerk, das hätten Diktatoren gern, sich mit netten, kleinenKindern fotografieren zu lassen. Der Spiegel konnte die Verlogenheitnicht fassen: „Die Union setzt auf das kurze Gedächtnis des Publikums.Als hätte nicht auch die CDU Vereinbarungen mit Ost-Berlin stets alsgroßen Erfolg gefeiert und sich, zumal in Wahlkampfzeiten, gern beiden östlichen Diktatoren gezeigt – heute sollen es nur die Genossengewesen sein.“ Die Genossen von der SPD.Unterdessen war der knallharte Saarländer Oskar Lafontaine, der da janoch in dieser SPD war, in eigener Angelegenheit bei Herrn Honeckerund erklärte dem Diktator: „Man werde, wenn man einen normalenReiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten wolle, irgendwannin der Frage der Staatsbürgerschaft so entscheiden müssen, dass maneben die Staatsbürgerschaft anerkennt.“1459

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!