31.07.2015 Aufrufe

Reinhard Gehlen und der Kalte Krieg - Deutschland 1933 – 1990

Reinhard Gehlen und der Kalte Krieg - Deutschland 1933 – 1990

Reinhard Gehlen und der Kalte Krieg - Deutschland 1933 – 1990

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Kalte</strong> <strong>Krieg</strong>Die Teilung <strong>Deutschland</strong>s nach dem II. Weltkrieg wird dem <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong> zwischen den USA <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sowjetunionzugeschrieben. Er wird in seinen Erscheinungsformen beschrieben, sein Ursprung bleibt jedochunklar. Der Begriff fällt in unterschiedlichen Darstellungen im Zusammenhang mit Ereignissen,die sich zwischen 1945 <strong>und</strong> 1948 zutrugen, <strong>und</strong> dient später als Erklärungsmuster für die allmählichhochwogende Konfrontation zwischen den Demokratien im Westen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion. Es ist jedochnicht auszumachen, welche abträgliche Aktivität <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ihn vielleicht ausgelösthat. Die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> Amerikaner bezüglich <strong>der</strong> Sowjetunion wird frühestens aufden Tod des Präsidenten Franklin D. Roosevelt <strong>und</strong> die Amtsübernahme durch Harry Truman im Frühjahr1945 datiert.Bei <strong>der</strong> Journalistin Marion Gräfin Dönhoff, die im Dritten Reich unter Lebensgefahr Kurierdienstezwischen hochrangigen Persönlichkeiten im Wi<strong>der</strong>stand <strong>und</strong> Kontaktpersonen im Ausland leistete <strong>und</strong>die eine hervorragende Rolle in <strong>der</strong> therapeutischen Öffentlichkeitsarbeit <strong>der</strong> deutschen Nachkriegseliteinnehatte, findet sich <strong>der</strong> Begriff allerdings schon früher. In einem Zeitungsartikel vom 26. Juli 1963 bescheinigtesie <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>, dem vormaligen Chef <strong>der</strong> Abteilung Fremde Heere Ost des Generalstabs<strong>der</strong> Wehrmacht <strong>und</strong> späteren ersten Chef des BND, ein „präzises Gehirn, einem Elektronenrechnergleich“, <strong>der</strong> „bereits 1944 den <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong> kommen sah“. Sie kannte <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> persönlich;vielleicht wusste sie, was sie da sagte.Die weitsichtige Annahme einer späteren Gegnerschaft zwischen den westlichen Alliierten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sowjetunionmuss erstaunen, denn <strong>der</strong> Publizist Sebastian Haffner stellte im Londoner Observer am 1. Februar1959 fest: „Drei Perioden kennzeichnen die deutsche Geschichte seit 1945. Von 1945 bis 1948 bemühtensich die westlichen Alliierten <strong>und</strong> Russland, die deutsche Frage gemeinsam zu lösen.“ Dann benennter die an<strong>der</strong>en zwei Perioden. Zwischen 1944 <strong>und</strong> 1948 bleibt aber eine Differenz von mehr alsdrei Jahren. Trumans Präsidentschaft begann auch erst nach 1944. Welche Rolle spielte <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>?Nähern wir uns <strong>der</strong> Lösung des Rätsels mit einem an sich als Bettlektüre für Hobbyhistoriker geeignetenWälzer. Auf tiefrotem Gr<strong>und</strong> ist ein großes weißes Fadenkreuz, darunter ein schwarzer Fingerabdruck,<strong>und</strong> im oberen Bereich des Einbands steht <strong>der</strong> Titel des Buches: Geheimdienste in <strong>der</strong> Weltgeschichte– Von <strong>der</strong> Antike bis heute. Da steht bestimmt viel Interessantes <strong>und</strong> Wissenswertes drin; eswäre jedoch ulkig gewesen, wenn <strong>der</strong> BND da völlig gefehlt hätte.Also erzählte man so ein bisschen, was sowieso niemand zu einem Bild formen kann: „Noch schlechterentwickelte sich <strong>der</strong> Ostkrieg selbst. Deshalb bereitete sich <strong>der</strong> zum Generalmajor aufgestiegene <strong>Gehlen</strong>– wie übrigens viele in den deutschen Eliten – auf den absehbaren Untergang <strong>der</strong> Herrschaft Hitlersvor. Er tat es allerdings sorgfältiger als die meisten. Einige handverlesene Mitarbeiter ließ er 50 wasserdichteKisten mit Geheimdienstmaterial füllen <strong>und</strong> nach Süddeutschland transportieren. Dass <strong>Gehlen</strong>dabei, wie so viele vom <strong>Krieg</strong>srausch verwirrte Deutsche, von einer Fortsetzung des Ostkrieges mit angloamerikanischerUnterstützung träumte, ist nicht auszuschließen. Beweisstücke, wenn es sie je gab,hätte <strong>Gehlen</strong> wohl später vernichtet. (Noch als BND-Präsident setzte er alle Hebel in Bewegung, um historischeUntersuchungen über seine Tätigkeit an <strong>der</strong> Ostfront zu vereiteln.)“Er hatte auch allen Gr<strong>und</strong>, Untersuchungen über seine Tätigkeit an <strong>der</strong> Ostfront zu vereiteln, gehörte erdoch letztlich zu denen, die mit aller Konsequenz versuchten, den Hitleradolf aus <strong>der</strong> deutschen Geschichtezu nehmen. „<strong>Gehlen</strong> kannte nicht nur das Vorhaben <strong>der</strong> Verschwörer, er bewahrte in einerSchreibtischschublade in seinem Hauptquartier den Aktionsplan für die Operation Walküre, die ErmordungHitlers, auf. Zum Zeitpunkt des gescheiterten Attentats selbst lag <strong>Gehlen</strong> im Lazarett.“Die Schlüsselrolle, die <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> bei diesem Staatsstreich von 1944 innehatte, wurde in den Jahrennach 1945 nicht erwähnt. Das wäre aber genau <strong>der</strong> Baustein gewesen, mit dessen Hilfe man auch imAusland ein völlig an<strong>der</strong>es Bild von den Absichten <strong>der</strong> 1949er Führung in Bonn bekommen hätte. Ganzam Rande brabbelte ein Erich Schmidt-Eenboom so vor sich hin: „Wie <strong>Gehlen</strong> es fertig brachte, von ei -ner <strong>der</strong> publizistischen Wegbereiterinnen einer neuen, aufgeklärten Ostpolitik als Weggefährte angesehenzu werden, bleibt sein Geheimnis. Eine plausible Antwort auf die Frage, warum Gräfin Dönhoff ihnin je<strong>der</strong> Beziehung zu loben wusste, könnte im Verhältnis bei<strong>der</strong> zum militärischen Wi<strong>der</strong>stand im DrittenReich liegen, <strong>der</strong> für beide bestimmend für ihr weiteres Leben war.“ Das war durchaus eine plausibleAntwort.


Noch in seinen Memoiren, die 1971 unter dem Titel Der Dienst auf den Markt kamen, beklagte er sich,dass kaum jemand wusste, welche Rolle er selbst damals spielte: „Wie an<strong>der</strong>e meiner Fre<strong>und</strong>e wurdeauch Oberst von Roenne ein Opfer <strong>der</strong> nach dem 20. Juli 1944 ausgelösten Verfolgungen. Es ist nicht alleindas tragische Schicksal vieler, mit denen ich mich verb<strong>und</strong>en fühlte, das mich veranlasst, mein Wissenum die Zusammenhänge <strong>und</strong> Hintergründe des 20. Juli darzustellen <strong>und</strong> die mir gegebenen Möglichkeitenaufzuzeigen. Ich nehme auch deshalb Stellung, weil mir gelegentlich aus Unkenntnis <strong>der</strong> Verhältnissevorgehalten wurde, ich hätte mich stärker exponieren <strong>und</strong> aktiv an <strong>der</strong> Beseitigung Hitlers beteiligensollen.“ Woher sollte man Kenntnis von seiner Rolle haben, wenn keiner darüber sprach?Wie stand es um die Zusammenhänge <strong>und</strong> um die Hintergründe? „Im Jahre 1943 wies mich GeneralHeusinger kurz in die Wi<strong>der</strong>standsvorbereitungen ein. Nach allen Feststellungen <strong>und</strong> Überlegungen,die immer wie<strong>der</strong> auf Hitler als den Verantwortlichen für die bevorstehende Katastrophe führten, kamenmir Heusingers Hinweise nicht überraschend; gehörte doch <strong>der</strong> General, ebenso wie ich, zum Kreise<strong>der</strong>er, denen alle Nachrichten zugänglich <strong>und</strong> damit auch die Folgen für unser schwer ringendes Vaterlan<strong>der</strong>kennbar waren. In <strong>der</strong> Folgezeit habe ich mich bemüht, in manchen Unterhaltungen mit meinemRegimentskameraden Stieff, damals Chef <strong>der</strong> Organisationsabteilung, auf die zwingend notwendigeBeschränkung des Mitwisserkreises <strong>und</strong> vor allem auf allergrößte Vorsicht bei <strong>der</strong> Vorbereitung vonGewaltaktionen zur Beseitigung Hitlers hinzuweisen.“Tatsächlich sind <strong>Gehlen</strong>s Memoiren geeignet, um das Rätselraten r<strong>und</strong> um diese Vorgänge zu beenden.Anfang <strong>der</strong> siebziger Jahre war dieser <strong>Kalte</strong> <strong>Krieg</strong> dann schon so gut in Schwung gekommen, die Bedrohungdurch die Atomwaffenarsenale auch <strong>der</strong> Sowjetunion schon so enorm, dass er wohl meinte, jetztkönne er sich damit brüsten, dass ursprünglich er die Amerikaner auf diese angebliche Gefahr gestupsthatte, die von den Russen ausgegangen sein soll. Damals war es ja längst nicht absehbar, dass einmalfür die Amerikaner eine Möglichkeit bestehen würde, mit den Sowjets über ihre tatsächlichen militärtechnischenMöglichkeiten in den früheren Jahren ins Gespräch zu kommen; <strong>und</strong> immer wenn die Russenihre Unschuld beteuerten, wurde ihnen das ja, wie Sie sich erinnern, nicht geglaubt. Lassen wir unsvon ihm in die geheimsten Geheimnisse <strong>der</strong> Neuzeit einführen: „Jahrelang waren wir gezwungen, mitden Augen des Gegners zu sehen <strong>und</strong> uns in seine Denkweise <strong>und</strong> Absichten einzuleben. Schon frühzeitigkonnten wir seine wachsende Siegeszuversicht feststellen <strong>und</strong> mussten sie als berechtigt anerkennen.Damit ahnten wir aber auch unausweichlich das Herannahen <strong>der</strong> Katastrophe voraus. Es ist verständlich,dass sich dabei auch Überlegungen aufdrängten, was getan werden müsse, wenn <strong>der</strong> Zusammenbrucheinmal eingetreten sei.Selbstverständlich entstehen solche Überlegungen nicht auf einmal. Unsere Überlegungen reiften in einemlangen, durch Zwischenräume, in denen uns die Nöte des Alltages voll beschäftigten, unterbrochenen,schmerzhaften Denkprozess. An ihm war neben mir vornehmlich mein Vertreter <strong>und</strong> zweimaligerNachfolger, <strong>der</strong> jetzige Generalleutnant a. D. <strong>und</strong> Präsident des B<strong>und</strong>esnachrichtendienstes Wessel, beteiligt.Unsere Überlegungen wurden dadurch begünstigt <strong>und</strong> nach außen abgeschirmt, dass <strong>der</strong> innereZusammenhalt meiner Abteilung allen Krisen standhielt <strong>und</strong> dass wir uns vorbehaltlos aufeinan<strong>der</strong> verlassenkonnten. Selbst <strong>der</strong> »Nationalsozialistische Führungsoffizier« machte hierbei keine Ausnahme.Dies war nicht überall so. Extreme Haltungen, sowohl in <strong>der</strong> Form eines ausgeprägten Nationalsozialismuswie auch eines hemmungslosen Fatalismus in <strong>der</strong> inneren Einstellung mancher jüngerer Offiziereaußerhalb meiner Abteilung, zeigten doch zuweilen, dass die Dauer des <strong>Krieg</strong>es <strong>und</strong> die Indoktrinationsich auswirkten. [...] Wir konnten uns aber auch nicht mit dem Gedanken abfinden, dass nunmehr endgültigdas Ende <strong>Deutschland</strong>s gekommen sei. Dieses Sich-nicht-abfinden-Wollen drängte mir darüberhinaus Überlegungen darüber auf, welche Verpflichtungen sich für mich aus meiner damaligen Stellungheraus für die Zukunft nach dem <strong>Krieg</strong>e ergeben.“„Um das notwendige Schlüsselpersonal für die spätere Arbeit sicherzustellen, wurden drei Gruppen gebildet,die sich an drei vorbereiteten Punkten in den Alpen solange – etwa 3 Wochen – aufhalten sollten,bis das große Durcheinan<strong>der</strong>, das bei <strong>Krieg</strong>sende zu erwarten war, in einigermaßen überschaubareVerhältnisse übergegangen war. Dann sollten sich diese Gruppen bei <strong>der</strong> nächsten amerikanischenOrtskommandantur melden <strong>und</strong> sich in Gefangenschaft begeben. Da zu erwarten war, dass die Amerikanerversuchen würden, dieses Ic-Personal mit längerer Erfahrung in eigener Regie selbst einzusetzen,wurden die Gruppen angewiesen, sich zu keiner Mitarbeit bereitzuerklären, bevor sie einen schriftlichenBefehl von mir persönlich erhalten hätten.“Dann wurde es Ernst: „Während <strong>der</strong> beiden Pfingstfeiertage genossen wir die Gastfre<strong>und</strong>schaft <strong>der</strong> ElternErwins, mit denen wir uns viel zu erzählen hatten. Am Dienstag früh machten wir uns mit unseren


Rucksäcken auf den Weg zum Bürgermeisteramt, in dem <strong>der</strong> Ortskommandant sein Domizil aufgeschlagenhatte. Ich kann mich noch gut an meine damaligen Gefühle erinnern. Auf <strong>der</strong> einen Seite empfandich eine Art Galgenhumor, dass ich – immerhin Generalmajor in einer wesentlichen Stellung währenddes <strong>Krieg</strong>es – mich nunmehr einem jungen amerikanischen Oberleutnant ausliefern musste. An<strong>der</strong>erseitsgab es kein Zurück. Der Ortskommandant war verständlicherweise sehr aufgeregt, als sich beiihm ein General <strong>und</strong> vier Generalstabsoffiziere meldeten. Welchen »Fang« er gemacht hatte, konntenwir ihm nicht auseinan<strong>der</strong>setzen, da er kein Deutsch <strong>und</strong> wir damals kein Englisch sprachen. Er rief sofortbei seiner vorgesetzten Dienststelle an <strong>und</strong> erhielt die Weisung, uns einzeln nacheinan<strong>der</strong> zu <strong>der</strong>Division nach Wörgl zu bringen. Ich wurde als erster in einen Jeep <strong>der</strong> MP [Military Police] verfrachtet<strong>und</strong> bei dem G-2, dem Feindlagenbearbeiter <strong>der</strong> Division, in Wörgl abgeliefert. Dieser G-2 erfasste sofortwelche Bedeutung unsere Selbstgestellung hatte <strong>und</strong> zeigte sich an einer Befragung sehr interessiert.Ich wurde von ihm in Gegenwart einer Sekretärin vernommen, die über diese Aussagen Protokollführte. Die wichtigsten Fragen erstreckten sich zunächst allerdings weniger auf meinen früheren Fachbereichals vielmehr auf die Verhältnisse in <strong>Deutschland</strong> in <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus.“ Daskonnte nicht wirklich überraschen, verdeutlicht aber, worum es den Amerikanern nach dem Sieg ursprünglichging.Generalmajor <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> träumte nicht von einer Fortsetzung des Ostkrieges mit angloamerikanischerUnterstützung. Seine Stellung erlaubte es ihm, den Amerikanern nach dem <strong>Krieg</strong> weiszumachen,er wüsste Schlimmes über das Militär <strong>und</strong> die Absichten <strong>der</strong> Sowjets; <strong>und</strong> das galt es ab 1945 denAmerikanern einzureden, die die Sowjetunion nach <strong>der</strong> Unterstützung, die ihr Amerika während des<strong>Krieg</strong>es gegen Hitler-<strong>Deutschland</strong> geleistet hatten, auf dem Weg einer Liberalisierung des kommunistischenReiches sahen. Lassen wir ihn selbst berichten: „Bis jetzt war ich, einschließlich des uns betreuendenVernehmungsoffiziers, nur amerikanischen Offizieren begegnet, die die Lage ausschließlich unterdem Eindruck <strong>der</strong> offiziellen [amerikanischen] Propaganda sahen. Fast alle, mit denen ich bisher gesprochenhatte, waren <strong>der</strong> Auffassung, dass die Sowjetunion sich vom Kommunismus hinweg zu einemliberalen Staat entwickele. Von Stalin wurde immer als von »Uncle Joe« gesprochen. Über die tatsächlichenexpansiven Ziele <strong>der</strong> Sowjets bestanden bei meinen bisherigen Gesprächspartnern keinerlei Vorstellungen.“Unter diesen Umständen wäre es nach dem <strong>Krieg</strong> gewiss möglich gewesen, eine Liberalisierung<strong>der</strong> Sowjetunion auszuhandeln, sich in <strong>der</strong> deutschen Frage zu einigen <strong>und</strong> auch die zeitnaheRückführung <strong>der</strong> deutschen <strong>Krieg</strong>sgefangenen zu erreichen. Doch daraus wurde nichts. Jetzt wurde<strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> erst einmal nach America überführt, wo man ihn intensiv befragte.„Schon am Tage nach meinem Eintreffen wurde ich am Vormittag in den Garten heruntergeführt, womich ein Captain mit Namen Hallstedt begrüßte <strong>und</strong> sich mit mir in die Sonne auf eine Bank setzte.Captain Hallstedt war ein adrett aussehen<strong>der</strong>, sympathisch wirken<strong>der</strong> Offizier. Er mochte etwa 35 Jahrealt sein <strong>und</strong> entsprach in seiner Haltung <strong>und</strong> seinem Auftreten unseren deutschen Vorstellungen überden Offizier schlechthin. Er war, wie ich später erfuhr, von deutscher Abstammung, Amerikaner in <strong>der</strong>zweiten Generation. In Hallstedt traf ich den ersten amerikanischen Offizier, <strong>der</strong> russlandk<strong>und</strong>ig war,<strong>der</strong> die kommende politische Entwicklung illusionslos einschätzte <strong>und</strong> sich darüber eigene Gedankenmachte. Diese Begegnung sollte die entscheidende sein für die weitere Entwicklung meiner Pläne.“ Dahatte er also sein erstes Opfer gef<strong>und</strong>en. Wer die Welt sieht, wie ich es mir wünsche, hat Ahnung von<strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> ist ohne Illusionen. Pluspunkt: wie ein deutscher Offizier. Sigm<strong>und</strong> Freud lässt grüßen:Diese Begegnung sollte die entscheidende sein für die weitere Entwicklung meiner Pläne.„Wir führten ein langes Gespräch über die politische <strong>und</strong> militärische Lage, er erk<strong>und</strong>igte sich eingehendnach meiner früheren Tätigkeit. Nachdem er gegangen war, hatte ich nunmehr eine Nacht Zeit,um mir darüber klar zu werden, ob ich die Karten auf den Tisch legen sollte. Ich tat dies nicht sofort invollem Umfange, son<strong>der</strong>n wir tasteten uns in mehreren Gesprächen zunächst weiter aneinan<strong>der</strong> heran.Hierbei ergab sich nebenbei die Möglichkeit, allmählich meine Gedanken über die Zukunft sowie übermeine Absichten <strong>und</strong> Zielvorstellungen einfließen zu lassen. Die Reaktion des Captains war positiv. Ichnehme an, dass Hallstedt seinen Vorgesetzten, dem G-2 des Oberkommandos, General Sibert, sowiedem Chef des Stabes, General Bedell Smith, über unseren Dialog laufend vortrug <strong>und</strong> dabei angewiesenwurde, die Unterhaltungen im positiven Sinne fortzusetzen, denn Hallstedt wurde von Gespräch zu Gesprächaufgeschlossener. Wir kamen schließlich überein, eine kleine Gruppe meiner früheren Mitarbeiter,unter ihnen Wessel, in Stärke von acht Offizieren zusammenzuziehen. Sie sollten den Amerikanernzeigen, über welche beson<strong>der</strong>en Möglichkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse wir verfügten. Ich gab Hallstedt eineReihe von Briefen <strong>und</strong> die Namen <strong>der</strong> hierfür ausgewählten Offiziere, so dass er sie aus den <strong>Krieg</strong>sgefangenenlistenermitteln konnte, um sie nach Wiesbaden zu holen. Es dauerte viele Tage, bis die Gruppezusammen war. Hallstedt erzählte mir nach seiner Rückkehr mit einem amüsierten Lächeln, dass er


