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Reinhard Gehlen und der Kalte Krieg - Deutschland 1933 – 1990

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dem späten Mittelalter waren die Leute in unserem Raum an eine funktionierende Rechtsprechung gewöhnt,<strong>und</strong> es ist umso höher zu würdigen, wenn einer unter den neuen Umständen auf eigene Fausto<strong>der</strong> ganz <strong>und</strong> gar zusammen mit an<strong>der</strong>en etwas gegen die neue Erfahrung einer Willkürherrschaft unternahm.Ich habe am Ende <strong>der</strong> achtziger Jahre auch in Bautzen gewohnt <strong>und</strong> wusste, dass es dorteinen Stasi-Knast gab <strong>und</strong> habe mich nicht davor gestellt <strong>und</strong> protestiert. Man hat in aller Regel auchnur unter vertrauten Menschen Kritik an dem System geübt. Ich ging nach <strong>der</strong> Wende für einige Jahrenach Kassel, <strong>und</strong> nachdem sich meine Macke in Wohlgefallen aufgelöst hatte, wies man mich daraufhin, dass ich mich am Anfang überall immer erst umgesehen habe, wer um uns herum war. DieseSchutzhandlung war in meiner Diktatur so in Fleisch <strong>und</strong> Blut übergegangen, dass sie sich erst ganzlangsam verlor.Einen Eindruck von seinen persönlichen Gefühlen in den dreißiger Jahren lieferte mein Namensgeber,Onkel <strong>Reinhard</strong>, <strong>der</strong> 1924 geboren wurde, in Spiegelbil<strong>der</strong> meiner Entwicklung: „Wenn in <strong>der</strong> jüngerenVergangenheit ein namhafter Politiker [gemeint war Helmut Kohl, CDU] den Begriff <strong>der</strong> »Gnade <strong>der</strong>späten Geburt« prägte <strong>und</strong> damit meinte, Gott sei Dank in eine Zeit hineingeboren zu sein, die eine»Schuldzuweisung für die Gräuel <strong>der</strong> Nazizeit« nicht mehr zulasse, so kann bei meiner Generation wohleher von einem »schicksalhaft gnadenlosen Geburtstermin« gesprochen werden. Mit dem politischenUmbruch <strong>1933</strong> wurden Weichen gestellt, die unsere Nation direkt ins Ver<strong>der</strong>ben lenkten. Als das Volkden neuen Herrschern zujubelte, waren wir noch Kin<strong>der</strong>, <strong>und</strong> so prägte mich diese Zeit nachhaltig.Frühzeitig geriet ich in einen Zwiespalt. Mein sozialdemokratisches Elternhaus lehnte das an die Machtgekommene Regime ab. Schule <strong>und</strong> Hitlerjugend verlangten von mir, <strong>der</strong> neuen Ideologie bedingungsloszu folgen; <strong>und</strong> das, obwohl uns diese Institutionen – aus heutiger Sicht betrachtet – gnadenlos <strong>und</strong>systematisch auf einen <strong>Krieg</strong> vorbereiteten, <strong>der</strong> ohne den Endsieg nicht vorstellbar war. Ich kann sagen,dass die damals erlernte Maxime, etwas zu akzeptieren, was ich selbst bzw. mein Elternhaus ablehnte,sowohl meine Kindheit als auch die Zeit darüber hinaus stark beeinflusst hat.“Warum wurde diese für <strong>Deutschland</strong> historisch neue Zwangssituation für die Nachgeborenen nicht realistischvermittelt? Warum wurde so verfahren, wie es <strong>der</strong> Journalist <strong>und</strong> spätere Diplomat Günter Gausbeschrieben hat: „Der in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik mehrheitlich anerkannte Wi<strong>der</strong>stand gegen die damaligeMehrheit des deutschen Volkes, die nationalsozialistischen Bürokraten, Handlanger <strong>und</strong> Mitläufer inallen Schichten <strong>der</strong> Gesellschaft, war bald nach <strong>der</strong> Staatsgründung im Jahre 1949 auf die Opposition inStabsquartieren, auf Rittergütern <strong>und</strong> in großbürgerlichen Herrenzimmern eingegrenzt worden. Sowurde <strong>der</strong> befremdliche Vorgang von Verweigerung, von Unangepasstheit für die – tonangebende, breitgewordene, in manchen Formen neuartige, in den Machtstrukturen <strong>und</strong> Abhängigkeiten jedoch weithinrestaurierte – Mittelstandsgesellschaft in Kreise versetzt, zu denen man aufblicken konnte, ohne sich imVerhalten <strong>und</strong> Benehmen mit ihnen vergleichen zu müssen. Ein Wi<strong>der</strong>stand – nicht tatsächlich, aber in<strong>der</strong> öffentlichen Vorstellung – wie auf dem satinierten Papier <strong>der</strong> »Eleganten Welt«. Des Wi<strong>der</strong>standsaus <strong>der</strong> Wohnküche, in Arbeitervierteln <strong>der</strong> Großstädte, <strong>der</strong> sich in aller Ohnmacht früher regte als <strong>der</strong>auf den Landsitzen <strong>und</strong> in Generalkommandos, wurde nach dem <strong>Krieg</strong>e fast immer nur in betroffenenZirkeln gedacht, wenig o<strong>der</strong> gar nicht von Staats wegen. Das Verschwinden des sozialdemokratischenStadtverordneten aus <strong>der</strong> kleinbürgerlichen Nachbarschaft im Lager – das hätte selbst noch in <strong>der</strong> Erinnerungverlegen machen können.“ Und hätte, wäre es behutsam angewandt worden, heilsam gewirkt;stattdessen wurde die Erinnerung an diese Form des Wi<strong>der</strong>stands verdrängt <strong>und</strong> abgewürgt.Wenn da aber viele in den deutschen Eliten, viele, die dafür in die KZs gegangen wurden, <strong>und</strong> viele, dienicht den Arsch in <strong>der</strong> Hose hatten, etwas zu unternehmen, gegen diesen größenwahnsinnigen <strong>Krieg</strong><strong>und</strong> diesen furchterregenden Rassismus waren, so kann man mit Sicherheit nicht mehr von einemDolchstoß reden. Dann hatte <strong>der</strong> Österreicher am Tage seiner Machtergreifung eher eine entsicherteHandgranate geschluckt. Eine Diktatur hat eben ihre eigenen Spielregeln, <strong>und</strong> es ist nicht einfach, dannbrauchbare Leute zusammenzukriegen, mit denen man am Ende Pferde stehlen kann. So hat man sichdas vorgestellt. Die Leute haben ruhiggehalten, also wollten sie tote Juden. 98,7 Prozent.Wenn jemand mal Zeit übrig hat, kann er mir ja erklären, warum wir hier einfach kein ausgewogenesGeschichtsbild zustande bekommen. Kann man nicht sagen, dass sich in den dreißiger <strong>und</strong> vierzigerJahren bei den Deutschen ein Zivilisationskampf abspielte? Die einen waren in ihrem Übereifer zu je<strong>der</strong>Schandtat bereit <strong>und</strong> hatten lei<strong>der</strong> die Staatsführung auf ihrer Seite, <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>en hatten lei<strong>der</strong> Gotteszu jener Zeit die Staatsführung <strong>und</strong> die Justiz nicht auf ihrer Seite. Wem ist denn nur damit gedient,wenn die Ablehnung jenes völlig überhöhten Nationalismus in einer vergangenen Zeit heute zu einerpauschalen Verurteilung des Nationalstolzes führt? Sonst hätte man nach dem <strong>Krieg</strong> konsequenterweise

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