alle Herren zunächst angesprochen hätte, ohne meinen Brief vorzuweisen; sie wären allesamt völlig unzugänglichgewesen, bis er den Brief, <strong>der</strong> wie eine Art »Sesam öffne dich« gewirkt habe, hervorzog. Ergab freimütig zu, wie sehr ihn diese Haltung beeindruckt habe.“Schön, dass sich <strong>der</strong> Amerikaner so fürstlich amüsiert hat. Auf diese Art hatte <strong>Gehlen</strong> jedoch abgesichert,dass sein Plan aufging. Er nahm sich die Zeit, in Ruhe zu sondieren, ob er mit den AmerikanernFußball spielen konnte, <strong>und</strong> nachdem er alles vorbereitet hatte, ließ er die an<strong>der</strong>en Spielfiguren auf denTisch holen. Mir fiel auf, dass er die Deutschen in seinem Büchli auf Seite 58 als ungeeignete Verschwörerbezeichnete. Kann ja sein, er hatte sich etwas dabei gedacht. „Seinen neuen Verbündeten bot <strong>Gehlen</strong>,wie er es nannte - »gute Deutsche«, die ideologisch auf einer Linie mit dem siegreichen Westen seien.“Wenn diese Argumentation die Amerikaner überzeugt hat, muss ich lei<strong>der</strong> annehmen, dass sienicht wussten, wie ein richtiger Nazi getickt hat <strong>und</strong> was „ein guter Deutscher“ zu jener Zeit vom Westenim Allgemeinen <strong>und</strong> von America im Beson<strong>der</strong>en hielt. Aber es ist schön, dass sich die Amerikanerüber ihren Erfolg gefreut haben.„Ein erster Schritt war getan. Ein kleiner Kreis meiner engsten Mitarbeiter war um mich versammelt.Damit waren wir in die Lage versetzt, uns über die verschiedensten Fragen auszusprechen <strong>und</strong> uns ge -genseitig abzustimmen. Die nächste Zeit verging mit Gesprächen über die verschiedensten Themen ausVergangenheit <strong>und</strong> Zukunft. Meine Unterhaltungen mit Hallstedt kreisten immer wie<strong>der</strong> um das gleicheThema: Das Zerbrechen des alliierten Bündnisses kann nur eine Frage <strong>der</strong> Zeit sein. Damit wird <strong>der</strong> bishernur unterschwellig spürbare Ost-West-Gegensatz aufbrechen <strong>und</strong> zu Gefahren für die SicherheitEuropas wie auch <strong>der</strong> Vereinigten Staaten führen. Wie können wir angesichts dieser Zukunftserwartungenmöglichst bald zur Zusammenarbeit gelangen? – Wir beide waren überzeugt, dass es hierzu kommenmüsse, waren uns aber auch <strong>der</strong> Schwierigkeiten bewusst, die sich zwangsläufig ergeben mussten.Zunächst einmal stand noch keineswegs fest, dass mein Vorschlag, das deutsche nachrichtendienstlichePotenzial für die USA nutzbar zu machen, außerhalb des amerikanischen G-2-Dienstes positiv aufgenommenwerden würde. Der G-2-Dienst freilich wusste, wie gering die eigenen Kenntnisse über »UncleJoe« <strong>und</strong> sein Imperium im Augenblick waren. Dem G-2-Dienst musste daher, wie die bisherigenGespräche gezeigt hatten, das Angebot auf Zusammenarbeit nicht nur einleuchten, son<strong>der</strong>n sogar verlocken<strong>der</strong>scheinen. Seine Annahme würde ihm viele organisatorische Arbeit ersparen. Sie gewährleisteteaußerdem den Zugang zu Erkenntnissen, <strong>der</strong>en Beschaffung aus eigener Kraft erst nach Jahren möglichgewesen wäre. Aber im allgemeinen Bewusstsein war die Sowjetunion <strong>der</strong> Verbündete <strong>und</strong> Siegespartner,an dessen Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> demokratische Entwicklung viele noch glaubten. Waren nicht dieAmerikaner auch deshalb in den <strong>Krieg</strong> gezogen, um den »preußisch-deutschen Militarismus« auszurotten?Konnte man <strong>der</strong> eigenen Öffentlichkeit, ja selbst <strong>der</strong> Masse <strong>der</strong> eigenen Offiziere zumuten, angesichts<strong>der</strong> Naziverbrechen, die das Fraternisierungsverbot ausgelöst hatten, nun mit ehemaligen deutschenOffizieren <strong>und</strong> früheren Angehörigen des deutschen Nachrichtendienstes zusammenzuarbeiten?[...] Wenn die Sprache auf meine Vorschläge kam, so war noch um die Jahreswende 1945/46 die Reaktionausweichend, da man offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch die damit verb<strong>und</strong>enen politischenRisiken scheute. Uns wurde gesagt, man müsse abwarten, bis sich die öffentliche Meinung gegenüber<strong>Deutschland</strong> beruhigt <strong>und</strong> gegenüber den Russen abgekühlt habe. Die Öffentlichkeit müsse erst einmaldie Sowjets <strong>und</strong> das sowjetische Problem so sehen wie es in Wirklichkeit gesehen werden müsste, an<strong>der</strong>nfallswürden in einem demokratisch geführten Staat wie den Vereinigten Staaten sowohl außenpolitischewie innenpolitische Schwierigkeiten eintreten.“Verehrtes Publikum! Sie dürfen jetzt nicht lachen, auf welcher Gr<strong>und</strong>lage sich diese Zusammenarbeitzwischen den Westdeutschen <strong>und</strong> ihren Fre<strong>und</strong>en in America letztlich abspielte. Sie wurde in einemGentlemen’s Agreement fixiert. Stellen Sie sich also vor, Sie schließen mit jemandem einen Vertrag ab.Es geht darum, dass Sie sich gegen einen Dritten verteidigen <strong>und</strong> dafür die Hilfe Ihres Partners nutzenwollen. Ihr Partner gedenkt jedoch, nicht unter Ihnen o<strong>der</strong> auch nur für Sie zu arbeiten, son<strong>der</strong>n nurmit Ihnen zusammen – aber unter seiner eigenen Regie. Sobald er souverän ist, dürfen Sie ihm jedochnoch nicht einmal mehr die Aufgaben stellen. Doch Sie sollen den ganzen Spaß finanzieren. Ihr Partnergibt Ihnen dafür die Informationen, die er für richtig hält, die Sie allerdings in absehbarer Zeit nichtüberprüfen können. Ist Ihr Partner erst einmal souverän, kann er darüber entscheiden, ob die Arbeitüberhaupt fortgesetzt wird o<strong>der</strong> nicht. Sie dürfen den Partner wie<strong>der</strong>um nur bis zu diesem Zeitpunktbetreuen. Sollte Ihr Partner einmal vor einer Lage stehen, in <strong>der</strong> Ihr <strong>und</strong> sein Interesse voneinan<strong>der</strong> abweichen,so steht es Ihrem Partner frei, <strong>der</strong> Linie seines eigenen Interesses zu folgen. Sie hatten sichaber zuvor verpflichtet, Ihrem Partner die dabei entstehenden Unkosten zu begleichen. Wenn Sie dasunterschreiben würden, dann sind Sie ein Amerikaner. Sie können diesen Text gerne auch auf den Seiten149 <strong>und</strong> 150 in Der Dienst von <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> selbst nachlesen.


„1.) Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potenzialsgeschaffen, die nach Osten aufklärt, bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinne fortsetzt. Die Gr<strong>und</strong>lageist das gemeinsame Interesse an <strong>der</strong> Verteidigung gegen den Kommunismus.2.) Diese deutsche Organisation arbeitet nicht »für« o<strong>der</strong> »unter« den Amerikanern, son<strong>der</strong>n »mit denAmerikanern zusammen«.3.) Die Organisation arbeitet unter ausschließlich deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikanischerSeite gestellt bekommt, solange in <strong>Deutschland</strong> noch keine neue deutsche Regierung besteht.4.) Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert, wobei vereinbart wird, dass die Mitteldafür nicht aus den Besatzungskosten genommen werden. Dafür liefert die Organisation alle Aufklärungsergebnissean die Amerikaner.5.) Sobald wie<strong>der</strong> eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidungdarüber, ob die Arbeit fortgesetzt wird o<strong>der</strong> nicht. Bis dahin liegt die Betreuung dieser Organisation(später »trusteeship« genannt) bei den Amerikanern.6.) Sollte die Organisation einmal vor einer Lage stehen, in <strong>der</strong> das amerikanische <strong>und</strong> das deutsche Interessevoneinan<strong>der</strong> abweichen, so steht es <strong>der</strong> Organisation frei, <strong>der</strong> Linie des deutschen Interesses zufolgen.“Das hat dieser General Sibert im vollsten Ernst unterschrieben. Für seine Landsleute zwischen demsonnigen California <strong>und</strong> New York wurde die Unterschrift unter das Stück Papier verdammt teuer. SollHerr <strong>Gehlen</strong> seinen Erfolg selbst kommentieren: „Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> letzte Punkt mag verw<strong>und</strong>ern, da hierdoch zur Diskussion stehen könnte, ob <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> Amerikaner dem Deutschen nicht zuviel zugestandenhabe. Gerade dieser Punkt zeugt jedoch von <strong>der</strong> Weitsichtigkeit des Generals Sibert. Er übersahklar, dass die Interessen zwischen den Vereinigten Staaten <strong>und</strong> <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik auf lange Zeit identischsein würden.“ Ein Arzt wird einem Patienten mit Weitsichtigkeit eine Brille empfehlen. An Stellenwie dieser frage ich mich, ob jemand bei <strong>der</strong> CIA <strong>Gehlen</strong>s Memoiren gelesen hat, <strong>und</strong> wenn, ob <strong>der</strong> Zynismusin seiner Sprache auffiel. Schon die Stelle Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> letzte Punkt macht klar, dass er wusste,dass er dem Amerikaner ein unverschämtes Stück Papier zur Unterschrift vorgelegt hatte.Genau so schön ist auch dies. Nach dramatischen Wendungen auf <strong>der</strong> Bühne <strong>der</strong> großen Politik gab esüberraschen<strong>der</strong>weise schon im Jahre 1949 die deutsche Regierung, von <strong>der</strong> das Gentlemen’s Agreementnoch nebulös orakelt hatte. Hören Sie auch dazu <strong>Gehlen</strong> persönlich: „Die deutsche Regierung begann,sich für uns zu interessieren. Zunächst verbot mir zwar, am 21. 12. 1949, Mr. M., wohl auf Weisung vonWashington, weitere Verhandlungen mit deutschen Regierungsstellen zu führen, die Zukunft <strong>der</strong> Organisationsei ausschließlich US-Angelegenheit. Es wurde befürchtet, dass wir die Interessen <strong>der</strong> späterenVerbündeten stören könnten. Dieses Verbot stand nicht im Einklang mit unseren Abmachungen. Eswurde von mir stillschweigend nicht akzeptiert.“ Ich mache nämlich, was ich will. Was wollt Ihr mirdenn?Als Jahrzehnte ins Land gegangen waren, versuchte sich <strong>der</strong> Journalist <strong>der</strong> New York Times <strong>und</strong> zweifachePulitzer-Preisträger Tim Weiner an einer Gesamtdarstellung <strong>der</strong> nicht beson<strong>der</strong>s glorreichen Geschichtedes Auslandsgeheimdienstes <strong>der</strong> Vereinigten Staaten. Sie erschien erst nach <strong>der</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertwendeunter dem Titel CIA – Die ganze Geschichte. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe macht klar,wie begierig die bis dahin so siegreichen Amerikaner die „Informationen“ aufsaugten, die <strong>Gehlen</strong> ihnenanbot: „Im Sommer 1945 erblühte in den Trümmern von Berlin eine seltsame Romanze – amerikanische<strong>und</strong> deutsche Geheimdienstler umwarben einan<strong>der</strong>. Männern wie Captain John R. Boker jr., indessen Familienstammbaum deutsche Vorfahren zu finden waren, leuchtete das Argument dafür unmittelbarein. »Damals war <strong>der</strong> ideale Augenblick, um Informationen über die Sowjetunion zu gewinnen– wenn wir je welche bekommen wollten«, sagte er. Als erster Amerikaner rekrutierte Captain BokerGeneral <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>, den Leiter <strong>der</strong> Abteilung Fremde Heere Ost in Hitlers Generalstab, <strong>der</strong> an<strong>der</strong> Ostfront gegen die Rote Armee eingesetzt war. Die neue Beziehung beruhte auf einem Gedanken,<strong>der</strong> so alt ist wie <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> selbst: Der Feind meines Feindes ist mein Fre<strong>und</strong>.“ Ach so. Diese Logik bleibtmir gerade etwas rätselhaft. Warum sollte <strong>der</strong> Feind meines Feindes mein Fre<strong>und</strong> sein?Was auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>enSeite die Trümmer von Berlin angeht – in <strong>Gehlen</strong>s Memoiren geht es um eine ganze Reihe vonOrten im Süden <strong>und</strong> Südwesten <strong>Deutschland</strong>s; von Berlin ist darin ganz bestimmt keine Rede. Wie kamdieser anonyme Autor überhaupt auf die umkämpfte Reichshauptstadt? Die ersten Amerikaner tauchtendort erst im Juli auf.Doch bleiben wir im Vorwort: „<strong>Gehlen</strong> war ganz versessen darauf, für die Amerikaner zu arbeiten. »VonAnfang an«, sagte er später, »haben mich folgende Überzeugungen geleitet: Die entscheidende Kraftprobezwischen Ost <strong>und</strong> West ist unvermeidlich. Je<strong>der</strong> Deutsche ist verpflichtet, sein Teil dazu beizutra-


gen, so dass <strong>Deutschland</strong> die Aufgabe hat, die ihm zufallenden Missionen für die gemeinsame Verteidigung<strong>der</strong> christlichen Zivilisation des Westens zu erfüllen.«“ Das klang in den Ohren <strong>der</strong> Amerikaner offenbarlogisch, weil es ihrem Bild von den Nazis entsprach. Hätte <strong>Gehlen</strong> das jedoch ernst gemeint,dann hätte er nicht gemeinsam mit seinen Männern den Endsieg des Österreichers über die Bolschewistenverhin<strong>der</strong>t. Darüber hatte er dieFre<strong>und</strong>e in America offensichtlich nicht informiert.Eine Illustration lieferte <strong>Gehlen</strong> gleich persönlich. Ihm war nicht unbekannt, dass „die Sowjets in <strong>der</strong>deutschen obersten Führung über eine gut orientierte Nachrichtenquelle verfügen mussten“, da sie „inkürzester Zeit über Vorgänge <strong>und</strong> Erwägungen, die auf deutscher Seite an <strong>der</strong> Spitze angestellt wurden,bis ins Einzelne unterrichtet“ waren. Da stellte sich natürlich die Frage: Wer war es? Probieren Sie maldie Wendungen langes Schweigen, ein Geheimnis, den Schlüssel, verhängnisvolle Rolle, aufs Sorgfältigste,die rätselhaftesten Fälle <strong>und</strong> engster Vertrauter in zwei Sätzen unterzubringen. <strong>Gehlen</strong> schafftedas: „Ich will an dieser Stelle mein langes Schweigen um ein Geheimnis brechen, das – von sowjetischerSeite aufs Sorgfältigste gehütet – den Schlüssel zu einem <strong>der</strong> rätselhaftesten Fälle unseres Jahrh<strong>und</strong>ertsin sich birgt. Es ist die verhängnisvolle Rolle, die Hitlers engster Vertrauter, Martin Bormann, in denletzten <strong>Krieg</strong>sjahren <strong>und</strong> danach gespielt hat.“ Der gute Mann schrieb auch nicht: vermutlich gespielthat. Er hat <strong>und</strong> fertig; dazu lieferte er keinen Beweis, nichts. Spekulationen <strong>und</strong> warme Luft. Sein Textgipfelt in den Sätzen: „Zwei zuverlässige Informanten gaben mir in den 50er Jahren die Gewissheit,dass Martin Bormann perfekt abgeschirmt in <strong>der</strong> Sowjetunion lebte. Der ehemalige Reichsleiter war bei<strong>der</strong> Besetzung Berlins durch die Rote Armee zu den Sowjets übergetreten <strong>und</strong> ist inzwischen in Russlandgestorben.“ Sehen Sie? Dann hat Hitlers Vertrauter alles verraten! Das macht mich sehr betroffen.Vollkommen unabhängig davon würdigte er 77 Seiten später seinen Kollegen, „den OberstleutnantBaun, den Leiter <strong>der</strong> Dienststelle Walli I, in Bad Elster“. Hermann Baun hatte „auch zuletzt noch Verbindungenbis unmittelbar nach Moskau unterhalten können“. Während es hier wahrhaftig keiner blühendenPhantasie bedarf, in Baun die <strong>und</strong>ichte Stelle zu vermuten, äußerte Meister <strong>Gehlen</strong> bei ihmnoch nicht einmal einen Anfangsverdacht. Dafür lenkte er das Augenmerk des Lesers ohne jegliches Indizauf den Alt-Nazi Martin Bormann, <strong>der</strong> bekanntermaßen den Bunker des Fuehrers verließ, bevor sichselbiger Fuehrer dort seines Lebens beraubte. Genau <strong>der</strong> muss es gewesen sein, <strong>der</strong> den Russen allesverraten hat.Es erschien mir anfangs recht unwahrscheinlich, dass ein Rambo die Amis allein auf das neue Gleis setzenkonnte; <strong>und</strong> siehe da, das war gar nicht nötig. General <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> hatte einen ganzen Anhangim Gefolge: „Viele Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Untergebene des Leiters <strong>der</strong> Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) desOberkommandos <strong>der</strong> Wehrmacht, General <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>, waren in die Verschwörung [gegen Adolf]verwickelt gewesen. An ihrer Spitze stand wohl Alexis Freiherr von Roenne, 1940 zur FHO versetzt, ab1942 Major <strong>und</strong> Leiter <strong>der</strong> Gruppe III <strong>der</strong> FHO <strong>und</strong> seit 1944 Oberst <strong>und</strong> Leiter <strong>der</strong> Abteilung FremdeHeere West. [...] Gestapo-Chef Heinrich Müller leitete im persönlichen Auftrag Hitlers eine Son<strong>der</strong>kommissionmit 400 Spezialisten zur Untersuchung des Attentats. Die Spur Roenne führte ihn auch zurFHO.“Heinrich Walle führte in Aufstand des Gewissens aus, dass schon seit <strong>der</strong> Röhm-Affäre von 1934 <strong>und</strong>verstärkt durch die unwürdige Ablösung von Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch im Jahr 1938in den oberen Rängen <strong>der</strong> Wehrmacht das Bedürfnis nach Wi<strong>der</strong>stand gegen den Führer wuchs. „Blombergwie auch Fritsch hatten geglaubt, <strong>der</strong> Wehrmacht durch Anpassung einen herausragenden Platz imDritten Reich sichern zu können. Bei <strong>der</strong> übereilt durchgeführten Aufrüstung waren diesen Offizierenjedoch Bedenken vor Sanktionen des Auslands gekommen, vor allem als Hitler am 5. November 1937vor den Oberbefehlshabern <strong>und</strong> dem Außenminister die Lösung seiner Lebensraumfor<strong>der</strong>ungen durcheine kriegerische Auseinan<strong>der</strong>setzung in naher Zukunft bekanntgab <strong>und</strong> die militärische Nie<strong>der</strong>werfung<strong>der</strong> Tschechoslowakei <strong>und</strong> Österreichs 1939 ins Auge fasste. Dagegen hatten Blomberg <strong>und</strong> Fritsch Einwändeerhoben. Bei Generaloberst Fritsch hatte sich nach <strong>der</strong> Röhmaffäre, durch die Eindrücke <strong>der</strong> zunehmendenKirchenverfolgung <strong>und</strong> durch dauernde Reibereien mit <strong>der</strong> SS eine Distanzierung vom Nationalsozialismusvollzogen. So kam es Hitler gelegen, den zögernden <strong>Krieg</strong>sminister <strong>und</strong> den unbequemgewordenen Oberbefehlshaber des Heeres entlassen zu können. Gleichzeitig wurden weitere Generaleentlassen. [...] Dennoch blieb Hitlers Misstrauen gegen das Offizierskorps zu Recht wach. In <strong>der</strong>Tat begannen als Folge <strong>der</strong> Fritsch-Affäre die Ansätze zur Bildung einer bürgerlich-konservativen Oppositiongegen Hitler. [...] Ihr technisches Zentrum bildete sich im Amt Ausland/Abwehr (Spionage <strong>und</strong>Spionageabwehr) im OKW unter Admiral Wilhelm Canaris <strong>und</strong> seinem engsten Mitarbeiter OberstleutnantHans Oster. Diesen Männern waren schon bald auf Gr<strong>und</strong> ihrer eingehenden Informationen dieAugen über die verbrecherischen Methoden <strong>und</strong> Ziele <strong>der</strong> neuen Machthaber aufgegangen. Canaris <strong>und</strong>


vor allem Oster traten mit dem Chef des Generalstabes des Heeres, General <strong>der</strong> Artillerie Ludwig Beck,in Verbindung. Hatte General Beck <strong>1933</strong> noch den Siegeszug <strong>der</strong> nationalsozialistischen Bewegung begrüßt,so kamen ihm schon bald aus vorwiegend fachlich-technischen Gründen ernste Bedenken überdie Folgen <strong>der</strong> neuen Politik. Spätestens nach dem endgültigen Entschluss Hitlers am 30. Mai 1938, dieTschechoslowakei anzugreifen, sah er eine drohende kriegerische Verwicklung mit Frankreich <strong>und</strong> England,die den Bestand von Volk <strong>und</strong> Vaterland ernsthaft gefährden musste. Hier waren für ihn die Grenzendes militärischen Gehorsams erreicht.“Es blieb nicht ohne Folgen, dass sich <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand gegen den <strong>Krieg</strong> gerade in dem Amt Ausland/Ab -wehr (Spionage <strong>und</strong> Spionageabwehr) bildete. So gelang es letztlich, den Sieg in diesem <strong>Krieg</strong> davonzutragen.Den fanatischen Militärs war dann irgendwann aufgefallen, dass ihre Aufklärungsorgane nichtsbeziehungsweise nichts Brauchbares auf die Reihe bekamen. Obwohl <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg an sich jaschon eine irre Veranstaltung war, darf davon ausgegangen werden, dass er aus zwei <strong>Krieg</strong>en bestand:einem <strong>Krieg</strong> um den Endsieg <strong>und</strong> dem <strong>Krieg</strong> um ein schnelles Ende des <strong>Krieg</strong>es. Beide <strong>Krieg</strong>e for<strong>der</strong>tenzahllose Opfer.Wilhelm Canaris war <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Abwehrabteilung im Reichskriegsministerium, <strong>und</strong> <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>war <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Militärspione im Osten. „Als <strong>der</strong> Ostfeldzug ins Stocken geriet, schob man die Schulddem zuständigen militärischen Nachrichtendienst, genannt Abteilung »Fremde Heere Ost«, in dieSchuhe.“ Inzwischen ist mir klar, dass man es <strong>der</strong> Abteilung auch nicht umsonst zuschrieb, dass dieserrassistisch motivierte <strong>und</strong> genauso geführte <strong>Krieg</strong> vor den Baum ging. Weil es im Westen dann offensichtlichwurde, hat man Wilhelm Canaris, den Chef <strong>der</strong> Spione, 1944 hingerichtet. Wenn Sie Bil<strong>der</strong> vonihm sehen – ein Vatertyp mit warmen, schönen Augen. Ein Mensch <strong>und</strong> kein Fanatiker. Die Nazis habennoch nach mehreren Jahren nicht gerafft, dass die Spionagechefs ihre Informationen so hinbogen,dass <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> möglichst schnell zu Ende ging, hoffend, dass schon bald einem Attentat auf den Führer<strong>der</strong> Fanatiker inzwischen Erfolg beschieden sein möge.In den Memoiren <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>s finden sich unter an<strong>der</strong>em einige Seiten über Admiral Wilhelm Canaris.In <strong>der</strong> gebotenen Kürze will ich nur ein paar Sätze exemplarisch zitieren, um einen Eindruck vomVerhältnis dieser beiden Männer zu vermitteln: „Die Persönlichkeit des Admirals ist fünf<strong>und</strong>zwanzigJahre nach seinem tragischen Tode – er wurde am 9. April 1945 nach einem höchst fragwürdigen Verfahrenvor einem SS-Gericht in Flossenbürg hingerichtet – noch immer mit einem scheinbaren Schleierdes Zwielichtes umgeben. Er teilt dieses Los mit vielen an<strong>der</strong>en hervorragenden Persönlichkeiten desNachrichtendienstes im In- <strong>und</strong> Ausland, wie z. B. mit Oberst Nicolai. In manchen Veröffentlichungenäußern sich Verfasser, die den Admiral sicherlich nicht gründlich gekannt haben dürften, kritisch überseine Persönlichkeit <strong>und</strong> sein Wirken. Sie werfen ihm Zau<strong>der</strong>n, mangelndes Stehvermögen <strong>und</strong> letztlichimmer wie<strong>der</strong> Undurchsichtigkeit vor.“Dabei lag es im Auge des jeweiligen Betrachters, wie man den Admiral sah. Undurchsichtigkeit werdenihm die Kämpfer für den Endsieg vorgeworfen haben; die Abgeklärten unter den <strong>Krieg</strong>skameraden sahenihn sicherlich eher so: „Dagegen spricht vor allem die Verehrung, welche die Angehörigen <strong>der</strong> »Abwehr«dem Admiral entgegenbrachten <strong>und</strong> auch heute noch entgegenbringen.“ Wären aber alle Kameradenzu den Abgeklärten zu zählen gewesen, hätte <strong>Gehlen</strong>s Abteilung nicht „nach außen abgeschirmt“sein müssen, <strong>und</strong> es wäre nicht so wichtig gewesen, dass sich diese Männer „vorbehaltlos aufeinan<strong>der</strong>verlassen konnten“. Bei <strong>Gehlen</strong> findet sich folgerichtig auch diese Feststellung: „Dem Nationalsozialismusstand Canaris ablehnend gegenüber. Ebenso wie Generaloberst Beck litt er ständig darunter, dassseine innere Einstellung dem unter Bezug auf Gott geleisteten Diensteid wi<strong>der</strong>sprach.“ Marion Dönhoff,die sich äußerst emanzipiert in <strong>der</strong> Männerdomäne bewegte, notierte später: „Sehr beschäftigte dieKreisauer auch das Problem <strong>der</strong> Loyalität in <strong>der</strong> Diktatur, das Recht auf Wi<strong>der</strong>stand, die Bedeutung desEides, die Bestrafung <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sverbrecher.“ Bei <strong>der</strong> Gräfin fand ich auch Worte von Ludwig Beck, demChef des Generalstabs <strong>der</strong> Wehrmacht, an die ihm unterstellten Offiziere: „Ihr soldatischer Gehorsamhat dort eine Grenze, wo Ihr Wissen, Ihr Gewissen <strong>und</strong> Ihre Verantwortung Ihnen die Ausführung einesBefehls verbieten.“Vielleicht interessiert es Sie, dass diese Anweisung auf einer Gr<strong>und</strong>feste des preußischen Befehls basierte.Er war nur bindend, wenn er höherem Gesetz nicht wi<strong>der</strong>sprach. Erst 1934 wurde schließlich je<strong>der</strong>Soldat auf den Führer vereidigt, was es dem Gewissen viel schwerer machte, den Führer selbst über dieKlinge springen zu lassen. General Ludwig Beck gab auch die Or<strong>der</strong> aus: „Es ist ein Mangel an Größe<strong>und</strong> an Erkenntnis <strong>der</strong> Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten


<strong>und</strong> Aufgaben nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufgaben sieht, ohne sich <strong>der</strong>höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volk bewusst zu werden.“Heinrich Walle berichtete, wie das Leben auch ohne Beck weiterging: „Becks Nachfolger, General <strong>der</strong>Artillerie Franz Hal<strong>der</strong>, übernahm am 28. August [1938] das Amt des Chefs des Generalstabs des Hee -res. Er wollte ebenfalls das Risiko eines großen <strong>Krieg</strong>es vermeiden <strong>und</strong> griff daher frühere Staatsstreichpläneseines Vorgängers auf, für den Fall, dass Hitler den Angriff gegen die Tschechoslowakei befehlensollte. [...] Emissäre Hal<strong>der</strong>s <strong>und</strong> Osters informierten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> britischen Regierung <strong>und</strong> versuchten,sie zu einem Kurs <strong>der</strong> Härte gegen Hitlers For<strong>der</strong>ungen zu bewegen. Oberstleutnant Oster hatteden konservativen Ewald von Kleist-Schmenzin zum damaligen britischen Oppositionsführer WinstonChurchill entsandt, General Hal<strong>der</strong> hatte durch den Hauptmann Karl Boehm-Tettelbach mit dem britischen<strong>Krieg</strong>sministerium Verbindung aufnehmen lassen. Im Auftrage des Staatssekretärs des AuswärtigenAmtes, Ernst Freiherr von Weizsäcker, informierte <strong>der</strong> Botschaftsrat <strong>der</strong> deutschen Botschaft inLondon, Theo Kordt, den britischen Außenminister Halifax über die Pläne <strong>der</strong> Opposition. Großbritanniensollte dadurch zu einer unnachgiebigen Haltung veranlasst werden, damit Hitler das <strong>Krieg</strong>srisikounmissverständlich klargemacht würde. Die Englän<strong>der</strong> blieben jedoch mißtrauisch. Großbritanniensuchte zu einer vertraglichen Lösung <strong>der</strong> Sudetenfrage zu kommen. Für die Durchführung einer möglichenAktion im Rahmen <strong>der</strong> Staatsstreichpläne wurde <strong>der</strong> Kommandierende General des III. Armeekorps<strong>und</strong> Befehlshaber im Wehrkreis III (Berlin), General <strong>der</strong> Infanterie von Witzleben, gewonnen.[...] General Hal<strong>der</strong> sollte den auslösenden Befehl geben, General von Witzleben die Durchführung leiten.[...] Außer <strong>der</strong> Verhaftung von Regierungsmitglie<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Parteifunktionären war die VerhaftungHitlers in <strong>der</strong> Reichskanzlei geplant. Hitler sollte nach den Vorstellungen von General Beck <strong>und</strong> einigenVerschwörern vor Gericht gestellt <strong>und</strong> abgeurteilt werden. Damit hoffte man die Entstehung einer neuen»Dolchstoßlegende« zu verhin<strong>der</strong>n. Oster <strong>und</strong> <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Verschwörung beteiligte ReichsgerichtsratDr. Hans von Dohnanyi wollten ihn durch ein Ärztekonsilium unter dem Vorsitz von DohnanyisSchwiegervater, dem Psychiater Prof. Karl Bonhoeffer, für geisteskrank erklären lassen. [...] Zur Durchführungdes Staatsstreiches kam es jedoch nicht. Als die Verschwörer bereit zum Losschlagen waren,kam es zur »Münchener Konferenz« am 29./30. September 1938. Hier erklärte sich <strong>der</strong> britische PremierministerChamberlain, <strong>der</strong> französische Ministerpräsident Daladier <strong>und</strong> <strong>der</strong> italienische Staatsführer(»Duce«) Mussolini mit <strong>der</strong> Anglie<strong>der</strong>ung des Sudetenlandes an das Reich einverstanden. EinStaatsstreich gegen den wie<strong>der</strong>um erfolgreichen »Führer« war damit unmöglich geworden.“„Dass ein Umsturz unvermeidlich war, dass man sich dafür voll einsetzen müsse, wurde Peter Yorckschon sehr früh klar. Aber für ihn wie auch für Moltke, die beide sehr bewusst als Christen lebten, wardie Vorstellung, Hitlers Ermordung planmäßig zu organisieren, ein schweres Problem, die an<strong>der</strong>ennicht so zu schaffen machte. Moltke weigerte sich, die Verbrecher mit»Gangstermethoden« zu beseitigen:»So kann man keine neue Epoche einleiten!« York teilte seine Meinung nicht ganz so eindeutig, jeweiter die Zeit fortschritt. In <strong>der</strong> letzten Zeit hatte er sich dann auch selbst zur Aktion durchgerungen.Alle miteinan<strong>der</strong> aber hielten es für ihre Pflicht, darüber nachzudenken, was getan werden müsse, wennes einmal so weit sein würde.“ Sie lesen hier Erinnerungen von Marion Dönhoff. „Viel wurde über dieletzten Dinge <strong>der</strong> Politik gegrübelt, über die Rolle des Staates <strong>und</strong> die Grenzen <strong>der</strong> Freiheit. [...] WährendPeter Yorck <strong>und</strong> Helmuth Moltke brauchbare, integre Menschen sammelten, die den neuen Staatbauen <strong>und</strong> verwalten sollten, <strong>und</strong> während sie sich bemühten, gemeinsam mit diesen moralische <strong>und</strong>politische Maßstäbe für das nachhitlersche <strong>Deutschland</strong> zu entwickeln, wurden die oppositionellen Offizierevon Zweifeln hin- <strong>und</strong> hergerissen: In <strong>der</strong> Phase spektakulärer Siege war es zu früh, Hitler umzubringen,zu groß schien die Gefahr <strong>der</strong> Dolchstoßlegende; <strong>und</strong> als die Rückschläge einsetzten, war esvielleicht schon zu spät, um etwas an<strong>der</strong>es als bedingungslose Kapitulation zu erreichen. Dennoch wurdeimmer wie<strong>der</strong> Vorbereitung für ein Attentat getroffen, die immer wie<strong>der</strong> auf fast magische Weisescheiterte, weil Hitler seine festgesetzten Pläne o<strong>der</strong> vorgesehen Routen än<strong>der</strong>te.“Aber wir waren bei den Fremden Heeren Ost: „Ein neues Management sollte gef<strong>und</strong>en werden, <strong>und</strong> sobetraute man im April 1942 <strong>Gehlen</strong> mit <strong>der</strong> Leitung, obwohl dieser sich nie mit Geheimdienstarbeit befassthatte, keine Fremdsprachen beherrschte <strong>und</strong> von Russland keine Ahnung hatte. In dieser Versetzungwurde die Geringschätzung deutlich, welche die Tradition preußisch-deutscher Generalstabsoffizieredem Metier <strong>der</strong> Geheimdienstleute entgegenbrachte.“ Das kann er <strong>der</strong> Oma erzählen. Welcher Österreicherhätte aber auch vermuten sollen, dass man aus dieser Abteilung zum Chef machen konnte,wen man wollte, <strong>und</strong> hatte doch immer denkende Deutsche vor sich, die die Arbeit ihrer Vorgänger fortsetzten?Wie zum Beispiel Alexis Freiherr von Roenne nach Wilhelm Canaris. Und wie behalf sich <strong>Gehlen</strong>mit den Sprachen? „Ich holte mir als ersten Mitarbeiter (Ia) den Oberstleutnant i. G. Freiherr vonRoenne <strong>und</strong> als Gruppenleiter I den Major i. G. Herre, beides hochqualifizierte Generalstabsoffiziere,


ten <strong>der</strong> Kirchen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Reichswehr; danach stellten sich einzelne, meist an einflussreicher Stelle, abernicht unter Berufung auf ihre Amtspflicht, son<strong>der</strong>n in persönlicher Gewissensentscheidung gegen dasRegime. Bei Ausbruch des <strong>Krieg</strong>es kamen zu den Berufssoldaten <strong>und</strong> Wehrdienstpflichtigen Regimegegneraus zivilen Berufen in die Wehrmacht, z. B. in das OKW/Amt Ausland/Abwehr <strong>der</strong> Jurist <strong>und</strong>Reichsgerichtsrat Dr. Hans v. Dohnanyi als Son<strong>der</strong>führer (Major), ferner Pfarrer Dietrich Bonhoeffer,die Juristen Dr. Hans Bernd Gisevius <strong>und</strong> Dr. Josef Müller [über ihn werden Sie mehr hören, <strong>und</strong> nachweiteren Namen schließt dieser Satz mit] Peter Graf York, Ulrich Graf Schwerin, Hans Herwarth v. Bittenfelddienten im Heer.“Sollten Sie die Wehrmacht für einen gewöhnungsbedürftigen Fluchtpunkt für oppositionelle Zivilistenhalten, dann geht es Ihnen wie mir. Darauf muss man wirklich erst einmal kommen. Aber dort sind dieWaffenträger in einer großen Anzahl zu finden, die gegen scheußliche Zustände mehr tun können, alsFlugblätter gegen den <strong>Krieg</strong> verteilen. Die dann von den Leuten noch nicht einmal gelesen werden.Und woher weiß so ein oppositioneller Zivilist, wo er sich hinwenden muss mit seinem Anliegen? Dakann man ja nicht den Flur lang gehen, nach dem Lottoprinzip mal an eine Tür klopfen <strong>und</strong> sagen: GutenTag, ich bin <strong>der</strong> oppositionelle Zivilist. Ich will jetzt mal etwas gegen die scheußlichen Zustände unternehmen.Das ging damals böse ins Auge. Aber dieses Vorgehen war 1939 schon nicht mehr nötig:„Oberstleutnant Oster war auch <strong>der</strong> maßgebliche Verbindungsmann zu zivilen Oppositionellen, vor allemaus dem Bereich des Auswärtigen Amtes. Dort hatten einige verantwortungsbewusste Diplomatenebenfalls die Gefahren von Hitlers außenpolitischem Hasardspiel erkannt.“Wenn ich den Autoren des Buches Verrat in <strong>der</strong> Normandie – Eisenhowers deutsche Helfer, den empörtenFriedrich Georg, richtig verstehe, hatten neben <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> auch an<strong>der</strong>e deutsche Militärsdie Gefahren einer verbrecherischen <strong>Krieg</strong>sführung erkannt <strong>und</strong> anschließend dem <strong>Krieg</strong> den <strong>Krieg</strong> erklärt.Die gute National-Zeitung war so fre<strong>und</strong>lich, sein gutes Buch publik zu machen. Friedrich Georghat in mühevoller Detailarbeit den Weltkrieg nachträglich gewonnen, ein Unterfangen, das ich immerfür einen sinnlosen Zeitvertreib für ältere Herren <strong>und</strong> für kleine Jungs hielt. Im einleitenden Text wirdgesagt, dass <strong>der</strong> Autor <strong>der</strong> Frage nachgeht, „ob organisierter Verrat <strong>und</strong> Sabotage durch hohe <strong>und</strong>höchste deutsche Offiziere den Erfolg <strong>der</strong> alliierten Landung in <strong>der</strong> Normandie erst möglich gemachthaben. Autor Friedrich Georg geht zahlreichen Anzeichen nach, dass es im Juni 1944 am Atlantikwalleine organisierte Verschwörung gegeben haben könnte. Neue Erkenntnisse, die sich aus <strong>der</strong> Freigabegeheimer russischer Archive, aus Berichten von Militärwissenschaftlern, Memoiren <strong>der</strong> Beteiligten, sowiekritischen Untersuchungen von Fachleuten ergeben, erfor<strong>der</strong>n nach Ansicht des Verfassers eine völligneue Sicht auf die Invasion. Georg hat eine atemberaubende Indizienkette zusammengetragen, die esunwahrscheinlich erscheinen lässt, dass allein Zufall für das Versagen <strong>der</strong> deutschen Seite verantwortlichgewesen ist.“In einem Interview wurde <strong>der</strong> Autor gefragt: „Obwohl die Verteidiger am Strand von <strong>der</strong> deutschenFührung ihrem Schicksal überlassen wurden, hätten diese über St<strong>und</strong>en beinahe allein schon die Landungin Bedrängnis gebracht. Die deutsche Hauptmacht aber wartete bis Ende Juli 1944 untätig Gewehrbei Fuß auf eine angebliche zweite alliierte Invasion in Pas-de-Calais, die nie kam. Hätte die Invasionin <strong>der</strong> Normandie beim rechtzeitigen Einsatz aller deutschen Einheiten abgewehrt werdenkönnen?“ Darauf antwortete <strong>der</strong> empörte Autor: „Ja, eindeutig. Hier sind sich alle Fachleute auf beidenSeiten <strong>der</strong> ehemaligen <strong>Krieg</strong>sgegner einig. Es standen genügend deutsche Truppen bereit, um noch in<strong>der</strong> Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 in den Invasionsraum herangeführt zu werden, da hätte mannoch nicht einmal die 15. Armee in Pas-de-Calais als Sicherheitsreserve benötigt. Nach <strong>der</strong> unterbliebenenrechtzeitigen Alarmierung <strong>der</strong> Küstenverteidigung war das Ausbleiben des vom deutschen <strong>Krieg</strong>splangefor<strong>der</strong>ten gepanzerten Gegenstoßes <strong>der</strong> zweite bisher unerklärliche Kardinalfehler <strong>der</strong> deutschenVerteidigung. Stattdessen überließ man die Verteidiger am Strand ihrem Schicksal, nachdem man ihnennoch wenige Tage vor <strong>der</strong> Landung die Hälfte <strong>der</strong> Munition weggenommen <strong>und</strong> nach hinten abgefahrenhatte. Dennoch brachten die wenigen stationären Divisionen <strong>der</strong> Strandverteidigung die Invasionstruppenzeitweise in große Schwierigkeiten, <strong>und</strong> so gab es vom 10.–15. Juni 1944 in London eine inoffizielleErörterung <strong>der</strong> englischen <strong>und</strong> US-amerikanischen Stabschefs. Dabei beschloss man sowohl den Ausbaudes Landungskopfes als auch den Rückzug <strong>der</strong> alliierten Truppen, falls die Wehrmacht ihren Wi<strong>der</strong>standverstärken <strong>und</strong> innerhalb von sieben bis acht Tagen einen größeren Gegenschlag führen würde.Dies fand nicht statt, stattdessen hielten die inadäquaten Handlungen des OKW <strong>und</strong> <strong>der</strong> Befehlshaber<strong>der</strong> Heeresgruppen an. Der dritte große Fehler <strong>der</strong> Deutschen war, die in unmittelbarer Nähe vorhandenenReserven Wochen o<strong>der</strong> Monate hindurch nicht einzusetzen. Ein in <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sgeschichte nahezueinmaliger Vorgang. Trotz allem befanden sich die Alliierten noch Mitte Juli 1944 in einer Krise,was die Deutschen nicht einmal bemerkten.“ Das lag dann sicher daran, dass Deutsche in aller Regel


dem späten Mittelalter waren die Leute in unserem Raum an eine funktionierende Rechtsprechung gewöhnt,<strong>und</strong> es ist umso höher zu würdigen, wenn einer unter den neuen Umständen auf eigene Fausto<strong>der</strong> ganz <strong>und</strong> gar zusammen mit an<strong>der</strong>en etwas gegen die neue Erfahrung einer Willkürherrschaft unternahm.Ich habe am Ende <strong>der</strong> achtziger Jahre auch in Bautzen gewohnt <strong>und</strong> wusste, dass es dorteinen Stasi-Knast gab <strong>und</strong> habe mich nicht davor gestellt <strong>und</strong> protestiert. Man hat in aller Regel auchnur unter vertrauten Menschen Kritik an dem System geübt. Ich ging nach <strong>der</strong> Wende für einige Jahrenach Kassel, <strong>und</strong> nachdem sich meine Macke in Wohlgefallen aufgelöst hatte, wies man mich daraufhin, dass ich mich am Anfang überall immer erst umgesehen habe, wer um uns herum war. DieseSchutzhandlung war in meiner Diktatur so in Fleisch <strong>und</strong> Blut übergegangen, dass sie sich erst ganzlangsam verlor.Einen Eindruck von seinen persönlichen Gefühlen in den dreißiger Jahren lieferte mein Namensgeber,Onkel <strong>Reinhard</strong>, <strong>der</strong> 1924 geboren wurde, in Spiegelbil<strong>der</strong> meiner Entwicklung: „Wenn in <strong>der</strong> jüngerenVergangenheit ein namhafter Politiker [gemeint war Helmut Kohl, CDU] den Begriff <strong>der</strong> »Gnade <strong>der</strong>späten Geburt« prägte <strong>und</strong> damit meinte, Gott sei Dank in eine Zeit hineingeboren zu sein, die eine»Schuldzuweisung für die Gräuel <strong>der</strong> Nazizeit« nicht mehr zulasse, so kann bei meiner Generation wohleher von einem »schicksalhaft gnadenlosen Geburtstermin« gesprochen werden. Mit dem politischenUmbruch <strong>1933</strong> wurden Weichen gestellt, die unsere Nation direkt ins Ver<strong>der</strong>ben lenkten. Als das Volkden neuen Herrschern zujubelte, waren wir noch Kin<strong>der</strong>, <strong>und</strong> so prägte mich diese Zeit nachhaltig.Frühzeitig geriet ich in einen Zwiespalt. Mein sozialdemokratisches Elternhaus lehnte das an die Machtgekommene Regime ab. Schule <strong>und</strong> Hitlerjugend verlangten von mir, <strong>der</strong> neuen Ideologie bedingungsloszu folgen; <strong>und</strong> das, obwohl uns diese Institutionen – aus heutiger Sicht betrachtet – gnadenlos <strong>und</strong>systematisch auf einen <strong>Krieg</strong> vorbereiteten, <strong>der</strong> ohne den Endsieg nicht vorstellbar war. Ich kann sagen,dass die damals erlernte Maxime, etwas zu akzeptieren, was ich selbst bzw. mein Elternhaus ablehnte,sowohl meine Kindheit als auch die Zeit darüber hinaus stark beeinflusst hat.“Warum wurde diese für <strong>Deutschland</strong> historisch neue Zwangssituation für die Nachgeborenen nicht realistischvermittelt? Warum wurde so verfahren, wie es <strong>der</strong> Journalist <strong>und</strong> spätere Diplomat Günter Gausbeschrieben hat: „Der in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik mehrheitlich anerkannte Wi<strong>der</strong>stand gegen die damaligeMehrheit des deutschen Volkes, die nationalsozialistischen Bürokraten, Handlanger <strong>und</strong> Mitläufer inallen Schichten <strong>der</strong> Gesellschaft, war bald nach <strong>der</strong> Staatsgründung im Jahre 1949 auf die Opposition inStabsquartieren, auf Rittergütern <strong>und</strong> in großbürgerlichen Herrenzimmern eingegrenzt worden. Sowurde <strong>der</strong> befremdliche Vorgang von Verweigerung, von Unangepasstheit für die – tonangebende, breitgewordene, in manchen Formen neuartige, in den Machtstrukturen <strong>und</strong> Abhängigkeiten jedoch weithinrestaurierte – Mittelstandsgesellschaft in Kreise versetzt, zu denen man aufblicken konnte, ohne sich imVerhalten <strong>und</strong> Benehmen mit ihnen vergleichen zu müssen. Ein Wi<strong>der</strong>stand – nicht tatsächlich, aber in<strong>der</strong> öffentlichen Vorstellung – wie auf dem satinierten Papier <strong>der</strong> »Eleganten Welt«. Des Wi<strong>der</strong>standsaus <strong>der</strong> Wohnküche, in Arbeitervierteln <strong>der</strong> Großstädte, <strong>der</strong> sich in aller Ohnmacht früher regte als <strong>der</strong>auf den Landsitzen <strong>und</strong> in Generalkommandos, wurde nach dem <strong>Krieg</strong>e fast immer nur in betroffenenZirkeln gedacht, wenig o<strong>der</strong> gar nicht von Staats wegen. Das Verschwinden des sozialdemokratischenStadtverordneten aus <strong>der</strong> kleinbürgerlichen Nachbarschaft im Lager – das hätte selbst noch in <strong>der</strong> Erinnerungverlegen machen können.“ Und hätte, wäre es behutsam angewandt worden, heilsam gewirkt;stattdessen wurde die Erinnerung an diese Form des Wi<strong>der</strong>stands verdrängt <strong>und</strong> abgewürgt.Wenn da aber viele in den deutschen Eliten, viele, die dafür in die KZs gegangen wurden, <strong>und</strong> viele, dienicht den Arsch in <strong>der</strong> Hose hatten, etwas zu unternehmen, gegen diesen größenwahnsinnigen <strong>Krieg</strong><strong>und</strong> diesen furchterregenden Rassismus waren, so kann man mit Sicherheit nicht mehr von einemDolchstoß reden. Dann hatte <strong>der</strong> Österreicher am Tage seiner Machtergreifung eher eine entsicherteHandgranate geschluckt. Eine Diktatur hat eben ihre eigenen Spielregeln, <strong>und</strong> es ist nicht einfach, dannbrauchbare Leute zusammenzukriegen, mit denen man am Ende Pferde stehlen kann. So hat man sichdas vorgestellt. Die Leute haben ruhiggehalten, also wollten sie tote Juden. 98,7 Prozent.Wenn jemand mal Zeit übrig hat, kann er mir ja erklären, warum wir hier einfach kein ausgewogenesGeschichtsbild zustande bekommen. Kann man nicht sagen, dass sich in den dreißiger <strong>und</strong> vierzigerJahren bei den Deutschen ein Zivilisationskampf abspielte? Die einen waren in ihrem Übereifer zu je<strong>der</strong>Schandtat bereit <strong>und</strong> hatten lei<strong>der</strong> die Staatsführung auf ihrer Seite, <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>en hatten lei<strong>der</strong> Gotteszu jener Zeit die Staatsführung <strong>und</strong> die Justiz nicht auf ihrer Seite. Wem ist denn nur damit gedient,wenn die Ablehnung jenes völlig überhöhten Nationalismus in einer vergangenen Zeit heute zu einerpauschalen Verurteilung des Nationalstolzes führt? Sonst hätte man nach dem <strong>Krieg</strong> konsequenterweise


auch diese Autobahnen wegreißen müssen. Ausgerechnet von <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> stammt diese Erkenntnis:„Dieses wahrhaft stolze Gefühl meiner französischen Partner, ja aller Franzosen über die Parteienhinweg, hat mich häufig beeindruckt. Es drückte sich aus in den Worten eines französischen Fre<strong>und</strong>es,<strong>der</strong> mir einmal sagte: »Nur <strong>der</strong> kann ein zuverlässiger Europäer werden, <strong>der</strong> zunächst einmal ein guterFranzose, ein guter Englän<strong>der</strong>, ein guter Italiener o<strong>der</strong> ein guter Deutscher ist <strong>und</strong> auf das Gute in <strong>der</strong>geschichtlichen Tradition seines Landes stolz ist.«“ So kann man das auch betrachten. Stefan Luft tratmit einem Buch für ein an<strong>der</strong>es Konzept bei <strong>der</strong> Integration von Zuwan<strong>der</strong>ern nach <strong>Deutschland</strong> aufden Plan. Dort zitierte er unter an<strong>der</strong>em aus einem Artikel von <strong>Reinhard</strong> Müller, <strong>der</strong> am 3. November2005 in <strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand: „Woher soll <strong>der</strong> Stolz von Einwan<strong>der</strong>ern auf dasneue Heimatland kommen, wenn selbst die einheimische Elite ein distanziertes Verhältnis dazu pflegt?<strong>Deutschland</strong> ist ein Land, in dem Minister Probleme mit Amtseid <strong>und</strong> Hymne haben; in dem man selbstin Veranstaltungen des Goethe-Instituts mitunter kaum ein deutsches Wort hört; wo auf mancher Konferenz<strong>der</strong> Max-Planck-Gesellschaft ausschließlich deutsche Teilnehmer auf englisch radebrechen; einLand, dessen führende Konzerne sich global nennen <strong>und</strong> gebärden, obwohl doch alle Welt sie alsdeutsch (o<strong>der</strong> gar bayerisch) wahrnimmt; ein Land, das das Interesse <strong>der</strong> Welt an seiner Sprache <strong>und</strong>an seinem Rechtssystem mit <strong>der</strong> Kürzung <strong>der</strong> Mittel für den Kultur <strong>und</strong> Wissenschaftsaustausch beantwortet.Warum sollte sich ein Türke zu diesem Land bekennen, das dessen eigene Bürger verachten?“Schön ist auch sein Hinweis, dass in diesem Land jede Kultur willkommen ist, die nicht mit dem Attributdeutsch in Verbindung steht. Ich wünsche mir, dass den Kin<strong>der</strong>n mit Stolz von den Männern <strong>und</strong>den Frauen erzählt wird, die in vielen Bereichen <strong>der</strong> Gesellschaft das ihnen Mögliche für das Ende <strong>der</strong>Herrschaft <strong>der</strong> Nazis <strong>und</strong> für ein Ende des <strong>Krieg</strong>es getan haben. Mit Nationalstolz. Weil es nicht hilft,ihn wegzudiskutieren. Das gelingt ohnehin nur in einem Spektrum, das nicht zum Nazismus neigt, <strong>und</strong>überlässt sinnigerweise den Stolz auf dieses Land <strong>und</strong> seine Geschichte denen, die dem Namen diesesLandes Bärendienste erwiesen haben <strong>und</strong> noch heute erweisen.Als erstes Zeichen <strong>der</strong> schon lange überfälligen Perestroika in diesem Land will ich nie mehr verlogeneReden am 3. Oktober, dem Todestag von Franz Josef Strauß <strong>und</strong> späteren Tag <strong>der</strong> deutschen Einheit,hören müssen. Dieses Datum hatte sein bester Intimfeind, Helmut Kohl, cool ausgewählt. Mein rechter,rechter Platz ist leer, ich wünsche mir den 15. November als deutschen Staatsfeiertag, den Geburtstagvon Claus Philipp Maria Graf Schenk von Stauffenberg. Wegen <strong>der</strong> Wahrheit <strong>und</strong> Klarheit <strong>der</strong> deutschenPolitik.Damit komme ich zurück zu Aufstand des Gewissens – Militärischer Wi<strong>der</strong>stand gegen Hitler <strong>und</strong> dasNS-Regime. Die Beteiligung eines Franz Josef Strauß an <strong>der</strong> Verschwörung wurde in dem Produkt ausdem Jahre 1985 noch nicht erwähnt. Zu jener Zeit gab er seinem Publikum noch den Beelzebub. Hätteman um dieses Detail früher gewusst, wäre er von einigen wohl eher für den Dolchstoß gehalten worden.In dem Buch wurde zumindest angemerkt: „Schon die Ermittlung <strong>der</strong> Fakten war <strong>und</strong> ist – wiesich das angesichts des Untersuchungsgegenstandes fast von selbst versteht – äußerst schwierig. Trotzdemhat die historische Forschung in mehr als drei Jahrzehnten ohne Zweifel Bedeutendes geleistet, sodass die Militärgeschichte in vielen wichtigen Bereichen auf einigermaßen gesichertem Boden steht.Selbst diese Ergebnisse sind jedoch in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eswehr <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Öffentlichkeit keineswegs so verbreitet,dass die Teilnehmer <strong>der</strong> Diskussionen über dieses Thema – <strong>und</strong> <strong>der</strong> 40. Jahrestag des 20. Juli 1944wird in beson<strong>der</strong>er Weise zu intensiver Diskussion anregen – von einer gemeinsamen Wissensgr<strong>und</strong>lageausgehen können.“ Diese „gemeinsame Wissensgr<strong>und</strong>lage“ hätten aber auch die Alliierten gut gebrauchenkönnen. Die Forschung hinkt ja sowieso immer hinterher; doch die Beteiligten haben gewusst,wer an den verschiedenen missglückten Staatsstreichen beteiligt war; schwiegen sich darüber allerdingsaus <strong>und</strong> for<strong>der</strong>ten Schlesien zurück.Die mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> korrekte Info, die Fachleute wie Hans, Franz o<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Reinhard</strong> ihrenfriendsin America gaben, hatte jedenfalls den gewollten Effekt – den Amerikanern wurde in Gestalt <strong>der</strong>Sowjetunion ein neues rotes Tuch vorgehalten, auf das sie sich jetzt konzentrieren konnten. Man mussdemokratisierwütige Amis einfach beschäftigen. Die Amerikaner haben daraus anschließend denSchluss gezogen, jetzt bestünde die Notwendigkeit des Feldzuges gegen den Kommunismus, <strong>und</strong> unterstütztendann selbst die rauhbeinigsten Diktaturen überall, so sie nur antikommunistisch genug waren.Nicht schön. Supermacht.Der Autor von Weiners Vorwort war amüsiert: „Allen Dulles, einer <strong>der</strong> Gründungsväter <strong>der</strong> Central IntelligenceAgency, fand die Anwerbung von General <strong>Gehlen</strong> prachtvoll: »Im Spionagegeschäft gibt esselten Heilige. Er ist auf unserer Seite, <strong>und</strong> nur das zählt.« Das Interesse <strong>der</strong> Amerikaner am Erwerbauch noch <strong>der</strong> geringfügigsten Informationen, die <strong>Gehlen</strong> über die Sowjets besaß, wog schwerer als die


Frage, was er <strong>und</strong> seine Leute während des <strong>Krieg</strong>es getan hatten.“ Genau wie Markus Wolf gingen siedavon aus, dass sie alles über Herrn <strong>Gehlen</strong> wussten, <strong>und</strong> haben großzügig verziehen, „was er <strong>und</strong> seineLeute während des <strong>Krieg</strong>es getan hatten“. Sie wussten aber gar nicht, was er <strong>und</strong> seine Leute währenddes <strong>Krieg</strong>es getan hatten <strong>und</strong> was sie ihnen verzeihen sollten; es gab nämlich auch damals schon mehrereDeutsche, <strong>und</strong> die haben in dieser Diktatur auch nicht alle das gleiche getan. Vorurteile sind einfachmal schädlich.In einer Zusammenstellung von Interviews mit amerikanischen Zeitzeugen, erschienen 1991 unter demTitel Die Rattenlinie – Fluchtwege <strong>der</strong> Nazis, kann man nachlesen, wie die Amerikaner geleimt wordenwaren. Victor Marchetti, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Rattenlinie als früherer Chefaufklärer <strong>der</strong> CIA über die Sowjetunionbezeichnet wird, erinnerte sich in einem <strong>der</strong> Interviews an „Informationen über die chemische <strong>und</strong> biologischeBewaffnung <strong>der</strong> Russen“ <strong>und</strong> beklagte, dass sie „von einer gefährlichen Ungenauigkeit“ gewesenseien. Er bemerkte, einige Jahrzehnte zu spät, die Mitarbeiter von Generalmajor <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>„stützten sich auf unzusammenhängende Indizien, die sie durch eigene Interpretationen miteinan<strong>der</strong> inVerbindung brachten. Auf diese Weise kamen sie zu dem Schluss, dass die Sowjets weit höhere Kapazi -täten auf diesem Gebiet hätten, als es tatsächlich <strong>der</strong> Fall war.“Marchetti war felsenfest davon überzeugt, dass „diese Informationen sehr schlecht waren“, äußerte jedochnicht die Vermutung, dass er den Deutschen auf den Leim gegangen war. Nachdem die Informationenin die entscheidenden Köpfe eingedrungen waren, war die Führung in Washington also <strong>der</strong> Meinung,<strong>der</strong> Diktator in Moskau verfüge über Massenvernichtungswaffen. Haben sie wenige Monate späterauch aus diesem Gr<strong>und</strong> zwei Atombomben auf Japan abgeworfen? Wollten sie so verhin<strong>der</strong>n, dassStalin vielleicht auf die Idee kommt, biologische o<strong>der</strong> eventuell auch chemische Massenvernichtungswaffengegen Städte in Westeuropa einzusetzen? Sie wissen ja: beim Russen weiß man nie. Es gibt daübrigens eine Parallele zum zweiten Irak-<strong>Krieg</strong>. Auch da waren es BND-Infos, die den Amis Massenvernichtungswaffenvorgaukelten, nachzulesen 2004 bei Erich Schmidt-Eenboom <strong>und</strong> 2006 im Spiegel.2007 stand es dann auch in Legacy of Ashes in Amerika.Sie dürfen aber nicht annehmen, dass bei dem Amerikaner auch nur ein böses Wort über die Deutschensteht. Im Gegenteil. Nach dem <strong>Krieg</strong> waren die <strong>Krieg</strong>sgefangenenlager von den Sowjets unterwan<strong>der</strong>tworden <strong>und</strong> die falschen Infos, die den Irakkrieg auslösten, kamen von treuen Partnerdiensten: „DieGeschichte, die größte Aufmerksamkeit erregte, war die über die mobilen Laboratorien für biologischeWaffen. Der Informant war ein Iraker, <strong>der</strong> sich in die Obhut des deutschen Nachrichtendienstes begebenhatte. Sein Deckname war »Curveball«.“ Als die Amis ihn mal sehen wollten, war das lei<strong>der</strong> nichtmöglich. Schönen Dank für solche Partner. Man muss Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Feind schon unterscheiden können.Unter dem Jahr 1951 werde ich von einem Kim berichten, von dem <strong>der</strong> BND Tag <strong>und</strong> Nacht Berichtebekam. Die waren für die Amerikaner gedacht, aber dieser Kim wollte sie dem BND geben, damit <strong>der</strong>sie an die Amerikaner weitergab. Das haben die Amerikaner dem BND im wahrsten Sinne des Wortesabgekauft. Als sie bemerkten, dass diese Informationen nicht zutrafen, sollte eine Untersuchung desFalles stattfinden, da stellte ein Kollege beim BND fest, dass dieser Kim an einer unbehandelten Lungenerkrankungverstorben war. Es ist davon auszugehen, dass die Amerikaner ein Beileidsschreiben anden Partnerdienst hinter dem Atlantik geschickt haben. Einen solchen Kim gab es ganz bestimmtnicht, seine Informationen aber schürten die Angst <strong>der</strong> Amerikaner vor den Sowjets.Die beson<strong>der</strong>e Bedeutung <strong>der</strong> militärtechnischen Informationen von General <strong>Gehlen</strong> dürfte in ihrer Exklusivitätgelegen haben. Marchetti bestätigt, dass die Amerikaner in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> vierzigerJahre noch „nichts Nennenswertes hinter dem Eisernen Vorhang“ hatten. Und danach haben sich dieRussen abgeschottet <strong>und</strong> niemanden mehr sehen lassen, was sie wirklich vorrätig hatten. Das war soverständlich, wie es bedauerlich war. Es wäre interessant zu erfahren, ob Washington 1945 zumindestin Moskau nachgefragt hat, ob man sich vor Ort ein Bild von den Stätten machen dürfe, die ihnen Herrn<strong>Gehlen</strong>s Spitzenleute beschrieben hatten, <strong>und</strong> ob das in Moskau vielleicht abgelehnt wurde.Auf jeden Fall bekam <strong>Gehlen</strong> nach den Worten von Murat Williams, <strong>der</strong> als US-Botschafter in Ungarnin den fünfziger Jahren vorgestellt wird, Gelegenheit, das amerikanische Bild von den militärischenMöglichkeiten <strong>der</strong> Sowjetunion zu beeinflussen. In diesem Interview heißt es: „Unsere Gefühle gegenüberdem <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong> wurden intensiviert. Das hätte man vermeiden müssen. Dieser <strong>Kalte</strong> <strong>Krieg</strong> wärenicht notwendig gewesen.“ Dieser <strong>Kalte</strong> <strong>Krieg</strong> war überflüssig wie ein Kropf, <strong>und</strong> er wi<strong>der</strong>sprach den Interessen<strong>der</strong> Vereinigten Staaten von Amerika sowohl wirtschaftlich als auch in dem Wunsch nach demokratischstrukturierten Gesellschaften weltweit <strong>und</strong> nicht nur in Bayern. Harry Rositzke, <strong>der</strong> als Geburtshelfer<strong>der</strong> militärischen Aufklärung gegen die Sowjetunion bezeichnet wird, sagte lei<strong>der</strong> erst nach


dem Ende des furchtbar kalten <strong>Krieg</strong>es: „Heute, nach vierzig Jahren, wo das sowjetische Reich zum Teilauseinan<strong>der</strong>bricht, hat diese unsere Politik des »Containments« zur Folge, dass die zwei stärksten Wirtschaftsmächtein <strong>der</strong> Welt, die japanische <strong>und</strong> die westdeutsche, in direkter Konkurrenz zur amerikanischenWirtschaft stehen. Heute, wo allmählich je<strong>der</strong> akzeptiert, dass ökonomischer Wohlstand <strong>der</strong>wichtigste Maßstab des politischen Erfolgs ist!“Ein Schnellmerker. Da war die Rechnung <strong>Gehlen</strong>s aber schon sehr lange aufgegangen gewesen. „In <strong>der</strong>Einstellung unserer amerikanischen Fre<strong>und</strong>e zum weiteren Schicksal <strong>der</strong> »Organisation <strong>Gehlen</strong>« hattesich ab Ende 1950 ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Sie hatten – vor allem Mr. M., aber auch diebeiden Chefs <strong>der</strong> CIA, zuerst General Walter Bedell Smith, dann Allan Dulles (ab Januar 1953) – erkannt,dass sich meine Konzeption von 1945 realisieren würde, zu <strong>der</strong> sich als erster General Sibert im»Gentlemen’s Agreement« bekannt hatte. Sie zogen daraus den Schluss, die Überführung <strong>der</strong> Organisationin die Hände <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung mit allen Kräften zu unterstützen. Amerikanische Beauftragteführten deshalb im Laufe <strong>der</strong> Jahre mehrere Gespräche mit dem B<strong>und</strong>eskanzleramt über technischeFragen <strong>der</strong> Überführung <strong>und</strong> bewogen auf den verschiedensten Wegen auch die an<strong>der</strong>en Alliiertendazu, die gleiche zustimmende Haltung einzunehmen. Sie taten dies in <strong>der</strong> selbstverständlichen Erwartung,dass die enge Zusammenarbeit des Dienstes mit ihnen <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en Alliierten auch in Zukunftbestehen bleiben würde. Die CIA war darüber hinaus davon überzeugt, dass sich diese positive Haltungspäter in <strong>der</strong> zukünftigen politischen Partnerschaft <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik mit den Westalliierten bezahltmachen würde. Diese Rechnung ging selbstverständlich auf; die vertrauensvolle kameradschaftlichePartnerschaft trug für alle Teile reiche Frucht.“ Für den Westen <strong>Deutschland</strong>s auf jeden Fall. Der Rest<strong>der</strong> Welt hat seine Steuergel<strong>der</strong> in die Aufrüstung gesteckt.Von Günter Gaus hatten Sie etwas über den Ursprung <strong>der</strong> sowjetischen Gefahr erfahren. Als langjährigerRedakteur des Spiegel wusste er allerdings auch, dass Medien wie Der Spiegel zur Unausrottbarkeitdes von ihm kritisierten Blödsinns „von <strong>der</strong> kommunistischen Welteroberung“ über Jahrzehnte beitrugen.Gaus benannte auch den offensichtlichen Wi<strong>der</strong>spruch, <strong>der</strong> sich vermutlich unbemerkt in den Köpfeneinnistete: „einerseits kommt morgen <strong>der</strong> Russe, aber an<strong>der</strong>erseits werden wir demnächst siegreichdurchs Brandenburger Tor marschieren <strong>und</strong> den Annaberg in Schlesien zurückerobern“. Ganz selbstverständlichhatten die Polen <strong>und</strong> die Russen vor den Deutschen Angst. Und alle an<strong>der</strong>en Nachbarnauch. Aber die intellektuelle Elite, die den Wi<strong>der</strong>spruch säte, dürfte sich des Wi<strong>der</strong>spruchs doch wohlbewusst gewesen sein?!Zur Unausrottbarkeit dieser zweckdienlichen Verschwörungstheorie trugen logischerweise auch unabhängigeWissenschaftler <strong>der</strong> bunten Republik bei. Wer unabhängige westdeutsche Geschichtsschreibungvom Feinsten haben will, muss unbedingt Prof. Dr. Heinrich August Winkler lesen. In Der langeWeg nach Westen heißt es bei ihm über den beginnenden <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>: „Amerika übernahm mit demMarshallplan jene Führungsrolle in Europa, vor <strong>der</strong> es nach dem Ersten Weltkrieg noch zurückgeschrecktwar. Die Folgen <strong>der</strong> damaligen Zugeständnisse an den politischen Isolationismus waren denverantwortlichen Akteuren <strong>der</strong> USA sehr wohl bewusst. Eine Spätfolge dieser Zurückhaltung war, dassHitler bei seiner Expansionspolitik lange Zeit auf keinen wirksamen Wi<strong>der</strong>stand gestoßen war.“Welchen Satz schloss Prof. Dr. Winkler an diesen nachvollziehbaren Gedanken über Hitlers Expansionspolitikan? Ohne neu Luft zu holen, setzte er an dieser Stelle fort: „Einer weiteren Ausdehnung <strong>der</strong>sowjetischen Hemisphäre wollte Amerika nicht tatenlos zusehen. Die Politik <strong>der</strong> »Eindämmung« war<strong>der</strong> Versuch, aus <strong>der</strong> Geschichte zu lernen – ein gelungener Versuch, wie man rückblickend feststellenmuss.“ Hier benutzt Winkler die antizipierte Überzeugung seines Publikums, dass Hitlers Expansionismusvöllig zu Recht ein Riegel vorgeschoben wurde, <strong>und</strong> überträgt dieses Gefühl kurzerhand auf die Sowjetunion.Damit sein Trick funktioniert, lässt er einfach das Argument weg, dass die sowjetischenTruppen in den osteuropäischen Län<strong>der</strong>n (scheinbar) die einzigen Garanten für die östlichen deutschenNachkriegsgrenzen waren. Noch stärkeren Tobak findet man in dieser Frage bei Helmut Schmidt in denachtziger Jahren. Ihm schien es noch nach dem Amtsantritt Gorbatschows „unklug, unsere eigene Politikauf ein tatsächliches Ende des russisch-sowjetischen Expansionismus zu gründen“. Schräge Argumentationenvon dieser Klangqualität bestärkten mich, mir selbst ein Bild von den Vorgängen in unseremLand zu machen. Wenn dieser Professor Doktor Winkler rückblickend feststellen muss, dass <strong>der</strong>amerikanische Versuch gelang, klingt das übrigens auch nicht so, als hätte jemand darauf gehofft.Er gelang aber erst <strong>1990</strong>. Rückblickend muss man auch feststellen, wie rabiat Bonn offensichtlich fünf<strong>und</strong>vierzigJahre lang die Amerikaner an <strong>der</strong> Nase herumgeführt hat. Aber schon im Vorwort zur deutschenAusgabe des über achth<strong>und</strong>ertseitigen Bandes CIA – Die ganze Geschichte vermerkte ja <strong>der</strong> an-


onyme Autor, Staaten hätten keine Fre<strong>und</strong>e, nur Interessen. Das war trefflich angemerkt. In Tim WeinersBuch fand ich die traurige Bestätigung dafür, dass es den Deutschen leicht gemacht wurde, dieAmerikaner über den Tisch zu ziehen. Nach Weiners Buch darf ich mir sicher sein, dass es in Amerikavor dem Zweiten Weltkrieg ernstlich so wenig Interesse an Europa gab, dass die USA noch keinen Geheimdienstfür das Ausland hatten. Das dürften die Herren Canaris <strong>und</strong> <strong>Gehlen</strong> gewusst haben, <strong>und</strong>darauf werden sie ihre Hoffnungen gesetzt haben. Es ist kein Witz, in Tim Weiners Buch steht, dass sieihr Erfahrungsdefizit in diesem Bereich wettzumachen trachteten, indem sie sich Entwicklungshilfe imbefre<strong>und</strong>eten England <strong>und</strong> eben allen Ernstes in <strong>der</strong> Hoffnung auf Hilfe gegen eine befürchtete Gefährdungdurch die Sowjetunion beim <strong>Krieg</strong>sgegner <strong>Deutschland</strong> suchten. Als Ost-Deutscher kann ich darüberlei<strong>der</strong> nicht lachen. Ohne den Dummen <strong>Krieg</strong> <strong>der</strong> Amerikaner gegen die Sowjets hätten wir heutenicht den Zirkus mit den West-Deutschen, die sich jetzt als meine Retter aus <strong>der</strong> Not aufspielen. DerChef von <strong>Gehlen</strong>s Spionageabwehr, Heinz Felfe, hat dann bis zum Beginn <strong>der</strong> sechziger Jahre „die wesentlichenEinzelheiten aller wichtigen CIA-Aktionen gegen Moskau verraten. Dazu gehörten annäherndsiebzig größere Geheimoperationen, die Identität von mehr als h<strong>und</strong>ert CIA-Agenten <strong>und</strong> ungefährfünfzehntausend Geheiminformationen. [...] Die CIA war in <strong>Deutschland</strong> <strong>und</strong> in ganz Osteuropa sogut wie aus dem Geschäft, <strong>und</strong> es brauchte ein Jahrzehnt, um diesen Schaden wettzumachen.“ So weit<strong>der</strong> anonyme Autor des Vorwortes. Ich gehe davon aus, dass den Fre<strong>und</strong>en in Amerika am Beginn <strong>der</strong>sechziger Jahre klar wurde, dass Felfe <strong>und</strong> auch nur Felfe einen letzten Verrat begangen haben konnte.Damit wir uns hier nicht falsch verstehen – <strong>der</strong> Autor hält an <strong>der</strong> Version fest, dass <strong>der</strong> Westen einschließlichdes BND von Felfes bösem Tun bitter enttäuscht war <strong>und</strong> „am 6. November 1961 wurdeHeinz Felfe, <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Spionageabwehr beim BND, von seiner eigenen Sicherheitspolizei verhaftet“.Was blieb dem BND auch an<strong>der</strong>es übrig, als den Mann zu opfern, als er unhaltbar geworden war? VonMarkus Wolf ist zu erfahren, dass Felfe schließlich im Zusammenhang mit den Auseinan<strong>der</strong>setzungenum eine B<strong>und</strong>espräsidentenwahl ausgerechnet auf Wunsch Unseres Ministers für Staatssicherheit,Erich Mielke, 1969 „im Austausch gegen ein<strong>und</strong>zwanzig in <strong>der</strong> DDR inhaftierte Personen“ wie<strong>der</strong> dieSonne zu sehen bekam. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe ist auch zu finden, dass das Wettrüsten zwischenden beiden „Supermächten“ nicht nur kurz nach dem Weltkrieg son<strong>der</strong>n noch in den späten fünfzigerJahren durch falsche Informationen vom BND angeheizt wurde. Da es sich 1945 um eine absichtlicheIrreführung <strong>der</strong> Amerikaner handelte, habe ich keinen Gr<strong>und</strong>, die späteren Fehlinformationen so zudeuten wie <strong>der</strong> Autor des deutschen Vorworts zu Tim Weiners Buch über die CIA: „Der BND schlucktesowjetische Fehlinformationen – darunter in den späten fünfziger Jahren die Behauptung, Moskau besitzeTausende von Kernwaffen, die es nachweislich nicht hatte.“ In den fünfziger Jahren war NikitaSergejewitsch Chruschtschow <strong>der</strong> oberste Boss in Moskau. Gemeinsam mit Eisenhower, dem Boss inWashington, D.C., suchte er Wege zur Beendigung des <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>es, um mit den freiwerdenden Mittelndie wirtschaftliche Überlegenheit seines Wirtschaftssystems zu demonstrieren. Welcher Teufel hättedie sowjetische Führung denn reiten sollen, zu hohe Angaben über die eigene Rüstung über den BNDnach Amerika zu lancieren? Aber dafür gab es ja Phantome wie diesen Kim. Sicher erinnern Sie sich anden erst lungenkranken <strong>und</strong> danach toten Agenten Kim, <strong>der</strong> Tag <strong>und</strong> Nacht Infos anschleppte, wie es inFelfes großartiger Sammlung <strong>der</strong> Märchen, Sagen <strong>und</strong> Legenden aus seinem Leben für die SowjetunionIm Dienst des Gegners so schön heißt.Bei Weiner fehlt mir in den drei Textpassagen, in denen es um Heinz Felfe geht, die Überlegung, dass<strong>Gehlen</strong>s Abwehrchef im Auftrag seines Bosses die CIA geleimt haben könnte. Es klingt nicht gut, wennman in den beruflichen Erinnerungen des ehemaligen BND-Kollegen Oskar Reile schon <strong>1990</strong>, <strong>und</strong> somitan<strong>der</strong>thalb Jahrzehnte vor Weiners Buch, zu lesen bekommt: „Bereits vor diesem Fall – im Winter1952/53 – hatte ich General <strong>Gehlen</strong> zwei Verdachtsmeldungen gegen den in einer Außenstelle <strong>der</strong>»Org« [<strong>der</strong> Organisation <strong>Gehlen</strong>] tätigen Heinz Felfe, einen ehemaligen SS-Obersturmführer, vorgelegt,in denen ich darauf hinwies, dass die Meldungen auf Feststellungen beruhten, die vom Verfassungsschutzin Düsseldorf getroffen waren. Mit diesen Meldungen befasste sich anschließend auftragsgemäßdie Sicherheitsabteilung <strong>der</strong> »Org«. Zu meinem <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Mitarbeiter Erstaunen wurde Felfe trotz<strong>der</strong> vorliegenden Verdachtsmeldungen in die Zentrale <strong>der</strong> »Org« geholt <strong>und</strong> ausgerechnet <strong>der</strong> AbteilungGegenspionage zugeteilt. Felfe gewann sehr bald das Vertrauen <strong>Gehlen</strong>s, während mein Stern beim hohenChef zu sinken begann. [...] In den Jahren bis zu meinem Ausscheiden aus dem B<strong>und</strong>esnachrichtendienstim Dezember 1961 erlebte ich noch so manches Mal, dass General <strong>Gehlen</strong> bei Entscheidungeneine unglückliche Hand hatte. Unter an<strong>der</strong>em schlug er mir <strong>und</strong> Mitarbeitern von mir bedeutende geheimdienstlicheUnternehmen, die wir angebahnt hatten, aus <strong>der</strong> Hand <strong>und</strong> übertrug sie an<strong>der</strong>en.“ Esklingt ebenfalls nicht gut, wenn Marion Gräfin Dönhoff mit ihrem einzigartigen Charme dem geliebtenPublikum im Juli des Jahres 1963 erläuterte: „Erst wenn man weiß, wie lange es dauert, einen verdäch-


tigen Spion in den eigenen Reihen zu überführen, bekommt man eine Ahnung von den Schwierigkeiten.“Huch! Ja, ist es denn die Möglichkeit?In seinen Memoiren klagte <strong>der</strong> geheimnisvolle Mr. <strong>Gehlen</strong>: „Es müsste den Rahmen meines Rückblickssprengen, wenn ich an dieser Stelle auf die zahlreichen falschen Behauptungen, Übertreibungen <strong>und</strong>Vereinfachungen eingehen würde. Ich will mich deshalb auf einige wenige Feststellungen beschränken,die nach meiner Ansicht dennoch geeignet sind, diesen schwerwiegenden Verratsfall in einem an<strong>der</strong>enLichte erscheinen zu lassen.“ Um es vorwegzunehmen: das gelang ihm nicht. Dafür ist seine Sprache zuunsachlich. Überhaupt habe ich mich nach meinem Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus gew<strong>und</strong>ert,wie ähnlich Propaganda in allen Teilen <strong>der</strong> Heimat eines Dr. Josef Goebbels klang. Sie könnendas in Der Dienst auf den Seiten 286 bis 289 ja selbst nachlesen. Am Ende <strong>der</strong> Darstellung kündigt<strong>Gehlen</strong> sogar beson<strong>der</strong>e seherische Qualitäten an: „Es ist damit zu rechnen, dass in Kürze unter FelfesNamen Memoiren erscheinen werden, für die das sowjetische KGB Material freigegeben hat.“ Das waretwas verfrüht. Im Dienst des Gegners erschien erst 1986. „In Kenntnis aller Zusammenhänge <strong>und</strong> Hintergründehabe ich indes Anlass zu <strong>der</strong> Ansicht, dass Felfe nicht so erfolgreich gearbeitet hat, wie seineAuftraggeber erwartet haben <strong>und</strong> wie es nach seinem geplanten Buch den Anschein haben wird.“ Wieman das eben so betrachtet. Aber vielleicht waren „annähernd siebzig größere Geheimoperationen, dieIdentität von mehr als h<strong>und</strong>ert CIA-Agenten <strong>und</strong> ungefähr fünfzehntausend Geheiminformationen“auch noch keine Katastrophe.Im Unterschied zu <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong> befand das Gericht: „Seine Schuld wiegt schon angesichts des außerordentlichgroßen Umfangs seiner langjährigen Verratstätigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> hohen Bedeutung des vonihm gelieferten Materials überschwer. Auch seine persönliche Gefährlichkeit war groß, vor allem wegenseiner dienstlichen Stellung, seiner hohen Intelligenz <strong>und</strong> seiner Gewissenlosigkeit.“Clever gingen Gericht <strong>und</strong> Medien mit <strong>der</strong> „Aufarbeitung“ dieses Falles um. Dort wurde das Augenmerkdes Publikums pädagogisch wertvoll auf das eigentliche Thema <strong>der</strong> Zeit nach einem Kanzler Hitler gelenkt.„Im Juli 1963 fanden dann die Massenmedien rasch ihre Sensation: Im Prozess gegen Felfe <strong>und</strong>seine Komplicen, <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> in öffentlicher Verhandlung anlief, galt das Hauptinteresse nicht mehr demVerräter <strong>und</strong> seinem Tun, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> angeblich »verfehlten Personalpolitik« des Dienstes. Felfes Vergangenheit,er war während des <strong>Krieg</strong>es als Kriminalbeamter in den SD übernommen worden, was erverschwiegen hatte, stand im Mittelpunkt zahlreicher Presseartikel, in denen <strong>der</strong> Dienst mit einemebenso subjektiven wie oberflächlichen Analogieschluss als »Sammelstelle für alte Nazis« bezeichnetwurde.“ Damit leisteten die Medien ihren Beitrag zur Verschleierung <strong>der</strong> Umstände <strong>und</strong> zugleich zurantifaschistischen Umerziehung <strong>der</strong> Westdeutschen.Der lei<strong>der</strong> in öffentlicher Verhandlung anlief. <strong>Gehlen</strong> war ein Meister seines Fachs. Soll Tim Weiner berichten,wie <strong>der</strong> Fall in den USA gesehen wurde: „Da es <strong>der</strong> US-Armee nicht gelang, die Organisation<strong>Gehlen</strong> unter ihre Kontrolle zu bringen, obgleich sie <strong>der</strong>en Operationen freigiebig finanzierte, versuchtesie wie<strong>der</strong>holt, sie in die CIA abzudrängen. Viele von Richard Helms’ Mitarbeitern waren strikt dagegen.Einer gab zu Protokoll, es schüttele ihn beim Gedanken, mit einem Netz von »SS-Leuten mit bekannterNazi-Vergangenheit« zusammenzuarbeiten. Ein an<strong>der</strong>er meinte warnend: »Der amerikanische Nachrichtendienstist ein reicher Blin<strong>der</strong>, <strong>der</strong> die Abwehr als Blindenh<strong>und</strong> benutzt. Das einzige Problem: dieLeine ist viel zu lang.« Helms selbst äußerte die nur allzu berechtigte Befürchtung: »Ohne Zweifel wissendie Russen, dass wir diese Operation durchführen.« »Wir wollten da nicht ran«, sagte Peter Sichel,damals in <strong>der</strong> CIA-Zentrale verantwortlich für die deutschen Operationen. »Das hatte gar nichts mitMoral o<strong>der</strong> Ethik zu tun, son<strong>der</strong>n in erster Linie etwas mit Sicherheit.« Doch im Juli 1949 übernahmdie CIA, unter dem hartnäckigen Druck <strong>der</strong> Armee, die Organisation <strong>Gehlen</strong>. <strong>Gehlen</strong> residierte in einemaußerhalb Münchens gelegenen ehemaligen Nazi-Hauptquartier <strong>und</strong> nahm Dutzende prominenter<strong>Krieg</strong>sverbrecher mit offenen Armen in seinen Kreis auf. Ganz wie Helms <strong>und</strong> Sichel befürchtet hatte,war die Organisation <strong>Gehlen</strong> auf höchster Ebene von den Nachrichtendiensten Ostdeutschlands <strong>und</strong><strong>der</strong> Sowjetunion unterwan<strong>der</strong>t. Der schlimmste Maulwurf kam erst ans Tageslicht, als sich die Organisation<strong>Gehlen</strong> schon längst in den westdeutschen B<strong>und</strong>esnachrichtendienst verwandelt hatte. <strong>Gehlen</strong>slangjähriger Chef <strong>der</strong> Spionageabwehr hatte die ganze Zeit für Moskau gearbeitet.“ Das war Herr Felfe.Wen es interessiert, wie Felfes Verhältnis zu den Kameraden <strong>der</strong> braunen Fraktion beschaffen war,kann auch gleich <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>s Autobiographie lesen. Felfe mochte die blinden Fanatiker auch keinenDeut mehr als sein Herr <strong>und</strong> Meister. Das dürfte Felfe in dem Jahrzehnt mit <strong>Gehlen</strong> aufgefallensein. Trotzdem rückt er ihn in seinem Werk in die braune Schmuddelecke <strong>und</strong> bestätigt im Osten dasbraune Image des Strategen in Pullach. Daneben räumt Heinz Felfe schon ein, dass im BND nicht nur


üble Gesellen beschäftigt waren: „Unter den alten, langjährigen Mitarbeitern des RSHA [Reichssicherheitshauptamt],die sich einen Platz in <strong>der</strong> Organisation suchten, waren subjektiv ehrliche, anständigeMenschen, sogenannte Idealisten, die nicht die Naziideologie vertreten, son<strong>der</strong>n mit gutem Gewissenihre dienstlichen Pflichten erfüllt <strong>und</strong> sich in je<strong>der</strong> Hinsicht korrekt verhalten hatten.“Felfe brachte die Wi<strong>der</strong>sprüche auf den Punkt: „Wie war es eigentlich gekommen, dass unmittelbarnach <strong>der</strong> bedingungslosen Kapitulation, nach dem Untergang des Dritten Reichs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong>Wehrmacht, Rudimente dieses <strong>Krieg</strong>sapparates weiterexistieren <strong>und</strong> mit amerikanischer Hilfe ihre Arbeitfortsetzen konnten, als wäre nichts geschehen? Wie war es möglich, dass die Amerikaner dem endlichnie<strong>der</strong>gerungenen Feind erlaubten, gegen den bisherigen Verbündeten dieselbe Arbeit fortzusetzen,die in <strong>der</strong> 12. Abteilung des Generalstabs des Heeres, <strong>der</strong> Abteilung Fremde Heere Ost (FHO), bis zum<strong>Krieg</strong>sende betrieben worden war? Und was waren das für Leute, die ihr Leben als Generalstabsoffizierefortsetzen durften, die keine Umerziehung durchzumachen brauchten, wie es wenigstens die Briten mitden <strong>Krieg</strong>sgefangenen in Wilton Park gemacht hatten, die nach ihrer Auffassung geeignet sein konnten,am Aufbau eines neuen deutschen Staatswesens mitzuarbeiten?“ Er hatte Fragen über Fragen, bei denenFelfe seine Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. Fragen, auf die <strong>der</strong> Amerikaner Tim Weinerauch zwei Jahrzehnte nach dem Ende des <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>es noch immer keine Antworten fand. Er suchteaber auch in Korea, in China, in <strong>der</strong> Sowjetunion <strong>und</strong> zu Hause in Amerika nach guten Antworten. Beiden Deutschen geht er jedoch in CIA – Die ganze Geschichte nicht ins Detail. In <strong>Deutschland</strong> war allesklar. <strong>Deutschland</strong> war aber <strong>der</strong> neuralgische Punkt nach diesem <strong>Krieg</strong>. Dort hätten seine Analysen beginnen<strong>und</strong> enden müssen.Selbst <strong>der</strong> Umstand, dass lange vor Felfes bösem Tun Tausende Blitz-, Schock- <strong>und</strong> Eilmeldungen inden Jahren direkt nach dem Weltkrieg namentlich aus Berlin, Wien <strong>und</strong> aus den <strong>Krieg</strong>sgefangenenlagernin <strong>Deutschland</strong> kamen, weckte bei Weiner nicht den Verdacht, es könne sich eventuell um eineVerschwörung unter den Agenten gehandelt haben. Stattdessen vermutet er hinter dieser Flut anfalschen Infos die Gier nach Produkten wie Zigaretten. Sehr verständnisvoll. Nach den Worten Weinerstraf diese Informationsschwemme auf Amerikaner, die nicht in <strong>der</strong> Lage waren, Dichtung von Wahrheitzu unterscheiden. Schade auch.Putzig ist natürlich auch die Passage, in <strong>der</strong> Felfe vermerkt, er habe Anfang <strong>der</strong> fünfziger Jahre HerbertWehner zum ersten Mal getroffen, <strong>der</strong> „Vorsitzen<strong>der</strong> irgendeines B<strong>und</strong>estagsausschusses“ gewesen sei.Es muss erstaunen, dass ihm entfallen war, dass Wehner damals <strong>der</strong> Vorsitzende des B<strong>und</strong>estagsausschussesfür gesamtdeutsche <strong>und</strong> Berliner Fragen war, denn er selbst war zu dieser Zeit im B<strong>und</strong>esmi -nisterium für gesamtdeutsche Fragen beschäftigt – ein guter Gr<strong>und</strong>, um Herbert Wehner hin <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>zum ersten Mal zu begegnen. Was sich durch logisches Kombinieren zum Verdacht verdichtete, istbeim Lesen <strong>der</strong> Autobiographie Heinz Felfes zur Gewissheit geworden. Natürlich hat Felfe für <strong>Gehlen</strong>böse Planungen <strong>der</strong> Amerikaner den Sowjets verraten. Wissenswert ist ebenfalls, dass ihn im Vorfeldseiner Aktivitäten in <strong>der</strong> Organisation <strong>Gehlen</strong> <strong>der</strong> britische Geheimdienst MI 6 fallen gelassen hatte,weil man bei ihm schon im Jahr 1946 eine Doppelagententätigkeit vermutet hatte, wie Wikipedia zu berichtenweiß. Er selbst konnte sich daran jedoch nur noch schwach erinnern: „Vorher hatte ich mich übrigensbei <strong>der</strong> Polizei beworben, nachdem ich durch mein Studium in Bonn die Voraussetzungen dafürgeschaffen hatte. Die Englän<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>ten jedoch meine Einstellung. Ihre Gründe dafür sind mir bisheute unbekannt.“ Genauso unbekannt wie <strong>der</strong> MI 6. Vielleicht noch ein Wort zu Wikipedia. Dort wurdeHeinz Felfes Buchtitel Im Dienst des Gegners – Autobiographie kreativ umgewandelt in Im Dienstdes Gegners – 10 Jahre Moskaus Mann im BND. Falsche Zitate sind kein Ost-Phänomen.Bleibt nur noch anzumerken, dass Heinz Felfe von einer sowjetfre<strong>und</strong>lichen Uncle-Joe-StimmunginAmerika nichts wusste, die an<strong>der</strong>e Zeitzeugen wie Siegfried Zoglmann jedoch nach <strong>1990</strong> bestätigten.Dafür untermauerte Heinz Felfe mit vorgeblichem Insi<strong>der</strong>-Wissen die Weltverschwörung gegen<strong>Deutschland</strong>. Ihm sei schon während des <strong>Krieg</strong>es zu Ohren gekommen, dass Briten <strong>und</strong> Amerikaner<strong>Deutschland</strong> teilen <strong>und</strong> gegen den russischen Bären in Marsch setzen wollten. Das scheint mir nichtglaubhaft, da er selbst auf <strong>der</strong> Seite 149 konstatierte, dieser <strong>Kalte</strong> <strong>Krieg</strong> habe erst „Mitte 1947“ eingesetzt.Das war aber nicht vor son<strong>der</strong>n nach dem Zusammentreffen <strong>der</strong> Amis mit <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>.Je mehr Darstellungen ich zur Nachkriegsgeschichte lese, um so besser fügen sich die Puzzleteile zusammen<strong>und</strong> ergeben ein Bild. An<strong>der</strong>s als bei einem Puzzlespiel gibt es im richtigen Leben aber deutlichmehr Einzelteile als für das Bild nötig sind, so dass es darauf ankommt, die brauchbaren von den un -brauchbaren Teilen zu trennen, um langsam ein realistisches <strong>und</strong> lebenstaugliches Bild vor seinem geistigenAuge zu entwickeln. Es war ganz gewiss eine gute Idee Im Dienst des Gegners von Heinz Felfe erstzu lesen, nachdem ich das Feld r<strong>und</strong>um abgegrast hatte. Dieses Meisterwerk <strong>der</strong> deutschen Literatur


steht in <strong>der</strong> großen Tradition von Wissenschaftlern wie Wilhelm <strong>und</strong> Jacob Grimm, wenn es sich auchbei den Bil<strong>der</strong>n auf schwarz-weiße Fotos beschränkt. Der Künstler zeigt sich befähigt mit <strong>der</strong> Mutter -sprache umzugehen wie ein Chamäleon mit seinen Farben. Angepasst an den Inhalt changiert er in einembeeindruckenden Spektrum zwischen <strong>der</strong> nüchternen Sprache des Agenten im <strong>Krieg</strong>, <strong>der</strong> keinenZweifel lässt an seinen fachlichen Qualitäten <strong>und</strong> seiner Eignung, <strong>und</strong> einer Sprache, die bis hin zu denFeinheiten <strong>der</strong> Wortwahl jeden Journalisten des Neuen <strong>Deutschland</strong> aus Ost-Berlin in den Schattenstellt. In dieser Art schreibt kein Eiferer für eine Ideologie. So schreibt ein Profi, <strong>der</strong> weiß, wie Leutefunktionieren.Mit einem lachenden <strong>und</strong> einem weinenden Auge stelle ich fest, dass <strong>der</strong> Ost-Berliner 001 Markus Wolfnach <strong>der</strong> richtigen Methode vorging; er setzte die Puzzleteile zusammen; <strong>und</strong> er hatte Recht, als ermeinte, dass die gegnerische Seite auch nur mit Wasser kochte. Bleibt nur zu ergänzen, dass ein Gericht,das ein Hobbykoch wie Wolf mit Wasser bereitet, häufig nicht annähernd die Qualität hat wie einGericht, das ein Fünf-Sterne-Koch wie <strong>Gehlen</strong> mit dem gleichen Wasser kreiert.Jossif Wissarjonowitsch Stalin dürfte es nach dem Interventionskrieg vieler Staaten gegen das kommunistischeLand Anfang <strong>der</strong> zwanziger Jahre <strong>und</strong> dem deutschen Überfall im Sommer 1941 vorrangig umdie Sicherheit seines Vielvölkerstaates sowie um Reparationsleistungen für die <strong>Krieg</strong>sschäden als Wie<strong>der</strong>aufbauhilfegegangen sein. Darüber hinaus wünschte er einen Friedensvertrag mit dem besiegtenLand bei Anerkennung <strong>der</strong> polnisch-deutschen Grenze an <strong>der</strong> O<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Görlitzer Neiße. WeitereZiele, wie eine Ausdehnung <strong>der</strong> sowjetischen Innenpolitik auf <strong>Deutschland</strong> o<strong>der</strong> einen Teil davon, durftenden übergeordneten Zielen zumindest nicht im Wege stehen. Wenn ich westdeutsche Propagandalese, die von einer geplanten Bolschewisierung ganz <strong>Deutschland</strong>s spricht, frage ich mich unwillkürlich,wie das hätte funktionieren sollen. Der Westen stand ja unter dem Schutz von drei Mächten; hätte Stalinsie denn alle wegbomben sollen? Dann hätte er auf den Ärger nicht lange warten müssen. Pläne dieserArt hatten die Amerikaner jedoch nach <strong>Reinhard</strong> <strong>Gehlen</strong>s vermeintlichen Kassandra-Sprüchen jahrzehntelangbefürchtet.Das Bedürfnis nach Sicherheit für die Sowjetunion dürfte sich weiter verstärkt haben, nachdem <strong>der</strong>amerikanische Präsident im August am Beispiel zweier japanischer Städte demonstriert hatte, dass er in<strong>der</strong> Lage <strong>und</strong> bereit war, Atomwaffen einzusetzen. Dafür sprechen auch Stalins Verzicht auf den Einflussin Finnland <strong>und</strong> in Österreich, nachdem ihm diese Län<strong>der</strong> Sicherheitsgarantien gegeben hatten.Auch für <strong>Deutschland</strong> stand dieses Angebot bis Mitte <strong>der</strong> fünfziger Jahre.Da es nach 1945 nun we<strong>der</strong> zu einem Friedensvertrag noch zu Sicherheitsgarantien o<strong>der</strong> zu einer Festlegungvölkerrechtlich verbindlicher Grenzziehungen kam, blieb Jossif Stalin gar nichts an<strong>der</strong>es übrig, alsseine Truppen dort stehen zu lassen, wo sie waren, <strong>und</strong> abzuwarten, wann sich in Bonn irgendetwas bewegt.Vielleicht darf man ja auch bei einem Diktator strategisches Denken annehmen. Richtig ist allerdings,dass sich im Windschatten <strong>der</strong> großen Politik deutsche Kommunisten ihren Lebenstraum vomSozialismus auf heimatlichem Boden erfüllte. Über die Bemühungen Walter Ulbrichts, nichtkommunistischeKräfte, gegen die die Sowjets damals durchaus nichts hatten, aus den lokalen Verwaltungen hinauszudrängen,kann man eine gute Darstellung in einem Buch des Historikers Norbert Podewin unterdem Titel Walter Ulbricht – Eine neue Biographie finden. Die Russen waren nach diesem <strong>Krieg</strong> schonfroh, als sie in <strong>Deutschland</strong> nicht nur auf Nazis stießen.Erinnern Sie sich, wie Herr Prof. Dr. Heinrich A. Winkler versuchte, uns den Ursprung des <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>eszu erläutern? Die Einschätzung, die Helmut Kohls Chefunterhändler bei den „Zwei-plus-Vier“-Verhandlungenvon <strong>1990</strong>, Dieter Kastrup, im Jahr 1991 über die 1945er politischen Ziele Moskaus abgab,klingt dann schon nachvollziehbarer: „Der Zweite Weltkrieg war von <strong>der</strong> Sowjetunion zur Befreiung ihresTerritoriums <strong>und</strong> <strong>der</strong> anschließenden Nie<strong>der</strong>werfung des Nationalsozialismus geführt worden. Diedabei erbrachten ungeheuren Opfer sind bekannt. Die Behandlung des besiegten <strong>Deutschland</strong> war inverschiedenen Absprachen <strong>der</strong> vier Siegermächte nie<strong>der</strong>gelegt worden, insbeson<strong>der</strong>e im sogenanntenPotsdamer Abkommen. Die Sowjetunion hat stets den Standpunkt bezogen, die Politik, die sie in ihrerBesatzungszone betrieben habe, sei eine <strong>der</strong> Entnazifizierung, Entmilitarisierung <strong>und</strong> Demokratisierunggewesen. Diese Politik ist von <strong>der</strong> sowjetischen Gesellschaft als Frucht <strong>der</strong> erbrachten Opfer begriffenworden. [Es ging um die Enteignung von Großgr<strong>und</strong>besitz auf Gr<strong>und</strong> des Potsdamer Abkommensbzw. um die Rückgabe <strong>der</strong> Flächen.] Sie nachträglich zur Disposition des besiegten <strong>Deutschland</strong>zu stellen, hätte bei <strong>der</strong> sowjetischen Bevölkerung das Gefühl wecken können, die sowjetische Nachkriegspolitikin <strong>Deutschland</strong> sei nutzlos geblieben, die Opfer <strong>der</strong> sowjetischen Bevölkerung im ZweitenWeltkrieg seien vergebens gewesen.“ Sagte <strong>der</strong> CDU-Mann.


Wenn es in den unabhängigen Medien <strong>der</strong> BRD auch so selten deutlich gesagt wird, erfüllt es mich dochmit Genugtuung, dass zumindest hin <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> einmal so etwas zu finden ist: „Ein großer Teil <strong>der</strong>B<strong>und</strong>esbürger glaubt ganz ehrlich, dass die Russen <strong>und</strong> die deutschen Kommunisten <strong>Deutschland</strong> gespaltenhätten, <strong>und</strong> nicht sie selbst <strong>und</strong> die Westmächte.“ Sie glauben das freilich deshalb ganz ehrlich,weil Ihnen so selten eine an<strong>der</strong>e Wahrheit zu Ohren kommt. An<strong>der</strong>erseits betrübt es mich durchaus,wenn Sebastian Haffner in seinem zweiten Teilsatz nicht nur den Eindruck von einer mächtigen Weltverschwörunggegen <strong>Deutschland</strong> hätschelt, son<strong>der</strong>n sein dumm gehaltenes Wahlvolk auch noch fürdiese jahrzehntelange Spaltung unseres Landes in Haftung nimmt. Ein je<strong>der</strong> denkt nur, was er denkenkann. Und für die richtigen Ableitungen benötigt man korrekte Informationen. Sonst wird man <strong>und</strong>frau politikverdrossen. Politikverdrossen macht allerdings auch, dass <strong>der</strong>selbe Schlauberger (freilich 17Jahre zuvor) seine Leserschar über Staatsmänner im Osten <strong>und</strong> im Westen informiert hatte, die ihrePolitik angeblich auf die dauerhafte Teilung <strong>Deutschland</strong>s gründeten. Und an den Text aus diesem b<strong>und</strong>esdeutschenPropagandaschinken Die SBZ von A bis Z – Ein Taschen- <strong>und</strong> Nachschlagebuch über dieSowjetische Besatzungszone <strong>Deutschland</strong>s erinnern Sie sich doch bestimmt: „Immer wie<strong>der</strong> behauptetdas Regime <strong>der</strong> SBZ, <strong>Deutschland</strong> sei nach 1945 von den Westmächten <strong>und</strong> politischen Kreisen Westdeutschlandsgespalten worden. Bei seiner Wahl zum Präsidenten <strong>der</strong> Republik betonte Wilhelm Pieckam 11. 10. 1949 vor <strong>der</strong> Volkskammer: »Von den westlichen Besatzungsmächten . . . wurde <strong>Deutschland</strong>gespalten«, doch »niemals wird die Spaltung <strong>Deutschland</strong>s . . . von <strong>der</strong> DDR anerkannt werden«.“Hauptsache immer drei Punkte. Und wer stand da noch?Für die Meinungsbildung über die sowjetische Nachkriegspolitik ist es durchaus von Bedeutung, dassdie Sowjetunion erst 1949 über erste atomare Sprengkörper verfügte; die Jahre zuvor aber entschiedenüber das Schicksal Europas in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des XX. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> über viele Biographien,darunter auch den Verbleib h<strong>und</strong>erttausen<strong>der</strong> deutscher Soldaten in <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sgefangenschaft <strong>und</strong> dieKarriere des Dachdeckerlehrlings Erich Honecker, die ihn an die Spitze eines neuen deutschen Staatesführte. Dem Bürgermeister von Ost-Berlin, Friedrich Ebert, ließ er 1971 durchaus nicht den Vortritt, wiemir <strong>der</strong> Historiker Norbert Podewin berichtete. Friedrich Eberts Papa war ja wenigstens Reichspräsident.Damit konnte in Bonn keiner dienen.Interessant ist natürlich, wie sich letztlich auch die Sowjetunion durch den Bau von Atomwaffen nach1949 allmählich zu einer Supermacht mauserte. Vom <strong>Krieg</strong>sende bis 1949 waren die Sowjets ja noch in<strong>der</strong> misslichen Lage, auf eventuell herunterfallende amerikanische Atombomben mit dem Panzer T34 beziehungsweise mit ihrem erstklassigen Maschinengewehr Kalaschnikowreagieren zu müssen.Richtig gut wäre es dann aber schon gewesen, hätten sie auch eigene Atombomben zur Abschreckungvorrätig gehabt. Es fällt ins Auge, dass einige Forscher, die am Bau einer deutschen W<strong>und</strong>erwaffe beteiligtwaren, nach dem <strong>Krieg</strong> in die USA gingen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e in die Sowjetunion. Unter den letzteren warauch Manfred von Ardenne. Im Westen hieß es später immer, er sei von den Russen einkassiert <strong>und</strong> inden Winter Sibiriens verschleppt worden, wo er dann die russische Bombe entwickelt habe. Dieser Darstellungmag ich keinen rechten Glauben schenken, da die sowjetischen Ingenieure, die seit 1945 mitihm gemeinsam eine solche Waffe entwickelten, noch nach vielen Jahren die gleichen leuchtenden Augenob des netten Herrn aus <strong>Deutschland</strong> bekamen wie die amerikanischen Spezialisten, wenn sie überWernher von Braun sprachen. Mal ganz ehrlich – man kann ja einen Forscher schon zwangsverpflichten.Aber zwingen Sie doch mal einen richtigen deutschen Forscher, seine mathematischen Berechnungenfür den Gegner richtig auszuführen. Ein klitzekleiner Fehler <strong>und</strong> die Russen hätten keine Bombe gehabt.Was wäre dann wohl aus dem <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong> geworden? Pustekuchen.Weil die Sowjets, denen <strong>der</strong> deutsche Emigrant <strong>und</strong> dann Los Alamos-Experte Klaus Fuchs „das Konstruktionsschema<strong>der</strong> Plutoniumbombe »Fat Man« geliefert“ hatte, schon 1945 mit den Vorarbeiten anihrer ersten Atombombe beginnen konnten, wurde nichts aus dem mit dem Besitz dieser Bombe verb<strong>und</strong>enenamerikanischen Traum „die Mächte des Bösen, ja alle Mächte zu verabschieden <strong>und</strong> sich ineinem Weltstaat zusammenzufinden“. Während die Amerikaner im Jahr 1945 alle Staaten einluden, umin Kalifornien die UNO zu gründen, begannen die Sowjets mit Hilfe <strong>der</strong> Deutschen eigene Atomwaffenzu entwickeln.Dass <strong>der</strong> Moskauer Staatschef 1945 doch die Sowjetisierung eines Teils von <strong>Deutschland</strong> o<strong>der</strong> eine proletarischeRevolution am Rhein <strong>und</strong> in den schönen Alpen angeregt hätte, wurde meines Wissens nochvon niemandem mit Quellen belegt. Davon völlig unbeeindruckt wird es immer wie<strong>der</strong> behauptet. Esgab ja wirklich einmal eine Formulierung von einer Weltrevolution. Aber das Thema war meines Erachtensvom Tisch, als Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin sich 1917 mit seiner Vorstellung durchgesetzthatte, es in einem einzelnen <strong>und</strong> mit seinem Russland obendrein in einem ökonomisch recht schwach


entwickelten Land zu versuchen. Mit Unterstützung durch den Deutschen Kaiser. Die Idee einer Weltrevolutionbezog sich darüber hinaus auf Aufstände des Proletariats gegen die Bourgeoisie in den einzelnenLän<strong>der</strong>n. Von <strong>Krieg</strong>en, die eine Revolution in ein Land tragen sollten, war meines Wissens nirgendwodie Rede. Ich lasse mich aber gern berichtigen. Die zahlreichen Äußerungen über den Optimismus,dass sich Proletarier in den Län<strong>der</strong>n des Westens von <strong>der</strong> Ausbeutung bald befreien würden, dürfenihrerseits als innenpolitische Demagogie verstanden werden. Das fruchtete freilich auch in den Weiten<strong>der</strong> Sowjetunion eher als in Ungarn, in <strong>der</strong> ČSSR o<strong>der</strong> <strong>der</strong> DDR, wo sich schnell herumsprach, dasses mit <strong>der</strong> Ausbeutung <strong>der</strong> Proletarier im Westen nicht überschlimm gewesen sein kann <strong>und</strong> dass dortsogar ehemalige Proletarier mit dem Arbeitslosengeld besser lebten als ein Arzt im eigenen Land.Die rigorose Demontage von Industriegütern <strong>und</strong> die Abpressung <strong>der</strong> Reparationen für ganz <strong>Deutschland</strong>aus <strong>der</strong> einen Zone, auf die Stalin nach dem Beginn des <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>es noch Zugriff hatte, deutenübrigens auch nicht darauf hin, dass dem Chef in Moskau <strong>der</strong> Aufbau eines Vasallenstaates in <strong>Deutschland</strong>vorgeschwebt hätte. Nach Angaben von Helmut Kohl hat die DDR Reparationen in Höhe von umgerechnet727 Milliarden D-Mark gezahlt. John Dornberg veröffentlichte 1968 in Wien ein Buch, in demes hieß: „Erst nach <strong>der</strong> Genfer Konferenz von 1955, als die diversen Wie<strong>der</strong>vereinigungspläne ad actagelegt worden waren, erhielt Ulbricht grünes Licht zum wirtschaftlichen Aufbau.“ So war das. Und wäreStalin nicht durch die Bonner Verweigerung einer Grenzanerkennung <strong>und</strong> die offizielle UnterstützungBonns durch die NATO-Partner zum vermeintlich einzigen militärischen Garanten des polnischen Staatesgeworden, hätte er seine Truppen auch dort nicht belassen können. Die Polen haben die sowjetischenTruppen genauso wi<strong>der</strong>willig ertragen wie die Westdeutschen die US-Amerikaner o<strong>der</strong> die Briten<strong>und</strong> die Franzosen. Fragen Sie mal die älteren Semester.Abgesehen davon kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass die Führung in Moskau ohne die Auseinan<strong>der</strong>setzungzwischen den späteren sozialistischen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> den Demokratien des Westens nichtso brachial mit den Kritikern ihres Systems umgegangen wäre, was ihr in <strong>der</strong> Folge viele weitere Kriti -ker erspart hätte. Dass es übrigens einen Zusammenhang zwischen den <strong>Krieg</strong>svorbereitungen in Berlin<strong>und</strong> den Gewaltexzessen in <strong>der</strong> Sowjetunion in den späten dreißiger Jahren gab, wird jetzt noch nichtverraten. Vorfreude ist <strong>und</strong> bleibt die schönste Freude.Zu spät, um diese Amerikaner noch von ihrer Verfolgungsangst abzubringen, kam die Entwarnung:„Doch die Spekulationen <strong>der</strong> Nachrichtendienstler über die Sowjets waren Bil<strong>der</strong>, wie sie ein Zerrspiegelzurückwirft. Stalin hatte we<strong>der</strong> einen umfassenden Plan zur Beherrschung <strong>der</strong> Welt noch die Mittel,einen solchen durchzusetzen. Der Mann, <strong>der</strong> nach seinem Tod schließlich die Macht in <strong>der</strong> Sowjetunionübernahm, nämlich Nikita Chruschtschow, erinnerte sich später, beim Gedanken an eine weltweite Auseinan<strong>der</strong>setzungmit Amerika habe Stalin »gezittert« <strong>und</strong> »gebibbert«.“Wenn aber von <strong>der</strong> Sowjetunion gar keine Bedrohung für den Rest <strong>der</strong> Welt ausging, dann muss dasdoch aber ein paar Agenten aufgefallen sein, die gegen das Reich des Bösen eingesetzt waren. Nach ihnenhabe ich genauso gefahndet, wie nach Wolfs Agenten in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik, von denen ja irgendeinerbemerkt haben muss, dass es auf gar keinen Fall das Ziel <strong>der</strong> Bonner Staatsführung gewesen seinkann, sich Unsere DDR „einzuverleiben“, wie es ja in <strong>der</strong> Ost-Berliner Propaganda immer hieß. Wäh -rend ich lei<strong>der</strong> keinen Hinweis auf solche Gedankengänge bei einem DDR-Agenten in <strong>der</strong> BRD fand,entdeckte ich bei Tim Weiner einen Ami, <strong>der</strong> seinem eigenen Verstand mehr traute als <strong>der</strong> üblichen antisowjetischenPropaganda zu Hause. Im Jahr des Amtsantritts von Gorbatschow 1985 wurde AldrichHazen Ames <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Spionageabwehr <strong>der</strong> Amerikaner gegen die Sowjetunion <strong>und</strong> Osteuropa. „Erhielt die Behauptung für absurd, dass die Bedrohung durch die Sowjetunion immens sei <strong>und</strong> immergrößer werde. Er war überzeugt davon, es besser zu wissen. Er erinnerte sich, dass er dachte: »Ich ken -ne die Sowjetunion in- <strong>und</strong> auswendig, <strong>und</strong> ich weiß, was für die Außenpolitik <strong>und</strong> für die nationale Si -cherheit [<strong>der</strong> Vereinigten Staaten] das Beste ist. Und entsprechend werde ich handeln.«“ Von dieser Erinnerungerfuhr Weiner bei einem Besuch im Bezirksgefängnis von Alexandria in den Weiten <strong>der</strong> USA,da <strong>der</strong> arme Kerl das eigenständige Denken zum Wohle <strong>der</strong> USA jetzt mit einer lebenslangen Haftstrafebezahlt.Beginnend mit Kanzler Adenauer pflegte <strong>der</strong>weil die Staatsführung in Bonn unter den Kanzlern Erhard,Kiesinger, Schmidt <strong>und</strong> Kohl weiter sorgfältig die zarte Blume dieses <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>es. Nach Gesprächenmit Bonner Politikern im Jahr 1953 sah <strong>der</strong> Journalist Sebastian Haffner in Bonn zwei außenpolitischeStrömungen am Werk. Die einen wollten mithelfen, „den <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong> zu beenden, um die Teilung zuüberwinden, die <strong>Deutschland</strong> nicht durch eigene Schuld erlitten hat, <strong>und</strong> die Konsequenzen seines verlorenen<strong>Krieg</strong>es zu tragen. An<strong>der</strong>e vertreten die Ansicht, dass es im deutschen Interesse liege, auf die


Wie<strong>der</strong>vereinigung zu verzichten <strong>und</strong> statt dessen den <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong> anzuheizen, um schließlich die Konsequenzendes eigenen, verlorenen <strong>Krieg</strong>es zu annullieren. Der große politische Kampf in <strong>Deutschland</strong>wird in den nächsten vier Jahren zwischen diesen beiden Lagern stattfinden.“ Bei den nächsten vierJahren blieb es jedoch nicht, <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Kalte</strong> <strong>Krieg</strong> <strong>und</strong> das schöne Leben in West-<strong>Deutschland</strong> zogen sichbis <strong>1990</strong> hin.Bei Willy Brandt, <strong>der</strong> sich rührend, wenn auch vergeblich, um ein Ende des <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>es bemühte,findet sich die folgende Einschätzung des ersten Kanzlers: „Adenauers Nachkriegs-Konsequenz zieltedarauf, die Verhältnisse zu stabilisieren. Er fürchtete in diesen Jahren nichts mehr, als dass sich die Siegermächteeinan<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> nähern könnten. Das sah ich an<strong>der</strong>s. Er verneinte die Chance zur deutschenEinheit <strong>und</strong> nutzte die Vorteile Westeuropas für den westdeutschen Staat. Dem ließ sich – in demMaße, in dem die Voraussetzung ohne Alternative blieb – immer weniger wi<strong>der</strong>sprechen. [...] Der»Alte« hat über weite Strecken an<strong>der</strong>s geredet als gedacht. [...] Ob sich mit einem an<strong>der</strong>en – gesamt -deutschen – Ansatz mehr hätte erreichen lassen, bleibt eine offene Frage.“Bei Strauß liest sich dieses Motiv so: „So reagierte er außerordentlich empfindlich, manchmal überempfindlich,geradezu gereizt, wo immer sich eine Verständigung o<strong>der</strong> Annäherung zwischen den USA <strong>und</strong><strong>der</strong> Sowjetunion abzeichnete. Dann herrschte bei ihm Alarmstimmung. Er hatte eine Art »Cauchemarvon Potsdam«, eine tiefeingewurzelte Angst, dass sich die Sieger <strong>und</strong> ehemaligen Alliierten über<strong>Deutschland</strong> hinweg einigen könnten.“Dass Dr. Adenauer Angst haben musste, dass die Amerikaner Moskau dabei ein Stück <strong>der</strong> freien Weltüberlassen hätten, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Also hatte Adenauer Angst, dass Russen<strong>und</strong> Amerikaner bei einem Festessen im Kreml im Interesse ihrer Staatskassen die Vereinigung<strong>Deutschland</strong>s <strong>und</strong> Europas verfügten, weil sie doch sahen, dass sich die Deutschen längst mit <strong>der</strong> neuenGebietslage abgef<strong>und</strong>en hatten. Dann war es also ernst gemeint, als es in einem Informationstext überdas Berliner Lokal »Staev«, benannt nach <strong>der</strong> ehemaligen Ständigen Vertretung <strong>der</strong> BRD in <strong>der</strong> DDR,lächelnd hieß, man habe in den Politiker-Klausen zu Bonn „die Welträtsel gelöst“. Diese Formulierungwar in gesellige Worte eingepackt: „Dieses Milieu traf sich später in <strong>der</strong> »Schumann-Klause« in Bonn –man lebte dort, machte die Nacht zum Tag. Der Staatsschutz vom K 14 saß immer dabei. Demonstrationenwurden vorbereitet, die Welträtsel gelöst <strong>und</strong> endlos gezecht.“ Zum Zechen wird man den Staatsschutzja vielleicht nicht benötigt haben. Unter dem Jahr 1949 werden Sie mehr zu diesem „Milieu“ erfahren.Einer einvernehmlichen Lösung <strong>der</strong> deutschen Frage unter den vier Alliierten stand eine Anerkennung<strong>der</strong> Westverschiebung Polens auf Kosten ostdeutscher Gebiete auf gar keinen Fall im Wege, auch wenndie drei westlichen Mächte den Deutschen selbst die Anerkennung <strong>der</strong> neuen Ostgrenze überlassenwollten. So sollten Reaktionen wie die auf den Vertrag von Versailles (1919) vermieden werden. Damithatten die Russen den Schwarzen Peter allein in <strong>der</strong> Hand. Auf <strong>der</strong> Potsdamer Konferenz im Sommer1945 hatten sich die Alliierten nur geeinigt, eine schlussendliche Grenzregelung erst in einer Friedenskonferenzvorzunehmen. Und an diesem juristischen Haken setzten die Bonner Spitzenpolitiker an.Die Verhin<strong>der</strong>ung einer Friedenskonferenz hatte zumindest für die Einwohner <strong>der</strong> westlichen Besatzungszoneneinen recht wohltuenden „Nebeneffekt“. Der spätere Ministerpräsident von Bayern, FranzJosef Strauß, schrieb darüber in seinen unbedingt lesenswerten Memoiren: „Wenn wir einen Friedensvertragschließen, dann verlangt man von uns Reparationen. Da wir aber nicht bereit <strong>und</strong> nicht in <strong>der</strong>Lage sind, Reparationen zu zahlen, wollen wir auch keinen Friedensvertrag. Die höhere <strong>und</strong> die nie<strong>der</strong>eMathematik <strong>der</strong> Politik trafen hier zusammen – das Offenhalten <strong>der</strong> deutschen Frage <strong>und</strong> das Vermeidengigantischer Reparationszahlungen.“ Das ist einer jener von mir so liebevoll gesammelten Texte,die ohne jeden Kommentar klären, dass die DDR kein Kind <strong>der</strong> bösen Russen war, son<strong>der</strong>n vielmehr einKind <strong>der</strong> guten Deutschen. Der besseren Deutschen. Wenn man die „deutsche Frage“ offenhalten wollte,durfte sie gar nicht beantwortet werden. Die Amis erwiesen Helmut Kohl somit einen Bärendienst,als sie die Vereinigung <strong>Deutschland</strong>s an ihm vorbei <strong>und</strong> über seinen Kopf hinweg erzwangen. Wie ichhörte, gibt es in Frankreich inzwischen ein Buch, dass genau das publik machen möchte. Helmut Kohlwollte alles an<strong>der</strong>e als eine Vereinigung unseres Landes. Sonst wäre er nämlich auch nicht länger als einWilly Brandt <strong>der</strong> Kanzler in Bonn am Rhein geblieben.Diese Überlegung zu den Reparationen für die <strong>Krieg</strong>sschäden wurde durch den Aufstand des Jahres1989 ganz plötzlich brandaktuell. In den Erinnerungen des Bonner Außenamtschefs Genscher findetsich dieses Motiv dann so: „Eine Friedenskonferenz konnte ebensowenig in Frage kommen wie ein Frie-


densvertrag. [...] Die Verhandlungen hätten sich an <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Reparationen festgefahren.“ Im Jahr<strong>1990</strong> ist es dem Diplomatenduo Hans-Dietrich Genscher <strong>und</strong> Helmut Kohl tatsächlich endgültig gelungen,eine reguläre Friedenskonferenz zu verhin<strong>der</strong>n. Aber große Sprüche über das Leid des <strong>Krieg</strong>esklopfen. Sie erinnern sich – 727 Milliarden DM haben die Leute in Ostdeutschland in den Entschädigungstopfeingezahlt. Die haben übrigens für Investitionen in die Wirtschaft dann auch nicht zur Verfügunggestanden. Das war doppelt verheerend, weil sie gerade in den Aufbaujahren nach dem <strong>Krieg</strong> gefehlthaben. Die Menschen im Osten hätten auch mit <strong>der</strong> Planwirtschaft besser leben können; man erinneresich, dass man in den späten sechziger Jahren in West-<strong>Deutschland</strong> vom zweiten deutschen Wirtschaftsw<strong>und</strong>er– in <strong>der</strong> DDR – sprach, die damals freilich noch als SBZ bezeichnet wurde. Erst danachwirkte sich allmählich die neue „Wirtschaftspolitik“ des diktatorischen Dachdeckerlehrlings aus.Aus <strong>der</strong> heutigen Perspektive lässt es sich einfach erklären, wie es den Bonnern gelungen ist, die großenStaaten gegeneinan<strong>der</strong> in Stellung zu bringen <strong>und</strong> ihnen ihre angstgeladene Außenpolitik vorzugeben.Während Murat Williams überzeugt war, dass „die <strong>Gehlen</strong>-Leute sich immer schon dem <strong>Krieg</strong> gegen dieSowjetunion verschrieben hatten“, verriet <strong>der</strong> aus Funk <strong>und</strong> Fernsehen bekannte GeheimdienstexperteErich Schmidt-Eenboom, wenn auch erst 2004: „<strong>Gehlen</strong> hat zwar im vertrauten Kreis häufig eine gewisseNähe zum Wi<strong>der</strong>stand des 20. Juli 1944 betont, beson<strong>der</strong>s, wenn es ihm als Appell an gemeinsameGr<strong>und</strong>anschauungen nützlich erschien, die Rolle Wessels jedoch nie öffentlich gemacht.“ Gerhard Wesselwar damals <strong>Gehlen</strong>s Stellvertreter <strong>und</strong> wurde später dann auch sein Nachfolger an <strong>der</strong> Spitze desBND, was vom Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes, Markus Wolf, als Beleg für eine vermeintlichefaschistische Kontinuität <strong>der</strong> BRD gedeutet wurde. Schmidt-Eenboom setzte fort: „Auch im frühenNachkriegsdeutschland führte <strong>Gehlen</strong> dieses Doppelspiel zwischen stiller Sympathie für die Gegner Hitlersin <strong>der</strong> Wehrmacht <strong>und</strong> taktischer Distanz zu ihrem gescheiterten Anschlag auf Hitler weiter.“Der Politologe Ferdinand Kroh vermerkte bezogen auf die achtziger Jahre: „Hier lag aber keine Verschwörung[<strong>der</strong> Sowjetunion <strong>und</strong> <strong>der</strong> USA] vor, son<strong>der</strong>n ein langwieriger <strong>und</strong> komplizierter Politikprozess,dessen Ziel von beiden Seiten unter völlig unterschiedlichen Interessenlagen öffentlich formuliertwar: die Beendigung des <strong>Kalte</strong>n <strong>Krieg</strong>s. Während die Amerikaner das Sowjetimperium damit zu Fallbringen wollten, war es das Ziel <strong>der</strong> Sowjets, ihr Reich mit <strong>der</strong>selben Strategie zu retten.“ Und GräfinDönhoff äußerte über General <strong>Gehlen</strong>, <strong>der</strong> den Ärger nach dem <strong>Krieg</strong> überhaupt erst ausgelöst hatte,ihre schlecht gespielte Überraschung darüber, „dass ein Mann, dessen Metier es mit sich brachte, dasser seit Jahrzehnten den Osten als den potenziellen Gegner betrachten mußte, sich so freigehalten hatvon antikommunistischen Komplexen“. Und da war er, wie Sie sich gewiss erinnern, auch beileibe nicht<strong>der</strong> einzige Schönfärber des Sozialismus, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik auf den Plan trat.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!